Holger Scholl
Ohne das Personal, das die speziellen Ret
nicht mehr »nur« bei Verkehrsunfällen die
tungsverfahren durchführt und in besonderen
schnelle Hilfe aus der Luft, sondern als feste
Einsatzlagen richtig reagiert, könnte das Sys
Größe im deutschen Rettungssystem inte
tem nicht funktionieren. Neben diesen The
griert. Die Primär- und Sekundärluftrettung
men werden auch die Fragen der Sicherheit im
sowie der SAR-Dienst bilden heute ein (fast)
Flugbetrieb nicht außer Acht gelassen.
flächendeckendes Luftrettungsnetz, das von
Detailliert wird auf die Bewältigung von Groß
den Luftrettungsorganisationen bzw. Betrei
schadensereignissen und Katastrophenfällen
bern, dem Bundesministerium des Innern und
eingegangen. Viele Einsatzbeispiele zeigen,
der Bundeswehr getragen und durch Ressour
wie das System Luftrettung funktioniert und
cen der Bundespolizei und Länderpolizeien
wie diese Einsätze zur ständigen Weiterent
unterstützt wird.
wicklung des Systems beigetragen haben.
All diese Einsatzbereiche und Beteiligten wer
Der Autor blickt über den Tellerrand der öffent
den im vorliegenden Buch ausführlich vor
lich-rechtlichen Luftrettung und erläutert den
gestellt. Umfassend wird auf die Einsatzma
luftgebundenen Krankentransport, insbeson
schinen sowie die Flugtechnik eingegangen.
dere zu und von Offshore-Windkraftanlagen.
Thematisiert werden zudem die geschicht
In einem weiteren Kapitel werden die Luftret
liche Entwicklung sowie u. a. die infrastruktu
tungssysteme der Nachbarstaaten Deutsch
rellen und rechtlichen Voraussetzungen des
lands und die europäischen Kooperationen
Luftrettungssystems. Hierbei werden stets die
ausführlich beschrieben.
aktuellen Entwicklungen, Diskussionen und
Ein umfassendes Handbuch für jeden, der sich
die zukünftigen Herausforderungen der Luft
für die Luftrettung interessiert, ausgestattet
rettung einbezogen.
mit einzigartigem Bildmaterial.
Handbuch Luftrettung
Der »Hubschrauberrettungsdienst« ist längst
Holger Scholl
Handbuch Luftrettung
Handbuch Luftrettung Organisation, Einsatz, Taktik und Technik
ISBN 978-3-943174-93-9
Organisation, Einsatz, Taktik und Technik
www.skverlag.de
2., vollständig überarbeitete Auflage
Handbuch Luftrettung
Organisation, Einsatz, Taktik und Technik 2., vollständig ßberarbeitete Auflage
Holger Scholl
Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2018
Anmerkungen des Verlags Der Autor und der Verlag haben höchste Sorgfalt hinsichtlich der Angaben von Richt linien, Verordnungen und Empfehlungen aufgewendet. Für versehentliche falsche Anga ben übernehmen sie keine Haftung. Da die gesetzlichen Bestimmungen und wissen schaftlich begründeten Empfehlungen einer ständigen Veränderung unterworfen sind, ist der Benutzer aufgefordert, die aktuell gültigen Richtlinien anhand der Literatur zu über prüfen und sich entsprechend zu verhalten. Die Angaben von Handelsnamen, Warenbezeichnungen etc. ohne die besondere Kenn zeichnung ®/™/© bedeuten keinesfalls, dass diese im Sinne des Gesetzgebers als frei anzu sehen wären und entsprechend benutzt werden könnten. Der Text und/oder das Literaturverzeichnis enthalten Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat. Deshalb kann er für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seite verantwortlich. Aus Gründen der Lesbarkeit ist in diesem Buch meist die männliche Sprachform gewählt worden. Alle personenbezogenen Aussagen gelten jedoch stets für Personen beliebigen Geschlechts gleichermaßen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Handbuch Luftrettung (2. Auflage) Holger Scholl ISBN 978-3-943174-93-9 © Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2018 Satz: Bürger Verlag GmbH & Co. KG, Edewecht Umschlagbild: Bundespolizei-Fliegergruppe, Sankt Augustin Druck: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn
˘ Inhalt
Inhalt
1
Vorwort
11
Abkürzungen
13
Geschichte der Luftrettung
27
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9
Einführung
Erste Initiativen ebnen den Weg für eine Vision: Luftrettung in Deutschland Hubschrauber im Rettungsdienst: eine Aufgabe für Pioniere und »Dickköpfe« Die Geburtsstunde der Luftrettung: Start frei für »Christoph« Als die Luftrettung laufen lernte: Aufbau des Luftrettungsnetzes
Eigeninitiative sichert Ausbau der Luftrettung
Luftrettung in der DDR: Ein Luftrettungsnetz entsteht in wenigen Monaten Luftrettung im geeinten Deutschland Luftrettung im neuen Jahrtausend
2 Luftrettung in Deutschland –
Voraussetzungen, Organisation & Infrastruktur
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13
Einführung
Aufgaben und Ziele der Luftrettung Vorteile der Luftrettung
Einsatzarten im Überblick
Medizinische Versorgung beim Luftrettungseinsatz Zuständigkeit und Trägerschaft
Rechtliche Vorgaben und Empfehlungen Kosten der Luftrettung
Luftrettungsstützpunkte Rufnamen
Luftrettungsorganisationen
Rettungsleitstelle / Integrierte Leitstelle
Fallbeispiel: Atemstillstand nach Strangulation bei einem Kleinkind
28 29 31 35 36 40 43 48 51
53 54 54 55 64 70 71 73 77 79 87 87 110 113 5
˘ Inhalt
3 Primärluftrettung 3.1
Einführung
116
3.2
Rüstzeiten
117
3.3
Alarmierung
117
3.4
Einsatzspektrum
119
3.5
Einsatzaufkommen
120
3.6
Organisatorischer Ablauf eines Primäreinsatzes
122
3.7
Fallbeispiel: Ein Tag in der Primärluftrettung mit »Christoph 16« Saarbrücken
123
3.8
Sonderhubschrauber bei besonderen Ereignissen
127
3.9
Notarzteinsatzhubschrauber
129
3.10
Einsatz- und Transporthubschrauber
131
3.11
Rettungstragschrauber
131
4 Sekundärluftrettung – Spezieller Intensivtransport
133
4.1
Einführung
134
4.2
Alarmierung
135
4.3
Koordinationsstellen für spezielle Intensivtransporte
137
4.4
Organisatorischer Ablauf eines Intensivtransportes
138
4.5
Fallbeispiel: Intensivtransport bei Nacht nach einsetzender Hirnblutung
139
4.6
Transporthubschrauber
140
4.7
Luftgebundene Krankentransporte
142
5 Luftrettung in besonderen
Einsatzlagen und mit s peziellen Rüstsätzen
145
5.1
Einführung
146
5.2
Besondere Einsatzlagen
147
5.3
Luftrettung mit spezieller Rettungsausrüstung
157
6 Luftgebundener Werksrettungsdienst für Offshore-Windparks
6
115
165
6.1
Einführung
166
6.2
Leitstellenbetreiber für Offshore-Windparks
166
˘ Inhalt
6.3
Gemeinsame Rettungskette auf See
167
6.4
Forschungsprojekte »Rettungskette Offshore Wind«
168
6.5
Ganzheitliches medizinisches Versorgungskonzept WINDEAcare
168
6.6
Hubschrauberbetreiber für Offshore-Windparks
169
6.7
Helicopter Underwater Escape Training
170
6.8
Psychosoziale Notfallversorgung im Offshore-Einsatz
172
7 Fliegerisches Personal in der Luftrettung
173
7.1
Einführung
174
7.2
RTH- / ITH-Crew
175
7.3
Pilot
178
7.4
HEMS Technical Crew Member
179
7.5
Luftrettungsmeister im SAR-Dienst der Bundeswehr
181
7.6
Physische und psychische Anforderungen
181
7.7
Fallbeispiel: Kooperation der RTH-Crew beim Primäreinsatz
182
8 »Safety first«:
Sicherheit im Flug- und Einsatzbetrieb
185
8.1
Einführung
186
8.2
Flugregeln und Wetterminimalanforderungen
187
8.3
Landestellen und Einweisung
194
8.4
Besondere Gefahren im Flugbetrieb: Drohnen und Laserpointer 203
8.5
Fallbeispiel: Möglichkeiten und Grenzen der Luftrettung
9 Flugtechnik: Einsatzmaschinen und Ausstattung
203 205
9.1
Einführung
206
9.2
Anforderungen an Luftrettungsmittel
207
9.3
Einsatzmaschinen
211
9.4
Ausstattung von Luftrettungsmitteln
235
9.5
Ausstattung der Polizeihubschrauber und Polizeitaktischer Arbeitsplatz
242
9.6
Ausrüstung der SAR-Mittel 1. Grades
243
7
˘ Inhalt
10 Such- und Rettungsdienst der Bundeswehr 10.1
Einführung
246
10.2
Geschichtliche Entwicklung
246
10.3
Rechtliche Grundlagen
249
10.4
Aufgaben, Einsatzspektrum und Kostenerstattung des SAR-Dienstes
250
10.5
SAR-Satellitenprogramm
251
10.6
Besatzung der SAR-Hubschrauber
252
10.7
SAR-Leitstellen
252
10.8
SAR-Mittel / -Kommandos
254
10.9
Katastrophenhilfe / Humanitäre Hilfe
255
10.10
Combat Search and Rescue
256
10.11
Organisatorischer Ablauf eines SAR-Einsatzes
257
10.12
Perspektiven des SAR-Dienstes der Bundeswehr
258
10.13
Fallbeispiele
259
11 Amts- und Katastrophenhilfe durch Polizei von Bund und Ländern
8
245
263
11.1
Einführung
264
11.2
Bundespolizei-Flugdienst
264
11.3
Amts- und Katastrophenhilfe der BPOL-Hubschrauber
271
11.4
Fallbeispiele Bundesgrenzschutz / Bundespolizei
274
11.5
Geschichtliche Entwicklung des Polizeiflugdienstes der Länder 278
11.6
Gliederung des Polizeiflugdienstes der Länder
280
11.7
Aufgaben der Polizeihubschrauber innerhalb des Polizeivollzugsdienstes
282
11.8
Besatzung der Polizeihubschrauber
283
11.9
Alarmierung der Polizeihubschrauber
283
11.10
Amts- und Katastrophenhilfe durch Polizeihubschrauber
284
11.11
Fallbeispiele Länderpolizeien
285
11.12
Fallbeispiel: Gemeinsamer Einsatz zur Katastrophenhilfe von Polizei und Luftrettung in Simbach am Inn
287
˘ Inhalt
12 Großschadensereignisse und Katastrophenfälle
289
12.1
Einführung
290
12.2
EMERCOM of Russia – Das russische Modell zur Katastrophenbewältigung
291
12.3
Einrichtungen in der Gefahren- und Katastrophenabwehr in Deutschland
294
12.4
Luftbewegliche Kräfte und »Katastrophenkisten«
300
12.5
Großraumrettungshubschrauber der Bundeswehr
302
12.6
Lufttransportkapazitäten
304
12.7
Sanitäts- / Lazarettflugzeuge und Sonderrüstsatz »MedEvac«
306
12.8
Einsatztaktisches Vorgehen bei Großschadenslagen und Katastrophenfällen
313
12.9
Einsätze der Luftrettung bei Großschadensereignissen
325
13 Luftrettung in Europa
349
13.1
Einführung
350
13.2
Europäische Arbeitsgemeinschaften
353
13.3
Katastrophenschutzverfahren der Europäischen Union
356
13.4
EU-Katastrophenschutzeinheiten: rescEU
358
13.5
Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion
359
13.6
Grenzüberschreitende Luftrettung
359
13.7
Fallbeispiel: Explosion einer Feuerwerksfabrik in Enschede
380
14 Blick zurück nach vorn: Luftrettung – quo volas?
383
Anhang
393
Literatur
394
Abbildungsnachweis
415
Index
417
9
1 Geschichte der Luftrettung
1 ˘ Geschichte der Luftrettung
1.1
Einführung
Die Wurzeln der modernen Luftrettung reichen bis zum Ende der 1950er Jahre zurück. In einer Zeit, in der sich der Rettungsdienst noch in vollem Aufbau befand und noch heftig diskutiert wurde, ob vor Ort ein Notarzt sinnvoll sei, wurde von einigen engagierten Ide alisten und Medizinern ein Hubschrauberrettungsdienst gefordert. Dass diese Forderun gen und die daraus resultierenden Aktionen zu äußerst emotionsgeladenen Diskussionen führten, erscheint nicht verwunderlich. Zwar erschöpften sich die Aktivitäten in zumeist erfolglosen Einzelaktionen, doch hatten sie die Idee eines Hubschrauberrettungsdienstes am Leben gehalten und so manchen für die Luftrettung sensibilisiert. Stetig steigende und alarmierende Unfallzahlen im Straßenverkehr in den 1960er Jahren führten zu Pionierver suchen, die Anfang der 1970er Jahre zu Modellversuchen und in den folgenden Jahren zum Auf- und Ausbau der Luftrettung führten. Nachdem das Zivilschutz-Hubschrauber-Pro gramm des Bundes 1980 beendet war, mussten zum weiteren Ausbau der Luftrettung in Westdeutschland mehr privates Engagement und innovative Lösungen gefunden werden. Durch die rasante Entwicklung in Wissenschaft, Forschung, Technik und Politik ergaben sich 20 Jahre nach Beginn der Implementierung der organisierten Luftrettung in der Bun desrepublik Deutschland neue Anforderungen, Aufgabenfelder sowie technische und ein satztaktische Möglichkeiten. Beachtliches wurde mit dem Aufbau der Luftrettung in den neuen Bundesländern geleistet, wo in kürzester Zeit ein nahezu flächendeckendes Luftret tungsnetz aufgebaut werden konnte. Jedoch wurden Anfang der 1990er Jahre erhebliche Chancen zur Neustrukturierung des gesamtdeutschen Luftrettungsdienstes vertan – ins besondere im Hinblick auf länderübergreifende und dadurch kosteneffektive Aspekte. Auch der qualifizierte Intensivtransport stellte zu Beginn der 1990er Jahre neue Anforde rungen an die Luftrettung. Nachdem die Auf- und Ausbaustufen weitestgehend abgeschlossen waren und man hätte annehmen können, dass nun etwas Ruhe in die Luftrettung einkehren würde, kam die nächste Hürde. Mitte der 1990er Jahre begann der Staat, sein Engagement zu redu zieren und auf private Leistungserbringer zu verlagern. Nach 25 Jahren Luftrettung stan den gewaltige und kostenintensive Veränderungen durch reduzierte staatliche Ressour cen und neue europäische Luftfahrtvorschriften an. Die Luftrettung in Deutschland durchlebte eine wechselvolle und turbulente Geschichte. Die nachfolgende Darstellung der Entwicklung der deutschen Luftrettung soll auch ver deutlichen, dass diese zwar von vielen Faktoren in einem komplexen System abhängig ist, dennoch von jeder einzelnen Aktivität mehr oder weniger stark geprägt wurde. Wie bei einem Foto setzen sich unterschiedlich große Fragmente zu einem Gesamtbild der (fast) flächendeckenden Luftrettungsstützpunkte zusammen.
Fazit Die geschichtliche Entwicklung der Luftrettung zeigt, dass ohne das Engagement jedes Einzelnen, wie auch immer am Gesamtsystem Beteiligten, ein Luftrettungsdienst nicht möglich geworden wäre.
28
2 Luftrettung in Deutschland – Voraussetzungen, Organisation & Infrastruktur
2 ˘ Luftrettung in Deutschland – Voraussetzungen, Organisation & Infrastruktur
2.4
Einsatzarten im Überblick
Seit Beginn der bundesdeutschen Notfallmedizin kommt gegenüber der US-amerikani schen Versorgungsstrategie »Load and Go« (»Laden und Fahren«), die entgegengesetzte Versorgungsstrategie »Stay and Play« (»Bleiben und Behandeln«) zum Einsatz. Vor dem Hintergrund des Faktors »Zeit« warb u. a. Prof. Matthias Helm, Oberstarzt und Leiten der Hubschrauberarzt des RTH »Christoph 22« am Bundeswehrkrankenhaus (BwK) Ulm, anlässlich der 15. Fachtagung Luftrettung in Mainz bereits im Jahr 2013 für die modifi zierte Versorgungsstrategie »Play and Run« bzw. »Treat and Run« (»Behandeln und Fah ren/Fliegen«), wodurch u. a. den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Unfall chirurgie e. V. (DGU) entsprochen werden soll, die eine Operation von Polytraumapatienten spätestens 90 Minuten nach der Notfallmeldung vorgeben. Gerade in der Luftrettung kommt der Einsatztaktik im Rahmen des vielseitigen Managements eine herausragende Bedeutung zu. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass die Überlebensrate nach Verkehrsunfällen erheblich sinkt, wenn nicht schnellstmöglich eine qualifizierte notärztliche Versorgung einsetzt (91). Die meis ten der bei Verkehrsunfällen Getöteten haben unmittelbar nach dem Unfallereignis noch gelebt. Nach fünf Minuten waren nur noch 85 %, nach 15 Minuten 72 % und nach 25 Minuten nur noch 60 % am Leben. Bei einer Minimierung der Eintreffzeit des Notarztes auf acht Minuten traten bis zu 27 % weniger Todesfälle nach lebensbedrohlichen Mehr
Abb. 6 ˘ Sehr kurze Reaktionszeiten: Primärluftrettungsmittel müssen spätestens zwei Minuten nach der Alarmierung in der Luft sein; hier Alarmstart am Luftrettungszentrum »Christoph 10« Wittlich.
64
2 ˘ Luftrettung in Deutschland – Voraussetzungen, Organisation & Infrastruktur
fachverletzungen (Polytraumata) auf. Bei der Hälfte der Patienten mit schweren Blutun gen tritt der Tod nach 30 Minuten ein. Es wird hier sehr deutlich, dass gerade die Luftret tung ihren zeitlichen Vorteil ausspielen kann, um durch die schnelle Hilfe aus der Luft die Letalitätsrate zu vermindern. Im Straßenverkehr bedeutet jede Minimierung der durch schnittlichen Eintreffzeit pro Minute eine Reduzierung der Todesfälle bei Unfällen um 1 %. Darüber hinaus ist die Unfallfolgenminderung ein nachweisbarer kostendeckender Effekt der Luftrettung. Ähnlich verhält es sich auch bei internistischen Notfällen. Bei 50 % der Patienten mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand tritt der Tod bereits nach rund drei Minuten ein. Bereits fünf Minuten nach einem Atem- und/oder Herz-Kreislauf-Still stand treten irreversible Schädigungen des Gehirns auf, da es nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird. Von den Patienten, deren Versorgung mit einem Einsatz des Rettungshub schraubers einherging, konnten 72 % nach der stationären Therapie als wiederhergestellt entlassen werden (227).
Übersicht Medizinischer Nutzen der Luftrettung nach Kugler (227) • Maximaler präklinischer Versorgungsstandard durch qualifizierte Flugärzte und Rettungsassistenten/Notfallsanitäter. • Schonender Transport ohne Störfaktoren wie Vibrationen oder Beschleunigungskräfte. • Schneller Transport zum geeigneten Krankenhaus ohne Zwischenversorgung in kleineren klinischen Einheiten. • Niedrige Zahl der Todesfälle während des Transports. • Senkung der medizinischen Komplikationen im Behandlungsverlauf. • Vermeidung von Aufnahmekapazitäten für Patienten in Kliniken. • Landungen in unwegsamen Gelände bzw. Einsatz der Rettungswinde bringen Hilfe an kaum oder gar nicht zugänglichen Unfallorten. • Schneller Transport von Organen oder Medikamenten. • Rascher Einsatz von Spezialisten bei Katastrophen.
Da die Luftrettung eine Ergänzung des bodengebundenen Rettungsdienstes darstellt, ist sie zu fast 100 % auf die Bodenrettung und manchmal auch auf die Berg- und Wasserret tung angewiesen, um einen effizienten Rettungseinsatz zu gewährleisten. Darüber hin aus ist es von herausragender Bedeutung, das therapiefreie Intervall soweit als möglich durch Laien- bzw. Ersthelfer (Sofortmaßnahmen, Notruf 112, Erste Hilfe bzw. Reanima tion) zu verkürzen. Dazu gehört auch, eine Rettungsgasse zu bilden, damit Einsatzkräfte schnell den Patienten erreichen, weshalb immer wieder öffentlichkeitswirksam darauf hinzuweisen ist.
Fazit Der Luftrettungsdienst ist aufgrund seiner Vielseitigkeit und durch sein großes Einsatzspektrum von unterschiedlichen Einsatzarten geprägt.
65
2 ˘ Luftrettung in Deutschland – Voraussetzungen, Organisation & Infrastruktur
2.4.1
Primäreinsatz I: »Versorgungsflug« Patient
Patient RTH-Arzt RTW
Notfallort
RTW
Patient Krankenhaus
RTH
Abb. 7 ˘ Versorgungsflug (aus Uhr, 478) Bei einem Versorgungsflug handelt es sich um die schnelle Heranführung des Notarztes durch RTH zur medizinischen Versorgung. Vor diesem Hintergrund wird der RTH in die ser Funktion auch als »schneller Notarztzubringer« bezeichnet. Nach der sofortigen Erst versorgung durch den RTH-Notarzt entscheidet dieser, ob der Patient mit oder ohne seine Begleitung im RTW zum Krankenhaus transportiert wird.
2.4.2
Primäreinsatz II: »Primärtransport« Patient
Patient
Patient
Notfallort
RTH
Krankenhaus
RTH
Abb. 8 ˘ Primärtransport (aus Uhr, 478) Erfolgt nach der Versorgung an der Notfallstelle der Transport des Patienten im RTH, in das für seine Verletzungen und Erkrankungen nächste geeignete Krankenhaus, handelt es sich um einen Primärtransport.
2.4.3
Primäreinsatz III: »Kommissionärer Primäreinsatz« / Postprimärer Einsatz
Mitte der 1980er Jahre wurde eine weitere Untergruppierung des Primäreinsatzes defi niert, der »kommissionäre Primäreinsatz«. Dabei handelt es sich um die Nachforderung des RTH zum Transport eines Notfallpatienten, der bereits an der Einsatzstelle durch einen bodengebundenen Notarzt im Rettungswagen versorgt und zum Transport vorbereitet (stabilisiert) wurde. Der »kommissionäre Primäreinsatz« gehört ebenso wie die beiden
66
2 ˘ Luftrettung in Deutschland – Voraussetzungen, Organisation & Infrastruktur
anderen Untergruppierungen zum »Tagesgeschäft« in der deutschen Luftrettung. Diese Einsatzform kommt insbesondere in ländlich strukturierten Gebieten mit einem gerin gen Angebot an spezialisierten Versorgungsmöglichkeiten bei Polytraumata, schweren Schädel-Hirn-Verletzungen, schweren Brandverletzungen und pädiatrischen Notfällen als einsatztaktische Komponente eines optimal organisierten Rettungsdienstes und Versor gungsablaufs zum Tragen. Mit dem »kommissionären Primäreinsatz« wird wertvolle Zeit für den Notfallpatien ten gespart, da nach unmittelbarer Feststellung der Prioritäten der Transport in ein klei nes, weniger geeignetes Krankenhaus zur »Zwischenversorgung« und ein sich zwangsläu fig anschließender dringlicher Sekundärtransport vermieden wird, da der unverzüglich nachgeforderte RTH den Patienten auf direktem Weg in die geeignete Klinik verbringt. Dadurch können die Zeiten bis zur Definitivversorgung um eine halbe bis zwei Stunden verkürzt werden, die dem Patienten nicht nur das Leben retten, sondern auch den Gene sungsprozess fördern können. Aus ökonomischer Sicht hilft diese schnelle rettungsmedi zinische Versorgungskomponente auch bei der Einsparung erheblicher finanzieller Auf wendungen der Kostenträger, da die Verweil- und die Rehabilitationszeiten z. T. deutlich verkürzt werden. Patient
Patient
Patient
Notfallort
RTH
Spezialklinik
RTW / NEF
RTH
Abb. 9 ˘ »Kommissionärer Primäreinsatz« (aus Uhr, 478)
2.4.4
Sekundäreinsatz
Unter dem Begriff »Sekundäreinsatz« ist sowohl der von den RTH wahrgenommene »dringliche Sekundärtransport« als auch der in den Zuständigkeitsbereich der ITH fallende »Intensivtransport« zu verstehen. Für beide trifft die grundsätzliche Definition des Sekun däreinsatzes zu. Dabei handelt es sich um den Transport von Notfallpatienten, die von einem Krankenhaus mit einer niedrigen Versorgungsstufe nach der Stabilisierung bzw. bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes in eine für die Weiterbehandlung geeignete Spezialklinik bzw. in ein medizinisches Zentrum (höhere Versorgungsstufe) geflogen werden müssen. Dies kann unmittelbar nach der Aufnahme eines Patienten in einem allgemein versorgenden Krankenhaus erfolgen, wenn das Verletzungsmuster oder das Krankheitsbild die Kapazitäten dieses Hauses übersteigen und die Spezialklinik in bis zu 100 km entfernt zum nächsten RTH-Standort liegt. Man spricht dann vom »dringlichen Sekundärtransport«, der vom RTH übernommen wird, sofern dieser einsatzbereit ist.
67
2 ˘ Luftrettung in Deutschland – Voraussetzungen, Organisation & Infrastruktur
Patient
Patient
Patient
RTW / NEF
Krankenhaus
RTH
Patient Notfallort
RTH
Patient Spezialklinik
RTW / NEF
Abb. 10 ˘ Dringlicher Sekundäreinsatz (aus Uhr, 478) Vor dem Hintergrund zunehmender Spezialisierung und medizinischen Fortschritts gewinnt die Definitivversorgung von schwer erkrankten und verletzten Personen immer größere Bedeutung. Diese Patienten bedürfen einer über die übliche rettungsmedizini sche Versorgung und Betreuung hinausgehende, besondere Transportqualität, die heute unter der Bezeichnung »Intensivtransport« zusammengefasst ist.
2.4.5
Dual-Use-System
Beim Dual-Use-System handelt es sich um die Doppelfunktion »Primär und Sekundär«, d. h. ein Luftrettungsmittel kann als Rettungs- und Intensivtransporthubschrauber (RTH/ ITH) eingesetzt werden und ist zu diesem Zweck auch entsprechend ausgerüstet. Der bun desweit erste Dual-Use-Hubschrauber ging am 1. Juli 1997 mit »Christoph 77« in Mainz an den Start. Diesem Beispiel folgend und vor dem Hintergrund ökonomischer Aspekte sowie der damit verbundenen Erzielung von Synergieeffekten hat die Konsensgruppe »Luftret tung« des Ausschusses »Rettungswesen« in ihrem Abschlussbericht Mitte 2000 darauf verwiesen, dass Luftrettungsmittel zukünftig sowohl Primär- als auch Sekundäraufgaben wahrnehmen sollten (32). Durch die neuen, größeren und leistungsfähigeren Einsatzma schinen können bis auf wenige Ausnahmen alle luftrettungsdienstlichen Aufgaben von den neuen Luftrettungsmitteln erfüllt werden. Dieser Empfehlung folgend, haben alle eta blierten bundesdeutschen Luftrettungsorganisationen ihre RTH so aufgerüstet, dass sie der DIN 13230-4 für Intensivtransporthubschrauber entsprechen und damit auch Auf gaben im Sekundärflugwesen übernehmen können.
Fazit Eine strikte Trennung zwischen Primär- und Sekundärluftrettung, wie es sie bis in die Nullerjahre gab, ist heute entfallen.
68
3 ˘ Primärluftrettung
3.9
Notarzteinsatzhubschrauber
Nachdem der bodengebundene Rettungsdienst und die Luftrettung nach bundesdeut schen Strukturen und gesetzlichen Vorgaben in den neuen Bundesländern zu Beginn der 1990er Jahre etabliert waren, beschritten zwei private Helikopterbetreiber mit drei Trägern eine bis dato völlig neue Variante der Luftrettung. Die Grundidee war, dass – vergleichbar dem Notarzteinsatzfahrzeug, das im Rendezvoussystem mit einem Rettungswagen aus rückt – ein kleiner und deshalb kostengünstiger Hubschrauber zur notfallmedizinischen Versorgung in ländlich strukturierten Gebieten eingesetzt werden könnte. Zuerst in Suhl, später in Schwerin und in Kessin (bei Bad Doberan, Landkreis Rostock, Mecklenburg-Vor pommern) wurden sogenannte Notarzteinsatzhubschrauber (NEH) stationiert.
Beachte Notarzteinsatzhubschrauber stellen kein Rettungsmittel, sondern lediglich ein Einsatzmittel dar. Sie sind »Notarztzubringer« und können keinen Patienten transportieren. Die Maschinen der Muster Robinson R44 bzw. Hughes 500, die gerade einmal Platz für den Piloten, Notarzt und Rettungsassistenten/Notfallsanitäter (HEMS TC) bieten und nur noch bedingt für deren medizinische Ausrüstung, sollten und sollen den Notarzt schnellstmög lich zum Patienten bringen. Im Anschluss kann der Notarzt den Patienten dann, ähnlich dem NEF-Notarzt, mit dem RTW in die Klinik begleiten oder ein reguläres Luftrettungsmit tel zum Transport nachfordern. Aufgrund der eingesetzten kleinen Hubschrauber wurde der Begriff der »Fliegenden Arzttasche« (FAT) geprägt, da nur das nötigste, sehr begrenzte Equipment mitgeführt werden kann. Derzeit besteht nur noch ein NEH-Standort in Kessin, der seit dem 1. September 1995 im Auftrag des damaligen Landkreises Bad Doberan und dem heutigen Landkreis Rostock von der Firma Heli-Flight (Sitz in Reichelsheim) in Kooperation mit der Ambulanz Millich Rettungsdienst GmbH betrieben wird. Der dort stationierte einmotorige NEH des Typs Robinson R44 Raven II mit dem Rufnamen »Rettung LRO 029/01/82/01« (ehemals »Ret tung Doberan 64/82/1«) hat in 20 Jahren rund 20 000 Einsätze geflogen. Ende Juli 2010 wurde in Cuxhaven durch die Firma CHT Air Medical Service eine BO 105 CBS stationiert, die knapp drei Tage in Einsatzbereitschaft war, ohne allerdings einen Ein satz geflogen zu haben. Ein Jahr später wurde auf dem Flugplatz Hartenholm (EDHM) in Schleswig-Holstein im Rahmen eines dreimonatigen Projektes der NEH »KUNO SH 01« des Vereins Krankentransporte, Behinderten- und Altenhilfe e. V. (KBA) stationiert. Die kleine BO 105 CB wurde durch die Rhein-Ruhr-Helicopter Rainer Zemke GmbH & Co. KG mit einem Piloten gestellt. Das Projekt »KUNO« war äußerst umstritten und führte zu erheb lichen Irritationen und kontroversen Diskussion. Die Kostenträger betonten im Vorfeld der Stationierung, eine Kostenübernahme für etwaige Einsätze nicht übernehmen zu wol len, woraufhin der KBA von der Finanzierung des Projektes durch Spenden und Sponso ring sprach. Zwischen dem 15. Juli und dem 15. Oktober 2011 hatte der NEH insgesamt 64 Einsätze geflogen, die nach Aussagen des KBA evaluiert werden sollten. Eine Analyse
129
3 ˘ Primärluftrettung
der Einsätze, wie angekündigt, ist nicht erfolgt. Nach Beendigung des Projektes wurde der Hubschrauber abgezogen, die Aufschrift »Notarzt« entfernt und in den Farben des KBA im gewerblichen Luftverkehr eingesetzt.
Fazit Sowohl die Bundesärztekammer (BÄK) als auch die Konsensgruppe »Luftrettung« im Ausschuss »Rettungswesen« lehnten bereits in den 1990er Jahren den Einsatz von NEH ab. Die Konsensgruppe führte zum NEH aus: »Die einsatztaktische Komponente dieses Hub schraubers entspricht dem NEF. Jedoch ist der Notarzteinsatzhubschrauber aufgrund sei ner räumlichen Maße nicht in der Lage, die DIN-Ausstattung eines NEF mitzuführen. Er stellt aus diesem Grund kein Äquivalent zum NEF dar. Die fehlende Transportmöglich keit für Patienten stellt einen weiteren fachlichen Grund gegen eine Einbeziehung dieses Hubschraubertyps in das rettungsdienstliche System dar … Der Einsatz von Notarztein satzhubschraubern kann aus einsatztaktischer und ökonomischer Sicht weder als sinn voll noch als zielführend bewertet werden, er ist deshalb abzulehnen« (32, 306).
Abb. 8 ˘ Die »Fliegende Arzttasche«: Der NEH »Rettung LRO 029/01/82/1« vom Muster R44 lässt unschwer erkennen, dass der dreiköpfigen Crew mit ihrer Ausrüstung nur ein äußerst begrenztes Platzangebot zur Verfügung steht.
130
5 ˘ Luftrettung in besonderen Einsatzlagen und mit s peziellen Rüstsätzen
5.2
Besondere Einsatzlagen
5.2.1
Luftrettung als integraler Bestandteil der Bergrettung
In der Alpenregion ist der RTH nicht nur zu einem unverzichtbaren Einsatzmittel gewor den, sondern auch integraler Bestandteil des Bergrettungsdienstes. Unabhängig davon, welches Bergeverfahren angewandt wird, bestehen enge Kooperationen zwischen den einzelnen Luftrettungsorganisationen und der Bergwacht.
Beachte Regelmäßige Übungen und Einweisungen in die Rettungsverfahren und -techniken gehören zur dienstlichen Routine, um die Gefahr bei Einsätzen auf ein Minimum zu reduzieren. Lange bevor überhaupt an einen organisierten zivilen Luftrettungsdienst gedacht wurde, sind bereits Hubschrauber zur Bergrettung eingesetzt worden. Schon früh wurde erkannt, dass Flugzeuge – und später auch Hubschrauber – bei Gletscherlandungen die größtmög liche Überlebenschance in unwegsamem Gelände bieten. Bergrettungsaktionen würden
Abb. 1 ˘ In der Berg- und Gebirgsrettung ist der Einsatz der Rettungswinde in unzugänglichem Gelände oftmals die einzige Möglichkeit zur schnellen Hilfe.
147
5 ˘ Luftrettung in besonderen Einsatzlagen und mit s peziellen Rüstsätzen
ohne den Hubschrauber mehrere Stunden, unter Umständen sogar Tage dauern, wodurch sich die Überlebenschance der Opfer auf null reduzieren würde. Auch der Transport bei einem Abstieg stellt eine schwere körperliche Belastung insbesondere für den Patienten dar, der durch den Hubschrauber vermieden werden kann. Des Weiteren sind vermisste oder verunglückte Bergsteiger oftmals nicht genau zu lokalisieren, sodass der Hubschrau ber das effizienteste Suchmittel darstellt, um größere Bereiche in kürzester Zeit abzusu chen. Dem Einsatzmittel Hubschrauber kommt deshalb aufgrund seiner hohen Flexibili tät, Multifunktionalität und Schnelligkeit hier eine besondere Bedeutung zu, da er oftmals die einzige Möglichkeit bietet, verletzte oder erkrankte Patienten in Bergregionen schnell und schonend zu retten und zu transportieren.
5.2.2
Rettung von Hochhäusern bzw. aus großen Höhen
Immer wieder stellen besondere Einsatzlagen wie Hochhausbrände oder auch Baustellen in großen Höhen die Einsatzkräfte vor besondere Probleme bezüglich der schnellen und sicheren Rettung von Personen. Vor diesem Hintergrund haben zahlreiche Feuerwehren besondere Spezialeinheiten gebildet, die sogenannten Höhenrettungsgruppen, die – ver gleichbar der Bergwacht – auf die Rettung von Personen aus großen Höhen und unwegsa men Gelände spezialisiert sind. Auch in diesen Fällen stellt jedoch der Hubschrauber das Einsatzmittel der Wahl dar: Was sich im Bergland längst bewährt hat, kann unter Umstän den auch in großen Höhen im innerstädtischen Bereich angewendet werden.
Beachte Beim Hubschraubereinsatz ist zu bedenken, dass hierbei Lärm und Abwind (Downwash) entstehen und Dritte gefährdet werden. Wie in der Berg- und Seenotrettung können auch verletzte oder erkrankte Personen aus großen Höhen schnell, sicher und vor allem schonend gerettet werden. Darüber hin aus entfällt durch das schnelle Absetzen des Notarztes vom Hubschrauber ein mühevol ler, teilweise gefährlicher und aufwendiger, körperlich belastender Aufstieg. So kam es bereits zu Windenrettungen von hohen Baukränen, Fernsehtürmen und Arbeitsflächen in großen Höhen (z. B. bei Hochhausbauten usw.). Die Spezialisten der Höhenrettungs gruppen können solche Einsätze zwar auch durchführen, jedoch ist der zeitliche Aufwand höher und das Abseilen lange nicht so schonend wie die Hubschrauberrettung. Die Ret tung aus geringen Höhen in gut zugänglichem Gelände kann bis zu einer max. Höhe von 30 m auch durch eine Drehleiter durchgeführt werden, aber auch diesem Verfahren sind oftmals sehr enge Grenzen gesetzt. Deshalb hat sich das Einsatzmittel Hubschrauber in enger Kooperation mit den Höhenrettungsgruppen auch im innerstädtischen Bereich hervorragend bewährt.
148
7 Fliegerisches Personal in der Luftrettung
7 ˘ Fliegerisches Personal in der Luftrettung
7.1
Einführung
In der Symbiose zwischen Notfallmedizin und Fliegerei, der Luftrettung, kommen völlig unterschiedliche Berufe in einem Team zusammen, die sich auch in Einstiegsvorausset zungen, Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie in ihren originären Aufgabengebieten deut lich voneinander abgrenzen. Durch die gemeinsame Aufgabe und das Engagement jedes Einzelnen können die Mitglieder des Luftrettungsteams ihre individuellen Stärken entfal ten und damit ein Optimum für eine interdisziplinäre Kooperation schaffen. Bis zum Einsatz in der Luftrettung ist es für alle Crew-Mitglieder ein langer Weg, da sehr hohe Anforderungen an die Persönlichkeit, Leistungsfähigkeit und fachliche Quali fikation gestellt werden. Es wird zudem sehr großen Wert auf die Berufserfahrung gelegt, dadurch können durchaus zehn Jahre oder mehr vergehen, bis ein Einsatz in der Luftret tung erfolgen kann. Natürlich sind die Stellen auch vom Bedarf abhängig, der bedingt durch eingespielte Teams und im Vergleich zum bodengebundenen Rettungsdienst durch wenige Planstellen beschränkt ist. So unterschiedlich die einzelnen Ausbildungswege und beruflichen Werdegänge auch sind, eines ist ihnen allen gemeinsam: ein Höchstmaß an Sorgfalt zur sicheren und rei bungslosen Erfüllung ihrer Aufgaben, egal ob in der Medizin oder in der Fliegerei. Denn immer geht es um das Leben und die Gesundheit von Menschen, ob im Routinebetrieb oder im Luftrettungsdienst. Höchste fachliche Qualifikation und Sorgfalt reichen jedoch
Abb. 1 ˘ Die reibungslose Kooperation im Rahmen des Crew Resource Managements zwischen den Crew-Mitgliedern ist für die Sicherheit im Flug- und Einsatzbetrieb von elementarer Bedeutung.
174
7 ˘ Fliegerisches Personal in der Luftrettung
für den Einsatz in der Luftrettung alleine nicht aus. Darüber hinaus ist die Teamfähigkeit jedes Einzelnen von elementarer Bedeutung, da schnelles und sicheres Handeln im Flugund Einsatzbetrieb nur dann möglich ist, wenn alle aufeinander eingespielt sind. Deshalb ist die Fliegerei schon seit langer Zeit durch sehr hohes Sicherheitsbewusstsein gemäß dem Motto »Safety first« – Sicherheit an erster Stelle (s. Kap. 8) – geprägt und dient als Vorbild für viele andere Organisationsstrukturen, wie beispielsweise auch dem boden gebundenen Rettungsdienst. Dazu gehören neben dem Human Resource Management, Qualitäts- und Risikomanagement auch die Teamarbeit im Rahmen des Crew Coordina tion Concept und des Crew Resource Management sowie die obligatorischen Checklisten. Vor allem darf bei der Sicherheit im Luftrettungsdienst keinesfalls der Faktor »Mensch« (Human Factor) unterschätzt werden.
7.2
RTH- / ITH-Crew
In der Regel besteht das Luftrettungsteam in der Primärluftrettung aus einer sogenann ten Drei-Personen-Crew: Pilot, HEMS TC (fliegerische Crew) und Notarzt (Pax). An einigen wenigen Standorten (z. B. München und Murnau), wo auch die Rettungswinde zum Ein satz kommt, wird die Crew des Luftrettungsmittels durch den Bordtechniker (BT) erwei tert, der dem fliegenden Personal zugehörig und zugleich Windenoperator ist. Bei der Bundespolizei, den Länderpolizeien und im SAR-Dienst der Bundeswehr wurde der Bord techniker zunehmend durch einen Co-Piloten ersetzt.
Info Pax ist die Abkürzung für engl. »persons approximately« und ist der ICAO-Code für einen Passagier/jeden Mitfliegenden, der nicht Teil der fliegerischen Besatzung ist. Die Aufgaben der einzelnen Crew-Mitglieder sind durch das Crew Coordination Concept (CCC), das Crew Resource Management (CRM) und nach den europäischen Luftfahrtvor schriften JAR-OPS 3 genau definiert, sodass auch nach einer fundierten Aus- und Fortbil dung aller Beteiligten und durch die klare Kompetenz- und Aufgabenverteilung ein rei bungsloser Flug- und Einsatzbetrieb gewährleistet wird. Entsprechend der JAR-OPS 3 3.005 (d), Anhang 1 muss sich die sogenannte HEMS-Crew jährlich einer Schulung unterziehen. Im täglichen Einsatzbetrieb führen die unterschiedlichen Berufsgruppen durch fun dierte und aufeinander abgestimmte Fortbildungskonzepte bei gleichzeitiger charakter licher Eignung des eingesetzten Personals zu besten Ergebnissen. Eine gegenseitige Unter stützung erfolgt im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bzw. des Machbaren. Vor diesem Hintergrund stellt der Einsatz in der Luftrettung besondere Anforderungen an das einge setzte Personal. Dabei spielen nicht nur die Einsatzkriterien und Einsatzabläufe eine ent scheidende Rolle, sondern auch die z. T. extreme Belastung durch sehr lange Dienstzeiten. In aller Regel beginnt für die RTH-Besatzung der Dienst im Sommer um 6.45 Uhr und endet nach Sonnenuntergang gegen 22.00 Uhr. Dies bedeutet im Sommer Dienstzeiten von 15 bis 16 Stunden. Da aber Einsätze, die vor Sonnenuntergang begonnen wurden, bei
175
7 ˘ Fliegerisches Personal in der Luftrettung
entsprechenden Wetterbedingungen auch nach Sonnenuntergang noch beendet werden können, kann es durchaus vorkommen, dass sich der Dienst nach Abschluss des Einsat zes und der Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit des RTH für den nächsten Tag bis weit nach 24.00 Uhr hinzieht. Dabei werden an einigen Standorten täglich über zehn Einsätze geflogen. In der Regel sind die Piloten in den Sommermonaten vier Tage hintereinander im Dienst, bei den HEMS TC gibt es unterschiedliche Rotationsprinzipien. Die Notärzte wechseln aufgrund der hohen Belastung meist täglich. In den Wintermonaten verschiebt sich der Dienstbeginn auf eine Viertelstunde vor Sonnenaufgang (ca. 8.00 Uhr) und endet mit Sonnenuntergang (gegen 17.00 Uhr). Jedoch gilt weiterhin die Regelung, dass Einsätze, die vor Sonnenuntergang begonnen wurden, bei guten Wetterbedingungen beendet wer den dürfen. Teilweise sind dann die Piloten entweder im Viertages- oder im Wochenrhyth mus im Dienst. Da die Luftrettung über das gesamte Jahr gewährleistet sein muss, gehört auch der Dienst an Feiertagen zur Arbeitswelt der »Rettungsflieger«. Wie sehr jeder an der Luftrettung Beteiligte sich mit den Zielen und Aufgaben identifiziert, wird an der Tat sache deutlich, dass es in der Geschichte der Luftrettung an keinem einzigen Stützpunkt jemals Probleme gab, einen Dienst über die Feiertage wie Weihnachten, Silvester und Neu jahr zu besetzen – selbst dann nicht, wenn die Piloten entweder durch weite Entfernun gen zwischen Luftrettungsstützpunkt und Wohnort/Familie oder die gesamte Crew durch 24-stündige Einsatzbereitschaft bei ITH- und SAR-Hubschraubern der Bundeswehr am Standort verbleiben mussten.
Abb. 2 ˘ An das in der Luftrettung tätige Personal, insbesondere an die Flight-Crew, werden außerordentlich hohe physische und psychische sowie fachliche Anforderungen gestellt.
176
8 ˘ »Safety first«: Sicherheit im Flug- und Einsatzbetrieb
8.3.2
Landestellen an Kliniken
Durch die neuen Vorgaben aufgrund des geänderten Luftrechts durch die EU-Verordnung Nr. 965/2012 der Europäischen Kommission vom 5. Oktober 2012 zur Festlegung techni scher Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf den Flugbetrieb gemäß der EG-Verordnung Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates hätte die Mehrzahl aller Hubschrauberlandestellen (int. Helipads) an Krankenhäusern in Deutschland nicht mehr angeflogen werden dürfen. Daraus entstand die Frage, wann, wo und unter welchen Bedingungen Rettungshubschrauber/Intensivtransporthubschrau ber in Deutschland landen dürfen? Vor diesem Hintergrund haben die Bundesregierung und das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) nach dem Inkrafttreten der EU-Regeln alle Landestel len an Kliniken, die nicht vollumfänglich dem § 6 des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) ent sprechen, zu sogenannten Public Interest Sites (PIS) erklärt. Zur Wahrung höherer Güter (z. B. Menschenrettung) sieht das EU-Luftfahrtrecht ausdrücklich vor, PIS zu nutzen. Durch die folgende Novelle des LuftVG und der Änderung der LuftVO sollte nachhaltig Rechtsund Bestandsicherheit für alle zur Luftrettung genutzten Landestellen geschaffen wer den, jedoch erfüllt der überwiegende Teil der PIS-Landestellen die geforderten Kriterien bisher (Stand August 2018) nicht oder nur teilweise, da die Forderungen doch sehr detail liert und umfassend sind. Laut Bundesregierung (Drucksache 18/11526) existieren zurzeit
Abb. 5 ˘ Heute werden meist Dachlandeplätze mit kurzen Wegen in die Notaufnahmen bevorzugt, um den gesetzlichen Vorgaben und Leitlinien der Fachgesellschaften zu entsprechen; hier die neue Hubschrauberlandeplattform des Universitätsklinikums des Saarlandes (UKS) auf dem Gebäude der Inneren Medizin in Homburg/Saar.
197
8 ˘ »Safety first«: Sicherheit im Flug- und Einsatzbetrieb
ca. 1 500 PIS-Landestellen – jedoch konnte keine Angabe dazu gemacht werden, wie viele davon nach § 6 LuftVG für die Luftrettung bereitstehen und wie die Flugbewegungen aus sehen. PIS-Landestellen, die nicht zu einem Krankenhaus gehören, werden von Behörden und Rettungsdiensten (Feuerwehr und Polizei) betrieben. Darüber hinaus betreiben die Polizei (Bund und Land), die Bundeswehr und die Rettungsdienste 15 genehmigte Lande stellen. Acht der Landestellen ohne Zulassung als Landeplatz nach § 6 LuftVG sind Dach landeplätze. Zum Nachtflugbetrieb einer PIS-Landestelle ist eine Genehmigung gemäß § 18 Abs. 4 Nr. 2 LuftVO nicht vorgesehen. Dazu benötigt der Betreiber eine Sondergenehmigung nach SPA.NVIS.100 der EU-Verordnung 965/2012 oder muss eine ausreichende Ausleuch tung sicherstellen. Informationen zu den zu erwartenden Kosten der Ertüchtigung der Landestellen liegen der Bundesregierung nicht vor. Auch über das Jahr 2018 hinaus sind für die Luftrettung auch weiterhin Landungen an PIS-Landestellen möglich, auch wenn sie nicht den geforderten Kriterien entsprechen. Jedoch gilt dies nur bei Lebensgefahr, da es sich bei § 25 Abs. 2 Nr. 3 LuftVG um einen Ausnahmetatbestand handelt – Flüge zum Krankentransport, d. h. bei denen keine Gefahr für Leib oder Leben vorliegt, sind nur noch zu PIS-Landestellen bzw. zu Flugplätzen zulässig, die nach § 6 LuftVG genehmigt wurden. Zu den Kosten für die Aufrüstung der Landestellen konnte die Bundesregierung keine Angaben machen. Um über den Status einer Landestelle zu informieren, erstellt und aktu alisiert die Bundespolizei in Kooperation mit den Luftrettungsbetreibern und der Deut schen Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG) die sogenannte PIS-Master-Liste.
8.3.3
Landehilfe durch die Polizei
In vielen Bundesländern hat sich die Unterstützung des Rettungshubschraubers bei Pri märeinsätzen durch die Polizei bewährt und sich längst zu einem nicht mehr wegzuden kenden einsatztaktischen Bestandteil entwickelt. Dabei wurde die Polizei zu einem gern gesehenen Partner der RTH-Crew, die durch die parallele Alarmierung zum Rettungshub schrauber und Rettungswagen eine wesentliche Entlastung der medizinischen Einsatz kräfte darstellt. Im Rahmen der Landehilfe leistet die Polizei eine wertvolle Unterstützung. Da sie meist vor dem Rettungshubschrauber an der Einsatzstelle ist, kann sie dem Piloten oder dem HEMS TC eine Landestelle vorschlagen. Darüber hinaus kann sie den RTH im Landeanflug einweisen und auf etwaige Hindernisse aufmerksam machen. Sollte keine geeignete Landestelle auf einer Freifläche bestehen, sperrt die Polizei eine Straße, eine Kreuzung oder einen Parkplatz, wo der RTH dann sicher landen kann. Nicht selten müssen Landestellen gewählt werden, die einige Hundert Meter von der Einsatzstelle entfernt liegen, da in ihrer unmittelbaren Nähe keine Landemöglichkeit besteht. Dann übernimmt die Polizei den Transport der medizinischen RTH-Crew und deren Ausrüstung von der Landestelle zur Einsatzstelle und erspart der RTH-Besatzung einen unter Notfallbedingungen langen und zeitraubenden Weg. Die damit verbundene verkürzte Eintreffzeit des Notarztes kommt wiederum den Patienten zugute. Durch diese Leistungen zur Optimierung des Luftrettungseinsatzes erhält der Slogan »Polizei – Dein Freund und Helfer« eine völlig neue Dimension und Qualität.
198
9 ˘ Flugtechnik: Einsatzmaschinen und Ausstattung
9.3.13 Kopter SH09 In der Schweiz wurde seit 2007 von dem Start-up-Unternehmen Marenco Swissheli copter AG (MSH), welches im Februar 2018 in Kopter Group AG umfirmiert wurde, ein neuer, leichter und einmotoriger Mehrzweckhubschrauber mit der Bezeichnung SH09 (vor Februar 2018 als SKYe SH09 bezeichnet) entwickelt. Der Erstflug des SH09 fand am 2. Oktober 2014 statt. Die Flugerprobungen und die zukünftige Fertigung der Prototypen erfolgen am Flugplatz Mollis im Kanton Glarus. Im Sommer 2018 befindet sich der SH09 im Zulassungsprozess, ebenso ist die industrielle Fertigung in Vorbereitung. Aufgrund der EU-Verordnung 965/2012, die eine grundsätzliche Zweimotorigkeit für den Einsatz in der Luftrettung vorschreibt, wird der neue Helikopter zwar nicht in der Luftrettung innerhalb der Europäischen Union (EU) eingesetzt werden können, aber sonst außer halb der EU weltweit im Hubschrauberrettungsdienst. Die Air Zermatt (Schweiz) wird als Erstkunde den SH09 nach Planung 2019 erhalten und nach eigenen Aussagen auch polyvalent in allen ihren Missionsbereichen einsetzen. Auf der Heli-Expo 2018 wurde in Las Vegas der zweite Prototyp und das Mock-up in HEMS-Ausstattung präsentiert. Darü ber hinaus eignet sich der SH09 insbesondere für die Polizei und den Grenzschutz ebenso wie für Passagier- und Arbeitsflüge, um nur einige Einsatzoptionen zu nennen. Der neue SH09 verfügt über ein Glas-Cockpit, eine Zelle aus Faserverbundwerkstoffen, einen FünfBlatt-Rotor und gekapselten Heckrotor sowie ein modernes Honeywell HTS900-Trieb werk. Der Hersteller stellt deutlich eine hohe Leistung und eine hohe Reisegeschwindig keit von 260 km/h sowie eine maximale Reichweite von 800 km als Charakteristika des neuen Hubschraubers heraus. Darüber hinaus soll der SH09 geringe Lärmemissionen ver
Abb. 14 ˘ Der innovative, einmotorige SH09 der Schweizer Kopter Group wird in Amerika und Asien u. a. mit einer HEMS-Ausstattung in der Luftrettung Verwendung finden.
229
9 ˘ Flugtechnik: Einsatzmaschinen und Ausstattung
Abb. 15 ˘ Exot in der Polizeifliegerei: Die MD 902 Explorer mit dem »NOTAR« als Heckrotor ersatz und dem Rufnamen »Phönix 93« der Polizeihubschrauberstaffel Niedersachsen, von der bundesweit nur noch zwei Exemplare eingesetzt werden; im Hintergrund der neue PHS »Phönix 97« vom Typ EC 135 P2i. ursachen. Der in der Passagierversion achtsitzige Helikopter wird in der HEMS-Version im Innenraum Platz für einen Piloten, einen HEMS TC und das medizinische Personal (Notarzt und ein zusätzliches Crew-Mitglied) sowie zwei Patienten haben.
9.3.14 MD 900 / 902 »Explorer« Die MD 900 bzw. MD 902 sind moderne Leichthubschrauber der amerikanischen Herstel ler Boeing und McDonnell Douglas, deren Vertrieb heute durch MD-Helicopters in Mesa (Arizona) erfolgt. Beide Typen unterscheiden sich äußerlich nicht, vielmehr handelt es sich bei der MD 902 um eine leistungsstärkere Version der MD 900. Die vielseitigen und ebenso leistungsstarken MD 900 bzw. MD 902 sind das amerikanische Pendant zur deutschen EC 135 bzw. H135. Bei der Konstruktion dieses Modells wurden völlig neue Wege beschritten. Schon äußer lich unterscheiden sich die MD 900 bzw. MD 902 von den herkömmlichen Hubschraubern dadurch, dass der Heckrotor »fehlt«, der durch ein Luftgebläse, sogenannter NOTAR (No Tail Rotor), zur Steuerung und zum Drehmomentausgleich ersetzt wird. Dadurch wird die Sicherheit gerade bei der Landung erheblich erhöht, da eine Kollision eines Heckrotors mit etwaigen Hindernissen ausgeschlossen werden kann. Der in der Zivilversion achtsitzige und in der EMS-Version mit maximal fünf Sitzplät zen und zwei Krankentragen ausgestattete »Explorer«, wie die MD 900 bzw. MD 902 auch genannt werden, konnte sich in der deutschen Luftrettung nicht etablieren. In den Neun ziger- und Nullerjahren hatten die ADAC Luftrettung und das damalige Team DRF zeit weise einige MD 900 als ITH eingesetzt, die jedoch schon vor mehreren Jahren durch die
230
9 ˘ Flugtechnik: Einsatzmaschinen und Ausstattung
EC 135 oder durch die EC 145 ersetzt wurden. Auch bei den deutschen Länderpolizeien konnten sich die MD 900 bzw. MD 902 nicht durchsetzen. Die wenigen vorhandenen MD 900 wurden in den vergangenen Jahren im Rahmen größerer Wartungsintervalle leis tungsgestärkt auf MD 902-Standard aufgerüstet. Baden-Württemberg hat im Jahr 2015 begonnen, seine PHS-Flotte des Musters MD 902 durch die H145 zu ersetzen, sodass nur noch Niedersachsen über zwei PHS des Musters MD 902 verfügt.
Info Weitere Informationen unter: www.mdhelicopters.com/md-902-explorer.html
9.3.15 NH90-NTH »Sea Lion« Der NH90 (Nato Hubschrauber 90) ist eine Gemeinschaftsproduktion von Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden, dessen erstes Mock-up (Vorführmodell) aus Holz im Jahr 1990 vorgestellt wurde. Am 18. Dezember 1995 startete der erste Prototyp der TTH-Version (Tactical Transport Helicopter) zu seinem Erstflug. Zur gemeinsamen Beschaf fung des NH90 hatten die vorgenannten Staaten am 8. Juni 2000 auf der Internationalen
Abb. 16 ˘ Der NH90-NTH »Sea Lion« wird die »Sea King« Mk 41 im SAR-Dienst See der Marine ablösen.
231
9 ˘ Flugtechnik: Einsatzmaschinen und Ausstattung
Luftfahrtausstellung (ILA) in Berlin-Schönefeld einen Regierungsvertrag unterzeichnet. Der NH90 von NHIndustries, einem Joint Venture von Airbus Helicopters, AgustaWestland und Fokker mit Sitz in Aix-en-Provence (Frankreich), wird in der Version TTH als Transport hubschrauber beim Heer sowie als Marine- und SAR-Hubschrauber in der Version NTH »Sea Lion« (dt. »Seelöwe«) bei der Marine eingesetzt werden. Der NH90-NTH »Sea Lion« hatte seinen Erstflug am 8. Dezember 2016. Die ersten Exemplare des »Sea Lion« sollen Ende 2019 ausgeliefert werden, sodass die »Sea King« Mk 41 bis voraussichtlich Ende 2023 weiter bei der Bundeswehr eingesetzt wird.
Info Weitere Informationen unter: www.nhindustries.com
9.3.16 Sikorsky CH-53G / GS Bei der CH-53G handelt es sich um einen in deutscher Lizenz gebauten mittleren Trans porthubschrauber (MTH) aus den USA (Hersteller Sikorsky Aircraft), der bei den Heeres fliegern der Bundeswehr bereits seit 1971 als Truppen- und Materialtransporter einge setzt wird und dessen fliegerisch-technischen Komponenten ständig weiterentwickelt wurden. In dem geräumigen Innenraum können beispielsweise zwei VW-Busse hinter einander verlastet werden, was verdeutlicht, dass in der MedEvac-Version die medizini sche Überwachung und Versorgung der Patienten mit ausreichend Platz erfolgen kann (s. Kap. 12.7). Die fliegerische Besatzung besteht aus zwei Luftfahrzeugführern und zwei Bordtech nikern. Sie verfügt über Flugfunk sowie BOS-Funk 4 m/8 m-Handfunkgeräte. Der instru menten- und nachtflugtaugliche MTH CH-53G erreicht mit zwei Triebwerken und einer Leistung von 2 3 925 shp (2 924 kW) eine Reisegeschwindigkeit von ca. 220 km/h und benötigt für eine Strecke von 100 km eine Flugzeit von ca. 25 Minuten. Durch die hohe Leistungsfähigkeit der Maschine kann auch der Transport von großen Außenlasten am Lasthaken der CH-53G durchgeführt werden, u. a. auch von großen Löschwasserbehäl tern zur Waldbrandbekämpfung und großen Netzen mit Sandsäcken zur Deichsicherung. Die Einsatzreichweite umfasst ca. 400 km und das Abfluggewicht beträgt z. B. in der Ver sion als Großraumrettungshubschrauber (GRH) ca. 13 t. Die Rumpflänge beträgt 28 m, die Rumpfbreite 4,7 m und die Höhe 7,6 m. Mit einem Rotordurchmesser von 22,5 m wird ein – gegenüber der bekannten Bell UH-1D – größerer Rotorabwind (Downwash) erzeugt.
Beachte Durch den größeren Abwind der CH-53G können Gegenstände durch die Luft geschleudert und dadurch sowohl Crew als auch umstehende Personen gefährdet werden. Brände können zusätzlich angefacht, leichte Fahrzeuge in Bewegung gesetzt werden.
232
12 ˘ Großschadensereignisse und Katastrophenfälle
12.9 Einsätze der Luftrettung bei roßschadensereignissen G An sieben Beispielen werden die Rolle der Luftrettung bei der Bewältigung von Groß schadensereignissen und Katastrophen dargestellt und die damit verbundenen spe zifischen Problemfelder aufgezeigt. Mit der Darstellung soll auch die Dimension eines rettungsdienstlichen Großeinsatzes verdeutlicht, insbesondere aber die Aufgaben der Luftrettung in einem komplexen Hilfeleistungssystem hervorgehoben werden. Allen Großschadensereignissen/-lagen gemeinsam ist zum einen eine erst völlig unübersicht liche Lage und zum anderen eine große Anzahl von verletzten Personen, was das Krite rium bei der Auswahl der Fallbeispiele war. Hinzu kommt beim Fallbeispiel »Zugunglück Brühl«, dass die Bewältigung dieses Unglücks während der Nachtstunden erfolgen musste, was dem taktisch-medizinischen Einsatzablauf eine andere Qualität verliehen hat, da die Dunkelheit den »Zugriff« der Luftrettung wesentlich erschwerte. Da hier die Luftrettung fokussiert werden soll, werden die bodengebundenen Kräfte, Aufgaben und Maßnahmen nur insoweit beschrieben, wie sie zur Darstellung des Luftrettungseinsatzes dienen.
Übersicht Aufgaben des RTH bei Großschadenslagen Ausgehend von der Multifunktionalität des Hubschraubers definierte Dr. Oliver Wenker vom Ärztlichen Dienst der Rega zehn Punkte zur Bewältigung von Großschadensfällen und Katastrophen. Nach Wenker kann der Hubschrauber folgende Einsatzaufgaben durchführen: 1. Suche aus der Luft 2. Überwachung aus der Luft 3. Übersicht aus der Luft 4. Transport von Personal 5. Bergung 6. Unterstützung spezieller Rettungstruppen 7. Technische Hilfe aus der Luft 8. Einsatzleitung 9. Primärtransporte 10. Sekundärtransporte
12.9.1 Flugzeugkatastrophe von Ramstein Am Fallbeispiel des Flugzeugabsturzes in Ramstein soll deutlich gemacht werden, wie das Fehlen elementarer Führungs- und Leitungsstrukturen, ein kaum koordinierbarer Einsatz bodengebundener Einsatzkräfte und die Behinderung durch militärische Kräfte bei einem Massenanfall von Verletzten einen reibungslosen Luftrettungseinsatz nahezu unmöglich werden lassen. Andererseits soll mit dem Fall Ramstein auch die immense Leistung der Luftrettung dargestellt werden, die im Wesentlichen auf Eigeninitiative, Improvisation und Durchsetzungsvermögen der einzelnen RTH-Crews beruhte. Trotz heftiger Proteste von Anhängern der Friedensbewegung war der bis 1988 alljähr liche Flugtag auf der größten europäischen Airbase der US-Armee ein Highlight, insbeson
325
12 ˘ Großschadensereignisse und Katastrophenfälle
dere für Besucher aus Rheinland-Pfalz, dem nahen Saarland und Hessen. Viele reisten aber auch von weither an. Dies war auch am 28. August 1988 der Fall, als bei bestem Flugwet ter, strahlendem Sonnenschein und Außentemperaturen von weit über 30 °C, eine fliege rische Attraktion die andere jagte. Den Schlusspunkt sollte gegen 15.30 Uhr die italienische Kunstflugstaffel »Frecce Tricolori« mit ihren atemberaubenden Flugvorführungen setzen. Zu diesem Zeitpunkt machten sich viele Besucher bereits auf den Heimweg, ca. 300 000 Besucher wollten sich den absoluten Showdown allerdings nicht entgehen lassen. Der Höhepunkt, die Figur »Das durchstoßene Herz«, das ein Symbol der Liebe darstel len sollte, wurde zur größten Flugzeugkatastrophe in der Bundesrepublik Deutschland. Um 15.46 Uhr kollidierten drei der Flugzeuge der Kunstflugstaffel miteinander, dabei stürzte eine Maschine in die Besuchermenge und explodierte. Ein Feuerball verursachte bei den umstehenden Menschen lebensgefährliche Brandverletzungen. Die Trümmer der Maschine wurden über einen weiten Radius verstreut, dabei wurden viele Besucher lebensgefährlich verletzt, einige tödlich. Um 15.51 Uhr wurde der örtlich zuständige Rettungshubschrauber »Christoph 5« in Ludwigshafen ohne Angabe des Einsatzgrundes alarmiert, der auch als erstes ziviles Luftrettungsmittel die Airbase um 16.12 Uhr erreichte. Einen Verantwortlichen ausfin dig zu machen, dem sich die RTH-Crew hätte unterstellen können, um sich in ein koor diniertes Einsatzgeschehen zu integrieren, war völlig unmöglich. Deshalb entschied der RTH-Arzt mit der Versorgung der Patienten an der Landestelle zu beginnen, wo sich ca. 30 schwer Brandverletzte befanden. Amerikanische Soldaten bedrängten den Notarzt, die Patienten in den RTH zu verbringen und auszufliegen, was der Arzt energisch verneinte. Auch dem Piloten gelang es nur mit Mühe, die amerikanischen Soldaten vom Hubschrau ber fernzuhalten, die eigenständig die Verletzten in den RTH verbringen wollten. Zu diesem Zeitpunkt wollte ein leitender DRK-Arzt das weitere Vorgehen mit dem RTH-Arzt absprechen und die Anforderung weiterer Luftrettungsmittel koordinieren. Die zuständige Rettungsleitstelle in Kaiserlautern hatte jedoch bereits alle umliegenden Rettungshubschrauber, die Deutsche Rettungsflugwacht e. V. und das damalige RCC der Luftwaffe in Goch am Niederrhein über den Einsatz informiert. Alle Luftrettungsmittel befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Anflug auf das Katastrophengebiet und versuchten sich dabei untereinander zu verständigen, da ein geregelter Funkverkehr zur Rettungsleitstelle und zu einer Technischen Einsatzleitung (TEL) unmöglich war. Wenige Minuten nach »Christoph 5« (damals ZSH) traf als zweites ziviles Luftret tungsmittel der ZSH »Christoph 16« aus Saarbrücken an der Einsatzstelle ein. Nach einem Überflug entschloss sich der Notarzt des RTH »Christoph 16« wegen der Unübersicht lichkeit der Einsatzstelle in unmittelbarer Nähe zum RTH »Christoph 5« zur Landung zu gehen und in Rufweite mit der Triage (Sichtung) und Versorgung nach dem Rettungskon zept »Stay and Play« von dort befindlichen Patienten zu beginnen. Was dann geschah übertraf selbst das Vorstellungsvermögen der beiden langjäh rig erfahrenen RTH-Ärzte. Plötzlich kamen vier, wenig später weitere drei Sanitätshub schrauber (MedEvac) vom Muster Sikorsky UH-60A »Black Hawk« der US-Armee, deren Crew die Patienten wie unter Kriegsbedingungen in Vietnam in aller Eile nach dem Ret tungskonzept »Load and Go« in die MedEvac-Helikopter verbrachten und abflogen. Diese
326
12 ˘ Großschadensereignisse und Katastrophenfälle
Tab. 1: Luftrettungseinsatz in Ramstein* Rufname
Standort
Halter
Hubschraubermuster
»Christoph 5«
Ludwigshafen
KatS/BMI
BO 105 CB
»Christoph 10«
Wittlich
KatS/BMI
Bell UH-1D
»Christoph 16«
Saarbrücken
KatS/BMI
BO 105 CB
»Christoph 41«
Leonberg
DRF Luftrettung
BK 117
»Christoph 43«
Karlsruhe
DRF Luftrettung
BO 105 CBS
»Flugwacht Mannheim 71« (heute »Christoph 53«)
Mannheim
DRF Luftrettung
AS 350 B
»GRH Mendig«
Mendig
Bundeswehr
CH-53G
»MedEvac 01«
Ramstein
US-Armee
Sikorsky UH-60A
»MedEvac 02«
Ramstein
US-Armee
Sikorsky UH-60A
»MedEvac 03«
Ramstein
US-Armee
Sikorsky UH-60A
»MedEvac 04«
Ramstein
US-Armee
Sikorsky UH-60A
»MedEvac 05«
Ramstein
US-Armee
Sikorsky UH-60A
»MedEvac 06«
Ramstein
US-Armee
Sikorsky UH-60A
»MedEvac 07«
Ramstein
US-Armee
Sikorsky UH-60A
»SAR Nörvenich 41«
Nörvenich
Bundeswehr
Bell UH-1D
»SAR Pferdsfeld 46«
Sobernheim
Bundeswehr
Bell UH-1D
»SAR Koblenz 73« (heute »Christoph 23«)
Koblenz
Bundeswehr
Bell UH-1D
und weitere Hubschrauber von Bundeswehr und DRF Luftrettung Polizei »Sperber 1«
Winningen
Polizei RLP
BO 105 CBS
*Aufstellung unvollständig, da nicht mehr dezidiert zu recherchieren
Patienten wurden alle in das nahe 2nd General Hospital der US-Armee in Landstuhl (seit 1994 Landstuhl Regional Medical Center [LRMC]) geflogen, ohne dass dort nur im gerings ten die erforderlichen Behandlungskapazitäten bestanden hätten: Die Klinik war – wie auch die anderen in der näheren Umgebung – völlig mit den durch bodengebundene Kräfte antransportierten Patienten beschäftigt.
Info • »Stay and Play« Steht für »Bleiben und Behandeln« und ist eine Versorgungsstrategie, wie sie u. a. im deutschen Rettungsdienst angewandt wird. Hierbei wird der Patient so lange vor Ort behandelt, bis er aus medizinischer Sicht transportfähig ist. • »Load and Go« Steht für »Laden und Fahren« und ist eine Versorgungsstrategie, wie sie u. a. in den USA angewandt wird. Hierbei wird versucht, den Patienten so schnell wie möglich vom Einsatzort ins Krankenhaus zu bringen.
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13 ˘ Luftrettung in Europa
13.6.7 Luftrettung in den Niederlanden Mitte der 1990er Jahre hatte der Königlich Niederländische Automobilclub (ANWB) im Rahmen eines Pilotprojektes damit begonnen, den Bedarf und die Rahmenbedingungen für ein flächendeckendes Luftrettungsnetz zu ermitteln. Zu diesem Zweck wurden zwei sogenannte »Hubschrauber für Rettungseinsätze« in Amsterdam und Rotterdam statio niert. Unterstützung für dieses Pilotprojekt erhielt der ANWB von der deutschen Schwes terorganisation ADAC, die ihr langjähriges Know-how in der Luftrettung zur Verfügung stellte und praktische Unterstützung leistete. Da der niederländische Rettungsdienst – zumindest für alltägliche Notfälle – ähnlich dem amerikanischen Rettungssystem – mit Paramedics ausgestaltet ist, die umfangreichere Kompetenzen als deutsche Rettungs assistenten/Notfallsanitäter haben, kommt der Luftrettung in den Niederlanden nur eine Bedeutung in der Versorgung und dem Transport von schwer verletzten Personen zu, also von Traumapatienten. Aus diesem Grund werden die Hubschrauber im niederländischen Rettungsdienst auch als »Traumahelikopter« bezeichnet. Der niederländische Gesundheitsminister stellte Ende der 1990er Jahre eine Bedarfs planung für die Luftrettung auf. Demnach wird das niederländische Staatsgebiet von ins gesamt vier Luftrettungsstützpunkten in den Niederlanden und die Randbezirke durch die grenzüberschreitende Kooperation mit den deutschen RTH »Christoph Europa 1« (Wür selen, StädteRegion Aachen) und »Christoph Europa 2« (Rheine/Westfalen, Kreis Steinfurt) abgedeckt. Die Medical Air Assistance (MAA), eine Tochtergesellschaft des ANWB, betreibt
Abb. 9 ˘ Niederländischer Traumahelikopter vom Typ EC 135 P2i betrieben von der ADAC Luftrettung; hier »Lifeliner Europa 4« Groningen.
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13 ˘ Luftrettung in Europa
drei Luftrettungsstützpunkte mit der EC 135 T2 bzw. H135 als »Lifeliner 1« in Amster dam, »Lifeliner 2« in Rotterdam und »Lifeliner 3« in Nijmegen. Ein vierter RTH in den Niederlanden wird durch die ADAC Luftrettung in Groningen mit dem Rufnamen »Life liner Europa 4« gestellt (Abb. 9). Die Traumahelikopter stehen in 24-Stunden-Bereitschaft (24/7/365) und können somit auch nachts eingesetzt werden. Damit ist das niederländi sche Luftrettungssystem flächendeckend. Darüber hinaus stellt der ANWB über die MAA aufgrund eines Vertrages vom 19. August 2016 mit der Regionale Ambulance Vervoer (RAV) Friesland seit 16. November 2016 einen weiteren Hubschrauber des Typs H145 samt Einsatzreserve für luftgebundene Krankentransporte von den Westfriesischen Inseln. Diese Einsatzmaschine »Medic 01« ist auf der Royal Netherlands Air Force Base Leeuwar den stationiert und steht rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung. Der neue Ambulanzhubschrauber hat im ersten Betriebsjahr 632 Krankentransporte absolviert, während die vier Traumahelikopter zusammen 8 500 Einsätze im Jahr 2017 geflogen sind. Für die grenzüberschreitende Kooperation sind vertragliche Vereinbarungen zwischen dem niederländischen Gesundheitsministerium und den Kernträgern der Luftrettung in Würselen und Rheine getroffen worden. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Niederlanden läuft problemlos und trägt ebenso modellhaft als auch als integrier ter Bestandteil des niederländischen Rettungsdienstes zur flächendeckenden Luftrettung bei. Der von der ADAC Luftrettung betriebene »Lifeliner Europa 4« in Groningen fliegt grenzüberschreitende Einsätze in Deutschland, d. h. im westlichen und nordwestlichen Niedersachsen sowie in Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus können im Rahmen einer Euregio-Kooperation seit dem 1. Oktober 2003 auch der an der Berufsgenossenschaft lichen Unfallklinik Duisburg stationierte ZSH »Christoph 9« in den Niederlanden, d. h. in der Provinz Limburg (Raum Venlo) und in der Provinz Gelderland (Raum Arnheim), sowie der Traumahelikopter »Lifeliner 3« aus Nijmegen von der Leitstelle Kleve (Niederrhein) in Deutschland grenzüberschreitend eingesetzt werden.
Fazit Gemeinsam mit dem hervorragend bewährten und beispielhaften Einsatz von »Air Rescue 3« im deutsch-luxemburgischen Grenzgebiet sowie »Christophorus Europa 3« und den grenznahen RTH/NAH im deutsch-österreichischen Grenzgebiet ist die Euregio Maas-Rhein und das deutsch-niederländische Grenzgebiet als »Labor« für die grenzüberschreitende Kooperation zu bezeichnen.
13.6.8 Luftrettung in Österreich Ebenso wie Deutschland verfügt Österreich über ein flächendeckendes System der Flug rettung (österreichisch für »Luftrettung«). Mit deren Aufbau wurde am 1. Juli 1983 mit »Christophorus 1« in Innsbruck begonnen. Das Luftrettungsnetz des Alpenlandes ver fügt über 16 Notarzthubschrauber- (dt. »RTH«) und einen Intensivtransporthubschrau ber-Standort mit Maschinen des Typs EC 135 T2 und H135 des Christophorus Flugret tungsvereins (CFV) des Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touring-Clubs
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Holger Scholl
Ohne das Personal, das die speziellen Ret
nicht mehr »nur« bei Verkehrsunfällen die
tungsverfahren durchführt und in besonderen
schnelle Hilfe aus der Luft, sondern als feste
Einsatzlagen richtig reagiert, könnte das Sys
Größe im deutschen Rettungssystem inte
tem nicht funktionieren. Neben diesen The
griert. Die Primär- und Sekundärluftrettung
men werden auch die Fragen der Sicherheit im
sowie der SAR-Dienst bilden heute ein (fast)
Flugbetrieb nicht außer Acht gelassen.
flächendeckendes Luftrettungsnetz, das von
Detailliert wird auf die Bewältigung von Groß
den Luftrettungsorganisationen bzw. Betrei
schadensereignissen und Katastrophenfällen
bern, dem Bundesministerium des Innern und
eingegangen. Viele Einsatzbeispiele zeigen,
der Bundeswehr getragen und durch Ressour
wie das System Luftrettung funktioniert und
cen der Bundespolizei und Länderpolizeien
wie diese Einsätze zur ständigen Weiterent
unterstützt wird.
wicklung des Systems beigetragen haben.
All diese Einsatzbereiche und Beteiligten wer
Der Autor blickt über den Tellerrand der öffent
den im vorliegenden Buch ausführlich vor
lich-rechtlichen Luftrettung und erläutert den
gestellt. Umfassend wird auf die Einsatzma
luftgebundenen Krankentransport, insbeson
schinen sowie die Flugtechnik eingegangen.
dere zu und von Offshore-Windkraftanlagen.
Thematisiert werden zudem die geschicht
In einem weiteren Kapitel werden die Luftret
liche Entwicklung sowie u. a. die infrastruktu
tungssysteme der Nachbarstaaten Deutsch
rellen und rechtlichen Voraussetzungen des
lands und die europäischen Kooperationen
Luftrettungssystems. Hierbei werden stets die
ausführlich beschrieben.
aktuellen Entwicklungen, Diskussionen und
Ein umfassendes Handbuch für jeden, der sich
die zukünftigen Herausforderungen der Luft
für die Luftrettung interessiert, ausgestattet
rettung einbezogen.
mit einzigartigem Bildmaterial.
Handbuch Luftrettung
Der »Hubschrauberrettungsdienst« ist längst
Holger Scholl
Handbuch Luftrettung
Handbuch Luftrettung Organisation, Einsatz, Taktik und Technik
ISBN 978-3-943174-93-9
Organisation, Einsatz, Taktik und Technik
www.skverlag.de
2., vollständig überarbeitete Auflage