Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer?

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Cam p u s In Notfallsituationen sind sowohl die betroffenen Patienten als auch die eintreffenden Rettungskräfte einem enormen Stress ausgesetzt. Die Art und Weise, wie ein Patient in einer solchen Ausnahmesituation versorgt wird, ist davon abhängig, wie der Helfende sich selbst in solchen Situationen erlebt und wie er vorherige Einsätze verarbeitet hat. Die Autorin hat die Hypothese überprüft, ob von der Schulung der Helfer in Psychischer Erster Hilfe neben dem Patienten auch die Einsatzkraft selbst profitiert. Die geschulte Einsatzkraft stellt den Patienten in den Mittelpunkt und hat gelernt, neben der medizinisch-apparativen Hilfe dem Patienten auch Menschlichkeit zu vermitteln. Der Patient wird als Mensch mit Gefühlen und Symptomen wahrgenommen und behandelt. Mit der Erkenntnis, dass er, auch

wenn der Einsatz kein positives Ende findet, alles medizinisch und menschlich Mögliche für den Patienten getan hat, wird der professionelle Helfer auch belastende Einsätze besser ver­ arbeiten. Durch den beruhigenden Zuspruch für den Patienten wird zudem auch das Stresslevel des Helfers gesenkt. Das führt auf Dauer zur Empfindung von weniger Belastung. Auf dieser Basis wurde der Vorschlag für ein konkretes Unterrichtskonzept in Psychischer Erster Hilfe in der Ausbildung von nichtakademischem Rettungsdienstpersonal und Notärzten erstellt. Das vorliegende Buch richtet sich vor allem an Berufsgruppen in der Notfallmedizin sowie an Rettungsdienstschulen und Hilfs­ organisationen.

R. Ecker

Eine Dissertation aus der Fakultät für Gesundheit – Department der Humanmedizin – an der Universität Witten/Herdecke

Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer?

R. Ecker

Regine Ecker

Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer?

Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer?

isbn 978-3-938179-99-4 · www.skverlag.de

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. phil. B. Gasch

Eine Dissertation aus der Fakultät für Gesundheit – Department der Humanmedizin – an der Universität Witten/Herdecke

inkl. PEHUnterrichtskonzept


Gedruckt mit Genehmigung des Promotionsausschusses der Universität Witten/Herdecke Dank an die Feuerwehr Herdecke und den Rettungsdienst der Städte Herdecke und Wetter (Ruhr) für die freundliche Unterstützung

© Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2012 Satz: Bürger Verlag Oldenburg GmbH & Co. KG Umschlagfoto: Dr. Jürgen Theobald, Herdecke Druck: Druck-Service Thomas Lamken, Oldenburg ISBN 978-3-938179-99-4

Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2012


Diese Arbeit ist meinem – während ihrer Entstehung – verstorbenen Vater Martin Egon Ecker in Liebe und Dankbarkeit gewidmet.

»Das Bewusstsein ist eine Nussschale auf dem Meer des Unbewussten.« S. Freud


Promotionskomitee: 1. Mitglied: 2. Mitglied: 3. Mitglied:

Prof. Dr. med. K. H. Beine, Hamm Prof. Dr. phil. B. Gasch, Dortmund Dr. med. M. Laubmeister, Herdecke

Gutachter:

Prof. Dr. Dr. A. Lechleuthner, Kรถln

Tag der Disputation:

9. November 2011


Fakultät für Gesundheit, Department der Humanmedizin – Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie –

Psychische Erste Hilfe:

Prävention für Helfer?

Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Medizin an der Fakultät für Medizin der Universität Witten/Herdecke

vorgelegt von Regine Ecker aus Herdecke Herdecke 2011


ZUSAMMENFASSUNG Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer? Ecker, Regine »Psychische Erste Hilfe: Hilfe für Helfer?« – unter diesem Arbeitstitel sollte bei aktiv tätigen Notärzten und Rettungsassistenten die Anwendung der Psychischen Ersten Hilfe im Hinblick auf den eigenen psychischen Stress und die Verarbeitung der Einsätze evaluiert werden. In Notfallsituationen sind sowohl die betroffenen Patienten als auch die eintreffenden Rettungskräfte einem enormen Stress ausgesetzt. Die Art und Weise, wie ein Patient in einer solchen Ausnahmesituation versorgt wird, ist davon abhängig, wie der Helfende sich selbst in solchen Situationen erlebt und wie er vorherige Einsätze verarbeitet hat. Fazit: Auch wenn geschulte Einsatzkräfte zunächst nach einem Dienst unzufriedener und ausgelaugter sind als nicht geschulte Personen, wird davon ausgegangen, dass diese Person auf lange Sicht gesehen von der Anwendung der Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe profitiert. Die geschulte Einsatzkraft stellt den Patienten in den Mittelpunkt und hat es gelernt, dem Patienten neben der medizinisch-apparativen Hilfe auch Menschlichkeit zu vermitteln. Der Patient wird als Mensch mit Gefühlen und Symptomen wahrgenommen und behandelt. Diese umfassende Therapie wird den professionellen Helfer zwar zunächst mehr anstrengen als die Anwendung der rein apparativen Hilfe, auf Dauer wird sich aber Zufriedenheit einstellen, da diese Einsatzkraft erkennt, dass sie, auch wenn der Einsatz kein positives Ende findet, alles medizinisch und menschlich Mögliche für den Patienten getan hat. Durch den beruhigenden Zuspruch für den Patienten wird zudem auch das Stresslevel des Helfers gesenkt. Das führt auf Dauer zur Empfindung von weniger Belastung. Auf dieser Basis wurde der Vorschlag für ein konkretes Unterrichtskonzept in Psychischer Erster Hilfe in der Ausbildung von Rettungsassistenten und Notärzten erstellt. Die Fußnoten im Text finden Sie im Kapitel »Anmerkungen« (S. 91). Lediglich die Fußnoten des Kapitels 7 (S. 72 ff.) stehen am Ende der entsprechenden Seite.


˘ Geleitwort

Geleitwort Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer? Wenn die Autorin das gewusst hätte … Forschung ist ein Abenteuer! Ihre Hypothese war, dass die Anwendung der »Psychischen Ersten Hilfe« bei einem Notfallpatienten nicht nur bei diesem, sondern auch beim Helfer positive Effekte auslöst. Sie hatte das selbst erlebt, zunächst als Rettungsassistentin, später auch als Notärztin. Das wollte sie auch wissenschaftlich beweisen, mit einem bewundernswerten theoretischen, empirischen und technischen Aufwand bei zwei Stichproben von Rettungssanitätern/-assistenten und Notärzten, die einen »geschult« in den Prinzipien der »Psychischen Ersten Hilfe«, die anderen ohne Schulung. Und die Ergebnisse? »Unklar« – statt der erwarteten platten Bestätigung oder Widerlegung der Hypothese teilweise eine Bestätigung, teilweise eine Widerlegung, teilweise ein »Weder-noch«. Resignation? Nein – eine Herausforderung! Warum sind psychologisch geschulte Rettungskräfte weniger zufrieden mit ihrer Tätigkeit gegenüber den psychologisch nicht geschulten? Warum fühlen sie sich weniger hilflos bei ihren Einsätzen, aber nachher erschöpfter? Warum reden sie mehr über ihre Belastungen, aber kaum mit ihren Ehe- bzw. Lebenspartnern? Warum beklagen sie viel mehr Probleme bei der Übergabesituation in der Klinik als die Nicht-Geschulten? Das Alter der Helfer spielt möglicherweise eine Rolle, ihre Einsatzerfahrung, die Zahl der Dienste im Monat, die Region, in der sie tätig sind, etc. Oder gibt es vielleicht zwei »Typen« von Rettungskräften? Einen, der »routiniert« (physiologische) »Lebensrettung« in den Vordergrund stellt, und – damit verbunden – nur wenig unter der psychischen Belastung in seinem Beruf leidet, und einen anderen, der »Menschenrettung« betreibt, d.h. auch die komplexen psychischen Aspekte des Rettungsgeschehens beim Patienten und bei sich (!) mit einbezieht, verbunden mit der Wahrnehmung einer größeren Komplexität der Aufgabe, aber auch mehr Zweifeln und einer verstärkten Irritation und Belastung? Die Autorin stellt sich eindeutig auf die Seite des zweiten Typs und entwickelt ein Curriculum »Psychische Erste Hilfe« für die Ausbildung professioneller Helfer – auf dem Stand der heutigen Wissenschaft: ein Startpunkt für neue Hypothesen und ein neues wissenschaftliches Abenteuer! Prof. Dr. Bernd Gasch Januar 2012

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˘ Vorwort

Vorwort 26.12.2009 (1), 19.28 Uhr, Rettungswache Witten-Herbede: Der RTW-Melder löst aus. Auf der Alarmdepesche steht »Akute Atemnot«. Bei unserem Eintreffen finden wir eine etwa 80-jährige Patientin schwer atmend auf dem Sofa sitzend vor. Besorgte Angehörige beobachten jeden Handgriff: Monitoring, Sauerstoff, Blutdruck, Zugang, ... endlich: das Martinshorn des Notarzteinsatzfahrzeugs ... der Arzt ist nicht mehr weit. Es folgt die medikamentöse Versorgung der Patientin, Lagerung auf der Trage und Transport in den RTW ... Abfahrt ... aber keine Besserung … die Sättigung sinkt, das Herz rast, mit weit aufgerissenen Augen schaut mich die Patientin an. Ich schaue zur Notärztin ... »Mach doch was« ... »Was denn?« – scheint sie mich zu fragen, »Die Medikamente schlagen nicht an.« Die Patientin wird panisch. »Ich brauche Luft«, japst sie und schaut mich dabei an. »Die Medikamente wirken gleich«, höre ich mich rufen. »Was für ein Quatsch«, schießt es mir dabei durch den Kopf. »Intubation?« Die Notärztin schüttelt den Kopf. Ich nehme die Hand der Patientin, drücke sie kräftig und gebe dabei Atemkommandos »Einatmen – Ausatmen – Einatmen – ...«. Sie wird etwas ruhiger, schaut mich an und erwidert den Druck meiner Hand. »Wir sind gleich da« (zu wessen Beruhigung sage ich das jetzt eigentlich?) ... Noch in der Ambulanz erfolgt die Intubation. Dann die Verlegung auf die Intensivstation. »Da hatten wir ja mal wieder richtig was zu tun«, meint der Kollege auf der Rückfahrt. Stimmt, aber eine Glanzleistung war das nicht. Trotzdem merke ich, dass ich zufrieden bin. Der erwiderte Händedruck der Patientin geht mir nicht mehr aus dem Kopf ... In meiner Hilflosigkeit sind mir die Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe wieder eingefallen, die ich ein halbes Jahr zuvor auf einer Fortbildung kennengelernt hatte. Waren es die Anwendung dieser Maßnahmen und die Reaktion der Patientin darauf, die mich nun zufrieden machten? Diese Gedanken führten zur Ausarbeitung dieser Arbeit unter dem Titel »Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer?«. Regine Ecker Herdecke, im Januar 2012

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˘ Inhalt

Inhalt 1

Einleitung 1.1 Die Organisation des Rettungsdienstes in Deutschland – Grundlagen – 1.2 Rettungsdienst/Notfallmedizin heute – Defizite 1.3 Theoretischer Hintergrund 1.3.1 Definition »Krisenintervention« 1.3.2 Definition »Notfallseelsorge« 1.4 Was können wir verbessern?

11

2

Psychische Erste Hilfe und Notfallpsychologie 2.1 Psychische Erste Hilfe – eine Begriffserklärung 2.2 Die Entwicklung der Notfallpsychologie in Deutschland 2.3 Die Entwicklung der Notfallpsychologie in Europa 2.4 Die Entwicklung der Notfallpsychologie in den USA

21 21 23 24 25

3

Aufgabenstellung und Hypothesen

26

4

Forschungsstrategie und Methodik 4.1 Identifikation und Beschreibung der Studienteilnehmer 4.2 Fragebögen 4.3 Statistische Methoden

27 27 28 28

11 12 15 16 17 17

5 Ergebnisse 5.1 Fragebogen 1 5.1.1 Deskriptive Statistik von Basisparametern 5.1.2 Vergleich der Daten (geschult vs. nicht geschult) 5.2 Fragebogen 2 5.3 Ergebnisübersicht Fragebogen 1 5.4 Ergebnisübersicht Fragebogen 2

30 30 30 30 35 45 46

6

47 47 48 52 56 60 62 65 69

Diskussion 6.1 Die Bedeutung psychischer Faktoren 6.2 Stichprobenunterschiede 6.3 Verarbeitung belastender Einsätze 6.4 Probleme im beruflichen Alltag 6.5 Belastung durch Probleme im Berufsalltag 6.6 Ausgewählte Einsätze in der Einzelbetrachtung 6.7 Auswirkungen der Arbeitsbelastung 6.8 Fazit

9


˘ Inhalt

10

7 Vorschlag für ein Curriculum »Psychische Erste Hilfe« 7.1 Einleitung 7.2 Ziele 7.3 Organisation 7.4 Durchführung 7.4.1 Frontalunterricht/Unterrichtsgespräch 7.4.2 Praktische Übungen 7.5 Erweiterungsmöglichkeiten 7.6 Materialvorschläge

72 72 73 73 74 74 75 76 76

8

Material

77

9

Literaturverzeichnis

87

10

Anmerkungen

91

11

Abbildungs-/Tabellenverzeichnis

93

12

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen/Begriffe

94

13

Danksagung

95

14

Lebenslauf

96

15

Anhang

98


1 ˘ Einleitung

1

Einleitung

1.1

Die Organisation des Rettungsdienstes in Deutschland – Grundlagen –

Das Personal im Rettungsdienst in Deutschland setzt sich aus Rettungshelfern (2), Rettungssanitätern, Rettungsassistenten und Notärzten zusammen. Je nach Ausbildung ist festgelegt, welches Fahrzeug (Krankentransportwagen [KTW], Rettungswagen [RTW], Notarzteinsatzfahrzeug [NEF], Notarztwagen [NAW]) die Einsatzkraft besetzen darf. Dieses richtet sich nach dem Rettungsdienstgesetz des jeweiligen Bundeslandes. In den meisten Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland ist der bodengebundene Rettungsdienst im »Rendezvous-System« organisiert. Das heißt, das Rettungsmittel (RTW oder KTW) und der Notarzt sind unabhängig voneinander stationiert. Die Leitstelle entscheidet anhand des Notfalltyps, ob sie nur den Rettungs-/Krankenwagen allein oder Rettungsdienst und Notarzt gleichzeitig alarmiert; ggf. wird der Notarzt auch »nachalarmiert«. An der Einsatzstelle treffen beide Einheiten aufeinander (Rendezvous) und werden gemeinsam tätig. Für den Notarzt stehen das Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) oder der Rettungshubschrauber (RTH), der auch zum Transport des Patienten geeignet ist, zur Verfügung. Eine seltenere Transportmöglichkeit für den Notarzt ist das Notarzteinsatzmotorrad, das eher auf Großveranstaltungen zum Einsatz kommt. Aber auch jedes andere Einsatzfahrzeug (Feuerwehr, Polizei) oder der eigene Pkw können als Zubringerfahrzeug für den Notarzt dienen. Demgegenüber werden in einigen Rettungsdienstbereichen noch Notarzteinsatzwagen (NAW) vorgehalten. Hier rückt das nicht-akademische Rettungsdienstpersonal (Rettungssanitäter, Rettungsassistent) gemeinsam mit dem Notarzt aus. Der Vorteil des Rendezvous-Systems ist, dass sich das Rettungstransportmittel und der Notarzt unabhängig voneinander bewegen können. Ist die Begleitung des Patienten in das Krankenaus durch den Notarzt nicht notwendig oder ereignen sich schwerwiegendere Notfälle, so ist der Notarzt abkömmlich und kann einen neuen Einsatz annehmen. Das bedeutet auch, dass der Notarzt bei weniger schwerwiegenden Fällen am Standort verbleiben kann, um für weitere Notfälle zur Verfügung zu stehen. Es rückt nur ein Rettungs-/Krankenwagen aus. Im umgekehrten Fall kann der Notarzt bei Eintreffen vor dem Rettungswagen den Patienten bereits vor dem Eintreffen des Transportmittels ohne zeitliche Verzögerung versorgen. Auch die unterschiedlichen Fahrzeugarten des Rettungsdienstes können im Einsatzfall von Vorteil sein. Bei einem Notarzteinsatzfahrzeug handelt es sich in der Regel um einen Pkw. Dieser ist kleiner, wendiger und schneller als der Rettungswagen. Das ist ein Vorteil in schwer zugänglichen Gebieten.

11


1 ˘ Einleitung

Nicht zuletzt bedeutet dieses System auch eine Einsparmöglichkeit von Personal. Durch die höhere Flexibilität »betreut« ein Notarzt oft mehrere Rettungswachen. Ein Nachteil dieses Systems sind allerdings die Kostenfaktoren für ein weiteres Einsatzmittel inklusive des Equipments und – sofern der Notarzt nicht eigenständig anreist – das entsprechende Personal (Fahrer des Notarzteinsatzfahrzeugs …). Nachteilig ist auch die mögliche zeitliche Verzögerung bei einer Nachalarmierung, sofern sich erst an der Einsatzstelle herausstellt, dass ein Notarzt erforderlich ist. Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes sind die Kreise bzw. die kreisfreien Städte. Diese vergeben die Durchführung dieser Aufgabe je nach lokalen Bedingungen an ˘ die Feuerwehren ˘ kommunale Rettungsdienste (der Landkreis/die Städte führen den

Rettungsdienst eigenständig mit hauptamtlichen Kräften durch)

˘ die Hilfsorganisationen

- Deutsches Rotes Kreuz und Bayerisches Rotes Kreuz - Malteser Hilfsdienst - Johanniter-Unfall-Hilfe - Arbeiter-Samariter-Bund - … ˘ private Rettungsdienstunternehmen.

1.2

Rettungsdienst/Notfallmedizin heute – Defizite

Die Notfallmedizin ist in Deutschland – im Vergleich zum angrenzenden europäischen Ausland, wie z.B. in Österreich (siehe unten) – ein wenig geförderter Zweig der Medizin. Das mag an der mangelnden Ausbildung deutscher Medizinstudenten in diesem Bereich liegen. Als Absolventin der Universität Witten/Herdecke hatte ich drei Tage Unterricht in Notfallmedizin und anschließend eine etwa 20-minütige mündlich-praktische Prüfung abzulegen. Mir ist allerdings bekannt, dass es auch Universitäten in Deutschland gibt, bei denen sich die notfallmedizinische Ausbildung der Studenten über mehrere Semester mit theoretischem Unterricht und praktischen Übungen erstreckt. Ein Vorreiter ist hier die Universität Ulm. Die Qualifikation zur Teilnahme am Notarztdienst erhält der approbierte Arzt in Deutschland seit 2006 in den meisten Bundesländern nach 24 Monaten Weiterbildung bei einem Weiterbildungsbefugten in der stationären Patientenversorgung (davon mindestens sechs Monate Weiterbildung in Intensivmedizin, Anästhesiologie oder in der Notfallaufnahme), die Teilnahme an einem 80-stün-

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1 ˘ Einleitung

digen Kurs in allgemeiner und spezieller Notfallbehandlung nach dem Curriculum der Bundesärztekammer und dem Nachweis von 50 Einsätzen auf dem Notarzteinsatzfahrzeug oder dem Rettungshubschrauber unter Anleitung eines erfahrenen Notarztes. Nach einer erfolgreichen Prüfung darf der Arzt die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin tragen und als Notarzt tätig werden. Einige Ärztekammern, so auch die Ärztekammer Westfalen-Lippe, in deren Zuständigkeitsbereich die Studie stattfand, ermöglichen die Teilnahme bereits nach 18 Monaten Tätigkeit in einer Einrichtung der stationären Patientenversorgung (davon mindestens drei Monate Weiterbildung in Intensivmedizin, Anästhesiologie oder in der Notfallaufnahme), der Teilnahme am o.g. 80-StundenKurs und dem Nachweis von mindestens zehn lebensrettenden Einsätzen unter Anleitung eines erfahrenen Notarztes. Zudem muss ein Aufgabenkatalog, bestehend aus 25 endotrachealen Intubationen, 25 Beatmungen mit Beatmungsbeutel und Maske, 50 venösen Zugängen einschließlich unterschiedlicher zentralvenöser Zugänge, zwei Thoraxdrainagen und einem zertifizierten Reanimationsstandard am Phantom, abgearbeitet und bescheinigt werden. Nach Ablauf dieser Zeit, Absolvierung des Kurses und Vorlage aller Bescheinigungen erhält der Arzt auf Antrag die »Fachkunde Rettungsdienst« (ohne Prüfung), mit der er zur Teilnahme am Notarztdienst berechtigt ist. Diese Form der Zulassung existierte bis zur Einführung der »Zusatzbezeichnung Notfallmedizin« in allen Bundesländern. Letztere kann bei den noch nach alten Richtlinien verfahrenden Landesärztekammern nach Erfüllung aller Anforderungen zusätzlich erworben werden. Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass die Qualifikation zum Notarzt in Deutschland aus einer 15 – 18 Monate dauernden Ausbildung auf einem Fachgebiet der Wahl, also durchaus auch Hals-Nasen-Ohren- oder Augenheilkunde (3), einer 3- bis 6-monatigen Einsatzzeit auf der Intensivstation, in der Notaufnahme oder in der Anästhesie (in dieser Zeit ist eine fachfremde Person wahrscheinlich erst eingearbeitet), der Erfüllung eines Aufgabenkatalogs zur Erlangung praktischer Fähigkeiten und dem Nachweis von 10 – 50 Einsätzen unter Anleitung eines erfahrenen Kollegen besteht. Als Beispiel für die umfassendere Ausbildung der Notärzte im angrenzenden europäischen Ausland sei hier Österreich genannt: Hier muss vor der Aufnahme der notärztlichen Tätigkeit die Facharztausbildung bzw. der Turnus beendet sein. Der Turnus ist die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin mit einer Dauer von mindestens 36 Monaten. In dieser Weiterbildungszeit rotiert der Arzt durch die Fächer Allgemeinmedizin (6 Monate), Chirurgie (4 Monate), Frauenheilkunde und Geburtshilfe (4 Monate), HNO (2 Monate), Dermatologie (2 Monate), Innere Medizin (12 Monate), Kinderheilkunde (4 Monate) und Neurologie/Psychiatrie (2 Monate). Um als Notarzt zugelassen zu werden, muss zudem eine spezielle Ausbildung absolviert werden, die inhaltlich weitgehend dem Curriculum des in Deutschland durchgeführten 80-Stunden-Kurses entspricht. Nicht nur die Ausbildung im Studium bzw. die Weiterbildung zum Notarzt, sondern auch die Struktur des deutschen Rettungsdienstes sind für die Quali-

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3 ˘ Aufgabenstellung und Hypothesen

3

Aufgabenstellung und Hypothesen

»Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer?« unter diesem Arbeitstitel sollte bei aktiv tätigen Notärzten und Rettungsdienstpersonal die Anwendung der Psychischen Ersten Hilfe im Hinblick auf den eigenen psychischen Stress und die Verarbeitung der Einsätze evaluiert werden. Vor dem Hintergrund des im Vorwort geschilderten Einsatzes entstand die Hypothese, dass – wie es in der genannten Studie von Gasch und Lasogga behauptet wurde – Psychische Erste Hilfe nicht nur dem Patienten in der Akutsituation hilft, sondern auch der Helfer von der Anwendung profitiert, indem er kompetenter und selbstsicherer in seinem (auch medizinischen) Handeln wird und belastende Einsätze besser verarbeiten kann. Ziel dieser Studie war es, zu beweisen, dass das Stresserleben, die psychische Belastung und die Selbstsicherheit des Rettungsdienstpersonals im Umgang mit dem Patienten dank dieser einfachen Techniken verbessert werden. Auf dieser Basis entstand ein konkretes Unterrichtskonzept (Lernziele und Umsetzungsmöglichkeiten) sowohl für die Ausbildung von nicht-akademischem Rettungsdienstpersonal als auch von Notärzten, das den Ausbildungsstätten die Aufnahme dieses Themas in ihren Ausbildungskatalog erleichtern soll und damit die Qualität des Rettungsdienstes in Deutschland weiterhin verbessert.

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4 ˘ Forschungsstrategie und Methodik

4

Forschungsstrategie und Methodik

Bei der Untersuchung handelte es sich um eine Querschnittstudie mit Stichtagerhebung. Es wurde eine Internet-Befragung von Rettungskräften im Zeitraum von Mai bis September 2010 durchgeführt. Dabei wurden Einsätze (jeweils in ihrer Gesamtzahl pro Dienst) im Zeitraum von etwa 120 Tagen einbezogen (10).

4.1

Identifikation und Beschreibung der Studienteilnehmer

Die Studie wurde an den Notarztstandorten Arnsberg, Herdecke, Herne und Witten durchgeführt. Zudem wurde das nicht-akademische Personal (Rettungsassistenten und Rettungssanitäter) des Notarztstandortes Arnsberg, der Stadt Herne und eines Teils des Ennepe-Ruhr-Kreises (Feuerwehr Schwelm, Rettungsdienst der Städte Herdecke und Wetter [Ruhr], JUH Wetter/Herdecke/Hagen, DRK Witten) eingebunden. Alle teilnehmenden Personen meldeten sich freiwillig zur Teilnahme an dieser Studie. Die Bekanntmachung des Projekts erfolgte über den Mailverteiler der »Ärztlichen Leiter Rettungsdienst« des Landes Nordrhein-Westfalen und das Internetportal »www.rettungsdienst-en.de«. Möglich war das durch die aktive Mitarbeit der Verfasserin im Rettungsdienst des Ennepe-Ruhr-Kreises und entsprechende Kontakte zu den Führungskräften. Für die Befragung wurden zwei Gruppen von Rettungsdienstmitarbeitern definiert: Gruppe A: Angesprochen wurden Personen (Notärzte und nicht-akademisches Rettungsdienstpersonal) aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis und dem Hochsauerlandkreis (Stadt Arnsberg), die vor dem Befragungszeitraum in den Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe unterrichtet wurden, diese als Selbsterfahrung trainierten und (im Befragungszeitraum) bewusst anwendeten. Gruppe B: Hierbei handelte es sich um Personen (Notärzte und nicht-akademisches Rettungsdienstpersonal) der Stadt Herne und des Ennepe-Ruhr-Kreises, die als Vergleichsgruppe dienten und vor Befragungsbeginn nicht in Psychischer Erster Hilfe unterrichtet wurden. Zwar ist davon auszugehen, dass auch in dieser Gruppe durchaus Ansätze von dem in Gruppe A gewünschten Verhalten aufzufinden waren, dieses aber weniger systematisch und fundiert angewandt wurde.

27


4 ˘ Forschungsstrategie und Methodik

4.2

Fragebögen

Die Befragungen wurden mittels zweier standardisierter Fragebögen auf einer Internetplattform anonymisiert durchgeführt. Die Anonymität wurde durch Vergabe eines eigenen Nutzernamens und Codewortes durch den Teilnehmer bei der Erstanmeldung gewährleistet. Aufgrund der Entfernung der einzelnen Befragungsorte voneinander, der Dauer des Befragungszeitraumes und dem Ziel, den Aufwand für die teilnehmenden Personen möglichst gering zu halten, wurden die Befragungen per Onlinefragebogen durchgeführt. So konnte gewährleistet werden, dass viele Informationen, wie z.B. Gefühle und Einsatzdetails, erfasst werden konnten. Zudem wäre die Anonymität bei anderen Erfassungsarten, wie z.B. Interviews oder Beobachtungen, nicht gewährleistet worden. Mit einem Fragebogen wurden einmalig sowohl demografische Daten (Alter, Geschlecht ...) als auch personenspezifische Daten (Zeitraum der Tätigkeit im Rettungsdienst, Fachrichtung ...) erhoben. Zielparameter der Befragungen waren die Stärke und Art der Belastung im Einsatz und die Art der Verarbeitung belastender Einsätze. Für die Umsetzung der Internetbefragung stand die Firma »all2e«, Arnsberg, zur Verfügung.

4.3

Statistische Methoden

Die statistischen Auswertungen wurden mit Hilfe von SPSS für Windows, Version 18.0 (SPSS Inc., USA) durchgeführt. Die Darstellung der kontinuierlichen Variablen erfolgte als Mittelwerte und Mediane, während als Streumaße die Standardabweichungen und Quartile gewählt wurden. Die kontinuierlichen Variablen wurden mittels des Kolmogorov-SmirnovTests hinsichtlich ihrer Normalverteilung überprüft. Während einige der getesteten Variablen keine Normalverteilung aufwiesen (Kolmogorov-Smirnov-Test: p < 0,05), konnte für andere Variablen eine Normalverteilung berechnet werden (Kolmogorov-Smirnov-Test: p ≥ 0,05). Bei den Vergleichen der Stichproben wurden daher Tests für normalverteilte Stichproben und nichtparametrische Tests für nicht normalverteilte Stichproben herangezogen. Beim Vergleich von zwei unabhängigen, normalverteilten Stichproben wurde der t-Test verwendet. Dabei wurde vorher zum Nachweis der Homogenität der Varianzen der Levene-Test durchgeführt. Bei nicht normalverteilten Stichproben wurde der Mann-Whitney-U-Test als nichtparametrisches Verfahren ange­ wendet.

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4 ˘ Forschungsstrategie und Methodik

Die kategorisierten Daten dagegen wurden mit Hilfe des Chi-Quadrat-Tests bzw. des exakten Tests nach Fisher ausgewertet. Bei Verwendung des Chi-Quadrat-Tests wurde die erforderliche Testvoraussetzung erfüllt, sodass bei allen Tests weniger als 20% der erwarteten Häufigkeit kleiner 5 war. Bei allen durchgeführten Tests erfolgte eine zweiseitige Signifikanzüberprüfung, wobei für alle statistischen Tests ein p-Wert < 0,05 als statistisch signifikant angenommen wurde. In den grafischen Darstellungen, die ebenfalls mit SPSS erstellt wurden, wurden zur Veranschaulichung der Mediane und Quartilsabstände Boxplots verwendet. Während in den Boxen der Median sowie die 25.-75. Perzentile aufgetragen sind, entsprechen die T-Balken dem kleinsten und größten Wert, sofern diese keine Ausreißer bzw. Extremwerte sind. Die Ausreißer sind dabei Werte, die zwischen 1 V - 3 Boxlängen außerhalb der Box liegen; sie sind in den Grafiken als Kreise dargestellt, während Extremwerte mehr als 3 Boxlängen außerhalb der Box gemessen wurden und als Kreuze aufgetragen sind. Die kategorisierten Daten wurden grafisch mit Hilfe von Balkendiagrammen dargestellt. Aufgrund der großen Korrelanz der Anzahl ausgefüllter Bögen pro Person (1- bis 87-mal) konnte die Auswertung nicht personenbezogen durchgeführt werden, sondern wurde auf die Konstante geschult versus nicht geschult in Psychischer Erster Hilfe beschränkt. Auf Angaben wie die Religionszugehörigkeit, die Gläubigkeit oder auch den Familienstand, die bei einer personenbezogenen Auswertung von Interesse gewesen wären (z.B. die Fragestellung, ob gläubige Personen belastende Einsätze besser verarbeiten als nicht gläubige), wird daher in der folgenden Beschreibung und Auswertung der Ergebnisse verzichtet. Ein weiteres Problem ergab sich bei der Angabe der Fachrichtung und des Facharztstatus. Diese Felder haben einige nicht-akademische Rettungsdienstler ebenfalls ausgefüllt und mehrheitlich »Unfallchirurgie« und »kein Facharzt« angegeben. Eine Auswertung nach Fachdisziplin und Facharztstatus wurde daher nicht vorgenommen. Teilweise ergeben sich aber Rückschlüsse aus den erhobenen Daten, wie die bisherige Dauer der ärztlichen Tätigkeit. Im Folgenden wird nur auf die im Hinblick auf die Fragestellung interessanten Ergebnisse eingegangen.

29


5 ˘ Ergebnisse

5

Ergebnisse

An der Studie haben 52 Personen teilgenommen, die insgesamt 317-mal den Fragebogen 2 ausgefüllt haben.

5.1

Fragebogen 1

5.1.1 Deskriptive Statistik von Basisparametern

Die hier erfassten 52 Teilnehmer teilen sich in 21 Ärzte, 22 Rettungsassistenten und neun Rettungssanitäter auf. 35 dieser Teilnehmer, davon zehn Ärzte, 17 Rettungsassistenten und acht Rettungssanitäter, hatten vor Befragungsbeginn an der Schulung zur Psychischen Ersten Hilfe teilgenommen. Die verbleibenden 17 Personen, davon 11 Ärzte, fünf Rettungsassistenten und ein Rettungssanitäter, hatten keine Vorkenntnisse auf diesem Gebiet. Von den 21 teilnehmenden Ärzten haben vier eine zusätzliche Berufsausbildung zum Rettungsassistenten und einer die Qualifikation Rettungssanitäter. Fachbezogen teilen sich die Ärzte in 12 Anästhesisten, fünf Internisten, vier Chirurgen und einen Allgemeinmediziner auf. 12 Teilnehmer haben bereits eine abgeschlossene Facharztausbildung. Betrachtet man die teilnehmenden Städte und Kreise, so entfielen 18 Teilnehmer (16 Ärzte, zwei Rettungsassistenten) auf die Stadt Arnsberg, zwei auf die Stadt Herne (zwei Ärzte) und 32 (drei Ärzte, 20 Rettungsassistenten, neun Rettungssanitäter) übten im Befragungszeitraum ihre Tätigkeit im Ennepe-RuhrKreis aus. Das Geschlechterverhältnis der teilnehmenden Personen stand mit 40 Männern (14 Ärzte, 20 Rettungsassistenten und sechs Rettungssanitätern) und 12 Frauen (sieben Ärztinnen, drei Rettungsassistentinnen und zwei Rettungssanitäterinnen) etwa im Verhältnis 3:1.

5.1.2 Vergleich der Daten (geschult vs. nicht geschult [11])

Zu Beginn des Befragungszeitraumes bzw. vor der Schulung in Psychischer Erster Hilfe wurden die Teilnehmer nach der Bedeutung gefragt, die sie psychischen Faktoren in der Notfallmedizin – bei den Patienten und bei den Helfern – beimessen. Der Wert musste auf einer Skala von 1 (keine) bis 5 (sehr große Bedeutung) eingetragen werden. Die Frage wurde von 48 Personen beantwortet. Der Mittelwert der Aussagen liegt dabei bei 4,52 (+/- 0,2), der Median bei den ungeschulten Personen bei 4 (große Bedeutung), bei den geschulten bei 5 (sehr große Bedeutung). Somit zeigt sich in der Einschätzung kein signifikanter Unterschied beider Gruppen (p = 0,352 im Mann-Whitney-U-Test).

30


5 ˘ Ergebnisse

Tab. 1 ˘ Bedeutung psychischer Faktoren bei den Patienten Schulung

Mittelwert

Standardabweichung

Median

Minimum

Maximum

N

Nein

4,38

,650

4,00

3

5

13

Ja

4,57

,558

5,00

3

5

35

Insgesamt

4,52

,583

5,00

3

5

48

Ähnlich ist das Ergebnis für die Einschätzung der Bedeutung psychischer Faktoren für den Helfer (p = 0,961 im Mann-Whitney-U-Test). Mit einem Mittelwert von 3,83 (+/-0,02), Median 4,0 zeigt sich hier, dass geschulte wie ungeschulte Helfer psychischen Faktoren in der Notfallmedizin bei Einsatzkräften eine mittelgroße Bedeutung beimessen.

Tab. 2 ˘ Bedeutung psychischer Faktoren bei den Helfern Schulung

Mittelwert

Standardabweichung

Median

Minimum

Maximum

N

Nein

3,85

,987

4,00

2

5

13

Ja

3,83

,954

4,00

2

5

35

Insgesamt

3,83

,953

4,00

2

5

48

Das Alter der Befragten betrug zum Umfragezeitpunkt im Durchschnitt 31,75 Jahre (+/-1) mit einem Median von 33 Jahren bei den geschulten und 34 Jahren bei den nicht geschulten Personen. Hier liegt kein signifikanter Unterschied vor (p = 0,653 im Mann-Whitney-U-Test). Anders sieht es bei der Berufserfahrung aus. Während der Mittelwert der Berufsjahre bei den Rettungsassistenten bei 3,17 (+/- 0,7) (p = 0,245 im MannWhitney-U-Test) und den Rettungssanitätern bei 1,87 (+/- 0,01) (p = 0,651 im Mann-Whitney-U-Test) liegt und damit keine signifikanten Unterschiede in der Dauer der Berufsausübung zwischen geschultem und ungeschultem nicht-akademischen Rettungsdienstpersonal auszumachen sind, zeigen sich beim Vergleich der Ärzte signifikante Unterschiede beider Gruppen. Die geschulten ärztlichen Studienteilnehmer waren im Durchschnitt 2,97 Jahre tätig (Median ,00), die nicht geschulten Ärzte verfügten im Mittelwert über eine Berufserfahrung von 7,59 Jahren (Median 7,00). Mit p = 0,004 im MannWhitney-U-Test zeigt sich hier, dass die Ärzte, die an der Schulung teilnahmen, signifikant unerfahrener im Beruf sind als die nicht geschulten ärztlichen Teilnehmer. Analog dazu zeigt sich auch in der Anzahl der Berufsjahre als Notarzt ein signifikanter Unterschied. Mit einem Mittelwert von 1,83 Jahren bei geschulten Ärzten (Median ,00) und 5,47 bei ungeschulten Ärzten (Median 2,00) ergibt der Mann-Whitney-U-Test einen p-Wert von p = 0,009. Die geschulten Teilnehmer verfügen also auch über signifikant weniger Berufserfahrung als Notarzt.

31


7 ˘ Vorschlag für ein Curriculum „Psychische Erste Hilfe“

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Vorschlag für ein Curriculum »Psychische Erste Hilfe«

7.1

Einleitung

Der folgende Vorschlag für ein Curriculum der Ausbildung professioneller Helfer in Psychischer Erster Hilfe wurde unter dem Aspekt erarbeitet, dem Helfer in kurzer Zeit die Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe nahezubringen und diese in praktischen Übungen auch erleben zu lassen. Grundlage der Ausarbeitung sind folgende Quellen: ˘ Gasch, Bernd: Psychologische Aspekte in der Notfallmedizin. Vortrag im

Rahmen des »Seminarkongress Notfallmedizin« (80-Stunden Kurs zur Erlangung der Fachkunde Rettungsdienst/Zusatzbezeichnung Notfallmedizin der Arbeitsgemeinschaft Intensivmedizin e.V., Arnsberg [aim]) ˘ Gasch, Bernd: Psychische Erste Hilfe für Notfallopfer: ÜBUNG. Arbeitsblatt zur Schulung professioneller Helfer im Rahmen dieser Studie ˘ Lasogga, Frank; Gasch, Bernd (2002) Psychische Erste Hilfe bei Unfällen. Kompensation eines Defizits. 3., überarb. und erw. Aufl. Edewecht, Wien: Stumpf + Kossendey ˘ Ecker, Regine (2011) Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer? Dissertationsschrift. Universität Witten/Herdecke. Fakultät für Gesundheit, Department der Humanmedizin ˘ Fachdiskussionen mit Studienteilnehmern ˘ eigene theoretische Überlegungen ˘ eigene Erfahrungen aus meiner Tätigkeit im Rettungsdienst Die im Folgenden aufgeführten Lernziele und Organisationsvorschläge sind lediglich Anregungen für die Unterrichtsgestaltung. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Teilnehmerzahl (Kleingruppen bei internen Fortbildungen, max. etwa 30 Personen bei Rettungsdienstschulen mit Ausbildungsangeboten im nicht-akademischen Bereich, bis zu 120 Personen bei der Weiterbildung zum Notarzt) ist es dem jeweiligen Dozenten überlassen, den Vortrag als Unterrichtsgespräch mit Tafelanschrieb oder als Frontalunterricht mit Powerpointpräsentation zu gestalten. Zur Vorbereitung des Unterrichts wird die Lektüre folgender Werke empfohlen: ˘ Lasogga, Frank; Gasch, Bernd (2006) Psychische Erste Hilfe bei Unfällen,

4., überarbeitete Auflage, Edewecht, Wien: Stumpf + Kossendey

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7 ˘ Vorschlag für ein Curriculum „Psychische Erste Hilfe“ ˘ Ecker, Regine (2011) Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer? Dis-

sertationsschrift. Universität Witten/Herdecke. Fakultät für Gesundheit, Department der Humanmedizin

7.2

Ziele

Teilnehmer an einer Schulung zum Thema »Psychische Erste Hilfe« sollen: ˘ die Wahrnehmung des Patienten als Mensch erlernen. ˘ Möglichkeiten aufgezeigt bekommen, die Maßnahmen der Psychischen

Ersten Hilfe in den Routineablauf der Rettungsmaßnahmen einzugliedern. ˘ die Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe als Routine verinnerlichen. ˘ Kenntnisse über den Umgang mit »besonderen Personengruppen« (Angehörige, Kinder/Jugendliche, ältere Menschen, Ausländer, Problempatienten (aggressiv, verwahrlost …) und Sterbende erlangen.1

7.3

Organisation

In einem Zeitraum von etwa 30 Minuten sollen den Teilnehmern durch Frontalunterricht/im Unterrichtsgespräch die Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe vermittelt und ein erster Eindruck vom dem »Erleben des Einsatzablaufs als Patient« gegeben werden. Anschließend sollen die Teilnehmer diese Maßnahmen in Kleingruppen von max. sechs Personen (im Notarztkurs kapazitätsbedingt max. zehn Personen) im Rollenspiel anwenden und diskutieren. Organisatorisch ist zu empfehlen, dieses Thema im Rahmen der Ausbildung professioneller Helfer schon sehr früh zu unterrichten, damit die Anwendung dieser Maßnahmen für die angehenden Rettungskräfte, in Verbindung mit den medizinischen Maßnahmen, zur Routine wird.2

1

2

Diese Aspekte können – nach zeitlichen Möglichkeiten – zusätzlich unterrichtet werden und werden unter dem Punkt »7.5 Erweiterungsmöglichkeiten« (siehe S. 76) aufgeführt. Der Patient als »Mensch« steht im Mittelpunkt, nicht als »Symptom«. Das Erlernen der Maßnahmen der PEH vor der Vermittlung medizinischer Leitlinien und Einsatzabläufe fördert so die Fixierung auf den Patienten und bestärkt den Helfer, auch in Momenten der Unsicherheit oder Unwissenheit dem Patienten das Bemühen um seine Gesundheit zu demonstrieren, und gibt dem Helfer mehr Sicherheit im Umgang mit dem Patienten.

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Cam p u s In Notfallsituationen sind sowohl die betroffenen Patienten als auch die eintreffenden Rettungskräfte einem enormen Stress ausgesetzt. Die Art und Weise, wie ein Patient in einer solchen Ausnahmesituation versorgt wird, ist davon abhängig, wie der Helfende sich selbst in solchen Situationen erlebt und wie er vorherige Einsätze verarbeitet hat. Die Autorin hat die Hypothese überprüft, ob von der Schulung der Helfer in Psychischer Erster Hilfe neben dem Patienten auch die Einsatzkraft selbst profitiert. Die geschulte Einsatzkraft stellt den Patienten in den Mittelpunkt und hat gelernt, neben der medizinisch-apparativen Hilfe dem Patienten auch Menschlichkeit zu vermitteln. Der Patient wird als Mensch mit Gefühlen und Symptomen wahrgenommen und behandelt. Mit der Erkenntnis, dass er, auch

wenn der Einsatz kein positives Ende findet, alles medizinisch und menschlich Mögliche für den Patienten getan hat, wird der professionelle Helfer auch belastende Einsätze besser ver­ arbeiten. Durch den beruhigenden Zuspruch für den Patienten wird zudem auch das Stresslevel des Helfers gesenkt. Das führt auf Dauer zur Empfindung von weniger Belastung. Auf dieser Basis wurde der Vorschlag für ein konkretes Unterrichtskonzept in Psychischer Erster Hilfe in der Ausbildung von nichtakademischem Rettungsdienstpersonal und Notärzten erstellt. Das vorliegende Buch richtet sich vor allem an Berufsgruppen in der Notfallmedizin sowie an Rettungsdienstschulen und Hilfs­ organisationen.

R. Ecker

Eine Dissertation aus der Fakultät für Gesundheit – Department der Humanmedizin – an der Universität Witten/Herdecke

Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer?

R. Ecker

Regine Ecker

Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer?

Psychische Erste Hilfe: Prävention für Helfer?

isbn 978-3-938179-99-4 · www.skverlag.de

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. phil. B. Gasch

Eine Dissertation aus der Fakultät für Gesundheit – Department der Humanmedizin – an der Universität Witten/Herdecke

inkl. PEHUnterrichtskonzept


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