Notarzt und Rettungsassistent beim MANV

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K. Maurer, H. Peter (Hrsg.) H. Peter, Th. Mitschke, Th. Uhr Als erster an der Großunfallstelle – was ist zu tun? Wie und wo richtet der Rettungsassistent sinnvoll den Hubschrauberlandeplatz ein? Wie wird Panik vermieden? Wer kümmert sich bis zum Eintreffen des LNA um Sichtung und Aufteilung der Verletzten in Behandlungsgruppen? Fragen, auf die dieses erfolgreiche Buch nunmehr in der dritten Auflage mit grundlegenden Tips und Regeln zum richtigen Verhalten, mit ein-

gängigen Schemata für den Einsatz und mit klaren Praxishinweisen antwortet. Es ist damit allen Rettungsassistenten und Notärzten eine bewährte Hilfe – denn jeder kann in die Situation geraten, zum ersteintreffenden Rettungsteam bei einem Massenanfall von Verletzten, einem Großunfall zu gehören. Die dritte Auflage wurde komplett durchgesehen und – vor allem hinsichtlich der Taktischen Zeichen – aktualisiert.

K. Maurer, H. Peter (Hrsg.) H. Peter, Th. Mitschke, Th. Uhr PRAXISWISSEN

SEGmente 3 Notarzt und Rettungsassistent beim MANV 3., überarbeitete Auflage

PRAXISWISSEN

SEGmente 3 Notarzt und Rettungsassistent beim MANV 3., überarbeitete Auflage

ISBN 978-3-932750-61-8 · www.skverlag.de


2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Ăźber <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Š Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey m.b.H., Edewecht 2001 Satz: ArtSatz Medienagentur, Oldenburg Nachdruck 2010: Druck-Service Thomas Lamken, Oldenburg ISBN: 978-3-932750-61-8


3

Magazin für Schnell-Einsatz-Gr uppen

mente

Hrsg. von Klaus Maurer und Hanno Peter

Band 3

Notarzt und Rettungsassistent beim MANV Aufgaben des zuerst eingetroffenen Rettungsteams Hanno Peter, Thomas Mitschke, Theodor Uhr

3., überarbeitete Auflage

Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey. Edewecht · Wien


4


5

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen

6

1

Einleitung

7

2

Das Führungssystem

9

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4

Die Führungsorganisation beim MANV Der Einsatz ohne Feuerwehr Der Einsatz mit Feuerwehr Der Einsatz im Katastrophenfall Die Aufgabenteilung

11 12 14 17 19

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3

Die Führungsmittel beim MANV Führungsmittel zur Informationsgewinnung Führungsmittel zur Informationsverarbeitung Führungsmittel zur Informationsübertragung

23

24

2.3

Der Ablaufplan des Führungsvorgangs beim MANV

26

3

Notfallmedizinische Erfordernisse

39

3.1

Das Handlungsprinzip

39

3.2

Leitlinie für das ersteintreffende Rettungsdienstteam

40

Literatur

50

23 24


6

Abkürzungen BAND BOS Dv EA EL FwDV HRDG KatS LBKG

Bundesarbeitsgemeinschaft der Notärzte Deutschlands Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufga­ben­ Dienstvorschrift Einsatzabschnitt Einsatzleitung Feuerwehr-Dienstvorschrift Hessisches Rettungsdienstgesetz Katastrophenschutz Landesgesetz über den Brandschutz, die Allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz (Rheinland-Pfalz) LNA Leitender Notarzt MANV Massenanfall von Verletzten/Erkrankten NA Notarzt ÖEL Örtliche Einsatzleitung OrgL Organisatorischer Leiter RA Rettungsassistent RD Rettungsdienst REMAB Rettungsdienst-Einsatz mit Massenanfall Behandlungs-/Betreuungsbedürftiger Rett Rettung RLSt Rettungsleitstelle San Sanitätsdienst SEG Schnell-Einsatz-Gruppe TEL Technische Einsatzleitung


7

1 Einleitung Der Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten stellt den Rettungsdienst immer vor eine besondere Herausforderung. Abweichend vom Einsatzgeschehen beim individuellen Notfall, entsteht hier sofort neben der notfallmedizinischen Hilfe ein Bedarf zur Koordinierung von Einsatzkräften, die geordnet und geführt wer­den müssen. Führungskräfte des Rettungsdienstes sind Leitender­ Notarzt und Organisatorischer Leiter. Bei jedem Massenanfall werden aber diese beiden institutionalisierten Füh­ rungskräfte mit mehr oder weniger zeitlichem Verzug ein­tref­fen, während der reguläre Rettungsdienst bereits nach kurzer Zeit vor Ort sein wird. Das zuerst eintreffende Rettungsteam in einem Rettungswagen, Notarztwagen, Rettungshubschrauber oder Notarzteinsatzfahrzeug sieht sich einer vollkommen anderen Situation gegenüber gestellt als beim individuellen Notfall. Ihm kommt bei der Bewältigung des gesamten Ereignisses eine entscheidende Rolle zu. Dieses Team nimmt die entscheidenden Weichenstellungen vor. Seine Situation ist nicht beneidenswert. Es muß mit äußerster Disziplin seine Aufgaben wahrnehmen, damit möglichst vielen Verletzten in kürzester Zeit geholfen werden kann. Wendet es sich wie beim individuellen Notfall einem Verletzten zu und unterläßt es, sich einsatztaktisch richtig zu verhalten, setzt es damit unter Umständen Menschenleben aufs Spiel. Das einsatztaktisch richtige Verhalten dieses zuerst eingetroffenen Rettungsteams wird bisher in der notfallmedizinischen Literatur kaum thematisiert. Diesem Zustand will der „Arbeitskreis Einsatzbewältigung“ abhelfen. In ihm haben sich ein Arzt, ein Rettungsassistent sowie ein Rettungssanitäter zusammengeschlossen, um ein entsprechendes Bildungsangebot vorzulegen. In vielen Seminaren dieses Arbeitskreises sind in den letzten Jahren Notärzte und Rettungsassistenten auf das einsatztaktisch richtige Verhalten des zuerst eintreffenden Rettungsteams vorbe­ reitet worden. Die Lehraussagen in diesem Seminar sind in die-


8 sem Buch zusammengefaßt worden und sollen dem Leser zur Vorbereitung auf eine schwierige Situation in seinem Berufsalltag und im ehrenamtlichen Dienst dienen. Über Anregungen und Kritik freuen sich die Initiatoren des „Arbeitskreises Einsatzbewältigung“, da nur durch den Austausch mit anderen Fortschritte erzielt werden können.


9

2 Das Führungssystem Führen in besonderen Lagen, besonders wenn Menschenleben oder große Sachwerte ge­fährdet sind, bedeutet immer eine besondere Herausforderung. In dieser Situation erfolg­reich handeln zu können, die richtigen Entschlüsse zu treffen und unterstellte Personen zu einem sinnvollen Handeln anzuleiten, ist die Forde­ rung an jeden im Rettungsdienst. Um die­ses Ziel erreichen zu kön­nen, bedarf es nicht nur fachlichen Wissens, sondern auch Wissens aus dem Bereich der Führung. Beide Bereiche, Fach­ wis­sen und Führungswissen, müssen sich er­gänzen und zusam­ men­geführt werden. Dies gilt sowohl für den Notarzt als auch für den Ret­tungsassistenten, wenn sie als zuerst eintreffendes Ret­ tungsteam mit einem Massenanfall von Verletzten konfrontiert werden. Führung im Alltag des Rettungsdienstes beim individuellen Notfall ist offensichtlich nicht notwendig, so lange das Team Notarzt und Rettungsassistenten sich „blind“ verstehen. Die not­ fallmedizinischen Tätigkeiten stehen im Vordergrund. Beim Mas­ senanfall von Verletzten ist dies für das zuerst eintreffende Ret­ tungsteam vollständig anders. Zunächst muß geführt werden, muß organisiert werden, und dann kann sich das Team Verletzten zu­ wenden. Wird diese Reihenfolge nicht eingehalten, beispielsweise wird ein Verletzter behandelt und keine Führungsorganisation aufgebaut, werden an der Notfallstelle Zustände erwachsen, die eine geordnete Schadenabwehr im notfallmedizinischen Bereich erschweren oder sogar unmöglich machen. Das Fachwissen aus den Bereichen Rettungsdienst, Sanitätsund Betreuungsdienst müssen sich Notärzte und Rettungsassistenten in ihrer Aus- und Fortbildung aneignen. Jeder Mitarbeiter­ im Rettungsdienst ist aufgefordert, ständig sein Wissen zu aktua­ li­­sie­ren. Dazu gehören auch die Lektüre einschlä­giger Fachzeit­ schrif­­ten, Kenntnisse aus der neuesten verfügbaren Literatur sowie­ Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen auf Kongressen und Fachtagun­gen. Das alles trifft auch für das Führungswissen zu. Führungswissen muß gelernt, trainiert, angewendet und aktua­li­


10 siert werden. Nur so kann die Führungskraft dem hohen Anspruch genügen, welchem sie im Einsatzfall ausgesetzt ist. Besonders in Situationen, in denen eine Vielzahl von Menschen betroffen oder verletzt sind, muß der zuerst am Notfallort eintref­fen­­de Notarzt sein Führungswissen anwenden, um von Anfang an den Einsatz gelingen zu lassen. Gleiches gilt für Rettungsassis­ten­ten, die als zu­erst eintreffende Besatzung eines RTW bei einem­ größeren Schadenereignis die richtigen Weichenstellungen vor Ort vor­ neh­men muß. Um dies bei Großschadenlagen tun zu können, soll­ ten jeder Notarzt und jeder Rettungsassistent die Grundlagen der Führung kennen und ihr Wissen praktisch anwenden können. Führung kann nicht ohne eine Systematik erfolgen. Führung kann nur in einem System wirken, das bestimmte Ordnungsmerk­ male aufweist. In unserem Führungssystem sind diese Ordnungsmerkmale in drei große Teilbereiche aufgegliedert (Abb. 1). Ein Bereich be­s chreibt die Führungs­organisation, also die Führungssystem Über-­ und Unterord­nungs­prin­ zipien in unserem System. Die Führungsorganisation legt sozusagen die Ebenen fest, auf FührungsFührungsorganisation vorgang de­nen Aufgaben zu erledigen Führungssind, besonders in Hinsicht auf mittel An­ordnungs- und Aus­füh­rungs­ befugnis. Hier hat die OrganiAbb. 1 sationslehre verschiedene Modelle aufgezeigt, mit de­ren Hilfe verschiedene Or­ganisa­tions­ formen beschrieben werden können.­ Ein weiterer Teilbereich des Führungssystems widmet sich den Führungsmitteln. Darunter werden alle Hilfsmittel verstanden, mit deren Hilfe der Notarzt und der Rettungsassistent Füh­ rungsfunktionen ausüben können. Führungsmittel beginnen beim Bleistift und beim Stück Papier und enden bei der Satellitenkommunikationsanlage. Dies soll natürlich nur die Band­breite dessen illustrieren, was an Führungsmitteln zur Verfügung steht. Auch sie sollen nachfolgend näher beschrieben werden.


11 Der dritte Teilbereich beschäftigt sich mit den Führungsvorgang. Er ist eigentlich nur ein geordnetes Denkschema, welches in besonderen Situationen das Aufspüren der besten Handlungsmög­ lichkeit gewährleisten will, wobei umfassend alle Elemente bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden sollen, die einen Einfluß auf die Zielerreichung haben. Der Füh­rungsvorgang ist also eine „Denkschablone“, die aber genug Raum für die Kreativität und die Flexibilität der Führungskraft läßt. Da der Führungsvorgang möglichst alle Einflußgrö­ßen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen muß, ist er auch ein aus mehreren Tei­len zusammengesetztes Modell. Dieses Modell zu beherrschen und im Einsatzfall anwenden zu können, setzt Wissen und Training voraus. Der Entschluß, der am Ende eines jeden Füh­rungs­vorganges steht, mündet in einen Befehl. Dies hört sich sehr militärisch an. Man könnte auch sagen, der Entschluß mündet in eine Anweisung. Dies klingt ziviler, meint aber das Gleiche. Der Notarzt und der Rettungsassistent, die an einer Schadenstelle Führungs­ verantwortung übernehmen, geben anderen eine klare Vorgabe, was sie zu machen haben. Wie eine solche Anweisung standardisiert aufzubauen ist, steht am Ende der Ausführungen zum Führungsvorgang (vgl. S. 35f). Die nachfolgenden Abschnitte geben zunächst eine allgemeine Beschreibung der Führungsorganisa­tion, der Führungsmittel und des Führungsvorganges. 2.1 Die Führungsorganisation beim MANV Beim Massenanfall von Verletzten muß das zuerst eintreffende Rettungsteam die Führung übernehmen, bis der Leitende Notarzt und der Organisatorische Leiter eintreffen. Um dies effektiv leisten zu können, müssen sie wissen, welche Führungsorganisation vorhanden sein wird, wenn die diensthabenden Führungskräfte (LNA und OrgL) den Einsatz übernehmen werden. Grundkenntnisse der Führungsorganisation gehören deshalb zum Basiswissen jedes Notarztes und jedes Rettungsassistenten.


12 Bei der Betrachtung der Führungsorganisation müssen die recht­ lichen Voraussetzungen in den einzelnen Bundesländern beach­tet werden und die allgemeinen Prinzipien, die für eine Führungs­ organisation gelten. Hierbei sind in der Regel die Rettungsdienst­ gesetze, aber auch die Brandschutz- oder Feuerwehrgesetze zu beachten. Grundsätzlich sind drei Fälle zu unterscheiden. Fall eins wäre der Einsatz des Rettungsdienstes ohne die Betei­ li­gung­ weite­rer Fachdienste. Fall zwei wäre der Einsatz zusam­ men mit der Feuerwehr bei einem Scha­denereignis. Fall drei tritt dann ein, wenn der Katastrophenfall ausgerufen wird. 2.1.1 Der Einsatz ohne Feuerwehr Sollten nun an einer Einsatzstelle mehrere Rettungsfahrzeuge zum Einsatz kommen, kann es sich als notwendig erweisen, daß Lei­tender Notarzt und Organisatorischer Leiter hinzu­ge­ zogen werden. Die Notwendigkeit muß in klaren Organi­sations­ verfügungen festgelegt werden, damit die Rettungsleitstelle eindeutige Handlungsrichtlinien besitzt. Zur Organisation der Leitstelle beim MANV vgl. Peter H, Maurer K (2001). Grundlage sol­cher Festlegungen ist beispielsweise in Rheinland-Pfalz der vom Ministerium des Innern­ und für Sport und des Ministeriums für Umwelt und Gesundheit herausgegebene Rahmen-, Alarmund Ein­satzplan „Medizinische Versorgung bei Gefahrenlagen nach LBKG im Rah­men des Rettungs- und Sa­nitätsdienstes“ oder in Nordrhein-Westfalen der Runderlaß vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales v. 8.1.91. Das System des Leitenden Notarztes ist zwar flächendeckend in ganz Deutschland in den einschlägigen Gesetzen und Verfügungen eingeführt, in der Realität aber noch nicht überall verwirklicht. In der Praxis hat sich bewährt, daß die Einsatzschwelle für den LNA und den OrgL niedrig be­mes­sen wird, um ihnen auf der einen Seite die Möglich­keiten zur Gewin­nung­ von Einsatzerfahrungen zu geben; auf der anderen Seite gibt es tat­sächlich beim Einsatz mehrerer Rettungsdienstfahrzeuge an einer Einsatzstelle die Notwendigkeit zur medizin­ischen und orga­ni­satorischen Koordination der verschiedenen Abläufe und Auf­gaben.­


13 Im Rahmen der Führungsorga­ nisation stellt sich der Einsatz des Leitenden Notarztes und LtS des Or­ganisatorischen Leiters RA NA wie in Abb. 2 dar. als vorläufiger LNA und OrgL Der zuerst eintreffende Notarzt legt zusammen mit einem RA RA NA Ret­ tungs­assistenten die Grund­ SEG lage für die abgebildete Füh­ RA RA NA rungs­o rganisation. Er über­ nimmt vor­übergehend viele der RA RA NA Aufgaben, die der Leitende Not­ arzt, wäre er schon vor Ort, NA RA RA durch­führen müßte. Füllt der Abb. 2 Not­arzt diese Aufgaben nicht aus, entsteht ein Führungs­va­ ku­um, in dem sich unkontrolliert Entwicklungen vollziehen, die die erfolgreiche Bewälti­gung des Schadenereignisses schwierig oder sogar unmöglich machen. Zuerst eintreffen­der Notarzt und ein Rettungsassistent müssen Aufgaben des Leitenden Notarztes und des Organisatorischen Leiters übernehmen, bis diese eintreffen. Nach ihrem Eintreffen bilden Leitender Notarzt und Organisato­ rischer Leiter vor Ort die Sanitätseinsatzleitung (SanEL) oder die rettungsdienstliche Einsatzleitung (EL Rett), in Hessen eine tech­ nische Einsatzleitung. Die Bezeichnungen in den verschiedenen Bundesländern differieren dabei. In manchen Bundeslän­dern­ ist eindeutig bestimmt, daß bei rein medizinschen Einsatzlagen die Einsatzleitung auch allein beim Leitenden No­tarzt lie­gen­ kann. So führt der Rahmenplan für Rheinland-Pfalz dazu aus:­­

EL

„In bestimmten Fällen, insbesondere dann, wenn vornehmlich Ärzte und Sanitäter zur Abwehr der Gefahr benötigt werden, kann die Einsatzleitung von dem Leitenden Notarzt, bis zu des­ sen Eintreffen vom Organisatorischen Leiter, als Beauftragter im Sinne des § 25 Abs. 1 LBKG wahrgenommen werden.“


14 Der Leitende Notarzt hat dann die Befugnisse, wie sie der Einsatzleiter nach § 26 LBKG be­sitzt. Er ordnet alle notwendigen Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen an. Oberste Richtschnur für sein Handeln ist eine erfolgreiche Einsatzbewältigung. Er muß jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel beachten. In der Wahl der zu treffenden Maß­nahmen ist er aber unter Berücksichtigung dieser genannten Einschränkung frei. Er muß die von ihm getroffenen Maßnahmen auch verantworten. § 7 Abs 1 des HRDG bestimmt: „Zur Sicherstellung der rettungsdienstlichen Versorgung bei grö­ ßeren Notfallereignissen unterhalb der Katastrophenschwelle ist für jeden Rettungsdienstbereich eine technische Einsatzleitung einzurichten. Der technischen Einsatzleitung gehören mindestens eine Leitende Notärztin oder ein Leitender Notarzt und eine or­ ganisatorische Leiterin oder ein organisatorischer Leiter an.“ Im Rahmen der Führungsorganisation müssen der zuerst eingetroffene Notarzt und der Rettungsassistent wissen, welche Aufgaben sie zu übernehmen haben. Fragen der Führungsorganisation sind also auch verbunden mit dem Wissen um die notwendigerweise zu übernehmenden Aufgaben. 2.1.2 Der Einsatz mit Feuer­wehr Der zweite denkbare und in der Regel wahrscheinlichere Fall bezieht sich auf eine Situation, bei der die Feuerwehr mit dem Ret­tungsdienst zum Einsatz kommt. Hier hat nach den meisten Länderregelungen der Einsatz­leiter der Feuerwehr das Sagen. Die Führungsorganisation sieht dann wie in Abb. 3 aus. Dabei kann der Leitende Notarzt zu einem späteren Zeitpunkt mit Unterstützungskräften eine eigene sanitätsdienstliche oder rettungsdienstliche Einsatzleitung bilden, die dem Gesamteinsatz­ leiter unterstellt ist, oder der Leitende Notarzt wird selbst Teil der Gesamtein­satzleitung, so beispielsweise in Hessen nach § 7 Abs. 2 HRDG und in Nordrhein-Westfalen. Dies bedeutet aber auch, daß der Notarzt, der zuerst vor Ort war, diese Aufgabe wahr-


15 ­­neh­men muß, wenn der Leiten­ de Notarzt noch nicht oder überhaupt nicht zur Verfü­gung EL steht. Es versteht sich also fast von selbst, daß der zuerst einLtS getroffene Notarzt sofort KonRA NA takt zum Einsatzleiter der Feuals vor- als vorerwehr sucht. Bestimmte Festläufiger läufiger LNA OrgL legungen, die zwar den ret­ tungsdienstlichen Bereich beRA RA NA treffen, sollte der Notarzt nicht SEG treffen, ohne Rücksprache mit RA RA NA dem Einsatzleiter der Feuer­ wehr­ genommen zu haben. RA RA NA Füh­­rungsorganisation bedeutet auch, Führung abzusprechen NA RA RA und somit zu koordinieren. Abb. 3 Selbstverständlich wird der Ein­­satzleiter der Feuerwehr sich in medizinischen Fachfragen stets dem Fachverstand des Not­arztes beugen, er muß aber bei allen einsatztakti­schen Grundsatzfragen zustimmen. So kann der Notarzt nicht ohne Zustim­ mung des Einsatzleiters den Ort für Verletz­ten­ablagen bestimmen, da durch Zusatzgefährdungen, beispielsweise Brandaus­ brei­tung,­ umstürzende Mauern oder sich aus­brei­tende Schadstoff­ wol­ken, eine weitere Gefährdung eintreten kann. Hier ist die Ko­ordi­­nie­rung, ja sogar die Zu­stim­mung des Einsatzleiters notwendig. Viele an­dere Situationen sind denkbar. Eine enge Abstimmung und eine stän­dige Unterrichtung zwischen zuerst eingetroffenem Notarzt und Einsatz­leiter der Feuerwehr sind notwendig und die Grund­lage für eine vertrauensvolle Zusam­men­ arbeit. Der zuerst eingetroffene Notarzt sollte nach einer ersten Erkundung eine gezielte Rückmeldung an die Rettungsleitstelle ab­setzen sowie bewerten, ob die Einrichtung einer oder mehrerer Ver­letzten­ab­­lagen und sogar eines Behandlungsplatzes notwendig ist. Ferner sollte er mit Unterstützung eines Rettungsassistenten EL

Fw


16 einen Bereitstellungsraum für Rettungsdienstfahrzeuge festlegen. Alle drei Elemente die❏ räumlich nen ne­ben einem geordneten ❏ aufgabenbezogen rettungsdienstlichen Ablauf bei einer Vielzahl von Verletzten ❏ Schadenstelle auch der Ordnung des Rau❏ Verletztenablagen mes. Die gesamte Ordnung des ❏ Behandlungsplatz Raumes umfaßt die in Abb. 4 ❏ Bereitstellungsraum dargestellten sechs Elemente. für RettungsSomit wird aus rettungs­dienstdienstfahrzeuge licher Sicht die Scha­denstelle ❏ Hubschrauberstrukturiert und für den geziel­ landeplatz ten Einsatz nachrückender ❏ Sammelstelle für Unverletzte Kräf­te ein Fundament gelegt. Um es nochmals zu wiederholen: In der Regel genügt es, Abb. 4 wenn das zuerst eintreffende Rettungs­team eine oder meh­rere Ver­letztenablagen und einen Krankenwagenhalteplatz einrichtet und sich beim Einsatz von Hubschraubern darüber Ge­dan­ken macht, wo solche Maschinen bereitgestellt werden können. Leider ist immer wieder zu beob­ achten, daß diese notwendi­ge Strukturierung vergessen wird, sei es, daß der Notarzt sich einzelnen Verletzten zuwendet, sei es, daß er die Notwendigkeit struktureller Vorgaben nicht kennt oder nicht als üblich akzeptiert. Sie sind jedoch die Basis, auf der der Leitende Notarzt zu einem späteren Zeitpunkt aufbauen kann. Unterstützt wird der zuerst eingetroffene Not­arzt natürlich immer dann, wenn das gesamte Rettungsdienstpersonal Kenntnisse über den Ablauf bei einem Großschadenfall hat und beispielsweise eine Verletztenablage rich­tig aufbaut. Diese Ordnung und Strukturierung kommt letztendlich dem Verletzten zu Gute, der dann eine Chance beim Massenanfall von Verletzten hat, wenn die organisatorischen Bedingungen stimmen, damit die zur Verstärkung beorderten Einsatzkräfte zielgerichtet eingesetzt werden können. Einsatzschwerpunkte


17 Die räumliche Struktur einer Verletztenablage sollte wie in Abb. 5 aussehen. Die Verletztenablage ist au­ ßerhalb des Gefahrenbereiches auch die Schnittstelle (Über­ ga­b estelle) zwischen Brand­ schutz/Technischer Rettung und Rettungsdienst. Dies gilt besonders immer dann, wenn Materialdurch bestimmte Gefährdunachse gen, beispielsweise Brandga­ Ausgang se, es dem Rettungsdienst Abb. 5 über­h aupt nicht möglich ist, direkt im Gefahrenbereich tätig zu werden. Die Schnittstelle trägt dazu bei, die Einsatzstelle zu ord­nen. Einsatztaktisch ist es immer am günstigsten, wenn Brand­schutz/Technische Rettung und Rettungsdienst aus zwei unterschiedlichen Richtungen angreifen. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß einzelne Rettungs­ teams im eigentlichen Schadenbereich tätig werden können, so beispielsweise in den Eisenbahnwaggons nach einem Zug­ unglück, um die Eingeklemmten notfallmedizinisch zu versorgen, bevor sie durch die Technische Rettung befreit werden. Dies ist einsatztaktisch aber nur dann zu rechtfertigen, wenn der Kräfteaufwuchs entsprechend ist.

Eingang

2.1.3 Der Einsatz im Katastrophenfall Der „Katastrophenfall“* tritt zwar selten ein, er muß jedoch bei der Betrachtung der Füh­rungsorganisation eine Rolle spielen. Katastrophenschutzbehörde ist in der Regel die kreisfreie Stadt oder der Landkreis. *  Einige Bundesländer kennen diesen „Katastrophenfall“ nicht mehr und umschreiben ihn mit anderen Worten, so z.B. Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.


26 2.3 Der Ablaufplan des Führungsvorgangs beim MANV Wer befand sich nicht schon einmal in der Situation, ein neues Auto kaufen zu müssen oder zu wollen. Der ein oder andere Leser­ mag an dieser Stelle stutzen und sich die Frage stellen, was das mit dem Thema Führungsvorgang zu tun hat. Auf den ersten Blick sicherlich wenig. Bei näherer Betrachtung stellt man jedoch einige Gemeinsamkeiten fest.

Womit beginnt ein Autokauf? Zunächst ist da die Notwen­dig­keit, ein neues Auto zu kaufen. Das Ziel ist also klar formuliert. Nun beginnt die Suche nach einem geeigneten Modell: Besuche bei Händlern, Befragung von Bekannten und das Studium von Fachzeitschriften und Prospekten. Allmählich kristallisieren sich Modelltypen heraus, die in Frage kommen. Nun geht es darum abzuwägen, welche Vor- und Nachtei­l­e­einzelne Modelle haben. Prioritäten werden gesetzt und letztlich ein Entschluß gefaßt. Am Ende steht der Kauf, der durch die Unterschrift unter den Kaufvertrag besiegelt wird. Was haben wir eigentlich hier gemacht? Wir haben unser Denken und Handeln nicht dem Zufall über­lassen, sondern ziel­


27 ge­rich­tet geordnet. Wir haben die La­ge fest­gestellt, geplant, indem wir einzelne AspekAuftrag / Einsatz te beurteilt und abgewogen L g (Erk ag e un un f haben. Wir ha­ben uns für ein eb d Phase 3 Phase 1 Modell ent­schlos­­sen und mit dem Kauf­vertrag den „Befehl“ zum Au­tokauf gege­ben. hl uß lu n Mit diesem Vergleich zeigt i e t B eu r P la nung sich, daß der Führungsvorgang Phase 2 keine theoretische Konstrukti­ Abb. 12 on zu Ausbildungszwecken dar­stellt, sondern alltäglich angewandte Praxis in vielen Lebensbereichen ist - und vor allem in der Gefahrenabwehr. Für den Einsatz beim Massenanfall von Verletzten und Erkrank­ ten (MANV) ist unter taktischen Gesichtspunkten die Sicherstel­ lung des Einsatzerfolges nur durch ein geordnetes Denken und Handeln aller Beteiligten zu erreichen. Sowohl in der Ausbildung im Katastrophenschutz als auch bei den Hilfsorganisationen und teilweise im Rettungsdienst wird zur Strukturierung der im Einsatz anstehenden Führungs- und Entscheidungsprozesse der sogenannte Führungsvorgang als Mittel zur Entscheidungsfindung angewandt. Das zu Beginn skizzierte klassische Modell des Führungsvor­ gangs ist wegen seiner starken Vereinfachung nur bedingt in der Lage, die in der Praxis ablaufenden komplexen Denk- und Handlungsabläufe zu erfassen. Um dieses Defizit sowohl für die Ausbildung als auch für den Einsatz auszugleichen, hat man im Bereich der Feuerwehr ein praxisorientiertes Modell, den sogenann­ ten „Ablaufplan des Führungsvorgangs“ entwickelt.* Dieses Modell kann übertra­gen­werden auf das geordnete Denken und Handeln beim MANV und stellt somit für das ersteintreffende Rettungsteam an der Einsatzstelle eine wertvolle Hil­fe dar. Insofern c ts

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* Schröder, 1995, S. 23

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Schema des Führungsvorganges


28

Lage

Allgemeine Lage, Eigene Lage, Schaden/Gefahrenlage Lagefeststellung Erkundung/Kontrolle Reicht die Lagefeststellung zur augenblicklichen Planung aus?

➡ Dieses Symbol kennzeichnet den An­f ang bzw. das Ende eines Vorgangs.

nein Lademeldung/ Nachforderung!

ja Welche Gefahren, Verletzungsmuster, Erkrankungen sind erkannt? Muß zuerst eine Gefahr beachtet werden?

ja

Welche Unterstützung ist notwendig?

➡ Dieses Symbol kennzeichnet eine Entscheidungsfrage, die mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten ist.

nein Welcher Einsatzschwerpunkt muß zuerst angegangen werden? (Schadensstelle, Verletztenablage(n), Verbandplatz)

➡ Dieses Symbol kennzeichnet aus­ zuführende Denk- und Handlungs­ an­wei­sungen.

Welche Möglichkeit der Verletztenversorgung besteht? Müssen für diePlanung weitere Gefahren/Komplikationen berücksichtigt werden?

ja

nein Welche Möglichkeit der Verletztenversorgung ist die beste? Nach welchen Sichtungskategorien müssen die Verletzten/Erkrankten versorgt werden?

Entschluß? Absicht/ Grundzüge/Nachforderung

Befehl!

(Lage, Auftrag, Durchführung, Versorgung, Führung und Verbindung)

Lademeldung/ Nachforderung!

ja

Sind weitere Gefahren/Komplikationen möglich?

nein nein

Sind alle Verletzten/Erkrankten versorgt - alle Aufgaben abgearbeitet?

ja Abschließende Maßnahmen?

Einsatzende

Abb. 13: Der Führungsvorgang

Mit einem ? sind alle Einzelpunkte des Führungsvorgangs versehen, die ausschließlich als Denkprozeß ab­laufen. Ein ! weist darauf hin, daß es sich um eine Tätigkeit mit Wirkung auf andere Personen handelt. Die Füh­ rungskraft muß hierbei durch Wort und/oder durch Bewegung aktiv werden.

Abb. 14

handelt es sich bei dieser Über­ tragung nicht um einen völlig neuen Führungsvorgang, sondern um eine denk-, hand­ lungs- und praxisorientierte Wei­terent­wick­lung. Letztlich ist es die Grundlage für jegli­ ches tak­t ische Handeln und kann dar­über hinaus zu einer Vereinheit­li­chung im Bereich der Ausbil­dung und des Einsatzes führen.


29

Der Führungsvorgang ist ein zielgerichteter,­immer wiederkehrender und in sich geschlossener Denk- und Handlungsablauf. Er vollzieht sich auf allen Führungsebenen und in allen Bereichen.* Ausgangspunkt ist ein erhaltener oder vorhandener Auftrag, der das zu erreichende Einsatzziel formuliert. Was die in dem Flußdiagramm benutzten Symbole im einzelnen bedeuten, erklärt Abb. 14. Lage Ausgangspunkt für die Entwicklung des Einsatzes ist vor dem Hintergrund des erhaltenen Auftrages eine Lage. Teilaspekte dieser Lage sind: Die allgemeine Lage • örtliche Verhältnisse • Wetter • Zeit • Verkehrslage • Verhalten nicht betroffener Personen Die Gefahren-Schadenlage • Art, Ursache und Umfang des Schadens und bestehender Gefahren sowie deren voraussichtliche Entwicklung • Anzahl der Betroffenen • Anzahl der zu versorgenden Verletzten/Erkrankten Die eigene Lage • Art und Anzahl der bereits eingesetzten Einsatzkräfte bzw. Rettungsmittel * KatS-Dv 100, S. 23


K. Maurer, H. Peter (Hrsg.) H. Peter, Th. Mitschke, Th. Uhr Als erster an der Großunfallstelle – was ist zu tun? Wie und wo richtet der Rettungsassistent sinnvoll den Hubschrauberlandeplatz ein? Wie wird Panik vermieden? Wer kümmert sich bis zum Eintreffen des LNA um Sichtung und Aufteilung der Verletzten in Behandlungsgruppen? Fragen, auf die dieses erfolgreiche Buch nunmehr in der dritten Auflage mit grundlegenden Tips und Regeln zum richtigen Verhalten, mit ein-

gängigen Schemata für den Einsatz und mit klaren Praxishinweisen antwortet. Es ist damit allen Rettungsassistenten und Notärzten eine bewährte Hilfe – denn jeder kann in die Situation geraten, zum ersteintreffenden Rettungsteam bei einem Massenanfall von Verletzten, einem Großunfall zu gehören. Die dritte Auflage wurde komplett durchgesehen und – vor allem hinsichtlich der Taktischen Zeichen – aktualisiert.

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