Betroffene brechen Tabu Chronische Darmerkrankungen frühzeitig erkennen und behandeln In der Schweiz haben sich Betroffene mit chronisch entzündetem Darm, englisch «Inflammatory Bowel Disease» (IBD) – wie etwa dem Morbus Crohn oder der Colitis ulcerosa mit Angehörigen in der Vereinigung SMCCV zusammengeschlossen. Sie feiern derzeit nicht nur das 25-jährige Bestehen: Bei einer Zusammenkunft haben sie unter Anleitung des Dokumentarfilmers Stefan Haupt erste Videostatements gedreht, die ihrem Leiden ein Gesicht geben und gängige Tabus brechen sollen. «Unsere Öffentlichkeitsarbeit ist ganz wichtig, denn ich merke immer wieder, dass wir dadurch anderen helfen können. Dies indem wir uns zeigen und etwas von unserer Krankheit und unserer Geschichte erzählen», sagte der Präsident der Schweizerischen Morbus Crohn/ Colitis Ulcerosa Vereinigung (SMCCV) Bruno Raffa zu Beginn des SMCCV Workshops «Movies & More». Beim Start der Vereinigung vor 25 Jahren konnte sich niemand vorstellen, zur eigenen Krankheit Stellung zu nehmen. Das Leiden galt als schmutzig, weil es mit dem Darm und der Ausscheidung zu tun hat. «Es geht um Bauchweh, WC und die Psyche», so Raffa. Alles Vorurteile, welche die Betroffenen ins Abseits stellen. Doch letztlich geht es für den Präsidenten der Patientenvereinigung darum, mit
Öffentlichkeitsarbeit das Leiden bekannt zu machen. Dies schafft ein grösseres Bewusstsein seitens der Öffentlichkeit und der Hausund Familienärzte, an die sich die meisten Patienten zuerst wenden. Dies soll eine schnellere Diagnose gewährleisten und damit Betroffenen zu einer rechtzeitigen professionellen Behandlung und damit einer besseren Lebensqualität verhelfen.
Einführung vom Profi Mit Stefan Haupt konnte Raffa einen renommierten und für seine einfühlsamen Interviews bekannten Dokumentarfilmer gewinnen. Haupt gab den Anwesenden ei-
Worte illustrierte er mit Beispielen aus DOK-Filmen über Elisabeth Kübler-Ross sowie über Argyris, einen Griechen, der als Kleinkind seine Eltern bei einer brutalen NAZI-Vergeltungsaktion in Griechenland verlor. Mit dieser Einführung waren die Teilnehmerinnen und TeilnehEindruck vom Workshop «Movies & More» mer gut gewappnet, mit dem Präsidenten der SMCCV, Bruno sich gegenseitig über Raffa (rechts) ihr Leiden zu befrastützt damit das Anliegen des gen und die Antworten auf kürSMCCV (siehe Abbildung Mitte). zere Videosequenzen zu bannen. Die besten Sequenzen Krankheit oft falsch werden nun gesichtet, geschnit-
eingeschätzt
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Neue Website zoomt auf den Alltag mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa
Die neue Website ist ein Projekt der Schweizerischen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (SMCCV). Der Name ist Programm: «Aus dem Bauch heraus» gibt Betroffenen die Möglichkeit, in Filmform von sich selber und dem Alltag mit Crohn oder Colitis zu berichten: wie der Name es sagt, mit viel subjektivem Bauchgefühl. Zoomen Sie auf den Alltag mit diesen chronischen entzündlichen Krankheiten des Verdauungstraktes: www.ausdembauchheraus.ch
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nen kurzen aber beeindruckenden Einblick in sein Schaffen und seine Vorgehensweise, speziell bei Interviews zu Themen mit grosser persönlicher Betroffenheit. Seine
ten und auf die Webseite von «ausdembauchheraus.ch» gestellt. Die neue Website «zoomt auf den Alltag mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa» und unter-
Annette B. (44): Es begann schon in der Sek. «In der Sekundarschule wurde ich häufig von Bauchschmerzen und Durchfällen geplagt. Immer wieder musste ich zur Toilette. Essen war für mich immer ein Stress, ich konnte nie ruhig essen», sagt Annette im Video, das ihre Kolleginnen während des Workshops mit ihr drehen. Nach der Sek arbeitete Annette als Pflegerin im Spital. Die Beschwerden hielten an und trotz Blutuntersuchungen wurde die richtige Diagnose nicht gestellt. Mit 25 heiratete sie und kurz nach der Heirat kamen die ersten gefährlichen Komplikationen: Darmverschluss. Nach einer elfjährigen Leidensgeschichte musste zuerst eine Komplikation eintreten, bis endlich die richtige Diagnose eines Morbus Crohn gestellt wurde. Heute wird sie von Spezialisten behandelt und von einem einfühlsamen Hausarzt betreut. Dank guter Betreuung ist die Familie um zwei Töchter gewachsen. Nicht gegen, sondern mit der Krankheit hat Annette aktiv ihr Schicksal und auch alle Rückschläge gemeistert. Eine wichtige Rolle hat von Beginn weg der SMCCV gespielt, bei dem sie seit der Diagnose Hilfe und starken Rückhalt gefunden hatte. «Ich habe dort sehr viel gelernt, auch wie andere mit der Krankheit umgehen», so Annette abschliessend. 44
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In der Schweiz leiden rund 15 000 Menschen an unterschiedlichen Formen des IBD. Bei diesem Leiden spielt das Immunsystem der Darmwand verrückt. Als Folge davon vermag die chronisch entzündete Darmwand den Austausch von Flüssigkeit und Stoffen nicht mehr reibungslos zu gewährleisten. Leider wird die Krankheit oft nicht sofort erkannt. Einige Betroffene warten gemäss einer kürzlich publizierten Nationalfondsstudie jahrelang auf ihre Diagnose, auch wenn sie schon einige Monate nach Ausbruch des Leidens medizinischen Rat einholen. Junge Menschen tragen das höchste Risiko, dass eine frühzeitige Diagnose verpasst wird. Bei jungen Leuten schätzten viele Ärzte offenbar die Krankheit zuerst falsch ein, weil die Symptome denen eines Reizdarms sehr ähnlich seien, schreiben die Autoren der Studie.
Verspätete Diagnose Die Folgen einer verspäteten Diagnose und damit nicht behandelten Krankheit sind Komplikationen und irreversible Schädigungen des Darmtraktes sowie eine stark eingeschränkte Lebensqualität. Urs Tiefenauer-Hürbin