Dieter Rams – Gutes Design ist wenig Design. Hausarbeit im Seminar: Was ist Design bei Prof. Siegfried Gronert Sommersemester 2010 Sandra Leidecker Matrikel 70282 Bauhaus-Universität Weimar
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1 2.1 2.2 3 3.1 3.2 3.3 4 4.1 4.2 4.3 4.4 5 6
Einführung Die Firma Braun Dieter Rams – eine Biografie Die Arbeit bei Braun Der Entwurfsprozess Gestaltungsethik Farbe Produktgegenüberstellungen Radio-Phono-Kombination Rasierer Kaffeemaschine Aromaster Taschenrechner Dieter Rams – eine Weltsicht Quellen
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Einführung
Vier Jahrzehnte war Dieter Rams Chefdesigner der Firma Braun. In diesen vierzig Jahren hat Rams mit seiner Arbeit den Kurs des Unternehmens maßgeblich mitbestimmt. Die funktionalen Braun-Geräte waren nicht nur in den 60er und 70er Jahren State of the Art, heutzutage kann man den Wert der zu Designklassikern aufgestiegenen Produkte gut an drei- und vierstelligen Preisen in Internet-Auktionen ablesen. Beginnend mit der Firmengeschichte von Braun und einer kurzen Rams-Biografie werde ich mich in dieser Ausarbeitung mit den 10 Thesen befassen, welche laut Rams gutes Design kennzeichnen und diese an einer Produktgegenüberstellung testen. In weiteren Kapiteln werde ich mich speziell den Themen Entwurfsprozess, Gestaltugsethik und Farbgestaltung der Braun-Geräte widmen. Zuletzt möchte ich untersuchen, welcher Weltsicht Rams Schaffen unterliegt und wie sich seine gestalterische Auffassung von den Produkten bis zum Einrichtungs-, ja sogar Lebens-Konzept erweitern lässt.
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2.1
Die Firma Braun
Die Firma Braun wurde 1921 in Frankfurt von dem Ingenieur Max Braun gegründet. Er stellte zunächst Produkte her, die er selbst entwickelt hatte. Schon den frühen Braun-Geräten wohnte eine besondere Neuartigkeit inne, so engagierte sich Max Braun auch frühzeitig in der Radiotechnik. Zu den wichtigen Innovationen gehörte beispielsweise die Kombination von Radio und Plattenspieler. Zu diesem Zeitpunkt war es Gang und Gebe, dass das Design von Produkten von den Konstrukteuren mitgestaltet wurde. Und bereits Max Braun legte Wert darauf seinen Produkten eine zweckgerechte Form zu geben. 1950 kamen der erste elektrische Trockenrasierer und die Küchenmaschine Multimix auf den Markt. Ein Jahr später starb Max Braun und seine beiden jungen Söhne Arthur und Erwin Braun übernahmen die Firmenleitung. Sie behielten das bisherige Produktprogramm bei, welches aus Radio- und Phonogeräten, Rasierern und Küchengeräten bestand, schlugen allerdings einen neuen Kurs ein, vor allem im Produktdesign. Anstoß gab vor allem Wilhelm Wagenfeld mit einem Vortrag, den er in Darmstadt hielt. Zitat: „Das Formfinden kann (...) zu Problemen führen, die gelöst werden müssen wie eine Forschungsaufgabe im chemischen und physikalischen Labor. Gleiches Eindringen in die Materie ist da vonnöten, gleiches Suchen und Tasten in langen Entwicklungsreihen und zuletzt das sorgfältige Überprüfen und Verändern in Gedanken an eine rationelle Fertigung.“ 6
1954 nahmen die Braun-Söhne Kontakt mit der gerade gegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm auf, deren erster Rektor Max Bill dem BauhausKonzept sehr nahe stand. Es entstand eine enge, Sympathie-getragene Zusammenarbeit und leitete das Ende der Holzmöbel-Ära ein. Vier Aspekte der Neuorientierung scheinen den Firmenoberhäuptern besonders wichtig: Erstens wollte man wirklich Produkte herstellen, die brauchbar waren und den Bedürfnissen der Menschen mehr entsprachen. Zweitens sollte die Neuorientierung auch die Technik, die Kommunikation, die Zusammenarbeit mit dem Handel und die Betreuung der eigenen Mitarbeiter betreffen. Zu diesem Zweck gründete man sogar einen Gesundheitsdienst mit Arbeitsausgleichsgymnastik, Vollwertkost und Saunabad. Drittens betraf die Neuorientierung das Design der Produkte, für welches von nun an Ulmer Gestalter, wie Hans Gugelot und Otl Aicher zu Rate gezogen wurden. Eine Informationsreise im Jahre 1956 in die USA, wo man das amerikanische Design von „Knoll International“ und Ray und Charles Eames bewunderte sowie eine weitere Reise nach Italien zu Necchi und Olivetti sollte neue Ideen bringen. Zuletzt war dieser neue Kurs natürlich nicht gerade ein sicheres Boot, sondern vielmehr ein unternehmerisches Wagnis. Jedoch hatte Braun damit Erfolg. Die Firma wuchs von Jahr zu Jahr und es kamen immer mehr Aufsehen erregende Produkte hinzu. Nach den Anfangserfolgen wurde der Vertrieb der neuen Produkte intensiviert und internationalisiert. Man nahm an internationalen Messen in Posen, Leipzig, Zürich, Amsterdamm und Paris teil. 1957 erhielt die Firma eine Auszeichnung auf der 11. Triennale in Mailand.
Eine Musterwohnung der Internationalen Bauausstellung in Berlin wurde fast ausnahmslos mit Braungeräten ausgestattet. Desweiteren nahm Braun 1958 an der Weltausstellung in Brüssel teil, wo 16 Apparate als „hervorragende Beispiele deutscher Produktion“ gezeigt wurden. Im gleichen Jahr wurden Braun-Produkte in die ständige Sammlung des MoMA in New York aufgenommen. Die Firma Braun wuchs zu einer Instanz in Sachen Design heran. 1967 wurde Braun von der amerikanischen Firma Gilette aufgekauft, die wiederum 2005 von Procter & Gamble gekauft wurde.
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Dieter Rams, knapp 40 Jahre lang Chefdesigner der Firma Braun 8
2.2
Dieter Rams – eine Biografie
Dieter Rams wurde 1932 in Wiesbaden geboren. Durch seinen Großvater, der Schreinermeister war, beschäftigte sich Rams frühzeitig mit dem Tischlerhandwerk. 1947 nahm er das Studium der Architektur und Innenarchitektur an der Werkkunstschule Wiesbaden auf, welches er für eine dreijährige Ausbildung zum Tischler unterbrach. 1953 hatte Dieter Rams sein Diplom mit Auszeichnung gemacht. Von 1953 – 55 arbeitete er im renommierten Architekturbüro Otto Apel, bevor er 1955 zu Braun kam. In einem Brief an Erwin Braun (1979) schreibt er, wie es dazu kam: „Ich kannte Braun überhaupt nicht. Trotz dem bewarb ich mich. Ebenso mein Kollege. Es ging um eine Art Wette: Wer von uns beiden würde Antwort auf seine Bewerbung bekommen? Ich bekam eine Antwort.“ Bei Braun wurde Rams zunächst als Innenarchitekt eingestellt, um die Qualität der Büro-, Ausstellungsund Gästeräume zu verbessern. 1956 stellte er sich den ersten Aufgaben als Produktdesigner. Neben der Überarbeitung eines Radioentwurfs für den WK-Verband (WK steht für „Wohnungskunst“ – ein 1913 gegründeter Verband, der sich für die Produktion und den Vertrieb von Reformmöbeln einsetzte), wurde er auch mit seiner ersten völlig eigenständigen Produktentwicklung betraut: der automatische Diaprojektor PA 1. Kurz darauf bereits arbeitete Dieter Rams in Zusammenarbeit mit Hans Gugelot, zu diesem Zeitpunkt Dozent an der Hochschule für Gestaltung Ulm, am Radio-Phono-Gerät SK 4. Dies bedeutete die erste direkte Zusammenarbeit mit der
HfG Ulm. Fünf Jahre später wurde er bereits zum Leiter der Produktdesign-Abteilung bei Braun ernannt. Ab 1968 bekleidete er den Posten des Direktors für Produktdesign und 1988 – nach einer mehr als 30-jährigen Schaffensperiode bei Braun – wurde er zum Generalbevollmächtigten. Dieter Rams hatte sich bei Braun über all die Jahre einen Status erarbeitet, der ihn von der Designabteilung bis in die Führungsriege hatte aufsteigen lassen. Er selbst versteht sich nicht als Erfinder des Braun Design, jedoch auch nicht als Ausführer von Ideen anderer, weil er „schon immer ‚Braun Design‘ gemacht habe – auch als (er) noch gar nichts von Braun wusste.“ (Q. 03, S. 356) Neben seiner Tätigkeit als Chefdesigner bei Braun lehrte Rams von 1981 – 1997 als Professor für Industriedesign an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Seine Produkte wurden in zahlreichen Ausstellungen in den USA, in Schweden, Portugal, Japan, Russland, England und natürlich Deutschland gezeigt. Er erhielt verschiedene Ehrungen, darunter 2002 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und 2007 den Design Preis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk. Dieter Rams war Mitglied des „Deutschen Werkbundes“, Vorstandsmitglied, Präsident und Ehrenstifter des Rats für Formgebung, Mitglied des Vorstandes im International Council of Sociaties of Industrial Design und Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Heute wohnt er mit seiner Frau in seinem Haus in Kronberg im Taunus.
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Die Arbeit bei Braun
3.1
Der Entwurfsprozess
Gutem Design geht ein längerer Entwurfsprozess voraus, der durch viele Dinge beeinflusst wird. Für Dieter Rahms bedeutet dieser Prozess weniger das Entwerfen im üblichen Sinne, als vielmehr das Nachdenken, Lesen und Sprechen – Design ist Denkarbeit. Dabei soll das Produkt, welches dabei entsteht, seine Funktionen nach außen transportieren und sie nicht kaschieren. Rams arbeitet oft zuhause. Der Raum, den er zum Arbeiten nutzt, ist durch klare Linien und zurückhaltende Farben gekennzeichnet. Er besitzt eine große Fensterfront zum Garten. Die Verbindung zu traditioneller japanischer Architektur, welche die Ästhetik leerer Räume mit einer präzisen Gliederung und sorgfältiger Gestaltung zelebrieren, ist nicht zu übersehen. Seine Entwurfstechnik übernahm Rahms vom Architekturbüro Apel, in dem er drei Jahre lang arbeitete, bevor er die Tätigkeit bei Braun aufnahm. Zum Entwerfen benutzt er Transparentpapierrollen und einen weichen Bleistift. Durch die Transparenz des Papiers können durch Übereinanderlegen leicht Varianten einer Skizze hergestellt werden. Die Papierrolle besitzt im Gegensatz zum Skizzenblock keine Formatbegrenzung in der Breite, so dass eine Aneinanderreihung der Ideen möglich ist. Rahms zieht das eigenhändige Zeichnen dem Entwerfen am Computer vor. Ein weiterer wichtiger Schritt des Entwurfsprozesses bei Braun war die Herstellung von realitätsnahen Zwischenmodellen, womit zwei „Workshopdesigner“ und vier Modellbauer befasst waren. Für den Bau wurde zunächst Holz und Gips genutzt, später 10
dann verschiedene Kunststoffe. Die Arbeitsatmosphäre vor allem der frühen Jahre wurde von den Braun-Mitarbeitern als sehr intensiv und offen beschrieben. Marlene Schnelle, die ab 1956 in der Werbeabteilung arbeitete, berichtet: „Die Atmosphäre bei Braun war weiterhin durch den engen Kontakt zur Geschäftsleitung geprägt. (...) All das prägte ein Arbeitsklima, das unglaublich toll und intensiv war. Wir waren am Samstag ohnehin in der Firma, Sonntags- und Nachtarbeit waren an der Tagesordnung. (...) Alles in allem kann man sagen, dass diese intensiven Jahre des Anfangs mehr vom Machen als vom Reden geprägt waren.“
3.2
Gestaltungsethik
Rams stellte sich die Frage – und stellt sie sich noch – was man feststellen würde, wenn man die Welt vollkommen unvoreingenommen, wie ein Besucher von einem fremden Planeten kommend, betrachten würde. Es ist gut sich diese Frage zu stellen, da man besser zu einem unverfälschten Bild gelangt, wenn man etwas von außen betrachtet. Seine Betrachtungen brachten ihn zu der Ansicht, dass die Menschen doch in einer unglaublich vielgestaltigen Umgebung leben. Es herrsche eine undurchschaubare Konfusion von Formen, Farben und Geräuschen vor. Ihre Städte, ihre Häuser, ihre Kleidung, ihre Zeitungen und Zeitschriften, ihre Kaufhäuser und Geschäfte, ihre Fernsehstationen – fast alles um sie herum ist knallig, laut und verwirrend.
„Die Menschen auf der Erde sind offensichtlich süchtig nach optischen Reizen. Sie suchen ständig neue, noch stärkere visuelle Anreize. Ihre Kultur, die sie sich selbst nach ihren intellektuellen und moralischen Möglichkeiten geformt haben, ist weit entfernt von der Natur, die sich über Milliarden von Jahren auf ihrem Planeten entwickelt hat.“ Vor allem in der zweiten Hälfte seiner Beruflichen Tätigkeit begann Rams sein Schaffen als Industriedesigner theoretisch zu reflektieren und brachte sein Wissen in zahlreichen Vorträgen und Veröffentlichungen zum Ausdruck. Bereits 1975 finden sich Ansätze zu den zehn Thesen des guten Designs in seinen Vorträgen, die Rams zehn Jahre später bei einem Vortrag in Washington während des ICSIDKongresses ausformulierte. Drei allgemeingültige Gesetze bilden den Kern von Rams Ausführungen: Das Gesetz der Ordnung, das Gesetz der Harmonie und das Gesetz der Sparsamkeit, die er der dekorativen Verspieltheit des für ihn unerträglichen postmodernen Designs entgegensetzt. Dennoch sind seine Thesen nicht Dogma, vielmehr Leitfaden oder Designethik, die sich auch auf den gesamten Lebensstil ausweiten lassen. Im folgenden gebe ich die zehn Thesen des guten Designs in verkürzter Form wieder.
3.2.1 10 Thesen des guten Designs Gutes Design ist innovativ. Wenn das Design des Produktes nur der Verschiedenheit wegen anders ist, wird es kaum gutes Design sein. Wenn Rams
von innovativen Produkten spricht, denkt er nicht an Science-Fiction-Produkte mit einer vollkommen neuen Technologie, sondern an Produkte, mit denen wir alle vertraut sind. Gutes Design macht ein Produkt brauchbar. Man kauft ein Produkt, um es zu benutzen. Es soll bestimmte Funktionen erfüllen – Primärfunktionen ebenso wie ergänzende psychologische und ästhetische Funktionen. Der Designer, der ein wirklich funktionales Produkt entwickeln will, muss sich in die Rolle der Beutzer hineindenken und -versetzen und ihre Bedürfnisse und Wünsche verstehen. Der Designer ist der Anwalt der Gebraucher. Gutes Design ist ästhetisch. Die ästhetische Qualität eines Produktes ist integraler Aspekt seiner Brauchbarkeit. Denn Geräte, die man täglich benutzt, prägen das persönliche Umfeld und beeinflussen das Wohlbefinden. Schön sein kann aber nur, was gut gemacht ist. Gutes Design macht ein Produkt verständlich Es verdeutlicht auf einleuchtende Weise die Struktur des Produkts. Mehr noch: es kann das Produkt zum Sprechen bringen. Im besten Fall erklärt es sich selbst. Der Benutzer soll erkennen können, was das Produkt macht, wie es zu bedienen und zu benutzen ist, wie es funktioniert und schließlich, was es wert ist. Gutes Design ist unaufdringlich. Produkte sind keine Lebewesen oder Kunstwerke. Design sollte Produkten den richtigen Platz in unserem Leben zuweisen. Gute Produkte kann der Benutzer einfach und natürlich akzeptieren – ohne dass sie die Illusion erzeugen, bombastisch oder verlockend zu sein. Sie sollten so neutral und zurückhaltend wie möglich 11
sein und dem Benutzer Raum lassen, sich selbst auszudrücken. Gutes Design ist ehrlich. Es lässt ein Produkt nicht innovativer, leistungsfähiger, wertvoller erscheinen, als es in Wirklichkeit ist. Es versucht nicht, den Verbraucher durch Versprechen zu manipulieren, die es dann nicht halten kann. Diese Unehrlichkeit beinhaltet immer ein Element des Betrugs – oder verleitet den Käufer zum Selbstbetrug. Es ist eine Frage der Achtung vor dem Käufer und Benutzer jeglichen Täuschungsversuchen zu widerstehen. Gutes Design ist langlebig. Es vermeidet modisch zu sein und wirkt deshalb nie antiquiert. Im deutlichen Gegensatz zu kurzlebigem Mode-Design überdauert es auch in der heutigen Wegwerfgesellschaft lange Jahre. Rams ist überzeugt, dass Design heute bewusst dazu beitragen muss, die Kreisläufe der Produkterneuerung und unsere Wegwerfgewohnheiten zu verlangsamen. Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail. Ein wirklich abgerundetes Produkt muss in all seinen verschiedenen Aspekten gut sein und eine vollständige und überzeugende Einheit darstellen. Gründlichkeit und Genauigkeit der Gestaltung sind letztlich Ausdruck des Respekts dem Verbraucher gegenüber. Gutes Design ist umweltfreundlich. Das Design leistet einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Umwelt. Der Designer kann zur Einsparung von Rohmaterial und Energie während des Herstellungsprozesses eines Produktes beitragen, indem er Materialien bewusst wählt und einkalkulieren, dass bei Benutzung des Produktes Energie gespart wird, es weniger leicht verschmutzt und nicht mit Hilfe 12
vieler Reinigungsmitteln gesäubert werden muss. Auch visuelle Umweltverschmutzung verursacht eine Belastung unserer Lebensqualität. Gutes Design ist sowenig Design wie möglich. Eines der wichtigsten Prinzipien für Rams ist, das Unwichtige wegzulassen um das Wichtige zu betonen. Reduzierung in Jeder Hinsicht. Eine der wichtigsten Aufgaben des Designers heute ist die, mit dazu beizutragen, das Chaos, in dem wir leben, zu lichten. Eine einfach Form ist im Allgemeinen schwieriger zu entwickeln, Design auf das Wesentliche zu beschränken, bedeutet oft höhere Herstellungskosten. Aber die Mühe lohnt sich. Formen werden langlebig und verständlich.
3.3
Farbe
Das Thema Farbe im Braun Design ist ein Punkt, den ich kurz etwas näher beleuchten möchte, da es mir offensichtlich scheint, dass bei Braun sehr bewusst mit Farbe umgegangen wurde. Dieter Rams hat sich immer dafür eingesetzt, dass für das Braun-Design keine bunten Farben verwendet werden. Eingesetzt wurden statt dessen Weiß, helles Grau, Schwarz oder unmittelbare Metallfarben wie Aluminium natur oder dunkel eloxiert und Velourchrom. Diese Zurückhaltung ergab sich aus einem der Kernpunkte von Brauns Designphilosophie: Geräte für den persönlichen Gebrauch sollten möglichst unauffällig sein, zurücktreten und sich in die Umgebung einfügen, denn starke Farbakzente können stören und belasten, vor allem, wenn man das jeweilige Gerät über Jahre hinweg nutzen möch
te. Ein dezentes, unaufdringliches Farbdesign lässt dem Benutzer die Chance, seine Umgebung neu zu gestalten, seiner Wohnung farblich „einen neuen Anstrich“ zu geben. Nur wenige Produkte sind rot, gelb oder blau, wie Kaffeeautomat, Toaster, Uhr und Tischfeuerzeug, als Alternativen für Menschen, die einen solchen Farbakzent beispielsweise einem bunten Blumenstrauß vorziehen. Farben werden bei Braun allerdings zur Information eingesetzt, z.B. bei HiFi-Geräten und Taschenrechnern wurde eine Farbcodierung entwickelt und beibehalten. Bei der Funkuhr time control DB 10 fsl digital von 1991 sind die Bedientasten für Ziffern dezent schwarz. Die StartTaste, die sich unten rechts im Ziffernblock befindet, hebt sich durch ein sattes Gelb gut von den übrigen Tasten ab. Die Tasten „time“, „alarm time“, „snooze time“, „date“ und „alarm on/off“ befinden sich links vom Ziffernblock und sind durch eine längliche Tastenform und zusätzlich durch einen braunen Farbton von den anderen gut zu unterscheiden. Auch hier wurden keine knalligen Farben verwendet, sondern eine dezente Kombination aus Schwarz, Braun und Gelb.
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Musiktruhe WESTFALEN, ca. 1959–1961, mit Röhrenradio und DUAL Plattenspieler
„Schneewittchensarg“ Phono-Super SK 4, von Hans Gugelot und Dieter Rams, 1956
links Remington roll-a-matic Elektro Rasierer aus den 50er Jahren rechts Braun micron vario 3, 1985 14
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Produktgegenüberstellungen
4.1
Radio-Phono-Kombinationen
Die Musiktruhe WESTFALEN ist ein Tonmöbel, das 1960 auf den Markt kam. Sie besteht aus Nussbaumfurnier. In der Musiktruhe befinden sich ein Röhrenradio und ein Plattenspieler DUAL 1007 hinter Schiebetüren. Darunter sind seitlich zwei Lautsprecher integriert. Desweiteren verfügt die Musiktruhe über zwei beleuchtete Fächer hinter verschließbaren Klapptüren, um LPs zu verstauen. Der „Schneewittchensarg“ Phono-Super SK 4 ist ebenfalls eine Kombination aus Radio und Plattenspieler, die Hans Gugelot und Dieter Rams 1956 entworfen haben. Der SK 4 ist ein erstes Beispiel der Nachkriegszeit für funktionales Design eines in Großserie hergestellten Gebrauchsgeräts. Er besteht aus den Materialien Holz, weiß lackiertes Metall und Plexiglas, was damals eine absolute Neuheit bei Alltags-Gebrauchsgütern darstellte. Die Plexiglasabdeckung, über die bei Braun lange nachgedacht wurde, trug dem Gerät im Volksmund den Namen „Schnewittchensarg“ ein. Neupreis betrug 325 Mark. Im vergleich wirkt der SK 4 von Braun durch die neuartige Materialverwendung viel moderner als die hölzerne Musiktruhe Westfalen. Der SK 4 bekommt durch seine Plexiglasabdeckung, über die bei Braun lange diskutiert wurde, eine besondere Leichtigkeit, die durch das weiß lackierte Metall noch unterstützt wird. Funktional ist die Plexiglasabdeckung, da eine Metallhaube unangenehme Resonanzen erzeugen konnte. Keine Haube kam für Erwin und Arthur Braun auch nicht in Frage. Die anfängliche Skepsis von Hans Gugelot, die durchsichtige Abdeckung
könne irgendwie zu „modisch“ wirken, wurde abgeschmettert und das fertige Gerät kam im November 1956 auf den Markt. Dass eine solche Plexiglashaube noch Jahrzehnte später der Standard für Phonogeräte darstellt, ist ein guter Beweise dafür, dass Braun die Entwicklung der Phonogeräte im allgemeinen revolutioniert hat. Der Musiktruhe Westfalen muss man zugute halten, dass eine beleuchtete Aufbewahrungsmöglichkeit für die Schallplatten gleich in das Tonmöbel integriert ist.
4.2
Rasierer
Die ersten Trockenrasierer in den 30er Jahren arbeiteten mit rotierenden Klingen, die von einem mechanischem Aufziehmotor angetrieben wurden. Die Rasur nannte sich von nun an Sicherheitsrasur, da kein offenes Messer verwendet wurde, sondern der Messerblock geschützt hinter einem Scherblatt lag. 1937 wurde in den USA der erste handliche Elektrorasierer von der Firma Remington angeboten. 1939 folgte Philips mit einem eigenen rotierenden 3-Klingen-Schersystem. Durchsetzen konnte sich die relativ teure Technik der Trockenrasur aber erst nach dem zweiten Weltkrieg. Der Remington roll-a-matic Elektro Rasierer aus den 50er Jahren wird damit beworben, dass er ein griffsicheres Gehäuse besitzt, eine moderne Form hat und auf einer Standfläche steht. Außerdem ist er einstellbar auf die Stärke des Bartes. Zur RasierAusrüstung, die in einer rot-samtenen Schatulle verkrauft wurde, gehört noch ein weißes Netzkabel und ein Puderstein. 15
Braun Kaffeeautomat Aromaster KF 20, 1972
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Kaffeeautomat Aromaster KF 40, 1984
Die Entwicklung des Elektro Rasierers bei Braun ist ein Design-Prozess, der nie zu Ende geht. Bei Braun ging es immer um Änderungen und Neuerungen zu Gunsten leichterer Handhabung, einfacherer Pflege, größeren Komforts, effizienterer Leistung, günstigerer Fertigung und geeigneteren Materials. Lange Zeit galt das Wissen, dass die Scherleistung umso besser sei, je größer die Kontaktfläche zwischen Scherkopf und Haut ist. Der „micron vario 3“ besitzt einen schmaleren Scherkopf, wodurch jedoch die Beweglichkeit und Erreichbarkeit schlecht zugänglicher Gesichtszonen verbessert wurde. Er ist in drei Stufen einstellbar, um auch kürzeres und längeres Haar zu schneiden. Um dem Benutzer diese Tatsache einfach und sicher zu vermitteln, wurde mit gezielter Produktgrafik gearbeitet. Das Gehäuses des micron vario 3 besteht aus ringförmigen Abschnitten, was zur verbesserten Dichtigkeit gegen Staub und Feuchtigkeit sowie zur Geräuschdämmung beiträgt. Die waagerecht angeordnete weiche Griffnoppen erhöhen die Flächenreibung und ermöglichen ein gutes Griffgefühl. Die Gehäuseoberfläche ist zu Reinigungszwecken glatt. Im Vergleich besticht der micron vario 3 durch ein funktionales, gut überlegtes Äußeres, das eine angenehme Haptik und eine leichte Reinigung des Geräts verspricht. Hingegen der Remington roll-amatic legt auf alte Werte, eine samtene Schatulle, die das Produkt wir ein Schmuckstück erscheinen lässt und ein großes Logo, das mehr Tradition als Innovation verkauft – alles in allem ein eher antiquiert wirkendes Gerät.
4.3
Kaffeemaschine Aromaster
Bei dem Beispiel der Kaffeemaschine biete es sich an, zwei Kaffeemaschinen von Braun miteinander zu vergleichen, da das erste Beispiel zwar sehr elegant und ästhetisch wirkt, jedoch unter Marktbedingungen nicht bestehen konnte, was die Entwicklung einer neuen Kaffeemaschine nach sich zog. Die herkömmliche Kaffeemaschine besaß einen klassischen L-Aufbau. Unten befand sich die Heizung, im Rücken der Kaffeemaschine der Wassertank. Bei der Entwicklung der KF 20, die 1972 auf den Markt kam, wollte man dem Ablauf der Kaffeezubereitung folgen. In einem oberen Tank wird Wasser erhitzt. Unter dem Tank befindet sich der Filtereinsatz für das Kaffeepulver, dann die Kanne auf der Warmhalteplatte. Die Grundplatte und das Oberteil sind durch 2 Metallrohre verbunden. Dieser Aufbau führt zu einer schlanken, fast geschlossenen Säule und lassen die Kaffeemaschine KF 20 besonders ästhetisch wirken. Sie wurde auch mehrfach für Design ausgezeichnet. Einen Nachteil jedoch besaß die KF 20: sie brauchte zwei Heizelemente, eines für das Aufheizen des Wassers im Tank und eines für das Warmhalten der Kanne auf der Grundplatte. Dieser Nachteil führte leider auch dazu, dass die KF 20 nicht erfolgreich wurde, da es im Übrigen auch noch billigere Konkurrenzprodukte gab. Dieser Fakt machte nach 12 Jahren schließlich eine Neuentwicklung nötig. 1981 wurde dem Designteam von Braun der Auftrag erteilt, eine rentable Kaffeemaschine zu entwerfen, die kostengünstig zu produzieren, aber nicht billig aussehen sollte. In Zusammenarbeit 17
Taschenrechner Commodore C108, 1971
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Taschenrechner BRAUN control ET 44
von Technik und Design wurde eine geschlossene, schlanke, kompakte Säulenform gefunden, die nur ein Heizelement erforderte. Bei der Kaffeemaschine KF 40, die 1984 auf den Markt kam, bilden Filter und Glaskanne einen Zylinder, um den sich der Wassertank als Halbzylinder schmiegt. Es kam Polypropylen, ein neues preisgüntiges Material, zum Einsatz, das produktionstechnisch sehr anspruchsvoll war, da es leicht bei der Verarbeitung schrumpft. Um diese Produktionsbedingten Abweichungen auszugleichen, gestaltete man die Ummantelung mit einer Kannelierung. Die Kaffeemaschine KF 40 verfügt über einen Schwenkfilter und einen automatischen Tropfstop. Bei der Anbringung des Griffs konnte Material eingespart werden. Anstatt wir bei der KF 20 mit einem Metallring um die Kanne befestigt, wurde er bei der KF 40 aufgeklebt. Auch der Griff selbst wurde auf zwei Bügel reduziert, welche der Hand ein Griffvolumen simulieren, ohne viel Material zu beanspruchen. Zusätzlich funktioniert die KF 40 im Baukastenprinzip: Es wurde eine Serie aus einheitlichen Basiselementen entwickelt, um Werkskosten zu reduzieren. So kann die normale Kaffeekanne auch durch eine Thermoskanne ersetzt werden, die nach dem Brühen verschlossen und mitgenommen werden kann.
4.4
rechner wurden durch Texas Instrument produziert und an Commodore geliefert. Die Tastenanordung wirken eher wie eine Computertastatur und macht nicht den Anschein der schnellen und auch leisen Verwendung. Der Commodore C108 verfügt über verschiedenfarbige Tasten und über ein LED Display. Das Design des Taschenrechner Braun control ET 44 wurde von Dieter Rams und Dietrich Lubs entwickelt. Taschenrechner gehörten seit 1976 zum Braun Programm. Sie wurden technisch immer weiterentwickelt, das Design blieb jedoch über zwei Jahrzehnte unverändert. Der Braun control ET 44 besitzt eine schlanke, elegante Form. Er ist so dimensioniert, dass er gut in der Hand liegt. Die Tastatur des Taschenrechners ist übersichtlich geordnet und die konvexe Wölbung der Tasten ermöglicht ein zielsicheres Tippen. Die dezente Farbgestaltung ist nicht reine Dekoration, sondern ein überlegtes Informationssystem, das dem Benutzer auf einen Blick die unterschiedlichen Tastenarten (Ziffern, Rechenoperationen) und ihre Bedeutung übermittelt.
Taschenrechner
Der Commodore C108 aus dem Jahr 1971 ist der erster digitaler Commodore Taschenrechner. Er wirkt noch recht klobig und kann lediglich die vier Grundrechenarten. Die Mikrochips für den Taschen 19
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Dieter Rams – eine Weltsicht
Dieter Rams lebt mit seine Frau seit 1971 in seinem Haus in Kronberg am Rande der Wälder des Taunus. Der Kreis scheint sich zu schließen, wenn man erfährt, dass Rams Haus vom Architekturbüro Apel, in dem er selbst seine ersten Entwürfe als Architekt gemacht hat, konzipiert wurde. Rams selbst hat ebenfalls Einfluss auf das Gesamtkonzept genommen. Die Gestaltung seiner Räume entspricht seinem Design: einfach, wesentlich, offen. Dabei empfindet er die Ordnung nicht als eingrenzend, sondern als befreiend. „In einer Welt, die sich bestürzend schnell füllt, die zerstörerisch, vielgestaltig laut und verwirrend ist, hat Design für mich die Aufgabe, leise zu sein, zu einer Ruhe beizutragen, die Menschen zu sich selbst kommen lässt.“ Wie bereits angesprochen fühlt sich Rams der traditioneller japanischer Architektur verwand. Dies erklärt die klare Gliederung, die Rams sowohl in seinem Wohnbereich als auch in seinen Entwürfen immer wieder an den Tag legt. Auch bei der Gestaltung seines Gartens hat er sich davon anregen lassen. Selbst Gartenarbeit ist für ihn vergleichbar mit der Getaltung eines Raumes, eines Möbelsystems oder eines Gerätes. Er selbst lebt mit dem von ihm entworfenen Vitsoe Möbelsysteme, denn er hat nur Möbel entworfen, die er auch selbst benutzen wollte. Ein weiterer Punkt, warum man mit den eigens entworfenen Möbeln lebt, ist das Kennenlernen im täglichen Leben und das Finden von Ansatzpunkten für die Weiterverbesserung. Pflanzen, Bücher und Bilder bestimmen die Raumatmosphäre in Rams 20
Haus. Dieter Rams als Designer zwischen der klassischen Moderne und der Gegenwart hat es geschafft, eine exakte, aber dennoch poetische Formsprache der Dinge, die er entwickelt hat, zu kreieren. Trotz der gestalterischen Nähe und auch der Zusammenarbeit mit der HfG Ulm wollte Rams nicht in einen „Ingenieurtechnizismus“ wie in Ulm verfallen. Er hat die meisten Grundlagen der Moderne sensibel weiterentwickelt und dabei nie die Bedürfnisse der Verbraucher aus den Augen verloren. „Tatsächlich ist Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen und ihrer Lebenswirklichkeit in meinen Augen die einzige Sünde, die ein Gestalter begehen kann. Funktionsgerechtes Design entsteht aus einer intensiven, umfassenden, geduldigen und nachdenklichen Auseinandersetzung mit dem Leben, den Bedürfnissen, den Wünschen und Gefühlen der Menschen. Das Design eines Produktes spiegelt das Menschenbild eines Designers (...) So wie man umgekehrt auch einen Menschen daran erkennen kann, wie er seinen Lebensraum eingerichtet hat.“ Seine theoretischen Ausführungen, vor allem die 10 Thesen des guten Designs, bilden die Grundlagen eines Designs, dass nicht hauptsächlich verkaufsorientiert ist, sondern zu Sparsamkeit und bedachten Umgang mit der Umwelt aufruft. Einer Krise in der Produkt-Kultur, wie Rams sie empfindet und beschreibt, muss eine neue Ethik des Designs gegenübergestellt werden. Ein jeder Designer sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein und seinen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten, zum einen was die ökologische Qualität seiner Produk-
te angeht, zum anderen was die Produktmenge angeht. Der Markt darf nicht überschwemmt werden von modischen Wegwerf-Produkten. Das Ziel sollte ein sparsamer Langzeitgebrauch von Produkten sein. Die Produktkultur der nächsten Jahrzehnte sollte demnach lauten: Weniger, aber dafür besser. Laut Rams sollten die Geräteanbieter mehr Geld am Service und an der Wartung von Geräten verdienen als an dem Verkauf neuer Geräte. Rams findet eine starke Rezeption und Nachfolge bis heute. Eine jüngere Generation von Gestaltern fühlt sich seiner Designethik verpflichtet, wie Achim Heine, Jasper Morrison, Naoto Fukasawa und Apple Designer Jonathan Ives.
Dieter Rams in seinem Haus in Kronberg 21
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6
Quellen
01
Weniger, aber besser (Originaltitel: Less but better) Jo Klatt Design+Design Verlag, Hamburg, 1995
02
Die leise Ordnung der Dinge Industrie Forum Design Hannover Steidl Verlag, Göttingen, 1990
03
Less and More – The Design Ethos of Dieter Rams Die Gestalten Verlag GmbH & Co. KG, Berlin, 2009
04
form – Ausgabe 108/109 Birkhäuser GmbH Basel, 1984 S. 38–41
04
http://www.sdr-plus.com/20.0.html (18.09.2010)
05
http://www.teenagewasteland.de/technik/ anl_musiktruhe.html (30.09.2010)
06 07
http://www.teenagewasteland.de/haushalt/ rasierer_remington_deluxe.html (30.09.2010)
08
http://www.vintagecalculators.com/html/commodo re_c108.html (03.10.2010)
http://farm3.static.flickr.com/2416/158707 6645_167f13b14a_o.jpg (30.09.2010)