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Das Comeback der Kräuterfrauen
Weise Frauen, so wurden früher geachtete Kräuterkundige genannt, waren über Jahrhunderte unersetzlich in Dorfgemeinschaften. Für ihre Tätigkeiten als Ratgeberinnen, Hebammen oder Apothekerinnen eigneten sie sich umfassende Kenntnisse über die Natur an. Sie prüften Pflanzen und deren Wirkung systematisch und kannten die besten Sammelplätze. Ihr Wissen um die Verwendung von Heilgewächsen bei Krankheiten oder anderen Wehwehchen wurde von Generation zu Generation weitergegeben. „Jedes Tal, jedes Dorf oder sogar jede Familie hatte unzählige Rezepte und es entstand das große Gebiet der Volksmedizin“, erfährt man aus dem Buch „Rebel Plants“ der Kräuterpädagogin Valerie Jarolim. Wie kam es, dass die Weitergabe von Kräuterwissen vor allem Frauensache war? Helga Bauer von der Kräuter-
Anbaupartnerin von SONNENTOR – KRÄUTERHOF ZACH
Die Welt der Pflanzen und Kräuter eröffnete mir: Mein Papa. Der kannte sich mit Kräutern sehr gut aus. Dadurch, dass er mir von klein auf alles über ihre Anwendung und Wirkung erklärt hat, ist mein Interesse schon früh geweckt worden.
Mein Profi-Tipp für Kräuterfans: Die Blätter von losen Tees brechen, bevor man sie aufgießt. So wird das Aroma freigesetzt.
Dieses Geheimnis gebe ich gerne preis: Die Blätter des Spitzwegerichs kann man anstelle eines Pflasters verwenden. Wenn wir früher draußen auf den Wiesen waren, hatten wir nicht immer eines zur Hand. Den Spitzwegerich hingegen findet man überall in der Natur. Er wirkt wundheilend und desinfizierend.
Mein Lieblingskraut: Die Melisse, weil man mit ihr am Abend wunderbar zur Ruhe kommt.
farm Bauer in Heidenreichstein hat dafür eine einfache Erklärung: „Die Kindererziehung war damals Aufgabe der Frauen. Wenn ein Kind krank war, konnte man aus verschiedenen Gründen nicht immer zum Arzt laufen. Da machte man einen Umschlag oder einen Tee.“ Die über 80-Jährige hat noch heute immer einen selbst hergestellten Hustensaft oder eine heilende Salbe im Haus.
SAMMLERINNEN MIT SUPERKRÄFTEN
Die besondere Verbindung zur Flora reicht noch weiter zurück. Schon in der Steinzeit waren es hauptsächlich weibliche Stammesmitglieder, die Beeren, essbare Pflanzen und Wurzeln sammelten. „Auch bei den späteren mitteleuropäischen Kulturen wie den Germanen oder Kelten sorgten Frauen mit ihrem Pflanzenwissen für das Wohl von Mensch und Tier“, weiß Gerda Holzmann, die das Qualitätsmanagement bei SONNENTOR leitet. Bei jeglichem Leiden seien sie zur Hilfe gerufen worden. Kein Wunder, dass die eine oder andere Kräuterexpertin sogar Kultstatus genoss.
Anbaupartnerin von SONNENTOR BIOHOF SCHMIDT
Diese Vorbilder haben mich inspiriert: Ich bin bis heute von Maria Trebens Wissen fasziniert. Wenn ich etwas nachschlage, ist sie meine Quelle.
Anbaupartnerin von SONNENTOR – KRÄUTERFARM BAUER
Ich glaube an die Kraft der Natur: Weil ich von ihr seit der Kindheit leben musste. Meine Mutter war Kriegswitwe und hatte nur wenig Geld zur Verfügung. Wir waren von morgens bis abends auf dem Feld.
Mein Profi-Tipp für Kräuterfans: Kräuter am besten immer bei zunehmendem Mond setzen. Außerdem darauf achten, dass man gut beisammen ist. Wenn ich z.B. Kopfschmerzen habe oder mich nicht gut fühle, setzte ich auch keine Pflanzen.
Dieses Geheimnis gebe ich gerne preis: Ich stelle meine Baldriantropfen aus Baldrianwurzel und Hopfenblüten selbst her. Das Rezept habe ich von einer Krankenschwester aus Wels. Aber Achtung bei der Dosierung! Einmal habe ich am Abend zu viel genommen und bis zum nächsten Vormittag durchgeschlafen.
Mein Lieblingskraut: Die Zitronenverbene, weil sie so toll duftet. Zusammen mit Melisse und Pfefferminze schmeckt sie in einem Tee besonders gut.
Über kaum eine Frau des Mittelalters weiß man so viel wie von Hildegard von Bingen. Die Universalgelehrte verschriftlichte im 12. Jahrhundert das volksmedizinische Wissen ihrer Zeit und verknüpfte es mit der Klostermedizin. Ihre Bücher wurden weit verbreitet und sie erlangte als Ratgeberin mächtiger Persönlichkeiten große Bekanntheit. Noch heute dient Hildegard von Bingen vielen als Inspiration. „Ich stöbere gerne in alten Kräuterbüchern und entdecke dabei Erstaunliches“, verrät Valerie Jarolim, die für ihre Kräuterspaziergänge und Workshops in Wien und Oberösterreich regelmäßig neue Impulse sucht. „Viele Dinge passen aber für mich nicht mehr in die heutige Zeit – sei es aus wissenschaftlicher oder gesellschaftlicher Sicht“, gibt sie zu bedenken. Helga Bauer kann das bestätigen: „Hildegard von Bingen ist schwer zu verstehen für die Jugend.“ Die erfahrene Bäuerin greift selbst lieber auf ein Buch der Kräuterexpertin Maria Treben zurück, wenn sie etwas nachschlagen möchte: „Die hat das Kräuterwissen in unsere Zeit übersetzt.“
Ich glaube an die Kraft der Natur: Weil sie das Einzige ist, auf das man sich verlassen kann. Die Natur ist ein Wunderwerk und es ist unfassbar, was sie schafft.
Mein Profi-Tipp für Kräuterfans: Es gibt zu jeder Jahreszeit Kräuter, die wir frisch sammeln können. Ich nasche sie am liebsten direkt auf der Wiese. Besonders mag ich die Volgelmiere oder die Brennnessel. Bei Letzterer streiche ich sanft übers Blatt, damit sich die Härchen niederlegen. Dann rolle ich sie zusammen und ab in den Mund.
Dieses Geheimnis gebe ich gerne preis: Wenn mich das Zahnfleisch plagt, lege ich für ca. 15 Minuten frische Salbeiblätter zwischen Wange und Zahnfleisch.
Mein Lieblingskraut: Die Wegwarte. Ihre getrockneten Blüten und Wurzeln können als Tee aufgegossen werden. Vor dem Essen regt der Tee unseren Appetit an – danach sorgt er für Magenwohl. Die Wurzeln wurden früher auch geröstet und als Kaffeeersatz konsumiert.
Kräuterpädagogin, Agrarwissenschaftlerin, Autorin BLATT & DORN
Die Welt der Pflanzen und Kräuter eröffneten mir: Meine Großeltern. Mein Opa wusste über jede Blume Geschichten zu erzählen. Meine Oma setzte sich künstlerisch mit Pflanzen auseinander, malte und fotografierte sie und besaß viele alte Heilkräuterbücher.
Dieses Geheimnis gebe ich gerne preis: Dass die Menge an Vitalstoffen in Wildkräutern erstaunlich hoch ist. Die Brennnessel z.B. enthält 71 mg Magnesium, 630 mg Kalzium und 7,8 mg Eisen pro 100 g essbaren Anteil. Normaler Kopfsalat kann im Vergleich nur mit 11 mg Magnesium, 37 mg Kalzium und 1,1 mg Eisen punkten.
Mein Lieblingskraut: Die immergrünen Nadelbäume. Ihre ätherischen Öle sorgen für einen würzigen Waldduft, sie speichern klimaschädliches CO2 und produzieren Sauerstoff. Ihr Harz lässt sich zu feinen Salben verarbeiten und ihre Nadeln ergeben einen tollen Tee.
Schattenstunde der gefeierten Kräuterfrauen stellt die Hexenverfolgung ab dem 15. Jahrhundert dar. Von nun an mussten sie als Sündenböcke für jegliches Leid und Unheil herhalten. Das hatte zur Folge, dass ihr Wissen zunehmend in Vergessenheit geriet. Im 19. Jahrhundert wurde zudem mit dem synthetischen Nachbau pflanzlicher Inhaltsstoffe experimentiert. 1884 kam schließlich eines der bekanntesten Schmerzmittel in den Handel: Aspirin. Als Vorbild für dessen Herstellung diente die Weidenrinde. Waren Arzneimittel zuvor in Apotheken individuell angefertigt worden, traten zu Beginn des 20. Jahrhunderts industrielle Fertigpräparate ihren Siegeszug an. Doch schon kurze Zeit später wurde diese Entwicklung unterbrochen. Die Folgen des Ersten Weltkriegs wie der allgemeine Gütermangel führten dazu, dass man sich schon bald wieder auf den heimischen Heilpflanzenschatz besinnen musste. Hier trat Maria Treben auf den Plan. Als Vorreiterin der österreichischen Naturheilkunde und Autorin mehrerer Bücher erlangte sie weltweit große Bekanntheit. Bis 1987 hielt Maria Treben regelmäßig Vorträge vor Tausenden von Zuhörer:innen im In- und Ausland.
RÜCKBESINNUNG
Heute ist die Anwendung von Heilpflanzen wieder anerkannter Teil der Medizin. Ob Phytotherapie oder Kräuterpädagogik: Seit einigen Jahren werden die vielfältigen Möglichkeiten, die die Natur bereithält, wieder neu entdeckt. Interessanterweise sind es vor allem junge Menschen, die diesen Trend befeuern. „Wir haben uns bisher darauf verlassen, dass Dinge jederzeit verfügbar sind. Die Krisen der letzten Jahre haben verdeutlicht, wie bequem, aber auch fremdbestimmt wir gelebt haben“, sagt Maria Schmidt, die zusammen mit ihrem Mann seit 35 Jahren den Biohof Schmidt führt. Inzwischen sind auch ihre beiden Kinder mit eingestiegen. „Die junge Generation besinnt sich mehr denn je auf die Natur und sucht nach Alternativen“, stellt die Landwirtin aus Neudorf fest. Dazu gehöre auch ein gesteigertes Ernährungsbewusstsein.
Qualitätsentwicklerin, Kräuterexpertin, Autorin – SONNENTOR
Kräuter sind für mich: Liebe auf den zweiten Blick. Ich war schon als Säugling häufig kränklich, das hat sich bis ins Teenageralter nicht verändert. Häufig wurden mir Antibiotika verschrieben, bis ich es irgendwann satt hatte. Ich wollte mir selbst helfen können und verstehen, was mein Körper braucht.
Dieses Geheimnis gebe ich gerne preis: Mein Rezept für das Allroundtalent Sauerhonig alias Oxymel. Hierbei werden hochwertiger Apfelessig und Honig verrührt (Verhältnis 1:2), bis sich der Honig vollständig aufgelöst hat. In dieses Gemisch lege ich gesammelte Kräuter, Blüten und Früchte ein und lasse es für mindestes sechs Wochen stehen. Danach abseihen und bei Zimmertemperatur lagern.
Mein Lieblingskraut: Ganz klar: die Schafgarbe. Ich liebe ihren herb-würzigen Geschmack. Sie hilft mir, nach einem vollen Tag abends abzuschalten, zaubert meine Menstruationskrämpfe weg und ist die schönste Pflanze der Welt!
Digitale Transformation, hoch spezialisierte Labore, virtuelle Realitäten: Tiefgreifende Umbrüche haben immer schon starke Gegenbewegungen hervorgerufen. „Wenn man sich mit Kräutern beschäftigt, tut man das automatisch auch mit den eigenen Wurzeln. Danach sehnen sich viele Menschen“, hat Gerda Holzmann beobachtet. Für die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente ist die pflanzliche Vielfalt weiterhin eine wichtige Ressource. Weltweit werden ca. 70.000 Pflanzenarten als Arzneimittel in der Medizin genutzt. Bedenkt man, dass laut dem deutschen Bundesamt für Naturschutz über 330.000 Pflanzenarten bekannt sind, ist die Chance auf weitere bahnbrechende Entdeckungen ziemlich hoch. Ob Resistenzen gegen Antibiotika oder Medikamentenknappheit als Folge von Lieferengpässen: Für Elisabeth Kainz, die einen Kräuterhof bei Waidhofen an der Thaya betreibt, liegt das neu entfachte Interesse für pflanzliche Wirkungsweisen klar auf der Hand. „Jetzt ist es Aufgabe künftiger Generationen, das alte Kräuterwissen nicht wieder verloren gehen zu lassen“, betont sie.
Webtipp
Die Natur im Waldviertel ist für Gerda seit der Kindheit eine enge Vertraute. Auf ihrer Website lässt sie Besucher:innen an ihrem Wissen teilhaben. www.gruen-kraft.at
Anbaupartnerin von SONNENTOR KRÄUTERHOF
Ich glaube an die Kraft der Natur: Weil sie es schafft, sich immer wieder selbst zu regulieren. Vorausgesetzt, der Mensch lässt es zu.
Mein Profi-Tipp für Kräuterfans: Bei der Kultivierung von Kräutern ist der richtige Erntezeitpunkt wichtig. Die Zitronenmelisse wird idealerweise am frühen Morgen geerntet, weil sie taufrisch einen hohen Anteil an wertvollen Inhaltsstoffen aufweist.
Dieses Geheimnis gebe ich gerne preis: Ich arbeite für die Ansaat, Pflanzung und Ernte nach den unterschiedlichen Mondphasen. Das uralte Wissen um die Kraft des Mondes ist vielen abhandengekommen.
Mein Lieblingskraut: Wenn ich mich für eines entscheiden müsste, wäre es die Ringelblume. Sie hat eine tolle Farbe, ist robust, heilt Wunden, verbessert den Boden und dient vielen Insekten als Nahrungsquelle – eine wahre Alleskönnerin.