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Wie ich den Feminismus
Wie ich den Feminismus im Kloster fand
Fünf Tage ging ich ins Kloster, um mich mit dem schrecklichen Alltag einer Nonne zu konfrontieren. So dachte ich. Was ich fand, waren aufgeweckte, starke und herzliche Frauen, die der feministischen Ideologie in nichts nachstehen.
Es ist kuschelig warm in diesem Raum mit schrägem Holzdach, während kleine Tropfen an die Fensterscheibe schlagen. Es riecht nach Fencheltee. Ich sitze auf einem rosa-grauen Sofa und ertappe mich dabei, wie ich mich hier wohlfühle. Um mich herum sitzen drei Frauen in langen grauen Kutten und mit Kopfhauben und lächeln mir zu. Es ist Freitagabend, gerade haben wir die Tagesschau zu Ende geschaut.
Seit fünf Tagen lebe ich in einem vinzentinischen Kloster, heute ist mein letzter Abend. Jetzt unterhalten wir uns über religiöse Gepflogenheiten, die ich noch immer nicht begreifen will. Wieso die Schwestern mindestens dreimal am Tag in den Gottesdienst gehen und ständig beten müssen, zum Beispiel. „Das ist wie in einer Beziehung“, erklärt Schwester Petra*, „die muss ja auch gepflegt werden“. Neben dem gemeinschaftlichen Gebet würden sie auch oft einzeln beten und so einen noch innigeren Zugang zu Gott suchen. Eine Beziehung also. Mit so vielen Liebenden. Werden die Schwestern da nicht eifersüchtig? Schwester Annemarie* lächelt: „Jede wird so angenommen, wie sie ist“, sagt sie. Ich muss grinsen. Für mich klingt das nach Polyamorie.
Aufgewachsen ohne Glauben Ich habe Religion noch nie kapiert. Ich wurde nicht getauft, in der elften Klasse hatte ich meinen ersten Religionsunterricht. Mit einem Lehrer, der mit uns Das Leben des Bryan schaute. Religion bedeutete in meinen Augen, meine Unabhängigkeit aufzugeben. Die bedingungslose Bindung zu einer höheren Gestalt, dessen Existenz fragwürdig ist, und die Regeln, die damit einhergehen, haben in meiner Welt keinen Platz. Mehr noch: Als Feministin sah ich in Religion eine Art Erzfeindin der Emanzipation, im Kloster die Ketten der Willensfreiheit.
Um meinen Vorurteilen nachzugehen, beschloss ich, ins Kloster zu ziehen und dem katholischen Lebensweg für ein paar Tage zu folgen. Ich wollte verstehen, wie sich diese Frauen dafür entscheiden konnten. Es sind die Geschichten der Schwestern
Claudia*, Annemarie und Petra, die mich die klösterliche Einrichtung heute in einem anderen Licht sehen lassen.
Annemarie, die Robuste Schwester Annemarie sitzt an einem verregneten Nachmittag am Kaffeetisch und trinkt Fencheltee. Mit beiden Händen an der Tasse erzählt die 78-Jährige von früher. „Wenn Bombenalarm war, war meine Mutter nie so:“ – sie hebt die Arme, wedelt mit ihnen kurz in der Luft und ruft mit heller Stimme – „‚Ah, wir werden alle sterben!‘“ Mit ruhigerem Ton fährt sie fort: „Sie packte uns nur und sagte: ‚So Kinder, wir müssen jetzt in den Keller.‘“ Ihre klaren blauen Augen blicken auf den Tee, sie sieht nicht mehr gut, hat eine unheilbare Augenkrankheit. Trotzdem geht sie jeden Tag am Hausempfang arbeiten und bereitet das Essen für die Schwestern vor. Sie ist eine zierliche Frau, geht mir gerade mal bis zur Brust. Zu zierlich, um damals, Ende der 1950er Jahre, eine Hauswirtschaftslehre antreten zu können. Stattdessen geht die damals 18-Jährige gegen den Willen ihres Vaters zu den Vinzentinerinnen, nachdem sie sich bereits in jungen Jahren „gerufen gefühlt“ hat. Sie macht eine Ausbildung zur Kindergärtnerin, leitet dreißig Jahre lang einen Kindergarten. Drei Helferinnen stehen ihr zur Seite. „Das musst du dir mal vorstellen, 100 Kinder und ich war die einzige Ausgebildete.“
Claudia, die Aufgeweckte Schwester Claudia ist eine rundliche Frau mit Pausbäckchen und roten Wangen. Aus ihren langen grauen Kuttenärmeln lugt ein blaues Stoff bändchen mit der Aufschrift „God loves you“ hervor, und wenn sie mich im Gottesdienst sieht, schnalzt sie kurz mit der Zunge und zwinkert mir zu. Sie amüsiert mich mit Sätzen wie: „Da bin ich ja bald abgeschnallt,
was der für Worte hatte!“ Damit meint sie Vinzenz von Paul, Glaubenspatron und Gründer der Barmherzigen Schwestern, von dem Claudia in ihrer Ausbildung zur Krankenschwester zum ersten Mal hörte und zu dem „eine heimliche Liebe wuchs“. Vinzenz von Paul wird als Begründer der Caritas bezeichnet, 1633 baut er die erste klösterliche Gemeinschaft auf, die sich außerhalb von Klostermauern bewegt. Dabei stets an seiner Seite: Luise de Marillac, eine Adlige, die sich nach dem Tod ihres Mannes gänzlich den Armen widmet und die ersten Barmherzigen Schwestern ausbildet.
Mich fasziniert diese Geschichte. Dass man Gefühle für jemanden entwickeln kann, den man nicht kennt, leuchtet mir ein. Auch eine Schwärmerei wegen des Charakters oder der Lebensweise kann ich nachvollziehen. Aber ist es nicht eine gescheiterte Liebe, wenn man diese Person niemals trifft? „Glaube ist auch eine Wechselbeziehung“, sagt Schwester Claudia. „Ohne die Gemeinschaft könnte ich die Treue nicht durchziehen.“
In Religion sah Autorin Leonie eine Art Erzfeindin der Emanzipation, im Kloster die Ketten der Willensfreiheit. Sie sagt, sie habe Religion noch nie kapiert.
Das Wohnzimmer des Ausbildungskonvents ist mit schlichten Regalen möbliert, auf den Holzstreben an der gläsernen Eingangstür stehen kleine Schwesternfiguren nach Größe aufgereiht. Mein innerliches Unwohlsein aussprechend, merke ich an, dass ich die Lebensweise der Schwestern schön finde, aber nicht begreife, wieso Gott und Jesus darin eine Rolle spielen müssen. „Wir sehen das als Aufgabe, die uns von Gott auf der Welt gegeben wurde, bevor wir nach unserem Tod in die eigentliche Welt, zu ihm, gelangen“, erklärt Schwester Petra mit ihrer ruhigen tiefen Stimme. Schwester Claudia fügt hinzu: „Gott können wir nicht sehen, da fallen wir sofort um. Deshalb schickte er Jesu.“ Wieso denn keine Frau? „Das weiß ich auch nicht.“ Schwester Petra überlegt. „Die Frage kam mir nie, ich wuchs so mit der Geschichte auf.“ Aber sie würden ja auch insbesondere zur heiligen Claudia und anderen heiligen Frauen beten.
Petra, die Zielstrebige Schwester Petra ist 67 Jahre alt, hat leicht eingefallene Wangen. Sie trägt eine bordeaux-rote Brille, durch die sie mich mit einem durchdringenden Blick anschaut. Sie ist die Generaloberin des Mutterhauses, was nichts anderes heißt, als dass sie die Chefin von allem ist. Das Mutterhaus ist die Zentralverwaltung von einer Reihe an Organisationen wie Altenpflege, Krankenhäuser und Kindertagesstätten. 2014 übernahm Schwester Petra den Vorsitz, zuvor leitete sie fast 30 Jahre ein akademisches Lehrkrankenhaus. Dass sie es bis dorthin schaffte, hat sie ihrer Hartnäckigkeit und vor allem ihrem Glauben zu verdanken. Schwester Petra ist 1951 in einer Grenzstadt der DDR geboren. Als Kind katholischer Eltern stieß sie oft auf Ablehnung innerhalb der kommunistischen Verhältnisse. In der sozialistischen Regierung konnten Christen selten das Abitur ablegen, auch kein Studium aufnehmen. So ergeht es auch der jungen Schülerin Petra, die zunächst noch von einer Zukunft als Russisch- und Biologielehrerin träumt. Sie beginnt, in den Sommerferien Geld in einer vinzentinischen Klinik dazuzuverdienen, geht in Tanzstunden, ist eineinhalb Jahre mit ihrem Tanzpartner liiert. Schon da spürt sie aber, dass es noch etwas anderes für sie gibt. 1968 meldet sie sich schließlich heimlich bei den Vinzentinerinnen an. „Ich habe es nicht einmal meinen Eltern gesagt. Das war ja hoch riskant.“ Sie macht eine Ausbildung zur Krankenschwester und ergänzt ein Fernstudium in Medizinpädagogik. Später übernimmt sie die Leitung des Lehrkrankenhauses. „Ich bin eine von nur drei Personen aus meiner damaligen Klasse, die Abitur gemacht hat“, sagt sie heute, ein leichter Anflug von Stolz in der Stimme.
In den fünf Tagen im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern traf Leonie auf beeindruckende Biografien, die ihr zeigten, wie Frauen im Kloster ein emanzipiertes Leben leben.
Ich merke, wie mich auch Schwester Petras Geschichte beeindruckt. Sie ließ sich nicht von ihrem Weg abbringen, hat das gemacht, was sie für richtig hielt und damit eine steile Karriere hingelegt. Als Schwester wurde sie anerkannt, gefördert. Konnte sich beweisen. Allerdings erinnert mich das wiederum an ein EliteSystem. Auch nicht so toll.
Und was ist mit Sex? An meinem letzten Abend mit den Schwestern brennt mir eine Frage immer noch auf der Zunge: Warum sind die Konvente geschlechtergetrennt? „Die damaligen Begründer haben die jeweiligen Geschlechter um sich geschart“, antwortet Schwester Claudia. Das waren einfach noch andere Verhältnisse. Und heute sei das sicher auch aufgrund des Gelübdes zur Ehelosigkeit. Quasi eine Vorbeugung also. Ich bin neugierig. Vermissen die Schwestern Sexualität denn gar nicht? „Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es auch Zeiten in jüngeren Jahren gab, in denen ich mich nach Partnerschaft gesehnt habe“, sagt Schwester Petra lächelnd. Wehmut habe es ebenso gegeben wie Stunden des Hinterfragens. Aber Sexualität sei für sie auch gelebte Beziehung. „Wir sind alle sexuelle Wesen. Sexualität hat für mich etwas mit Beziehungsfähigkeit zu tun, und das ist auch für unser Leben wichtig.“ Empathie, Sympathie, das Füreinanderdasein zum Beispiel.
Von Gott und Glaube halte ich immer noch nicht viel. Doch vom Leben der Barmherzigen Schwestern bin ich fasziniert. Diese Frauen verkörpern die Werte des Feminismus in vielerlei Hinsicht: Sie kämpfen sich durch, engagieren sich für andere, folgen ihrem Willen und stehen dahinter. Von der Positivität, die sie den ganzen Tag verbreiten, und der unvergleichlichen Freude, die sie für die noch so kleinen Dinge auf der Welt aufzubringen vermögen, kann ich lernen. „Du bist eine von uns“, sagten sie mir am Freitagabend und erschreckenderweise fühlte sich das erstaunlich gut an.
*Namen auf persönlichen Wunsch geändert
Text von Leonie Ruhland, 28, schreibt total gern und organisiert Veranstaltungen, um Menschen und Feminismus zusammenzubringen.
Fotos von Julia Bengeser, Fotografin aus Frankfurt a. M., dankbar für die Begegnung mit den Schwestern, @juliabengeserfotografie