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People – zyklusbasiertes Training

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PEOPLE

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zyklusbasiertes Training

interview: Anita Zwahlen bilder: Marcel Hilger Für den Bericht über das zyklusbasierte Training haben wir mit Nadine Heck, kurz Nine, eine Expertin gefunden, die selbst das Triathlontraining auf Mittel- und Langdistanz auf ihren Zyklus abstimmt.

Die Sportwissenschaftlerin gründete unter anderem zusammen mit ihrem Mann und dem bekannten Triathlontrainer Philipp Seipp sowie der amtierenden Europameisterin in der TriathlonLangdistanz Laura Philipp, die Coachingfirma «KickAss Sports» und vermittelt als Trainerin anderen Athletinnen ihr Fachwissen.

Sportfisi@ hat mit Nine über den eher neuen und wenig bekannten Ansatz des zyklusbasierten Trainings gesprochen.

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SPORTFISI@: Nine, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, unseren Mitgliedern das zyklusbasierte Training etwas näher zu bringen.

Nine Heck: Vielen Dank, dass ihr mich ausgewählt habt und dass ich euch etwas über meine Arbeit erzählen darf.

Aus welchem Grund hast du dein Training deinem Zyklus angepasst?

Als ich mit dem Ausdauersport begonnen und mich dann nach und nach mehr dem Triathlon zugewendet habe, spielte mein Zyklus zunächst überhaupt keine Rolle. Dem Thema wurde weder von mir persönlich noch innerhalb meines Sportstudiums noch seitens der Trainer, die ich bis dahin kennengelernt hatte, Beachtung geschenkt. Ich trainierte eigentlich genauso wie mein Mann. Natürlich in abgespeckter Form, auf meine physiologischen Gegebenheiten angepasst, aber im Prinzip periodisierten wir das Training so, wie es in der Literatur beschrieben oder an der Uni gelehrt wird. Das funktionierte auch einige Jahre ziemlich gut. Ich verbesserte mich stetig, was sicher auch damit zusammenhing, dass ich spät, im Sinne von nicht als Jugendliche, mit dem Triathlon begonnen habe und daher die Leistungssteigerung zu Beginn grösser war. Nach etwa fünf Jahren verlief die Lernkurve zunehmend flacher. Gleichzeitig wurde das Thema «zyklusbasiertes Training» medial bekannter. Ich machte mir Gedanken, ob auch ich Unterschiede in meiner Leistungsfähigkeit innerhalb eines Zyklus spüren kann. Und natürlich konnte ich das. Mir wurde bewusst, dass ich je nach Zyklusphase mal besser oder auch mal schlechter meine Leistung abrufen konnte. Nach mehreren Monaten des Trackings wurde die Sache noch viel deutlicher und ich spürte, dass ich plötzlich doch noch Verbesserungspotenzial hatten und fokussierte mich daher bei der Trainingsplanung zunehmen auf meinen Zyklus und dessen Phasen.

Die Arbeit rund um das zyklusbasierte Training intensivierte ich weiter, seitdem ich bei «KickAss Sports» arbeite und im direkten Austausch mit Laura Philipp und Philipp Seipp stehe – sicher zwei Vorreiter auf diesem Gebiet.

Wieso soll Frau dem Zyklus bei der Trainingsplanung Beachtung schenken?

Der weibliche Körper funktioniert einfach anders. Männer unterscheiden sich nicht nur äusserlich von Frauen. Aufgrund des unterschiedlichen Skelettaufbaus ist die Biomechanik auch eine andere. Ausserdem arbeiten die Hormone und der Stoffwechsel auf unterschiedliche Art und Weise. Hinzu kommt, dass Männer einen anderen hormonellen Rhythmus haben als Frauen. Vielen Trainern*innen ist das nicht bewusst. Der weibliche Körper hat andere Bedürfnisse als der eines Mannes. Den Zyklus können wir Frauen als ein Geschenk ansehen, der uns auf ganz unterschiedliche Weise zeigt, was der Körper an diesem Tag oder in dieser Phase des Zyklus braucht. «Frau» muss nur genau zuhören beziehungsweise auf sich achten, denn es steckt so viel mehr in uns, als wir glauben. Ab welchem Trainingsload ist es sinnvoll, dass das Training auf den Zyklus abgestimmt wird?

Generell kann man sagen, dass es immer Sinn ergibt, sich am eigenen Zyklus zu orientieren. Egal, ob man nun mehr oder weniger trainiert. Ich behaupte, jede von uns belastet sich an den Tagen, an denen es ihr gut geht lieber, als an solchen, an denen sie gerade mit PMS oder anderen Störungen zu kämpfen hat. Ausserdem lassen sich manche Trainingseinheiten einfach leichter in der passenden Zyklusphase durchführen und haben dadurch auch einen besseren Effekt.

Obwohl wir Frauen in regelmässigen Abständen mit Auswirkungen unseres Zyklus konfrontiert werden, wissen viele erstaunlich wenig darüber. Wie ist denn der weibliche Zyklus grob aufgebaut?

Der gesamte Menstruationszyklus wird durch ein Zusammenspiel von Gehirn und Geschlechtsorganen gesteuert. Fünf Hormone spielen dabei eine wichtige Rolle: das Gonadotropine Releasing Hormone (GnRH), das Luteinisierende Hormon (LH), das Follikelstimulierende Hormon (FSH), Östrogen und Progesteron.

Allgemein lässt sich der weibliche Zyklus in vier Phasen einteilen:

1. Phase: Die erste Phase wird als frühe Follikelphase bezeichnet und beginnt am ersten Tag der Periode. Das Hormonlevel von Östrogen, Progesteron, FSH und LH sind in dieser Phase am geringsten. Neben dem niedrigen Hormonlevel, ist in dieser Phase ausserdem eine verhältnismässig niedrige Basaltemperatur zu messen.

2. Phase: Nach der Blutung beginnt die zweite Phase des Zyklus: die späte Follikelphase. Es kommt zum Anstieg von FSH, was die Bildung einer neuen Eizelle, einem sogenannten Follikel, anregt. In den Wänden des Follikels kommt es zur Bildung des Hormons Östrogen. In den kommenden Tagen wächst der Follikel bis zum Eisprung (Ovulation) heran. Gleichzeitig steigt der Östrogenspiel stark an. Der erhöhte Östrogenspiegel gilt für die Hirnanhangsdrüse als Signal, LH auszuschütten, das dann die Ovulation einleitet. In dieser Phase wird die Gebärmutterschleimhaut bereits leicht aufgebaut. Parallel fällt die Basaltemperatur zum Eisprung hin ab. Nach dem Eisprung steigt sie an und bleibt bis zur nächsten Menstruation hoch.

3. Phase: Die frühe Lutealphase beginnt nach dem Eisprung. Der Follikel wird in eine Drüse umgewandelt, der sogenannte Gelbkörper. Im Inneren des Gelbkörpers wird das Hormon Progesteron gebildet. Es kommt zu einem Anstieg des Progesteronlevels und einem ersten Abfall an Östrogen, auf den dann wieder ein leichtes Ansteigen folgt. Der Aufbau der Gebärmutterschleimhaut schreitet voran. Sie wird mit

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Blutgefässen ausgestattet und mit einem glykogenreichen Sekret versorgt, damit sie optimal für eine befruchtete Eizelle vorbereitet ist.

4. Phase Die vierte Phase, die späte Lutealphase, beginnt mit der Degeneration des Gelbkörpers, wenn es nicht zu einer Befruchtung kam. Progesteron und Östrogen können nun nicht mehr gebildet werden und fallen stark ab, genau wie die Basaltemperatur. Dann beginnt der Zyklus erneut mit dem Abstossen der Gebärmutterschleimhaut und es kommt zur Menstruationsblutung.

Welche Trainingsschwerpunkte sollen in den jeweiligen Phasen gesetzt werden?

Generell sollte man hier immer individuell mit der jeweiligen Athletin gemeinsam entscheiden, wann ihr was guttut. Aber allgemein könnte man sich an folgendem Ablauf orientieren:

1. Phase: Während der Periode sollte die Intensität des Trainings eher geringgehalten werden. Je nach Befinden können lockere Ausdauereinheiten sehr guttun. Ausserdem eignet sich diese Zeit sehr gut für Stretching oder Yoga. Gegen Ende der Blutung kann man das intensive Training bereits wieder aufnehmen. 2. Phase: In dieser Phase ähneln wir uns aus hormoneller Sicht wohl am ehesten den Männern. Aufgrund des niedrigen Hormonlevels können Frauen die späte Follikelphase sehr gut für intensive Trainingseinheiten sowohl im Ausdauer- als auch im Kraftbereichen nutzen. Der Muskelaufbau und die Regeneration funktionieren besser und wir können Kohlenhydrate besser für die Energiebereitstellung nutzen. In dieser Phase können Frauen die grösste Leistungssteigerung in den hochintensiven Bereichen erreichen.

3. Phase: Durch den Eisprung kommt es zu einer Hormonumstellung. Manche Frauen haben etwas damit zu kämpfen und sollten daher gut auf die Signale ihres Körpers hören. Diese Phase eignet sich für längere Trainingseinheiten bei submaximaler Intensität. Im Krafttraining kann man die Wiederholungsanzahl nun etwas erhöhen und die Gewichte reduzieren. Ausserdem können plyometrische Übungen eingebaut werden.

4. Phase: Auch hier gilt: Individualität ist der Schlüssel zum Erfolg. Viele Athletinnen sind in dieser Phase noch sehr leistungsfähig und haben keine Probleme mit höheren und intensiveren Belastungen. Andere wiederum vertragen intensives Training in dieser Phase gar nicht. Allgemein sollte der Trainingsumfang

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reduziert werden und sehr intensives Training vermieden werden. Hier können sehr gut Technik und funktionelles Krafttraining eingebaut werden.

Gibt es eine Phase, in der das Verletzungsrisiko erhöht ist?

Nine: In der Lutealphase, also der 2. Zyklusphase fühlen sich viel Frauen etwas schwächer oder nicht ganz so leistungsstark. Aus hormoneller Sicht kann man ausserdem sagen, dass der Muskelaufbau in dieser Phase schwieriger fällt und sich intensive Belastungen deutlich schwerer anfühlen. Das dominierende Hormon in dieser Phase ist Progesteron, es bereitet den weiblichen Körper auf eine mögliche Befruchtung vor, aus diesem Grund lockern sich Bänder und Sehnen, was eine erhöhte Verletzungsgefahr mit sich bringen kann. Deshalb würde ich vor allem beim Laufen und Krafttraining zu etwas Vorsicht raten.

Ist es sinnvoll, dass man sich dieses Wissen über die verschiedenen Phasen des Menstruationszyklus auch in der Rehabilitation nach einer Verletzung zu Nutze macht?

Das kann ich leider nicht beantworten, da ich mich mit diesem Gebiet bisher nicht beschäftigt habe. Könnte mir allerdings sehr gut vorstellen, dass auch hier ein gewisses Potenzial liegt und man die hormonellen Situationen positiv nutzen kann.

Du hast erklärt, dass in der Lutealphase intensives Training weniger empfohlen ist. Was macht nun aber eine Athletin, die in dieser Phase einen Wettkampf hat? Wie soll sie oder ihr Coach damit umgehen?

Leider können wir den Wettkampfplan nicht nach unserem Zyklus abstimmen. Aber hier kann ich auf jeden Fall Entwarnung geben. Der weibliche Körper ist durchaus auch in der Lutealphase sehr leistungsfähig. Studien haben gezeigt, dass die Zyklusphasen keinen Einfluss auf die physiologischen und metabolischen Werte einer Athletin haben. Die VO2max, also die maximale Sauerstoffaufnahme, die angibt wie viele Milliliter Sauerstoff der Körper im Zustand der Ausbelastung pro Minute verwerten kann, bleibt konstant. Von daher ist es eher das subjektive Empfinden, dass unsere Leistung etwas hemmt. Manchmal hilft es, sich nicht zu grosse Gedanken darüber zu machen, sondern der eigenen Leistung zu vertrauen, auch wenn es an diesem Tag vielleicht mental etwas härter werden kann.

Mittlerweile gibt es einige Apps auf dem Markt, mit denen die Athletinnen ein Zyklus-Tagebuch führen können. Auch du arbeitest mit deinen Athletinnen über eine App. Was sind für dich als Trainer wichtige Merkmale, die du über die Athletin und deren Zyklus wissen musst?

Mittlerweile gibt es wirklich super App´s mit denen Frauen unterschiedlichste Beobachtungen und Merkmale aufzeichnen können. Wir bei «KickAss Sports» abreiten mit der Schweizer Trainingssoftware AZUM zusammen. Hier tragen die Athletinnen vor allem ein, wo sie sich in ihrem Zyklus befinden, also Periode und Eisprung zum Beispiel, ausserdem dürfen sie mir gerne mitteilen an welchen Tagen sie Probleme mit PMS haben oder andere Störfaktoren innerhalb des Zyklus bemerken. Darüber hinaus rate ich allen meinen Athletinnen, ihre Basaltemperatur zu messen und diese ebenfalls in die App zu übertragen. So kann auch ich sehen, wo sie sich in etwa im Zyklus befinden und wir sehen genau, ob ein Eisprung stattgefunden hat.

Kann das zyklusbasierte Training jede Athletin durchführen, egal welche Verhütungsmethode sie nutzt?

Die Athletin sollte einen natürlichen Zyklus haben. Denn das zyklusbasierte Training ist nur sinnvoll, wenn die Athletin keine hormonelle Verhütung wie beispielsweise die Pille oder die Spirale anwendet. Mit der Einnahme von synthetischen Hormonen unterdrückt man den natürlichen Zyklus. Bei den meisten Präparaten bleibt der Eisprung aus. Die Vor- und Nachteile der einzelnen Zyklusphasen sind daher weniger oder gar nicht relevant und ein zyklusbasiertes Training somit nicht nötig.

Was empfiehlst du deinen Athletinnen, wenn sie starke Regelschmerzen plagen?

Auch das ist wieder ein sehr individuelles Thema. Jede Frau empfindet das PMS und die ersten Tage der

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Menstruationsblutung anders und leidet an unterschiedlichen Symptomen. Es gibt jedoch ein paar Tipps, die Betroffene ausprobieren können: Kein Koffein, vor allem nach dem Eisprung. Eine erhöhte Zufuhr von Magnesium, Zink und Omega 3 in der Woche vor der Periode. Vor und nach dem Training auf eine ausreichende Proteinzufuhr achten. Zusätzlich kann man mit dem «Seed Cycling» den Körper positiv unterstützen. Dabei handelt es sich um einen neuen Ernährungstrend, bei dem man je nach Zyklusphase bestimmte Samen (Seeds) isst. Infos dazu findet man im Internet.

Generell würde ich zu leichter Bewegung raten, diese kann oft entkrampfend wirken. Einheiten im Grundlagenbereich sowie Yoga und Mobility-Training tun vielen gut. Von harten Einheiten würde ich in an diesen Tagen abraten.

Und zu guter Letzt: «KickAss Sports» hat sich speziell diesem Thema gewidmet. Was bietet ihr den Athletinnen an?

Mit «KickAss Women» bietet unsere Firma als eines der ersten Coaching Unternehmen ein speziell zyklusbasiertes Training für Athletinnen an. In einem Vorgespräch werden alle Dinge detailliert mit der Sportlerin besprochen. Wir passen den Trainingsplan dann individuell auf den Alltag der Athletin an und berücksichtigen dabei die Phase des Zyklus, die Arbeit, die Kinderbetreuung sowieso andere relevante Faktoren. Wir erörtern gemeinsam, in welcher Phase die Sportlerin besonders leistungsfähig ist, wann ihr intensive Einheiten richtig guttun und wann sie es lieber etwas ruhiger angehen sollte. Dabei stehen wir in engem Kontakt und reagieren auf jegliches Feedback. Darüber hinaus haben wir bereits eine Webinar-Reihe zum Thema «Zyklus» erarbeitet, auf die alle Athletinnen kostenfrei zugreifen können. Im Abstand von zwei Wochen finden zudem Live-Webinare statt, an denen die Athletinnen direkt Fragen stellen können. Einen kleinen Einblick in die Arbeit von «KickAss Sports» bekommt ihr in unserem ersten «KickAss Talk Women», der auf Youtube angesehen werden kann.

Nine, du siehst bereits am Umfang der Fragen, dass wir hier noch lange über dieses Thema sprechen können. Ich bedanke mich ganz herzlich bei dir für das interessante Gespräch

kickasssports.de

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