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Past - Present - Future mit Walter Reusser
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PRESENT - FUTURE: WALTER REUSSER
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Interview: Luca Tavoli Bilder: SWISS SKI UND FOTOLIZENZ GEKAUFT DURCH SPORTFISIO Walter Reusser (47) ist seit 2019 Direktor Ski Alpin bei Swiss-Ski und Mitglied der Geschäftsleitung. In den Neunzigerjahren war er als Servicemann und von 2001-2005 als Alpintrainer für Swiss Ski tätig. Danach erfüllte er für Stöckli Swiss Sport AG verschiedene Funktionen. Nun 10 Jahre später kehrt er zu Swiss Ski zurück. Seine erste Olympiade als Direktor Ski Alpin wird zum Erfolg – seine Athletinnen und Athleten räumten in Peking ab!
Er ist ein begeisterter und teamorientierter Mensch, der neugierig und mit klaren Ideen den Skisport in der Schweiz verändern möchte. Vor allem die Nachwuchsförderung liegt dem Alpin-Direktor am Herzen. Ich habe mich sehr auf unser Gespräch gefreut.
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SPORTFISI@: Walter Reusser, erzählen Sie uns von Ihrem Werdegang. Wie sind Sie zu Swiss Ski gekommen?
Reusser: Mit 21 bin ich per Zufall zum ersten Mal zu Swiss Ski gekommen. Ich hatte in einem Sportgeschäft in Bettmeralp gearbeitet. Die Tochter des Ladenbesitzers war eine Skifahrerin im C-Kader von Swiss Ski und ich habe begonnen, ihr die Skis vorzubereiten. Zusammen wollten wir immer eine bessere Leistung erreichen und so habe ich begonnen, viel Zeit zu investieren, um an den Details des Materials zu arbeiten. Als Swiss Ski einen Servicemann gesucht hat, habe ich die Gelegenheit genutzt, um eine neue Tätigkeit zu beginnen. Swiss Ski hat mir auch die Chance gegeben, mich als Trainer zu entwickeln und die entsprechende Ausbildung zu machen.
Der nächste Schritt ist mit 25 erfolgt, als ich als Verantwortlicher vom Europacup nominiert wurde. Dieser Arbeit bin ich zwischen 1997 und 2005 nachgegangen, bis ich das Bedürfnis spürte, in die Privatwirtschaft zu wechseln.
Mit 29 bin ich bei Stöckli als Race Direktor eingestiegen, mit dem Ziel für Topathleten im Weltcup sehr gute Skis zu entwickeln. Es war eine erfolgreiche Zeit. 2009 habe ich einen internen Wechsel bei Stöckli gemacht im Bereich Produktmanagement und Produktion, auch für Kleider und Bikes. Diese Aufgabe habe ich gemacht bis zur Nominierung als COO. 2019 war ich bereit für eine neue Herausforderung, als sich die Gelegenheit bot, bei Swiss-Ski als Alpin-Direktor zu arbeiten. Es war ein Herzentscheid und auch eine tolle Gelegenheit, um etwas zurückzugeben für all das, was ich bekommen habe.
Wir feiern dieses Jahr das 20-jährige Jubiläum des SVSPs. Blicken wir zurück. Wie hat sich aus ihrer Sicht die Tätigkeit der Physiotherapie in den letzten 20 Jahren verändert?
2002 haben die Olympische Spiele in Salt Lake City stattgefunden. Swiss-Ski war nicht so erfolgreich bei den alpinen Disziplinen gab es nur eine Bronzemedaille. Es gab weniger Ressourcen, unter anderem für die Physios und die Leistungstests. Die Kernaufgaben der Physios dazumal waren das Massieren und das Anwenden des Fachwissens zwecks optimaler Behandlung, rückten in den Hintergrund. Der Physiotherapeut unterstützte zusammen mit dem Konditionstrainer das Trainerteam in verschiedenen Aufgaben.
Als Beispiel, kann ich die Staff-Zusammensetzung von den diesjährigen Olympischen Spielen nennen: neben den Trainern haben die Physios den Grossteil des Staffs ausgemacht.
Wie war es damals bezüglich Sportwissenschaft, Gesundheit und Physiotherapie?
Wie vorher erwähnt, hatte man weniger finanzielle Ressourcen. Das Budget von Swiss Ski als Gesamtverband betrug ca. 20 Millionen, heute sind es ca. 70 Millionen. Damit kann man viel mehr umsetzen. Auch in der Vermarktung hat sich Swiss Ski gesteigert und bei jedem Rennen ist es Swiss Ski, die direkt (ohne Agenturen) die Athletinnen und Athleten sowie das Produkt vermarkten. Swiss Ski kann tolle Angebote für Sponsoren und Partner organisieren, wie zum Beispiel ein Rennen aus nächster Nähe zu erleben oder Athleten und Athletinnen zu treffen. Die Partner bekommen viel für ihre Unterstützung zurück. Dank dieser Ressourcen kann man professioneller trainieren und in wichtigen Funktionen Fachkräfte anstellen. Vor einigen Jahren waren Österreich und Deutschland führend betreffend Sponsoring. Heute sind wir auf einem ähnlichen Niveau: Die Schweiz hat sehr stark aufgeholt.
Beim Material hat die FIS in den letzten 10 Jahren die Skis langsamer gemacht, weil die Skifahrer die steigenden Kräfte nicht aushalten konnten und sich oft verletzten. Je mehr die FIS versucht hat, die Leistung des Skis einzuschränken, umso mehr hat sich das Material weiterentwickelt. Man kann mit Sicherheit sagen, dass man heute mit einem Top-Ski, der vor vier Jahren viele Rennen gewonnen hat, heute nicht mehr gewinnen könnte.
Fluor-Wachs zum Beispiel, ist ein Thema. Es soll neuerdings nicht mehr in der Präparation der Skis verwendet werden. Mit Fluor-Wachs lassen sich die besten Gleitergebnisse erzielen jedoch sind sie schlecht abbaubar und belasten die Umwelt. Es gibt aber bereits neuere Produkte, die das Fluor ersetzen sollen.
Bei den Frauen ist das Verletzungsrisiko deutlich grösser als bei den Männern. Aus diesem Grund nimmt man weniger intensive Gelände und man steckt die Strecken anders, damit sie nicht allzu schnell werden. Das Material ist aber ähnlich wie bei den Männern, und auch bei den jüngeren Athletinnen.
Welches sind deine persönlichen Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit den Physiotherapeuten?
Früher hat der Physio alles gemacht: Kleidertransport, Zeitmessung, Aufwärmen usw. Heute ist er ein Fachexperte, der sein Wissen anwendet und viel mehr Verantwortung für die Gesundheit der Athletinnen und Athleten trägt. Er arbeitet auch sehr viel im präventiven Bereich und hat mehr zu sagen beim Management der Athletinnen und Athleten. Wenn er z.B. denkt, dass bei einer Athletin oder einem Athleten aufgrund erhöhter Müdigkeit ein gesteigertes Verletzungsrisiko besteht, oder wenn er eine Beininstabilität feststellt, dann bespricht man im Staff mögliche Massnahmen. Früher wurde diese Kompetenz nur den Ärzten zugesprochen.
In den letzten 2 Jahren wurde den Physios auch die intensive Aufgabe des COVID-Managers übertragen und allgemein ist er auch eine der wichtigsten Bezugspersonen für die Athletinnen und Athleten.
Wie wichtig ist die Arbeit der Physiotherapeuten im Skiverband?
Im Ski Alpin sind etwa 15 Sportphysios angestellt. Über das ganze Jahr gesehen, hat ein Sportphysio etwa die gleiche Arbeitsintensität wie die Athletinnen und Athleten, mit wenig Ferienwochen. Wenn die Athletinnen und Athleten nach der Wintersaison eine Pause machen, können auch die Physios in die Ferien. Ansonsten sind sie immer bei den Zusammenkünften im Winter wie auch im Sommer Teil des Teams. Das führt dazu, dass es ein enges Verhältnis mit den Athletinnen und Athleten entsteht.
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Welche Fähigkeiten muss ein Physiotherapeut haben, um Top-Athletinnen und -Athleten betreuen zu können?
Das fachliche Wissen ist sehr wichtig. Physios können heutzutage ihre Hauptaufgabe richtig wahrnehmen und sich auf die physische Entwicklung der Skifahrerinnen und Skifahrer fokussieren. Zum Beispiel die Beinachsenstabilität sowie die Rückenstabilität sind im Skisport sehr wichtig und hierfür sind Spezialisten gefragt.
In der aktuellen Rekrutenschule werden die jungen Athletinnen und Athleten immer von drei Physios begleitet. In den ersten 6 bis 7 Wochen werden vorwiegend Stabilisationsübungen ohne traditionelles Krafttraining gemacht. Interessant ist die Beobachtung, dass Athletinnen und Athleten, die Fortschritte in der Stabilisation gemacht haben, auch beim Krafttraining auf hohem Niveau beginnen können. Zum Teil können sie sogar mehr Gewicht umsetzen als zuvor. Eine gute Zusammenarbeit mit dem Konditionstrainer ist ebenfalls sehr wichtig bei der Kraftentwicklung.
Zudem sollten Physios teamorientiert sein, gerne reisen, den persönlichen Kontakt mit Athletinnen und Athleten schätzen und manchmal auch ein bisschen Mental Coach sein. Die Sozialkompetenz ist sehr wichtig. Interessanterweise hat es bei den Athleten mehr Physiotherapeutinnen.
Allgemein sind im Skisport schon sehr viele Männer dabei. Das ist auch ein Grund, wieso man es sehr schätzt, wenn Physiotherapeutinnen mit dabei sind.
Osteopathen sind nur punktuell bei gewissen Wettkämpfen dabei, aber nicht so integriert wie die Physiotherapeuten.
Wie war die Entwicklung im Skisport in den letzten 20 Jahren?
Die Skifahrerinnen und Skifahrer von heute sind wesentlich vielseitiger, koordinierter und unglaublich polysportiv. Sie können so ziemlich alles und sind geschmeidiger als frühere Athletinnen und Athleten. Da hat die Sportwissenschaft sowie das Know-how der Konditionstrainer und der Physiotherapeuten sehr viel gebracht.
Welches sind die grössten Herausforderungen für die nächsten Jahre?
In der Schweiz wird es in den nächsten Jahren spannend, weil mehrere grosse Events anstehen. Alleine 2025 stehen die Biathlon-Weltmeisterschaften in der Lenzerheide, die Ski-Freestyle- und Snowboard-WM im Engadin und die WinterMilitärweltspiele in der Zentralschweiz auf dem Programm. Ein Jahr später folgen die Olympische Spiele in Milano-Cortina. Und 2027 wird Crans Montana, nach 40 Jahren, die Ski-AlpinWM austragen.
All diese Events sollten dem Schweizer Sport einen Schwung geben und dazu führen, dass sich mehr Kinder für den Schneesport und für den Sport im Allgemein begeistern.
Der Klimawandel ist ein Thema, welches sehr wahrscheinlich längerfristig an Wichtigkeit noch mehr zunehmen wird. Zurzeit werden neue Technologien in der Schnee-Produktion entwickelt, so dass der Schnee mittelfristig garantiert sein sollte.
Wie wird der Skisport 2042 aussehen?
Es ist nicht einfach, so weit in die Zukunft zu schauen.
Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden wohl dank neuer Technologien viel näher an den Athletinnen und Athleten sein. Es wird zum Beispiel möglich sein, eine Abfahrt mit den Augen der Fahrerin oder des Fahrers, also quasi durch die Skibrille, erleben zu können. Es wird wohl Technologien geben, die einem einen Eindruck vermitteln, wie sich Athletinnen und Athleten vor, während und nach einem Wettkampf fühlen. Es wird sicher eine spannende Entwicklung geben.
Noch eine letzte Frage: Möchtest du ein Wort an die Physios richten?
Die Physiotherapeuten von heute und morgen sind einer der Aktivposten in der Betreuung und Entwicklung unseres Sports. Dank der Physiotherapie und ihrem Know-how haben sich die Athletinnen und Athleten stark verbessert. Somit sind Physiotherapeuten direkt am Erfolg beteiligt.
Ich hoffe, dass die Schweiz den Physiotherapeuten weiterhin eine sehr gute Ausbildungsmöglichkeit bieten kann und sie weiter fördert. Auch wünsche ich mir, dass die Physiotherapeuten weiterhin merken, dass die Arbeit in einem Verband sehr spannend ist und die Zusammenarbeit mit Athletinnen und Athleten sehr erfüllend ist.
Ich danke allen, die sich um die Entwicklung des Sports bemühen. Die Physiotherapeuten tragen sicher einen wichtigen Teil dazu bei!
Ich bedanke mich herzlich bei Walter Reusser für die Zeit, die er sich genommen hat und die freundliche und offene Art und Weise. Danke auch für die vielen lobenden Worte für die Arbeit und die menschlichen Qualitäten der Sportphysiotherapeuten. Ich hoffe, dass dieses Gespräch den einen oder anderen Jung-Physio dazu motiviert, sich bei Verbänden anzubieten und aktiv an der Sportentwicklung mitzuwirken.