Ticino ti cucino

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Originalrezepte und kulinarische Geschichten aus dem Tessin

E

Pepe Regazzi  Juliette Chrétien  Fabio Corfù





Originalrezepte und kulinarische Geschichten aus dem Tessin   E

Pepe Regazzi

Juliette Chrétien  Fabio Corfù

AT Verlag


INHALT

VORWORT

7

Eine kurze Einführung in das Tessin TERRA DEI «GAZÖSA»

12

Trinken und singen VALLE VERZASCA

16

Vom Holzofen und dem Dinkelbäcker ALPE CEDULLO

46

Das Leben auf der Tessiner Alp SALVAN

70

Daniela und ihr Gemüseladen GROTTO AMERICA

92

Echte Tessiner Grotti und die Buvoli I PESCI DI L AGO

112

Von tief unten im Lago Maggiore und von Walter, dem Fischer PABLO, IL CUOCO

138

Ein Tessiner Jung- und Spitzenkoch zaubert TIGUSTO

164

Pierluigi Zanchi und seine Tofuproduktion FAVINI FA.VINO

Über den Tessiner Merlot und Simone Favini

186


L A MAZZA

210

Die Schlachttradition mit Guido Crivelli und den Valsangiacomo L A NONNA LINA

232

Ein Besuch im Calancatal I CACHI

252

Im Reich des Kakikรถnigs bei Giorgi Winter DIE AUTOREN

271

VIELEN DANK

273

ADRESSEN

274

REZEPT VERZEICHNIS

276

Nach italienischen Bezeichnungen REZEPT VERZEICHNIS

Nach deutschen Bezeichnungen

277



VORWORT Eine kurze Einführung in das Tessin

Die Tessiner Küche ist tief in der voralpinen Kultur und Tradition verwurzelt, aber auch eng mit der lombardischen Küche verwandt. Trotz der Einflüsse, die in zahlreichen Rezepten spürbar sind, hat sie ihren ganz eigenen Charakter bewahrt, der die Geschichte und Geografie des schweizerischen Südkantons widerspiegelt und zu einem grossen Teil auf Produkten des Tessiner Terroirs beruht. Die althergebrachten Gerichte finden seit einiger Zeit wieder zurück auf den Tisch und werden wegen ihrer Ursprünglichkeit und ihrer unverwechselbaren Qualität geschätzt. Die Tessiner Küche ist wie alle Regionalküchen das Ergebnis eines dauernden Prozesses von Entwicklung und Erhaltung. Die Grundzutaten stammen aus dem heimischen Boden, erschaffen durch das tägliche Leben zwischen Bergen und Tälern, Hügeln, Flüssen und Seen. Es sind einfache Produkte, die von einem einst mühevollen Leben zeugen. Die Mehrheit der Tessiner Bevölkerung ernährte sich in der Vergangenheit bescheiden und relativ eintönig auf der Grundlage von Kastanien, Polenta und Kartoffeln. Die Gerichte waren nicht Teil eines Lifestyle, wie sie es heute oft sind, sondern entstanden aus purer Notwendigkeit, Gartenarbeit wurde nicht als Hobby gepflegt, Jagd und Fischerei waren nicht bloss Leidenschaften, sondern dienten allein dem Überleben. Dieses war gesichert, wenn die Produkte möglichst unabhängig auf dem eigenen Boden erzeugt und vielseitig genutzt werden konnten. Einfallsreichtum erforderte auch die Konservierung der Lebensmittel. Die Beschaffenheit des Geländes war ganz anders als heute: Wälder und unproduktive Flächen machten einen grossen Teil des Landes aus und konnten nur in ständiger harter Arbeit kultiviert werden. Auf kleinen Parzellen wurden hauptsächlich Landwirtschaft und Viehzucht betrieben, unverzichtbar waren aber auch die Jagd und das Sammeln von Naturprodukten in den Wäldern und auf den Alpen. Dadurch entstand über die Jahrhunderte ein sehr grosses und tiefes Wissen über die Pflanzen, ihre Eigenschaften und Wirkungen. Da Futter und geeignete Ställe zur Überwinterung fehlten, mussten die Tiere vor dem Winter geschlachtet, ihr Fleisch zu Würsten und Schinken verarbeitet werden. Aus den natürlichen Erzeugnissen des Bodens und den wenigen Produkten, die von aussen bis in die Täler vorgedrungen waren, entwickelte sich dank dem Einfallsreichtum der Frauen (die Männer mussten das Tessin nicht selten verlassen, um in der Fremde Geld zu verdienen) eine eigenständige, gesunde und schmackhafte Küche, die sich im Laufe der Zeit zwar verändert, aber nichts von ihrer gesunden Ursprünglichkeit verloren hat. Die Tessiner Küche zeichnet sich aus durch die Verwendung unverfälschter Produkte, die Einfachheit der herkömmlichen ländlichen Gerichte und die Vorliebe für einen ausgeprägten Geschmack.

Vorwort  7


Die typischen Tessiner Grotti und die rustikalen Lokale sind die eigentlichen Hüter dieser kulinarischen Schätze. Hier geniesst man oft im Freien die Produkte und Gerichte der einheimischen Küche: Wurstwaren aus eigener Produktion, besonders Salami und Mortadella, dann Minestrone, Risotto, marinierte Fische, Capretto mit Polenta, Brasato und Bratkartoffeln, Kaninchen, Pilze, verschiedene Hart- und Weichkäse und zum Dessert Zabaione, Brotkuchen und in Wein eingelegte Pfirsiche. Aus dem Boccalino, dem typischen Tessiner Trinkkrüglein, geniesst man Merlot oder Nostrano, gespritzt mit «Gazosa». Vielerorts scheint hier im Tessin die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Produkte wachsen auf dem eigenen Boden und werden nicht um den halben Globus transportiert. Was auf den Tisch kommt, ist saisongerecht und folgt dem natürlichen Zyklus von Wachstum und Reife. Die Nahrungsmittel sind natürlich und werden naturnah belassen, durchlaufen also keine komplexen industriellen Verarbeitungsschritte. Alles ist ganz einfach. Die Ernährungsweise der Tessiner «Nonni», die im Laufe der Geschichte aus Not und Notwendigkeit entstanden ist, wird heute – nach den Auswüchsen und Irrwegen von Monokulturen, Tierfabriken, Fastfood und Fertigprodukten – vermehrt wieder zum Bestandteil eines modernen, bewussten, gesunden und nachhaltigen Lebensstils. Der Wert der ursprünglichen Naturprodukte ist im Begriff, wiederentdeckt zu werden, und wird ironischerweise zum Luxus. Die Nachfrage nach Bioprodukten, lokalen Spezialitäten, authentischen Gerichten steigt und bildet eine Gegenbewegung zur McDonaldisierung der Essgewohnheiten. Die Spitzengastronomie sucht Inspiration in traditionellen Rezepten der Arme-Leute-Küche und ist dem althergebrachten Wissen über Wildkräuter und Gewürze auf der Spur. Junge Leute besinnen sich im Tessin auf ihre Wurzeln, lernen von der Grossmutter, beginnen den Boden zu bewirtschaften und Wein anzubauen. So feiert das Dinkelmehl ein Comeback, alte Maissorten und Kartoffeln werden wieder kultiviert, die «Farina bóna» aus geröstetem Maismehl hält beim Gourmetkoch Einzug, die Kastanie rückt ins Scheinwerferlicht, der «Büscion», ein typischer Tessiner Geisskäse, wird besungen, der Merlot gewinnt «Bicchieri», und neue Produkte aus heimischer Produktion wie Tessiner Soja oder die Kakifrucht werden lanciert. Bene.

8 Vorwort


Dies geschieht mit viel Enthusiasmus, Überzeugung, frischen Ideen und immer öfter auch mit Erfolg. Im Tessin kann man fast von einer – wenn auch noch versteckten – Bewegung sprechen. Anzeichen finden sich auch im übrigen Alpenraum … und nicht nur dort. Die hochwertigen Produkte treffen den Zeitgeist und finden ihren Weg zum gesundheitsbewussten, aber genussorientierten modernen Lifestyle-Konsumenten. So schliesst sich der Kreis: Früher unter harten Bedingungen dem Boden abgerungene Grundnahrungsmittel haben sich zum modernen Luxusgut entwickelt. In ihrem Buch und mit den wiederentdeckten Rezepten sind Juliette, Pepe und Fabio dem «Nostrano» auf der Spur, dem Ursprünglichen, dem Terroir, dem typischen Tessin, das durchaus noch zu finden ist. Es ist zugleich eine Entdeckungsreise zu den Wurzeln der Tessiner Geschichte, Kultur und Lebensart. Dario Cantoni Herausgeber BIANCO Alpine Lifestyle Magazine

Vorwort  9





ESSEN, TRINKENBOCCALINO UND SINGEN

Se gli affari van male la cura ti voglio insegnar / lascia in pace il dottore, la prognosi non si può far prendi in fretta il sentiero del grottin solitar / ed un eco lontano, allor sentirai risuonar Io son nato nel Ticino e mi chiamo boccalin / rosso e bianco porto scritto di proverbi o lodi al vin ho un pancione e un bel nasino / tutto il mondo mi vuol baciar e baciami ancora un bacin «smak smak» / … poi ti faccio la testa girar Quando a casa ritorni il modo ti voglio insegnar / apri l‘uscio ed attendi, la moglie c‘è già ad aspettar fingi grandi pensieri, fila in letto a sognar / ed un eco lontano, allor sentirai risuonar Io son nato nel Ticino …

E Wenn die Geschäfte schlecht gehen, weiss ich dir Heilung. Den Arzt kannst du dir sparen, denn eine Prognose kann er nicht geben. Nimm nur schnell den Weg zum einsamen Grottin … und schon bald wirst du ein fernes Echo vernehmen. Ich bin im Tessin geboren und heisse Boccalin, rot und weiss geschrieben, trage ich Reime und Loblieder auf den Wein, einen schönen Bauch und ein hübsches Näschen hab ich auch. Die ganze Welt will mich küssen, und küss mich noch einmal, dass ich dir den Kopf verdreh … Wenn du dann nach Hause zurückkehrst, will ich dir sagen auf welche Art: Öffne die Türe und halte inne, die Frau erwartet dich bereits, zeige dich in Gedanken versunken, husche sofort ins Bett zum Träumen  … und schon bald wirst du ein fernes Echo vernehmen: Ich bin im Tessin geboren …

Terra dei «gazösa»  13


Zitronenlimonade [[Für 10 Liter ]

10 l Wasser

8 unbehandelte Zitronen

1,2 kg Zucker

1 Handvoll Salbeiblätter

1 kleine Flasche Bier

20 g Weinsteinpulver

2 EL Zucker

In einem grossen Topf 5 Liter Wasser zum Kochen bringen.

E   Inzwischen die

Schale sämtlicher 8 Zitronen (ohne die weisse Schalenschicht) in feine Streifen schneiden und den Saft von 7 Zitronen auspressen. Den Zucker in das kochende Wasser geben, erneut aufkochen und dann den Saft und die Zitronenschale sowie die Salbeiblätter hineingeben. Verrühren und bei schwacher Hitze ohne Deckel 20–30 Minuten köcheln lassen, dabei gelegentlich umrühren. Abkühlen lassen.

E   In einen mindestens

10 Liter fassenden Behälter 5 Liter kaltes Wasser geben und die eingekochte Zitronenflüssigkeit durch ein Sieb hinzugiessen (Zitronenschale und Salbeiblätter wegwerfen). Das Bier und das Weinsteinpulver darunterrühren. In Flaschen abfüllen und die Flaschen 3–4 Tage in die Sonne stellen.

14  Terra dei «gazösa»

E   An einem kühlen Ort aufbewahren.










LA VERZASCHINA

Bella sei come un fiore / piena di poesia per me tu sei l‘amore / tutta la vita mia senti, piccina, prestami attenzion / voglio cantarti una canzon Vieni con me su in valle / o bella verzaschina noi canteremo uniti in cor / i dolci canti dell’amor ti donerò un bel fiore / color del cel sereno che va dicendo a te / non ti scordar di me ... L’estate è terminata / e tu al piano scendi la valle tu hai lasciato / e alla vendemmia attendi là, tra i vigneti brilla il sole d‘or / mentre festoso si alza un cor Vieni con me …

E Schön bist du wie eine Blume, voller Poesie, für mich bist du die Liebe, mein ganzes Leben. Hör zu, Kleine, schenk mir etwas Aufmerksamkeit, ich möchte dir ein Lied singen. Komm mit mir hoch ins Tal, oh du schöne Verzaschina! Vereint werden wir singen den süssen Gesang der Liebe. Ich schenke dir eine Blume, so blau wie der Himmel, die wird dir ewig sagen: Vergiss mein nicht … Der Sommer ist zu Ende, und du kehrst zurück in die Ebene. Das Tal hast du verlassen und wartest auf die Weinlese. Dort, zwischen den Rebbergen, leuchtet die goldene Sonne, während ein feierlicher Gesang sich erhebt. Komm mit mir ...

Valle Verzasca  23



VALLE VERZASCA Vom Holzofen und dem Dinkelbäcker Ich streife durch die Gasse, die das Dorf durchschneidet. Niemand zu sehen. Nur dieser kleine Junge, der plötzlich aus einem Hauseingang schiesst. Er rennt zehn Meter, hält inne, dreht sich um, läuft zurück und späht hinter einem Holzstapel hervor. «Che c’è? Was hast du gesehen?», möchte ich ihn fragen. «Einen hüpfenden Kobold oder den Schatten einer Fee?» Möglich ist alles. Dies ist einer jener Orte, wo Magie in der Luft liegt … Ich gehe zu Julie und Pepe zurück, die hinten am Auto diskutieren, was sie an Fotoausrüstung mitnehmen wollen. Während sie herumwerkeln, sticht mir der Junge von vorhin wieder ins Auge. Verzückt blickt er hinunter zum Fluss. Was ihn wohl jetzt in seinen Bann ziehen mag? Und was führt uns eigentlich dazu, mit Kamera und Schreibzeug die südlichen Täler und Ebenen zu durchstreifen? Ist es auch Magie? Schnee – diese unendlich weisse Decke, die den Tieren Ruhe bringt und die Menschen hinter ihren Mauern ausharren lässt. Gute oder schlechte Magie? Konnten sich unsere Vorfahren wohl mit der dunklen Jahreszeit anfreunden? So beruhigend und friedvoll Schnee sein kann, so ver­heerend ist er, wenn er ins Rutschen gerät und Wälder, Häuser, Menschen und Tiere hinwegfegt. Ich liebe diesen Schnee, der unsere Ahnen gezwungen hat, Stunden vor dem wärmenden Holzfeuer zu verbringen. Ohne tief verschneite Winter würden wohl viele der in diesem Buch überlieferten Rezepte heute nicht existieren. Und auch uns bringt der Schnee zurück ins Valle Verzasca. Es ist schön hier im Winter. Kaum Touristen. Überall Stille und Geborgenheit. Wir bewundern die alten Gemäuer, die Balken mit ihren Querträgern. Für uns kaum mehr vorstellbar, wie das alles einst aufgebaut wurde – mühsam von Hand im Schweisse des Angesichts. Morgenstimmung. Eine traumhafte Atmosphäre. Derart schöne Momente, überwältigende Szenarien und Stimmungen zu beschreiben ist eigentlich unmöglich. Die Schönheit übersteigt unseren Wortschatz. Das Gleiche gilt auch für die Fotografie. Schönheit festzuhalten ist eine besondere Herausforderung. Genau an einem solch wundersamen Ort sind wir gelandet. In der Luft schwebt ein unwider­ stehlicher Duft von frisch gebackenem Brot, und schon nach wenigen Minuten wähne ich mich näher am Paradies als nach jahrelangem frommem Kirchgang. Aber wie lässt sich der Duft von frischem Brot, der in der Morgendämmerung um die Häuser zieht, auf Celluloid bannen? Oder das Knistern des Feuers im alten Steinofen? Doch am besten suchen wir den Holzofen … und den Zauberer, der dieses märchenhafte Brot bäckt.

Valle Verzasca  25


Eros Mella und der Sauerteig Während draussen noch der Schnee unter unseren Füssen knirscht, wärmt der süsse Duft aus Eros Mellas Backstube unsere Herzen. Wir steigen die Steintreppe hinunter, die in seine Back­stube führt und tauchen ein in Mellas Welt des Dinkels. Eros Mella ist nicht bloss Bäcker. In seinen Backwaren ist Liebe enthalten. Er nimmt Rücksicht auf diejenigen, die Schwierigkeiten mit der Verdauung haben und auf die Allergiker. Dies ist der Hauptgrund, weshalb er fast ausschliesslich mit Dinkel bäckt. Dinkel gilt als die am besten verträgliche Getreidesorte. Jedoch ist Dinkel viel aufwendiger in der Verarbeitung als etwa Weizen. Wenn man Dinkelmehl zu einem haushaltsüblichen Hefeteig verarbeitet, wird das Brot sehr schnell trocken und ungeniessbar. Damit dem guten Dinkel keine kulinarischen Hindernisse im Wege stehen, bäckt Eros auf ganz natürliche Weise, mit dem natürlichsten aller Triebmittel: dem Sauerteig. Dieser wird über mehrere Tage aus Dinkelvollkornmehl, Wasser, Wärme und viel Zuneigung hergestellt. Nicht nur für Eros Mella, auch für Regina, eine der letzten Verzascinerinnen, die das Backen in den alten Holzöfen der Dörfer noch beherrscht, ist der Dinkelsauerteig unverzichtbar. Er ist ein wichtiger Bestandteil ihrer traditionellen Rezepte wie zum Beispiel der «Fügascia», eine Art süsse Focaccia aus Dinkelsauerteig, Äpfeln, Butter und Zucker.

26  Valle Verzasca





Süsse Focaccia Vorteig

200 g

200 ml

Dinkel-Vollkornmehl Wasser

Fügascia

200 g

Dinkel-Vollkornmehl

1 TL

200 ml

Wasser

300 g

Vorteig

1

2 EL

Salz

Apfel Zucker

Zubereitung des Vorteigs  Am 1. Tag 50 g Dinkel-Vollkornmehl gleichmässig mit 50 ml lauwarmem Wasser verrühren. Mit einem sauberen Küchentuch abdecken und an einem warmen Ort (optimal sind 25–30 Grad) über Nacht ruhen lassen. E  Am 2. Tag sollten winzige Bläschen in der Masse zu sehen sein. Weitere 50 g DinkelVollkornmehl und 50 ml lauwarmes Wasser dazugeben und vollständig untermischen. Wieder abdecken und an einem warmen Ort erneut über Nacht ruhen lassen. E  Am 3. Tag erneut wie oben beschrieben Mehl und Wasser dazugeben und wieder ruhen lassen.  E  Am 4. Tag sollte ein leicht säuerlicher Geruch von der Masse aus­

gehen, und es sollten winzige Bläschen darin zu sehen sein; dann kann der Vorteig weiterverarbeitet werden. Sollte das noch nicht der Fall sein, muss noch ein- oder zweimal wie oben beschrieben Mehl und Wasser hinzugefügt werden. E  Um gebrauchsfertigen Vorteig zur Verfügung zu haben, kann man 100 g Vorteig ein­frieren. Dann braucht man vor der Weiterverarbeitung nur noch einmal wie oben beschrieben Mehl und Wasser hinzuzugeben und ihn nochmals gehen zu lassen.

30  Valle Verzasca



Zubereitung der Fügascia Das Dinkel-Vollkornmehl und das Salz mischen, zusammen mit 200 ml Wasser zu 200 g Vorteig geben und zu einem glatten Teig verarbeiten. Dabei nicht zu stark kneten, damit das Volumen des Vorteigs nicht verloren geht. In einer

grossen Schüssel abgedeckt 2 Stunden ruhen lassen. E Den Backofen auf 200 Grad

vorheizen.  E  Den Teig wie für eine Pizza auf einem Blech flach drücken oder

ausrollen. Über die gesamte Fläche mit den Fingern Dellen in den Teig drücken. Den Apfel in kleine Stückchen schneiden und auf dem Teig verteilen. Mit Butterflöckchen und Zucker bestreuen und im vorgeheizten Ofen etwa 30 Minuten backen.

32  Valle Verzasca




Gemüsekuchen [[Für 4 Personen ]

2 Stangen

Lauch

gutes Olivenöl

1

grosse Zwiebel, in Scheiben geschnitten

2

Zucchini, in Scheiben geschnitten

1

Karotte, geschält, in dünne Streifen geschnitten

Meersalz, frisch gemahlener Pfeffer

und nach Belieben Gemüsewürzmischung

1

Blumenkohl, in gleich grosse Röschen zerteilt

1 Paket

100 g

50 g

2

Blätterteig Hartkäse, gerieben Cherrytomaten, ganz oder halbiert Eier

abgezupfte Blättchen von einigen Zweigen

Thymian, Rosmarin, Oregano und Basilikum

Die Lauchstangen etwa 4 Minuten in kochendem Wasser blanchieren, um ihren Geschmack etwas zu mildern, dann in Ringe schneiden. In einer Pfanne etwas Olivenöl erhitzen und darin nacheinander Zwiebel, Lauch, Karotte und zuletzt die Zucchini andünsten. Mit Salz, Pfeffer und nach Belieben einer Gemüsewürzmischung würzen und bei mittlerer Hitze etwa 5 Minuten garen. Vom Herd nehmen und abkühlen lassen.

E Inzwischen den Blumenkohl etwa 5 Minuten im Dampf garen. Die Röschen sollen noch bissfest sein. Abkühlen lassen. E Den Backofen auf 200 Grad vorheizen.

Valle Verzasca  35


Während das Gemüse abkühlt, den Teig ausrollen und eine gefettete Kuchenform damit auslegen. Mit einer Gabel den Teigboden einstechen. Die Hälfte des geriebenen Käses gleichmässig darauf verteilen. Sobald das Gemüse abgekühlt ist, zusammen mit den Cherrytomaten daraufgeben, dabei für eine schöne optische Wirkung Tomaten und Blumenkohlröschen eher zuletzt darauf verteilen.

C Gibt man das Gemüse auf den Teig, solange es noch warm ist, wird der Teig beim Backen nicht knusprig, sondern weich und matschig. Für den Guss die beiden Eier mit dem restlichen geriebenen Käse, den abgezupften Kräuterblättchen sowie Salz und Pfeffer verquirlen. Das Ganze über das Gemüse giessen und den Kuchen im vorgeheizten Ofen etwa 30–35 Minuten backen. Aus dem Ofen nehmen und einige Minuten ruhen lassen. Dann mit einem frischen saisonalen Salat servieren.

C Am besten schmeckt der Gemüsekuchen mit frischem saisonalem Gemüse. Im Winter eignen sich zum Beispiel auch Gemüsesorten wie Wirsing, Mangold oder Ähnliches.

36  Valle Verzasca



Mürbeteigbiskuits Mürbeteig

500 g

Butter, bei Raumtemperatur

500 g

Zucker

4

1 kg

1 Prise

½

Eier, verquirlt Dinkel-Halbweissmehl Salz Vanilleschote, ausgekratztes Mark oder 2 TL Vanillezucker

F ür die Füllung

Johannisbeerkonfitüre

Vanillezucker

Butter und Zucker schaumig schlagen. Dann die verquirlten Eier vollständig unter­

mischen, sodass eine gleichmässige Masse entsteht. E  Mehl, Salz und Vanillemark mischen und auf die Eimasse sieben. Gut unterrühren und kurz durchkneten, sodass ein glatter Teig entsteht. In Frischhaltefolie gewickelt mindestens 1 Stunde im Kühlschrank ruhen lassen. E  Den Backofen auf 180 Grad vorheizen.

E Den Teig etwa 5 mm dünn aus­r ollen und Kreise ausstechen. Aus der Hälfte der Teigkreise in der Mitte mit einer kleineren Ausstechform ein Loch in gewünschter Form ausstechen. Sämtliche Teigkreise mit etwas Abstand auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech legen und im vorgeheizten Ofen etwa 10 Minuten hellbraun backen.

E Aus dem Ofen nehmen und abkühlen lassen. Die Kreise für die Unterseite dünn mit Johannisbeerkonfitüre bestreichen und die ausge­s tochenen Teigdeckel daraufsetzen. Die fertigen Plätzchen leicht mit Vanillezucker bestäuben.

38  Valle Verzasca




Ostertaube Vorteig

175 g

Vorteig (siehe Seite 30)

190 ml

125 g

Zucker

5

Eigelb

135 g

Butter, bei Raumtemperatur

500 g

Dinkel-Halbweissmehl

lauwarmes Wasser

Teig

1

Vorteig (siehe oben)

125 g

10 g

50 ml

5

250 g

8 g

½

125 g

Butter, geschmolzen

250 g

kandierte Orangenschale, gewürfelt

Zucker flüssiger Honig Wasser Eigelb Mehl (italienisches Mehl Type 00 oder normales Weissmehl) Salz Vanilleschote, ausgekratztes Mark oder 2 TL Vanillezucker

Glasur

30

Mandelkerne, geschält

15

Aprikosenkerne, blanchiert

150 g

Zucker

Eiweiss

geschälte Mandeln und Hagelzucker zur Dekoration

Puderzucker zum Bestäuben

Valle Verzasca  41


Zubereitung des Vorteigs Wie auf Seite 30 beschrieben, dem Vorteig zunächst

ein- bis zweimal Mehl und Wasser hinzufügen, um ihn aufzufrischen. E  175 g des einsatzbereiten Vorteigs in einer Schüssel mit dem lauwarmen Wasser mischen (das Wasser sollte eine Temperatur von 27–28 Grad haben). Den Zucker und die Hälfte der Eigelbe hinzufügen und zu kneten beginnen. Nach einigen Minuten das Mehl und sobald ein gleichmässiger Teig entstanden ist, die restlichen Eigelbe hinzu­fügen. Weiterkneten, bis ein gleichmässiger, elastischer Teig entstanden ist, der nicht mehr an den Händen klebt. Nun die weiche Butter nach und nach vollständig einarbeiten. Den Teig in einer grossen Schüssel abgedeckt gehen lassen, bis sich sein Volumen mindestens verdreifacht hat. Das dauert etwa 12 Stunden. Zubereitung des Teigs Zucker, Honig, Wasser und die Hälfte der Eigelbe zum Vorteig geben und alles verkneten. Dann das Mehl untermischen. Sobald eine gleichmässige Masse entstanden ist, die restlichen Eigelbe hinzufügen und weiter kneten, bis ein gleichmässiger, elastischer Teig entstanden ist. Dann Salz, Vanillemark und die lau­warme, geschmolzene Butter hinzufügen und gleichmässig einarbeiten. Abschliessend die kandierte Orangenschale in mehreren Etappen darunterkneten. Den Teig in zwei Hälften aufteilen und abgedeckt etwa 45–60 Minuten gehen lassen.

E Inzwischen die Formen leicht mit Butter ausstreichen und mit Mehl

bestäuben. Die beiden Teig­portionen in die vorbereiteten Formen legen und darin

weitere 4–5 Stunden gehen lassen. E  Für die Glasur die Mandeln und die

Aprikosenkerne im Cutter (Moulinette) fein mahlen. Dann den Zucker und gerade so viel Eiweiss hinzufügen, dass eine feine, streichfähige Paste entsteht. Für eine noch feinere Konsistenz, die Masse auf eine Arbeitsfläche aus Marmor oder Metall geben und mithilfe eines Teig­r ollers aus Marmor oder einer Glasflasche von Hand

weiter bearbeiten. E  Den Backofen auf 190–200 Grad vorheizen. E

Die Glasur auf der Oberfläche des Teigs verstreichen und mit ganzen Mandeln und Hagelzucker dekorieren. Die Oster­k uchen mit Puderzucker bestäuben und im vorgeheizten Ofen etwa 1 Stunde backen, bis die Oberfläche goldbraun ist.

42  Valle Verzasca










ALPE CEDULLO Das Leben auf der Tessiner Alp Ich steige gerne die steilen Bergflanken hoch, so wie es viele tun. Oben angekommen, ist man überwältigt von der Weite, von der Schönheit und von der befreienden Distanz zu alldem, was uns sonst antreibt. Manchen wird es schwindlig, wenn ihnen die schützenden Wände fehlen, wenn sie dem Himmel, den Wolken und der einbrechenden Nacht Stirn bieten müssen. Es ist sehr bewegend, Wildtieren zu begegnen, Waldfrüchte zu finden und neue Aussichten zu ent­ decken. Eine seltsame Trunkenheit befällt einen, wenn man vom Weg abkommt, der gewaltigen Stille des Berges lauscht oder plötzlich vom Regen überrascht wird. Irgendwie flösst es uns Angst ein, aber wir fühlen uns auch lebendig, und dann beginnen wir über ein alternatives Leben nach­ zudenken – eines im Einklang mit der Natur. Für einen Augenblick, ein paar Stunden, einige Tage vielleicht … doch dann zieht es uns wieder hinunter ins Tal. Irgendwie scheinen wir uns im alltäg­ lichen Chaos mehr in unserem Element zu fühlen. Dies gilt allerdings nicht für alle.

Silvia e Maurizio Je einen Zentner auf jeden der beiden Esel verteilt und den Rest auf die Schultern. Maurizio wirft noch einen prüfenden Blick auf die Ladung, bevor er zielstrebig talwärts schreitet. Auch heute scheint der See zum Greifen nah, doch der steile Pfad will nicht enden. Er zieht sich über eine Stun­ de und zehn Minuten von der Alp bis zur ersten Bergstrasse. Nachdem der Käse abge­liefert und das geschäftliche Drumherum erledigt ist, folgt wieder der Aufstieg. Der gleiche Trampelpfad – nun noch unendlich länger. Manchmal sehnt sich Maurizio eine Materialseilbahn herbei, hebt den Kopf und stellt sich vor, wie all die Lasten über ihn hinwegschweben würden … Denkt es, ohne einen Augenblick innezuhalten, denn der Weg ist noch lang und der Arbeitstag auch. Dort oben warten knapp hundert Ziegen, die gemolken sein müssen. Das Melken der Ziegen – früh morgens und am Abend – geschieht hier noch von Hand und nimmt jeweils zwei bis drei Stunden in Anspruch. Vielleicht sogar länger. Denn der Hilfsknecht hat sich vor einigen Tagen mit Sack und Pack und mit einer Sehnenentzündung verabschiedet. Sicher, mit einer Melk­maschine ginge alles schneller, einfacher und mit weniger Aufwand. Aber Silvia und Maurizio wissen, dass der einfache und bequeme Weg oft nicht der bessere ist. Im ganzen Tessin ge­hören sie zu den letzten, die noch von Hand melken. Das macht ihre Produkte einzigartig. Diese althergebrachte Art des Melkens ist zwar heikel, aber sie ist gesünder und sicherer für das Tier, und es entwickelt sich eine tiefere Beziehung zu ihm. Maurizio legt grossen Wert auf den Erhalt dieser Fertigkeiten, denn es gibt Dinge, die, wenn sie einmal vergessen sind, plötzlich und unwiderruflich verschwinden und eine grosse Leere zurücklassen, die man dann kaum mehr füllen kann.

Alpe Cedullo  51


Während der Pfad weiter ansteigt, denkt Maurizio an die Käselaibe, die es zu wenden gilt. Der Sommer ist regnerisch, Tagestouristen sind daher rar, und der Keller ist entsprechend voll. Auch dort war­ tet noch eine Menge Arbeit auf ihn. Doch am schlimmsten ist der Bürokram, der ihn in der Küche erwartet. Ein Berg von Briefen, Formularen, Gesetzen, Vorschriften und Reglementen. Er muss an die Kollegen denken, die irgendwann einfach nicht mehr konnten und den ganzen Bettel hin­geschmissen haben. «Zu kompliziert, zu schwierig, zu viel Papierkram … », haben sie gesagt. Maurizio weiss, dass er und Silvia einer aussterbenden Gattung angehören. Das macht ihn wütend, manchmal aber auch etwas stolz – und es gibt ihm die Kraft weiterzumachen. Mit gelassenem Blick heissen ihn Ziegen, Schafe und Hühner auf der Alp willkommen. Nur die Hunde stürmen ihm entgegen, begrüssen ihn freudig und begleiten ihn bis vor die Türe. In der Küche emp­ fängt ihn der Duft von frisch gehacktem Schnittlauch. Silvia bereitet das Gemüse für das Nacht­ essen vor. Den Stapel Papierkram hat sie wohlweislich in eine Ecke verstaut, damit Maurizio nicht gleich der Schlag trifft, wenn er die Küche betritt. Maurizio lächelt sanft. Er erinnert sich an seine Kindheitsträume und den Grund für all diese Entbehrungen. Später am Abend, als er sich auf das Melken vorbereitet, fühlt er sich glücklich. Wie viel Mut hat es gebraucht und wie viel wird es noch brauchen, wie viel Aufopferung … Aber wie schön auch, seine Täume verwirklicht zu haben, aufzustehen und das eigene Leben zu gestalten, anstatt einfach sitzen zu bleiben und zuzuschauen, wie es zwischen den Fingern zerrinnt. Und du? Wovon hattest du den Mut zu träumen, als du noch Kind warst?

52  Alpe Cedullo






Alpkäse Il büscion  Frischkäse Die Milch für den Büscion wird in einem

destens 24 Stunden reifen gelassen. Die leicht

Heizkessel aus Kupfer oder Edelstahl auf

eingedickte Masse wird mit extra dafür vor­

65 Grad erhitzt und dann so schnell wie mög­

gesehenen Tüchern abgeschöpft und darin

lich in einem kalten Wasserbad abgekühlt,

zum Trocknen aufgehängt. Sobald der Frisch­

bevor die Milchsäurebakterien und das Lab

käse die gewünschte Konsistenz hat, wird er

hinzugefügt werden. Dann wird die Masse min­

portioniert, gesalzen und abgepackt.

La robiola  Frischkäse oder weiter gereift als Weichkäse Die Milch für diesen Käse wird wie bei

zur Gerinnung gebracht und dann ruhen

der Herstellung des Büscion erhitzt und

gelassen. Anschliessend wird der Käse mit

ab­gekühlt. Sobald die Milch abgekühlt ist,

einer sogenannten Käseharfe gebrochen, das

werden Joghurt und Schimmelkulturen

heisst in kleine Stücke zerteilt, und dann in

unter­gemischt, um die Käsereifung zu er­mög­

die für den Robiola typischen Formen gefüllt.

lichen. Durch Zugabe von Lab wird der Käse La formagella Gereifter Ziegenkäse Formagella ist der für das Tessin typische

grosse Stücke zerteilt. Der Käsebruch wird in

Rohmilchkäse. Die aufgewärmte Milch wird

die entsprechenden Formen gefüllt und darin

mit Milchsäurebakterien geimpft und durch

einige Tage in Salzlake gestellt, um die Rinden­

die Zugabe von Lab zur Gerinnung gebracht.

bildung vorzubereiten. Danach lässt man die

Die Temperatur der Masse muss dabei ständig

Käse im Gewölbekeller reifen; dabei werden

überwacht werden. Sobald dieser Prozess

sie täglich kontrolliert und gedreht. Nach etwa

abgeschlossen ist, wird die Masse gebrochen,

drei­wöchiger Reifezeit kann der Formagella

das heisst mit einer Käseharfe in etwa walnuss­

genossen werden.

Bergkäse Gereifter Ziegenkäse, typischer Bergkäse Auch dieser Bergkäse ist ein typischer Roh­

in die entsprechenden Formen gepresst wird.

milch­käse aus dem Tessin. In der Herstellung

Auch dieser Käse liegt einige Zeit in Salzlake.

ähnelt er dem Formagella, allerdings mit ab­

Während der Reifung im Gewölbekeller werden

weichenden Zeiten was das Kochen, Säuern

die Käse täglich kontrolliert und gedreht. Der

und die Gerinnung betrifft. Für diesen Käse

Bergkäse benötigt eine Reifezeit von mindes­

wird die eingedickte Masse feiner gebrochen,

tens 60 Tagen.

etwa in die Grösse von Reiskörnern, bevor sie Alpe Cedullo  57


Salat mit Alpkäse [[Für 4 Personen ]

Salat

300 g

gemischter Blattsalat der Saison

4

Büscion

4

essbare Blüten, zum Beispiel Margeriten

5–6

Radieschen

Dressing

2–3 EL

1 TL

Weinessig flüssiger Honig

Salz und Pfeffer aus der Mühle

Knoblauchzehe

¼

½ Bund

Schnittlauch

5–6 Blätter

Basilikum

5–6 EL

Olivenöl

In einer Schüssel für das Dressing Essig, Honig, Salz und Pfeffer gut vermischen. Die Knoblauchzehe fein hacken und zusammen mit den frischen Kräutern hinzufügen. Dann das Olivenöl daruntermischen. E  Die Blattsalate waschen und in

mund­gerechte Stücke reissen. Die Radieschen in feine Scheiben schneiden. Salat

und Radieschen zum Dressing in die Schüssel geben und gut vermischen. E  Den Salat auf vier Teller verteilen und jeweils einen Büscion daraufsetzen. Mit wenig Olivenöl beträufeln und nach Belieben mit etwas Salz und Pfeffer bestreuen. Mit jeweils einer essbaren Blüte garnieren.

58  Alpe Cedullo



Geschmortes Gitzi [[Für 4 Personen ]

1 kg

Gitzifleisch (Zicklein), in Stücke geschnitten

Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer

1 TL

gemahlener Zimt

2 EL

Mehl

2 EL

Butter

300 ml

Rotwein

300 ml

Gemüsefond

2

Karotten, in Scheiben geschnitten

1

Zwiebel, geschält und geviertelt

2

Knoblauchzehen

1

Lorbeerblatt

30 g

Zartbitterschokolade, gehackt

Die Fleischstücke mit Salz, Pfeffer und Zimt würzen und leicht mit Mehl bestäuben. In einem Schmortopf die Butter schmelzen und das Fleisch darin leicht anbraten. Mit dem Rotwein ablöschen und dann den Gemüsefond hinzufügen. Karotten, Zwiebel, Knoblauchzehen und das Lorbeerblatt hinzufügen, und alles bei schwacher Hitze und geschlossenem Deckel etwa 40 Minuten köcheln lassen. E  Kurz vor dem Ende

der Kochzeit die Schokolade hinzufügen und, sobald sie geschmolzen ist, gleichmässig unterrühren.

C Zu geschmortem Gitzi passt hervorragend eine Polenta nach Tessiner Art.

60  Alpe Cedullo



Heidelbeertarte Mürbeteig

150 g

1 Prise

Weissmehl Salz

½

unbehandelte Zitrone, abgeriebene Schale

60 g

weiche Butter

1

40 g

Zucker

2 EL

kaltes Wasser

Ei

Butter für die Form

Belag

2 EL

gemahlene Mandeln

1 EL

Zucker

1 Prise

100 g

Sauerrahm

250 g

Heidelbeeren oder andere Waldfrüchte nach Wahl

Zimt

Das Mehl in eine grosse Schüssel sieben. Zucker, Salz und die abgeriebene Zitronen­ schale darunter­mischen. Die Butter in kleinen Flocken dazugeben und alles mit den Finger­spitzen verkneten, sodass eine krümelige Masse entsteht. In einer separaten Schüssel das Ei gut mit 2 EL Wasser verquirlen, zur krümeligen Teigmischung geben und zügig zu einem gleichmässigen Teig verarbeiten, ohne diesen zu stark zu kneten. Den Teig zu einer Kugel formen, flach drücken und in Frischhaltefolie gewickelt

mindestens 20 Minuten im Kühlschrank ruhen lassen. E  Eine Kuchenform von 22 cm Durch­messer leicht fetten oder mit Backpapier auslegen. Den Backofen auf

220 Grad vor­heizen.  E  Den Teig ausrollen und die Form damit auslegen. Den Boden mit einer Gabel leicht einstechen und dann gleichmässig mit den gemahlenen

Mandeln bedecken. E 1 EL Zucker und den Zimt unter die Hälfte des Sauerrahms rühren und diese Masse auf dem Teigboden verstreichen. Die Heidelbeeren gleich­ mässig darauf verteilen, sodass der Boden vollständig damit bedeckt ist; dann den übrigen Sauerrahm darübergeben. E  Im vorgeheizten Ofen 20–25 Minuten backen. 62  Alpe Cedullo




Holunderblütensirup [[Für 1 ½ Liter Sirup ]

10 Dolden

Holunderblüten

1 l

Wasser

1 kg

Zucker

2 ½ g

Zitronensäure

Die Holunderblüten sollten erst geerntet werden, wenn sie vollständig aufgegangen

sind und einen intensiven Duft verströmen. E  Die frisch geernteten Holunder­

blüten säubern, in das Wasser geben und 24 Stunden ziehen lassen. E

Das aromatisierte Wasser durch ein Sieb in einen Topf giessen; die Holunderblüten

weg­werfen.  E  Das aromatisierte Wasser zusammen mit dem Zucker und der

Zitronen­säure aufkochen und 10 Minuten köcheln lassen. E  Den heissen Sirup

in sterile Flaschen abfüllen.  E  Zum Sterilisieren die Flaschen in einem grossen Topf ­vollständig mit Wasser bedecken, erhitzen und etwa 5 Minuten kochen lassen. Dann die ­F laschen mit einer Zange aus dem Wasser heben. Nicht abtrocknen, sondern an der Luft trocknen lassen.

Alpe Cedullo  65










SALVAN Daniela und ihr Gemüseladen Manchmal begegne ich älteren Frauen, die überzeugt sind, dass ohne diese bestimmte Kartoffel, jene Zwiebel oder jenen Apfel gewisse typische Rezepte einfach nicht mehr schmecken. Voller Inbrunst erzählen sie von vergangenen Zeiten, von unförmigen, mit Mühe ausgegrabenen Kartoffeln, von verkümmerten Zwiebeln und krummen Karotten. Sie erinnern sich an kleine, säuerliche Äpfel mit intensivem Geschmack und an von Vögeln angepickte überreife Kirschen. «Che gusto mera­vi­ glioso!» tönt es zustimmend aus der offenen Küche, wo eine der Frauen gerade eine Zwiebel schält. «Diese Früchte waren nicht nur die Belohnung für unsere Mühen. Nein, es waren ganze Abenteuerromane, die vom Eifer der Insekten und der Fresslust der Vögel erzählten», plaudert sie weiter, während sie nun Tomaten in Scheiben schneidet, die vielleicht noch nie die Hitze der Erde und das Glück eines Regenschauers kennen gelernt haben. «Es waren Gedichte über Erde, Sonne und Regen, Handbücher der Geduld und Beständigkeit. Heute sprechen die Produkte eine ganz andere Sprache: Lebensmitteltechnik, Gewächshaus, Hors-sol, Kühlraum und internationaler Trans­ port.» Dabei schaut sie mich an und lächelt in der Annahme, dass ich sowieso nichts kapiere. «Wenn du gewisse Früchte anschaust, scheinen sie alle gleich. Vielleicht so wie Bücher, die von aussen auch gleich aussehen. Aber wenn du sie aufschlägst und zu lesen beginnst, und wenn du die Sprache verstehst, ist jedes anders. Genauso ist es mit den Früchten der Erde. Aber wenn man die Dinge nicht unterscheiden kann, ist es sinnlos. Wir müssen wieder lernen, die Unterschiede zu schmecken, sonst essen wir einfach irgendwas, ohne uns bewusst zu werden, was wir eigentlich alles verpassen.» Kennen wir unsere Nahrung nicht mehr, weil wir keinen Bezug zu unserem Boden mehr haben? Müssen wir zurück auf die Schulbank? Wer kann uns die Grundlagen lehren? Wer kennt sich noch damit aus? Vielleicht die greise Grossmutter, die gebückte Mamma in ihrem Gemüse­garten, ein alter Landwirt oder der Besitzer des Dorfladens. Solche Horte des Wissens gibt es noch. Einer davon heisst «Salvan» und unsere Lehrmeisterin Daniela. Wir treffen Daniela in ihrem kleinen Dorfladen zusammen mit ihrem Ehemann. Unvermittelt taucht sie hinter einem Stand voller Obst, Früchte und Gemüse auf und schaut sich um. Sie erscheint uns wie die Hüterin des Grals, die ihre kostbaren Güter beschützen will. Seit bald 30 Jahren ist sie nun schon von Früchten und Gemüse umgeben. Sie sind ihr Leben geworden, haben von ihr Besitz ergriffen durch und durch.

74  Salvan


«Welches sind die besten Früchte, und wo finden wir sie?», frage ich sie als Erstes. Geradlinig und ohne jegliche ideologische Anspielung gibt sie zurück: «Wenn du wählen kannst zwischen Erd­ beeren, die gestern gleich hier um die Ecke gepflückt wurden, und anderen, die tausende Kilo­meter entfernt unreif gelesen werden, um dann auf ihrer Reise durch den halben Kontinent in Holzkisten zu reifen, welche nimmst du?» Daniela glaubt, dass die meisten Menschen diese grundlegenden Dinge eigentlich wissen, aber verlernt haben, darüber nachzudenken. Auf die Frage, welche Kundschaft denn ihr Geschäft besucht, antwortet sie, ohne zu zögern: «Kunden mit einem gesunden Sinn für Geruch und Geschmack, die kommen zurück. Der Geruch ist das perfekte Auswahlkrite­ rium, um nach dem Einkauf auch ein gutes Produkt in der Tasche zu haben», erklärt sie uns. Daniela kennt sich aus mit Gerüchen. In ihrem Laden vermischt sich eine Vielzahl unterschied­licher Düfte, und doch ist sie in der Lage, eine faulende Frucht sofort zu identifizieren, möge sie noch so gut verborgen sein. «Es ist wie bei einer Sinfonie», erklärt sie, «wird nur eine Note falsch gespielt, hört das geschulte Ohr den Misston heraus.» Ecco. Daniela ist eine Meisterin in der Sinfonie von Duft- und Geschmacksnoten. Sie hat dieses Leuchten in den Augen, wenn sie uns anschaut, und sie ist uns eine gute Lehrerin. «Riecht ihr das?» fragt sie. Ja. Wir riechen es und können ihr nur beipflichten. Es riecht nach guten Produkten. Und wenn wir uns eines Tages wieder vom eigenen Boden ernähren müssten, würden wir uns daran erinnern, auf den Mond zu schauen? Würden wir die verschneiten Berggipfel bestaunen? Und wären wir uns bewusst, dass die Erde wie ein Nest ist, das genau die richtige Temperatur haben muss, damit seine Früchte reifen können? «Das sind keine komplizierten Dinge, aber man muss sie wissen, und man muss ihnen Rechnung tragen.»

Salvan  75




Minestrone [[Für 4 Personen ]

1

Zwiebel, gewürfelt

2

Knoblauchzehen, gepresst

Olivenöl

Wasser

2 l

Gemüsebrühe (Instantpulver)

Thymian, Rosmarin, Salbei nach Belieben

1

Lorbeerblatt

500 g

Wirsing, in Streifen geschnitten

400 g

Kürbis, gewürfelt

150 g

Borlottibohnen

2

Karotten, geschält, in Rädchen geschnitten

3

Kartoffeln, geschält, gewürfelt

250 g

1 Stange

1

3 Blätter

1

Knollensellerie, geschält, gewürfelt Lauch, in Ringe geschnitten Zucchini, in Scheiben geschnitten Mangold, in Streifen geschnitten Tomate, gewürfelt

Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer

Sbrinz, frisch gerieben, zum Servieren

Zwiebel und Knoblauch in einem grossen Topf in Olivenöl andünsten. Dann das Wasser und die entsprechende Menge Gemüsebrühepulver sowie Thymian, Rosmarin, Salbei und das Lorbeerblatt hinzufügen. Zum Kochen bringen und dabei nach und nach die geschnittenen Gemüse hinzufügen. Bei mittlerer Hitze etwa 1½ Stunden köcheln lassen. Zum Schluss nach Bedarf mit Salz und Pfeffer abschmecken.  E  Zum Servieren etwas Sbrinz über die Minestrone reiben.

C Dazu schmeckt ein Glas Barbera. 78  Salvan




Püree von violetten Kartoffeln mit Ratatouille [[Für 4 Personen ]

Kartoffelpüree

1 kg

violette Kartoffeln, geschält und geviertelt

2 EL

Mohnsamen

250 ml

50 g

Milch, aufgewärmt Butter, bei Raumtemperatur Meersalz, frisch gemahlener Pfeffer, Muskatnuss

Ratatouille

3

Frühlingszwiebeln, gewürfelt

1

Knoblauchzehe, fein gehackt

Olivenöl

je 1

gelbe und grüne Zucchini, in Scheiben geschnitten

300 g

Cherrytomaten, geviertelt

Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer

1 Prise

Currypulver

1 EL

50 ml

200 ml

Gemüsefond

½ Bund

Schnittlauch, gehackt

250 g

1 Spritzer

1 Bund

Tomatenmark Weisswein

Borlottibohnen, gekocht (evtl. aus der Dose) frischer Zitronensaft glatte Petersilie, gehackt

Salvan  81


Für das Kartoffelpüree die geviertelten Kartoffeln in ausreichend Salzwasser zusammen mit 1 EL Mohnsamen etwa 10 Minuten weich kochen. Abgiessen und zum Abdampfen zurück in den noch heissen Topf geben. Mit dem Kartoffelstampfer zerdrücken. Dabei nach und nach Milch und Butter untermischen. Sobald ein gleichmässiges Püree ent­s tanden ist, nach Geschmack mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss würzen. E

Für das Ratatouille in einem grossen Topf Zwiebeln und Knoblauch in etwas Olivenöl an­dünsten. Dann Zucchini und Tomaten hinzufügen und das Ganze mit etwas Salz, Pfeffer und dem Currypulver würzen. Einige Minuten köcheln lassen und dann das Tomatenmark einrühren. Mit Weisswein ablöschen, Gemüsefond und Schnittlauch hinzufügen und bei mittlerer Hitze etwa 10–15 Minuten köcheln lassen. 5 Minuten vor Ende der Kochzeit die Borlottibohnen hinzufügen. Die fertige Ratatouille auf der abgeschalteten Herdplatte noch etwa 2 Minuten stehen lassen. Mit einem Spritzer

Zitronensaft und der Petersilie abschmecken. E  Ratatouille und Kartoffel­p üree zusammen anrichten, das Püree mit den restlichen Mohnsamen bestreuen. Mit Schnittlauchhalmen garnieren.

82  Salvan



Nussgebäck

100 g

Haselnüsse

100 g

gehobelte Mandeln

300 g

Weissmehl

1

200 g

Zucker

2

Eiweiss

1 Prise

2

50 g

Butter in Flocken

2 EL

Grappa

unbehandelte Zitrone, abgeriebene Schale

Zimtpulver Gewürznelken, fein gehackt

Die Haselnüsse im Mörser oder mit einem grossen Messer grob hacken, 20 g der am feinsten gehackten Nüsse beiseitestellen. Den Rest der Nüsse mit den gehobelten Mandeln, dem Mehl, der Zitronenschale und dem Zucker vermischen.  E

Das Eiweiss in einer separaten Schüssel steif schlagen, Zimt und Gewürznelken darunter­

mischen.  E  Die Butterflocken, den Grappa und den Eischnee unter die Nuss­ mischung ziehen und zu einem homogenen Teig kneten. Den Teig zu einer Rolle von 5–6 cm Durchmesser formen, mit Mehl bestäuben und etwa 1 Stunde im Kühlschrank ruhen lassen. E  Den Ofen auf 180 Grad vorheizen. E  Die Teigrolle in

etwa ½ cm dicke Scheiben schneiden und auf einem Backblech verteilen, dazwischen

jeweils 3–4 cm Abstand lassen, da die Biscotti noch etwas auseinanderlaufen. E  Die beiseitegestellten fein gehackten Haselnüsse auf den Biscotti verteilen und diese in der Mitte des Ofens etwa 15 Minuten goldbraun backen.

C Dies ist eine Variation des gleichnamigen piemontesischen Gebäcks, das traditionell zum Gedenktag der Verstorbenen (Allerseelen) gebacken wurde.

84  Salvan



Rhabarber-Tiramisu [[Für 4 Personen ]

200 g

1 Päckchen

2

3 EL

250 g

1

50 g

Löffelbiskuit

25 ml

Zitronensaft

2 EL

Rhabarber (etwa 2–3 Stangen), gewaschen, geschält Vanillezucker Eier Zucker Mascarpone unbehandelte Zitrone, abgeriebene Schale

Kakaopulver zum Bestreuen Erdbeeren als Garnitur

Den Rhabarber in 1 cm grosse Stücke schneiden. Zusammen mit dem Vanillezucker in wenig Wasser bei schwacher Hitze köcheln lassen, bis er weich ist. Abkühlen lassen.

E Die Eier trennen. In einer Schüssel die Eiweisse steif schlagen. In einer

sepa­r aten Schüssel die Eigelbe mit dem Zucker schaumig schlagen, den Mascarpone und die abgeriebene Zitronenschale darunterrühren und dann den Eischnee vorsichtig unter­heben.  E  Den Löffelbiskuit in Stückchen brechen und diese in 4 kleine Dessertschalen oder Gläser verteilen. Darauf das Rhabarber-Kompott geben, gefolgt

von der Mascarponecreme. E  Im Kühlschrank durchziehen lassen und erst kurz

vor dem Servieren herausnehmen. Mit Kakaopulver bestreuen und nach Belieben mit frischen Erdbeeren garnieren.

86  Salvan



Kürbis-Orangen-Konfitüre [[Für 5 Einmachgläser ]

1 kg

unbehandelte Orangen

1 kg

Kürbis

1 kg

Gelierzucker

Die Orangenschalen (ohne die weisse Haut) abschälen, in feine Streifen schneiden und

über Nacht in frischem Wasser einweichen.  E  Die Orangen vollständig schälen, dabei die bittere weisse Haut vom Fruchtfleisch entfernen. Die Orangenschnitze in Stücke schneiden und entkernen. Den Kürbis schälen, entkernen und in kleine Würfel

schneiden. E  Die eingeweichte Orangenschale abseihen. Das Fruchtfleisch von Orangen und Kürbis zusammen mit den Orangenschalenstreifen und dem Gelier­zucker in einem Topf vermischen, zum Kochen bringen und etwa ½ Stunde köcheln lassen.

E Die heisse Masse in sterilisierte Einmachgläser (siehe Seite 65) füllen und diese verschliessen und auf den Kopf stellen, solange die Konfitüre noch heiss ist.

88  Salvan










GROTTO AMERICA Echte Tessiner Grotti und die Buvoli

Berto ist zweiundsiebzig. Die Hälfte seiner Jahre hat er wohl in Grotti verbracht. Er ist mager wie ein Zündholz, trägt eine Brille und hängt ständig an einer Parisienne carrée. Seine Ernährung besteht zum Grossteil aus Merlot und Nocino, dem Tessiner Walnusslikör. Trotzdem ist er ein rüstiger Spaziergänger und übersteht jedes Boccia-Turnier mit Bravour. «Und, was meinst du dazu?» frage ich ihn, nachdem er fast schon eine Viertelstunde über meinen Notizen gebrütet hat. Er schaut auf, streift die Brille ab und legt die Notizblätter auf den Steintisch unter den Boccalino. Dann sagt er: «Komm mit, ragazzo!» Ich folge Berto auf einen Schleichpfad. Nur ein paar Dutzend Meter, dann bleibt er zwischen einigen Felsbrocken stehen, die ein Bergsturz vor langer Zeit zurückgelassen hat. Berto beugt sich vor und beginnt mit den Händen die Luft abzutasten, als ob er etwas Unsichtbares suche. Ich wage es nicht, irgendwelche Fragen zu stellen. Er trägt zu weite Hosen, die von verdrehten Hosenträgern gehalten werden, und an seinem Unterhemd, das er verkehrt angezogen hat, blitzt die Etikette. Sein Gesicht ist gerötet und die Haare zerzaust. Er kommt mir vor wie ein Wahnsinniger oder ein Prediger auf der Jagd nach Gespenstern, wie er sich da zwischen den Steinblöcken hin und her bewegt und mit den Armen in der Luft fuchtelt. Plötzlich hält er inne. Da, im Schatten eines mächtigen Kastanienbaums, an einer Felsspalte hat er etwas gefunden, und er weist mich an, ebenfalls die Hände auszustrecken. «Spürst du es?» fragt er. «Ich weiss nicht so recht, was sollte es sein?» «Ein frischer Hauch, ganz zart, kaum wahrnehmbar. Spürst du ihn?»«Ja. Jetzt spüre ich es … es ist kalte Luft.» «Es ist der Atem des Berges», sagt er. «Weisst du mein Junge, die Leute, die in diesen abgelegenen Talschaften wohnten, hatten keine Ahnung, was ein Kühlschrank ist. Aber sie wussten, dass der Berg atmet und dass er dies durch natürliche Grotten tut, durch tiefe, dunkle und unheimliche Spalten, von denen niemand weiss, wo sie enden. Deshalb haben unsere Ahnen diese Steinmauern aufgeschichtet», erklärt er und zeigt auf die Grotti etwas weiter unten. «Sie wollten diesen Atem einfangen, die kühle Luft, die aus dem tiefen Inneren des Berges herausströmt und ihnen half, die Lebensmittel zu konservieren. Ein Grotto ist nichts anderes als das. Der ganze Rest, das mit Kreide auf eine Tafel geschriebene Menü, die Bocciabahn et cetera, kam viel später.»

Grotto America  97


Es ist schön, dich wieder zu sehen, Mitch. Vielleicht komme ich eines Tages mit Berto in dein Grotto America. Er wäre sicher glücklich, einige Stunden im Schatten dieser Bäume zu verbringen. In feierlichem Ton würde er sagen, dass dies wirklich noch ein echtes Grotto ist, weil es am Hang liegt, wo der Berg atmet und die Tische draussen stehen und nicht drinnen. Hier wird nur bei schönem Wetter gegessen und getrunken. Nach dem ersten Liter Merlot würde er dann wahrscheinlich Skizzen zeichnen, um dir aufzuzeigen, wie man neben dem Parkplatz eine Bocciabahn anlegen könnte. Nach dem zweiten Liter würde er versuchen, in die Küche ein­zudringen, und du würdest beginnen, ihn etwas weniger zu mögen. Aber vermutlich würde ich Berto wieder ins Auto verfrachten, bevor es überhaupt so weit kommt. Während ich hier sitze, mit Pepe und der restlichen guten Gesellschaft, läufst du zwischen Küche und Tischen hin und her. Gekonnt kombinierst du lokale Produkte mit deiner aufgeschlossen fröhlichen Art – wichtige Zutaten für ein feines Nachtessen im Grotto. Ich weiss, dass manche auf ein spontanes Fest hoffen, wenn sie vorbeikommen. Schliesslich wart ihr während eurer Zeit als Profi-Snowboarder trotz grossem Talent mehr für eure Parties bekannt denn für die Siege, die ihr errungen habt. «Fermati un attimo! Lass uns anstossen!» sagt Pepe, als du uns den Anti­pasto auf den Tisch stellst. Was haben wir an diesem Abend gelacht, gescherzt und in alten Zeiten geschwelgt! Inzwischen ist es spät geworden, Tagliata, Polenta und Brasato sind aufgegessen, der Wein ist ausge­trunken. Du schwebst in die Küche, um die Schnapsgläser für den Nocino zu holen. Deinen Trinkspruch werde ich nicht so schnell vergessen, denn er traf mich ins Herz. «Auf die Zukunft, denn die Zukunft ist einfach wunderbar!» Berto hat meine Notizen fertig gelesen und gibt mir die Blätter zurück. Dann schenkt er sich noch einen Tropfen ein und lächelt.

98  Grotto America



Polenta

1 l

Wasser

[[Für 4 Personen ]

1 EL

180 g

Bramata-Maisgriess

180 g

Dorata-Maisgriess

180 g

Taragna-Maisgriess (Farina Taragna)

30 g

Salz

Butter

Das Wasser im traditionellen Kupferkessel oder in einem grossen Topf aufkochen und salzen. Die drei Maisgriess-Sorten miteinander vermischen und unter ständigem Rühren langsam in das kochende Wasser rieseln lassen, damit sich keine Klumpen bilden. Gleichmässig weiterrühren – «sempre nello stesso verso», immer in der gleichen Richtung, wie man hier sagt – und dabei darauf achten, dass die unteren Schichten sich auch mit den oberen Schichten vermischen. (Sehr praktisch ist hierbei natürlich ein elektrisches Polentarührwerk, wie es zum traditionellen Kupferkessel erhältlich ist.) Mindestens 1 Stunde unter regelmässigem Rühren sanft köcheln lassen. Je länger die Polenta kocht, desto besser schmeckt sie. Wird die Polenta zu fest, eine Kelle kochendes Wasser ein­

rühren. Wenn die Polenta fertig ist, die Butter unterrühren. E  Die fertige Polenta auf ein sauberes Küchentuch stürzen. Mit einem hölzernen Polentamesser oder einer dünnen Schnur in Portionsstücke schneiden und warm servieren.

C Bramata ist ein grober heller, fast weisser Maisgriess, der leicht süsslich schmeckt. Die Variante «Dorata» hingegen hat – wie der Name schon sagt – eine goldgelbe Farbe. Bei «Farina Taragna» handelt es sich um eine Mischung aus Mais- und Buchweizenmehl.

Käse-Polenta [[Für 4 Personen ]

1 kg

480 g

fertig gekochte Polenta (siehe oben) Fontina-Käse oder ein anderer Käse nach Wahl, zerkleinert

Die Polenta in einer Bratpfanne stark erhitzen und den Käse dabei unter Rühren stückchenweise hinzufügen. Sobald der gesamte Käse hinzugefügt und vollständig geschmolzen ist, die Polenta noch so lange weiter braten, bis sich auf beiden Seiten eine goldbraune Kruste gebildet hat.

100  Grotto America




Polenta mit Rindsschmorbraten [[Für 4 Personen ]

1 kg

Rindfleisch zum Schmoren

2 TL

Fleischgewürzmischung

3–4 EL

1 Flasche

2

Karotten, geschält und gewürfelt

2

Stangensellerie, gewürfelt

1

Zwiebel, gewürfelt

1

Knoblauchzehe

100 g

2

Olivenöl kräftiger Rotwein

Steinpilze Lorbeerblätter

Das Fleisch rundherum mit der Gewürzmischung einreiben und im Olivenöl bei mittlerer Hitze etwa 7 Minuten anbräunen. Den Wein dazugiessen und aufkochen lassen, dann das vorbereitete Gemüse, die Pilze und die Lorbeerblätter hinzufügen. 10–15 Minuten offen köcheln und dann abgedeckt bei schwacher Hitze mindestens 2 Stunden schmoren lassen, bis das Fleisch weich gegart ist. E  Das Fleisch

aus dem Topf nehmen und warm stellen. Die Bratensauce durch ein Sieb streichen, zurück in den Topf geben und falls nötig noch auf Saucendicke einkochen. Eventuell mit 1 EL Mehl binden.  E  Das Fleisch aufschneiden und zusammen mit der Sauce und Tessiner Polenta (siehe Seite 100) servieren.

Grotto America  103


Gnocchi in Salbeibutter [[Für 4 Personen ]

Gnocchi

400 g

1

vorwiegend mehlig kochende Kartoffeln Ei

Salz und Pfeffer aus der Mühle

½ TL

frisch geriebene Muskatnuss

100 g

Weissmehl

Salbeibutter

80 g

2–3 Zweige

Butter Salbei, abgezupfte Blättchen Parmesankäse, frisch gerieben, zum Servieren

Die Kartoffeln in kochendem Salzwasser garen. Dann das Wasser abgiessen, die Kartoffeln schälen und in einer Rührschüssel fein stampfen. Das Ei mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss verquirlen, zu den gestampften Kartoffeln geben und vermengen. Dabei nach und nach das Mehl einarbeiten, bis eine gleichmässige, homogene Masse entstanden ist. Diese zu einer Kugel formen, in ein sauberes Küchentuch oder in Frischhaltefolie wickeln und mindestens 20 Minuten im Kühlschrank ruhen lassen.

E Den Gnocchi-Teig auf der leicht bemehlten Arbeitsfläche zu einem fingerdicken Strang ausrollen und diesen in etwa 3 cm grosse Stücke schneiden. E  In einem grossen Topf Wasser zum Kochen bringen, salzen und die Gnocchi in das sprudelnd kochende Wasser geben. Wenn sie nach einigen Minuten an die Oberfläche steigen, sind sie gar und können mit einer Schaumkelle abgeschöpft werden. E

Während die Gnocchi kochen, die Butter in einem kleinen Topf schmelzen und die Salbeiblätter hineingeben. Die fertigen Gnocchi in der Salbeibutter schwenken und mit frisch geriebenem Parmesan servieren.

104  Grotto America



Pfirsich in Rotwein [[Für 4–6 Personen ]

4

reife Pfirsiche und/oder andere Früchte wie Äpfel, Birnen, Heidelbeeren, Weintrauben

½ l

Rotwein (z. B. Barbera)

3 EL

½

1 Prise

½ TL

Zucker Zitrone, Saft Muskatnuss, frisch gerieben gemahlener Zimt

Den Pfirsich beziehungsweise das entsprechende andere Obst entsteinen oder

ent­kernen und in Würfel schneiden.  E  Den Zucker im Rotwein auflösen, Zitronensaft, Muskatnuss und Zimt unterrühren. Die Rotweinmischung über das gewürfelte Obst in eine Schüssel geben und mindestens ½ Stunde durchziehen lassen. Im typischen Tessiner «Bücer» (Kachel) servieren.

106  Grotto America



Nusslikör [[Ergibt 1 Liter ]

8

grüne Baumnüsse (Walnüsse), geviertelt

½

unbehandelte Zitrone, Schale in feine Streifen geschnitten

4

Gewürznelken

½

Vanilleschote

½

Zimtstange

100 g

1 l

Zucker Tessiner Grappa (nicht stärker als 24 Vol.-% Alkohol)

Die Nüsse werden am Johannistag (24. Juni) direkt vom Baum geerntet. Die fleischige Umhüllung der Früchte sollte noch grün, der darin enthaltene Kern aber schon ausgebildet sein. Verwendet werden die ganzen Nüsse samt der grünen fleischigen Hülle. E  Die geviertelten Nüsse zusammen mit der Zitronenschale, den

Gewürzen und dem Zucker in ein grosses Einmachglas oder ein anderes passendes Behältnis geben und den Grappa darübergiessen. Gut verschliessen und kräftig schütteln. 40 Tage lang an einem hellen Ort stehen lassen, jedoch nicht direkt in der Sonne. Dann kann der Nocino abgeseiht und in eine Flasche abgefüllt werden.

108  Grotto America








I PESCI DI LAGO Von tief unten im Lago Maggiore und von Walter, dem Fischer Die Geschichte von Zio Alga «Raccontami una storia di lago», bettelt Amanda. Eine Geschichte vom See? Also erzähle ich ihr die Geschichte von Zio Alga. Einem, von dem man nicht so richtig weiss, wo er sein Leben verbracht hat. Und als er nach Jahren auf dem Schiff ins Dorf zurückkam, machte er nicht das Gesicht eines glücklichen Heimkehrers. Für ihn war das Festland immer viel zu eng gewesen, zu laut, zu voll. Jeden Tag nimmt Zio Alga den umgekehrten Weg. Er geht aus dem Haus, verlässt das Dorf und schliesslich auch das Festland. Mit seinem Boot verbringt er die Tage auf dem See – auf der Suche nach Träumen und stummer Poesie. So nennt er die Gedanken, die man nicht in Worte fassen kann, die in kein Buch wollen und sich jedwelcher Beschreibung entziehen. Wenn er das Boot vom Ufer abstösst, ändert sich sein Gesichtsausdruck, und er scheint endlich nach Hause zu kommen. Dann ist er einfach da, mitten auf dem See und träumt stundenlang in den Tag hinein. Wenn er abends zurückkehrt, völlig ausgetrocknet, mit sonnenverbranntem Gesicht und mit einem fast unheimlichen Blick, erscheint er den Leuten wie ein Schiffbrüchiger, und manchmal denken sie, er sei irre geworden. «Ma che ci fai? Hier ganz alleine», rufen sie manchmal von den anderen Booten herüber, wenn sie nachschauen, ob er noch am Leben ist. «Allein? Hier auf dem See?», gibt er dann schmunzelnd zurück, «Es ist doch voller Leben da unten.» Manchmal entwischen die Kinder der besorgten Aufsicht ihrer Mütter, um den alten Mann aufzusuchen. Sie lieben seine Geschichten. Sie haben ihn Zio Alga getauft, weil er nach Seegrund riecht und die Geschichten des Sees kennt. Zio Alga ist spannender als Fernsehen, und er erzählt die unglaublichsten Geschichten. Wusstet ihr zum Beispiel, dass es Wassernixen wirklich gibt und Flussgeister? Zio Alga ist ihr Freund. Er weiss, wo sie leben, wo sie hingehen und was sie essen. In seinen Träumen taucht Zio Alga tagelang in den Tiefen des Sees. Und auch wenn er blind ist wie ein Maulwurf und Brillengläser trägt, dick wie die Bullaugen eines U-Boots, ergründet er die Geheimnisse der Seetiefen durch die Augen der Fische. Vor einiger Zeit hat er auf dem Grund des Sees einen alten Alfa Romeo entdeckt, nicht weit von dem steilen Abhang unterhalb der Strasse. Ein bekannter Politiker, der auf dem Dorffest gerade eine Handvoll «Costine» zerpflückte, hörte es und spottete, nicht zuletzt um seinem Wahlvolk etwas Show zu bieten: «Was hast du da unten denn noch gefunden? Ein altes Seeungeheuer etwa?» «Nein», gab Zio Alga gelassen zurück, «aber eine verdächtige Metallschatulle mit irgend­w elchen Dokumenten darin.» Da hörte die Handorgel zu spielen auf, die Serviererinnen blieben wie an­gewurzelt stehen, und das Volk sagte kein Wort mehr. Alle schauten sie wie gebannt auf den Politiker, der gerade eine «Costina» in den falschen Hals bekommen hatte und rot anlief. «Der ganze See spricht darüber», setzte Zio Alga noch eins drauf. Der Priester, der Zoff in der Luft roch, kam näher und redete Zio Alga ins Gewissen: «Ma che racconti? Wie willst du all diese Dinge im

I pesci di lago  115



schlammigen Seegrund gesehen haben, wo nicht einmal die Taucher etwas finden? Jeder weiss doch, dass du keine Ausrüstung hast und auch nicht schwimmen kannst!» Also erklärte Zio Alga, dass er während seiner Tagträume in die Tiefen des Sees hinunter­tauche, aufgehoben in seinen Gedanken wie in einer Luftblase, ohne Sauerstoffflasche, Taucherbrille und Flossen. Er könne schwimmen wie ein Fisch, mit offenen Augen und offenem Mund, und tagelang den Schwärmen folgen oder mit einem Hecht auf der Lauer liegen. «Ich liebe es auch, geheimnisvolle Nischen zu erkunden und versenkte Schätze zu bergen.» Da ging ein Aufatmen durch die Menge. «Er ist ja verrückt! Gott sei Dank.» «Der See trägt viel zu grosse Geheimnisse in seinem Bauch, als dass sie je enthüllt werden dürften», dachte der Priester insgeheim und erinnerte sich an all die langen Beichten seiner Schäfchen und dann mit Schaudern an seine eigene Sexpuppe, derer er sich eines nachts mitten im See entledigt hatte, beschwert mit Ziegel­steinen, als ob es um das Vertuschen eines echten Mordes gegangen wäre. Kurze Zeit später fischte eine Gruppe Taucher einen alten Alfa Romeo aus dem Wasser, und in der Nähe der Brücke kam eine verdächtige Metallkassette zum Vorschein. Wer unten auf dem Seegrund ein dunkles Geheimnis hütete, behielt Zio Alga nun im Auge. Dabei fiel ihnen auf, dass er immer pitschnass und frierend an Land kam, obwohl er nicht ins Wasser ging. Auch hatte er oft einige Fische für sein Nachtessen dabei, obwohl er keine Angelrute mit sich führte. Und die Kinder hatten Recht: Zio Alga roch fürchterlich nach Algen. Seit die Bewohner des Dorfes gesehen haben, wie ein gewisser Politiker von der Polzei mit Blaulicht abgeführt wurde, traut sich niemand mehr, etwas ins Wasser zu werfen. Weder Abfall noch Gift noch sonstige Heimlichkeiten. So besserte sich auch das Leben der Fische auf einen Schlag. Wer aber ein schlechtes Gewissen hat, versucht den Blick von Zio Alga zu meiden. Denn jeder weiss: Auch wenn er nicht redet, heisst es noch lange nicht, dass er gewisse Dinge nicht weiss. «Es gefällt mir, wie du bist», sagt Zio Alga und schaut hinaus auf den weiten See. Der See dankt es ihm, indem er sein Wasser fast zärtlich an seine Fersen klatschen lässt. Als die Geschichte fertig ist, hat sich Amanda bereits in ihren Schlafsack verkrochen. Sie ist froh, dass es damit aufhört, dass die Leute keine Abfälle mehr in den See werfen. Nächstes Mal aber möchte sie eine Geschichte von einem Fischer hören. Eine schöne, kurze Geschichte, die in einem Gedicht Platz findet oder in einem Lied. Ich werde es mir überlegen. Ich schaue hinunter auf den See. Das Wasser ist so ruhig, dass sich die Sterne darin spiegeln. Es sieht aus, als gäbe es zwei Himmel – einen oben und einen unten. Ein einziges Lichtlein bewegt sich auf dem See. Vielleicht Walter, der Dorffischer von Vira, mit seinem Boot. Er hat seine Netze ausgelegt und kehrt nun zurück für einige Stunden Schlaf. «Das ist unsere nächste Geschichte», denke ich, «Ich muss ihn unbedingt mal besuchen … »

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Walter, Fischer im Gambarogno Es ist vier Uhr in der Frühe, als der Wecker klingelt. Die sommerliche Morgenluft ist noch frisch und duftet nach Träumen. Der Lago Maggiore liegt vor uns – still, weit, unbeweglich. Irgendwo da draussen in der tiefsten Dunkelheit wartet Walter auf uns. Er ist einer der letzten Dorffischer des Gambarogno. Treffpunkt ist mitten im Dunkelblau des grossen und tiefen Gewässers. Walter ist ungeduldig, er kann es kaum erwarten, die Netze einzuholen, die er tags zuvor in mühe­voller Hand­ arbeit geflickt hat. Nach langem Spähen in die Dunkelheit entdecken wir die Boje, die auch Fischer Walter als Markierung dient. Träfe Sprüche eines Tessiner Originals durchbrechen die Stille, die frühmorgens den See regiert. Verschiedene Eimer werden bereitgestellt, die Netze zum Hoch­ziehen vorbereitet. Die Spannung steigt. Trotz über zwanzigjähriger Berufserfahrung ist Walter jedesmal gespannt, welche Überraschungen aus den Tiefen des Verbano geborgen werden. Heute sind die Netze voll. Agone glitzern wie in Regenbogenpapier gehüllt. Der Agone oder Maifisch, ein Süsswasser-Hering, ist ein typischer Fisch aus den südlichen Alpengewässern. Es ist wenig an ihm dran, aber er eignet sich bestens für das Tessiner Traditionsgericht «Pesce in Carpione» – in Rotwein und Essig gekochter Fisch mit Zwiebeln, Lauch, Sellerie, Karotten und frischen Kräutern. Das Gericht wird kalt als herrlich erfrischende Vorspeise genossen. An anderen Tagen finden sich auch Zander, Egli, Trüsche, Aale, ein kapitaler Hecht oder die leckeren Seeforellen in den kunstvoll geflochtenen Netzen. Langsam schiebt sich die Sonne über den Horizont und taucht die prächtige Bergkulisse des oberen Lago Maggiore in zartes Rosa. Die Fische sind aus den Netzen gelöst, sortiert und fein säuberlich in verschiedene Boxen und Kübel versorgt. Walters Arbeitstag ist noch lange nicht zu Ende – jetzt beginnt der wohl etwas weniger poetische Teil. Der Fang muss ans Ufer gebracht und für den Verkauf im kleinen Fischladen des idyllischen Dorfes Vira Gambarogno vorbereitet werden. Das heisst die Fische ausnehmen, putzen, entgräten, filetieren oder auch als ganze Prachtstücke kühlen und präsentieren. Jeden Tag gilt es auch, die Netze, die reissen und undichte Stellen bekommen, mit geschickten Händen zu flicken und für den nächsten Tag gebrauchsfertig zu machen. Später, wenn der Laden schliesst, doch noch bevor die Sonne untergeht, sieht man Walter wieder auf dem See: Netze auswerfen – voller Erwartung, was der nächste Morgen bringen wird.

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Seeforellenfilet in der Papierhülle gegart [[Für 4 Personen ]

2 ganze

1

Seeforellen oder 4 Seeforellenfilets Schalotte, gewürfelt

hochwertiges Olivenöl

250 g

Pilze nach Belieben, z. B. Champignons, Eierschwämme, Shiitake, geputzt und halbiert oder geviertelt

15

Cherrytomaten, geviertelt

1

Peperoni, in Streifen geschnitten

1 kleines Glas

Weisswein

1 Bund

glatte Petersilie, gehackt

1 Zweig

Rosmarin, Nadeln abgezupft

Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer

10

Oliven, entsteint, geviertelt oder in Ringe geschnitten

3 Zweige

1 Prise

4 Blätter

10 g

1

Thymian, Blättchen gehackt Currypulver Backpapier Butter Eiweiss, verquirlt

Es lohnt sich ganze Fische zu kaufen und sie erst kurz vor der Zubereitung zu filetieren; der Fisch schmeckt dann frischer und hat ein intensiveres Aroma. Wer sich das Filetieren nicht zutraut, kann aber selbstverständlich auf bereits vom Fischhändler filetierte Ware zurückgreifen.  E  Den Backofen auf 180 Grad vorheizen.  E  In einer

grossen Pfanne die Schalotte in etwas Olivenöl andünsten. Dann Pilze, Cherrytomaten und Peperoni hinzufügen und bei starker Hitze andünsten. Mit dem Weisswein ab­l öschen und mit etwas Petersilie (der Rest wird für die Päckchen benötigt), dem ­Rosmarin sowie Salz und Pfeffer nach Geschmack würzen. Die Oliven hinzufügen und alles bei mässiger Hitze etwa 5 Minuten köcheln lassen.

I pesci di lago  123


Dann in eine Schüssel umfüllen und beiseitestellen. E  Die Thymianblättchen mit dem Currypulver sowie Salz und Pfeffer nach Geschmack vermischen und auf die Forellenfilets streuen.  E  Die Back­p apierblätter längs falten, um die Mitte zu

markieren, und ausgebreitet auf die Arbeits­f läche legen. In der Mitte einer der beiden Papierhälften jeweils mit wenig Butter bestreichen, damit beim Backen nichts daran haften bleibt. Mit etwas gehackter Peter­silie bestreuen, einen Viertel der Tomaten-PilzSauce daraufgeben und abschliessend eines der Forellenfilets mit der Hautseite nach oben daraufsetzen. Die Ränder des Backpapiers etwa 1 cm breit mit Eiweiss bestreichen, das Papier über der Füllung zur Hälfte zusammenfalten und die Ränder mit den Fingern sorgfältig zusammen­pressen. Die drei offenen Kanten erneut leicht mit Eiweiss bestreichen, nach innen falten und zusammenpressen, und dies noch einmal wiederholen, sodass die Päckchen wirklich hermetisch ver­schlossen sind. So bleibt der Dampf darin erhalten

und der Fisch kann das Aroma von Tomaten, Pilzen und Oliven gut aufnehmen. E  Die Päckchen 20–25 Minuten im vorgeheizten Ofen garen. Sie sollten sich nach ein paar Minuten im Ofen aufblähen. Die fertigen Päckchen mit einer Schere aufschneiden, den gesamten Inhalt – Fisch, Gemüse und Garfond – auf Tellern anrichten und mit Salzkartoffeln servieren.

Seeforellenfilet mit Pilzen und Lauch [[Für 4 Personen ]

Statt der Cherrytomaten, Peperoni und Oliven 2 Stangen Lauch und zusätzlich eine Knoblauchzehe verwenden; den Rosmarin weglassen. Den Lauch zuerst 4 Minuten in kochendem Wasser blanchieren, um den Lauchgeschmack etwas zu mildern, dann in 2–3 mm dünne Ringe schneiden. Schalotte und Knoblauch andünsten, dann die Pilze darin kräftig anbraten, mit Wein ablöschen, Petersilie beifügen und 5 Minuten köcheln lassen. Anschliessend den Lauch hinzufügen und weitere 5 Minuten köcheln lassen. Weiterfahren, wie im vorherigen Rezept beschrieben.

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In Essig marinierter Süsswasserfisch [[Für 4 Personen ]

4

Agonen, geschuppt und ausgenommen

etwa 300 ml

Rotwein

etwa 300 ml

Weissweinessig

1

1 Blatt

Mangold, in Streifen geschnitten

1 Stange

Sellerie, in Scheiben geschnitten

1

1 Stange

2–3 Zweige

Majoran, Blätter abgezupft

2–3 Zweige

Thymian, Blätter abgezupft

2–3 Zweige

Petersilie, fein gehackt

1

Schalotte, gewürfelt

Karotte, geschält, in Scheiben geschnitten Lauch, geputzt, in Ringe geschnitten

Lorbeerblatt

Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer

Rosmarin

1–2 Zweige

Olivenöl

Für den Sud Rotwein, Weissweinessig und 300 ml Wasser zusammen mit dem vor­bereiteten Gemüse und den Kräutern (bis auf den Rosmarin) in einen grossen Topf ­geben und aufkochen. Mit Salz und Pfeffer würzen und bei mässiger Hitze 20–30 Mi­nuten köcheln lassen. Vom Herd nehmen und lauwarm abkühlen lassen.

E ­Inzwischen in einer beschichteten Pfanne etwas Olivenöl erhitzen und die ganzen Fische zusammen mit dem Rosmarin darin von beiden Seiten anbraten. Die Fische nebeneinander in eine Auflaufform legen und die Marinade darübergiessen, sodass sie vollständig bedeckt sind. Im Kühlschrank abgedeckt 2–3 Tage ziehen lassen.

C Agonen (Alosa lacustris) sind eine Heringsart, die unter anderem auch im Lago Maggiore und im Luganersee vorkommt. Ersatzweise Felchen oder Seeforelle ver­wenden.

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Frittierte Süsswasserfische [[Für 4 Personen ]

800 g

gemischte Filets von Süsswasserfischen (z. B. Felchen, Seeforellen, Hecht, Flussbarsch, Zander)

300 ml

Rahm

300 ml

Weisswein

Mehl

Öl zum Frittieren

Salz

Tartaresauce

1

Eigelb, gekocht

3

Essiggürkchen, fein gewürfelt

½ Bund

1 TL

Kapern

6 EL

Mayonnaise

1 EL

Senf

1 TL

Zitronensaft, frisch gepresst

Petersilie, fein gehackt

Die Fischfilets in etwa gleich grosse Stücke schneiden. Rahm und Weisswein in einer Schüssel verrühren, die Fischfilet-Stückchen hineingeben und abgedeckt im Kühlschrank

mindestens 2 Stunden ziehen lassen.  E  Inzwischen für die Tartaresauce das

Eigelb in einer Schüssel mit einer Gabel zerdrücken und gut mit den übrigen Zutaten

vermischen, sodass eine Sauce von cremiger Konsistenz entsteht. E Die Fisch­f iletStückchen aus der Marinade nehmen, trocken tupfen, im Mehl wälzen und überschüssiges Mehl abschütteln. In einem grossen Topf oder einer grossen Pfanne mit hohem Rand ausreichend Öl auf 170–180 Grad erhitzen. Die Fischfilet-Stückchen darin frittieren, bis sie goldbraun und knusprig sind. Kurz auf Küchenpapier abtropfen lassen, salzen und sofort mit der Tartaresauce servieren. Dazu passen Salzkartoffeln und gedünstetes Gemüse.

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Fisch-Burger [[Für 4 Personen ]

300 g

Forellenfilets

300 g

Felchenfilets

200 g

Flussbarschfilets

1 Bund

Petersilie

abgezupfte Blättchen von Thymian,

Salbei und Rosmarin, nach Belieben

1

unbehandelte Zitrone, abgeriebene Schale

5 EL

feine Brotbrösel (Paniermehl) Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer

Tomaten-Gurken-Salat

2

Frühlingszwiebeln, fein gehackt

4

reife Tomaten, rot oder gelb, geschält, gewürfelt

½

Salatgurke, geschält, gewürfelt

1

Peperoni, entkernt, fein geschnitten

1 Bund

Basilikum, fein gehackt, sowie etwas zusätzlich zum Servieren

Limetten, Saft

1–2

Rotweinessig, nach Geschmack

Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer aus dem Maggiatal

Olivenöl zum Braten

Knoblauchzehe, zerdrückt

1

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Im Cutter (Moulinette) die Fischfilets zusammen mit Kräutern, Zitronenschale und 1 EL Brotbrösel rasch zerkleinern und mischen. (Das geht auch von Hand, indem man alles mit dem Messer sehr fein hackt und vermischt, wie für Tatar.) Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Masse in vier gleich grosse Portionen teilen und diese jeweils zu runden Burgern formen. In den restlichen Brotbröseln mehrmals wenden, sodass sie

rundum vollständig damit bedeckt sind. Beiseite­legen. E Für den Salat sämtliches vorbereitetes Gemüse und den Basilikum in einer Schüssel gut vermischen und mit Rotweinessig, Limettensaft sowie Salz und Pfeffer abschmecken. E  In einer

grossen Pfanne etwas Olivenöl zusammen mit dem Knoblauch erhitzen. Die Fischburger darin von beiden Seiten jeweils 6–8 Minuten goldbraun braten. Auf der Salsa anrichten und mit Basilikum garnieren. E Dazu passen Ofenkartoffeln. Dafür neue Kartoffeln (je nach Grösse gegebenenfalls halbiert) etwa 15 Minuten mit etwas Thymian und Rosmarin dampfgaren und dann im auf 220 Grad vorgeheizten Ofen etwa 20 Minuten in etwas Olivenöl braten.

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Fisch-Pâté [[Für 4 Personen ]

2

wenig

1 kg

½

½ Glas

trockener Weisswein

100 g

Butter

100 g

ungepökelter Bratspeck

1 Gläschen

3 Blatt

Zwiebeln, fein gehackt Butter zum Dünsten Alet-Filets (Weissfisch), in Stücke geschnitten Knoblauchzehe, gepresst

Brandy Gelatine Majoran und Vollkornbrot zum Servieren

Die Zwiebeln in wenig Butter andünsten. Dann den zerkleinerten Fisch und den Knoblauch hinzufügen und weiter andünsten. Mit dem Weisswein ablöschen und, sobald dieser fast vollständig verdampft ist, vom Herd nehmen und abkühlen lassen.

E Den abgekühlten Fisch zusammen mit der Butter in kleinen Stückchen, dem Speck und dem Brandy im Cutter (Moulinette) fein pürieren. E Die Gelatine in 250 ml Wasser auflösen und die Hälfte davon auf den Boden einer Terrinenform giessen. Kurz in den Kühlschrank stellen, bis die Gelatine fest geworden ist, dann die Fischmasse darauf verteilen und glatt streichen. Die Oberfläche wiederum mit einer dünnen Gelatineschicht bestreichen. Die Terrine einige Stunden im Kühlschrank

durchkühlen.  E  Die Terrine auf eine Servierplatte oder ein Brettchen stürzen und in Scheiben schneiden. Auf nach Belieben geröstetem Vollkornbrot, eventuell mit Majoranzweiglein garniert, servieren.

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PABLO, IL CUOCO Ein Tessiner Jung- und Spitzenkoch zaubert

Bar Tennis, Vira Gambarogno. Orario aperitivo. Die anwesende Kundschaft diskutiert über Politik und Sport, während Pablo etwas weiter entfernt, mit Sicht auf den See, an seinem Bierchen nippt und den Zettel studiert, den Pepe ihm gerade unter die Nase hält. Es ist eine Liste mit typischen Produkten, aus denen Pablo sechs neue Gerichte komponieren soll – eine Symbiose zwischen Grossmutters Rezeptesammlung und moderner Kochkunst. Die Rezepte sollen eine kulinarische Reise durch das Terroir, die Kultur und Geschichte der italienischen Schweiz darstellen, alle Produkte müssen demnach auf heimischem Boden gewachsen sein. Sind die Rezepte erfunden, wird Pablo in einer Schau­küche die Gerichte zum ersten Mal kochen, sie werden fotografiert und gekostet. «Nimm dir die nötige Zeit», sagt Pepe. «Ein paar Wochen, einen Monat, oder auch zwei … ich weiss, es ist nicht einfach.» Pablo stellt das Bierglas ab und antwortet: «Hast du einen Stift?» Und schon kurz darauf beginnt er etwas hinzukritzeln. «Was schreibst du?», fragt Pepe. «Ricetta numero uno», gibt Pablo zurück. «Come ricetta numero uno?» Und um sicher zu gehen, richtig verstanden worden zu sein, fügt Pepe hinzu: «Nur noch nie veröffentlichte Rezepte, ricordi?» «Wieso? Hast du vielleicht schon einmal heimisches Hirschfilet mit Farina bóna aus dem Valle Onsernone gekostet? Oder Kastanienspätzli aus den Tessiner Selven? Oder roten Krautstiel mit Formaggino von handgemolkenen Ziegen der Alpe di Cedullo? Oder Schiuma di Nocino nach altem Rezept der Grossmutter, aber mit Pfeffer aus dem Valle Maggia? Beh? Was meinst du? Hast du es dir in etwa so vorgestellt?» «Ein Nachkomme des Zauberers Merlin!» denkt sich der andere verblüfft. Und schon schüttelt Pablo in aller Gelassenheit das zweite Rezept aus dem Ärmel. «Senti qua», sagt er. «Ich schlage dir einen Risotto mit Brennnesseln und Heidelbeeren vor.» «Heidelbeeren im Risotto?» «Heidelbeeren! Unsere Berge sind voll davon, und erst noch bester Qualität … und sonst bekommen wir sie bei Salvan. Die Brennnesseln finden wir vor dem Stall der Antonietta. Dem Risotto, ausschliesslich aus Tessiner Reis natürlich, können wir Schafricotta beimischen … Et voilà! Aber vielleicht hast du Recht, was die Heidelbeeren betrifft, sie hinterlassen im Reis einen süsslichen Geschmack, vielleicht können wir das mit etwas Säuerlichem aus der Liste kompensieren … » Er fährt mit seinem Zeigefinger über die Liste, hält dann etwa in der Mitte des Blattes inne. «Ecco qua, einige Happen Coregone in Carpione tun hier das ihre … Den können wir sicher bei Walter, dem Fischer von Vira, bekommen … »

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Zwei Bier später machen sich die beiden bereits an das Rezept Nummer sechs. « … Schalotten und Salbei mit einem Crostino von Sant’Abbondio. Kalbsleber von Tieren von unseren Weiden und nicht etwa aus Brasilien. Feigen vom Baum des Geppo mit Chicorée von der Bergwiese, den du in einer Vollmondnacht nackt oder als Druide verkleidet pflücken kannst … bene … das scheint mir alles. Fine!» Was ich zu erwähnen vergass: Pablo ist Koch aus Berufung und wurde 2008 zum besten Schweizer Jungkoch gekrönt. Er gehört zu jenen Personen, die aus den letzten drei Resten eines sonst verwaisten Kühlschranks innerhalb einer halben Stunde ein Gourmetmenü zaubern können. Seit dem verlängerten Aperitif in der Bar Tennis sind nur zwei Tage vergangen, und Pablo kann es kaum erwarten, allen zu beweisen, dass die Heidelbeeren im Risotto keine Schnapsidee, sondern ein Geniestreich sind. Nachdem alle Zutaten herangeschafft und bereit sind, beginnt Pablo zu hantieren, wie besessen zu schälen, zu schneiden, zu hacken und zu braten. Pablo ist kein gewöhnlicher Koch, er ist eher eine Mischung aus Jongleur, Künstler und Alchemist. Kochen allein reicht ihm nicht. Also beginnt er zu malen, Skulpturen zu formen und magische Formeln zu erfinden. Wenn man die Schwelle zu seinem Reich betritt, merkt man, wie unerreichbar weit seine Kochkunst vom gewöhnlichen Küchenalltag entfernt ist … wie von einem anderen Stern. Das mag für die einen etwas frustrierend sein, für andere aber unglaublich faszinierend. Von Zeit zu Zeit hält er inne, wirft einen kritischen Blick in Topf und Pfanne, prüft den Geschmack … um dann wieder loszulegen und vielleicht plötzlich von Weitem eine Salve Gewürze durch die Luft zu schleudern – und wenn man sich nicht versieht, findet man sich gesalzen und gepfeffert wieder. Dann dreht er sich um, nimmt einen Teller ins Visier, legt etwas darauf, während er mit der anderen Hand etwas aus dem Ofen nimmt. Dreht sich wieder zum Topf, rührt um, fliegt zum Schneidebrett, hackt und zerkleinert, schnellt zurück zum Ofen, kontrolliert und ist gleich wieder beim Herd, wo gebraten, geröstet und gedämpft wird. Nochmals probieren und eine weitere Prise einer un­bekannten Zutat … Es ist schon Nacht, als die fotogastronomische Session endet. Alle sind müde, aber entzückt. Pablo hat seine Aufgabe auf geniale Art gemeistert, unerwartet, vielleicht etwas verrückt, aber besser, als wir es uns vorstellen konnten. Pepe schaut sich um, strahlend vor Glück, und sagt laut vor sich hin: «Fast zu schade, um hier aufzuhören … »

Pablo il cuoco  143



Saltimbocca von der Forelle auf Sojabohnenpüree mit Thymian [[Für 4 Portionen ]

4

Forellenfilets

8

Salbeiblätter

100 g

Tessiner Rohschinken

Sojabohnenpüree

200 g

getrocknete Sojabohnen

100 ml

1

200 ml

Weisswein

500 ml

Gemüsebrühe

200 ml

Kalbsfond

2

hochwertiges Olivenöl extra vergine Schalotte, fein gewürfelt

Thymianzweige

Fleur de Sel und frisch gemahlener Pfeffer

100 ml

Haselnussöl

einige

Salbeiblätter und Petersilie als Garnitur

Die Sojabohnen über Nacht in kaltem Wasser einweichen. E  Das Olivenöl in einem Schmortopf erhitzen und die Schalotte darin glasig dünsten. Die Sojabohnen ab­giessen und dazugeben. Mit dem Weisswein ablöschen, Gemüsebrühe, Kalbsfond sowie den Thymian hinzufügen und kochen, bis die Bohnen zu einem weichen, feinen

Püree eingekocht sind. Mit Fleur de Sel und Pfeffer abschmecken. E  Inzwischen mit einem Messer vorsichtig die Haut von den Forellenfilets entfernen oder dies bereits beim Einkauf vom Fischhändler erledigen lassen. Auf jedes Fischfilet 2 Salbeiblätter legen ­u nd mit einer Scheibe Rohschinken umwickeln. E  In einer Pfanne die

Forellen­f ilets von beiden Seiten kurz anbraten. E  Zum Anrichten etwas Soja­

bohnenpüree auf die Teller geben und die Forellen-Saltimbocca daraufsetzen. Mit etwas Haselnussöl beträufeln und mit Salbei und Petersilie garnieren.

Pablo il cuoco  145


Bresaola-Rouladen mit Pilzen auf roter Polenta mit Nelkenschaum [[Für 4 Portionen ]

150 g

Bresaola

200 g

roter Maisgriess

100 g

Steinpilze, geputzt, klein gehackt

100 g

Eierschwämme, geputzt, klein gehackt

2

1 Bund

Schalotten, gehackt Schnittlauch, gehackt

hochwertiges Olivenöl

6

Gewürznelken

1

Lorbeerblatt

50 ml

Kalbsfond

80 ml

Gemüsefond

200 ml

Rahm

50 g

Butter

Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer

Kräuter nach Belieben als Garnitur

Für die Polenta 300 ml Wasser erhitzen und salzen. Sobald das Wasser kocht, den Mais­ griess unter ständigem Rühren mit dem Schwingbesen dazugeben und unter weiterem Rühren zu einer Polenta kochen. E  Die Pilze zusammen mit der Hälfte der

Schalotten und dem Schnittlauch in etwas Olivenöl anbraten. E  Die restlichen Schalotten in einem separaten Topf in etwas Olivenöl andünsten. Die Gewürznelken und das Lorbeerblatt hinzufügen, mit Kalbs- und Gemüsefond aufgiessen. Aufkochen, dann den Rahm beifügen und einige Minuten köcheln lassen. Abschliessend mit wenig Butter binden und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Zum Servieren die Sauce mit dem Stab­m ixer aufschäumen.  E  Die gebratenen Pilze auf den Bresaola-Scheiben

verteilen und einrollen. Die Polenta auf vorgewärmten Tellern anrichten, die Bresaola­ röllchen daraufsetzen und mit der aufgeschäumten Sauce (oder nach Belieben nur mit etwas Olivenöl) beträufeln und mit Kräutern garniert servieren.

146  Pablo il cuoco




Hirschfilet mit Kastanien-Spätzli auf mit Geisskäse sautiertem Mangold und Nocino-Schaum [[Für 4 Portionen ]

Filet

600 g

Hirschfilet

Salz und frisch gemahlener Pfeffer aus dem Maggiatal

hochwertiges Olivenöl

Farina bóna (siehe Seite 180)

50 g

Spätzli

200 g

Kastanienmehl

50 g

1 Prise

Muskatnuss, frisch gerieben

150 ml

Milch

4

Weizenmehl (italienisches Mehl Type 00 oder normales Weissmehl)

Eier

Nocino-Schaum

½

50 ml

100 ml

50 ml

200 ml

Schalotte, gehackt Nocino (siehe Seite 108) Gemüsefond Kalbsfond Rahm

Garnitur

200 g

bunter Mangold, grob geschnitten

150 g

Ziegenkäse, zerbröckelt

einige Blättchen

Salbei und Rosmarin

Pablo il cuoco  149


Für die Spätzli Kastanien- und Weizenmehl zusammen in eine Schüssel sieben. Salz, Pfeffer und frisch geriebene Muskatnuss beifügen. Die Milch mit den Eiern verquirlen, dazugeben und gut verrühren, sodass eine gleichmässige Masse entsteht. Die Spätzli wie auf Seite 178 beschrieben gar kochen, abschöpfen und abtropfen lassen. Warm

halten. E  Für den Nocino-Schaum in einem kleinen hohen Topf die Schalotte in etwas Olivenöl andünsten. Mit dem Nocino ablöschen. Gemüse- und Kalbsfond sowie den Rahm dazugiessen und kurz köcheln lassen. Vor dem Servieren mit dem Stabmixer

aufschäumen. E  Das Fleisch würzen und von beiden Seiten scharf anbraten; es sollte im Kern noch blutig sein. Mit Farina bóna bestäuben und in Alufolie gewickelt

warm gestellt ruhen lassen. E Den Mangold 1–2 Minuten in kochendem Salzwasser blanchieren. Abgiessen und abtropfen lassen. Dann in einer Pfanne in heissem Olivenöl garen. Zuletzt den Ziegenkäse untermischen. E  Zum Servieren die Spätzli und den sautierten Mangold auf vorgewärmten Tellern anrichten. Das aufgeschnittene Fleisch daraufsetzen und mit etwas Nocino-Schaum beträufeln. Mit Kräuterzweiglein dekorieren und etwas frischen Pfeffer darübermahlen.

150  Pablo il cuoco




Brennnessel-Blaubeer-Risotto mit Schafricotta und in Essig mariniertem Fisch [[Für 4 Portionen ]

M arinierter Fisch (ergibt 500 g)

500 g

Felchenfilets

Mehl zum Wenden und Olivenöl zum Braten

1

Zwiebel, gehackt

1

Karotte, in Scheiben geschnitten

1

Knollensellerie, fein gewürfelt

400 ml

Weisswein

400 ml

Rotweinessig

1

Lorbeerblatt

Pfeffer, grob gemahlen

Petersilie nach Belieben, gehackt

Risotto

1

Schalotte, fein gehackt

hochwertiges Olivenöl

250 g

Carnaroli-Reis

100 ml

1 l

150 g

50 g

Blaubeeren

20 g

Schafsmilch-Ricotta

einige

Brennnesselblättchen und frische Blaubeeren

50 ml

hochwertiger Aceto Balsamico

Weisswein Gemüsefond, heiss Brennnesselblätter, grob gehackt

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Für den marinierten Fisch Die Fischfilets abspülen, trocken tupfen und in etwas Mehl wenden. Von beiden Seiten im heissen Öl kurz anbraten. E  Zwiebel, Karotte und Sellerie in etwas Olivenöl andünsten, mit Wein und Rotweinessig ablöschen, Lorbeerblatt, Pfeffer und Petersilie hinzufügen. Die warme Marinade über die Fischfilets giessen, sodass sie vollständig bedeckt sind. Abgedeckt mindestens 24 Stunden marinieren lassen. Davon werden für dieses Gericht 200 g gebraucht. Der Rest hält sich einige Tage im Kühlschrank. Für den Risotto Die Schalotte in etwas Olivenöl andünsten. Den Reis hinzufügen und glasig dünsten. Dann mit dem Weisswein ablöschen. Den Gemüsefond nach und nach in kleinen Portionen hinzugeben und köcheln lassen, bis der Reis die Flüssigkeit vollständig aufgenommen hat, dabei häufig umrühren. Das dauert etwa 20 Minuten. Kurz bevor der Reis gar ist, die Brennnesselblätter, die Blaubeeren und zuletzt den Ricotta unterrühren.

E Den Risotto zusammen mit dem in mundgerechte Stücke zerteilten marinierten Fisch anrichten. Mit Brennnesselblättchen und einigen frischen Blaubeeren garnieren und mit etwas Aceto Balsamico beträufeln. Nach Belieben etwas Pfeffer grob darüber­ mahlen.

154  Pablo il cuoco




Schalottensüppchen mit Kalbsleber-Crostino, Feigen und Zichorie [[Für 4 Portionen ]

Schalottensuppe

10

Schalotten

grobes Meersalz

50 ml

Cognac

50 ml

Marsala

½ l

300 ml

3 Blätter

Rahm Gemüsefond Salbei, gehackt Meersalz und Pfeffer aus dem Maggiatal

Kalbsleber

400 g

Kalbsleber, in mundgerechte Stücke geschnitten

Garnitur

4

200 g

frische Feigen, in Scheiben oder Schnitze geschnitten Zichorienblätter, gewaschen

Aceto Balsamico

hochwertiges Olivenöl

250 g

Pane di Sant’Abbondio oder anderes dunkles, kräftiges Brot, in Scheiben geschnitten

Pablo il cuoco  157


Für die Suppe  Ein Backblech oder eine grosse Gratinform grosszügig mit grobem Meersalz bestreuen, die ganzen Schalotten hineinsetzen und im Ofen bei 200 Grad sehr weich garen. Kurz abkühlen lassen und dann schälen. E  Cognac und

Marsala zusammen in einem Topf erhitzen. Die geschälten Schalotten, Rahm, Gemüse­ fond und Salbei hinzufügen und sprudelnd auf­kochen. Mit dem Stabmixer durchmixen und aufschäumen, mit Salz und Pfeffer abschmecken. E  Feigen und Zichorie

vermischen und mit Salz, Pfeffer, Aceto Balsamico und Olivenöl mischen. E

Die Brotscheiben mit Olivenöl bestreichen und kurz in einer Pfanne rösten. Die Kalbs­

leber in einer zweiten Pfanne kurz anbraten und würzen. E  Die Kalbsleber auf dem gerösteten Brot in vorgewärmte tiefe Teller setzen. Mit der nochmals aufgeschäumten Suppe umgiessen und mit Feigen und Zichorie garnieren. Mit etwas Olivenöl und

Balsamico beträufeln und etwas frischen Pfeffer darübermahlen. E  Das Pane di Sant’Abbondio ist eine Brotspezialität aus der gleichnamigen Ortschaft. Das dunkle Brot aus Weizen- und Roggenmehl, Leinsamen und Sojamehl, Kürbiskernen, Sonnenblumen­ kernen, Haferflocken, Weizenkleie und Roggenmalz schmeckt saftig und kernig.

158  Pablo il cuoco



Muskatnuss-Pannacotta mit Dinkel und Americana-Trauben-Zabaione [[Für 4 Portionen ]

Pannacotta

½ l

100 g

Rahm Zucker

frisch geriebene Muskatnuss

4 Blatt

Gelatine, in kaltem Wasser eingeweicht

4

Mürbeteigbiskuits, zerbröselt

Dinkel

100 g

20 g

2 Zweige

Dinkelkörner Rohrzucker frische Minze, Blätter gehackt

Zabaione

4

Eier

100 ml

Weisswein

100 ml

Traubensaft

100 g

Zucker

Garnitur

160  Pablo il cuoco

Americana-Trauben, Johannisbeeren und Brombeeren sowie Minze als Garnitur



Für die Pannacotta Den Rahm mit Zucker und frisch geriebener Muskatnuss nach Geschmack in einen Topf geben und aufkochen. Vom Herd nehmen. Die eingeweichten Gelatineblätter ausdrücken und in der warmen Rahmmischung auflösen. Die zerbröselten Mürbeteigbiskuits auf den Boden einer kleinen Pasteten- oder Terrinenform geben, leicht andrücken und die Rahmmischung daraufgiessen. Im Kühlschrank mehrere Stunden fest werden lassen. Für den Dinkel Die Dinkelkörner mit etwas Wasser aufkochen, dann abgiessen, abtropfen und leicht ab­k ühlen lassen. Mit dem Rohrzucker und den abgezupften und gehackten Minzeblättchen v­ ermischen und in einer Pfanne kurz rösten. Für den Zabaione Die Eier in einer Rührschüssel verquirlen, Weisswein, Traubensaft und Zucker unterrühren. Über einem heissen Wasserbad aufschlagen, bis eine helle, schaumige Masse entstanden ist. Dies sollte erst unmittelbar vor dem Servieren

ge­schehen, da der Schaum sonst wieder zusammenfällt. E  Die Pannacotta in Scheiben aufschneiden und mit dem Zabaione und etwas geröstetem Dinkel anrichten. Nach Belieben mit frischen Trauben, Beeren und Minzblättchen garnieren.

C Die Uva Americana ist eine sehr ertragreiche rote Rebsorte. Die Weinbeeren sind dunkel und klein und werden vor allem zur Herstellung von Tresterbränden verwendet, können aber auch roh gegessen werden. Diese schädlingsresistente Rebsorte wird seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Tessin angebaut.

162  Pablo il cuoco






TIGUSTO Pierluigi Zanchi und seine Tofuproduktion

Nachdem er die anwesenden Journalisten mit einer Handbewegung und einer leichten Ver­neigung begrüsst hatte, steuerte er zielstrebig zum Rednerpult. Die Lichter im Saal wurden heruntergedimmt, während jene auf der Bühne plötzlich mit doppelter Kraft strahlten. Er richtete wie üblich das Mikrophon, nahm einen Schluck Wasser und klammerte sich mit beiden Händen ans Rednerpult. Die Augen waren etwas aufgeschwollen wie auch der Bauch, über dem er einen perfekt sitzenden Anzug trug. Die Blitzlichter der Fotografen blendeten ihn, doch er liess sich dadurch nicht beirren. «Geschätzte Damen und Herren», begann er. Dann eine lange Pause, um die Spannung zu erhöhen. Als niemand mehr zu atmen wagte, hielt er sich nochmals selbstgefällig einen Augenblick zurück, um dann endlich zu verkünden, dass das Unternehmen das vergangene Jahr mit einem Umsatz von 107,6 Milliarden Franken abgeschlossen habe, 2,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zunahme des Gewinns habe 34 Prozent betragen, was einem Plus von 10,4 Milliarden Franken entspreche. Ein zufriedenstellendes Resultat also, wenn man die Proteste der Umwelt­ aktivisten in Brasilien und die misslichen metereologischen Verhältnisse in China in Betracht ziehe. Aus dem Saal erhob sich frenetischer Applaus. Er war damals einer der bekanntesten und bestbezahlten Manager (wenn auch der ökofeindlichen Fraktion) … und er wusste es. Mit dem süffisanten Lächeln eines putschenden Generals gab er sich während dreier langer Minuten dem Applaus hin, ohne eine Regung zu zeigen. Danach projizierte ein Assistent während über zwanzig Minuten Statistiken und Prognosen. Noch einen Moment länger, und er hätte damit ein Pferd ohne Verabreichung von Beruhigungsmitteln in Tiefschlaf versetzt. Mit einem Mausklick ver­ abschiede ich mich von Youtube und hänge wieder meinen eigenen Gedanken nach ... Auch Pierluigi Zanchi ist Manager, und mit etwas Geduld findet man auch ihn auf Youtube. Seine Ziele und seine Art, Erfolg zu beurteilen, sind allerdings ganz anders … und auch seine Art zu lächeln. Als ich ihn treffe, stehe ich vor einer Person, die die Worte Freizeit oder Ferien kaum kennt. Aber trotz der achtzig Wochenstunden, die er auf sich lädt, und der tausend Dinge, die er noch erledigen muss, bleibt er freundlich und dienstbereit. Zu Beginn sagt er, dass er eine Stunde Zeit habe, gesteht mir aber schliesslich über zwei zu.

TiGusto  167


Die Firma von Pierluigi hat keine Büros in London und keine Vertreter in Hongkong. Sie produziert Tofu, Dinkel-Seitan und Gemüsebouillon aus Tessiner Anbau, ausserdem bietet sie eine Plattform für den Verkauf weiterer typischer regionaler Produkte wie etwa das rote Maismehl der Firma Bassetti, die wiederentdeckte Farina bóna aus dem Valle Onsernone, Produkte auf der Basis von Kastanien von Pinca oder den Tessiner Honig von Giuseppe Camponovo. Eigentlich ist sie nur ein kleiner Punkt am Rande der Magadino-Ebene: eine Handvoll Mitarbeiter, ein kleiner Vorplatz und einige Werkstätten mit etwas Gerät für die handwerkliche Produktion – gerade so viel, um noch knapp einen Rentner zu beeindrucken, oder einen Experten aus Japan, der bei Tigusto eine etwas nostalgische Kindheitserinnerung durchlebte. «In Japan», habe er im Angesicht der alten Hand­ pressen gesagt, «existiert all dies nicht mehr!» Es sind solche Momente, die Pierluigi Genugtuung schenken für all die «Salti mortali», die er machen musste, um eine hundertprozentige Tessiner Soja zu erhalten und überhaupt diese Unternehmung aufzubauen. Als Pierluigi mich in sein mit Second-Hand-Möbeln ausgestattetes Büro bittet, entschuldigt er sich zuerst für seine Geringschätzung gegenüber jeglichem Design. Doch das Verschwenden finanzieller Ressourcen für 500 Franken teure Bürostühle, scheine ihm kein verantwortungs­volles Handeln gegenüber seinen Angestellten, erklärt er. Viel lieber investiere er in wichtigere und noblere Dinge: zum Beispiel in einen Firmenanlass, der sich an den familiären Notwendigkeiten der Angestellten orientiert, oder in den kompletten Ausgleich der CO2 - Emissionen seiner Firma. «Ein unverbesserlicher Idealist», würden manche wohl sagen. Und doch, trotz des Festhaltens an den eigenen Werten und entgegen dem Motto «Profit über alles!» ist die Firma nicht Pleite gegangen. Ganz im Gegenteil. In den zwanzig Jahren ihres Bestehens wurden nicht wenige neue Stellen­ prozente geschaffen. Gerne gibt Pierluigi zu, dass er nichts dagegen hätte, etwas mehr zu ver­dienen – natürlich immer auf dem eingeschlagenen Weg der Transparenz und der Genügsamkeit. Nur vorsichtig spricht er von seinen Träumen, denn es ist ihm klar, dass sich eher ein Kamel durch ein Nadelöhr zwängt, bevor die Tigusto an die Börse geht. Doch Pierluigi träumt nicht von der Villa mit Swimmingpool oder von der Abstellhalle voller Luxusautos, sondern von Hilfsprojekten im grossen Stil etwa für die Entwicklung von Burkina Faso …

168  TiGusto


Pierluigi könnte auf einem anderen Posten in der Hälfte der Arbeitszeit wohl das Dreifache verdienen. Aber irgendwie scheint er in jeder Sojasprosse etwas zu sehen, was andere nicht zu erkennen vermögen, etwas Schönes und Unverzichtbares. Und so lächelt er innerlich, und dieses Lächeln treibt in vorwärts, ohne auf den Gewinn zu achten und ohne eine Abkürzung oder einen Umweg zu nehmen. Es handelt sich um Dinge, die nur jenem gelingen, der sich in seine Visionen verliebt, und wenn er erzählt, ist er stolz wie ein Fallschirmspringer, der es hinter die feind­ lichen Linien geschafft hat. Im Ökosystem der globalen Nahrungsproduzenten allerdings repräsen­ tiert die Firma Tigusto das letzte Glied einer Nahrungskette, an deren Spitze sich wolfshungrige multinationale Konzerne tummeln, die solch kleine Unternehmen im Rhythmus von vier bis fünf pro Tag verschlingen. Auf dem Weg nach Hause trällert wie zufällig Claudio Lolli aus dem Autoradio, singt, dass wir es sind, die die Erde bereichern. Da die Strasse gerade durch weite Felder führt, halte ich kurz an, knie nieder, nehme eine Handvoll Erde und lasse sie durch meine Finger rieseln. Und ich bin dankbar für all die Menschen, die mit der Erde arbeiten, die sie verteidigen und ihre Früchte zu schätzen wissen. Ich reibe die Erde etwas zwischen meinen Händen, rieche an ihr, und es scheint mir, wie wenn ich irgendwie schon ein wenig zuhause wäre.

TiGusto  169



Sojabällchen [[Für 4 Portionen ]

Sojabällchen

50 g

Zwiebel oder Lauch, fein gehackt

50 g

Karotte, fein gerieben

einige

1 EL

300–330 g

200 g

4 EL

1 Prise

je 1 Prise

1 TL

frisch geriebener Ingwer

30 g

getrocknete Pilze (Morcheln, Steinpilze oder andere)

4 EL

Edelhefe (aus dem Reformhaus)

5 EL

Sojasauce (Tamari oder Shoyu)

4 EL

kaltgepresstes Olivenöl

80 g

Zwiebeln, gewürfelt

40 g

Sellerie, geschält, gewürfelt

80 g

Karotten, geschält, gewürfelt

4 EL

Weisswein

1 EL

Gemüsefond

2 EL

Rahm

1 EL

Mais-, Speisestärke oder Kuzumehl

1 Bund

Petersilienblätter, gehackt feinstes Oliven- oder Sesamöl weicher Bio-Tofu, abgespült Hackfleisch (Bioqualität) Sojasauce Muskatnuss Oregano und gehacktes Bohnenkraut

Sauce

Petersilie, gehackt

frisch gemahlener Pfeffer

frisch geriebene Muskatnuss

TiGusto  171


Für die Sojabällchen  Zwiebel, Karotte und Petersilie im heissen Olivenöl anbraten, vom Herd nehmen und abkühlen lassen. Den Tofu unter fliessendem Wasser abspülen, trocken tupfen und ganz fein zerkrümeln, dann zum erkalteten Gemüse geben. Hack­ fleisch, Sojasauce, Muskatnuss, Kräuter und Ingwer beigeben und alles gut vermischen. Aus der Fleischmasse Bällchen von 2–3 cm Durchmesser formen. (Die Form kann beliebig variiert werden, zum Beispiel auch als Hamburger.) Für die Sauce  Die getrockneten Pilze in einer Schüssel etwa 30 Minuten in Wasser einweichen. Das Wasser abgiessen und die Pilze gut ausdrücken. Die Sojabällchen in einer Schüssel mit Edelhefe und Sojasauce vermischen und kurz marinieren lassen.

E Das Olivenöl in einer Sauteuse oder einem Schmortopf erhitzen. Die Soja­

bällchen aus der Marinade nehmen und im heissen Öl kurz anbraten. Dann zurück in

die Marinade geben. E  Nun im gleichen Topf sämtliches Gemüse andünsten.

Nach einigen Minuten die Pilze hinzufügen und kurz weiterbraten. Dann die Sojabällchen wieder dazugeben und mit dem Weisswein ablöschen. Die verbliebene Marinade von den Sojabällchen, Gemüsefond und etwas Wasser beifügen und abgedeckt mindestens 15 Minuten köcheln lassen. Wenn die Sojabällchen gar sind, den Rahm darunterrühren, die Sauce falls nötig mit etwas Stärkemehl binden, die Petersilie beifügen und mit Pfeffer und Muskatnuss abschmecken.

C Die Variationsmöglichkeiten für dieses Gericht sind beinahe unbegrenzt. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf und verwenden Sie dafür beliebige saisonale Zutaten. Als Beilage passen Polenta, Reis, Bulgur, Quinoa, Spätzli oder Spaghetti aus Kastanienmehl.

172  TiGusto



Tofu-Thunfisch-Creme [[Für 4 Portionen ]

300–350 g

Tofu (natur), gewürfelt

1 Dose

Thunfisch (etwa 180 g)

3 EL

Sojasauce (Tamari oder Shoyu)

Zitronensaft

2 EL

Apfelessig

1 Prise

1 TL

Senf

2–3

Essiggurken

1 Bund

einige

frisch geriebene Muskatnuss

Petersilie Basilikumblätter frisch gemahlener Pfeffer, Paprikapulver

Die Tofuwürfel in kochendes Salzwasser geben und einige Minuten köcheln lassen. Abseihen, unter fliessendem kaltem Wasser abkühlen und abtropfen lassen. Dann zusammen mit allen anderen Zutaten im Cutter (Moulinette) zu einer gleichmässigen feinen Masse pürieren.

C Diese Creme ist sehr vielseitig verwendbar: Köstlich als Dip zu Grissini oder rohen Gemüsestängeln oder als Brotaufstrich. Verdünnt man die Creme mit ein wenig kaltem Wasser, erhält man eine Sauce, die sich gut zu fein geschnittenen Scheiben von Rindoder Kalbfleisch reichen lässt – in der Art eines Vitello tonnato, das dann aber etwa 90 Prozent weniger Fett und Cholesterin enthält als die klassische Zubereitungsart der Salsa tonnata.

174  TiGusto




Gebratene Tofu-Scheiben [[Für 4 Portionen ]

500 g

6–8 EL

1 TL

1

Tofu (natur) Sojasauce (Tamari oder Shoyu) frisch geriebener Ingwer Zitrone, Saft

Edelhefe (aus dem Reformhaus)

kaltgepresstes Olivenöl

2 EL

Salbei und Rosmarin nach Belieben

Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer

Den Tofu unter fliessendem Wasser abspülen, trocken tupfen und in 1 cm dicke

Scheiben schneiden.  E  Sojasauce, Ingwer und Zitronensaft vermischen und die Tofu-Scheiben mindestens 1 Stunde darin marinieren. Dann die Scheiben in etwas Edelhefe wenden und in einer beschichteten Pfanne im Olivenöl von beiden Seiten

goldbraun braten. Herausnehmen und warm halten. E  In derselben Pfanne die übrigge­b liebene Marinade zusammen mit einigen Salbeiblättern und etwas Rosmarin

zu einer sämigen Sauce einköcheln lassen. E  Die gebratenen Tofu-Scheiben mit Salz und Pfeffer würzen und mit der Sauce servieren.

C Dazu passt ein Gemüserisotto (z. B. mit Karotten und Lauch).

TiGusto  177


Maismehl-Spätzli [[Für 4 Portionen ]

Spätzli

150 g

Farina bóna (siehe Seite 180)

250 g

Weissmehl

4

400 ml

20 g

Butter, geschmolzen

50 g

Gottardo- oder anderer Bergkäse, gerieben

Eier Milch und Wasser gemischt

Meersalz

1 Kopf

Rotkohl, in Streifen geschnitten

etwas

2

Zitronensaft Schalotten, gewürfelt

Olivenöl

frisch gemahlener Pfeffer

Gottardo- oder anderer Bergkäse, gerieben

178  TiGusto

50 g



Für die Spätzli Beide Sorten Mehl zusammen in eine Schüssel sieben und in der Mitte eine Mulde formen. Die Eier mit Milch und Wasser verquirlen und die geschmolzene Butter unter­r ühren. Die Mischung zusammen mit dem geriebenen Käse und wenig Salz in die Mehlmulde geben und alles zu einer gleichmässigen Masse verrühren. Mit einem Holzlöffel einige Minuten lang kräftig aufschlagen, bis der Teig Blasen wirft. Falls er zu flüssig ist, noch etwas Mehl daruntermischen; falls er zu dick ist, mit etwas Wasser

verdünnen. Den Teig 15 Minuten ruhen lassen. E  Den Rotkohl etwa 8 Minuten über dem Dampf garen und danach mit einem Schuss Zitronensaft abschmecken.

Die Schalotten in wenig Olivenöl andünsten.  E  In einem grossen Topf Wasser auf­kochen und salzen. Den Spätzliteig portionenweise auf das kalt abgespülte Spätzli­ sieb geben und mit einem Teighörnchen in das leicht sprudelnde Wasser streichen. Falls kein Spätzlisieb vorhanden ist, den Teig portionenweise auf ein angefeuchtetes Holzbrett streichen und mit einem Messer oder Metallspachtel in dünnen Streifen vom Brettchen direkt ins leicht kochende Wasser schneiden. Wenn die Spätzli wieder an die Oberfläche des kochenden Wassers steigen, sind sie gar und können mit einer Schaumkelle abgeschöpft werden. E  In einer Pfanne in etwas Olivenöl mit

dem gegarten Rotkohl und den Schalotten mischen und leicht anbraten, mit Salz und Pfeffer abschmecken, zuletzt die zweite Portion geriebenen Käse darüber verteilen und schmelzen lassen. Die Spätzli können statt­d essen auch in einer gefetteten Auflaufform im Ofen bei 200 Grad etwa 20 Minuten überbacken werden.

C Farina bóna, auch Farina seca genannt, ist ein traditionelles Produkt aus dem Tessin. Für dieses besondere Maismehl werden die Maiskörner geröstet, bevor sie fein vermahlen werden.

180  TiGusto




Marronicreme mit Farina bóna [[Für 5 Personen ]

4

Eigelb

60 g

Zucker

1 TL

Maisstärke

50 g

Farina bóna

½ l

200 g

Milch Marronipüree glasierte Marroni (siehe Seite 249) nach Belieben,  grob gehackt, zum Dekorieren

Die Eigelbe in eine Schüssel aufschlagen. Zucker, Maisstärke und Farina bóna gut

vermischen, dazugeben und schaumig schlagen.   E  Die Milch aufkochen,

dann sofort vom Herd nehmen und vorsichtig etwa ein Drittel davon mit dem Schwing­ besen unter die Eigelbmasse rühren. Wenn alles gut verrührt ist, das nächste Drittel hinzu­f ügen. Nun die lauwarme Eigelbmischung unter die restliche Milch im Topf rühren. Auf niedriger Stufe oder noch besser über einem heissen Wasserbad unter Rühren erhitzen, bis die Mischung eingedickt ist und eine cremige Konsistenz hat.

Vom Herd nehmen und etwas abkühlen lassen.  E  Das Marronipüree löffelweise unter die Creme ziehen. In 5 Dessert­s chalen verteilen und nach Belieben mit glasierten Marroni dekorieren.

TiGusto  183







FAVINI FA.VINO Über den Tessiner Merlot und Simone Favini

Simone Favini, ein junger Tessiner Önologe, liess einen gutbezahlten Job bei einer internationalen Firma sausen, um Weinbau zu studieren. Das Resultat? Er gewinnt einen angesehenen Preis – den «Grand Prix du vin Suisse 2008» für den zweitbesten Merlot der Schweiz und an der «Mondial du Merlot 2009» die Silbermedaille – und produziert heute auf eineinhalb Hektaren Rebfläche rund 12 000 Flaschen. «Per forza», sagt Nino, ein passionierter Weinbauer von altem Schrot und Korn, der an einem faulen Sonntagnachmittag in der Bar am Nachbartisch sitzt und sich das Material zu diesem Buch ansieht, «wenn das deine Berufung ist, kannst du nichts dagegen machen!» «Es vergehen gut und gerne fünf Jahre Arbeit im Rebberg, bis du ein hochwertiges Produkt lesen kannst ...», so die Aussage von Simone Favini. Nino nickt zustimmend. Wenn Simone den Wein mit Auge und Nase erforscht, scheint es, als würde er ein Gemälde betrachten, und er bemerkt dabei Dinge, die mir nie auffallen würden. «In einem Weinglas schwimmen viele Dinge, doch die meisten bleiben jenen verborgen, die sich nicht intensiv mit dem Rebberg auseinandergesetzt haben», unterstreicht Simone. Ja, so ist das wohl. Und trotzdem habe ich das Gefühl, diese unsichtbaren Dinge zu spüren. Nicht zuletzt wegen Menschen wie Nino oder meinem Freund Vincenzo Meroni, die jede freie Minute ihres Lebens den Reben gewidmet haben. Auch sie besitzen diesen speziellen Blick zwischen Zufriedenheit, Bewunderung und Stolz, wenn sie die Frucht ihrer Anstrengungen im Glas betrachten. Mit Vincenzo verbinden mich schöne, aber auch mühselige Arbeitstage in den Bergwäldern, Tage zwischen Motorsägen und Axthieben. Am Ende des Tages, wenn sich die Mannschaft todmüde in die Hütte zurückzog, lief Vincenzo noch hinunter ins Tal, um im Weinberg zu arbeiten, bis die Dunkelheit ihn vollständig einhüllte. Manchmal, wenn es wie aus Kübeln regnete, und wir gezwungen waren, die Arbeit zu unter­brechen und stundenlang in einem Unterschlupf auszuharren, versuchte Vincenzo uns zu erklären, was ein Weinbauer in einem Glas Wein alles sieht. Er erzählte vom Frühtau, von lichtdurchfluteten, sonnigen Tagen, vom Grünspecht, der eines Abends vom Rebberg aufflog, und den Schwärmen nervöser Wespen, die sich nur widerwillig verscheuchen liessen, wenn man die reifen Trauben pflückte. Er erzählte vom langwierigen Prozess der Weinbereitung und von der strengen Arbeit im Weinberg bei Sonne, Wind und Wetter. Wenn ich heute darüber nachdenke, scheint es mir, dass ich etwas besser verstehen kann, wieso er immer so besorgt zum Himmel blickte, wenn ein Un­wetter aufzog. Wie viele Stunden Arbeit, wie viel Mühe, aber auch Leidenschaft stecken in einem

Favini Fa.Vino  189


ehrlich und sorgfältig produzierten Glas Wein. Wenn der Winzer das Endprodukt betrachtet, lässt er all dies Revue passieren, und es kommt ihm selbst schier unglaublich vor, dass die Arbeit von Jahren nun in einem Glas Platz findet. Nino hat bereits achzig Jahre auf dem Buckel, siebzig davon im Weinberg, sechzig in der Ehe und fünfzig im Weinkeller. Das alles habe ihm gefallen, sagt er, aber jetzt sei er müde, habe schwache Beine und Gelenkschmerzen, die ihm nachts den Schlaf raubten. Vor einigen Jahren sei ihm bewusst geworden, dass er seinen geliebten Weinberg nicht mehr richtig hätte bewirtschaften können, und so hat er ihn einem Jungen aus dem Dorf überlassen. In seiner Stimme ist kein Hauch von Bedauern auszumanchen. Nino ist einer, der loslassen kann. Er weiss, dass man alle überflüs­ sigen Zweige wegschneiden muss und nur das belassen darf, was die Rebe veredeln kann, wenn man am Schluss einen guten Wein erhalten will. Wie es auch Simone Favini bestätigt: «Während der Vinifizierung kann man keine Wunder bewirken. Die Traube muss schon am Stamm gut sein. Dann kann man praktisch alles machen. Aber wenn man nicht gut an der Frucht gearbeitet hat, nützen alle Maschinen und Tricks nichts mehr. Den Wein kann man dann nicht mehr korrigieren  …» Die Hauptsache für Nino war es, jemanden zu finden, der die jahrzehntelange Arbeit im Rebberg fortführt. Es wäre traurig gewesen, in seinen letzten Jahren mit ansehen zu müssen, wie sein Lebens­ werk vom Eichenwald zugewuchert würde. Jetzt ist er beruhigt. Sein junger Nachfolger scheint voller Leidenschaft für den Wein, ist fleissig und macht seine Sache gut. Oft kommt er mit ein, zwei Flaschen vorbei. «Diesen Wein zu trinken, erfüllt mich mit Freude. Im Gegensatz zu den Weinen, die in Kartons abgefüllt werden und aus fernen Ländern kommen, die ich nicht mal auf der Landkarte zu finden weiss. Für mich muss der Wein diese typische Kirschnote des Merlot haben», sagt er. «Ich möchte, dass der Wein auf meinem Tisch den Geschmack meiner Erde in sich trägt.»

190  Favini Fa.Vino




Weisswein « Elsbeth » Dieser Bianco del Ticino D.O.C. ist eine Cuvée aus den Traubensorten Sauvignon Blanc, Chardonnay und Sémillon und stammt aus den Weinbergen des Mendrisiotto. Kalte Mazeration vor der Gärung, dann traditioneller temperaturkontrollierter Ausbau im Stahltank. Nase Intensives Aroma von Zitrusfrüchten und weissen Blüten, wie es typisch ist für Sauvignon Blanc. Gaumen Frisch, mit angenehmer Säure, intensiven Aromen und langem Abgang.

C Eine typische Cuvée aus Weissweintrauben, hervorragend zum Aperitif und zu Fischgerichten.

Favini Fa.Vino  193


Gebackene Felchen [[Für 4 Personen ]

4

Felchen oder Seeforellen, geschuppt und ausgenommen

4

Salbeiblätter und 4 Rosmarinzweiglein zum Füllen

1

unbehandelte Zitrone, in Scheiben geschnitten

Butter für die Form

2 Knollen

Fenchel, in feine Streifen geschnitten

6

je 3 Zweige

½

Cherrytomaten, in Scheiben geschnitten Thymian und Rosmarin, abgezupfte Blättchen unbehandelte Orange, in Scheiben geschnitten

kaltgepresstes Olivenöl

Meersalz und Pfeffer aus dem Maggiatal

Weisswein

200 ml

Den Backofen auf 200 Grad vorheizen. E  Die Fische unter fliessendem kaltem Wasser abspülen und mit Küchenpapier trocken tupfen. Die Fische jeweils mit 1 Salbeiblatt, ½ Zitronenscheibe und 1 Zweig Rosmarin füllen. E  Eine Auflaufform,

die gross genug ist, damit die 4 Fische nebeneinander Platz haben, mit Butter fetten. Fenchel und Cherrytomaten darin verteilen, mit Thymian und Rosmarin bestreuen (etwas Thymian zurückbehalten), mit Salz und Pfeffer würzen. Die Orangen- und die restlichen Zitronenscheiben darauflegen und alles grosszügig mit Olivenöl beträufeln. In einem Teller reichlich Salz und Pfeffer mischen, die Fische darin wälzen und auf das Gemüsebett in die Auflaufform legen. Noch etwas Thymian darüberstreuen und jeweils ein

wenig Olivenöl über die Fische träufeln.  E  Im vorgeheizten Ofen bei 200 Grad etwa 45 Minuten backen. Nach etwa der Hälfte der Garzeit den Weisswein über die

Fische giessen. E  Die gebackenen Fische zusammen mit dem Gemüse und Salzkartoffeln oder Reis servieren.

194  Favini Fa.Vino



Rosato di Merlot Ein Rosé-Wein aus Merlot-Trauben aus den Weinbergen des Mendrisiotto. Aus den besten Fässern per Saignée-Methode gewonnen, das heisst ohne Pressung von der Maische abgezogen. Langsame Fermentation bei niedrigen Temperaturen, um die Aromen zu erhalten.

C Intensive Farbe, Blütenaroma, ausgeprägte Struktur. Sehr gut geeignet als Aperitif, aber auch ein schöner Sommerwein zu Grillgerichten. Ebenso erhältlich als Spumante extra brut: Bollicine Fa.Vino.

196  Favini Fa.Vino




Risotto mit Luganighe [[Für 4 Personen ]

Risotto

1 l

Gemüsebouillon

1 Zweig

Rosmarin

2 Zweige

Thymian

2

Salbeiblätter

½

Zwiebel, gehackt

kaltgepresstes Olivenöl

2

reife Tomaten, entkernt und gehackt

350 g

Carnarolireis

1 Glas

Weisswein

100 g

1–2 TL

Sbrinz oder Parmesan, gerieben Butter

Meersalz und Pfeffer aus dem Maggiatal

Luganighe

2

Favini Fa.Vino  199


Für den Risotto Die Gemüsebouillon aufkochen, Rosmarin- und Thymianzweige sowie Salbeiblätter hinzufügen und bei mässiger Hitze etwa 15 Minuten köcheln lassen.

Danach den Gemüsefond auf dem Herd warm halten. E  In einem mittelgrossen Topf die Zwiebel in etwas Olivenöl glasig dünsten. Die gehackten Tomaten und den Reis hinzufügen und unter Rühren erhitzen, bis die Spitzen der Reiskörner glasig sind. Mit dem Weisswein – oder wenn ein rosa Risotto mit einem intensiveren Geschmack gewünscht ist, mit 1 Glas Rotwein – ablöschen. Sobald die Flüssigkeit vollständig vom Reis aufgenommen wurde, eine Schöpfkelle des warmen Gemüsefonds hinzufügen und umrühren. Sobald die Flüssigkeit vom Reis aufgenommen wurde, eine weitere Kelle Gemüsefond hinzufügen und so fortfahren, bis der gesamte Gemüsefond aufgebraucht und der Reis gar ist; das dauert etwa 20 Minuten. Dabei häufig umrühren. Abschliessend den geriebenen Käse und Butter darunterrühren und den Risotto noch einige Minuten

auf der abgeschalteten Herdplatte ziehen lassen. E  Gleichzeitig in einem separaten Topf genügend Wasser zum Sieden bringen und die Luganighe darin bei schwacher Hitze etwa 25 Minuten gar ziehen lassen. E  Die Luganighe zusammen mit dem Risotto servieren.

C Luganighe sind eine traditionelle Tessiner Rohwurstspezialität aus Schweinefleisch und einer speziellen Gewürzmischung, die unter anderem Knoblauch, Muskat, Zimt und Rotwein enthält.

200  Favini Fa.Vino



Merlot « Tradizione » Merlot del Ticino D.O.C. Reiner Merlot von alten Reben aus den besten Lagen der Gemeinde Salorino, mit einem Ertrag von 0,8 Kilogramm pro Quadratmeter. Konzentration durch SaignéeVerfahren. Fermentation und erste Veredelung in Holzfässern. Zweite Veredelung in französischen Eichenfässern. Nase Intensiv. Duft von reifen Früchten und Holzaromen. Gaumen Ausgeglichen, reife Früchte, typischer Kirsch­ geschmack. Im Abgang Holzaromen, weich mit moderater Säure.

C Ein etwas anspruchsvollerer Wein, den man am besten zu kräftigen Speisen, wie etwa Wild, geniesst oder einfach so für sich allein in schöner Gesellschaft.

202  Favini Fa.Vino




Wildschweinbraten aus dem Ofen [[Für 4 Personen ]

Wildschweinbraten 1 kg

Wildschweinfleisch für Braten (Nacken, Keule oder Schulterstück)

Milch

1½ l

Salz und frisch gemahlener Pfeffer

3 EL

Butter

1

10 g

2

Tannenzweige

1

Eiweiss, verquirlt

2

Zwiebeln, gewürfelt

1 Glas

2 Zweige

Thymian, abgezupfte Blättchen

1 Zweig

Rosmarin, abgezupfte Blättchen

3–4

3

Gewürznelken

1

Lorbeerblatt

1

Karotte, geschält, geviertelt

Knoblauchzehe, ganz oder gehackt getrocknete Pilze, eingeweicht

Sauce

Weisswein Fleischextrakt zum Abschmecken

Salbeiblätter

Favini Fa.Vino  205


Das Fleisch 3–4 Tage in der Milch marinieren. Dann das Fleisch aus der Marinade nehmen, trocken tupfen und rundherum mit Salz und Pfeffer würzen. E

Ein Blatt Backpapier auf der Arbeitsfläche ausbreiten und mit Butter bestreichen. Einen Tannenzweig auf die eine Papierhälfte legen und das Fleischstück daraufsetzen. Den Knoblauch und die ausgedrückten Pilze auf dem Fleisch verteilen und den zweiten Tannenzweig darauflegen. Den Rand des Backpapiers gut mit dem verquirlten Eiweiss streichen, das Papier über dem Fleisch zusammenfalten, am Rand rundherum fest zusammenpressen und dann nach innen falten, sodass ein hermetisch verschlossenes Paket entsteht. Dadurch verdampft der Bratensaft beim Backen im Ofen nicht und das Fleisch schmort sanft darin. In der Mitte des Backofens bei 150 Grad etwa 4 Stunden garen.  E  Für die Sauce die Zwiebeln in etwas Olivenöl andünsten. Mit dem

Weisswein ablöschen und mit Fleischextrakt abschmecken, Kräuter, Gewürznelken, Lorbeerblatt und Karotte bei­f ügen und etwa 20 Minuten sprudelnd köcheln lassen. Zuletzt den Bratensaft vom Fleisch hinzufügen und die Sauce noch solange köcheln lassen, bis sie Saucenkonsistenz hat.  E  Das Fleisch aufschneiden, in eine

ofenfeste Form geben, die Sauce darübergiessen und noch einmal für 10 Minuten in den Backofen stellen.

C Zum Wildschweinbraten nach Belieben Tagliatelle, Kartoffeln oder Polenta reichen. Klassisch sind dazu glasierte Marroni (siehe Seite 249) sowie pochierte Birnen oder säuerliche Äpfel, gefüllt mit roter Johannisbeerkonfitüre.

206  Favini Fa.Vino








LA MAZZA Die Schlachttradition mit Guido Crivelli und den Valsangiacomo In der kühlen Abendluft steigt uns der wohlvertraute Geruch von brennendem Cheminéeholz in die Nase. Und noch bevor wir die kleine Schlachtkammer erreichen, werden alte Erinnerungen wach. Die Erinnerungen verwandeln sich in verschwommene Bilder und traumhafte Sequenzen. Ich sehe meine Grosseltern beim Feuer sitzen und höre sie von Dingen berichten, die vor noch nicht allzu langer Zeit Realität waren, uns aber heute unwirklich und unvorstellbar vorkommen. Sie erzählen von Leuten, die den Hunger fürchteten und nur zu besonderen Anlässen, wenige Male im Jahr, Fleisch assen. Sie erzählen, dass das Schwein im November geschlachtet wird, kurz bevor die Erde in den Winterschlaf tritt, die Kälte den Fliegen den Garaus macht und die Täler in riesige natürliche Kühlschränke verwandelt. Damals war die Schlachtung des Hausschweins ein Fest, ein heidnisch anmutendes Ritual, dessen Ursprung sich in der Geschichte verliert. Es wurde mit Gerichten gefeiert, die fast vollständig aus dem modernen Speiseplan verschwunden sind, wie Blutwürste oder die «Rosticiana», ein Eintopf aus gerösteten Innereien. Zuerst wurden die leicht verderblichen Teile gegessen: Lunge, Leber, Herz und Nieren. Denn vom Schwein wurde nichts weg­geworfen. Wir sind aufgeregt, in wenigen Augenblicken einen Teil dieser alten Tradition nochmals mit­erleben zu dürfen. Nach kurzer Zeit stehen wir vor den erleuchteten Fenstern der Schlacht­kammer. Guido öffnet die Tür, begrüsst uns und heisst uns eintreten. Sofort nehmen Messergeräusche und der Geruch von Fleisch, Wein und Gewürzen unsere Sinne gefangen. Milko ist mit dem Zerschneiden der edleren Fleischteile beschäftigt, die dann zu Salami verarbeitet werden. Danach wird er sich an die von Sehnen durchzogenen, fettreicheren Teile machen; daraus werden feine Mortadella und «Cotiche», grobe Würste mit Speckschwarte gefertigt. Einen kurzen Moment bleiben wir wie an­­ge­ wurzelt stehen und beobachten, wie Milko mit dem Messer hantiert – schnell und präzise wie ein Gurkha-Kämpfer. Daneben verrichtet sein Vater dieselbe Arbeit gedankenversunken mit stoischer Gelassenheit. Ich werde von Erinnerungen eingeholt und denke an die Zeit zurück, als auch in unserer Familie einmal jährlich ein Schwein geschlachtet wurde. Ich erkenne die verschiedenen Instrumente und deren Verwendung – nur die Namen sind mir entfallen. Mit einem Lächeln auf den Lippen zieht es mich hierhin und dorthin, ich berühre die Arbeitsfläche, den Griff eines Messers und die aufgehängten fertigen Würste. Guido mischt inzwischen den Fleischbrei für die Mortadelle und schmeckt ihn mit Gewürzen und Glühwein ab. Letzteren hätte er sich wohl lieber in ein Glas gegossen. Milko und Guido wechseln sich mit Anekdoten ab, während sie das Fleischbrät in Därme füllen und mit Küchenkordel geschickt abbinden. «Die Kordel ist zwar nicht so praktisch wie das Netz, gibt aber dem Produkt einen viel authentischeren Anstrich», erklärt uns Milko und bindet die Würste so schnell und gekonnt ab, dass man ihm mit dem Auge gar nicht folgen kann. Es gibt immer weniger Leute, die Würste von Hand binden können.

La mazza  213




Es verlangt Übung, Übung und nochmals Übung. Milko geht es mit links von der Hand, und Guido hängt die Würste zum Trocknen in den Keller. Seit unserem ersten Treffen sind nur wenige Tage vergangen. Heute sind wir zur Feier der traditionellen «Mazza» in das private Grotto von Guido und Milko eingeladen, um das seltene Traditionsgericht «La Rosticiana» zu kosten. Mit Stolz präsentieren sie ihren Reifekeller: ein richtiger alter Keller mit gemauerten Wänden und gestampftem Lehmboden. Nicht einer dieser computergesteuerten Kühlräume, wie sie in modernen Grossmetzgereien zu finden sind. Es ist schwierig, den perfekten Keller für die Reifung der Würste, Salami und Schinken zu finden. Er darf weder zu trocken noch zu feucht sein; nur dann bildet sich der weisse Schimmel auf den Salami und Salametti und lässt diese optimal reifen. Ihre Qualität ist nicht zu vergleichen mit jener der Supermarktprodukte, die mit Reismehl bestäubt werden und so bereits nach wenigen Tagen in den Verkauf kommen, ohne je einen Keller von innen gesehen zu haben. Auch sind die armen Schwei­ ne, aus denen diese Würste hergestellt werden, wohl nicht an der frischen Luft und mit Kartoffeln und gesundem Gemüse aufgewachsen. Als die «Rosticiana» aufgetischt wird, sind wir uns bewusst, dass wir etwas ganz Besonderes erleben dürfen. Einige von uns kosten das Gericht zum ersten und vielleicht auch zum letzten Mal, wenn man die Einmaligkeit des Abends in Betracht zieht. Es schmeckt einzigartig – der pure Geschmack dieser Erde und so besonders wie die Gastfreundschaft dieser Familie. Es sind Menschen mit Herz und mit derselben Ursprünglichkeit wie ihre Produkte. Sie verschwenden ihre Zeit nicht mit Diskussionen über den Erhalt von Traditionen, sie leben sie jeden Tag, Jahr für Jahr – mit ihrer Arbeit, ihrem Einsatz und ihrer Leidenschaft. Ich ertappe mich beim Gedanken, dass viele unter uns zwar hier geboren und aufgewachsen sind, über den gleichen Boden geschritten sind, die gleiche Sprache sprechen, die gleichen Orte kennen … und doch scheinen wir Fremde. So als ob wir das Gedächtnis verloren hätten. Nicht unser Gedächtnis, sondern jenes unserer Vorfahren, unserer Traditionen, das Gedächtnis unserer Herkunft. Während wir anstossen, wird mir klar, dass diese Menschen wichtige Zeugen unserer Kultur sind, das lebendige Gedächtnis dieser Region. Es wäre schade, wenn sie ihr Wissen nicht weitergeben könnten und von alldem nur ein paar schöne Fotos und einige an einem Winterabend hingekritzelte Zeilen übrig blieben … Einige Zeit später unterhalte ich mich mit einem Alten aus dem Val Mesolcina über die Schlach­ tung von Schweinen. Er erzählt mir, dass er seinen Schweinen Lieder vorsang, ihnen den Rücken kraulte und sie liebkoste. Am Tag der «Mazza», vor der Schlachtung, habe er all diese Rituale wiederholt, damit sich die Tiere entspannen und nichts von ihrem baldigen Tod merken. «Wolltest du auf diese Weise vermeiden, dass wegen dem Stress das Fleisch an Qualität verliert?» frage ich etwas naiv, denn das hatte ich kürzlich in einem Buch gelesen. Zuerst schaute mich der alte Mann erstaunt an, dann seufzte er und sprach in geduldigem Ton – so wie ein Grossvater einem etwas schwerfälligen Enkel die Welt erklärt: «Nein, ich habe es gemacht, weil es richtig war.»

216  La mazza




Tessiner Salami Zutaten Schweinefleisch erster Wahl Speck, gesotten Gewürze Salz, zerstossener schwarzer und gemahlener weisser Pfeffer, Muskatnuss, Gewürznelken, Zucker, Knoblauch und Rotwein

Mortadella Zutaten Schweinefleisch erster oder zweiter Wahl (keine Fleischreste, kein Blut) Speck, gesotten Gewürze Salz, Pfeffer, Muskatnuss, Zimt, Gewürznelken, Knoblauch, Glühwein und Grappa

La mazza  219


Prosciutto Zutaten Rohschinken Gewürze Aus dem besten Teil der Keule. Trocken gepökelt, also mit Salz, Gewürzen, Wein, Lorbeer, Rosmarin und Thymian eingerieben, und in Gewölbekellern gereift.

Pancetta Zutaten Im Ganzen (Pancetta piatta) oder gerollt (Pancetta arrotolata) Gewürze Trocken gepökelt, also mit Salz, Gewürzen, Wein, Lorbeer, Rosmarin und Thymian eingerieben, und in Gewölbe­kellern gereift.

220  La mazza



Eintopf mit Kabis [[Für 4 Personen ]

1 kg

Schweinerippchen (Spareribs), möglichst klein

Meersalz und frisch gemahlener Pfeffer

Olivenöl

etwas

Speckschwarte

1

Zwiebel, gehackt

1

Knoblauchzehe, gehackt

2

Karotten, in Scheiben geschnitten

1

Selleriestange, in Scheiben geschnitten

1

Knollensellerie, geschält, gewürfelt

3 EL

2 Gläser

1 Glas

Tomatenmark kräftiger Rotwein Gemüsebouillon

Rosmarin, Salbei und Thymian, nach Belieben

Lorbeerblatt

1

1 grosser

Kabis (Weisskohl), gewaschen, grobe Rippen entfernt, Blätter in Streifen geschnitten

Die Schweinerippchen mit Salz, Pfeffer und nach Belieben etwas Fleischgewürzmischung würzen. Zusammen mit der Speckschwarte in einer grossen Pfanne in heissem Olivenöl von beiden Seiten gut anbraten. Herausnehmen und in einen Schmortopf geben.

E In derselben Pfanne Zwiebel und Knoblauch in etwas Olivenöl andünsten. Karotten und Sellerie hinzufügen und bei starker Hitze einige Minuten unter Rühren anbraten. Das Tomatenmark mit dem Rotwein verrühren und das Gemüse damit ablöschen. Zu den Schweinerippchen in den Schmortopf geben, Kräuter, Lorbeerblatt und Gemüse­brühe hinzufügen. Bei mässiger Hitze abgedeckt etwa 15 Minuten köcheln lassen. Dann den Kabis daruntermischen und weitere 45 Minuten köcheln lassen.

222  La mazza




Schweinshaxe [[Für 4 Personen ]

4

2 EL

Schweinshaxen, nicht zu gross körniger Senf

Meersalz und Pfeffer aus dem Maggiatal

1 EL

Kümmelsamen

2 EL

Bratfett

3

Karotten, geschält, gewürfelt

1

Knollensellerie, geschält, gewürfelt

1

Stangensellerie, gewürfelt

1

Zwiebel, gewürfelt

3

Knoblauchzehen, fein gehackt

1 Zweig

4–5

1 Bund

800 g

500 ml

Bratensauce

200 ml

Rotwein

4 EL

Rosmarin Salbeiblätter Thymian Kartoffeln, gewürfelt

Tomatenmark

La mazza  225


Den Backofen auf 200 Grad vorheizen. E  Die Schweinshaxen mit dem Senf bestreichen und rundherum mit Salz, Pfeffer und Kümmel würzen. In einem Bräter in der unteren Hälfte des vorgeheizten Backofens etwa 1 Stunde schmoren. Dann die Schweinshaxen aus dem Bräter nehmen und beiseitelegen. Sämtliches vorbereitetes Gemüse (bis auf die Kartoffeln) auf dem Boden des Bräters verteilen. Die Schweins­ haxen darauflegen, die Kräuter hinzufügen und alles weitere 40 Minuten schmoren lassen. Dann die Kartoffeln unter das Gemüse mischen. Die Bratensauce mit Rotwein und Tomatenmark vermischen und über das Fleisch giessen. Alles weitere 40 Minuten schmoren lassen, dabei das Fleisch immer wieder mit Sauce übergiessen. E  Die Schweinshaxen mit dem Gemüse servieren.

C Dazu passt ein Glas Merlot, zum Beispiel der «Temporivo D.O.C.» von Fa.Vino.

226  La mazza



Gebratene Innereien vom Schwein [[Für 8 Personen ]

500 g

Schweineleber

150 g

Schweineniere

150 g

Schweineherz

etwas

Schweinelunge, nach Belieben

150 g

Schweinsfilet

2 grosse

75 g

Zwiebeln, in Scheiben geschnitten Schweineschmalz

1 Sträusschen

Salbei, abgezupfte Blätter

Rotwein

1 Glas

1 kleines Glas

Grappa oder Brandy

Butter

1 TL

Salz und Pfeffer

Sämtliche Innereien und das Schweinsfilet in feine Streifen schneiden. E  Die Zwiebeln in einer grossen Bratpfanne im Schweineschmalz anbraten. Sobald sie weich sind, die Innereien hinzufügen und ebenfalls anbraten. Nach ein paar Minuten die Filetstreifen und den Salbei hinzugeben. Mit dem Rotwein ablöschen und bei starker Hitze etwa 5 Minuten köcheln lassen. Dann die Butter darunterrühren, bis

sie geschmolzen ist, und zuletzt mit dem Grappa oder Brandy verfeinern. E  Traditionell wird die «Rostisciana» auf einer festen Polenta serviert. Diese aus 800 g Bramata-Maisgriess oder halb Bramata- und halb Taragna-Maisgriess (siehe Seite 100), 2,4 Liter Wasser und 2 Esslöffel Olivenöl herstellen, wie im Rezept Seite 100 beschrieben.

C Dieses einzigartige sättigende und geschmacksintensive Gericht ist typisch für den Süden des Tessins. Im ausgehenden Winter ist es zusammen mit einer guten Polenta ein besonderer Genuss. Der Name des Gerichts kommt von der Art der Zubereitung: «rosti» steht für rösten oder anbraten. In der bäuerlichen Tradition war es üblich, am Abend des Schlachttages als Erstes Zwiebeln und Leber in Schweineschmalz anzubraten, dann wurde Salbei hinzugefügt und mit Rotwein abgelöscht, um das Ganze anschliessend noch einige Zeit köcheln zu lassen.

228  La mazza








LA NONNA LINA Ein Besuch im Calancatal

Man erzählt oft von einem ganz besonderen Moment, der jenen geschenkt wird, die früh auf­stehen. Sehr früh, viel früher noch als zum Sonnenaufgang. Ein Moment, in dem man ein plötzliches Erschauern in der Luft spüren kann, einen Hauch, der den ganzen Berg einhüllt und diesen zum Leben erweckt. Kurz danach ist der Wald voller Ungeduld. Die Vögel, vom ersten goldenen Licht gestreift, beginnen mit ihrem morgendlichen Pfeifkonzert, und am Boden entdeckt man Blumen, die am Vorabend noch nicht da gewesen sind. Genau um solch einen magischen Augenblick auszukosten, halten wir kurz vor Sonnenaufgang an einer verlassenen Steinhütte inne. Ein Teil des Daches ist eingestürzt, aber im Kamin hängt noch ein russgeschwärzter Kochkessel, und die Kerzenreste auf dem demolierten Tisch wecken Bilder von Feen, Hexen und Kobolden, die sich hier in Vollmondnächten treffen, um ihre «Bòia» zu köcheln, Legenden zu erfinden und allerlei Schabernack zu treiben. Wir essen etwas hausgemachten Brotkuchen und laben uns am frischen Brunnenwasser. Dann geht es festen Schrittes weiter, denn der Himmel verdunkelt sich, und wir müssen uns beeilen. Kurz vor Mittag setzt Regen ein, und wir suchen Schutz bei nahen Alphütten, wo wir von einem Alphirtenpaar empfangen werden. Sie erklären uns, dass sie seit dem Vortag ein Dutzend quirlige «Ragazzini» beherbergen, die von ihren wagemutigen Dozenten hier heraufgebracht worden seien. Wir werden zum Essen eingeladen und finden uns unversehens in einer rauchigen Küche aus einer anderen Zeit wieder. Auf dem Herd dampft eine Brennnesselsuppe, und in zwei grossen Pfannen werden aus den Resten des Abendessens die sogenannten «Mazzafam» zubereitet – begleitet von Käse und Wurst ein typisches Gericht. Die beiden Pfannen lassen alte Erinnerungen in mir aufsteigen. Ich sehe meine Grossmutter am Herd stehen. Nach ihrem Tod habe ich nie mehr «Mazzafam» ge­gessen. Als kleiner Junge mochte ich sie nicht besonders, doch als es sie plötzlich nicht mehr gab, habe ich sie doch irgendwie vermisst. Nun frage ich mich, wie sie wohl bei diesen Jugendlichen ankommen – einer Generation, die an den Geschmack tiefgekühlter Normkost gewöhnt ist.

La nonna Lina  235


Ein Junge überrascht mich, als er sagt, dass es ein gutes Mittagessen sei, mit diesem Käse und dem feinen Salame. Sogar die Suppe sei besser als jene seiner Mutter. «Und die Mazzafam?» frage ich. Er schaut in den Teller, kann sich nicht richtig entscheiden und sagt dann: « … ich mag den Duft, den sie im Raum hinterlassen.» Kaum sassen wir am Tisch, begannen unsere Gast­geber Geschichten zu erzählen, Geschichten von Alphirten, Jägern und Schmugglern und Geschichten von Auswanderern, die mit einem einzigen kleinen Koffer bewehrt Jahrzehnte auf fremden Kontinenten überlebt haben. Die Jugendlichen lauschen entzückt und mit offenem Mund. Draussen wütet das Gewitter und schafft zusammen mit dem knisternden Feuer eine magische Atmosphäre, die von den Blitzen verstärkt wird, die ihr flackerndes Licht an die russigen Wände werfen. Ein Mädchen meint, auch sie würde sich gerne geräuschlos im Wald bewegen können, die Namen der Bäume kennen, jene der Tiere und der umliegenden Berggipfel. Eines Tages, wenn sie erwachsen sind, werden diese Kinder mit Wohlwollen an ihre Lehrer zurückdenken. Sie werden sich an einen Spätsommer erinnern und daran, dass sie zusammen auf einer Alphütte waren und «Mazzafam» gegessen haben. Sie werden sich an das Röhren der Hirsche erinnern und an alte Geschichten ihrer Heimat, die aus Mühseligkeit und steilen Pfaden gemacht ist, aber auch aus Schönheit und Magie …

236  La nonna Lina



Nonna Lina Es sind inzwischen einige Monate vergangen, doch noch immer denke ich mit Freude an diesen Nachmittag voller Geschichten zurück. Eine davon handelte von Nonna Lina und ihrer kleinen Welt abseits von Handyempfang und Strassenverbindung. Dort oben, wo sie lebt, ist noch nie ein Fahrzeug hingekommen. Man erreicht das kleine Dörfchen Landarenca nur zu Fuss oder mit der Seilbahn und erlebt einen unglaublichen Zeitsprung. Während unten in der Stadt ein normaler Abend mit dem üblichen Stau beginnt, wähnt man sich hier oben wie vor sechzig Jahren, wo der Feierabend von singenden Grillen in blühenden Wiesen eingeläutet wird. In Landarenca läuten die Kirchglocken pünktlich: jeden Mittag und um sechs Uhr abends. Die Glocken werden noch von Hand geläutet, am Seil zieht Nonna Lina mit voller Kraft, ungeachtet ihrer einundneunzig Jahre. Seit dreissig Jahren erfüllt sie diese Pflicht voller Hingebung, bis heute 21 980 mal – Festtage und Beerdigungen nicht eingerechnet. Der verstorbene Gatte von Nonna Lina hiess Barba. Er war ein echter Naturbursche, der viele Geschichten kannte und erzählte. Einen Teil davon nahm er zwar mit ins Grab, den grössten Teil aber schrieb er im eigenen Dialekt von Landarenca auf und hinterliess sie Nonna Lina, die dieses Wissen ihrem eigenen Schatz an Geschichten hinzufügte. So ist sie nun eine wahre Goldgrube für all jene, die mehr über das frühere Leben im alten Tessin erfahren wollen. Der gewittrige Nachmittag oben auf der Alp war Anlass und Inspiration dazu, der Küche von Nonna Lina ein eigenes Kapitel in diesem Buch zu widmen. Wir machten uns auf Richtung Calancatal, durchquerten verlassene Dörfer, menschenleere Strassen und verbuschende Weiden. Hin und wieder erhaschten wir einen Blick auf einen alten Pfad oder auf Steinhütten, die an steilen Abhängen mit unmenschlicher Anstrengung erbaut worden waren. Und dann tauchten wir ein in die Welt von Nonna Lina, wo jedes Ding, jede versteckte Nische voller Geschichten war …

238  La nonna Lina





Milchpolentabrei nach Calanca-Art [[Für 3–4 Personen ]

1 l

Wasser

1 l

Milch

1 grosse Prise

Salz

Maisgriess für Polenta

500–550 g

Butter, nach Belieben

Milch, Wasser und Salz in einem Topf oder einer Pfanne mit hohem Rand vermischen und zum Kochen bringen. Sobald die Flüssigkeit aufkocht, den Maisgriess unter ständigem Rühren langsam einrieseln lassen. Scheint die Masse nach wenigen Minuten schon zu fest, noch etwas Flüssigkeit (Milch und Wasser) beifügen; ist sie zu flüssig, noch eine Handvoll Maisgriess unterrühren. Bei mässiger Hitze 25–30 Minuten köcheln lassen; dabei häufig umrühren und nach der Hälfte der Kochzeit nach Belieben etwas Butter darunterrühren.

C Traditionell wurde dieses Gericht mit Suppenlöffeln direkt aus der Pfanne gegessen. Über dem offenen Feuer gekocht – so wie es Grossmutter Lina heute noch tut – schmeckt die Boia noch köstlicher und authentischer.

242  La nonna Lina




Hungertöter Kartoffel-Polenta-Pfanne [[Für 4 Personen ]

10 mittelgrosse

Kartoffeln

Butter

6–8 Handvoll

Polenta-Maisgriess

3–4 Handvoll

Weissmehl

Wasser

Salz

«La sira prima fà büi i patati con la pel ... » Zuerst werden am Vorabend die Kartoffeln samt Schale gekocht. Am folgenden Tag die Kartoffeln schälen und in sehr feine Scheiben

schneiden oder grob reiben. E  Etwas Butter in der Pfanne schmelzen und die

Kartoffeln kurz darin anbraten. Dann den Maisgriess und das Mehl unterrühren, salzen und so viel Wasser beifügen, bis sich alles zu einer gleichmässigen Masse verbindet. Etwa 45 Minuten bei möglichst starker Hitze köcheln lassen, dabei immer wieder mit der Bratschaufel wenden und zerteilen. Die Masse darf sich nicht am Pfannenboden fest­s etzen. Nach der Hälfte der Garzeit nochmals etwas Butter daruntermischen. Die

Mazza­fam sind fertig, wenn sie goldbraun sind, ähnlich wie Rösti. E  Dazu passt eine Tasse Milchkaffee.

C Zum Umrühren der «Mazzafam» verwendet man am besten eine Bratschaufel aus Metall, im Tessiner Dialekt «servisc» genannt. Aus diesem Grund empfiehlt es sich auch, möglichst eine alte und/oder unbeschichtete Pfanne zu verwenden.

La nonna Lina  245


Brottorte [[Für 1 runde Springform, ca. 24 cm Durchmesser ]

1½ l

1,2 kg

altbackenes Brot, klein gewürfelt

200 g

trockene Amaretti, zerbröselt

150 g

Zucker

30 g

Kakaopulver

30 g

Pinienkerne

50 g

Rosinen

50 g

Zitronat

1

1 Prise

40 ml

Milch

unbehandelte Zitrone, abgeriebene Schale frisch geriebene Muskatnuss Tessiner Grappa (nach Belieben mehr oder weniger) Mandelstifte als Garnitur

Den Backofen auf 190 Grad vorheizen. E  Die Tortenform sorgfältig mit Butter

fetten und mit Mehl bestäuben. E  Die Milch in einem grossen Topf erhitzen,

aber nicht zum Kochen bringen. Alle weiteren Zutaten hinzufügen und gut vermischen. Falls die Masse zu flüssig ist, noch etwas Brot daruntermischen, falls sie zu trocken ist, noch etwas Milch. Die Masse in die vorbereitete Tortenform geben, glatt streichen und mit den Mandelstiften bestreuen. In der Mitte des vorgeheizten Ofens etwa 45 Minuten

backen, die letzten 10 Minuten auf der untersten Einschubleiste. E  Als Garprobe mit einem spitzen Messer oder einem Holzstäbchen hineinstechen und gleich wieder herausziehen. Bleiben keine feuchten Krümel daran haften, ist die Torte durchgebacken. Die Torte aus der Form lösen und auf einem Kuchengitter abkühlen lassen.

246  La nonna Lina




Glasierte Marroni

50 g

Zucker

60 ml

Wasser

200 g

geschälte Marroni, frisch oder tiefgefroren

10 g

Butter

In einer Pfanne den Zucker karamellisieren, bis er eine goldene Farbe annimmt. Das Wasser hinzufügen und einige Minuten köcheln lassen, ohne zu rühren. Nun die Marroni in den Sirup geben, 2–3 Minuten köcheln lassen und dann die kalte Butter daruntermischen. Die Marroni im Sirup wenden und weiter köcheln lassen, bis sie von einer glänzenden Karamellschicht überzogen sind.

La nonna Lina  249







I CACHI Im Reich des Kakikönigs Giorgi Winter

Die Legende sagt, dass die Kakifrucht in einer einzigen Nacht erschaffen wurde. Als sie zum ersten Mal auf der Erde erschien, tat sie dies unverhofft an einem Herbstmorgen vor vielen, vielen Jahren. Menschen und Tiere waren verblüfft und entzückt über die neue Schöpfung von Mutter Natur und freuten sich sehr. Dies kam so: In jenen späten Herbsttagen hatte Mutter Natur den Wind geweckt, damit er die Baumkronen vom Laub befreie und sich die Wälder und Felder nach den langen produktiven Monaten endlich zur wohlverdienten Ruhe legen konnten. Die Luft war rein und frisch, Mutter Natur legte sich mit einem erleichterten Seufzer nieder und verlangsamte den Rhythmus der Dinge. In dieser kurzen Pause vor dem Beginn der kalten Jahreszeit dachte sie mit Genugtuung an die farbenvollen und überschwänglichen Monate des Jahres zurück, und mit einem Lächeln streifte sie in Gedanken die bevorstehenden Wintermonate. So war es schon immer gewesen. In kurzer Zeit schon würde sie sich unter einer weissen Decke ausbreiten und ausruhen können. Und trotzdem. An diesem Abend vor dem wunderbaren Erscheinen der Kaki gelang es Mutter Natur nicht, vollkommen zufrieden zu sein. Etwas trübte ihr Glück. Ein Mädchen sah sie mit weit offenen Augen und verzweifelt sehnsüchtigem Blick an. «Ach herrje, das Kind ist doch sonst so fröhlich und unbekümmert», dachte sie und versuchte ihm ein Lächeln zu entlocken, indem sie mit einem Wind­ stoss die Blätter zum Tanzen brachte. Doch die kahlen Bäume mochten ohne Laub nicht singen, und auch die frierenden Vögel auf den Ästen stimmten keine Symphonie an. Der Blick des Mädchens wurde noch betrübter. Da schickte sich Mutter Natur an, Wind und Wolken zu ver­mischen und einen wundervollen Reigen aus Schnee zu vollführen. Doch die Luft war noch nicht kalt genug, so fiel nur Regen und liess alles in Sumpf und Morast versinken. Das Mädchen war nun klatschnass und verzog sich frierend und noch schlechter gelaunt ins Haus.

I cachi  255


«Hoppla!», sprach Mutter Natur zutiefst beschämt und arbeitete die ganze Nacht, um den Schlamassel wieder gutzumachen. Zuerst suchte sie einen Baum, der stark, ertragreich und lang­ lebig war. Er sollte Wurzeln haben, die wenig benötigen, und Äste, die viel geben. Diesem Baum schenkte sie unzählige süsse, farbig glänzende Früchte, die in den eisigen Tagen zwischen dem Laubfall und dem ersten Schnee reif werden und die graue Leere dieser Zeit zu füllen vermögen. Als das Mädchen am nächsten Morgen erwachte und die zauberhaften Früchte im Garten sah, lächelte es wieder. Seit diesem Tag geschieht das Wunder jedes Jahr. Wenn die Bäume und Wälder im Tessin im späten Herbst langsam ihre Kleidung ablegen und schliesslich ganz nackt dastehen, tritt, nachdem er monatelang in Belanglosigkeit verharrte, der Kakibaum ins Rampenlicht und reckt seine Äste mit den beschwingt surrealen, knallorangefarbenen Kugeln in den Himmel. In dieser Zeit kommt es vor, dass Kinder offenen Mundes stehen bleiben und nach oben in die Baum­ wipfel schauen. Sie beobachten, wie wuselige Grossmütter auf wackligen Leitern balancieren, um mit speziellen Stangen an die süssen Früchte zu gelangen, und dabei nicht selten Knochenbrüche riskieren. Viele der Früchte, die im Tessin nicht von den waghalsigen Omas und anderen Schleck­ mäulern vertilgt werden, landen beim «König der Kaki».

256  I cachi



Giorgi Winter «Il re dei cachi?», fragen die Kinder fasziniert. Ja, es gibt ihn wirklich, den König der Kaki, und er ist keine Märchengestalt. Er heisst Giorgi. Giorgi ist gross und mager, er hat einen zerzausten Bart und widerspenstiges Haar. Er lebt im Wald, im kleinen Reich der Stiftung Meraggia, einem kleinen Nest mit malerischen Rustici am Hang des Monte Bigorio. Wenn es Zeit ist und die Früchte reif sind, streift der König der Kaki durch den halben Kanton Tessin auf der Suche nach Früchten, die nicht geerntet werden. So kommen tonnenweise Kakis zusammen, die er dann vermarktet: frisch, getrocknet oder als Bestandteil eines seiner erfinderi­ schen Rezepte. Der König der Kaki hat mit der Kaki Geld gemacht – und dies nicht nur im übertragenen Sinn des Wortes. Er hat auch ein eigenes Finanzsystem erfunden, das auf einer sehr aussergewöhnlichen Währung basiert: der Dörrkaki. Der Garten von Giorgi ist quasi die Münzstätte und sein Rustico der Hauptsitz der «Bank of Kaki». Weil die Kaki eine verderbliche Frucht ist, ist auch der Zerfall der Währung inflationär. Giorgi glaubt, dass der rasche Zerfall des Geldes die Menschen dazu anregt, es schneller auszugeben, um dann mit ehrlicher Arbeit wieder neues Geld zu verdienen. So wird aus dem Geld der grösste Nutzen gezogen, die Anhäufung von Kapital und Finanzspekulation vermieden. Die Kaki-Dollars können nicht auf die Bank gebracht und nach zwanzig Jahren mit Zins und Zinseszins wieder abgehoben werden. Alles, was von ihnen zurückbliebe, wäre eine wertlose und undefinierbare verrottete und verschimmelte Masse. «Certo», meint Giorgi abgeklärt, «vielleicht ist es nur eine Utopie. Aber ist der Glaube an unendliches Wachstum, wie er heute von uns gelebt wird, nicht auch völlig utopisch?»

258  I cachi




Getrocknete Kaki [[Für etwa 30 Stück ]

4

fast reife Kaki frisch gepresster Zitronensaft

Die Kaki sollten fast reif, aber nicht zu weich sein. Die Früchte in 6–8 jeweils 1 cm dicke Spalten schneiden und nach Belieben mit wenig frisch gepresstem Zitronensaft beträufeln. Mit der Schale nach unten auf ein Backblech legen und im Backofen bei 45 Grad Umluft mit spaltbreit geöffneter Ofentür oder im Dörrgerät trocknen lassen.

C Die getrock­neten Kaki eignen sich hervorragend als gesunder Snack zwischendurch. Auch zur Hälfte in geschmolzene Schokolade getaucht, sind sie ein Genuss.

I cachi  261


Vollkornwähe mit Kaki-Mascarpone-Creme [[Für 1 Wähe ]

Hefeteig

150 g

Roggenmehl

175 g

Dinkel-Vollkornmehl

½ Päckchen

1 Prise

1

200 ml

Trockenhefe Salz frische Kaki, geschält lauwarmes Wasser

Belag

6

Marroni mit der Schale

2

frische Kaki

150 g

Mascarpone

8 Stücke

getrocknete Kaki

Die beiden Mehlsorten mit Trockenhefe und Salz in einer Schüssel vermischen. Die Kaki zerdrücken und mit dem Wasser verrühren. Zu den trockenen Zutaten geben und alles zu einem gleichmässigen Teig verarbeiten. Abgedeckt an einem warmen Ort

auf das Doppelte aufgehen lassen. E  Für den Belag die Marroni an der Unterseite kreuzweise einschneiden und 7–8 Minuten in kochendes Wasser geben. Abgiessen und schälen, solange sie noch warm sind. Die geschälten Marroni in Scheiben schneiden und bereithalten. E  Den Backofen auf 180 Grad vorheizen. Eine runde Kuchenform fetten. E Sobald der Teig aufgegangen ist, noch einmal kurz und kräftig

durchkneten und die gefettete Form damit auslegen. In der Mitte des vorge­heizten Ofens

etwa 10 Minuten blind backen. E  Inzwischen die Kaki für den Belag schälen,

mit einer Gabel zerdrücken und unter den Mascarpone mischen. Den vor­gebackenen Teigboden etwas abkühlen lassen. Sobald er lauwarm ist, kann die Mascarponemasse darauf verteilt werden. Mit den Marronischeiben und den getrock­n eten Kaki belegen. Im Ofen weitere 15–20 Minuten backen. E Nach Belieben mit Schlagrahm servieren. 262  I cachi




Dinkel-Vollkornbrot mit getrockneten Kaki

4

Marroni mit der Schale

500 g

1 Päckchen

1 Prise

2

250 ml

50 g

getrocknete Kaki, grob gehackt

20 g

Baumnüsse, gehackt

Dinkel-Vollkornmehl Trockenhefe Salz frische Kaki, geschält lauwarmes Wasser

Die Marroni an der Unterseite kreuzweise einschneiden und 7–8 Minuten in kochendes Wasser geben. Abgiessen und schälen, solange sie noch warm sind. Die geschälten

Marroni zerkleinern und bereithalten. E  Das Mehl mit Trockenhefe und Salz vermischen. Die frischen Kaki pürieren und mit dem Wasser verrühren. Zu den trockenen Zutaten geben und zu einem gleichmässigen Teig verkneten. Dann Marroni, Baumnüsse und die getrockneten Kaki hinzufügen und in den Teig einarbeiten. Abgedeckt an einem warmen Ort gehen lassen, bis der Teig das doppelte Volumen hat. E Den Backofen

auf 200 Grad vorheizen.  E  Den aufgegangenen Teig nochmals kurz durchkneten und zu einem Brotlaib formen. E  Die Oberfläche einige Male einschneiden und

das Brot im vorgeheizten Ofen etwa 45 Minuten backen.

I cachi  265



Kakicreme [[Für 4 Personen ]

2

180 g

1 TL

frische Kaki Naturjoghurt gemahlener Zimt

¼

unbehandelte Zitrone, abgeriebene Schale

Rahm

200 ml

Die Kaki halbieren, das Fruchtfleisch aus der Schale in eine Schüssel kratzen und mit einer Gabel zerdrücken, bis eine cremige Masse entstanden ist. Joghurt, Zimt und

Zitronenschale hinzufügen und alles gut verrühren. E  Den Rahm steif schlagen und unter die Kaki-Joghurt-Masse heben. In den Kühlschrank stellen, bis die Masse

vollständig durchgekühlt ist.  E  Die gut gekühlte Kakicreme, nach Belieben mit etwas Zimt bestreut, mit Tessiner Panettone servieren.

I cachi  267





DIE AUTOREN

Pepe Regazzi (Initiant und Herausgeber) Am linken Ufer des Lago Maggiore, zwischen See und Berg, geboren und gross geworden. Hatte seit früher Kindheit und Jugend ein starkes Interesse an Sport und Natur, eine Leidenschaft, die ihn zum Schneesport führte, wo er im Bereich Ausbildung tätig war. Heute ist er Nationaltrainer von Swiss-Snowboard. Seine Wurzeln und seine tiefe Verbundenheit mit den Traditionen, der Folklore und den wunderbaren Orten des Tessins gaben ihm den Anstoss, dieses Projekt gemeinsam mit Juliette Chrétien ins Leben zu rufen.

E Juliette Chrétien (Fotografie) Ausbildung zur Fotografin, seit 2008 mit eigenem Studio in Zürich, für verschiedene Werbe­ agenturen und Redaktionen tätig, vor allem in den Bereichen Food, Interieur und Fashion. Ihre Liebe gilt den ursprünglichen, «urchigen» Seiten des Tessins, den bergigen, steinigen Tälern, den originellen, knorrigen Charakteren, dem fast unverständlichen Dialekt und natürlich dem köstlichen Essen. Diesen ungekünstelten Facetten, im Tessin nostrano genannt, wollte sie nachgehen, um das wahre Tessin zu zeigen, jene Seiten, die sich hinter der mediterran angehauchten Touristenfassade verstecken.

E Fabio Corfù (Text) In Mesocco geboren, hat er seine Kindheit zwischen den schneereichen Bergen, den Wiesen und Wäldern der oberen Mesolcina verbracht, gewürzt mit den Erzählungen der Vorfahren. Er arbeitet zurzeit als professioneller Nothelfer bei Tre Valli Soccorso in Biasca, ist aber ausgebildeter Wanderleiter und will in Zukunft vermehrt in dieser Richtung tätig werden. Für dieses Buchprojekt hat er sich auf die Spuren von Geschichten seiner Kindheit begeben, Geschichten seiner Heimat, die lange Zeit stumm geblieben waren, versteckt unter den Zwängen und Notwendigkeiten des modernen Lebens.

Die Autoren  271



VIELEN DANK

E

Unser grösster Dank gilt den Protagonisten dieses Buches. Ohne sie und ihre Mithilfe wäre dieses Projekt nie zustande gekommen. VALLE VERZASCA Eros Mella, Tiziana Bordoni, Regina Badasci ALPE CEDULLO Silvia und Maurizio Minoletti SALVAN Daniela Salvan GROTTO AMERICA Mitch Buvoli, Gianfranco Paganetti I PESCE DI LAGO Walter Branca PABLO IL CUOCO Pablo Ratti TIGUSTO Pierluigi Zanchi FAVINI FA.VINO Simone Favini LA MAZZA Guido Crivelli, Milko Valsangiacomo, Emilio Valsangiacomo LA NONNA LINA Ercolina Negretti I CACHI Giorgi Winter

E Ganz herzlich möchten wir uns bei allen bedanken, die uns tatkräftig mit ihrer Hilfe unterstützt haben, uns mit Ideen beschenkten, wenn wir keine mehr davon hatten, und uns mit ihrer Begeisterung motiviert haben. Inbesondere danken wir: Pin und Anna Regazzi, Claudia und Amélia Prazak, Isabelle und Manolo Piazza Franziska Mella, Bianca Nussbaum, Domenico, Dado und Augusto Buvoli Ricardo und Anna-Rosina Baggiolini, Chris Gottraux, Luciana Crivelli Laura und Albina Savioni, Martina und Raymond Geiser, Gazosa Coduri Mendrisio Nedy Sbardella, V-Zug SA, und allen Tieren der Alpe Cedullo

E Ihr seid grossartig!

Vielen Dank  273


ADRESSEN

GAZOSA CODURI

A L P E CE D U L L O

T IG U STO SA

Cochi SA

Bezirk Gambarogno Erreichbar zu Fuss von Indemini aus in ca. 45 Minuten durch den malerischen Wald oder von der Alpe di Neggia aus mit Panoramasicht über den Lago Maggiore.

Via Sassariente 5

Via Roncaglia 5 6883 Novazzano www.cochi.ch PANETTERI A M E L L A

Centro Sociale 6634 Brione (Verzasca)

www.tigusto.ch FA . V INO

Vini & Distillati Via della Posta 7

Prodotti da forno e pasticceria Pane e pasticceria BIO

6516 Cugnasco-Gerra

SA LVA N

Frutta e Verdura Via Cantonale 131

6862 Rancate www.favino.ch neu: www.fawino.ch

6573 Magadino G IO RG I WINT E R G ROT TO A ME R ICA

6652 Ponte Brolla www.grottoamerica.com P E SC H E RI A WA LT E R BRA NCA

Via Cantonale 6574 Vira Gambarogno

274  Adressen

Stiftung Meraggia 6954 Sala Capriasca www.meraggia.ch



REZEPTVERZEICHNIS

Nach italienischen Bezeichnungen B

I Insalata dal alp Involtini di bresaola

38

Bocconcini di soia

171

Marmellata di arance e zucche

Boia

242

Mazzafam

Burger di pesce

131

Minestrone

C

146

261 60

Castagne glassate

249

Cazzöla

222

Cinghiale al forno

205 41

Nocino

88 245 78

108

O Oss da mord

84

P Pane ai cachi secchi

265

Coregoni al forno

194

Panna cotta

160

Crema al tofu

174

Paté di cavedano

135

Crema bóna

183

Persic al vin

106

Crema di cachi

267

Pess in carpion

127

Crostata del «Re dei cachi»

262

Polenta

100

Polenta e brasato

103

F

Purea di patate viola

Fette di tofu

177

Filetto di cervo

149

Filetto di pesce al cartoccio Fritto misto di lago Fügascia

Gnocc dal Mitch

276  Rezeptverzeichnis

R 153

123

Risotto e luganighe

199

129

Rostisciana

228

S Saltimbocca di trota

145

14

Sciroppo di sambuco

65

104

Spätzli di farina bóna

178

Stinco di maiale

225

G Gazosa

81

Risotto alle ortiche

30

Tiramisù al rabarbaro

86

Torta da üdrion

62

Torta da verdür

35

Torta di pane

N

Capretto in umido

Colombine di Pasqua

58

M

Biscott da pasta frola

Cachi secchi

T

246

Z Zuppetta di scalogno

157


Nach deutschen Bezeichnungen

I

R

Innereien vom Schwein, 228 gebraten

Rhabarber-Tiramisu Risotto mit Luganighe

B

K

Bresaola-Rouladen mit Pilzen auf roter Polenta mit Nelkenschaum

Kaki, getrocknet

261

Salat mit Alpkäse

Kakicreme

267

Saltimbocca von der Forelle auf Sojabohnenpüree mit Thymian

146

Brennnessel-BlaubeerRisotto mit Schafricotta und in Essig mariniertem 153 Fisch Brottorte

246

D Dinkel-Vollkornbrot mit getrockneten Kaki

265

E Eintopf mit Kabis

222

F Felchen, gebacken

194

Fisch-Burger

131

Fisch-Pâté

135

Focaccia, süsse

30

M

Gemüsekuchen

35

Gitzi, geschmort

60

183

Seeforellenfilet mit Pilzen und Lauch

124

Sojabällchen

171

Süsswasserfisch, in Essig mariniert

127

Süsswasserfische, frittiert

129

242 78

Mürbeteigbiskuits

38

Muskatnuss-Pannacotta mit Dinkel und Americana160 Trauben-Zabaione

T Tofu-Scheiben, gebraten 177

N 108 84

Tofu-Thunfisch-Creme

174

V Vollkornwähe mit Kaki-Mascarpone-Creme 262

O

P

41

W 62

Hirschfilet mit KastanienSpätzli auf mit Geisskäse sautiertem Mangold 149 und Nocino-Schaum Holunderblütensirup

123

Minestrone

H Heidelbeertarte

Seeforellenfilet in der Papierhülle gegart

Marronicreme mit Farina bóna

Ostertaube

Schalottensüppchen mit Kalbsleber-Crostino, 157 Feigen und Zichorie

249

Marroni, glasiert

Gnocchi in Salbeibutter 104

145

225

178

Nussgebäck

58

Schweinshaxe

Maismehl-Spätzli

Nusslikör

G

100

Kürbis-Orangen-Konfitüre 88

Milchpolentabrei nach Calanca-Art

199

S

Kartoffel-Polenta-Pfanne 245 Käse-Polenta

86

65

Pfirsich in Rotwein

106

Polenta

100

Polenta mit Rindsschmorbraten

103

Wildschweinbraten aus dem Ofen

205

Z Zitronenlimonade, Gazosa 14

Püree von violetten Kartoffeln mit Ratatouille 81

Rezeptverzeichnis  277




© 2012 AT Verlag, Aarau und München Herausgeber: Pepe Regazzi Fotografie: Juliette Chrétien, www.juliettechretien.ch Texte: Fabio Corfù Übersetzung aus dem Italienischen: Carla Gröppel-Wegener (Rezepte), Dario Cantoni (Begleittexte) Gestaltung und Layout: SPOT Werbung St. Moritz Druck und Bindearbeiten: Offizin Andersen Nexö, Leipzig Printed in Germany ISBN 978-3-03800-728-9 www.at-verlag.ch



Eine genussvolle kulinarische Reise durch die italienischsprachige Schweiz   E  Auf der Suche nach dem Ursprünglichen, Echten und Unverfälschten nehmen uns die Autoren mit auf eine Entdeckungsreise durch das Tessin und das angrenzende Misox. Sie spüren vergessene Geschichten auf, treffen Menschen, die mit Liebe und Leidenschaft ihre Salami, Formaggini oder ihren Merlot produzieren, kosten authentische Gerichte aus Grossmutters Zeiten und die Kreationen eines jungen Tessiner Spitzenkochs. Elf wundersame Kapitel erschliessen uns, von eindrücklichen Fotos begleitet, versteckte und unbekannte Seiten des Tessins. Vom Winter und vom Dinkel ist die Rede, vom Leben auf der entlegenen Alpe Cedullo, vom Sommer auf dem See und im schattigen Grotto, von der «Mazza» und von Nonna Lina. Mit 50 authentischen Rezepten, die nach «Nostrano» schmecken, nach dem Ursprünglichen, nach Sehnsucht und den guten alten Zeiten.


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