Ausgabe 6 – Spielzeit 2015/2016
STAATSBALLETT BERLIN
Intendant Nacho Duato
STAATSAFFÄREN
TA N Z N O T I Z E N
EINFÜHRUNGSVIDEOS VORFREUDE UND VORBEREITUNG Sich kurz vor der Vorstellung noch schnell über eine Produktion zu informieren, ist jetzt einfacher geworden: mit den neuen Einführungsvideos des Staatsballetts Berlin. Der Tanzwissenschafter, Kulturjournalist und Moderator Yannick Orto und die Schauspielerin und Pianistin Paulina Simkin präsentieren die wichtigsten Informationen zu Entstehung und Umsetzung. Eindrucksvolle Filmaufnahmen der Tanz-Szenen geben einen Vor geschmack. Online unter www.staatsballett-berlin.de/de/einfuehrungsvideos
PREMIERE IM MAI DER GLANZ DER JUWELEN
George Balanchine (1904 – 1983)
George Balanchine hat mit seinem Werk „Jewels“ den unverwechselbaren Glanz von Rubinen, Smaragden und Diamanten in Tanz umgesetzt. Beeindruckt von Schaufensterauslagen eines New Yorker Juweliers, hat Balanchine die drei Teile „Emeralds“, „Rubies“ und „Diamonds“ choreographiert. Der spanische Modeschöpfer Lorenzo Caprile hat für die Aufführungen des Staatsballetts Berlin neue Kostüme gestaltet – eine weitere Kundin ist die spanische Königin Letizia. Das ebenfalls eigens für Berlin entworfene Bühnenbild stammt von Pepe Leal. Premiere ist in der Deutschen Oper Berlin am 21. Mai 2016, ab der Spielzeit 2016/2017 wird „Jewels“ dann in der Staatsoper im Schiller Theater gespielt.
KINOFILM MR. GAGA Acht Jahre lang hat der Filmemacher Tomer Heymann den weltberühmten und vielfach prämierten Tänzer und Choreographen Ohad Naharin mit der Kamera bei seiner Arbeit begleitet. Das Ergebnis ist der Dokumentarfilm „MR. GAGA“. Naharins kreatives Schaffen steht unter dem Einfluss seiner Kindheit in einem israelischen Kibbuz. Auch das Staatsballett Berlin tanzt Gaga und führt Ohad Naharins Werk „Secus“ auf. Große und kleine menschliche Gefühle, die er dort erlebte, bilden die Grundlage seiner heutigen Arbeit und der von ihm entwickelten Bewegungssprache „Gaga“. Bedeutungsschwere Worte wie „powerful“, „free“, „soft“, „rough“ oder „love“ werden durch die Bewegungen ausgedrückt. Und auch das Staatsballett spricht „Gaga“, denn in dem Dreiteiler „Duato I Kylián I Naharin“ ist das Werk „Secus“ von Ohad Naharin zu erleben. Auf mehreren internationalen Festivals wird der Film in den kommenden Monaten gezeigt und ist ab dem 12. Mai 2016 auch in den Berliner Kinos zu sehen. Mehr Informationen unter www.mrgaga-film.de
BALLETTBOTSCHAFTER AUS LIEBE ZUM BALLETT
SPIELZEIT 2016/2017 FRISCH, AUFREGEND, VIELSEITIG
Das Staatsballett Berlin sucht BaBos – junge BallettBotschafter. Ballettbegeisterte Menschen zwischen 17 und 27 Jahren sind aufgefordert, während der Aufführungspausen an einem der Infostände Fragen des Publikums zu beantworten, bei Sonderaktionen und Veranstaltungen zu helfen oder Informationsmaterial zu verteilen. So bekommen die BaBos spannende Einblicke in die Arbeit des Ensembles und Teams des Staatsballetts. Weitere Informationen und das Bewerbungsformular unter www.staatsballett-berlin.de/babos
NEUE BALLETTSCHULE ENDE UND ANFANG DES TANZENS
Junge Talente in David Simics „Dornröschens Traum“.
David Simic tanzt seit 2004 im Corps de ballet des Staatsballetts Berlin und beschließt am Ende der Saison 2015/2016 seine Laufbahn als aktiver Tänzer. Als Gründer der Ballettschule am Staatsballett unterrichtet er dann junge Talente zwischen 6 und 18 Jahren. Die Ballettschule für Laien unterhält eine enge Kooperation mit dem Staatsballett Berlin, die Kinder und Jugendlichen besuchen Trainings und Proben der professionellen Tänzer und sammeln auf diese Art wertvolle Eindrücke. Für seine Schüler kreiert David Simic außerdem eigene klassische wie moderne Choreographien: So wird neben „Dornröschens Traum“ die Neuproduktion „Coppélia“ Premiere feiern. Mehr Informationen unter www.ballettschule-am-staatsballett.de
Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru brillieren in „Jewels“. Die Premiere von George Balanchines Werk ist am 21. Mai 2016. Lesen Sie dazu den Probenbericht auf den Seiten 10 und 11.
Drei Premieren, ein Gastspiel und das neue Format „DANCE\\\RUPTION“ – das sind die Höhepunkte der kommenden Spielzeit. Am 07. Oktober 2016 öffnet sich der Vorhang für die Premiere von „Der Nussknacker“ von Nacho Duato, ab dem 22. Januar 2017 werden „Daphnis et Chloé“ von Benjamin Millepied sowie „Altro Canto“ von Jean-Christophe Maillot im Rahmen des Abends „Maillot | Millepied“ zu sehen sein und dann ab dem 21. April 2017 „The Art of Not Looking Back“ von Hofesh Shechter zusammen mit einer Kreation von Nacho Duato. Als Gastspiel des Balletts am Rhein Düsseldorf Duisburg wird am 11., 12. und 15. April 2017 das Werk „7“ von Martin Schläpfer präsentiert. Und mit „DANCE\\\RUPTION“ werden junge Choreographen-Talente gefördert, denn Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie choreographieren eigene Arbeiten mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Die Vorstellungen finden in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin am 04. und 05. März 2017 statt. Die Vorschau liegt in allen drei Opernhäusern aus und ist ebenso online unter www.staatsballett-berlin.de abrufbar. Der Vorverkauf hat bereits begonnen. Titelfoto: Yan Revazov (Olaf Kollmannsperger in Nacho Duatos „Castrati“), Fotos: Tanaquil LeClercq (Balanchine), Yan Revazov (Dornröschens Traum, Gaga), Carmelo Naranjo García (Jewels)
02 I 03
Seit wann tanzt Ihr am Staatsballett Berlin? Charlotte Butler: Ich bin Engländerin und 1970 nach Deutschland gekommen. In Freiburg hatte ich mein erstes Engagement. Damals konnte ich noch kein Wort Deutsch. 1973 wechselte ich zu Pina Bausch, 1974 an die Deutsche Oper Berlin. Dort und dann beim Staatsballett Berlin habe ich alle Stationen vom Corps de ballet zur Solotänzerin bis zur Ballettmeisterin und schließlich zur Produktionsleiterin durchgemacht. 1991 habe ich zum letzten Mal auf Spitze getanzt. Jetzt mache ich gelegentlich noch Mutter- und Ammenrollen. Im Herbst gehe ich mit 65 Jahren in Rente und freue mich darauf, etwas anderes in meinem Leben zu machen. Dafür hatte ich bislang nicht viel Zeit. Beatrice Knop: Ich bin 1972 in Berlin geboren und dort von 1983 bis 1991 auf die Ballettschule gegangen. Direkt nach dem Mauerfall kam ich an das Ballett der Staatsoper Unter den Linden. Bis auf ein Jahr, in dem ich in Essen war, bin ich dort auch geblieben und bin nach und nach zur Ersten Solotänzerin gewachsen. 2004 wurden die Compagnien der Berliner Opernhäuser zum Staatsballett Berlin zusammengelegt. Kommende Spielzeit werde ich Charlottes Position übernehmen und zusätzlich im Saal als Coach tätig sein. Lisa Breuker: Ich bin 1991 geboren, genau in dem Jahr, als Bea an die Staatsoper gekommen ist – witzig! Mit zwölf Jahren bin ich dann nach Berlin gekommen. 2010 hat mich Nacho Duatos Vorgänger Vladimir Malakhov bei einem Wettbewerb in Istanbul entdeckt, wo ich die Gold-Medaille gewonnen habe, und im Jahr darauf hat er mich ans Staatsballett Berlin geholt. Ich bin also noch am Anfang meiner Tänzerkarriere. Charlotte und Beatrice, Ihr seid nicht mehr als klassische Ballerinen aktiv. Wie schwer fällt es nach so langer Zeit auf der Bühne, mit dem Tanzen aufzuhören? Charlotte: Für mich war der Übergang fließend. Ich habe zuerst den ganzen Tag getanzt und abends vor dem Fernseher Probenpläne geschrieben, dann allmählich immer weniger getanzt. Eigentlich hatte ich nie Zeit, darüber nachzudenken. Beatrice: Früher habe ich die Hauptrollen in fast allen klassischen Balletten getanzt. Nun habe ich mich entschieden, diese großen Rollen nicht mehr zu tanzen, weil ich das Gefühl hatte, sie vielleicht nicht mehr so tanzen zu können wie früher. „Schwanensee“ wird nicht einfacher, nur weil man es hundertmal getanzt hat. Ich bin eigentlich froh, dass mir mein Körper gesagt hat, dass er jetzt genug hat. Es ist für mich nun irgendwie auch eine Erleichterung, ihn nicht mehr zu solchen Höchstleistungen forcieren zu müssen.
Charlotte: Viele Tänzer stehen mit Mitte dreißig da und wissen nicht, was sie machen sollen. Zuvor hat man immer einen strikten Plan bekommen, wo man wann zu sein hat. Früher hat sich niemand auf das Leben danach vorbereitet. Dass wir von der Compagnie übernommen wurden, macht es schon wesentlich leichter. Kam für Euch je ein zweiter Berufsweg in Frage? Charlotte: Das war eher Schicksal, kein Karrierezug. Irgendwann fragte mich jemand, ob ich diesen Probenplan schreiben oder jene Probe leiten könnte. Ich wusste damals noch gar nicht, wie das geht. Beatrice: Ich dachte, dass ich nach meiner Bühnenkarriere vielleicht etwas ganz anderes mache, zum Beispiel in die Organisation eines Unternehmens einsteige. Wenn ich nun als Produktionsleiterin beim Staatsballett die Seiten wechsle, habe ich genau den organisatorischen Part, den ich mir gewünscht habe. Lisa, was möchtest Du nach dem Tanzen machen? Lisa: Ab und zu habe ich schon darüber nachgedacht, aber noch nicht sehr konkret. Von Bekannten und den Eltern kommen durchaus die Hinweise, dass ich einen Alternativplan haben sollte. Maskenbildnerin zu werden oder eine Arbeit bei „Tanz ist KLASSE!“ würden mir, glaube ich, auch Spaß machen. Ich will mich jedoch erst einmal zu 100 Prozent auf das Tanzen konzentrieren. Beatrice und Charlotte, habt Ihr einen Tipp für Lisa? Charlotte: Sie muss natürlich schauen, dass sie in der Compagnie, in der sie tanzt, gefördert wird und dass ihr Typ passt. Welche Ballettcompagnie das sein wird, weiß man aber vorher nie. Beatrice: Für Dich fände ich es wichtig, dass Du Dich zunächst nicht an einen Ort bindest. Es ist außerdem wichtig, dass man zum Beispiel durch erste kleine Rollen das Beste für sich selbst als Tänzerin herausholen kann, um sich nach und nach weiterzuentwickeln. Was hättet Ihr in Eurer Laufbahn anders gemacht? Beatrice: Ich würde alles wieder so machen, denn für mich haben sich die meisten Träume als Tänzerin erfüllt. Charlotte: Ich würde nichts anders machen. Alles waren tolle Erfahrungen. Lisa, was wäre Deine Traumrolle? Lisa: Ich würde gerne mal die Olga oder die Tatjana in „Onegin“ von John Cranko tanzen. Das Werk liebe ich. Wie reagieren Fremde, wenn Ihr Euren Beruf nennt? Beatrice: Viele Leute denken bei „Tänzerin“, dass wir auf irgendwelchen Tischen herumtanzen. (lacht) Charlotte: Oder fragen, was man tagsüber macht. Beatrice: In Deutschland ist das Berufsbild der Balletttänzerin nicht etabliert, und die Leute brauchen ein wenig Zeit, um zu verstehen, was wir wirklich leisten. Lisa: Bei mir reagiert das Umfeld sehr positiv und beeindruckt, wenn ich von meinem Beruf erzähle. Schwangerschaft und Tanzen. Ist das ein Problem? Beatrice: Man muss entscheiden, wann man das möchte. Entweder man bekommt früh Kinder oder tanzt in den guten Jahren alles und wird später Mutter. Charlotte: Ich habe eine Tochter. Die ganzen Umbesetzungen in Folge meiner Schwangerschaft waren für unsere Compagnie schon schlimm. Ich habe nach zwei Monaten wieder angefangen, meine Rollen zu tanzen. Das war nicht leicht, für mich war aber die Geburt meiner Tochter das Beste in meinem Leben überhaupt.
Foto: Kim Keibel
DREI MAL SPITZE
BALLERINEN IM GESPRÄCH
Stationen im Leben einer Tänzerin: Charlotte Butler (64) ist Produktionsleiterin und geht im Oktober in den Ruhestand, Beatrice Knop (43) übernimmt. Lisa Breuker (24) steht noch am Anfang ihrer Karriere
Für das Shooting mit Charlotte Butler, Beatrice Knop und Lisa Breuker (v.l.n.r.) wurde die U-Bahn-Station „Deutsche Oper“ kurzerhand umbenannt.
04 I 05
Geschmeidig: Der spanische Modeschöpfer Lorenzo Caprile hat für das Ballett „Jewels“ von George Balanchine neue Kostüme entworfen. Auf der linken Seite eine Figurine aus dem ersten Teil „Emeralds“, rechts zwei Figurinen aus dem dritten Teil „Diamonds“.
Statt in Body, Strumpfhose und Rock − dem üblichen Trainingsdress an der Staatlichen Ballettschule Berlin −, erscheint Polina Semionova zum Unterricht in einem Cardigan mit Leopardenmuster und einer grauen Stretchjeans. Schnell zeigt sich, dass sie sich in dem Outfit beim Vormachen bestimmter Übungen völlig frei bewegen kann. Semionova ist schließlich Vollprofi: Schon mit 17 Jahren tanzte sie als Erste Solotänzerin am Ballett der Staatsoper – und kommt oft für einzelne Vorstellungen ans Staatsballett zurück, wenn sie nicht gerade in New York oder St. Petersburg auftritt. Seit 2013 macht sie bei ihren Berlin-Besuchen auch Halt an der Ballettschule, wo sie als Honorarprofessorin dem Nachwuchs zeigt, was es braucht, um eine der besten Ballerinen der Welt zu werden. Die zehn Schülerinnen der zwei Abschlussklassen wissen um die prominente Gastlehrerin. Sie stehen alle schon an der Ballettstange im großen Probensaal, als das Training pünktlich um 11.50 Uhr beginnt. Semionova sagt die erste Kombination an. Viele weitere folgen, die zuerst dem Aufwärmen und dann dem Perfektionieren der Technik dienen. Semionova, die auf Deutsch mit einem leichten russischen Akzent unterrichtet, begutachtet die Leistung jeder Schülerin. Sie bringt die Arme einer Tänzerin in die korrekte, wie ein Halbmond gebogene Position. Eine andere weist sie auf ihre Fußhaltung hin. Langsam beginnen die Gesichter der Schülerinnen zu glänzen. Eine Position mehrere Sekunden auf Spitze zu halten, verlangt viel Kraft. „Ihr müsst die Beine strecken“, rät die erfahrene Ballerina, die selbst an der Bolschoi-Ballettschule in Moskau ausgebildet wurde. In den Momenten, in denen der Pianist verstummt und Semionova die nächste Übung erklärt, wischen sich einige der Schülerinnen mit einem Handtuch über das Gesicht. Der Schwierigkeitsgrad nimmt im Verlauf der 90 Unterrichtsminuten zu. Keine Minute wird verschwendet. Semionova ist nicht die Einzige, die das Können der etwa 18-jährigen Mädchen beurteilt. Auch zwei Ballettlehrerinnen der Schule sind anwesend. Auf der Tribüne gegenüber sitzen einige Mitschülerinnen, die vor allem wegen der Starballerina gekommen sind und diese nun von nah bestaunen. Sie können sehen, wie muskulös die Solotänzerin trotz aller Grazie ist. Gleichwohl verleiht ihr die zarte Erscheinung eine enorme Präsenz. „Ihr seid schon in der letzten Klasse“, spornt Semionova den Ehrgeiz der Mädchen an.
Weiter geht es mit den Gruppen-Folgen. In zwei Fünfergruppen bewegen sich die Schülerinnen durch den Raum. „Die erste Kombination ist schwierig, aber gut für die Muskeln“, sagt Semionova. „Nur darf man euch die Anstrengung nicht im Gesicht anmerken. Da muss alles immer ganz leicht aussehen.“ Nach einer weiteren Dreiviertelstunde ist das Training vorbei. Die 18-jährige Alicia wurde während der ersten Haltungsübungen von Semionova verbessert. Jetzt nimmt sie erleichtert einen Schluck Wasser: „Mir macht das nichts. Im Gegenteil. Ich freue mich über jeden Hinweis. Polina ist mein Vorbild, und mit jemandem wie ihr zu üben, ist eine tolle Chance.“ Heike Keller, eine der beiden Ballettlehrerinnen, hat bemerkt, wie sehr ihre Schülerinnen die Gastdozentin bewundern: „Einem Star so hautnah zu begegnen und dann noch von ihm korrigiert zu werden, das ist schon eine Seltenheit.“
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Nach dem Training geht es mit der Unterrichtsstunde „Repertoire“ weiter. Dabei proben die jungen Tänzerinnen Variationen, die sie während der Zwischenprüfung zeigen werden. Die Spitzenschuhe und Stulpen sind angezogen, die Sohlen mit ein paar Tropfen aus der Wasserflasche befeuchtet, damit sie weniger rutschen. Auch Beatrice Knop stößt kurzfristig zum Hospitieren dazu. Die ehemalige Erste Solotänzerin des Staatsballetts Berlin hatte am 24. Februar in „Schwanensee“ ihre letzte Vorstellung. Jetzt begutachtet sie die Abschlussklasse. Los geht es mit der Variation der „Diana“. Drei Durchgänge und ein paar Korrekturen von Semionova später sieht das Ganze auch für Knop wesentlich flüssiger aus. Die nächste Tänzerin tanzt eine Partie aus „Don Quixote“. Es dauert nicht lange, bis Semionova ihre Variante der „Kitri“ zeigt. „Mehr Karacho“, fordert sie von der Schülerin. „Es muss Spanisch aussehen, nicht so schüchtern. Mehr wie Chili.“ Am Ende ist sie aber zufrieden: „Schau mal, wie schön dein Lächeln jetzt ist.“ Die letzte Variation stammt aus „Cinderella“ und enthält sehr viele Pirouetten. Die Ballettschülerin meistert sie fast alle. Wobei sogar Semionova zugibt: „Ich habe auch immer noch meine Schwierigkeiten mit vielen Drehungen.“ Kaum zu glauben bei jemandem, der in „Schwanensee“ 32 Fouettés am Stück vollführt. Nach dem Unterricht werden die Anstrengungen der letzten zweieinhalb Stunden mit Kosmetiktüchern abgewischt und das Tutu gegen die Trainingshose getauscht. Semionova ist stolz auf ihre Schülerinnen und von deren Begabung überzeugt: „Ich finde es toll, dass sie so viele unterschiedliche Stile lernen. Gerade der zeitgenössische Tanz wird in Europa wichtiger – und darin haben sie viel Talent.“ Dass Choreographien oft wiederholt werden müssen, bis sie perfekt sitzen, sei ganz normal: „Das war bei mir auch nicht anders.“ Und wie sieht sie sich heute in ihrer Rolle als Lehrerin? „Man merkt schon, dass die Schülerinnen mich ein bisschen bewundern und mir viele Fragen stellen. Aber das ist gut. Ich habe früher auch viel von meinem Vorbild Natalia Makarova gelernt und verstehe ihre Anliegen.“ Dann verabschiedet sich Semionova auch schon wieder: Sie muss zum Staatsballett nach Charlottenburg, um selbst für „Dornröschen“ zu proben.
Fotos: Holger Talinski (Ballettschule); Getty Images/s-cphoto
PROFESSOR POLINA
V O R O R T IN D E R S TA AT LI C H E N B A L L E T T S C H U L E B E R LIN
Ballerina Polina Semionova unterrichtet auch die Abschlussklassen der Staatlichen Ballettschule Berlin. Für den Nachwuchs sind das ganz besondere Momente
en bung die Ü ie n n e d w – en Auch erig sind rf man d n. e i a schw engung d ht anseh c Anstr rinnen ni Tänze
08 I 09
Es beginnt mit einem Pas de trois: Zwei Tänzerinnen und ein Tänzer bewegen sich mit ineinander verschränkten Armen durch den Probenraum. Es ist das Herzstück von „Emeralds“ – der erste Teil des 1967 von George Balanchine choreographierten neoklassischen Werkes „Jewels“ – und als solches mit der meisten Arbeit verbunden. Die ersten Anzeichen von Anstrengung sind sichtbar, und sie sind erlaubt. Schließlich ist die Probe für „Emeralds“ nicht die erste an diesem Donnerstagmittag. Insgesamt zehn Tänzerinnen und zwei Tänzer des Staatsballetts Berlin sind daran beteiligt. Nach einigen wenigen Wiederholungen der Drei-Personen-Partie folgen schon die Pas de deux und einige Soli. Doch ganz gleich, in welcher Formation: Alle Bewegungen – von den Arabesques
Eine Tanzfigur wie ein Collier aus Edelsteinen: Julia Golitsina mit Alexander Shpak (l.o.), Dominic Whitbrook (r.o.), Ulian Topor (r.u.) und Wei Wang (l.u.) bei der Probe zu „Rubies“, dem zweiten Teil von „Jewels“.
Foto: Carmelo Naranjo García
BRILLANTE LEICHTIGKEIT
IM STUDIO MIT GEORGE BALANCHINE
In „Jewels“ werden Glanz und Erscheinung von Edelsteinen in Tanz übersetzt. Das Werk von George Balanchine ist die nächste Premiere des Staatsballetts Berlin
bis zu den Effacés und Croisés mit gestreckten Armen – wirken weich, fast lieblich, und sehr grazil. Und so verläuft auch die Probe am heutigen Tag: entspannt und fließend, was auch an Ballettmeister Ben Huys liegt, der seine Korrekturwünsche leise und freundlich äußert und auch selbst immer wieder einzelne Sprünge und Positionen vortanzt. Zu diesem Zweck trägt er neben der bis zur Wade hochgekrempelten Trainingshose und dem Sweatshirt Tanzschuhe. Aber nicht nur er ist zu hören, wenn das Klavier und damit die Komposi tionen von Gabriel Fauré verstummen. Man vernimmt auch ganz leise das schwere Atmen der Tänzerinnen und Tänzer. Bei den meisten von ihnen zeigen sich auf der Stirn schon kleine Schweißperlen. Keine Frage, „Emeralds“ sieht mit seinen eleganten Bewegungen von außen betrachtet geschmeidig und sublim aus. Aber gerade um diese Leichtigkeit darzustellen, sind enorm viel Kraft und Körperkontrolle gefragt. Während den aktiven Tänzern in der Probe viel abverlangt wird und permanent ihre Armhaltungen und Sprünge korrigiert werden, sehen andere von der Seite zu: Ein Tänzer macht dabei Bauchmuskelübungen, während eine Tänzerin gerade mit der Faszienrolle ihre Oberschenkelmuskulatur lockert. Nach und nach werden alle in die Probe integriert, und die Korrekturen werden weniger. Insbesondere bei den Sprüngen fällt auf, dass fast alle Tänzerinnen lange Ohrringe tragen, die bei jeder Bewegung sanft mitschwingen. Was auf den ersten Blick ungewöhnlich sein mag – schließlich sind die Haare streng zum Dutt gebunden –, passt zum Thema der Choreographie. Denn Balanchine wurde der Legende nach von den Schaufensterauslagen eines Juweliers in der New Yorker 5th Avenue zu „Jewels“ inspiriert – oder vielmehr von dem Glanz der Edelsteine und dem Arrangement der Schmuckstücke. So besteht das Werk neben „Emeralds“ aus den beiden Teilen „Rubies“ und „Diamonds“. Huys klassifiziert die drei verschiedenen Akte so: „Für mich fühlt sich ‚Emeralds‘ sehr französisch an, ‚Rubies‘ zu Strawinsky ist recht jazzy, sehr amerikanisch. Und ‚Diamonds‘ zu den Kompositionen Tschaikowskys ist hingegen ein russisches, mondänes Ballett.“ Huys selbst war einmal Tänzer des New York City Ballet und trat viele Jahre in den Choreographien von Balanchine als Solotänzer auf. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass ‚Jewels‘ kein einfaches Stück ist.“ Dementsprechend genau kann er den Tänzern zeigen, was Balanchine sich vorgestellt hat. „Ich glaube schon, dass es den Tänzern hilft zu wissen, dass ich selbst aktiv getanzt habe, was sie gerade probieren“, sagt er. Seit 1998 ist Huys wie auch seine Kolleginnen Patricia Neary und Sandra Jennings vom „George Balanchine Trust“ weltweit mit der Einstudierung von dessen Choreographien betraut, so auch beim Staatsballett Berlin. „Jewels“ feiert am 21. Mai 2016 seine Berlin-Premiere. Dann werden die Tänzerinnen und Tänzer nicht mehr T-Shirts, Leggings oder Röcke tragen wie noch in der Probe, sondern exklusiv von dem spanischen Designer Lorenzo Caprile entworfene, grün, weiß und rot schillernde und reichlich mit Kunstedelsteinen geschmückte Kostüme. Brillant!
10 I 11
TANZTERMINE IM DUNKEL DER NACHT DUATO | KYLIÁN Abschiede stehen im Zentrum von Nacho Duatos „Static Time“ – seine erste Kreation für das Staatsballett Berlin – und berühren auch „White Darkness“, jene Arbeit über die Auswirkungen von Drogen. Anstatt um Moral, geht es Duato um das Menschsein an sich. Dies beschäftigt auch Jirˇí Kylián: In „Click-Pause-Silence“ zerlegt er eine Komposition Bachs in ihre Bestandteile und spürt so den Bausteinen des Lebens nach. Staatsoper im Schiller Theater 04 23 06
TSCHAIKOWSKYS ZAUBER DORNRÖSCHEN Nacho Duato hat Tschaikowskys beliebten Klassiker neu entdeckt und konzentriert sich auf dessen Handlung. Das Resultat: bezaubernd frische Bilder in feinstem Dekor, die dieses Ballett in neuem Glanz erscheinen lassen, ohne auf die Brillanz und Grazie des klassischen Spitzentanzes zu verzichten. Entstanden ist eine Choreographie voller Lebenskraft. Deutsche Oper Berlin 21 29 06 03 05 09 07
Romantisch und modern, funkelnd und dunkel: Das Staatsballett Berlin zeigt Tanz in seiner ganzen Vielfalt
LIEBES LEID ROMEO UND JULIA Die bewegende Liebesgeschichte zieht jeden in ihren Bann. John Cranko hat sich der zeitlosen Geschichte von „Romeo und Julia“ angenommen und sich dabei nicht gescheut, zur Musik von Serge Prokofieff mit den Mitteln des klassischen Tanzes das volle Spektrum der Emotionen zu zeigen: vom ersten verliebten Blick der beiden jungen Liebenden über den blanken Hass ihrer verfeindeten Elternhäuser bis hin zum tragischen Liebestod. Deutsche Oper Berlin 13 16 05
FORM UND VOLLENDUNG VIELFÄLTIGKEIT. FORMEN VON STILLE UND LEERE Nacho Duato hat dem Komponisten Johann Sebastian Bach ein tänzerisches Denkmal gesetzt. Mit großem Respekt übersetzt er die Kompositionen Bachs in bewegte und bewegende Bilder. In einer unvergleichlichen Symbiose aus Tanz und Musik fließen Formen und Emotionen ineinander, Körper werden zur Partitur, Tänzer zu einem Orchester. Komische Oper Berlin 03 13 27 06
PREMIERE JEWELS Die Schaufenster eines New Yorker Juweliers inspirierten George Balanchine zu diesem Ballett. Den Glanz von Rubinen, Smaragden und Diamanten übersetzte er in eine brillante Tanzkomposition zur Musik von Gabriel Fauré, Igor Strawinsky und Peter I. Tschaikowsky. Understatement und Eleganz sind seine Markenzeichen, die hier zur Geltung kommen und die Virtuosität des Ensembles herausfordern. Deutsche Oper Berlin 21 26 29 05 10 19 06
TICKETS 030 20 60 92 630 tickets@staatsballett-berlin.de
IMPRESSUM IMPRESSUMHERAUSGEBER HERAUSGEBERStaatsballett StaatsballettBerlin, Berlin,Richard-Wagner-Straße Richard-Wagner-Straße10, 10,10585 10585Berlin Berlin| INTENDANT | INTENDANTNacho NachoDuato Duato| ARTDIRECTION | ARTDIRECTIONBernardo BernardoRivavelarde Rivavelarde| VERLAG | VERLAGTEMPUS TEMPUSCORPORATE CORPORATEGmbH GmbH– –Ein EinUnternehmen Unternehmendes desZEIT ZEITVerlags, Verlags, Askanischer AskanischerPlatz Platz3,3,10963 10963Berlin, Berlin,info@tempuscorporate.zeitverlag.de info@tempuscorporate.zeitverlag.deI IGeschäftsführung: Geschäftsführung:Ulrike UlrikeTeschke, Teschke,Jan JanHawerkamp HawerkampI IProjektleitung: Projektleitung:Andreas AndreasLorek LorekI ITextchef: Textchef:Roman RomanHeflik Heflik, I Autoren: Fenja Mens Viviana I Autoren: Freyer,Andreas Julia Stelzner Schäfer, I Lektorat: Viviana Freyer KatrinIWeiden I Layout: Lektorat: Mirko Viviana Merkel, Freyer Jessica I Layout: Sturm-Stammberger Mirko Merkel, Jessica | DRUCK Sturm-Stammberger Axel Springer Offsetdruckerei | DRUCK AxelAhrensburg Springer Offsetdruckerei | REDAKTIONSSCHLUSS Ahrensburg25.04.2016 | REDAKTIONSSCHLUSS | Änderungen und 01.02.2016 Irrtümer |vorbehalten. Änderungen und Irrtümer vorbehalten. Foto: Foto:Fernando FernandoMarcos Marcos(Federico (Patricia Spallitta Zhou in „Herrumbre“) in Jirˇí Kyliáns „Click-Pause-Silence“)