Staatsballett Berlin Magazin

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Ausgabe 2 – Spielzeit 2014/2015

STAATSBALLETT BERLIN

INTENDANT NACHO DUATO


TANZNOTIZEN Polinas Rückkehr Schon vor ihrem 18. Geburtstag im Jahr 2002 tanzte Polina Semionova als Erste Solotänzerin am Ballett der Staatsoper Unter den Linden. Zehn Jahre später zog es sie jedoch ans American Ballet Theatre nach New York – ein Weggang, den zahllose Ballettfreunde sehr bedauerten. Umso erfreulicher ist nun ihre Rückkehr nach Berlin. In der aktuellen Saison ist die Ballerina bis Ende April 2015 in insgesamt elf Vorstellungen zu sehen: Sie tanzt unter anderem die Titelpartie in „Giselle“ am 11. Dezember 2014 sowie die Solopartie in Nacho Duatos „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ mit Premiere am 14. März 2015. Alle Termine finden Sie auf der Website des Staatsballetts www.staatsballett-berlin.de. Dazu ein Doppelinterview mit Polina Semionova und Herbert Grönemeyer in diesem Magazin auf S. 4 und 5.

Tödliche Verführung Die Geschichte von „Giselle“ ist tragisch. Das Bauernmädchen stirbt aus Verzweiflung, als es erfährt, dass Albrecht, ihr Geliebter, schon einer anderen versprochen ist. Nach ihrem Tod wird Giselle eine der Wilis, Elfenwesen, die so lange mit Männern tanzen, bis diese tot umfallen. Auch Albrecht kommt eines Nachts in den Wald … Der französische Choreograph Patrice Bart entwickelte 2000 eine Fassung des Ballettklassikers, die sich an die Premieren-Choreographie von Jules Perrot und Jean Coralli aus dem Jahr 1841 anlehnt, aber zugleich frisch und zeitlos wirkt. Gemeinsam mit Nacho Duatos Compagnie bringt Patrice Bart nun „Giselle“ zurück auf die Bühne und in den Spielplan des Staatsballetts. Am 11. Dezember 2014 ist es soweit. In der Rolle der Giselle an diesem Tag: Polina Semionova.

Thesen zum Tanz Man kann Ballett natürlich praktisch lernen – so wie die Tänzer und Tänzerinnen des Staatsballetts. Und man kann es ganz theoretisch bzw. akademisch angehen, etwa an der von Dr. Christiane Theobald vom Staatsballett Berlin und Prof. Dr. Gabriele Brandstetter vom Institut für Theaterwissenschaft/Zentrum für Bewegungsforschung der Freien Universität Berlin ins Leben gerufenen „Ballett-Universität“: Am 20. Januar 2015 gibt es einen Vortrag zum Thema „Die Ökonomie des Ästhetischen in Mode und Tanz“, in dem Prof. Dr. Jörg Wiesel sich mit den Wechselwirkungen von Mode und Tanz beschäftigt. Alle Veranstaltungen der Ballett-Universität finden Sie unter www.staatsballett-berlin.de.

Märchenhafte Feiertage Keine Arbeit, kein Stress, aber dafür ganz viel Zeit und Muße für die schönen Dinge? Das Staatsballett Berlin zeigt auch zwischen Weihnachten und Neujahr fünf Vorstellungen. Dabei darf an den Nachmittagen nach Weihnachten „Der Nussknacker“ als klassisches Familien-Event natürlich nicht fehlen. Erleben Sie am 26. und 27. Dezember 2014 „Der Nussknacker“. Kurz vor Silvester verführt Sie dann in der Komischen Oper Berlin „Don Juan“. Und wer an Neujahr gut ausgeschlafen hat, darf sich am 01. Januar 2015 auf „Schwanensee“ freuen.

Spielerisches Verstehen

HELDEN IN STRUMPFHOSEN Worüber sich diese vier Tänzer so freuen? Wahrscheinlich über ihre Prinzenrollen am Staatsballett Berlin: Leonard Jakovina als „Don Juan“, Dinu Tamazlacaru als Albrecht in „Giselle“, Marian Walter als Prinz Coqueluche in „Der Nussknacker“, Mikhail Kaniskin als Prinz Siegfried in „Schwanensee“ (von l. n. r.) | Foto: Kim Keibel

Sicher – eine klassische Ballettvorführung mit prachtvollen Kostümen beeindruckt Kinder ganz genauso wie Erwachsene. Damit die Kleinen aber auch verstehen, worum es bei dem Stück geht und welche Rollen es gibt, lädt das Education-Programm des Staatsballetts „Tanz ist KLASSE!“ im Januar jeweils vor den Vorstellungen von „Schwanensee“ am 01. Januar 2015 um 14 Uhr und von „Giselle“ am 11. Januar 2015 um 16 Uhr zu zwei Familienworkshops ein (Teilnahmekosten: 3 Euro für Kinder, 5 Euro für Erwachsene), bei denen sogar kurze Tanzszenen einstudiert werden. Die Anmeldung erfolgt ganz einfach unter Telefon 030 34 384 166 oder per E-Mail an contact@tanz-ist-klasse.de. Mehr zu „Tanz ist KLASSE!“ finden Sie auch hier im Magazin in der Reportage „Die neue Tanzklasse“ auf S. 8.


HERBERT

Herbert Grönemeyer: Wir haben überlegt, wie wir das Lied darstellen können, ohne dass man mir schon wieder dabei zusieht, wie ich singe. Da sind wir auf die Idee verfallen: Lass es uns mit einer Ballerina versuchen. Als du zugesagt hast, war allen sofort klar: Du bist die einzig Richtige. Du hast dann selber die Choreographie gemacht, oder?

GRÖNEMEYER

Semionova: Nicht ganz. Ein Musical-Choreograph hat mir Ideen geliefert und die habe ich gemeinsam mit einer Kollegin in Ballettsprache übersetzt. Ich hatte keine Vorstellung, wie groß die ganze Sache werden würde! Es hat viel für meine Karriere bedeutet, denn Musikvideos erreichen ein ungleich größeres Publikum als Ballettvorstellungen.

SEMIONOVA

Semionova: Viele Tänzer machen Choreographien, die dann andere tanzen. Ich unterrichte lieber und teile mit den jungen Menschen, was ich für mich gefunden habe. Ich erzähle ihnen alles, ich ahne, welche Ängste sie haben, welche Scheu. Ähnlich erging es mir früher auch. Doch sobald man auf der Bühne steht, ist es vorbei damit – bei mir zumindest. Und bei dir? Grönemeyer: Ganz genauso. Wenn ich unter Adrenalin stehe, bin ich nur mehr auf das Konzert konzentriert und alle anderen Funktionen sind ausgeschaltet. Semionova: Man vergisst alles um sich, die Schmerzen, die Angst. Das ist wunderbar! Hält aber dann noch lange an, manchmal kann ich die ganze Nacht nicht schlafen, gehe in der Wohnung auf und ab, lese. Ich gehe selten aus, weil ich ja am nächsten Tag wieder fit sein muss.

Foto: Kim Keibel

Grönemeyer: Das Adrenalin kickt kurz vor dem Konzert und hält dann für Stunden an. Da kommt man nicht runter, das geht gar nicht. Diese Phase ist der Rock ’n’ Roll. Das Konzert war viele Jahre das Vorglühen; wir sind nie vor sieben ins Bett. Beim Ballett ist das natürlich anders, Tänzer müssen klar und fit sein. Musiker dürfen ruhig mal müde und ballaballa auf die Bühne. – Bist du eigentlich viel auf Tourneen? Semionova: Ja. Und dabei frage ich mich immer: Wo ist mein Platz? Meine Heimat ist Russland, seit zwölf Jahren bin ich in Deutschland, mein Mann und mein Zuhause sind hier in Berlin … Grönemeyer: Aber tragen wir unsere Kunst nicht wie einen Schatz bei uns, wie ein Geschenk? Natürlich vermisst man seine Freunde und seine Familie, wenn man

ADRENALIN

POLINA

GEGEN DIE ANGST

Grönemeyer: Du hast mir eine interessante Erfahrung verschafft: Wenn man das eigene Lied so dargestellt sieht, bekommt es eine ganz andere Schönheit und Poesie. Ich habe es mir angeschaut, als wäre es gar nicht von mir. Wenn ich Musik fürs Theater schreibe, ist das genauso. Kennst du das auch?

Polina Semionova tanzte 2003 in Herbert Grönemeyers Musikvideo „Demo (Letzter Tag)“. Der Sänger und die Ballerina haben jedoch viel mehr gemeinsam: etwa Nervosität vor dem Auftritt oder die Rastlosigkeit eines Künstlers auf Tournee

unterwegs ist, keine Frage. Aber dieses Geschenk erdet einen und ist im Grunde genommen eine Heimat.

Polina Semionova: Es ist lange her, Herbert, dass wir uns das letzte Mal in einem Theater getroffen haben. Das letzte Mal war, als ich für dein Video „Demo (Letzter Tag)" getanzt habe. Wie kamst du eigentlich darauf, eine Tänzerin im Video zu zeigen?

Semionova: Stimmt, genau so ist es, das hast du wunderbar ausgedrückt. Aber man kann es anderen schwer beschreiben und erklären. Es ist nur zu spüren, wenn man Künstlern begegnet; sie wirken oft zentriert, denn was sie glücklich macht, haben sie immer bei sich. Deshalb schaue ich so gern anderen Tänzern zu. Und bewundere, wenn sie was Neues zeigen; sie inspirieren mich. Da bin ich dann ein Fan. Grönemeyer: Also Fan bin ich von niemandem. Aber ich schaue bestimmten Schauspielern sehr gern zu. Wenn die auf die Bühne kommen, geht der Raum auf. Einfach so. In diesen Momenten bin ich ein ganz normaler Zuschauer, der sich des Lebens freut. Bei Konzerten ist das etwas anderes: Da gucke ich genau, ob der da oben auf der Bühne Spaß hat, auf seine Körpersprache – schmeißt der sich richtig rein oder liefert der nur ab? Semionova: Theater und Ballett sind ein bisschen anders, weil die Räume ja kleiner und intimer sind. Und letztendlich ist es auch gefährlicher. Grönemeyer: Stimmt, Musiker in den riesigen Hallen und Stadien agieren viel gesicherter. Ihr Tänzer agiert feinstofflicher, präziser und konzentrierter. Semionova: Willst du noch mal zurück zum Theater? Grönemeyer: Ich war kein großer Mime, würde ich sagen. Aber ich schreibe ja jetzt die Musik für den „Faust“ von Robert Wilson. Vielleicht laufe ich im Hintergrund mal über die Bühne vom Berliner Ensemble. Ganz langsam, ganz still – mal sehen. Sag mal, wie findest du eigentlich Berlin, Polina? Semionova: Auf mich wirkt die Stadt letztlich erholsam. Es gibt viel Grün, viele Kreative. Damit liegt Berlin genau in der Mitte zwischen Metropolen wie Moskau und New York, wo es nur ums Business geht. Grönemeyer: Sehe ich auch so. Hier geht es nicht ums Geld – ungewöhnlich für eine Hauptstadt. Außerdem ist Berlin nicht so hip, wie alle behaupten. Manche bemühen sich drum, aber die meisten interessiert es nicht. Berlin ist der absolute Gegenpol zu London, wo ich ja auch lebe. Ist auf jeden Fall nicht ungesund hier. Semionova: In Berlin ist auch künstlerisch sehr viel los. Trotzdem kenne ich, nicht nur hier, viele Leute, die noch nie im Ballett waren – und kaum waren sie einmal dort, sind sie total begeistert. Es dauert offenbar recht lange, bis sich die Menschen fürs Ballett zu interessieren beginnen. Es bietet ja viel mehr als bloß Tanz: Es ist eine Mischung aus Musik, Schauspiel, Körpersprache, Gesang und – ja – Sport. Grönemeyer: Man müsste erreichen, dass die Menschen die Schwellenangst überwinden und so entspannt ins Ballett gehen wie ins Konzert oder Kino. Viele sind nicht desinteressiert, sondern haben einen zu großen Respekt vor dem Ballett und denken, dass sie das nicht verstehen. Semionova: Vielleicht kann man die Schwellenangst wegbekommen, wenn ich das nächste Mal bei einem deiner Konzerte auftauche? Grönemeyer: Zwischendurch mal eine kleine Einlage, eine halbe Stunde? Na, Polina, wie wär’s?


Was Sie hier sehen, ist nicht irgendein abstraktes Gemälde. Dieser wilde Strich markiert genau jene Bewegungen, welche die Erste Solotänzerin Elena Pris als Myrtha in „Giselle“ vollführt. Myrtha ist die Königin der Wilis, jener Elfenwesen, die mit Männern so lange tanzen, bis diese vor Erschöpfung tot umfallen. Ihr Tanz ist deshalb genauso intensiv, fast schon gruselig und eiskalt. Phasen zum Luftholen gibt es keine. Die Solistinnen, welche die Partie der Myrtha tanzen, müssen ständig präsent sein. Aufgezeichnet und abstrahiert wurde die Szene vom Berliner Medienkünstler Rainer Kohlberger: www.kohlberger.net. Wie das aussah, erfahren Sie unter www.staatsballett-berlin.de/ballettvonoben.


Fotos: Annegret Gertz (3) und Yan Revazov (1) | Illustration: Claudio Madia

DIE NEUE

TANZKLASSE

Disziplin und Spaß am Ballett müssen sich nicht ausschließen. Das zeigt ein Probenbesuch bei „Hänsel & Gretel“, der neuen Kinderund Jugendproduktion von „Tanz ist KLASSE! – Kinder tanzen“ Auf dem Flur vor Studio 1 des Staatsballetts Berlin ist es so voll und laut wie selten am frühen Abend. Den Tänzerinnen und Tänzern ist die Aufregung vor der wichtigen Probe deutlich anzumerken. Stillstehen: Fehlanzeige! Klar – wer ist in ihrem Alter schon die Ruhe selbst? Sechs bis 18 Jahre alt sind die Mädchen und Jungen von „Tanz ist KLASSE! – Kinder tanzen“. Das Kinder- und Jugendballett des Education-Programms des Staatsballetts bietet ihnen die Gelegenheit, in ihrer Freizeit an eigens für sie kreierten Stücken mitzuwirken. Das Probenniveau ist jedoch genauso hoch wie beim Profiensemble, was auch am Profichoreographen liegen mag. Bereits zum zweiten Mal kreiert Giorgio Madia ein Stück für „Tanz ist KLASSE!“. Der Italiener war Solotänzer bei Maurice Béjart in Brüssel und Lausanne, später in San Francisco und Zürich. Ende der 1990er Jahre beendete Madia seine Tanzlaufbahn, seither arbeitet er als Choreograph und führt außerdem Regie bei Opern oder Musicals in Wien oder Krakau und demnächst an der Oper Leipzig. Nach „Karneval der Tiere“ Anfang 2014 bringt er diesen Winter mit den jungen Tänzerinnen und Tänzern das Grimm’sche Märchen „Hänsel und Gretel“ auf die Bühne. Ein Stück, das Madia bewusst gewählt hat, „weil Kinder dabei in Kinderrollen schlüpfen und keine Erwachsenen spielen“. Unterrichtssprache ist Deutsch, was Madia nahezu fließend spricht. Bis zur Premiere ist jedoch noch einiges zu tun. Heute findet zum ersten Mal eine Probe mit fast allen 60 Kindern statt. Einige von ihnen stecken bereits in den Kostümen, entworfen und angefertigt von Studierenden der Berliner Akademie Mode & Design (AMD). Sie verwendeten hauptsächlich Neopren, was die Kleider beim Tanzen abstehen lässt, fast wie ein Tutu. Dazu tragen die Mädchen die Haare zum Dutt gebunden wie die großen Primaballerinen. Das Bühnenbild stammt von Madias Bruder Claudio. „Hänsel & Gretel“ ist die erste Zusammenarbeit der Geschwister. Für seine Arbeit mit Kindern kommt Giorgio Madia der brüderliche Rat sehr gelegen. Denn der Lebenslauf des sieben Jahre Älteren listet Stationen als Straßenkünstler, Moderator einer Kindersendung, Kinderbuchautor und Gründer der Mailänder Zirkusschule „Piccola Scuola di Circo“ auf. Für „Hänsel & Gretel“ hat Claudio Madia zwei Wochen lang ein zugleich mobiles wie modulares Bühnenbild entwickelt: Er hat braunen Karton in mehreren Schichten übereinandergeklebt und dann die scharfen Kanten abgeschliffen, weil die Kinder sie ständig beim Spiel anfassen. Hier und da wird er ausbessern müssen. Beim hastigen Zurückziehen der Bäume und Häuser aus Pappe fällt den Kindern schon mal ein Teil der Kulisse um.

Im Großen und Ganzen ist das „Tanz ist KLASSE!“-Ensemble hochkonzentriert. Vor allem die Hauptdarsteller Mathis und Josephina, die täglich zum Proben kommen. Fehlzeiten in der Schule nehmen ihre Eltern und die vieler anderer in Kauf. Alexandra van Veldhoven, Koordinatorin von „Tanz ist KLASSE!“, erzählt: „Wir beantragen bei der Schulleitung eine Befreiung der Kinder vom Unterricht. Dafür müssen sie das Versäumte eigenständig nachholen.“ Aber zum Glück finden viele Proben am Nachmittag und in den Herbstferien statt. Gretel-Darstellerin Josephina hat sich vor vier Jahren bei „Tanz ist KLASSE!“ angemeldet. Dass sie sich ständig lange Choreographien merken muss, ist für sie kein Problem: „In der Schule müssen wir ja auch einen Menge lernen“, sagt die Elfjährige. Sie geht in dieselbe Klasse wie Mathis alias Hänsel. Die meisten Jungs in seinem Alter spielen lieber Fußball, aber das ist ihm egal: „Mit Tanz kann ich mich ausdrücken.“ Zeit für andere Hobbys bleibt kaum, denn alle „Tanz ist KLASSE!“-Kinder trainieren zusätzlich an Ballettschulen. Beim Staatsballett lernen sie jedoch komplette Stücke, die sie über Monate hinweg einstudieren und später vor Publikum präsentieren. Dass gerade die Kleinsten von ihnen nicht immer synchron tanzen, passiert. Macht aber nichts, weil bei aller Strenge der Spaß keineswegs zu kurz kommen soll. Selbst Giorgio Madia, Probenleiterin Ulrike Oberthanner und Projektkoordinatorin Rebecca Berger grinsen, wenn ein Tunnel aus hochgehaltenen Armen eher einem ringelnden Regenwurm gleicht. Nur selten springt Madia in die Menge hinein, um sie zu korrigieren. Mit Cargoshorts über der Tanzhose und Rollkragenpullover, alles in Schwarz, sieht er ein wenig aus wie Tom Cruise in „Mission Impossible“. Seine Mission ist es, 60 übermütige Kids im Zaum zu halten. „Die Aufmerksamkeitsspanne bei Kindern ist gering. Wer aber mit ganzem Herzen bei der Sache ist, wird mit größeren Rollen belohnt.“ Sein Ziel war von Anfang an, wirklich alle Nachwuchstänzer zu integrieren. „Tanz ist KLASSE!“ bringt Kindern jedoch nicht nur komplette Stücke bei. Das Education-Programm kooperiert mit zahlreichen Berliner Schulen und lädt Schulklassen ins Staatsballett Berlin ein, wo die vier festangestellten Tanzpädagogen den Schülerinnen und Schülern in Workshops kurze Szenen beibringen. Für die „Hänsel & Gretel“-Protagonisten Josephina und Mathis spielt die Schule erst nach der gemeinsamen Probe wieder eine Rolle, wenn sie ihn fragt: „Was müssen wir eigentlich noch für die Schule lernen?“


07.00 Uhr

MÄRCHEN, MYTHEN, HELDEN

„Um sieben klingelt bei uns der Wecker“, erzählt der Erste Solotänzer Marian Walter (33), seit zehn Jahren verheiratet mit der Ukrainerin Iana Salenko (31), ebenfalls Erste Solotänzerin am Staatsballett Berlin. Mit Sohn Marley (6) und den Möpsen Dina und Charly wohnen sie in Tegel. Während die rothaarige Ukrainerin Brötchen in den Ofen schiebt, geht ihr Mann mit den Hunden vor die Tür. „Um neun bringen wir Marley in den Kindergarten, dann fahren wir zum Staatsballett. Das Ballett-Training beginnt zwar erst um zehn. Aber so bleibt genug Zeit zum Umziehen, Aufwärmen – und manchmal auch für ein zweites Frühstück“, sagt Marian.

Keine Jahreszeit bietet all den märchenhaften Geschichten des Balletts mit ihren Prinzen, Elfen und Königinnen eine bessere Bühne als der Winter

10.00 Uhr Beim Training trennen sich zum ersten Mal ihre Wege: Marian übt mit den Männern, Iana ein Studio weiter bei den Frauen. „Manche Frauen trainieren aber lieber mit uns“, verrät Marian. „Unser Training ist kraftvoller, dafür wird mehr gelacht!“ Ins Schwitzen kommen jedoch beide Gruppen. Die Temperatur in den Proberäumen steigt nach vielen Pliés und Sprüngen merklich an.

11.00 Uhr Zeit zum Ausruhen bleibt nicht. Iana und Marian proben nach dem Training für „Ratmansky I Welch“. Er tanzt die Hauptrolle in der Choreographie „Namouna“ von Alexei Ratmansky, sie ist Solistin in der Choreographie „Clear“ von Stanton Welch. Spaß bei der Probe haben beide: Marian, in knappen Shorts, setzt zu früh zum Sprung an und prustet los. Nebenan wird Iana von zwei Tänzern so weit hochgehoben, dass sie kaum mehr herunterkommt. „Normalerweise proben wir täglich für mehrere Inszenierungen“, sagt Iana, die ab Februar 2015 die Prinzessin Aurora in „Dornröschen“ tanzen wird. „Dabei die einzelnen Choreographien im Kopf zu behalten ist nicht so leicht.“

12.30 Uhr „Ratmansky I Welch“ ist heute die letzte Probe für das Solistenpaar. Die Vorstellung ist für Marian und Iana eine Premiere – sie tanzen zum ersten Mal in dieser Produktion. Zuvor steht noch ein Abstecher in die Kostümabteilung an. Wenig später steckt Iana in einem rosa Tutu, welches sie als Aurora tragen wird. Vor ihr stehen zwei Gewandmeisterinnen und Kostümbildnerin Angelina Atlagic. Problem: Das Tutu ist auf Taillenhöhe zu locker. Marian marschiert als Prinz Desiré im blauen Samtjackett durch die Garderobe. „Ich bin immer schneller mit der Anprobe fertig“, erzählt der Tänzer, der seit fast 13 Jahren in Berlin auf der Bühne steht.

GISELLE

HÄNSEL & GRETEL

Albrecht umwirbt das Bauernmädchen Giselle, obwohl er einer anderen versprochen ist. Daraufhin verliert Giselle den Verstand und stirbt. Nach ihrem Tod wird sie eine der Wilis, betrogene Bräute, die nachts im Wald Männer zum Tanzen verführen, bis diese vor Erschöpfung sterben.

Zusammen mit seinem Bruder Claudio stiftet der Choreograph Giorgio Madia Kinder dazu an, ihren Spielraum selbst zu erschaffen. Der Elan der Kinder von „Tanz ist KLASSE! – Kinder tanzen“ ist so groß wie die Botschaft des Märchens: Nie aufgeben!

Wiederaufnahme am 11. und 12. Dezember 2014, weitere Termine im Januar und Februar 2015 in der Staatsoper im Schiller Theater

08. und 22. Dezember 2014 sowie 18. Januar 2015 in der Deutschen Oper Berlin

DER NUSSKNACKER

SCHWANENSEE

Vasily Medvedev und Yuri Burlaka haben eine Fassung von „Der Nussknacker“ entwickelt, die auf der Uraufführung von 1892 beruht. Der nostalgische Charme der Inszenierung verzaubert nicht nur Kinderherzen.

Die weißen Schwäne und ihre zerbrechliche Königin Odette, die den unglücklichen Prinzen betört, oder die festlichen Ballszenen, in denen ein ganzer Hofstaat der verführerischen Odile verfällt, all das gehört zum Mythos „Schwanensee“.

05., 10., 15., 26. und 27. Dezember 2014 in der Deutschen Oper Berlin

DON JUAN Edeldame, Klosterschwester oder das einfache Mädchen, sie alle verfallen Don Juan. Doch das Spiel bleibt nicht ohne teufische Züge. Giorgio Madia hat mit „Don Juan“ ein Theaterspektakel in großer Besetzung geschaffen. 02., 09. und 29. Dezember 2014, 08. Januar 2015 in der Komischen Oper Berlin

01., 02., 23. und 27. Januar 2015 in der Deutschen Oper Berlin

DORNRÖSCHEN Peter I. Tschaikowsky hat mit „Dornröschen“ sicherlich eines der schönsten Werke der Ballettgeschichte geschaffen. Nun erzählt Nacho Duato das Märchen neu: Seine choreographische Handschrift fesselt mit Humor und einem einzigartigen musikalischen Verständnis. Premiere am 13. Februar 2015 in der Deutschen Oper Berlin

13.30 Uhr Endlich essen! „Wir verbringen die Mittagspause immer bei uns in der Kantine“, sagt Iana. Vor ihr stehen eine Nussschnecke und ein Cappuccino. Marian hingegen mag es herzhaft und bestellt Spiegelei, Blumenkohl und Kartoffelpüree. „Unser Sohn hat schon im Kindergarten gegessen. So sparen wir uns das Kochen zu Hause.“ Am Nachmittag haben Iana und Marian ihre Ruhezeit, da sie heute Abend auf der Bühne stehen werden. Auch die Arbeitszeit von Tänzern ist klar geregelt. Sie holen Marley ab, spielen mit ihm, gehen mit den Möpsen Gassi, ruhen sich aus und trinken Kaffee. Für den Nachmittag sind die beiden eine ganz normale Familie – so wie viele andere Paare beim Staatsballett.

24. Oktober 2014

EIN TAG MIT …

IANA SALENKO UND MARIAN WALTER

17.00 Uhr Drei Stunden vor der „Ratmansky I Welch“-Aufführung. „Zum Glück wohnt meine Familie in Berlin. So haben wir fast immer einen Babysitter für Marley“, sagt Marian auf dem Weg zur Tante. Eine Stunde später: Ankunft in der Staatsoper im Schiller Theater. Die nächsten 90 Minuten verbringen Iana und Marian mit Umziehen, Maske und Aufwärmen. „Vor Auftritten bin ich immer noch nervös“, gesteht Iana. Sie steht zuerst auf der Bühne. Marian tanzt etwas später. Um 22 Uhr schließt sich der Vorhang.

22.30 Uhr Nach der Vorstellung sind Iana und Marian noch mit Freunden bei einem Italiener in Tegel verabredet; Marley übernachtet bei seiner Tante. Das Paar hat zwar am nächsten Tag frei, spät wird es heute jedoch nicht. „Nach so langen Tagen mit Proben und Aufführung sind wir meist schon um Mitternacht total müde.“ Und genau dann gehen die beiden auch ins Bett.

Foto: Fernando Marcos. Es tanzt Nicola Del Freo.

TICKETSERVICE

Staatsballett Berlin, Kartenservice Bismarckstraße 110, 10625 Berlin

TELEFON 030 20 60 92 630 TELEFAX 030 20 35 44 83

E-MAIL tickets@staatsballett-berlin.de INTERNET www.staatsballett-berlin.de


Mit freundlicher Unterstützung von:

Polina Semionova tanzt „Giselle“ – wieder ab dem 11. Dezember 2014 in der Staatsoper im Schiller Theater

IMPRESSUM HERAUSGEBER Staatsballett Berlin, Richard-Wagner-Str. 10, 10585 Berlin | INTENDANT Nacho Duato | ARTDIRECTION Bernardo Rivavelarde | UMSETZUNG TEMPUS CORPORATE GmbH – Ein Unternehmen des ZEIT Verlags, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin, info@tempuscorporate.zeitverlag.de, Geschäftsführung: Ulrike Teschke, Manuel J. Hartung, Projektleitung: Silke Menzel, Redaktionsleitung: Julia Stelzner, Textchefin: Bettina Schneuer, Redaktion: Dr. Christian Ankowitsch, Lektorat: Claudia Kühne, Layout: Jessica Sturm-Stammberger | DRUCK Presse-Druck- und Verlags-GmbH, Curt-Frenzel-Straße 2, 86167 Augsburg | FOTOS Fernando Marcos (Cover, es tanzen: Federico Spallitta und Sarah Mestrovic), Yan Revazov (Backcover/Inhalt), Kim Keibel und Rainer Kohlberger | REDAKTIONSSCHLUSS 05. November 2014 | Änderungen vorbehalten.


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