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Geschält und gehäutet

Gallus Theater: Ensemble 9. november zeigt »monolog einer Zwiebel«

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Die »musiktheatralische Schälung der poetischen Zwiebel« verspricht das Ensemble 9. November den Besuchern seines jüngsten Stücks. Nicht aber etwa Peer Gynt, sondern Pablo Nerudas titelgebender, einem Gedicht entnommener »Monolog einer Zwiebel« steht im Mittelpunkt des wie stets dem Gesamtkunstwerk verpflichteten

Zugriffs unter der Regie des multitalentierten Frankfurter Kunsthoch- schulprofs, bildenden Künstlers, Bühnenbauers und Hegelianers Wilfried Fiebig. Die Kritiken der ersten, von uns leider nicht besuchten Serie, Mitte Mai, lassen von einem gelungenen Zusammenwirken der Neruda deklamierenden Schauspieler Richard Köhler und Katrin Schyns mit der Sopranistin Johanna Gräulich, dem Saxofonisten Stefan Weilmünster und dem am Piano spielenden Komponisten Theodor

Köhler vor dem Hintergrund einer Filmprojektion (Christine Fiebig, Richard Köhler) wissen, das man sich »am besten mehrfach zu Gemüte führen sollte«, wie Marcus Hladek sehr angetan in der Rundschau schreibt. Und nicht nur zu Gemüte. Laut FAZ wird es auch das drei Generationen von Frauen aus einer Familie mit Fragen über soziale Scham und deren Vererbung konfrontiert, eine intime Geschichte über Mütter und Töchter, die sich lieben und miteinander reden, auch wenn sie sich nicht immer ganz verstehen.

Am Frankfurter Schauspiel wird am 1. und 2. Juli Susan Kennedys Inszenierung »Angela (a strange loop)« zu erleben sein, die mit dem Multimedia-Künstler Markus Selg der gesellschaftlichen Verarbeitung von krisenhafter Zeit und Körperlichkeit nachgehen will, indem sie Spuren im Leben des Einzelnen offenlegt. Im Juli-Strandgut mehr zu den JuliTerminen. Karten besorgen sollte man sich aber schon jetzt. gt www.theaterderwelt.de olfaktorischer geben. Im Juni gibt es die »gelungene Schälung Schicht für Schicht« (Main-Echo) noch vier Mal.

Termine: 8.–11. Juni, jeweils 20 Uhr www.gallustheater.de gt

Die Suche des Ernst Weil

Spontan und konstruktiv: eine Ausstellung im museum Giersch

Es ist so bunt, so hypnotisch, so verwirbelt, so flächig, so humorvoll, so bitter. Abstrakt, figurativ, schön auch. Und doch – halb vergessen. Das Museum Giersch präsentiert mit Ernst Weil (1919–1981) jetzt einen Frankfurter Künstler und einen von denen, die sich im Strudel der unmittelbaren Nachkriegszeit behaupten mussten, denen die Aufgabe oblag zu definieren, wie Kunst jetzt noch aussehen sollte, könnte, müsste? Ja, wie? Und von wem?

Denn aus welcher Erfahrung als Künstler schöpft man, wenn die eigene Biografie sich quasi um das schrecklichste Ereignis des 20. Jahrhunderts legt, des zweiten Weltkriegs? Der in Frankfurt geborene Ernst Weil nahm am Frankreichund Russland-Feldzug teil und begann sein Kunststudium im ersten Nachkriegsjahr in München. Wie so viele seiner Generation kann auch er nicht die künstlerischen Schulen und Richtungen der Vorkriegsjahre einfach wieder aufnehmen oder fortsetzen. Ein Riss, ein Bruch geht durch diese Zeit, etwas muss jetzt neu entstehen. Wie er darauf antwortete? Es ist das Suchen, nicht das Finden, das ihn so plastisch und ausdrucksstark macht. In den Kabinetten des Museums begegnet man genau dem, dem Nicht-Festlegen auf eine gültige Konzeption und Ausdrucksform. Obwohl seine Handschrift dabei unverwechselbar heraus tritt.

Die weitestgehend chronologisch gebaute Ausstellung beginnt mit dem fast zauberisch bleistiftbunten, surrealen »Sensenmann« aus dem Jahr 1948, dessen Verspieltheit das grausame Thema konterkariert. Erste Ausstellungs-Erfolge stellen sich ein, auch eine davon im südfranzösischen Antibes, dem späteren Musée Picasso, und auch in der Münchner Galerie Stangl, einem identitätsstiftenden Sammelbecken für deutsche Nachkriegskunst. Bezüge zu künstlerischen Richtungen liegen offen, zum synthetischen Kubismus etwa, zur klassischen Moderne, und trotzdem schwebt etwas vom Dada-Atem über seinen Kompositionen, in denen man ironische Brechungen wahrnimmt. Stillleben und Landschaften interessieren ihn, und er setzt sie im kubistisch-tektonischen Stil um, mit flächigem Farbauftrag, pastösen Tupfen, kräftigen Farben, und es ist nicht nur Natur darin zu sehen, sondern es sind auch von Menschen geschaffene Landschaften wie Industrieanlagen und moderne Stadtansichten. Besonders in seinen späteren, großformatigeren Werken strahlen sie eine fast soghafte und irritierende Bewegung aus wie in »Schlucht« von 1972, aber durch die pastellbunten, durch Schwarz akzentuierten Flächen wirken sie freundlich und nicht dystopisch.

Eine neue Richtung und Tiefe bekommt seine Suche nach künstlerischen Ausdrucksformen in Paris. Von 1957 bis 1965 lebt er in Frankreich, doch kann er an die Erfolge, die er in Deutschland (auch als Werbegrafiker, davon später) feiern konnte, nicht anknüpfen. Ein neues Thema entwickelt sich vielleicht eher zufällig, als er in einer Trainingshalle für Boxer sein Atelier aufschlägt. Die Sportler porträtierte er in Filzstift auf Papier, als wirbelnde Striche, die sich zu einer Figur zusammenfügen, später als lodernde Farbflächen. Er malt mit Öl, Kreide, Bleistift, Tusche, Aquarell, auf

Papier, Karton und Leinwand. Fotoaufnahmen im Boxer-Atelier, die im Auftrag der Süddeutschen Zeitung für ein Künstlerporträt entstanden, zeigen ihn augenzwinkernd im Unterhemd, wie er mit dem Pinsel eine Leinwand attackiert.

Seine Arbeiten wären nicht zu verstehen, wenn man nicht auch seine Zeichnungen stets im Blick hätte, meint die Kuratorin Laura Domes. In der Tat hat er massenhaft gezeichnet, und wo in den Gemälden die Abstraktion – aber nie ohne wahrnehmbaren Gegenstand – vorherrscht, bewahrt die Zeichnung quasi als Kontrapunkt seine figürlichen Darstellungen. Er füllte wohl tausende von Skizzenblöcken, zeichnete unentwegt während seiner Reisen.

Insofern ergeben sich seine Buch- und Zeitungsillustrationen praktisch zwangsläufig, ein neues Metier, in dem er sich ab den 1950er Jahren ausprobiert. Eine Ikone, ein Symbol seiner Zeit schuf er mit den Werbetrickfilmen für die Firma Braun und der zart-plakativen Wandgestaltung für den Flagshipstore der Nähmaschinenkönigin Pfaff in München. Mit Trickfilm hat er später auch experimentiert, Collagen gefertigt.

Die einmal begonnene Suche, so scheint es, hat für ihn nie aufgehört. Und diese Suchbewegungen machen ihn uns wieder ganz nah.

Susanne Asal bis zum 23. August, Di., mi., Fr., Sa., So., 10–18 Uhr; Do., 10–20 Uhr www.mggu.de

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