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Landungsbrücken: »NIemand« Theater Willy Praml: »Ufer der Poesie«
© Christian Schuller
Wenn ein Wort das andere ergibt
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landungsbrücken bringen hannah Schassners »niemand. Eine paradiesische Groteske« auf die Bühne
Auf den Spuren von Becketts Clowns bringt die Frankfurter Theatermacherin Hannah Schassner eine weitere Seite ihres Talents zum Leuchten. Sie hat sich »Niemand. Eine paradiesische Groteske« nicht nur ausgedacht, sondern auch Wort für Wort verfasst und selbstverständlich inszeniert – unter Mithilfe von Anna Hasche (Bühne) und Marijke Wehrmann (Kostüme) sowie von Léa Zehaf und Julius Ohlemann als Darstellenden. Zwei Figuren mit Hüten in hautengen schwarzen Morphsuites mit ultraviolett angestrahlten Ranken im Scham- und Rippenbereich, die wir mal ganz unverwegen Adam und Eva nennen, finden sich auf einer noch dunklen zweigeteilten Bühne ein, um dort – am Anfang ist das Wort – in einen Dialog zu treten. Nicht ganz wie aus dem Nichts, denn wir sind nicht nur im Paradies, sondern doch auch im Zirkus, auf den der aufklingende GladiatorenMarsch und die RingmasterBegrüßung verweisen. Schön, dass Sie da sind! Dann aber treten Zehaf und Ohlemann aus der Finsternis in die Manege und in aufflammende Lichtkegel, die gleich wieder verschwinden. Während sie, Léa-Eva, auf der Genesisebene – »Es werde Licht« – mit der Technik (Ist es Gott? Ist es der Zirkusdirektor?) hadert, versucht er, Julius-Adam, in immer neuen Anläufen, bei denen ein Wort das andere ergibt, zur Sprache zu finden. Niemand habe ihm gesagt, warum er heute hier stehen – und reden – und von seinem Leben erzählen – und sein Innerstes nach außen kehren soll, ist fast alles, was er von sich zu sagen weiß. Keine Frage, dass der so Ausgelieferte in den Bann und in die Abhängigkeit seiner ihn dompteurhaft anweisenden Bühnenpartnerin gerät. Etwas später kehrt sich in einem Re:Start das Verhältnis der beiden zum ersten Mal, und dann noch ein zweites Mal um – und schreitet so, angereichert mit dem jeweils erworbenen Wissen, in einer Art dialektischem Dreischritt Stufe um Stufe weiter. Es liegt auf der Hand, dass die immer wieder angesprochene Titelfigur »Niemand« niemand anders als die Regisseurin sein kann. Sie allein ist es, die diese Figuren schuf, und die damit auch deren sich wie von selbst ergebende Geschichte in Gang gesetzt hat. Eine Geschichte, die uns erzählt, wie aus den unterschiedlichen Wissensständen Machtgefälle entstehen, die sich Szene um Szene verfestigen. Oder doch nicht? Hätte es anders verlaufen können zwischen ihr und ihm, Eva und Adam? Es ist faszinierend, wie der sich allein aus Worten, Sätzen und Bildern eruierende Sog spielerisch das Publikum mitzunehmen vermag – was nicht zuletzt auch Verdienst des tollen Spiels und der fast zur dritten Bühnenfigur werdenden Lichtregie ist. Ein mit leichter Hand dahingezaubertes Stündchen feinsinnigen, intelligenten Spaßes, das man sich einfach gönnen muss. Und nicht entgehen lassen sollte.
gt
Die Rückkehr nach Bacharach
Theater Willy Praml: Mit heinrich heine und Michael Quast an die »ufer der Poesie«
Nicht eben rühmlich gingen die Bewohner des Rheinstädtchens Bacharach in die deutsche Literatur ein. Das Bacharacher Judenpogrom von 1146 bildet den Hintergrund von Heinrich Heines großer (unvollendeter) Erzählung »Der Rabbi von Bacharach«. Die spektakuläre theatralische Umsetzung dieses Werks im öffentlichen Raum rund um die Großkreuzung Schumacher/Berliner am Börneplatz für das grandiose Heine-Fest des Willy Praml-Theater 2013 (»Heine wacht auf«) hat denn auch über den Wasserfluchtweg des sich nach Frankfurt rettenden Rabbi zurück bis nach Bacharach Wellen geschlagen und im Jahre 2015 zu einem ersten Kulturfestival »An den Ufern der Poesie« geführt. Mit Lesungen und Konzerten rund um das den örtlichen Bedingungen angepasste Bacharach-Stück des Praml-Ensembles auch in Nachbarstädten und an Orten auf der anderen Flussseite. Wie sehr verankert das Festival im kulturellen Geschehen des Oberen Mittelrheintals bereits ist, veranschaulicht gerade seine völlig selbstverständliche Wiederaufnahme nach der pandemiebedingten Vorjahrspause. Und wie der Salzburger »Jedermann« das Kernstück der jährlichen Salzburg-Festspiele, so ist es »Der Rabbi« selbstredend hier. Vier Aufführungen sind dafür geplant. Freilichterprobt aus Frankfurt ist auch das Eröffnungsstück: »Ich rede von der Cholera« handelt mit Heine’scher Raffinesse topaktuell die Pandemie in allen ihren grausamen, wie skurrilen Erscheinungsformen am Beispiel des Choleraausbruchs 1832 in Paris und Europa ab. Einen wichtigen Bestandteil der neuen Edition steuert das Jubiläum »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« bei. Am 7. Juli in Lorch und am 8. Juli in Oberwesel präsentiert Michael Quast in einer szenischen Lesung Anette von Droste-Hülshoffs Erzählung »Die Judenbuche«. Am 14. in Kaub und am 15. in Bacharach sind die Autorin Monika Held und der Musiker Gregor Praml mit »In Auschwitz gab es keine Vögel«. Spannende Diskussionen sind bei den Podiumsdiskussionen in Oberwesel und Bacharach zu erwarten.
Vom 1.–17 Juli im Welterbe Oberes Mittelrheintal www.theaterwillypraml.de
1., 2., 3. Juli: »heine.. ich rede von der cholera«, Mittelrheinhalle, Bacharach 19:30–20:45 Uhr 7. Juli: »Droste-hülshoff. Die Judenbuche« mit Michael Quast, hilchenhaus, lorch 19:30–21:15 Uhr 8. Juli: »Droste-hülshoff. Die Judenbuche« mit Michael Quast, Klostergarten, Oberwesel 19:30–21:15 Uhr 9., 10., 16., 17. Juli: »heine. Der Rabbi von Bacharach« Stationen eines Dramas, Bacharach, Beginn: Wernerkapelle 15:30–20:00 Uhr 14. Juli: «held/Praml. in Auschwitz gab es keine Vögel«, Kirchplatz, Kaub 19:30–21 Uhr 15. Juli: »held/Praml. in Auschwitz gab es keine Vögel«, Wernerkapelle, Bacharach 19:30–21 Uhr 17. Juli: Podium. Szene + Dialog, günderodehaus, Oberwesel 11–13 Uhr, 700 Jahre antisemitische Fake News