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»Wettermacher« von Stanislaw Mucha

im hohen Norden

»Wettermacher« von Stanislaw mucha

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Am Anfang stand eine Frage, die sich der polnischen Regisseurs Stanislaw Mucha und seine CoAutorin Dorothea Braun stellten: Wie lebt ein Meteorologe in einer Wetterstation in der russischen Arktis, weitab der Zivilisation? Doch diesen Meteorologe machte die Einsamkeit zu einem alkoholabhängigen Wrack. Er musste abgelöst werden. Als die Dreharbeiten begannen, lebten drei Menschen in der Station: der Leiter Wladimir und die verheirateten Meteorologen Sascha und Alexander. Nebenan wohnte Wassili in einem stillgelegten Leuchtturm.

So ist aus dem Porträt eines Solitärs ein Kammerspiel mit vier Personen und einem Hund geworden. Der Hund Jack sollte vor Eisbären warnen, die auf noch vorhadenen Eisschollen an Land getragen werden und mit ihrem Hunger den Menschen sehr gefährlich werden können. Jack ist am Ende des Films verschwunden. Mehrere Male reiste man nach Russland , um dort die jährlich wiederkehrenden Ereignisse zu dokumentieren. Kameramann Marcus Winterbauer hat die Stimmung der Jahreszeiten in beeindruckenden Bildern eingefangen, den vereisten Winter und den trostlos grauen Sommer. Und Regisseur Mucha hat die Berichte von Vorkommnissen in seiner Abwesenheit in den Film eingearbeitet. Alle vier Protagonisten belasten unglückliche Lebensgeschichten, von denen Mucha aus dem Off erzählt. Der Chef Wladimir ist nach Frauengeschichten und dem rätselhaften Todesfall einer schwangeren Mitarbeiterin auf die Wetterstation abgeschoben worden. Von ihm behauptet Mucha, dass er sich mit Wolken auskenne und nach ihrem Aussehen das kommende Wetter bestimmen könne. Wolken seien wie Frauen, wenn sie sich verziehen, könne es doch noch schön werden. Als Wladimir mit Sascha allein auf der Station geblieben ist, soll er sich ihr gewaltsam genähert haben. Danach verlässt er die Station, kehrt aber mit dem Versorgungsschiff wieder zurück. Mucha erzählt von einem Gespräch mit Wladimir und dessen Aussage, Sacha habe ihre Version und er seine. Auf die Frage, wie es weitergehen solle, sei seine Entgegnung gewesen: »Kann ein Urlaub zu dritt gut ausgehen?« Das ist alles, was wir über den Vorfall erfahren. Sascha hat das schockierende Ende ihrer ersten Ehe zu verkraften: Ihr hochverschuldeter Mann erhängte sich vor ihren Augen und denen des gemeinsamen Kindes. Danach hat sie Alexander, der eine Ausbildung in Sibirien überstanden hat, geheiratet. Nachbar Wassili war jahrelang Funker auf einem sowjetischen Atom-U-Boot. Nach einer Krebsdiagnose hat er seiner Familie den Rücken gekehrt und ist an die Stätte seiner Kindheit zurückgekommen. Hier hat er mit seinem Vater, dem Leuchtturmwärter, und seiner Mutter, auch sie eine Meteorologin, seine Kindheit verbracht. Hier soll sich der Kreis schließen. Die sehnlich erwarteten Männer vom Versorgungsschiff bringen Vorräte für ein Jahr, nehmen aber die leeren, in einer eindrucksvollen Reihe dahinrostenden Ölfässer nicht wieder mit. Sonst kommen nur ein paar Ninzen auf ihren Schlitten zu Besuch. Diese letzten Angehörigen eines indigenen, arktischen Nomadenvolkes sind mobile Metzger für die Meteorologen. Wir sehen sie zusammen mit Sascha ein geschlachtetes Tier ausnehmen. Der schon viele Jahre in Deutschland lebende Pole Stanislaw Mucha ist durch skurrilen Filme, wie etwa »Absolut Warhola« über die slowakischen Verwandten von Andy Warhol, bekannt geworden. Diesmal beschränkt sich seine Ironie auf den Titel des Films. Weder Wassili noch Sascha oder Alexander »machen das Wetter«, ja, es wird noch nicht einmal klar, ob ihre altertümlich anmutende Arbeitsweise tatsächlich für die Wettervorhersage von Nutzen ist. Aber gerade Muchas Ernsthaftigkeit macht seinen neuen Film empfehlenswert, auch wenn es um das Ansehen Russlands derzeit nicht gut bestellt ist.

Claus Wecker

WETTErMAcHEr von Stanislwa Much, D 2019, 92 Min. Dokumentarfilm / Start: 18.08.2022

Ein glänzend aufgelegter Javier Bardem und ein intelligentes Drehbuch haben dieser schwarzen Komödie zu vier Goyas, den wichtigsten spanischen Filmpreisen, und zu insgesamt zwanzig Nominierungen verholfen. Bardems famose Darstellung eines fürsorglichen Patriarchen in der vom Vorbildvater geerbten Fabrik für IndustrieWaagen entpuppt sich innerhalb einer Film-Woche als eine schaurig-schöne Heuchelei.

Wenn Julio Blanco mit seiner Jaguar-Limousine durch das Hoftor fährt, kontrolliert er die mechanische Waage, die dort jedermann anzeigt, worum es in dem Werk dahinter geht. Ein Vögelchen hat die beiden Waagschalen aus dem Gleichgewicht gebracht, was natürlich überhaupt nicht geht, moniert der Chef beim Wachmann. Die Waage symbolisiert doch die gesamte Firma, und die ist für die Zuverlässigkeit ihrer Produkte berühmt. Señor Blanco hat schließlich alle möglichen Preise gewonnen, sogar den Oscar der Industrie, den deutschen »schönen Ritter«. Nur der Preis für exzellente Geschäftsführung, dessen Verleihung die Regionalregierung schon ankündigt hat, fehlt ihm noch in seiner Sammlung. Ob es darum geht, Salva (Martin Páez, wunderbar unsympathisch), den missratenen Sohn seines Mitarbeiters Fortuna (Celso Bugallo) aus dem Untersuchungsgefängnis herauszuholen oder die kriselnde Ehe seines Produktionsleiters Miralles (Manolo Solo) zu retten, der in seiner Verzweiflung extrem kostspielige Fehler macht – Señor Blanco kümmert sich darum. Die feierliche Betriebsversammlung nimmt er zum Anlass, seine Mitarbeiter als Ersatz für seine nicht vorhandenen Kinder zu umschmeicheln. Wie in einer richtigen Familie liebe er einige etwas mehr und auch den einen oder anderen etwas weniger. Doch bei seiner herzerwärmenden Rede wird er von dem gerade gekündigten Mitarbeiter José (Óscar de la Fuente) mit lautstarkem Protest gestört. José schlägt tags darauf mit seinen Kindern ein Protest-Camp vor dem Fabriktor auf, ruft durch ein Megaphon kämpferische Parolen gegen Blanco und gefährdet so dessen ersehnte Prämierung. Aber Julio Blanco wäre nicht Julio Blanco, wenn er nicht auch für dieses Problem eine Lösung fände.

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