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Wer hat Angst vor Virginia Woolf im Theater Willy Praml
Amerika hat ausgeträumt
Theater Willy Praml zeigt Edward albees »Wer hat angst vor Virginia Woolf?«
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Lange schon, bevor der schwarze große Vorhang sich hebt, steht eine Clownsfigur auf der Bühne und schaut dem platznehmenden Publikum zu. Ziemlich zerrupft sieht sie aus in hellen Leggins mit Mickymäusen drauf und einem CollegePulli. Es ist George, Geschichtsprofessor und wenig später unwirscher Gastgeber für ein junges Paar, das seine Frau Martha nach einer UniFeier zum Absacker eingeladen hat. Im Laufe dieses langen, doch nur partiell lustigen Theaterabends in der Naxoshalle stößt Clown George immer wieder mit hochgereckter Nase wölfische Ohs in den Bühnenhimmel. Die Zahl der Inszenierungen von Edward Albees bereits 1962 am Broadway uraufgeführtem Kammerspiel »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« dürfte sich so ziemlich mit der Zahl seiner Interpretationen decken. Immer wieder wird Anderes in diesem Stück entdeckt und betont, wie nun auch beim Theater Willy Praml. Dort inszeniert es Michael Weber als apokalyptische Seelenrevue mit starker Unterstützung seiner Hauptakteurin, der gigantischen Fabrikhalle als Spielstätte. Die wird mit Hilfe von 3.000 akkurat aufgestellten roten Plastikbechern, die an Grablichter oder Opferkerzen denken lassen, und einer baldachinartigen Projektionsfläche mit ausdauerndem (filmischem) Glockenspiel als Kathedrale in Szene gesetzt. Bild und theologischer Impetus lassen den hier heiligen Geist des Theaternamensgebers spüren, auch wenn er das Ruder nun Weber überlassen hat und nicht auftaucht auf der Besetzungsliste. Wer nur den Film mit Richard Burton und Elisabeth Taylor kennt, wird sich wundern. Denn es geht hier nicht wirklich um die mörderische Eheschlacht eines stockbetrunkenen Paares, die Hollywood aufbereitete und den Autor entsetzt haben soll. Fern davon, die Psyche seiner Protagonisten zu erkunden, spitzt Weber ihre Rollen zu und stilisiert sie – Samuel Beckett lässt grüßen – durchgängig grotesk (Kostüme Paula Kern). Begleitet und oft übertönt wird das Spiel vom blechernen Schall des an der Grenze des Erträglichen intonierten Piepsstimmenlieds »Wer hat Angst vorm bösen Wolf?«aus einem Disney-Trickfilm mit den drei kleinen Schweinchen aus dem Jahr 1933, das Albee ins Intelektuelle titulierte. Freilich tobt auch in der Naxoshalle ein lebensfrustriertes Paar (George & Martha) vor nichtsahnenden Gästen (Nick & Putzi) seine in Jahrzehnten gereifte Hassliebe aus. Es präsentiert ihnen »Games«, wie Albees Titel des ersten Akts uns verrät, und bringt sich gegenseitig in Rage. An diesem Abend aber, »Walpurgisnacht« nennt Albee den zweiten Akt, wird der Einsatz erhöht, als Martha die gemeinsame Illusion des ihnen realiter versagten Sohnes miteinbezieht. Im Schlussteil »Exorzism« wird er ausgetrieben – mit der Liturgie der Totenmesse im lateinischen Original. Das syrische Ensemble-Mitglied (und Ex-Rugby-Nationalspieler seines Landes), Muawia Harb, verkörpert dieses Trauma der Kinderlosigkeit von Martha und George und zugleich den amerikanischen Traum stumm im Dress eines blonden Football-Stars als Schattenexistenz. Denkt man sich Albees Monstre-Drama ohne ihn (und ohne das Problem der Scheinschwangerschaft von Putzi), so liefe das Stück wohl auf einen im Einsturz von Lebenslügen mündenden Neurosen-Krieg hinaus, eine Art »Gott des Gemetzels« (Yasmina Reza) im Akademikermilieu. Was augenfällig fehlte, wäre die Dimension der Zukunft nicht nur im transzendental-religiösen Sinn, auf den das Programmheft mit einem Text von Istvàn Nagel verweist, sondern gerade auch im gesellschaftlichen Sinn. Ha Ha Said the Clown: Amerika hat ausgeträumt. Die Gastgeber dieser Nacht sind nicht zufällig nach den Washingtons benannt. »Ich gebe Berlin nicht auf«, sagt der Historiker im Disput mit dem ambitionierten Naturwissenschaftler und hat dabei gewiss Orwells »Brave New World«, vielleicht aber auch Günther Anders‘ »Antiquiertheit des Menschen« vor Augen. Diese politische Grundierung hat keine Spur von Patina angesetzt: »Der Westen, durch (...) einen Sittenkodex belastet, der zu starr ist, um sich zu wandeln, muss eines Tages zugrunde gehen«, liest der plötzlich von allen alleingelassene George laut in einem Buch, nachdem seine Gattin sich mit Nick ins Schlafzimmer verdrückthat. Diesem wie aus dem Nichts in das Stück geworfenen Zitat lässt Weber das gigantische Getöse außer Rand und Band geratener Glocken folgen. Sie läuten den Show-down ein, bei dem kein Becher neben dem andern bleibt. Dazu kehrt auch das Sofa plötzlich ein, das die Gäste – eine schöne Idee – bei ihrer Ankunft genauso vermissen wie das Publikum, als sich der Vorhang hob. Mit den Ensemble-Mitgliedern Jakob Gail (George) und Birgit Heuser (Martha), sowie mit Florian Appelius (Nick) und Hannah Bröder (Putzi) hat der Regisseur sein »Clownsquartett« prächtig besetzt. Unglaublich, was der herausragende Gail auch physisch investiert. Und berückend, wie Heuser im scharlachroten Bodysuit und rostroter Perücke diesem Überspieler standzuhalten vermag und im Selbstverständnis einer Lebefrau den jungen Hüpfer Nick zur Brust nimmt. Appelius und Bröder, anfangs weniger Barbie & Ken als Kichererbse und Woody Allen, sind weit mehr als nur Stichwortgeber und gewinnen mit zunehmender Spielzeit eigenständige Präsenz. Putzi möchte man(n) am Ende gerne gar näher kennenlernen, Martha lieber nicht. Was für eine Nacht!
Winnie Geipert
Termine: 2., 8., 9., 15., 16. Oktober, 19.30 Uhr; 3., 17. Oktober, 18 Uhr www.theaterwillypraml.de