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Der Thriller-König Ross Thomas

Kolumne: Alf Mayers Blutige ernte »ironie ist ein anderes Wort für Realismus«

Der Thriller-König Ross Thomas mit einem neu restaurierten Roman

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»Womit verdienen Sie Ihr Geld?« Darüber musste ich nachdenken. »Ich bin in der Vermittlerbranche.« »Was vermitteln Sie?« »Bei Streitigkeiten.«

© Patricia Williams

Er überbringt Lösegeld. Er beschafft gestohlene Wertgegenstände wieder. Er ist ein professioneller Mittelsmann und erledigt, wozu anderen die Handhabe fehlt. Er ist ein Mann für unmögliche Fälle. Ein Go-Between, ein Mann zwischen den Stühlen und Welten. Er ist eine Erfindung von Ross Thomas und ein Vetter von Humphrey Bogart aus »Der schwarze Falke«. Fünf Romane mit dem Ex-Zeitungsmann und Gentleman-Gauner Phillip St. Ives schrieb Ross Thomas unter dem Pseudonym Oliver Bleek zwischen 1969 und 1976. »Das ProcaneProjekt« ist der mittlere dieser fünf, und er ist Band 22 der Ross-Thomas-Edition im feinen und kleinen Alexander Verlag aus Berlin, der Ross Thomas in liebevoll edierten, erstmals vollständigen deutschen Ausgaben herausbringt.

Der Roman spielt zu weiten Teilen in New York. St. Ives’ neuer Klient ist Abner Procane. Ihm, dem wahrscheinlich besten Dieb der Stadt, der nur von anderen Dieben stiehlt, sind alle Tagebücher gestohlen worden, in denen er 25 Jahre lang die Details seiner Diebstähle protokolliert und außerdem seinen letzten Fischzug, einen Millionenraub, präzise vorgeplant hat. Statt dieser Journale findet St. Ives am Übergabeort jedoch nur eine Leiche vor. Der letzte Coup des Meisterdiebs, das Procane-Projekt, lässt sich schwieriger an als gedacht. Und da sind wir erst auf Seite drei …

Für Kenner von Ross Thomas genügt diese kurze Einführung, um sich sogleich das Buch zu besorgen. Für alle anderen hier ein fixes Proseminar, um einen der wichtigsten Kriminalautoren aller Zeiten wieder in Erinnerungen zu rufen. »Das Procane-Projekt« erschien 1972, ist also 50 Jahre alt. Wir sprechen von einem Klassiker. Staub hat er keinen angesetzt. Das verdanken wir neben der Redaktionsarbeit von Marilena Savino der erstmals vollständigen und neuen Übersetzung von Katja Karau und Gisbert Haefs, am meisten aber dem Autor selbst. So wie es Filme gibt, die nie verjähren, so gibt es auch Bücher und Autoren, derer man nicht müde wird. Alles, wirklich alles von Ross Thomas (1926–1995) zählt dazu. Er ist, wie Stephen King das unnachahmlich anlässlich »Teufels Küche/ Missionary Stew« (1983) sagte, »die Jane Austen des politischen Spionageromans«. (»Ross Thomas is often sharper – he is, if you like, the Jane Austen of the political espionage story.«) Der Schriftsteller und Krimikenner Jörg Fauser meinte zu jener Zeit: »Ein Roman von Ross Thomas ist nicht einfach ein Krimi oder ein Polit-Thriller, sondern – wenn wir davon ausgehen, dass der Teufel damals auf den Hügeln des Galiläerlands dem Herrn Jesus die Welt so gezeigt hat, wie sie wirklich ist, und nicht, wie Idealisten sie gern hätten – eine diabolische Analyse unserer politischen Verhältnisse. Nicht umsonst heißt ein anderer seiner Protagonisten Lucifer Clarence Dye, liegt das amerikanische Copyright einiger seiner Bücher bei einer Firma mit dem ominösen Namen Lucifer Inc.«

Schriftsteller wurde der 1926 in Oklahoma geborene Ross Thomas erst mit 40. Gleich für seinen ersten Roman »Kälter als der kalte Krieg/ The Cold War Swap« erhielt er den Edgar Allan Poe Award, den renommiertesten Krimipreis der Welt. Zwischen 1966 und 1994 entstanden 25 Romane, fünf davon unter dem Pseudonym Oliver Bleek, eben jene St.-Ives-Romane. Die sind, wie auch sein sonstiges Werk, eine literarische Wiedererweckung der »screwball comedy«, der filmischen Variante der »comedy of manners«, der Gesellschaftsstücke des 19. Jahrhunderts. Moliere gehört hierzu, Oscar Wilde, George Bernhard Shaw, aber auch Shakespeare. Seinen 38 Tragödien stehen zehn Komödien gegenüber, ihre bekannteste: »Viel Lärm um Nichts«. Bei ihm wie bei Ross Thomas kann man sehen, wie sich in der spielerischen Spiegelung menschlicher Beziehungen ein Urbedürfnis nach Transzendierung der unvollkommenen Gegenwart ausdrückt, wie sich im Rollenspiel die Sehnsucht nach Befreiung von den Zwängen der Wirklichkeit äußert. »Kein Tier außer dem Menschen lacht«, wusste Aristoteles. Und wer lacht, macht sich frei. Der große Filmregisseur Howard Hawks soll auf die ihm angebotenen Filmstoffe stets mit der Frage reagiert haben: »Kann man das denn auch als Komödie erzählen?«. Er war ein Meister der »screwball comedy« und oszillierte in seinen Filmen zwischen Farce, Action und Film Noir. Zu seinen Klassikern gehört die Chandler-Verfilmung »Tote schlafen fest«. Er blieb damit ebenso ein Solitär wie sein literarischer Geistesbruder Ross Thomas, dessen Romane getrost als »screwball thriller« bezeichnet werden könnten. Der Slang-Begriff »Screwball« tauchte erstmals in den 1930er Jahren auf und bezog sich auf eine exzentrische Person: auch »eine Schraube locker haben« klingt darin an. Im Baseball meint(e) man damit einen ungewöhnlicher Spieler ebenso wie einen mit unerhörtem Drall geschlagenen Ball, dessen unerwartete Kurven als Überraschung kommen – eine schöne Charakteristik der Romane von Ross Thomas. Sie sind voller scharfzüngiger Figurenzeichnung und Dialoge, byzantinischer Wendungen, Wortwitz, Sarkasmus und einem Reigen bizarrer Protagonisten. Sie sind gekennzeichnet von Eleganz und einem unbestechlich bösen Blick auf die Verhältnisse. Ironie ist laut Ross Thomas ein anderes Wort für Realismus. So wie er hat kein anderer Kriminalautor die Verhältnisse zum Tanzen gebracht. Und er kannte sie, die Verhältnisse: PR-Arbeit für die Landarbeitergewerkschaft National Farmers Union (Stoff für »Fette Ernte/The Money Harvest«), später für den BundesfreiwilligenDienst VISTA (hierüber sein einziges Sachbuch »Warriors for the Poor«), dann Wahlkampfmanager in Nigeria (Stoff für »The Seersucker Whipshaw«), politischer Berater in Washington, gleichzeitig Wahlkampf für einen Republikaner und einen Demokraten, diplomatischer Korrespondent in Bonn, Reporter in Louisiana – und Chefstratege für zwei Gewerkschaftsbosse, die zur Wiederwahl standen. Gewerkschaften waren Thema im »Yellow Dog Contract« und »Porkchoppers«. In meiner Besprechung meinte ich dazu: »Man kann nur hoffen, dass der deutschen Arbeiterbewegung kein Ross Thomas zustößt.«

Ross Thomas: Das Procane-Projekt. ein Philip-St. ives-Fall (The Procane chronicle, 1971). Aus dem Amerikanischen von Katja Karau und gisbert Haefs. Alexander Verlag, Berlin 2022. 256 Seiten, Broschur, 16 €.

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