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Boomtown Berlin

Die Hauptstadt etabliert sich in Sachen Einzelhandel als ganz normale europäische Metropole. Welche Rolle spielen die Modemessen? Trotz zahlreicher Veränderungen bleibt Berlin als Plattform so vielfältig wie eh und je. Ein Status-quo-Bericht.

Text: Ina Köhler. Illustration: Claudia Meitert Glanzvoll inszeniert sich die deutsche Hauptstadt mit ihren Immobilienprojekten der vergangenen Monate – und viel investiert wurde auch: Im Bikini Berlin im Westen sind auf rund 17.000 Quadratmetern 58 Läden und 19 Pop-up-Stores zu sehen. Marken wie Aspesi, Grifoni und Odeeh eröffneten dort ihre ersten Dependancen in Deutschland. Nicht nur für sie, auch für den japanischen Modeanbieter Uniqlo ist die Stadt an der Spree erste Wahl. Der 2.700 Quadratmeter große Store ist der größte europaweit. Auch zwischen Potsdamer Platz und Friedrichstraße hat sich einiges getan: Am Leipziger Platz ist die Mall of Berlin mit 270 Läden auf 76.000 Quadratmetern entstanden. Mieter wie Marc Cain, Strenesse, Pepe Jeans, Liebeskind, Strellson, Karl Lagerfeld oder Denim & Supply glauben an den Standort im Herzen Berlins, in den rund 800 Millionen Euro investiert wurde. Berlin ist Boomtown, zumindest für die Investoren in Modeeinzelhandelsflächen. Doch auch eines wird recht deutlich: Wenn man sieht, wie viele Marken mittlerweile in Stores, eigene aufwändige Showrooms oder in die eigene Onlinepräsenz investieren, wird verständlich, warum mehr und mehr Player sich von den Messen zurückziehen. Sie scheinen sie schlichtweg nicht mehr zu brauchen. So entsteht, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage folgend, massive Konkurrenz, die am gleichen Kuchen nascht: Der Aussteller wird zum raren Gut, der von der Vielzahl der Veranstalter mit attraktiven Angeboten und Versprechungen umworben wird. Überschneidungen, Kannibalisierung und Verdrängung bleiben dabei nicht aus. Eigentlich erstaunlich, dass die Marktsituation die Messelandschaft in Berlin – oberflächlich betrachtet – nur am Rande zu beeinflussen scheinen. Sie gibt sich dynamisch und vielfältig wie eh und je mit mehr als einem Dutzend Allroundern und

Spezialisten für jede, noch so kleine Nische. Als Player in der Hauptstadt ist lediglich The Gallery weggefallen. „Wir schauen künftig interessiert aus der Ferne zu“, meint Philipp Kronen, Managing-Partner der Igedo Company, der sich wieder stärker in Düsseldorf engagieren wird.

Langfristig optioniert

Einen Rückgang der Internationalität hat Karl-Heinz Müller von der Bread & Butter beobachtet. „Mir fehlt generell in Berlin die Masse der internationalen Einkäufer“, so Müller, der im Tempelhof rund 500 Marken zeigt. „Ein Beispiel sind die Italiener – sie sind einfach nicht mehr so präsent, wie sie mal waren, das gleiche gilt für die Franzosen.“ Besucherrückgänge in Berlin sind natürlich auch durch die Gegebenheiten in den lokalen Märkten bedingt. Bis 2019 hat die Bread & Butter die Option auf den Standort Tempelhof. Das bedeutet einerseits Kontinuität, allerdings auch eine Verpflichtung für den einen Standort. „Eines der großen Themen momentan ist, dass der Markt nicht wächst, sondern tendenziell schrumpft und zusätzlich viele Marktteilnehmer einfach nicht mehr ausstellen“, so Karl-Heinz Müller. Beispiele finden sich genug. Scotch & Soda, langjähriger Aussteller auf der Bread & Butter setzt massiv auf eigene Stores und verzichtet in dieser Saison auf den Messeauftritt. Das zieht sich quer durch die Segmente bei allen Veranstaltern: Denn nicht jeder Auftritt entspricht der Größe und Marktbedeutung der Aussteller – so manche Brand zeigt sich ganz bewusst ganz klein in Off-Locations. Ob damit die Masse der Einkäufer erreicht wird, ist fraglich, weil deren Aufnahmekapazität und Zeitkontingent in der Hauptstadt begrenzt ist.

Die Karawane zieht weiter

Locationwechsel charakterisieren das Messegeschehen: Die Panorama zieht vom Flughafen in den Berliner Westen in das Expo-Center auf dem Messegelände und vergrößert sich um 40 Prozent auf rund 33.000 Quadratmeter. „Der Januar hat gezeigt, dass die Nachfrage unser Flächenangebot übersteigt“, meint Veranstalter Jörg Wichmann. „Wir hatten schon etliche Firmen auf der Warteliste.“ Mit den Partnern von der Messe Berlin habe man sich entschlossen, zur Messe zu ziehen, dort gebe es mehr Expansionsmöglichkeiten. „Die Reaktionen unserer Aussteller bestärken uns in dem Schritt. Sie freuen sich darüber, dass wir nun leichter erreichbar sind.“ Gut angekommen sei das Mall-Konzept, das den Marken die Möglichkeit biete, ihre Franchise- und Store-Konzepte zu präsentieren. „Viele Marken haben positive Ergebnisse erzielt und Shops verkauft.“ Kein Wunder – über den eigenen Retail wachsen zurzeit ja viele Unternehmen. Übersiedeln wird auch mal wieder die Fashion Week: Der Platz am Brandenburger Tor stand schon zur letzten Fußball-WM wegen der Überschneidung mit der Fanmeile zur Disposition. Diesmal weicht sie ihr endgültig und zieht ins Erika-HeßEisstadion in Wedding – nicht allzu weit draußen, allerdings auch nicht in unmittelbarer Nähe der wichtigen Messen. Pragmatisch gibt sich Veranstalter Jarrad Clake, Vice President und Global Creative Director der IMG: „In der Modeindustrie geht es um Veränderung und wir sind begeistert, die Möglichkeit zu haben, diese Saison etwas anderes zu tun.“ Flexibilität brauchten die Besucher der Schauen in der Tat – für die Fashion Week war es nicht der erste Umzug – vielleicht auch nicht der letzte. Und etwas mehr Internationalität könnte auch der Fashion Week gut tun. Der Green Showroom kehrt ins Hotel Adlon Kempinski nach einem kurzen Intermezzo im Kronprinzenpalais zurück; dieses wird im Sommer nicht mehr bespielt: „Im Adlon wird mehr Platz für die Aussteller sein, zudem kann man durch die neue Raumsituation individuellen Standbau realisieren“, meint Alex Vogt von Kern Communications. Am angestammten Platz bleibt hingegen die Ethical Fashion Show, die wieder das E-Werk in der Wilhelmstraße in Berlin-Mitte belegt. Sie setzt in dieser Saison das Thema der nachhaltigen Standards und Zertifikate auf ihre Agenda.

Mit Kontinuität punkten

Ihrem Standort Postbahnhof bleibt die Capsule treu, sie tritt mit rund 100 Ausstellern aus der progressiven Menswear an. Nach dem Kauf der Veranstaltung durch das Unternehmen Reed Elsevier soll sich ein Retail-Team stärker um die Anwerbung von internationalen Einkäufern kümmern. „Wir erwarten eine zunehmende Frequenz durch internationale Besucher“, so Veranstalterin Edina Sultanik. „Alle Augen richten sich auf Berlin, um zu sehen, ob es seine Position als einer der internationalen Modemarktplätze behalten wird“, meint sie. Kontinuität in der Location zeigt auch die Show & Order in Berlin-Mitte: Verena Malta hat den Mietvertrag mit dem Kraftwerk verlängert und stellt sich auf ein langfristiges Engagement ein. „Expansionsmöglichkeiten habe ich in der Location in jedem Fall“, meint sie. Sie erweitert ihr Portfolio gezielt um Pronto Moda mit dem Titel Show & Buy: „Ich sehe hier eine enorme Nachfrage im Markt, Händler müssen die Möglichkeit haben, auf den Messen auch zu ordern“, glaubt sie. Das lange postulierte Credo, dass Berlin nicht zur Order tauge, weicht also allmählich auf, zumal auch die Panorama mit Now eine Fläche für das schnelle Geschäft in ihr Programm aufgenommen hat.

Veränderte Tagesfolge

Die Premium wird, allerdings erst ab Januar, eine weitere, rund 1.000 Quadratmeter große Halle in Berlin eröffnen. „Geplant ist eine Fläche für Pre-Collections und New Luxury von internationalen Designerbrands“, so Anita Tillmann. „Dort sehen wir noch Potenzial.“ Die Entscheidung, im Januar 2015 einen Tag nach vorne auf den Montag zu ziehen, begründet sie mit der Überschneidung mit den Pariser Terminen. „30 bis 40 unserer Aussteller zeigen auch in Paris, damit entzerren wir die Situation.“ Der internationale Messekalender beeinflusst auch die Bright, die im Sommer einen Tag nach vorne rückt; bislang lief sie von Mittwoch bis Freitag. „Bei uns kollidierte der Termin mit der Agenda in Long Beach“, so Initiator Thomas Martini. In der im Januar bezogenen neuen Location im ehemaligen Warenhaus Jandorf nutzt die Bright ein weiteres Stockwerk. „Grundsätzlich war es eine wichtige und gute Entscheidung für uns, nach Berlin zu gehen“, so Martini. „Die Konkurrenzsituation ist zwar größer, aber letztlich sind viele wichtige Player hier.“ Aber auch diese Location ist nur eine Zwischenstation: Im Gespräch ist, dass G-Star seine Deutschland-Zentrale in das ehemalige Kaufhaus verlegen wird. „Diese und die nächste Veranstaltung sind hier noch gesichert, danach müssen wir weitersehen“, meint Martini. „In Berlin sind Locations nicht für die Ewigkeit gemacht.“

www.breadandbutter.com – 8. bis 10. Juli 2014 www.brighttradeshow.com – 8. bis 10. Juli 2014 www.capsuleshow.com – 8. bis 9. Juli 2014 www.curvy-is-sexy.com – 8. bis 10. Juli 2014 www.ethicalfashionshowberlin.com – 8. bis 10. Juli 2014 www.fashion-week-berlin.com – 8. bis 13. Juli 2014 www.green-showroom.net – 8. bis 9. Juli 2014 www.lavera-showfloor.de – 9. bis 11. Juli 2014 www.panorama-berlin.com – 8. bis 10. Juli 2014 www.premiumexhibitions.de – 8. bis 10. Juli 2014 www.seekexhibitions.com – 8. bis 10. Juli 2014 www.showandorder.de – 8. bis 10. Juli 2014 www.whitelabelberlin.com – 8. bis 10. Juli 2014

Fokus auf Düsseldorf

Die Igedo Company will künftig ihre Basis in Düsseldorf mit The Gallery stärken. Nach ihrem Ausflug in die Berliner Messelandschaft setzt sie nun in der Rheinstadt auf ihre neue Location im Hafen und damit auf ein zusätzliches Segment.

Text: Ina Köhler. Fotos: The Gallery Düsseldorf Drei Standorte wird es im Sommer in Düsseldorf geben: The Gallery als Herzstück in der ehemaligen Botschaft auf der Cecilienallee, den nahe gelegenen Rheinlandsaal des Hilton mit Red Carpet und die Hammer Hallen. Im Düsseldorfer Süden stehen am neuen Veranstaltungsort rund 2.600 Quadratmeter Ausstellungsfläche zusätzlich zur Verfügung, der im Februar noch von der Premium bespielt wurde. „Wir nehmen im Prinzip ein neues Segment mit hinzu“, erzählt Philipp Kronen, Managing Partner der Igedo Company. Man werde allerdings nicht einfach die Labels der Premium übernehmen, sondern habe ein eigenes Profil entwickelt, so Ulrike Kähler, Project Director National Trade Shows der Igedo Company. In den Hammer Hallen sollen sich internationale Labels und Agenturen präsentieren. „Wir schauen uns jeden Aussteller an und entscheiden dann, in welches Umfeld er am besten passt“, erläutert Kähler. Neu dabei sind in der Botschaft zum Beispiel Marken wie Anett Röstel. Im Hafen sind es Labels wie Sternensee, Hugenberg, Fish & the Sea oder die Münchner Agentur d-tails, die auf 180 Quadratmeter ihr Markenportfolio von Duvetica über Daks bis hin zu Borrelli zeigt. Auch die Agentur von Jeremy McAlpine oder die Münchner Hinterhofagentur nutzen den Stützpunkt in Düsseldorf, um Marken wie Wool & Co, Out of Order, Etiqueta Negra oder Cape Horn vorzustellen. „Die Aussteller

„Im Prinzip nehmen wir ein neues Segment mit hinzu.“ Philipp Kronen Igedo Company.

erwarten von uns als Dienstleister, dass die Location während der Order funktioniert, sie gut klimatisiert ist und wir ein gutes Catering bieten. Das können wir“, so Philipp Kronen. Zudem soll auch die neue Location durch einen erweiterten Shuttleservice mit allen wichtigen Standorten verbunden werden.

Berliner Kontakte – Basis am Rhein

Einige Ideen und Kontakte aus Berlin hat die Igedo mitgebracht. Den ehemaligen Ausstellern habe man angeboten, in der Rheinstadt auszustellen. Der Designnachwuchs wird auch im Hafen auf der Fläche Not Couture seine

„Wir schauen uns jeden Aussteller an und entscheiden dann, in wel- ches Umfeld er am besten passt.“ Ulrike Kähler Igedo Company

Ideen zeigen – polnische und türkische Designer wie Yasemi Özeni werden zu sehen sein. Und noch eine Neuerung gibt es: The Little Gallery, bislang eine eigenständige Messe für Kidswear, drei Wochen vor dem regulären Termin, wird in die Veranstaltung integriert. „Wir schaffen keine eigenständige Fläche, sondern es werden die Komplettkollektionen der Anbieter gezeigt“, meint Ulrike Kähler. Nachdem die Opernwerkstätten in Berlin-Mitte für den Sommer nicht mehr zur Verfügung standen, hatte sich die Igedo entschlossen, den Standort aufzugeben und im Gegenzug die Hammer Hallen zu bespielen. „In Berlin gibt es ja grundsätzlich die Schwierigkeit, dass man Locations langfristig nicht so gut sichern kann“, so Philipp Kronen. Nachdem wir verschiedene Alternativen geprüft hatten, gab es nur zweitbeste Lösungen.“ Für die Rückkehr nach Düsseldorf ist er grundsätzlich optimistisch. „Ich denke, die Talsohle hier ist definitiv durchschritten.“

25. bis 28. Juli 2014, www.the-gallery-duesseldorf.com

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