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Das Geschäftsmodell Handel ist unter Druck

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Editor's Letter

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Kai Hudetz ist einer der renommiertesten E-Commerce-Experten Deutschlands. Im Interview mit style in progress formuliert der Geschäftsführer des IFH Köln Wahrheiten, die den Handel zur Transformation ermutigen. Interview: Martina Müllner-Seybold. Fotos: IFH Köln

Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln, ist eine wichtige Stimme in der Handelslandschaft. Dem Retail sagt er eine bewegte Zukunft voraus, in der es immer wichtiger werde, zusätzliche Geschäftsfelder zu erschließen.

Deutschland ist in so vielen Bereichen

führend, für die Digitalisierung haben wir uns allerdings erst sehr schleppend erwärmt. Warum?

Da sehe ich zwei Aspekte: Zum einen die Frage, wie wir grundsätzlich zu Neuerung, zu Veränderung, zu Evolutionen stehen. Digitalisierung hat mit Ausprobieren zu tun. Zu Beginn der Reise noch nicht so genau zu wissen, wo man landet. Das ist in der deutschen Kultur nicht so stark verankert wie in anderen. Scheitern zu können, gehört dazu. Aber auch wieder aufzustehen und etwas Neues zu probieren, wenn etwas mal nicht auf Anhieb funktioniert.

Der zweite Aspekt: Der deutsche Handel ist erfolgsverwöhnt. Es gibt viele Handelsformate, die aus

Deutschland kommen und international erfolgreich sind bzw. waren. Auf diesem Erfolg hat man sich lange ausgeruht. Aus der Perspektive des Erfolgreichen ist es besonders schwierig, zu erkennen, dass man sich verändern muss. Erkennt man es aber erst, wenn die Notwendigkeit entsteht, also die Zahlen keinen

Erfolg mehr widerspiegeln, ist es häufig zu spät. Dann ist es nicht mehr möglich, aus der Komfortzone heraus die Innovation zu treiben. Damit erklärt sich auch, warum Digitalisierung so negativ gesehen wird.

Als Risiko, als die Gefahr, als die Entwicklung, die mein schönes Geschäft, das doch so lange und so gut funktioniert hat, kaputt macht. Zum Glück gibt es auch positive Beispiele in der Modebranche. Breuninger ist meiner Meinung nach ein Unternehmen, das innovativ agiert.

Die Modebranche mit all ihren Individualisten tut sich besonders schwer mit allem, was Digitalisierung beschleunigen könnte: Einen zentralen

B2B-Marktplatz gibt es nicht, stattdessen hunderte

Insellösungen. Oder die Artikeldatenaufbereitung:

Kaum eine Marke beliefert den Händler so, dass er sich nahtlos an Marktplätze wie Amazon, Ebay oder Zalando anschließen kann.

Ein zentrales Problem, das uns allerdings in sehr vielen Branchen begegnet. Die wenigsten Branchen sind da gut aufgestellt, jeder denkt, bei uns ist es besonders schlimm. Aber gerade war ich im Bereich Elektro unterwegs und der Elektrogroßhandel hat auch noch

Nachholbedarf. Was man dort sieht, an Daten, an Informationsqualitäten, an unterschiedlichen Standards, an unterschiedlichen Systemen … Vorzeigebeispiel ist der F&B-Bereich, bekanntermaßen margenschwach:

Wer hier den Prozess nicht optimal im Griff hat, kann gar kein Geld verdienen. Nur wenn auf der Datenseite alles passt und die Rädchen alle reibungslos ineinandergreifen, ist das überhaupt möglich. Auch in diesem Segment war historisch, genau wie in der

Mode, derjenige erfolgreich, der sich vor Ort auskannte. In der Mode hat dieser Platzhirsch dann mit seinen Lieferanten das lokal jeweils erfolgreichste System ausgeklügelt, das lief über viele Jahre, Jahrzehnte erfolgreich. Keine Standards und Prozesse zu haben, hat ja viele nicht daran gehindert, vergleichsweise viel

Geld mit Mode zu verdienen. Aber jetzt gerät das

Modell aus verschiedenen Gründen unter Druck.

„Wer sein Digitalgeschäft auf schlechten Prozessen aufbaut, wird es nie rentabel skalieren können.“

Diese Prozesseffizienz, die in anderen Branchen längst Standard ist – man denke nur an die Automobilbranche – muss die Modebranche jetzt lernen. Prozesse und Standards sind ein wirklich schwieriges Thema, das sich aber lohnt, denn es bildet die Basis. Wer sein Digitalgeschäft auf schlechten Prozessen aufbaut, wird es nie rentabel skalieren können.

Spätestens an diesem Punkt in der Digitalisierungsdiskussion kommt: „Nenne mir einen E-Commerce-Modehändler, der Geld verdient.“ Hat man, wenn man diese Frage stellt, eigentlich noch Führungsanspruch?

Es zeigt zumindest, dass man nicht verstanden hat, in welche Richtung sich das Ganze bewegt. Ich treffe ja auch oft auf genau diese Aussagen. Wir gehen natürlich davon aus, dass Zalando schon Geld verdienen kann. Das sind nicht die Renditen, die wir im Fashionhandel aus den fetten Zeiten kennen. Onlinehandel ist grundsätzlich ein margenschwaches Geschäft. Das zeigen selbst Amazons Zahlen; Amazon ist ja nicht nur im Operating-Cashflow inzwischen sehr, sehr stark, sondern weist zunehmend Gewinne auf. Die kommen aber, wenn man genauer hinschaut, nicht aus dem Retailgeschäft, sondern aus anderen Erlösquellen. Die bittere Wahrheit ist: Mit reinem Handel, also mit dem Schieben von Produkten aus den Herstellungsländern zum deutschen Konsumenten, wird man immer schwieriger Geld verdienen können. Das gilt nicht nur für Amazon und Zalando oder andere Plattformen, sondern grundsätzlich. Die Gründe dafür liegen in der heutigen Preis- und Informationstransparenz. Es wird immer schwieriger, Preisunterschiede egal ob regional oder national zwischen verschiedenen Ländern und Anbietern durchzusetzen. Es ist also zwangsläufig, dass ich mit dem Handel von Kleidung weniger Geld verdienen werde. Warum weniger Geld verdient wird als in der Vergangenheit, liegt nicht am Händler, sondern am System. Wenn selbst Amazon mit dem Handel an sich kein oder kaum Geld verdient, dann bedeutet das nicht, dass sie deswegen das Geschäft einstellen. Dass Amazon nicht mehr verschwindet, sollte mittlerweile jeder verstanden haben. Sondern sie werden es uns als Händler immer schwerer machen, mit dem Handelsgeschäft Geld zu verdienen. Die Freude an den schlechten Zahlen von anderen ist trügerisch: Denn was Onliner immer versuchen werden – und das können sie deutlich besser – ist, Preise auszusteuern. So wird immer noch am schnellsten Reichweite gewonnen. Das hat der E-Commerce verstanden. Im weiteren wird gefragt, wie das Geschäftsmodell befeuert werden kann. Dass Zalando heute zur Plattform wird, hat mit Größe zu tun, aber es hat vielleicht auch damit zu tun, dass das Plattformgeschäft am Ende des Tages viel einträglicher als das reine Handelsgeschäft ist.

„Das reine Handelsgeschäft wird Kategorie übergreifend schwieriger.“

Das ist natürlich eine schwer zu verdauende Aussage für einen Händler: Dass er sich zusätzlich zum Handel andere Geschäftsmodelle suchen muss …

Niemand erwartet, dass der Handel sein Modell um 360 Grad dreht. Aber es muss weiterentwickelt werden. Sehen Sie sich Shoppingcenter an: Früher waren es 20 Prozent Gastronomieanteil, bei neuen Shoppingcentern in China liegt der Gastronomieanteil bei über 70 Prozent. Diesem geänderten Konsumentenverhalten müssen Modelle heute Rechnung tragen. Ikea hat das schon vor Jahrzehnten verstanden. Ikea ist einer der größten Gastronomen Deutschlands, es ist nichts Unanständiges, sein Geschäftsmodell kundenorientiert zu erweitern. Das reine Handelsgeschäft wird Kategorie übergreifend schwieriger und ohne starke Marke, sind Kunden nicht bereit, einen größeren Preisunterschied in Kauf zu nehmen.

Sie stechen in ein Wepennest – Farfetch hat gerade für riesige Aufregung gesorgt, weil es eine Maßnahme zur internationalen Preisnivellierung gestartet hat. Das hat die Branche verstört, weil das natürlich für viele ja ein Ersatzgeschäft war. Man hat in Europa Markenware eingekauft und über den Kanal Farfetch dann in Asien zum dreifachen Preis abgedrückt. Zunächst hatte Farfetch von dieser Marge nur einen größeren Anteil genommen, aber jetzt, mit der Aussicht, dass man chinesischen Konsumenten irgendwann die Gucci-Tasche zum gleichen Preis wie in Europa verkaufen muss, ist die Modebranche vollends in Aufruhr.

Das ist am Ende des Tages ja nur ein konsequenter Schritt, den wir in anderen Bereichen auch sehen: Unternehmer versuchen, die Preisbänder zumindest enger zu bekommen. Einen bestimmten Preisunterschied können sie vor Ort durch die sofortige Verfügbarkeit rechtfertigen – wenn die Kundin die Wahl hat, das Kleid direkt mitzunehmen, statt drei Wochen darauf zu warten. Auch für Service oder einen Ansprechpartner vor Ort sind Kunden durchaus bereit, mehr zu zahlen. Doch insgesamt werden die Preisunterschiede geringer werden. Das hat viel mit Transparenz zu tun. Kein Kunde möchte das Gefühl haben, er wird übervorteilt.

Muss auch in Sachen Investitionszyklen ein Umdenken stattfinden? Filiale einrichten, Schlüssel umdrehen, Geld verdienen – das klappt ja im E-Commerce gar nicht. Wer seinen Break-Even erreicht, tut das nur unter permanenter Investitionsbereitschaft.

Die Zyklen werden grundsätzlich kürzer, für Erfolg benötigt man einen langen Atem. Klassisches Retailgeschäft ist wie Radfahren auf der Ebene; eine letzte Pedalumdrehung und dann rollen. Auch wenn die Bemühungen verringert oder gar eingestellt werden, wird noch etwas weitergerollt. E-Commerce ist wie Rudern gegen den Strom. Wer zu rudern aufhört, treibt ab. E-Commerce ist ein permanenter Investitionsmodus. Es dauert lange, bis Investitionen wieder drin sind, und es muss permanent nachjustiert werden. Es hat seinen Grund, warum die aktuell große Entwicklung im E-Commerce Mikrodienste sind. Weg von den großen Releases, hin zu Agilität, um gleich noch das nächste Thema zu nennen. Das alles unter dem Vorzeichen, dass das Geldverdienen im Handel generell schwieriger wird. Diesen Abschöpfmodus, den die Generation vor uns kannte, werden wir nicht wieder erleben. Umso wichtiger ist es, dass man ein Preispremium realisieren und dass man sich über Marke und Markenprodukte differenzieren kann. Für den Multilabelhändler ist die Situation heute extrem schwierig: Immer höhere Ansprüche auf allen Seiten, immer mehr Investitionsbedarf und gleichzeitig werden die Margen kleiner.

Ich ernenne Sie gedanklich zum Manager eines erfolgreichen deutschen Modeunternehmens. Was sind die drei Digitalisierungsthemen, die Sie jetzt angehen, um zukunftsfit zu sein?

Das erste Thema: Ich würde massiv versuchen, den Bereich Daten, Datenanalyse und Research auszubauen. Das Vorbild für künftigen Erfolg ist Amazons Mantra der Kundenzentrierung. Ich muss sehr nah an meinen Kunden dran sein und sehr viel über meine Kunden wissen, um immer schnell die richtige Entscheidung treffen zu können, wie ich die Kunden adressiere. Ich muss in der Lage sein, der richtigen Kundin, im richtigen Moment, über den richtigen Kanal, das richtige Angebot zu unterbreiten. Dazu muss ich zum Beispiel in KI-Lösungen und CRMTools investieren, die mich nah an Kundinnen und Kunden heranbringen. Zweitens geht es aus unserer Sicht bei E-Commerce nicht um den Shop. Es geht um die Customer Journey. Dass Verstehen, wie sich der Kunde bewegt, vom ersten Impuls bis zur Kaufentscheidung. Wenn man heute Customer Journey sagt, muss man auch Social Commerce sagen. Der starke Impact von Social Media auf die Kaufentscheidung ist mittlerweile einfach nicht mehr negierbar. Im Fashionbereich besonders, denken Sie an die Bloggerszene. Kanäle wie Pinterest und Instagram machen es Anbietern immer leichter, von den Plattformen aus direkt Commerce zu betreiben. Inspiration wird immer seltener im Shop passieren, sondern vorgelagert – es gilt, aus dieser Inspiration einen Kauf zu generieren. Der dritte Punkt ist eigentlich ein No-Brainer, aber er sei der Vollständigkeit halber gesagt: Es darf nur noch Lösungen geben, die für das Smartphone konzipiert sind. Gerade bei jungen Leuten sehen wir, dass die Schwelle vom Informationskanal hin zum Transaktionskanal längst überschritten ist. Einen vierten Punkt habe ich auch noch – und der hat, das mag verwundern von jemandem, der sich so intensiv mit Digitalisierung beschäftigt – nichts mit Digitalisierung zu tun. Ich bin überzeugt, dass die Umsetzung der Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, nur eine Basis für den Erfolg sind. Wirklich entscheidend ist die Markenstärke. Starke Marken haben einen direkten Kundenzugang und Konsumenten sind bereit, ein gewisses Preispremium zu zahlen. Starken Marken wird der Konsument auf Instagram, Pinterest und welcher Plattform auch immer folgen. Aus einer angestaubten Marke wird auch im digitalen Zeitalter kein funktionierendes Geschäftsmodell.

Lesen Sie die Langversion dieses Interviews – online unter www.style-in-progress.com

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FASHIONTECH KOOPERATIONEN KOOPERATIONEN Gemeinsam sind wir mehr: Getrieben von der Liebe zu großen Daten, macht die Digitalisierung unmissverständlich klar: Alleingänge sind nicht Erfolg versprechend. Mit FASHIONTECH der Schaffung von gemeinsamen Standards und Prozessen wird auch das Miteinander einfacher, weil die Abhängigkeit von handelnden Personen geringer wird. Umso besser, wenn die auch erkennen, dass die Einladung zum Miteinander lohnt. Weil Insellösungen in einer global vernetzen Welt ausgedient haben, ist Kooperation das neue Mantra.

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