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Von der Vision zur Wirklichkeit

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Editor's Letter

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GEMEINSAM STARK

Aus dem Softwareprogramm wird der beste Freund, aus der Messe die Tagung, aus der Dropbox für die Branche eine App für Orders und Regalverlängerung. Digitalisierung bringt Allianzen hervor, die überraschen – und gleichzeitig so logisch sind. Text: Martina Müllner-Seybold. Fotos: Gesprächspartner

PANORAMA BERLIN „ES GEHT UM CUSTOMER CENTRICITY – AUCH BEI UNS“

Eine Disruption für den Handel, nein, für die

gesamte Branche. Was legen Sie Händlern ans Herz, um von der Digitalisierung zu profitieren?

Jörg Wichmann, Geschäftsführer Panorama Berlin: Es geht um Customer Centricity. Wir haben es mit einem neuen Kundentyp der Digital Native Generation zu tun, die sich in ihrem Konsumverhalten stark von der digitalen Welt leiten lassen und schnell ihre Bedürfnisse erfüllen wollen. Der Handel muss sich auf die Kundenbedürfnisse und Shoppingerlebnisse konzentrieren und nicht nur auf das Produktangebot. Es gilt, digitale Technologie am PoS einzubinden, die sinnesbetonte und interaktive Erlebnisse sowie schnelle Abläufe ermöglicht. Der Händler muss darüber hinaus verstehen, mit welchen digitalen Touch Points er seine Art von Kunden am besten erreichen kann und ihn mit entsprechender Technologie bedarfsgerecht ansprechen.

In Zeiten der digitalen Kommunikation erstarken Orte des Austauschs von Mensch zu Mensch. Warum ist eine Messe gerade in Zeiten wie diesen so wichtig?

Gerade die digitale Transformation stellt den Handel vor eine immense Herausforderung und sorgt für einen hohen Bedarf an Information und intensivem Austausch. Wichtiger denn je ist der persönliche Dialog. Menschen wollen sich treffen und nicht nur digital kommunizieren. Die Panorama Berlin liefert für die Branche wichtige Impulse als zentrale Networking-Plattform für Industrie und Handel. Wir bieten unter dem Motto „Wissen to go“ ein spannendes Vortragsprogramm, das zukunftsgerichtet informiert und einen intensiven Austausch mit den Experten der Branche bietet. Zu keiner Zeit im Jahr trifft die

Jörg Wichmann ist überzeugt, dass Messe Mehrwert, Input und Kommunikationsplattform bieten muss. Mit einem inspirierenden Programm auf der Panorama Berlin wird diese Vision Wirklichkeit.

Branche so persönlich und konzentriert zusammen, wie zu den saisonalen Messen.

Ist die Zahl der guten Gespräche, nicht die Zahl der ausgefüllten Ordersheets der neue Gradmesser eines Messetages?

Es gibt hier aus meiner Sicht kein eindeutiges Entweder-oder. Ausgefüllte Ordersheets sind neben guten Gesprächen von Bedeutung. Aber die Gradmesser einer erfolgreichen Messe sind heutzutage vor allen Dingen, Antworten auf drängende Fragen erhalten zu haben, einen intensiven Dialog geführt zu haben und mit neuen Kontakten und neuen Impulsen sein Business stärken zu können.

GH ORDER VON DENIBA EIN LERNENDES BOLLWERK

Der Name ist unscheinbar, der erste Blick auf die Software ebenfalls: GH Order, eine Agenturlösung der Softwareschmiede Deniba, ist AI in Reinform. „Wobei AI bei uns nicht für Artificial Intelligence, sondern die Agenturintelligenz steht“, lacht Peter Balzarek. Vor mehr als zehn Jahren ist die Software in ihren Grundzügen entstanden „und ich war damals so naiv, dass ich dachte, irgendwann haben wir ein fertiges Produkt“, erzählt er. Mittlerweile werden bis zu 30 Microreleases pro Monat eingespielt. Verbesserungen, die Peter Balzarek aus den Gesprächen mit Agenturinhabern und Anwendern in Entwicklersprache übersetzt. Denn das ist seine Qualität: Der gebürtige Wiener, der selbst jahrelang im Aufbau und Vertrieb von Marken tätig war, kennt die Achillesfersen des Großhandels und sucht nach praktikablen Lösungen. „Ein kleines Beispiel: Provisionsabrechnungen. Unglaublich kompliziert, nicht zu überblicken, jeder Lieferant hat ein anderes Modell, wann, wie und warum er Provisionen bezahlt oder auch nicht“, schildert Peter Balzarek. Die Software schafft Überblick, wo ein Buchhalter resigniert. Controlling sei allerdings nicht nur am Ende des Agenturgeschäfts wichtig: „Die schlauen Anwender unseres Programms haben während der Terminierungs- und Orderzeit täglich ihre Budgets und Forecasts im Blick. Weil wir keine statischen, sondern dynamische Budgets aufbauen, aus denen sich unglaublich viel ablesen lässt. Über die Händler, die ordern, aber auch über Markenkonjunkturen. Wenn eine Marke ihren Zenit überschritten hat, sehe ich das schon zu einem sehr frühen Zeitraum in dem Programm.“ Für die immer intensiver werdende Zusammenarbeit mit Marken ist Denibas GH Order Schaltzentrum und Bollwerk zugleich: „Ich will den Agenten ein Tool in die Hand geben, mit dem sie bestimmen, wie tief sie ihre Partner blicken lassen.“ Für die Zukunft hat Peter Balzarek einen Wunsch: „Ich wünsche mir, dass Marken den Wert des Datenaustauschs mit Agenturen erkennen. Dass man sich wechselseitig wichtige Informationen liefern kann, ist weder Geheimnis noch Überraschung. Proaktives Zusammenarbeiten würde allen helfen!“ peter@balzarek.com, www.deniba.at

Peter Balzarek übersetzt die Not- wendigkeiten und Wünsche von Agenturen in Software – und gibt dem Großhandel mit der von ihm betreuten Software GH Order damit ein schlagkräftiges Operations- und Controllingtool in die Hand.

MODEHAUS.DE IM SCHWARM BESSER

Alles begann in Hameln, dort entwickelte der Händler Holger Wellner gemeinsam mit der Digitalagentur von Ole Grave ein umfassendes Onlinekonzept. Mit der Erkenntnis, dass ein vollstufiger Omnichannel-Ansatz mit eigenem Onlineshop und vernünftigem Austausch mit den Herstellern, so wie die beiden ihn sich wünschten, für einen einzelnen Händler finanziell nicht rentabel ist. Ein Punkt, an dem viele andere Händler ihre Aktivitäten einstellen – nicht so Holger Wellner und Ole Grave. Sie entwickelten mit Modehaus. de ein Partnernetzwerk, das sich um alle Belange der Digitalisierung kümmert. Die KATAG AG beeindruckte genau dieses Prinzip, baute sie doch mit MyVEO an einer ähnlichen kooperativen Idee für ihre Mitgliedshäuser. Seit 2019 verstärkt Matti Schulze die Geschäftsführung und die Dynamik lässt aufhorchen: 321 Standorte ist das Netzwerk stark, das sind 10.560 Mitarbeiter, 507.670 Quadratmeter Gesamtverkaufsfläche und rund 1,43 Millionen EuroGesamtjahresumsatz. Auch Händler außerhalb Deutschlands meldeten ihr Interesse an. Modehaus. de gewährt jedem Partner eine gewisse regionale Exklusivität, unter den Nutzern sind bekannte Namen wie L&T, Hagemeyer oder Wagener. Neben den konkreten modularen Digitallösungen – zum Beispiel ein eigener Onlineshop für vergleichsweise kleines Geld – sind Erfahrungsaustausch, eine eigene Academy und Einkaufsvorteile wichtige Argumente für das Netzwerk. wellner@modehaus.de, www.modehaus.de

FASHION CLOUD „PLATTFORMEN BEWAHREN DIE VIELFALT IN DER MODEWELT“

Ihr Geschäftsmodell beruht auf dem Koopera

tionsgedanken und spart Zeit. Ist die Mode reif für Kooperation?

René Schnellen, Mitgründer von Fashion Cloud: Die Mode, im Besonderen das Wholesale-Business, beruht bereits auf Kooperationen und einer gemeinsamen Wertschöpfung. Die Frage ist vielmehr, ob diese Kooperationen effizient genutzt werden und der Informationsaustausch optimal gestaltet wird. Obwohl es in diesem Punkt noch Nachholbedarf gibt, sehen wir, dass sich Brands und Händler der Notwendigkeit von einfacheren Prozessen und einer engeren Zusammenarbeit bewusst sind – nicht zuletzt aufgrund konkurrierender Geschäftsmodelle und steigender Kundenanforderungen. Das zeigt sich auch an unserer Plattform: Über 6.000 Händler und 350 Brands gehören mittlerweile zu Fashion Cloud und arbeiten gemeinsam an einer starken Wholesale Community.

Beschreiben Sie, wie die Kooperation in Ihrem Geschäftsmodell Prozesse effizienter, billiger oder gar ersetzbar macht?

Unser Fokus liegt nicht auf dem Ersetzen bestehender Prozesse. Mit der Bereitstellung einer zentralen Lösung, die Online- und Offlinewelten verbindet, gestalten wir die Prozesse allerdings smarter und effizienter. Produktbilder und Marketingmaterialien müssen nicht mehr einzeln angefragt und verschickt werden, sondern können direkt über unsere API in Warenwirtschaften und Webshops integriert oder lieferantenübergreifend von unserer Web-Plattform heruntergeladen werden. Auch der Orderprozess mit Showrooms und Nachbestellungen wird nicht gänzlich ersetzt. Mit OrderWriter ermöglichen wir jedoch eine einfachere Ordererfassung für Brands und Händler. Im Showroom selbst, aber auch bei der späteren Nachverfolgung erhalten Einkäufer mit der App eine visuelle und finanzielle Übersicht ihrer Orders und behalten so den Überblick über bereits getätigte Bestellungen. Fehlt ein Artikel auf der Verkaufsfläche, greifen Verkäufer hingegen über die Clara App auf aktuelle Lieferverfügbarkeiten all ihrer Brands zu und bestellen diese mit nur wenigen Klicks nach. Ab Herbst 2019 wird dieses Angebot mit dem Orderbereich auf unserer Web-Plattform ergänzt, welcher

René Schnellen ist Mitgründer von Fashion Cloud. Was als zentrale Bildsammel- und Distributionsstelle für Modemarken be- gann, ist mittlerweile in vielen Prozessen des Modehandels aktiv: Mit den Apps OrderWriter und Clara erweitert das Unter- nehmen seinen Wirkungskreis.

es Brands ermöglicht, auch außerhalb des Showrooms und der Verkaufsfläche Händler zu erreichen. Mit einer All-in-one-Lösung sparen beide Seiten nicht nur Zeit und Geld, sondern bieten ihren Kunden auch zusätzliche Services, wie die direkte Nachbestellung auf Kundenwunsch und eine starke Onlinepräsenz, an.

Die Modebranche beeindruckt – das meine ich durchaus ironisch – mit ihren vielen Insellösungen und wenigen Standards. Müssen wir das ändern, wenn wir in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben wollen?

Als Plattform glauben wir nicht an Insellösungen und Standards. Es braucht zentrale Anlaufstellen, um einen reibungsfreien Austausch zwischen allen Playern der Modebranche zu gewährleisten. Nur so können wir einzelne, mächtige Akteure verhindern und bewahren die Vielfalt der Modebranche. So unterstützt Fashion Cloud auch verschiedene Initiativen der GS1, um z. B. standardisierte Produktbilder und Stammdaten in der Branche zu etablieren.

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