pipette–Swiss Laboratory Medicine, Nr. 1-März 2021: «Benigne» Hämatologie | L’hématologie «bénigne»

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P I P E T T E – S W I S S L A B O R AT O R Y M E D I C I N E | WWW. S U L M . C H

NR. 1/2 | MÄRZ 2021

Beatrice Drexler 1

Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie – das Chamäleon der Hämatologie Die paroxysmal nächtliche Hämoglobinurie (PNH) ist eine seltene «benigne» hämatologische Erkrankung, deren Diagnostik und Therapie sich in den letzten Jahren rasant entwickelt hat (1). Auch wenn der Erkrankungsname suggeriert, es würde sich alleine um eine anfallsartige (paroxysmal) nächtliche Ausscheidung von Hämoglobin mit dem Urin (Hämoglobinurie) handeln, so sind die klinischen Manifestationen tatsächlich sehr vielfältig (2) (Abbildung 1) und dementsprechend die Indikationen zur weiterführenden diagnostischen Abklärung breit. Abbildung 1

Epidemiologie Gesamthaft ist die Erkrankung sehr selten. Die Inzidenz der PNH beträgt ca. 1 – 1,5/106/Jahr (3), wobei für die Schweiz keine genauen epidemiologischen Daten vorliegen und möglicherweise die Erkrankung aufgrund ihrer variablen Erscheinung noch immer unterdiagnostiziert ist. Nur selten tritt PNH im Kindesalter auf, stattdessen erfolgt die Diagnose gemäss Registerdaten meist im Erwachsenenalter (ca. 30 Jahre) und geringfügig häufiger bei Frauen (4).

Pathogenese

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Fatigue Anämie Chronische Niereninsuffizienz Hämoglobinurie

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Distale Venenthrombose Leber-/Milz-/Portal-/ MesenterialVenenthrombose Sinusvenenthrombose Akuter Myokardinfarkt Cerebrovaskulärer Insult

NO-Depletion

Knochenmarksversagen

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Thrombozytopenie Neutropenie

Abdominelle Schmerzen Pulmonale Hypertonie Dysphagie

Abbildung 1: Mannigfaltige Beschwerden der PNH(4)

Es handelt sich um eine erworbene Erkrankung, die durch eine somatische Mutation im PIG-A-Gen auf der Ebene der pluripotenten hämatopoietischen Stammzelle des Knochenmarks ausgelöst ist (5). PIGA, ein Gen auf dem

Anteil peripherer Blutzellen, wodurch es unter anderem zu einem Fehlen der sogenannten komplementinaktivierenden Proteine (CD55, CD59) auf der Oberfläche von Erythrozyten kommt. Bei Komplementaktivierung sind infolge Erythroyzten empfindlicher gegenüber einer terminalen komplement vermittelten Lyse, was zu einer intravaskulären Hämolyse führen kann. Daneben sind noch weitere pathophysiologische Prozesse zu beobachten (z.B. Thrombophilie, extravaskuläre Hämolyse), deren genaue Mechanismen noch Gegenstand der Forschung sind. Zentral ist noch die Assoziation der PNH zu anderen Formen des Knochenmarksversagen, vorgängig zur aplastischen Anämie X-Chromosom, ist für die Expression (AA) und seltener zum myelodysplasdes Glycosylphosphatidylinositol(GPI)- tischen Syndrom (MDS). InteressanAnkers verantwortlich, der wiederum terweise kann eine PNH sowohl vor für die Verankerung von Membranpro- als auch nach der Diagnose einer AA teinen (z.B. CD14) wesentlich ist. Durch auftreten, wobei die zugrunde liegenden Mutation des PIGA-Gens kommt es zum GPI-defiziente Zellen bei der erworbeVerlust dieser GPI-verankerten Proteine nen AA bereits in ca. 20 % bei Diagnose (GPI-Defizienz) auf einen signifikanten zu finden sind (6).

Die relevanteste Komplikation der Erkrankung sind thromboembolische Ereignisse, die primär die erhöhte Mortalität und Morbidität erklären.

1 Klinik für Hämatologie, Universitätsspital Basel, Schweiz

Thrombophilie

Intravasale Hämolyse

Klassifikation Aus der Assoziation der PNH zur AA

und der Ausprägung ergibt sich auch die Klassifikation, wonach die Erkrankung gemäss PNH Interest Group in drei Gruppen eingeteilt wird (7): klassische PNH, PNH im Kontext einer anderen Knochenmarkerkrankung und subklinische PNH (siehe Tabelle 1). Alternativ kann die Einteilung der Internationalen PNH Registry in die Gruppen «hämolytische», AA-PNH und intermediate PNH herangezogen werden, die allerdings sehr ähnlich ist.

Klinik Wie eingangs erwähnt, ist der anfallsartige auftretende dunkelbraune (Morgen-) Urin nur bei einem kleineren Teil der Patienten nachweisbar. Stattdessen stehen bei den meisten Patienten mit chronischer intravasaler Hämolyse die Beschwerden der Anämie (Schwäche, Fatigue, Belastungsdyspnoe) im Vordergrund. Interessanterweise korreliert die Fatigue nicht mit dem Schweregrad der Anämie, sondern mit dem Ausmass der Hämolyse und der Grösse des PNHKlons. Durch die intravasale Hämoglobinfreisetzung kommt es zusätzlich


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