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Vor Gericht
Zu wenig fürs Leben
Nach einer Forsa-Umfrage halten 80 Prozent der Bevölkerung das ge setzliche Existenzminimum in Deutschland für zu niedrig. Rund 728 Euro nannten die Befragten im Durchschnitt als notwendig für das Bestreiten des Lebensunterhaltes – der SGB-II-Regelsatz liegt zurzeit bei 432 Euro. Einen CoronaZuschlag für Leistungsbeziehende hat die Bundesregierung im Juni abgelehnt.
BODO, BOCHUM/DORTMUND
Mehr Mütter
Hauptsächlich Frauen haben sich zu Beginn der Corona-Krise um die zusätzlich anfallende Betreuung von Kindern gekümmert, so eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Von 7600 befragten Erwerbstätigen ga ben 54 Prozent der Frauen an, den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung übernommen zu haben, aber nur 12 Prozent der Männer. 27 Prozent der Mütter mit Kindern unter 14 Jahren hatten ihre Arbeitszeit reduziert, um der Betreuung nachkommen zu können. Bei den Vätern waren es 16 Prozent.
HINZ & KUNZT, HAMBURG
Bob ist tot
Der berühmteste Wegbegleiter des ehemaligen Obdachlosen James Bowen, nämlich der Kater Bob, ist Mitte Juni verstorben. 2007 hatte der damals drogenkranke Bowen den Kater verletzt und verwahrlost aufgefunden. Das Tier half ihm dabei, seine Suchtprobleme zu überwinden. Später schrieb Bowen seine Geschichte auf und landete damit einen internationalen Bestseller, der sogar verfilmt wurde.
HEMPELS, KIEL
Wahr und klar
An dieser Stelle lesen Sie meist von Strafgerichtsfällen. Nicht nur diese Gerichtskolumne, sondern die Medien insgesamt haben einen beschränkten Blick auf das Gerichtswesen. Vor Gericht landen ja nicht nur Kriminelle, deren Missetaten festgestellt und bestraft werden sollen. Es gibt ganz viele Gerichte: den Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne, das Bundespatentgericht in St. Gallen, die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen in Bern, Versicherungsgerichte, Jugendgerichte, Mietgerichte und Arbeitsgerichte. Man kann sich ausmalen, um was alles gekämpft und gestritten wird. Manchmal geht es um einen einzigen Satz, wie hier den letzten im Arbeitszeugnis von Frau K., K für Klägerin. Der zuständige Arbeitsrichter sagt, das habe er nur noch selten, reine Arbeitszeugnisfälle. Das gedenke er zu geniessen.
Der Satz lautet wie folgt: «Frau K. verlässt uns auf eigenen Wunsch, um die Fortbildungstätigkeit unserer Stiftung bei einem anderen Unternehmen weiterzuführen.» Der habe in einem Arbeitszeugnis nichts zu suchen, sagt Frau K.s Anwältin. Sie führt aus: Die Klägerin arbeitete bei einer eng mit einem universitären Lehrstuhl verwobenen Stiftung. Im Arbeitsalltag vermischten sich die Institutionen. Alle Daten der Stiftung lagen auf Servern der Uni. Mit zwei Kolleginnen war Frau K. während zehn Jahren für die Symposien, Kurse und Fachtagungen der Stiftung zuständig. Sehr erfolgreich, was das Zeugnis auch festhält. Die Probleme begannen, als es Zeit wurde für den alten Professor, Chef beider Organisationen und somit auch von Frau K., seinen Lehrstuhl an den Nachfolger abzugeben. Die Stabsübergabe war, nun ja, bei Scheidungsfällen sagt man: ein Rosenkrieg. Der neue warb die drei Frauen kurzerhand ab. Der Satz im Zeugnis suggeriere nun, so die Anwältin, dass sie damit das Weiterbildungsprogramm der Stiftung samt Referent*innen und Sponsor*innen mitnahmen. Und sie so ein – nicht vorhandenes – Wettbewerbs- und Konkurrenzverbot verletzt hätten. Das treffe aber nicht zu.
Doch, sagt der Stiftungsanwalt. Nach dem Wechsel hätten sich inhaltlich identische Events der Uni gehäuft, und zwar an denselben Daten wie jene der Stiftung. Es handle sich um «offensichtlich bösartige Parallelveranstaltungen». Und die Frauen seien ausdrücklich auf ihre Geheimnispflicht hingewiesen worden. Insofern sei der Satz eine «wertfreie Benennung der Realität», «inhaltlich korrekt» und das Zeugnis insgesamt «wohlwollend», wie das Gesetz es verlange.
Richtig, verkündet der Richter nach einer kurzen Pause. Doch das Gesetz verlange neben Wahrheit und Wohlwollen auch noch Klarheit. Der beanstandete Satz lasse zu viele Möglichkeiten offen. Hat Frau K. Geheimnisverletzungen begangen? Gab es überhaupt ein Konkurrenzverbot? Wurde sie abgeworben? Wenn man den Satz reinnehmen wolle, dürfe dies nicht im Dunkeln bleiben.
Ein Urteil wie in einem Straffall ist dies aber nicht. Es ist eine «erste richterliche Einschätzung». Denn nun werden die Parteien nochmals verhandeln – bis dann ist noch kein Recht gesprochen.
* persönliche Angaben geändert
YVONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin in Zürich.