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Vor Gericht

Vor Gericht

Poetischer Reifeprozess

Film Der Westschweizer Filmemacher Nathan Hofstetter macht im Dokumentarfilm «Loulou» seine paranoide Schizophrenie zum Thema. Entstanden ist ein lebensbejahendes Selbstporträt.

TEXT MONIKA BETTSCHEN

BOXPRODUCTIONS BILD:

«Ein Grossteil der Filme über Schizophrenie sind düstere Geschichten. Deshalb wollte ich als Filmemacher und Betroffener diesen Werken eine leuchtende Dokumentation gegenüberstellen», sagt der Westschweizer Regisseur Nathan Hofstetter über seinen ersten langen Dokumentarfilm «Loulou». Loulou ist ein liebevoller Begriff, der in Hofstetters Umfeld entstanden ist, um damit psychisch erkrankte Menschen zu bezeichnen. «Die meis ten Leute denken, dass eine psychische Krankheit ein Handicap ist. Ich aber denke, dass sie auch eine Stärke ist – vorausgesetzt, es gelingt einem, die Krankheit zu verstehen, zu kanalisieren und die damit einhergehende Sensibilität gewissenhaft einzusetzen», sagt Hofstetter.

Die Diagnose «paranoide Schizophrenie» traf den jungen Filmemacher 2011 während seines Bachelor-Studiums mit voller Härte. Er erlitt seine erste psychotische Dekompensation – so wird medizinisch der Augenblick bezeichnet, wenn der Körper unterschwellige Symptome nicht mehr ausgleichen kann und sie offen zutage treten. Darauf folgte ein Jahr der Depression. «Ich hatte keine Lust mehr auf gar nichts, keine Hoffnung und keine Freude», erinnert er sich. «Trotzdem, selbst nach meiner inzwischen vierten Dekompensation kann ich sagen, dass ich die Welt noch nie so hell und optimistisch gesehen habe.» Dies zeige sich in der Art, wie er als Filmemacher zum Beispiel die Aura eines Gegenübers wahrnehme, wie er spüre, wenn sich ein Blick, ein Austausch, ein Lächeln ankündige. Das Kino gibt ihm die Möglichkeit, solche Momente mit dem Publikum zu teilen, und «Loulou» ist voll solcher Momente. Und der Film liefert die Antwort darauf, warum es Hofstetter heute wieder besser geht: dank den Menschen, die während der letzten Jahre an seiner Seite waren, Familie, Freunde, die damalige Freundin. Feinste Regungen im Antlitz seiner Liebsten oder in seinem eigenen Gesicht erzählen von Phasen, in denen sich die Welt verdüsterte, um danach aber auch wieder aufzublühen. Ein poetischer Reifeprozess, in dessen Verlauf sich Nathan Hofstetter zu einem sensiblen jungen Mann mit eigenen Zielen entfaltet, anstatt verrückt zu werden.

«Loulou» ist Nathan Hofstetters drittes Werk, in dem er sich mit seiner Erkrankung auseinandersetzt. Die Kurzdokumentation «Radio-Actif» aus dem Jahr 2012 war sein Diplomfilm an der Kunsthochschule ECAL in Lausanne. Der Film gewann am Filmfestival Locarno den Goldenen Leoparden in der Sparte «Bester Schweizer Kurzfilm» und erzählt von den Anfängen seiner Erkrankung. Die kurze Dokumentation «Lui, Hitler et moi» ein Jahr später zeigt, wie er sich in einer Klinik mit einem anderen Patienten anfreundet. In «Loulou» geht Hofstetter noch einen Schritt weiter, filmt sich selbst und sein privates Umfeld und präsentiert das Filmmaterial aus der über fünf Jahre langen Drehzeit in einer Reihenfolge, die an den Rhythmus eines Gedichtes erinnert. Stimmungen werden ungefiltert gezeigt, und eine zarte Bildsprache sorgt dafür, dass die Atmosphäre dabei zu keinem Zeitpunkt von klinischer Härte gestört wird.

Wenn sein bester Freund Manuel beschreibt, wie ihn eine bipolare Störung daran hindert, Ideen zu Ende zu denken, leiht Hofstetter den Betrachter*innen seinen eigenen liebevollen Blick auf sein Umfeld. Das erzeugt eine Intimität, mit der der Filmemacher beabsichtigt, psychische Erkrankungen zu enttabuisieren. «Es geht darum, Unterschiede zu akzeptieren, damit meine ‹Loulous› nicht mehr im Stillen leiden müssen und ihre eigenen Stärken entdecken können.» Seine Krankheit wird Hofstetters Schaffen auch in Zukunft prägen. «Diese Krankheit ist mein Motor. Ich bin der rote Faden meiner Filme, deshalb kann ich der Person, die ich bin, nicht entkommen.»

Nathan Hofstetter: «Loulou»

Dokumentarfilm, 70 Minuten, Schweiz, 2019, Ab 6. August in den Deutschschweizer Kinos.

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