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Vor Gericht

Gefährliches Pflaster

Die wachsende Wohnungsmarktkrise und die restriktive Politik der Regierung machen Ungarns Hauptstadt Budapest zu einem gefährlichen Pflaster für Obdachlose. Die Organisation «Stadt für alle», die auch von der deutschen Caritas un terstützt wird, hat jetzt detailliert nachgewiesen, dass Obdachlose un ter dem Vorwand des Denkmalschutzes sowie unter Berufung auf das Weltkulturerbe aus der Innenstadt vertrieben werden. Auch würden gemäss der Organisation immer mehr Unterkünfte für Obdachlose aufgelöst. Landesweit sind in Ungarn 50 000 Menschen wohnungslos, weitere 250 000 leben prekär. Jeder zweite Mensch ohne feste Bleibe hat nur die ersten acht Schuljahre absolviert, jede fünfte Personist süchtig, ein Drittel sind Roma.

ASPHALT, HANNOVER

Corona in Gefängnissen

Ob Italien, die USA, Peru, Indonesien oder der Iran – in vielen Ländern kommt es seit Ausbruch der Corona-Krise zu Gefängnisaufständen. Sie sind eine Reaktion auf den mangelnden Schutz und die verschlechterten Haftbedingungen, die wiederum auf schärfere Quarantäne-Bestimmungen zurückzuführen sind. Bereits gibt es Studien, die zeigen, dass sich das Virus in ge schlossenen Institutionen wie Heimen oder Gefängnissen schneller ausbreitet. Um dies zu vermeiden, werden die Besuchszeiten reguliert oder sogar ganz ausgesetzt, sodass möglichst wenig Personen in den Gefängnissen ein und aus gehen. Auch Freizeitprogramme sowie generell der soziale Austausch unter Häftlingen wurden reduziert. Dadurch wächst der Stress unter den Gefangenen, auch die Gewaltbereit schaft nimmt zu.

Das letzte Glied der Kette

Er war achtzehn Jahre alt und arbeitete in einer Schuhfabrik. Die 230 Franken, die er umgerechnet pro Monat verdiente, reichten hinten und vorne nicht. Also reiste er im letzten September von Albanien in die Schweiz, um mit dem Drogenhandel schnelles Geld zu machen. So konnte er vielleicht auch seine krebskranke Mutter unterstützen, die eine Operation brauchte. Der Vater ist schon länger tot.

Doch gerade mal dreizehn Tage nach seiner Einreise in die Schweiz wurde der junge Mann verhaftet. Und nach drei Monaten in Untersuchungshaft wieder ausgeschafft – weshalb seine Gerichtsverhandlung ohne ihn stattfand.

Seine Geschichte teilt der Schuhfabrik arbeiter mit vielen jungen, ebenso armen Männern aus seiner Heimat. Sie wurde auch in dieser Kolumne schon erzählt: Der Heroinhandel in der Schweiz ist seit mehreren Jahren fast vollständig in albanischer Hand. Der Wettbewerbsvorteil liegt zum einen in der kartellartigen Organisation. Die unterste Hierarchiestufe, eben die Strassenhändler, wissen so gut wie nichts über die oberen. Zum anderen in die Verfügbarkeit Tausender perspektivenloser junger Männer wie des Angeklagten.

Die zuständige Staatsanwältin sagt in ihrem kaum fünfminütigen Plädoyer, der Beschuldigte sei im ganzen Verfahren überaus kooperativ gewesen. Nicht nur habe er ohne Umschweife zugegeben, in verschiedenen Zürcher Vorortgemeinden auf der Strasse Heroin verkauft zu haben. Durch seine Aussagen hätten die Behörden für einmal einen grösseren Fisch identifizieren und eine erhebliche Menge des Stoffs sicherstellen können. Viel Gnade lässt sie trotzdem nicht walten. Sie beantragt eine Freiheitsstrafe von sechzehn Monaten bedingt. Zudem einen Landesverweis von sieben Jahren und die Ausschreibung der Verweisung im Schengener Informationssystem. Das bedeutet de facto ein Einreiseverbot in den gesamten Schengen-Raum – für einen jungen Menschen aus dieser Region Europas ist diese Massnahme besonders harsch: Sie verhindert jede Arbeitsmigration.

Deshalb, so die Pflichtverteidigerin, sei von einem Eintrag ins Schengener Informationssystem abzusehen. Schliesslich sei der Mann auch nicht vorbestraft. Man solle ihm doch nicht auf Vorrat die Chancen auf ein besseres Leben verbauen. Es sei der falsche Fall, um ein Exempel zu statuieren. Beim Beschuldigten handle es sich um das letzte Glied der Kette. Mit einer bedingten Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten und einer Landesverweisung von fünf Jahren, meint die Verteidigerin, sei es auch getan.

Dieser Auffassung ist auch das Gericht. Angesichts des vollumfänglichen Geständ nisses und der Kooperation sei eine bedingte Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten angemessen. BeimcLandesverweis erwähnen die Richter eine Praxisänderung. Der Drogenhandel ist seit der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative eine sogenannte Katalogtat. Bei Strafen im untersten Rahmen wie der vorliegenden sei die Dauer der Verweisung von generell sieben auf fünf Jahre herabge setzt worden. Zu weiteren Bemerkungen gebe der Fall keinen Anlass. Damit ist ein weiterer Routinefall ad acta gelegt.

YVONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin in Zürich.

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