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Thema III

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Versuchsaufbau

Versuchsaufbau

Im Rausch

Drogenpolitik ist ein hochemotionales Thema. Dro- gen machen uns Angst – nicht ohne Grund. Aber Rausch ist auch ein menschliches Bedürfnis, ein fester Bestandteil von Übergangsritualen und sozialen Feierlichkeiten. Erwiesen ist auch – sei es auf nationaler oder internationaler Ebene: Ver- bote bringen nichts. Durch Prohibition wurden weder der Konsum noch der Handel von verbotenen Betäubungsmitteln vermindert.

Laut einem Bericht des Bundesrates von April 2021 hat ein Drittel der Schweizer Bevölkerung schon mindestens einmal Cannabis probiert, gut 200 000 konsumieren regelmässig. Nur 8 Pro- zent der Bevölkerung haben Erfahrung mit einem anderen verbotenen Betäubungsmittel. Der Heroinkonsum ist auf tiefem Niveau stabil, und es gibt keine Anzeichen, dass die in den USA grassierende Opioid-Epidemie auf die Schweiz überschwappen könnte. Der Kokainkonsum ist steigend, während sogenannte neue psychoaktive Substanzen (NPS) in der Schweiz bislang wenig verbreitet sind. Substanzen wie Cannabis, MDMA und Kokain werden – auch in Verbindung mit Alkohol – vor allem als Freizeitvergnügen konsumiert.

Die grosse Mehrheit der Erwachsenen in der Schweiz tut dies auf risikoarme Art und Weise, das heisst, sie haben genügend Kontrolle darüber. Diese Menschen werden derzeit durch das Betäubungsmittelgesetz pathologisiert und kriminalisiert, mit teilweise weitreichenden Folgen. Offenbar stimmt unsere Gesetzeslage mit der Realität, in der wir leben, nicht mehr ausreichend überein. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsum im Strassenverkehr, die kaum sachlich zu rechtfertigen ist. Auch könnten wir durch eine weitgehende Entkrimi- na lisierung sowie Teststationen oder gar eine kon- trollierte Abgabe rauscherzeugender Substanzen der problematischen Qualität der auf dem Schwarzmarkt gehandelten Drogen entgegenwirken. Zudem würde die Medizin von der erleichterten Forschung und dem Einsatz derzeit noch verbotener Betäubungsmittel profitieren.

Ganz anders verhält es sich beim Schutz von Ju- gendlichen: Regelmässiger Substanzkonsum kann sich negativ auf deren Entwicklung auswirken. Durch die hohe Tabuisierung des Themas wird allerdings zu wenig offen darüber gesprochen. Hier bedarf es einer wirksamen, substanzübergreifen- den Präventionsarbeit und eines sinnvollen Jugendschutzes.

Wie könnte ein sinnvoller politischer Umgang mit psychoaktiven Substanzen aussehen, der sowohl den besonderen Schutzbedarf von Jugendlichen als auch erwachsenen Freizeitkonsum berücksichtigt?

Lavinia: (atmet hörbar aus) Hernâni: Ich bin für ultraliberale Drogenpolitik. Das Betäubungsmittelgesetz würde ich weitestgehend aufheben. Wichtig ist, dass man Informationen dazu hat, was man genau zu sich nimmt. Ich habe selbst vor allem in meiner Jugend einige Drogenexperimente mit ethnobotanischen Substanzen gemacht – wie zum Beispiel mit Pilzen. Genügend informiert wird hierzu im Jugendbereich nicht. Da nehmen Jugendliche zum Beispiel Engelstrompeten. Da ist Scopolamin drin – das geht auch aufs Herz-Nerven-System. Das kann so weit führen, dass man nicht mehr weiss, wie man heisst. Oder Atropin, Belladonna, was in Tollkirschen vorkommt, schlägt ebenfalls aufs Herz-Nerven-System. Das muss man wissen. Ich habe mich mit meinen Freunden immer umfassend informiert, was passiert denn da und was nicht. Gewisse Dinge wie Engelstrompeten oder Tollkirschen habe ich deswegen auch nie ausprobiert, weil die Gefahr da sehr hoch ist. Es braucht vor allem Informationen an Schulen direkt, weil die Kinder und Jugendlichen nehmen das sowieso, und dann geht es eben schief bis hin zur Intensivstation. Bei Cannabis ist es sowieso ein Witz: Das machen ja so viele Leute. Rechtliche Normen sollten ja so sein, dass sie die Gesellschaft auch abbilden. Wenn so viele Leute Abweichler sind, also quasi Kriminelle, dann ist das – und ich sage das jetzt so – Bullshit. Marina: (lacht laut) Hernâni: Und der sogenannte «war on drugs» ist ja gescheitert. Heute geht alles wieder in die andere Richtung. Zahlreiche Bundesstaaten in den USA haben LSD, Psilocybin und solche Stoffe wieder legalisiert. Bei Kokain und Heroin kann man sicher kritischer sein, dass man das

«Mit mehr Informationen und Kontrolle über die Inhalte der Substanzen würden die Konsument*innen sicherer. Auch in Bezug auf die Steuern könnte es sich lohnen. »

HERNÂNI MARQUES

irgendwo kontrolliert holen kann, damit man weiss, was man einnimmt. Das wäre sicher auch besser, als wenn man das gestreckt auf dem Schwarzmarkt kauft. Für mich wäre das nun wiederum nichts, weil ich sehr schnell abhängig werden würde. Aber es gibt Drogen, die können einem etwas bringen, neue Einsichten, man sollte einfach sehr bewusst damit umgehen. Man sollte vielleicht auch nicht gerade schizophren sein. LSD und Pilze werden auch in Therapien eingesetzt, um Depressionen zu bekämpfen und Ängste zu überwinden. Ich finde das sinnvoll. Ich denke, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, das Betäubungsmittelgesetz total zu revidieren. Habe ich jetzt gerade eine politische Rede gehalten? Maurice: Ja, schon ein bisschen (lacht). Lucia: Ich muss zu diesem Thema sagen: Mir ist das persönlich fremd, weil ich gar keine Drogen konsumiere. Ich habe Erfahrungen mit Medikamenten, aber nicht im Sinne von Drogen. Darum ist das für mich weit weg und sehr abstrakt. Ich mache mir da Sorgen um Leute, die denken: Ich kann ja jetzt mal Pilze probieren, weil das ja legal ist, und dann haben sie ein lebenslanges Problem. Hernâni: Deshalb Informationen. Lucia: Es gibt natürlich auch Leute, die dann sagen: Geil, mache ich! Und sich dazu überhaupt nicht informieren. Ich habe mich auch nie informiert und bisher wenig Interesse dafür aufgewendet. Hernâni: In Klubs wirft man sich einfach Sachen ein, ohne zu wissen, was genau drinsteckt. Mit mehr Informationen und Kontrolle über die Inhalte der Substanzen würden die Konsument*innen sicherer. Auch in Bezug auf die Steuern könnte es sich lohnen: Der Staat könnte ja analog zur Tabak- und Alkoholsteuer etwas verdienen – ja, also ich sehe eigentlich nur Vorteile. Maurice: (lacht) Lavinia: (atmet noch einmal tief aus) Marina: Lavinia, los, sag, was du sagen willst. Lavinia: Das Thema ist nahe bei mir. Ich habe seit drei Jahren eine sehr extreme Erfahrung mit Jugendlichen in dieser Richtung. Und ich bin, wie bei allem, auch für Entkriminalisierung, aufmachen, informieren, Präventionsarbeit. Aber das Problem ist, wie beim Klima: Wir sind schon zu weit gegangen. Und du, Hernâni, redest einfach als informierter, intelligenter, erwachsener Mann. Marina: Und als Konsument. Lavinia: Ich habe auch selbst experimentiert. Alles bewusst und unter Kontrolle. Auch mit einer Portion Glück. Heute sind es aber 12-Jährige, die bei den Eltern im Apothekerschrank Xanax, Antidepressiva, Schlafmittel und so weiter finden und reinschmeissen. Und damit dealen. Kommt dazu, dass sie Gangsta-Rap, überhaupt Rap, und alles was dazugehört, Kleidung, Musik, Videos kopieren und konsumieren – mit 12 Jahren sehen sie so einen Star-Gangsta-Typ, der sagt: Waffen, Frauen, Drogen – Hernâni: Ja, da bin ich auch nicht so der Fan. Lavinia: Und was für Drogen! Drogen, die im Haushalt sind! Und dann nehmen sie diese, machen Party, einer stirbt dabei. Im Freundeskreis von meinem Sohn schon vier mittlerweile. Hernâni: Ui. Lucia: Gestorben? Lavinia: Ja. Nicht mehr aufgewacht. Sie sagen, «ja, Lavinia, wir haben es im Griff». Ich habe sie ja konfrontiert. Ich bin vom Beruf her im Präventionsbereich tätig. Ich habe sie konfrontiert, ich habe versucht, sie abzuholen und so weiter und so fort, und sie sagen, «wir haben es im Griff». Was heisst das? «Wir nehmen nur vier Xanax.» Lucia: Was ist Xanax? Lavinia: Ein Antidepressivum, Pillen, farbige Bonbons. Die sehen super aus, sind nicht so schwierig zum Einnehmen. Und dazu nehmen sie Hustensirup mit Sprite gemischt, das heisst Lean. Hernâni: Oh mein Gott. Lavinia: Da ist Codein drin, das ist ein Opiatersatz, von wegen Amerika, das ist hier in der Schweiz! Es ist sogar ein Psychiater verurteilt worden, weil er das Zeugs verkauft hat, also bestellt und verteilt hat. Auf dem Schwarzmarkt. 14-Jährige kommen jetzt ins Darknet, bestellen dieses Zeugs und verkaufen es. Und die Behörden sind überfordert. Hernâni: (zustimmender Laut) Lavinia: Es ist ein schreckliches, grosses Problem, in Baselland riesig. Viele, die eben nicht informiert und nicht in Kreisen sind, wo man intelligent über Dinge redet, die sind irgendwo unterwegs – und schmeissen das Zeugs. Und wenn du sie fragst: Wisst ihr, wie gefährlich und eigentlich unschön das ist? «Ja, aber macht ja nix.» Aber ihr könnt daran sterben! Der Freund vor drei Wochen – tot! Mit 16. Der ist nicht mehr aufgewacht. «Ja, macht nichts, ähm, dann habe ich ein letztes Mal einen lustigen Abend gehabt.» Marina: (atmet tief ein) Hernâni: Ja. Lavinia: Das nenne ich Depression. (zustimmende Laute von mehreren) Lavinia: Sie wollen nicht mehr aktiv was erleben und an Grenzen kommen, wie beim Klettern oder Parkour, sondern konsumieren, konsumieren, konsumieren. Und in diesem

Marina Bräm, 41, studierte Graphic Design, Scientific- und Knowledge Visualization und wirkte jahrelang im Journalismus. Als Inhaberin ihrer Firma vermittelt sie heute Fakten auf anschauliche Weise und unterrichtet an mehreren Hochschulen. Lebt in Chur.

Hernâni Marques, 37, ist Pressesprecher des Chaos Computer Club Schweiz, einer zivilgesellschaftlichen Hackerorganisation, die sich mit Chancen und Gefahren der Digitalisierung beschäftigt. Beruflich ist er im Bereich der Kryptografie, also Ende-zu-Ende- Verschlüsselung, tätig. Lebt in Fribourg.

Alter willst du ja auch cool sein. Du willst in der Peergroup eine Rolle spielen. «Oh wow, der dealt mit dem Zeug!» Hernâni: Was Illegales machen. Lavinia: Mit 15 kommen sie ins Gefängnis. Ich habe das als Mutter erfahren. In der Schweiz kommst du mit 15 ins Gefängnis, wenn du konsumiert und gedealt hast. Hernâni: Ok. Lavinia: Und dann kommst du in Heime und so weiter, und wenn es nicht geht, wechselst du. Junge Menschen brauchen heutzutage wirklich eine starke Hand plus eine klare Richtung, damit sie sich identifizieren können. Und lernen, zu ihrem Charakter zu kommen und stark zu werden. Ich sehe da ganz traurige Geschichten. Puh. Im Quartier. Ein Bünzli-Quartier übrigens. Lucia: Was heisst das jetzt unter dem Strich? Prohibition oder Legalisierung? Lavinia: Legalisierung (lacht). Trotzdem. Legalisieren, aber klar mit Altersgrenzen – wie mit dem Alkohol und so weiter. Alkohol ist immer noch das grösste Problem. Lucia: Ok. Was denkt ihr dazu? Markus: Ich kenne mich nicht so aus aufgrund von persönlichen Erfahrungen. Ich habe auch miterlebt in meiner Jugend, wie jemand durch Cannabis auf die schiefe Bahn kam und sein Potenzial verwirkt hat. Weil er keine Motivation mehr hatte und bis heute strauchelt. Und das war ganz ein cleverer Kerl, das war schade. Dann auch mit Heroin. Das war auch ein Riesendrama für die Person und das ganze Umfeld. Wenn man das irgendwie verhindern kann – aber wie, weiss ich nicht. Ein Verbot hat sicher den Nachteil, dass auch verunreinigtes Zeug auf den Markt kommt. Wenn man es legalisiert, hat man das nicht, es ist viel besser kontrolliert. Hernâni: Also in Zürich (sowie auch an anderen Stellen der Schweiz, Anm. d. Red.) wird Heroin kontrolliert abgegeben. Markus: Andererseits hätte Kokain mich auch interessiert. Wenn es das in der Apotheke geben würde, hätte ich das wohl mal gekauft. Aber ich würde nie irgendwo zu einem Dealer gehen und etwas kaufen, das vielleicht verunreinigt ist. Von dem her – Lavinia: Auch Gras ist heutzutage sehr gefährlich, es ist x-mal stärker und gestreckt mit Scherben und solchen Dingen. Das ist nicht mehr deine Pflanze rauchen. Hernâni: Und an Heroin klebt ja auch Blut, wenn es über den Schwarzmarkt hierherkommt. Das könnte man auch geordnet über Handelskanäle machen. Lavinia: Das Wort Konsum ist wichtig, egal, welche Sucht. Die Menge macht das Gift, oder wie das heisst. Darum geht es ja. Und um Haltung. Es geht darum zu wissen, was auf dieser Welt läuft, was aktuell ist, auch im Quartier, und drüber zu reden und Menschen zu begleiten. Und nicht Sachen zu verbieten oder zu bestrafen, sondern zu versuchen, dass der Mensch proaktiv wird für sich selbst. Dass er an Selbstvertrauen und Selbstwert gewinnt und weiss, was er macht. Viele Menschen sind heute so ausgeliefert. Viele Jugendliche tun mir leid – auch wenn es ganz viele top junge Menschen gibt. Hernâni: Mir ist absolut bewusst, was du da sagst – Engelstrompeten zum Beispiel würde ich nie nehmen. Weil

«Junge Menschen brauchen heutzutage eine starke Hand plus eine klare Richtung, damit sie lernen, zu ihrem Charakter zu kommen und stark zu werden.»

LAVINIA BESUCHET

der Wirkstoffgehalt viel zu stark variiert in der Natur. Aber es gibt Fälle, wo Jugendliche auf YouTube darüber auch noch so grosskotzig gepostet haben. Wenn man an den Schulen rechtzeitig sagen würde: Leute, Finger weg von dieser Pflanze oder, wenn ihr es nehmt, dann wirklich ganz wenig und zwei Stunden warten, dann wäre das Risiko schon um ein Vielfaches minimiert. So landen die Kinder irgendwo auf der Intensivstation und wissen nicht mehr, wie sie heissen, wenn sie aufwachen. Lavinia: Es geht darum, den anderen zu zeigen, dass ich wer bin – und das ist gefährlich. Hernâni: Ja! Lavinia: Ich denke, wir Erwachsenen müssen mutig sein und im Gespräch bleiben. Wie oft haben sie mich doof gefunden, klar! Sonst machen sie einfach, was sie wollen, und sie bekommen nicht einmal einen Spiegel und ein Feedback von uns Erwachsenen, von uns. Lucia: Darf ich mal unterbrechen? Mich würde mal interessieren, was ihr anderen denkt. Ihr sitzt hier ja auch mit am Tisch. Also ich habe mich zum Beispiel als Outsiderin geoutet. Marina: Ja. Ich persönlich bin auch Outsiderin in Sachen Drogen. Sehr früh habe ich mich eigentlich entschieden, dass das nicht in meinen Lebenslauf gehören soll. Marihuana habe ich im frühen Erwachsenenalter ausprobiert, aber absolut nicht vertragen – von Herzrasen bis zu Schwindel und Ohnmacht bei kleinsten Mengen und ohne Kombination von Alkohol. Da hat mein Körper bereits rebelliert und das Thema war somit für mich persönlich erledigt. Hernâni: Vernünftig. Marina: Dadurch war das für mich relativ einfach. Das Ding ist, weil ich relativ früh mit Musik und Bands angefangen hatte, war ich in einer Kultur und Szene unterwegs und bin es immer noch, wo das immer ein Thema ist. Es ist schon schwierig, vor allem wenn man noch jünger ist, da die Uncoole zu spielen und zu sagen: Kokain interessiert mich nicht. Es ging auch so weit, dass ich mich sehr ärgerte beim Konsum von Freunden. Lavinia: (lacht) Sehr schön.

Marina: Ich hatte von früh auf eine alternative Umgebung aus Künstler*innen und Musik*innen. Einige sind auf Heroin abgestürzt. Hernâni: Ui. Marina: Tragisch! Viele Ressourcen, die dadurch kaputtgingen. Und dann habe ich aber auch einen Teil im Bekanntenkreis, der gut damit unterwegs ist. Den Mehrwert verstehe ich allerdings auch da nicht. Also was soll ich sagen? Für mich war es immer klar, dass Drogen bei mir nichts verloren haben. Ich kenne relativ viele Leute, die das kontrolliert nehmen, so wie du, Hernâni. Für mich war sicherlich auch die Prävention an der Schule sehr zentral, auch wenn das jetzt spiessig klingt. Hernâni: Aber du hattest Drogenaufklärung an der Schule? Marina: Ja. Und das hat mich auch sehr beschäftigt und kam sehr nah an mich ran. Zum Beispiel das Buch und der Film «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo», damals mit 13. Dann, als ich nach Zürich an die Kunsti wollte, hiess es im Rheintal, du musst aufpassen, wenn du mit 15 nach Zürich gehst. Ich hatte sicherlich viel Respekt. Lucia: Also für mich finde ich es jetzt noch schwierig zu beurteilen, wofür ich mich entscheiden sollte: Verbot oder Legalisierung? Marina: Schwierig. Maurice: Aber das ist, finde ich, eigentlich gar nicht das Thema. Lucia: Aber das ist doch die Kernfrage? Maurice: Ob sie damit umgehen können oder nicht, ist nicht das Thema. Marina: Es gibt leider auch die Schattenseiten. Maurice: Ja, es gibt die Schattenseiten. Das ist ein grosses Ding. Ich musste auch schon einen Kollegen von mir einweisen, weil er eben Schizophrenie hatte und Drogen genommen hat. Ich selber habe noch nie was genommen. Ich trinke vielleicht drei, vier Mal im Jahr und sonst nichts. Ich kenne das auch: Du bist uncool. Am Anfang sagen sie: Trink doch was, trink doch was, trink doch was, und irgendwann wissen sie, der trinkt halt nichts. Aber grundsätzlich meine ich auch: Mit der Legalisierung kann man es besser kontrollieren als jetzt, wo es verboten ist. Und die Kontrolle braucht es. Sowie Aufklärung. Marina: Wie hast du dich entschieden, nie Drogen zu nehmen, Lucia? Lucia: In meiner Familie, in meinem Umfeld war das kein Thema. Erst im Gymi und dann an der Uni hatte ich Freunde, bei denen das vorkam. Das ist die Sozialisierung, die gemacht hat, dass ich nicht mit Drogen in Kontakt kam. Hernâni: Aber es gibt auch Ritalinmissbrauch an Unis. Lavinia: Und Medikamente. Lucia: Ich hatte auch Angst. Lavinia: Ist ja auch gefährlich. Hernâni: Gerade bei halluzinogenen Substanzen, wenn du da in einem Panikmodus reingehst, wirst du einen katastrophalen Trip erleben. Dann sollte man so etwas nicht nehmen. Aber das muss man eben auch erzählen. Es kann nicht sein, dass man an eine Party geht und dann etwas angeboten bekommt, etwa so wie: «Willst du noch ein paar Pilze»? Lucia: Gibt es einen Staat auf der Welt, der alles einfach legalisiert hat? Hernâni: Portugal hat komplett entkriminalisiert. Und Tschechien – Lucia: Und wie funktioniert das da? Hernâni: Sie arbeiten sehr viel mit Information. Lucia: Und hat es weniger Tote, weniger Abhängige? Hernâni: Ja. Lucia: Wie lange ist das schon so? Hernâni: So ein Jahr, zwei, glaube ich. Lucia: Also noch relativ frisch. Hernâni: Aber Holland ist ja so ein Beispiel: Da laufen auch nicht alle bekifft herum, nur weil es legal ist. Marina: Das stimmt. Hernâni: Wir sitzen ja auch nicht betrunken hier, nur weil man Alkohol kaufen kann. Und Alkohol ist ja wohl das grösste Problem: Alkohol, Psychose, Gewalt. Aber auch Koks: Es gibt Leute, die werden auf Koks zu den grössten Arschlöchern überhaupt, weil sie einfach das Gefühl haben, sie seien jetzt Gott. Das ist einfach eine Scheissdroge. Lavinia: Ich habe eine Frage an die Runde. Wenn man etwas entkriminalisiert oder legalisiert und dann merkt – und ich sage einmal mehr: wegen der Social Media und

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«Für mich war immer klar, dass Drogen bei mir nichts verloren haben. Für mich war sicherlich die Prävention an der Schule sehr zentral.»

MARINA BRÄM

Natels und Internet –, dass wir nicht mehr an die jungen Menschen herankommen. Hernâni: Das Bundesamt für Gesundheit soll Werbung machen. Lavinia: Mein Sohn ist übers Internet mit fremden Dealern in Kontakt gekommen. Die spüren die Grenzen und die Gefahr nicht mehr. So kannst du einen jungen Menschen nicht mehr begleiten. Ich habe wirklich alles probiert, und nicht nur alleine. Auch mit Profis. Marina: Hat sonst noch jemand Kinder hier? Markus: Ich habe einen Sohn, der ist jetzt zwölf. Ich glaube zu wissen, das dies bei uns noch überhaupt kein Thema ist. Ich hoffe, das bleibt noch lange so. Wenn die Peergroup damit anfängt, dann wird es als Eltern ganz schwierig. Hernâni: Aber du solltest jetzt schon mal mit ihm sprechen. Tabuisierung bringt nichts. Lucia: Also kann man sagen, ein Konsens ist: Informationen hochfahren. Hernâni: Absolut. Und das BAG müsste unterstützen. Lucia: Aber bei der Legalisierung würde ich jetzt nicht sagen, alles einfach erlauben. Da würde ich sagen, es braucht Zeit und es braucht irgendwie Kontrolle. Hernâni: Wenn man es bei einer staatlichen Stelle holen kann oder in einem Laden, so dass man weiss, was drin ist. So mit einem Siegel, auf dem steht, so-und-so-viel Wirkstoff ist darin. Zigaretten kaufst du ja auch nicht auf der Strasse. Lucia: Gibt es einen Schwarzmarkt für Zigaretten? Hernâni: Es gibt einen Schwarzmarkt für Zigaretten dort, wo die Preise zu hoch werden. Solange die einigermassen moderat sind, gehst du nicht in die Langstrasse und suchst einen Dealer für Tabak. Lucia: Aber wenn es erlaubt ist und der Staat trägt das mit, ist es vielleicht auch eine Motivation? «Komm, wir probieren mal Pilze.» Auch für Leute, für die es sonst nicht infrage gekommen wäre? Hernâni: Ja, du musst klare Warnhinweise anbringen. Markus: Und Medikamente, würdet ihr die auch legalisieren? Lavinia: Nein! Auf Rezept. Hernâni: So wie jetzt. Markus: Ritalin wäre dann also nicht erlaubt, beziehungsweise auf Rezept, weil es ein Medikament ist. Aber Koks oder Gras könnte man dann einfach holen auf der Apotheke? Hernâni: Vielleicht müsste man ein Registrierungssystem einführen. Markus: Oder alles auf Rezept, und der Arzt klärt einen auf. Hernâni: Genau. Also ich habe auch einmal an einem Experiment mit Psilocybin teilgenommen, das habe ich mal kontrolliert an der Psychiatrischen Universitätsklinik eingenommen. Da haben sie vorher Tests mit mir gemacht, ob ich Stimmen höre oder Dinge sehe, die andere nicht sehen. Das war eigentlich cool: Ich habe ein komplettes Bild von mir bekommen, bei dem sie am Schluss gesagt haben, ok, du bist zugelassen. Vielleicht könnte man auch so noch ein wenig arbeiten. Derzeit wird ja einfach alles schwarz eingenommen. Maurice: Aber eine komplette Legalisierung von heute auf morgen, bei der wir sagen: Jetzt ist alles legal, viel Spass, wir informieren euch dann noch, geht nicht. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Es geht um einen Grundsatzentscheid. Und der müsste heissen: Wir legalisieren. Und dann müsste eine Strategie entwickelt werden. Die Auf-

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klärung muss als Erstes starten: Wie kann man die Informationen in die Schulen bringen? Und was wird wie legalisiert: über ärztliche Abgabe oder wird man es einfach so im Laden kaufen können? Lucia: Und Medikamente und neue Substanzen, die so subkulturmässig mega trendy sind, da ist der Staat eigentlich immer zehn Jahre hinterher. Hernâni: Das ist wirklich schon ein Problem, teilweise werden diese neuen chemischen Substanzen vom Betäubungsmittelgesetz nicht erfasst. Der Staat hinkt hinterher, und man weiss eigentlich gar nicht, was die Auswirkungen von diesem Zeug sind. Maurice: Das Problem sehe ich nicht so. Entscheidend ist doch die Motivation. Wenn du noch nie eine Droge genommen hast, wirst du nicht zuerst eine Designdroge nehmen. Du wirst etwas nehmen, was legal ist, und mit dem anfangen. Ich denke, der Markt von Designdrogen würde kleiner, wenn viele andere legalisiert sind. Schliesslich sind das auch Produkte, die du vermarkten musst, was viel schwieriger ist, wenn vieles bereits legal ist. Hernâni: Derzeit haben wir vor allem keine Kontrolle, obwohl ein Drittel der Polizeiarbeit im Überwachungsbereich damit beschäftigt ist, gegen Drogen anzugehen. Ein uferloses Unterfangen. Man müsste es komplett umdrehen und mit dem Geld massiv Informationskampagnen fahren. Lavinia: Also ich bin dafür, dass man schlimme Musikmoden zensuriert. (alle lachen) Lavinia: Wenn mein 12-jähriges Kind einen Raptext hört und es geht nur um Geld, Macht, Waffen und Frauen – da drehe ich durch als Mutter, die ich meinen Kindern zeigen will, wie schön eigentlich vieles ist. Ohne naiv zu sein. Hernâni: Du könntest ihnen die Goa-Welt näherbringen. Maurice, Hernâni, Lucia: (lachen) Maurice: Es gibt im Fall auch gute Rapper, die nicht solche Texte haben. Da müsstest du dich informieren. Lavinia: Habe ich alles gemacht. Ich bin ja auch DJane. Ich habe ihnen Texte gegeben, von denen ich fand: Schaut mal, das ist ein guter Text. Aber nein: «Wir hören nur den und den und den.» Das ist wie ein Sog mit der Mode, mit der Haltung, mit den Kollegen. Und sie geben voreinander an, wie sie so-und-so-viele Tabletten genommen haben, posten die entsprechenden Bilder von sich online – nein! Marina: Das ist schon krass. Lavinia: Wir Erwachsenen haben mehr Erfahrung – und dann finde ich, sollten wir gewisse Sachen auch verbieten. Hernâni: Aber meinst du jetzt, Medikamente oder Musik? Lavinia: Videos. Das sind doch auch Fragen der Ethik, da fängt es doch an! Maurice: Ja, schon, aber auch da geht es grundsätzlich um die Frage der Bildung, Aufklärung, Ressourcen – Lavinia: Aber das funktioniert eben nicht immer. Maurice: – und Geld. Lavinia: Der Kampf ist zu gross. Je nachdem, in welchem Heim oder in welcher Schule dein Kind mit welchen Kollegen zusammenkommt, hast du verloren. Egal wie stark und laut du als Mutter bist, irgendwann kannst du nur noch zugucken und leiden. Markus: Aber die Verbote, die bringen in einem solchen Fall eben auch nichts. Lavinia: Nein, du kannst nichts machen! Marina: Sie machen, was sie wollen. Lavinia: Ich habe den Behörden gesagt: «Wisst ihr, was cool gewesen wäre? Ein Kran, der mein Kind aus dem Umfeld heraushebt und es für sechs Monate auf einen Bauernhof oder in die Berge packt. Ohne Natel, tschüss, wir kommen dich dann besuchen in ein paar Monaten, schöne Zeit, ich liebe dich. Punkt.» Alles andere? Strafen, belohnen, strafen, belohnen ... und jedes Mal, wenn sie wieder Freiheit haben, machen sie wieder Mist, weil sie nichts anderes kennen. Marina: Schwierig. Markus: Ich habe keine starke Meinung. Dass man durch die Legalisierung den ganzen Schwarzmarkt austrocknet, die Polizei von Sisyphusarbeit befreit und diese Ressourcen lieber in Aufklärung und alles, was dazugehört, investiert, klingt für mich schon plausibel. Hernâni: Die Schweiz macht ja auch interessante Experimente im Bereich der Aufklärung, wenn es um das Testen von Substanzen kurz vor dem Konsum im Ausgang geht. Man hat sich eh schon von einer harten Schiene verabschiedet. Man müsste sich auch von den Sprechtabus verabschieden. Lavinia: Auch die Eltern müssen wissen, was sie für Medikamente zuhause haben. Ein Jugendarbeiter erklärte mir, wie viele Eltern nicht wüssten, dass ihre Schlaftabletten auf dem Schwarzmarkt als Drogen gehandelt werden. Hernâni: Da müssen die Eltern aber auch Verantwortung übernehmen. Maurice: Dann wäre dann also der Konsens: Legalisierung mit Kontrolle und massiver Aufklärung. Hernâni: Der Prozess würde ja so laufen, dass man das Betäubungsmittelgesetz revidiert. Dafür gibt es eine Vernehmlassung, das dauert schon einmal mindestens ein Jahr oder so. Maurice: Und währenddessen fängt man schon an mit der Kampagne. Hernâni: Die Entkriminalisierung könnte man eigentlich schneller machen. Die läuft eigentlich eh schon, zum Beispiel bei Cannabis, wo der Konsum nicht mehr geahndet wird. Lucia: Ich habe dazu keine Haltung, aber ich fand das jetzt sehr informativ. Ich würde auch zum Entscheiden das Feld anderen überlassen. Ich wüsste bei einer Abstimmung diesbezüglich nicht, wie ich abstimmen sollte. Aber Demokratie ist ja ein Experiment, wie ich schon mal gesagt habe, und grundsätzlich bin ich dafür, dass man das auch mal ausprobiert. Maurice: Die Drogen? (lacht) Lucia: Das Konzept. Nicht die Drogen.

Aufgezeichnet von Sara Winter Sayilir.

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