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Im Rausch Drogenpolitik ist ein hochemotionales Thema. Drogen machen uns Angst – nicht ohne Grund. Aber Rausch ist auch ein menschliches Bedürfnis, ein fester Bestandteil von Übergangsritualen und sozialen Feierlichkeiten. Erwiesen ist auch – sei es auf nationaler oder internationaler Ebene: Verbote bringen nichts. Durch Prohibition wurden weder der Konsum noch der Handel von verbotenen Betäubungsmitteln vermindert. Laut einem Bericht des Bundesrates von April 2021 hat ein Drittel der Schweizer Bevölkerung schon mindestens einmal Cannabis probiert, gut 200 000 konsumieren regelmässig. Nur 8 Prozent der Bevölkerung haben Erfahrung mit einem anderen verbotenen Betäubungsmittel. Der Heroinkonsum ist auf tiefem Niveau stabil, und es gibt keine Anzeichen, dass die in den USA grassierende Opioid-Epidemie auf die Schweiz überschwappen könnte. Der Kokainkonsum ist steigend, während sogenannte neue psychoaktive Substanzen (NPS) in der Schweiz bislang wenig verbreitet sind. Substanzen wie Cannabis, MDMA und Kokain werden – auch in Verbindung mit Alkohol – vor allem als Freizeitvergnügen konsumiert. Die grosse Mehrheit der Erwachsenen in der Schweiz tut dies auf risikoarme Art und Weise, das heisst, sie haben genügend Kontrolle darüber. Diese Menschen werden derzeit durch das Betäu-

bungsmittelgesetz pathologisiert und kriminalisiert, mit teilweise weitreichenden Folgen. Offenbar stimmt unsere Gesetzeslage mit der Realität, in der wir leben, nicht mehr ausreichend überein. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsum im Strassenverkehr, die kaum sachlich zu rechtfertigen ist. Auch könnten wir durch eine weitgehende Entkriminalisierung sowie Teststationen oder gar eine kontrollierte Abgabe rauscherzeugender Substanzen der problematischen Qualität der auf dem Schwarzmarkt gehandelten Drogen entgegenwirken. Zudem würde die Medizin von der erleichterten Forschung und dem Einsatz derzeit noch verbotener Betäubungsmittel profitieren. Ganz anders verhält es sich beim Schutz von Jugendlichen: Regelmässiger Substanzkonsum kann sich negativ auf deren Entwicklung auswirken. Durch die hohe Tabuisierung des Themas wird allerdings zu wenig offen darüber gesprochen. Hier bedarf es einer wirksamen, substanzübergreifenden Präventionsarbeit und eines sinnvollen Jugendschutzes.

Lavinia: (atmet hörbar aus) Hernâni: Ich bin für ultraliberale Drogenpolitik. Das Betäubungsmittelgesetz würde ich weitestgehend aufheben. Wichtig ist, dass man Informationen dazu hat, was man genau zu sich nimmt. Ich habe selbst vor allem in meiner Jugend einige Drogenexperimente mit ethnobotanischen Substanzen gemacht – wie zum Beispiel mit Pilzen. Genügend informiert wird hierzu im Jugendbereich nicht. Da nehmen Jugendliche zum Beispiel Engelstrompeten. Da ist Scopolamin drin – das geht auch aufs Herz-Nerven-System. Das kann so weit führen, dass man nicht mehr weiss, wie man heisst. Oder Atropin, Belladonna, was in Tollkirschen vorkommt, schlägt ebenfalls aufs Herz-Nerven-System. Das muss man wissen. Ich habe mich mit meinen Freunden immer umfassend informiert, was passiert denn da und was nicht. Gewisse Dinge wie Engel-

strompeten oder Tollkirschen habe ich deswegen auch nie ausprobiert, weil die Gefahr da sehr hoch ist. Es braucht vor allem Informationen an Schulen direkt, weil die Kinder und Jugendlichen nehmen das sowieso, und dann geht es eben schief bis hin zur Intensivstation. Bei Cannabis ist es sowieso ein Witz: Das machen ja so viele Leute. Rechtliche Normen sollten ja so sein, dass sie die Gesellschaft auch abbilden. Wenn so viele Leute Abweichler sind, also quasi Kriminelle, dann ist das – und ich sage das jetzt so – Bullshit. Marina: (lacht laut) Hernâni: Und der sogenannte «war on drugs» ist ja gescheitert. Heute geht alles wieder in die andere Richtung. Zahlreiche Bundesstaaten in den USA haben LSD, Psilocybin und solche Stoffe wieder legalisiert. Bei Kokain und Heroin kann man sicher kritischer sein, dass man das

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Wie könnte ein sinnvoller politischer Umgang mit psychoaktiven Substanzen aussehen, der sowohl den besonderen Schutzbedarf von Jugendlichen als auch erwachsenen Freizeitkonsum berücksichtigt?

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