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Die Sozialzahl

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Tour de Suisse

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INFOGRAFIK:

VERFANGEN – HILFEPROZESSE BEI ARMUT, SOZIALHILFE UND SCHULDEN. STUDIE IM AUFTRAG DES SCHWEIZERISCHEN NATIONALFONDS. IM ERSCHEINEN.

Die Sozialzahl

Betreibungsferien für den Steuer- und Sozialstaat

Drei von fünf Personen, die Sozialhilfe beantragen, haben Schulden. Bei jenen, die nicht das erste Mal beim Sozialamt Unterstützung suchen, sind es sogar 68 Prozent. Schaut man sich das Profil der Personen an, die mit Schulden Hilfe beim Sozialdienst suchen, zeigt sich, dass Männer häufiger als Frauen verschuldet sind, Personen aus der Deutschschweiz öfter als jene aus der lateinischen Schweiz und erwerbslose Arme häufiger als Working Poor.

Die meisten Personen haben Schulden beim Steueramt und bei der Krankenversicherung: offene Steuerrechnungen (53 Prozent) oder nicht bezahlte Prämien oder Arztrechnungen bei der Krankenkasse (40 Prozent). Der Steuer- und Sozialstaat ist also mit Abstand der bedeutsamste Gläubiger armutsbetroffener Haushalte.

Schulden, so sollte man meinen, seien also ein wichtiges Thema in der persönlichen Beratung auf den Sozialdiensten. Eine Studie zeigt aber, dass dies selten der Fall ist. Die Sozialarbeitenden haben wenig in der Hand, um armutsbetroffenen und verschuldeten Menschen zu helfen. Der Weg aus Armut und Verschuldung ist vielen verbaut, weil keine Mittel vorhanden sind, die zu einem – wenngleich minimalen – Abbau von Schulden herangezogen werden könnten. Es fehlt ein Restschuldbefreiungsverfahren, wie es die umliegenden Länder längst kennen. Trotzdem lösen sich auch verschuldete Personen von der Sozialhilfe ab, weil sie eine neue Anstellung gefunden haben, die ihnen ein existenzsicherndes Einkommen gewährt. Aber aufgepasst: Auch wer wieder auf eigenen Beinen steht, kann erneut betrieben werden. Dabei gibt es bei den wichtigsten Gläubigern markante Unterschiede. Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS empfiehlt ihren Mitgliedern, zumindest für eine gewisse Zeit auf die Rückerstattung der Sozialhilfe zu verzichten. Anders der Steuerstaat und die Krankenkassen. Sie schicken die Betreibungsbeamt*innen sofort los, um die ausstehenden Schulden einzutreiben. Dass sie damit eine erfolgreiche Ablösung von der Sozialhilfe gefährden, scheint sie nicht zu bekümmern. Doch was denkt sich wohl ein Betrieb, wenn noch in der Probezeit eine Lohnpfändung ins Haus flattert?

In der erwähnten Studie werden darum «Betreibungsferien» nach der Ablösung von der Sozialhilfe gefordert. Diese Art Ferien sind nichts Neues. Artikel 56 des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes SCHKG sieht vor, dass in der Schweiz sieben Tage vor und nach Ostern, während der Weihnachtszeit sowie jährlich vom 15. bis 31. Juli keine Betreibungen vorgenommen werden dürfen. Grosszügig angewendet wurde diese Regelung auch während der Corona-Pandemie. So wäre es auch eine hilfreiche Lösung, jenen Personen und Haushalten, die sich erfolgreich von der Sozialhilfe lösen konnten, Betreibungsferien von einem Jahr zu gewähren; somit hätten sie nach der Bewältigung der Sozialhilfebedürftigkeit ausreichend Zeit, um eine Lösung mit den Gläubigern zu finden, also insbesondere mit dem Steuer- und Sozialstaat.

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Anteil verschuldeter Personen an allen denjenigen, die einen Antrag auf Sozialhilfe stellen.

60.3 % 62.8 % 70.1 %

64.1 % 64.1 %

43.1 % 55.6 % 63.2 % 64.5 %

56.4 % 63.5 % 63.4 %

56.7 %

48.2 % 68.2 %

51.9 %

Gesamt 18-25-Jährige 26-35-Jährige 36-45-Jährige 46-54-Jährige 55-64-Jährige erwerbstätig erwerbslos nicht erwerbstätig Frauen Männer Deutschschweiz Westschweiz Tessin Erstmaliger Antrag Wiederholter Antrag

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