2 minute read

Die Sozialzahl

Next Article
Vor Gericht

Vor Gericht

Von der Hilflosen- zur Betreuungsentschädigung

Die Hilflosenentschädigung (HE) ist eine wenig bekannte Sozialversicherung, die jene erhalten, die bei alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter oder auf persönliche Überwachung angewiesen sind. Die massgeblichen alltäglichen Lebensverrichtungen betreffen sechs Bereiche: Ankleiden und Auskleiden; Aufstehen, Absitzen und Abliegen; Essen; Körperpflege; Verrichten der Notdurft; Fortbewegung. Dazu kommt bei der Invalidenversicherung (IV) die lebenspraktische Begleitung, die eine Verwahrlosung verhindern und den Übertritt in eine Klinik oder in ein Heim vermeiden soll. Hilflosenentschädigungen kennen die Invaliden und die Unfallversicherung (UV) sowie die AHV. Unterschieden wird zwischen schwerer, mittelschwerer und leichter Hilflosigkeit. Erstaunlicherweise differieren die Geldleistungen je nachdem, ob diese im Rahmen der IV, UV oder der AHV gesprochen werden, obwohl auf dieselben rechtlichen Grundlagen Bezug genommen wird. Ältere Menschen erhalten deutlich weniger Geld als beeinträchtigte oder verunfallte Menschen.

Die HE weist einige Besonderheiten auf. Sie stellt eine Geldleistung dar, die sich ausschliesslich am Grad der Hilflosigkeit bemisst und weder Einkommen noch Vermögen berücksichtigt. Diese Geldleistung ist an keine Zweckbestimmung gebunden. Die gesprochenen Mittel können frei verwendet werden, also auch zu einer bescheidenen Abgeltung von Unterstützungsleistungen, die Angehörige erbringen. Sie können aber auch gespart werden. Bevor jemand eine HE bekommt, gilt eine Karenzfrist von einem Jahr, in der dauerhaft eine gesundheitliche Einschränkung und Hilflosigkeit beobachtet werden muss. Zentral ist die Abklärung der Hilflosigkeit durch Fachpersonen. Der Ermessensspielraum, insbesondere bei älteren Personen, ist gross. Die rechtlichen Hürden für den Bezug von HE sind sehr hoch. Gerade bei älteren oder schwer erkrankten Menschen kommt es immer wieder vor, dass die Mittel zu spät fliessen.

Die Frage steht darum im Raum, ob die HE nicht zu einer Entschädigung für Betreuungsleistungen umgestaltet werden sollte. Dafür müssten die Voraussetzungen für den Bezug der Geldleistungen erleichtert und zudem auf psychosoziale Aspekte ausgeweitet werden. Die materielle Unterstützung sollte für alle gleich hoch sein und den tatsächlich notwendigen Aufwendungen angepasst werden. Schliesslich wäre auch die Karenzfrist zu kürzen (mit der Annahme der «AHV 21» wurde diese für ältere Menschen auf ein halbes Jahr reduziert). Auch heikle Fragen wie die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen und eine Zweckbestimmung stehen im Raum. Hier könnten Mittel freigespielt werden für jene, die auf Betreuung angewiesen sind, sich diese aber nicht leisten können. Das sind nicht nur armutsbetroffene Menschen, sondern auch viele, die zur unteren Mittelschicht gezählt werden.

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Monatliche Geldleistungen (in CHF) nach Sozialversicherung und Grad der Hilflosigkeit für Menschen, die daheim leben (Stand 2022)

Unfallversicherung (UV)

Invalidenversicherung (IV)

Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)

This article is from: