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Über das Unfassbare reden

Jahrzehnte, nachdem der italienische Schriftsteller Primo Levi aus Auschwitz gerettet wurde, warf er die Frage auf: «Sind wir, die wir überlebt haben, imstande gewesen, unsere Erfahrung zu verstehen und verständlich zu machen?» Dahinter stehen grundsätzliche Zweifel: Gibt es Grenzen des Verstehens? Hürden des Sagbaren? Sie kommen oft im Angesicht des Unfassbaren auf: einer Krankheit etwa, von Gewalt, Folter und Flucht, dem Tod der Liebsten, einem Krieg oder Erdbeben – dies alles kann ein einzelnes Leben auf lange Zeit unterbrechen und in ein Vorher und ein Nachher zerteilen.

Was liegt dazwischen? Wie können die Erinnerungen an ein früheres Zuhause, ans Vertraute, Sichere und Schöne bewahrt werden, wenn plötzlich alles in Schutt und Asche liegt? Oder umgekehrt: Wie kann Schlimmes, Bedrängendes von früher einem heute noch Sicherheit geben?

Viele, die Unbeschreibliches erlebt haben, beginnen irgendwann darüber zu reden. So auch die in diesem Heft Porträtierten: Uschi Waser, als Jenische entwurzelt und misshandelt, oder die Afghanin Azade, der Gewalt im eigenen Hause entflohen, oder vielleicht irgendwann einmal auch die Überlebenden der jüngsten Erdbeben in der Türkei und in Syrien. Sie, die entfremdet wurden, reden über das Erlebte auch, um sich ihrer selbst wieder gewiss zu werden. Wir alle sind abhängig davon, unsere – gerade schlimmsten – Erfahrungen in eine Geschichte zu betten, die irgendwann hoffentlich wieder zu unserem Leben passt.

Levi übrigens hat sich geweigert, für sich allein Tagebuch über die Schrecken seines Lebens zu schreiben. Nur im Dialog mit anderen könne das Unbegreifliche begriffen werden –und zwar nicht als Erlebnis eines anonymen Opfers, sondern als das eines einzelnen Menschen.

Auf g elesen

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Weiblich und wohnungslos

«Männlich, ungepflegt, Bierflasche und Kippe: dieses Bild geht vielen bei Wohnungslosen durch den Kopf», sagt Ingrid Stoll von der Anlaufstelle für Frauen in Not in Stuttgart. Doch seien auch viele Frauen betroffen, in ganz Deutschland voriges Jahr 78 000. Geraten Frauen in die Wohnungs- oder Obdachlosigkeit, so sind oftmals Gewalterfahrungen im Spiel. «Wenn Frauen sich trennen und kein soziales Netzwerk haben, durch das sie aufgefangen werden, wird es schwierig», sagt Stoll. Während bei den Männern oft Alkohol ein Thema sei, seien es bei Frauen eher Essstörungen oder Medikamente.

Nie wieder fünf Tage

97 Prozent der Menschen, die Erfahrung mit der VierTage-Woche als Arbeitsmodell hatten, wollen nicht mehr fünf Tage die Woche arbeiten. So das Ergebnis einer Studie, für die 500 Berufstätige in den USA, in Irland und Australien befragt wurden. Auch seitens der Arbeitgeber*innen wird das Modell begrüsst: Würden die Leute bloss vier Tage die Woche arbeiten, seien sie konzentrierter und engagierter als sonst.

Steigende Armut in Griechenland

Rund 15 000 Menschen sind im Raum Athen arbeitslos. Auch die Anzahl der Obdachlosen ist in den vergangenen fünf Jahren stark angestiegen. Die Gründe sind höhere Mieten und mehr Arbeitslosigkeit – sie liegt derzeit landesweit bei 15 Prozent, die Zahl der Armutsbetroffenen sogar bei fast 30 Prozent. Da es in Griechenland keine Sozialhilfe gibt, hat die Regierung ein Hilfsprogramm lanciert, das die Unterbringung samt Lebenserhaltungskosten für 24 Monate ermöglichen soll. Die Investition für das Projekt liegt bei 1 Million Euro. Umgerechnet reicht das für gerade mal 56 Personen.

Vermerk: Hochzeitsspende

Sie mussten Hürde um Hürde nehmen, jetzt haben sie es geschafft: Zola und Nyah aus Bern haben geheiratet! Sie, die eigentlich anders heissen und aus Somalia geflüchtet sind, haben ihren Weg zum Zivilstandsamt, sinnbildlich gedacht, schon vor langer Zeit angetreten. Die erste Hürde, die sich ihnen in den Weg stellte: die Sprache. Genauer: die Behördensprache. Wer liebt sie nicht? Selbst wer seit frühester Kindheit Deutsch spricht, stösst bei diesen Formulierungen bald an Grenzen. Zola und Nyah meldeten sich mit den Briefen des Zivilstandsamts, der diplomatischen Vertretung Somalias und des Migrationsdienstes beim Solidaritätsnetz Bern.

Die erste Hürde kaum hinter sich gelassen, tauchte die zweite auf: die Aufenthaltsbewilligung. Am Anfang verfügten Zola und Nyah als abgewiesene Asylsuchende über keine. Erst bekam Zola eine vorläufige Aufnahme, nun auch Nyah.

Die dritte Hürde: der Pass. Somalia hat keine Botschaft in Bern, immerhin in Genf eine UNO-Vertretung –nicht jedes Land hat in der Schweiz eine diplomatische Vertretung. Um nachzuweisen, dass sie nicht verheiratet sind, müssen ausländische Staatsangehörige zudem an eine Ledigkeitsbescheinigung aus dem Geburtsregister kommen.

Damit zur vierten Hürde: dem Geld. Ein Pass kostet 350 Franken, eine Ledigkeitsbescheinigung 150 und das Zivilstandsamt 650. Monatlich bleiben Zola und Nyah, wenn Miete und Krankenkasse bezahlt sind, 700 Franken. Davon hunderte Franken auf die Seite legen? Schwierig, sagte sich das Solidaritätsnetz und machte in den sozialen Medien einen Aufruf, Vermerk: Hochzeitsspende. Nach zwei Wochen waren die 650 Franken auf dem Konto. LEA

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