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Viermal schuldig

Kürzlich verurteilte das Bezirksgericht Zürich vier Banker wegen Sorgfaltspflichtverletzungen im Zusammenhang mit mutmasslichen Kreml-Geldern. Die Reaktionen waren einhellig: Ein «starkes Signal» sei das. Dafür, dass die Schweiz gegen jene vorgeht, die unseren Finanzplatz missbrauchen, und jene, die ihnen dabei helfen. Vielleicht ist es auch ein Signal an alle, die boshaft anmerken würden, die «mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften» – so der Straftatbestand – sei weniger ein Delikt als das Geschäftsmodell der Schweiz.

Geregelt wird diese Sorgfalt in Artikel 305 StGB: Wer berufsmässig fremde Vermögenswerte annimmt und hilft, sie anzulegen oder zu übertragen, muss die Identität des wirtschaftlich Berechtigten sorgfältig abklären. Die Frage nach diesem wirtschaftlich Berechtigten ist im vorliegenden Fall besonders brisant. Denn es geht es um Geldströme aus dem Kreml –also auch um die Identität der Schweiz. Sind wir mit unseren Mühen, den Finanzplatz zu regulieren, weiterhin willige Komplizen von Massenmördern?

Für den Staatsanwalt ist klar: Die vier hochrangigen Banker der Gazprombank Schweiz haben 2014 bei der Eröffnung von zwei Konten rudimentärste Abklärungen unterlassen. Denn der Kontoinhaber war Sergei Rodulgin, ein Studienfreund von Wladimir Putin, der Götti von dessen Tochter, von Beruf Cellist und Dirigent. All das sei der Bank bekannt gewesen – und es sei nicht plausibel zu begründen, wie ein Musiker zu 50 Millionen Franken kommt. Die Bank hatte sich mit der Erklärung zufriedengegeben, er sei ein «private businessman», der mit Beteiligungen an russischen

Unternehmen ehrlich Geld verdient habe. Doch der Staatsanwalt sagt: Rodulgin ist ein Strohmann Putins.

Dass er ein Günstling des Kremls ist, hatten auch die Strafverteidiger der vier Banker eingeräumt. Doch für sie ist dieser Umstand eine plausible Erklärung dafür, dass Rodulgin Zugang zu besonderen Finanzierungsmöglichkeiten gehabt habe. Die Banker hätten keinen Grund gehabt, die Angaben Rodulgins anzuzweifeln.

Nichts da, sagt der zuständige Richter. Glasklar schuldig, alle vier. Aus den Akten ergebe sich, dass selbst die Bank Zweifel hatte – sonst hätte sie die Geschäftsbeziehung nicht in die höchste Risikokategorie eingestuft. Dennoch seien ernsthafte Abklärungen ausgeblieben. Und die Banker hätten bloss die Zeitung lesen müssen: Er sei weder Geschäftsmann noch Millionär, sagte der Musiker im September 2014 der New York Times.

So gut der kollektive Schuldspruch klingt, so zahnlos wirkt er im Lichte der verhängten Sanktionen. Der Staatsanwalt hatte bedingte Freiheitsstrafen beantragt –doch der Richter belässt es bei hohen, bedingten Geldstrafen. Alle vier lassen durch ihre Verteidiger unverzüglich Berufung erklären. Das Urteil ist also noch nicht rechtskräftig – bis es so weit ist, dürfte es noch dauern. Bis dann sind die vier Banker unbescholtene Bürger.

Es brauche Instrumente, die wehtun, wird nach dem CS-Crash rundherum gefordert, um in der Finanzbranche endlich einen Kulturwandel herbeizuführen. Doch diese Schuldsprüche werden die vier Verurteilten kaum schmerzen. So gesehen haben wir nun neben der Symbolpolitik auch eine Signaljustiz.

Verkäufer*innenkolumne

Fünfzehn Jahre

In diesem Monat jährt sich meine Zeit als Surprise-Verkäufer zum fünfzehnten Mal. Anlass genug für ein kleines Resümee.

Zwar ist es mir, als ob er erst gestern gewesen wäre: mein erster Arbeitstag bei Surprise, nicht ohne vorher ein Bier als Mutmacher getrunken zu haben. Aber fünfzehn Jahre sind natürlich eine lange Zeit, in der viel geschehen und in der sich vieles verändern kann.

Zunehmend wird mir während meiner Arbeit von psychischen Problemen, von Depressionen, von langen Klinikaufenthalten erzählt, davon, dass die Anforderungen des Lebens zu gross geworden, der Weg zurück lange und beschwerlich ist, und dass Rückschläge lauern. Und ich wundere mich über die Offenheit und das Vertrauen, das mir die Menschen entgegenbringen.

Relativ neu ist die Frage: Haben Sie Twint? Hmmm, nein, ich habe kein Twint.

Hätten Sie Twint, könnten Sie bestimmt mehr Hefte verkaufen.

Das mag schon sein. Aber ich bin ein Grufti und ich habe vor, ein Grufti zu bleiben.

Grufti, Neandertaler oder auch Ähnliches. Ganz wie es beliebt. Von mir aus. Mir solls recht sein. Ich werde ganz bestimmt nicht böse. Und täte zu meinen Lebzeiten jemals das Bargeld abgeschafft werden: Ich würde das erste Mal in meinem Leben auf der Strasse demonstrieren, um der Sache Nachdruck zu geben mit lauten Parolen wie etwa «Das Eine schliesst das Andere nicht aus.» Ich wäre in dieser Sache bestimmt nicht der Einzige, der demonstriert.

Immerhin ernte ich mit meinen Ausführungen viel Verständnis, Beipflichten und Geschmunzel. Und trotzdem ich so ganz ohne Twint dastehe; Absatzrückgang meiner Hefte ist nicht. Schier alle haben nach wie vor Bargeld dabei. Und nicht selten kommt es vor, dass Bargeldlose, aber Willige, am nahe gelegenen Post- oder Bankomaten Geld abheben, zurückkommen und mir wohlgesinnt ein Heft abkaufen.

Fünfzehn Jahre gehen nicht spurlos an einem vorüber. Auch nicht bei guter Gesundheit. Ich mag nicht mehr so wie einst. Ich kann nicht mehr so oft und so lange stehen, wie es mal der Fall war. Ich werde schneller müde und meine Erholungsphase wird länger. Ebä, es isch nümm so wie aube.

Nicht wenige meiner Kund*innen aus meinen frühen Tagen bei Surprise sind nicht mehr da. Gerne würde ich Namen aufzählen. Aber Namen von Ihnen unbekannten Menschen würden Sie nur langweilen. Ich hingegen sehe sie, die mir vertraut gewesen aber nie mehr vorbeikommen werden, vor meinen Augen, und ich wische mir eine Träne ab.

Wie viel Abschied erträgt ein Mensch?

URS HABEGGER, 67, verkauft Surprise seit 15 Jahren in der Bahnhofunterführung in Rapperswil. Es kommt ihm so vor, als wäre es erst seit gestern. Aber das gelte für alles. Auch für seine Geburt. Aber an die kann er sich nicht erinnern.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.

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