44 | Innovation
handelszeitung | Nr. 27 | 2. Juli 2015
Den Anschluss nicht verpassen Digitaler Reifegrad Die HWZ nimmt die Schweizer Firmen unter die Lupe und ortet grossen Nachholfbedarf.
Studie
Anlaufstelle Center for Digital Business
M
HWZ Die Studie «Digitale Transformation in der Schweiz» entstand im Rahmen einer Master-Thesis an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ). Der Verfasser, Sven Ruoss, ist Leiter des Zertifikatslehrgangs CAS Social Media Management am Center for Digital Business der HWZ. Dieses ist Anlaufstelle für anwendungsorientiertes digitales Wissen. Es betreibt Forschungsprojekte, bietet Studiengänge an und unterstützt KMU mit Beratungs- sowie Projektdienstleistungen. Für die Studie wurden 463 Personen befragt. Davon sind 77 Prozent männlich, 23 Prozent weiblich. 62 Prozent der Teilnehmenden sind im Kader, 33 Prozent haben keine Führungsfunktion und 5 Prozent sind selbstständig tätig.
Denise Weisflog
it der digitalen Transformation steht und fällt die Wettbewerbsfähigkeit. Umso erstaunlicher ist es, dass mehr als die Hälfte aller Schweizer Unternehmen und Organisationen über kein ausreichendes Rüstzeug für die Zukunft verfügen. Dies geht aus einer Studie hervor, die kürzlich von der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) durchgeführt wurde. «Das digitale Know-how fehlt bei vielen Firmen sowohl auf Führungs- als auch auf Mitarbeiter stufe», sagt Studienverfasser Sven Ruoss. Dennoch schreiben 74 Prozent der Befragten der Digitalisierung grosse oder sehr grosse Auswirkungen auf ihren Geschäftszweig zu. In dieser Gruppe ist die Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) überproportional vertreten. Nur jeder Hunderte glaubt, dass der digitale Wandel in den nächsten fünf Jahren keine Auswirkungen auf seinen Bereich haben wird. Als wichtigste Ziele der digitalen Transformation werden Produkt- und Dienstleistungserweiterung und Verbesserung des Kundenerlebnisses genannt. Die Gewinnung der besten Nachwuchskräfte spielt dagegen eine untergeordnete Rolle. Für 52 Prozent der Unternehmen ist oder wird der digitale Wandel bis 2017 erfolgskritisch. Bis 2020 sogar für 73 Prozent.
Digitaler Reifegrad der Schweizer Firmen Digitale Konnektoren 6% Digitale Arbeiter 12%
Konne
Arbeit
Digitale Meister 26%
Peter Frommenwiler
ICT-Branche hierzulande spitze Heute verfügen über 60 Prozent der befragten Firmen über eine formulierte digitale Strategie. Bei 26 Prozent gilt sie für das gesamte Unternehmen. 35 Prozent haben zumindest für einzelne Abteilungen oder Bereiche ein derartiges Papier erstellt. Ein Drittel der Studienteilnehmenden besitzt jedoch keine Digitalstrategie. Interessant sind die branchenspezifischen Unterschiede bezüglich des digitalen Reifegrads der Unternehmen (siehe Grafik rechts). Einzig die ICT-Branche darf sich ganz zum Typus «Digitale Meister» zählen. Sie befindet sich bereits seit mehren Jahren im entsprechenden Wandel und ist einem gewissen Druck zur Digitalisierung unterworfen. Die Branchen Gewerbe, Finanzund Versicherungsdienstleistungen, Erbringung von sonstigen Dienstleistungen, Handel, Erziehung und Unterricht sowie Verwaltung dagegen werden im Schnitt als «Digitale Dinosaurier» klassifiziert.
Im Land der Dinosaurier
Digitale Dinosaurier 56%
Dinos
1972: Erfinder Eduard Vogt testete sein Mückenschutzmittel erstmals auf einer Safari in Afrika – Anti-Brumm reist nun überall mit.
Auffallend ist, dass mittlere Unternehmen mit 50 bis 99 Mitarbeitenden durchschnittlich den höchsten digitalen Reifegrad aufweisen und in die Kategorie der «Digitalen Arbeiter» gehören. Eine Korrelation zwischen Firmengrösse und digitaler Reife lässt sich jedoch nicht feststellen. So erreichen Mikrounternehmen mit bis zu neun Mitarbeitenden einen hohen Wert bei der digitalen operationellen Exzellenz. Dies, weil sie übersichtlich sind und dank einfacher digitaler Technologie ressourcenschonend arbeiten können. Beschäftigen Firmen indes zwischen 10 und 49 Mitarbeitenden, verlieren sie an digitaler Reife. Für diese Unternehmen
dürfte die digitale Transformation schwierig werden, weil sie gleichzeitig in diese investieren und die Kosten-Nutzen-Relation im Auge behalten müssen.
«Wer nicht digital denkt, ist raus» Sämtliche befragten Firmen sehen die grösste Herausforderung des digitalen Wandels in ihrem Betrieb bei den Einschränkungen des IT-Systems und den fehlenden finanziellen Mitteln. Als weitere relevante Hürden werden «fehlendes Know-how bei der Führung», «unklare Rollen und Verantwortlichkeiten» sowie «fehlendes Know-how bei den Mitarbeitenden» genannt.
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Laut den Antwortgebenden stellen «kein Sinn für Dringlichkeit», «Abteilungen/Bereiche implementieren unabhängig in Silos», «fehlende Veränderungs kultur», «unklarer Business Case» sowie «fehlende Vision» dagegen nur eine mittlere Hemmschwelle dar. Dabei sind Unterschiede zwischen KMU und Konzernen feststellbar. Während kleine und mittlere Unternehmen die fehlenden finanziellen Mittel als grösste Herausforderung betrachten und sich stark um das ungenügende Know-how der Mitarbeitenden und den fehlenden Sinn für Dringlichkeit sorgen, kommt bei Konzernen ein sogenanntes Silodenken zum
Maste
Quelle: Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ)
Vorschein. Einzelne Bereiche und Abteilungen stossen zwar digitale Initiativen an, diese sind aber nicht auf das «big picture» des Gesamtunternehmens abgestimmt. Bei Konzernen werden ausserdem das fehlende Wissen auf Führungsebene sowie die fehlende Veränderungskultur als deutlich grössere Herausforderung als bei KMU betrachtet. Die Studie kommt zum Schluss, dass der Grossteil der Schweizer Unternehmen und Organisationen die Reise in die digitale Zukunft rasch starten muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. «Wir sind in der digitalen Realität angekommen. Wer nicht digital denkt, ist raus», sagt Ruoss.