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Der neue CEO

STURMERPROBTER NAVIGATOR

Seit knapp einem Jahr ist Bernhard Aregger CEO von Swiss-Ski. Es war wohl das anspruchsvollste Einstiegsjahr, das je ein Verbandsdirektor erlebte. «Zuerst ein hervorragender Winter, dann ein abruptes Ende», fasst Aregger zusammen, «und schon setzte eine Art Krisenstabs-Mentalität ein.» Das Coronavirus gibt den Takt vor.

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«E s war und ist eine bewegte Zeit – herausfordernd, aber auch spannend», sagt Aregger. Als ob Präsident Urs Lehmann einen 7. Sinn gehabt hätte, fiel die Wahl des Nachfolgers von Markus Wolf auf einen, der nicht besser hätte geeignet sein können als Aregger, Oberst der Schweizer Armee und ehemaliger Polizeichef Einsatz und Planung in Luzern.

Zur rechten Zeit

«Ich bin», so Aregger, «zurückversetzt worden in Prozessabläufe, mit denen ich mich einst beruflich beschäftigte.» Selbst Pandemie-Situationen hätten sie übungshalber durchgespielt. Und fügt ironisch an: «Aber deswegen hätte ich ja nicht zu Swiss-Ski wechseln müssen ...» Als sturmerprobter Navigator ist Aregger zur rechten Zeit am rechten Ort. Aufgedrängt hat er sich nicht und den Wechsel gut überlegt, «zumal mir mein ursprünglicher Job gefiel und ich gerne ZSSV-Präsident war. Die Trennung fiel mir nicht leicht.» Aber der Reiz überwog, im wichtigsten Wintersportverband auf oberster Stufe gestalterisch mitzuwirken und seine Leidenschaft zum Beruf zu machen.

Er war selber Skirennfahrer

Als Junior war er selber Skirennfahrer und gehörte dem Kader der damaligen Interregion an, ehe er mit 18 verletzungshalber aufhörte. Er wechselte zu den Grasskifahrern, kam in die Nationalmannschaft und nahm an einigen Weltmeisterschaften teil (Bestresultat 9. Platz 1995 im Super-G). Danach war er einige Zeit Trainer in der Interregion Ost (u. a. mit dem späteren Weltcup-Fahrer Daniel Züger, der jetzt als Leiter Testprogramm ebenfalls bei Swiss-Ski arbeitet). Auf Funktionärsebene präsidierte Aregger schon in jungen Jahren den Skiclub Romoos, wirkte als Technischer Delegierter FIS Alpin und Grasski, war Renndirektor FIS der Weltcup-Tour Grasski und bis zu seinem Wechsel zu Swiss-Ski während viereinhalb Jahren Präsident des Zentralschweizer Schneesportverbandes (ZSSV).

Engagiert und kompetent

«Beni ist unheimlich engagiert und kompetent», lobt ihn Ex-Weltmeister Franz Heinzer, der als Europacup-Trainer regional und national mit ihm zu tun hat(te). «Er weiss von der untersten Nachwuchsstufe bis hinauf in den Weltcup Bescheid, wie alles funktioniert. Den Skisport kennt er in- und auswendig. Und er verfügt über Führungsqualitäten.» Diese eignete er sich vor allem bei der militärischen Ausbildung an, wo er es bis zum Oberst brachte. Unmittelbar nach seiner Lehre als Elektromonteur begann er als Milizsoldat auch eine militärische Karriere. «Ich begann als Füsilier», sagt Aregger, «dann kam ein Schritt nach dem andern. Irgendwann bin ich Hauptmann und Berufsoffizier geworden. Oberst zu werden, war nie mein Ziel. Es hat sich ergeben.»

Bernhard Aregger ist seit Herbst 2019 CEO von Swiss-Ski und erlebte ein überaus aufregendes erstes Jahr in neuer Funktion.

Gewinnende Ausstrahlung

Auf den ersten Eindruck fällt es schwer, sich den bodenständigen Entlebucher als strammen, zackigen Militaristen vorzustellen. Er wirkt kollegial, nahbar und hat eine gewinnende Ausstrahlung. Nichts von rigidem Hierarchiedenken schimmert da durch. Lediglich bei gewissen Fachausdrücken, wenn er von «Profiling», «partizipativen Ansätzen» oder «Krisenstabs-Mentalität» spricht, spürt man die Verortung seines Vokabulars. Wohl niemandem wäre es eingefallen, beim Anforderungsprofil für den neuen Swiss-SkiCEO Eigenschaften zu verlangen, wie sie jetzt zur Bewältigung einer Pandemie-Problematik gefragt sind. Zu den spektakulärsten Einsätzen Areggers als Krisenmanager gehört wohl das Skandal-Fussballspiel Luzern–Grasshoppers, als nach Zuschauer-Exzessen plötzlich die Polizei auf dem Rasen aufmarschierte. Was den Schluss zulässt: Wer mit Hooligans fertig wird, den kann auch bei Swiss-Ski nichts erschüttern? «Aufgrund der Erfahrung», so Aregger, «geht man ruhiger an die Sache heran. Jene Thematik kann man nicht vergleichen mit meinen jetzigen Aufgaben, doch in den Prozessabläufen sind sie ähnlich.»

Drohender Kollateralschaden

Man müsse lernen, auf kürzere Zeitabläufe zu planen. Und es sei wichtig, sich nicht zu verzetteln und sich auf Bereiche zu konzentrieren, die man beeinflussen könne: «Nach einem schwierigen Frühling konnten wir den Athleten gute Trainingsmöglichkeiten anbieten, den Alpinen im Schnee, den Nordischen auf der Rollskibahn und den Freestylern in CransMontana, wo der Gletscher exklusiv für uns geöffnet wurde.» Besonders anspruchsvoll ist die finanzielle Situation: «Im schlechtesten Fall, wenn gar nichts stattfinden würde, könnte sich bei den Veranstaltern und Swiss-Ski der Schaden auf über 30 Millionen Franken belaufen. Wir hoffen, dass dies nicht eintrifft, müssen uns aber auch damit auseinandersetzen.»

Komplexe Geschichte

Wahrscheinlich und realistisch sind Wettkämpfe mit limitierter Zahl oder keinen Zuschauern. Aregger: «So würde der Schaden im Kausalzusammenhang mit Corona etwa 10 bis 11 Millionen Franken betragen.» Gesprochen worden ist vom Bund ein Betrag von 6,7 Millionen Franken für das Jahr 2020. Die Beträge für 2021 müssen zuerst über den ordentlichen Budgetprozess des Bundes noch genehmigt werden. Die Problematik liegt darin, dass die Entschädigung vom Staat auf das Jahr 2020 ausgerichtet ist, das Stabilisierungsprogramm 2021 aber erst in der Wintersession des Parlaments im Dezember genehmigt wird – wenn alles gut läuft. «Für die Veranstalter ist wichtig, dass die Liquidation bis zum Anlass hochgehalten werden kann. Zumal Einnahmen aus Vorleistungen wie Ticket-Vorverkauf fehlen.» «Das tönt komplex», sagt Aregger, «doch sind wir zuversichtlich, gute Lösungen zu finden.» Ihm kommt zugute, dass er als ZSSV-Präsident schon während dreier Jahre dem Swiss-SkiPräsidium angehörte und sich so Detailkenntnisse aneignen konnte. Nach Josy Zenhäusern und Hansruedi Laich ist er der dritte Direktor, der vom Präsidium aus in die operative Führung wechselt – ein bewährter Weg.

Ein richtiger Entlebucher

Verwurzelt ist Aregger, weit aussen verwandt mit dem ehemaligen Swiss-Ski-Präsidenten und Nationalrat Manfred Aregger («Er und mein Vater sind Cousins»), in Doppleschwand, einem 800-Einwohner-Dörfchen im Entlebuch, «wunderschön gelegen auf einer Sonnenterrasse abseits der Hauptachse», wie Aregger den Werbespot präzisiert. Und VorVorgänger und Tourismus-Experte Zenhäusern ergänzt: «Da gibt es den besten Kaffee der ganzen Schweiz ...!» Prost! Täglich kehrt der Vater von drei Kindern dorthin zurück, wenn er in Bern arbeitet. Und findet trotz seines immensen Arbeitsprogramms Zeit, seinem Hobby zu frönen: Der Pflege eines Berg-Heimetli am Napf, das er mit seinem Bruder übernehmen konnte: «Da kann ich wieder mal meine Hände gebrauchen.» Und im nahen Bach Gold schürfen, für das jenes Gebiet national bekannt ist. Denn Gold ist und bleibt d e r Standard bei Swiss-Ski – an dem jeder Direktor irgendwann gemessen wird.

Daniele Sette fuhr im Januar beim Riesenslalom in Adelboden erstmals in die Weltcup-Punkteränge.

Lösungsfinder

Daniele Sette kämpfte sich nach Jahren als Solist ins Kader von Swiss-Ski. Der 28-jährige Riesenslalomspezialist aus St. Moritz hat grosse Ziele – und freut sich auf ein Rennen in diesem Winter besonders: Adelboden.

Es gab sie, diese Momente, in denen er nicht wusste, wie es weitergehen sollte. In denen er dachte: «Was kann ich überhaupt noch tun, um einen Ausweg zu finden?» Und die Antwort? Weitermachen! Er gab nie auf, weil die Liebe zum Sport jedes Mal grösser war als jeder Zweifel. Daniele Sette ist Skifahrer aus Leidenschaft, ihn treibt der Ehrgeiz an, eines Tages einen Podestplatz in einem Weltcuprennen zu erreichen, am liebsten in Adelboden. Und dann ist da noch die WM in Cortina d’Ampezzo 2021. Sette sagt: «Ich tue alles dafür, um dort dabei zu sein. Und erfolgreich abzuschneiden.» Alles dafür tun – es ist in seinem Fall alles andere als einfach dahingesagt. Dem 28-Jährigen aus St. Moritz ist in seiner Karriere nichts geschenkt worden. In seiner Jugend ist er ein vielseitiger Sportler, er hat Talent als Fussballer, und als Sohn eines Tennislehrers besitzt er auch die Gabe, elegant mit dem Racket umzugehen. Aber mehr als alles andere fasziniert ihn das Skifahren. In der Oberstufe entscheidet er sich, darauf zu setzen. Er besucht das Sportgymnasium in Davos, macht 2012 die Matura und verzichtet vorerst darauf, sich für ein Studium einzuschreiben, weil er einen anderen Plan hat: Skirennfahrer will er werden, auf den grossen Bühnen der Welt auftreten. Davon rückt er nicht mehr ab.

Wie ein Einzelunternehmen

Allerdings wird eine Sorge sein ständiger Wegbegleiter: Er gehört nicht zu einem Kader von Swiss-Ski, also muss er selber das nötige Geld auftreiben, selber seine Ski präparieren, selber Trainings organisieren und Tore für Läufe auf irgendwelchen Hängen stecken – und meistens selber schauen, wie er Fortschritte erzielen kann. Sette lernt, zu kämpfen und sich durchzubeissen, auch in vermeintlich ausweglosen Situationen steckt. Der 1,68 m grosse Riesenslalomspezialist ist während zwölf Jahren als eine Art Einzelunternehmen unterwegs, aber er beklagt sich nie: «Mein Umfeld stärkte mir immer den Rücken.» Finanzielle Unterstützung erhält er lange von seinen Eltern, er arbeitet im Sommer auch auf Baustellen oder nach der Wettkampfsaison als Skilehrer, er wirbt mit Videoblogs um Sponsoren. Schliesslich muss er einen stattlichen Betrag zusammenkratzen. Ein Winter kostet ihn bis zu 50 000 Franken. Wichtig ist für ihn in dieser Phase der Support der Stiftung «Passion Schneesport». Heute sagt er: «Sie half mir nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern begleitete mich auch sonst. Gerade der Austausch am Ende einer Saison war stets bereichernd.» Gratis bekommt er Ratschläge von Grössen wie Marc Berthod oder Sandro Viletta, «zu ihnen schaute ich stets hoch». Oder er darf von Viletta auch schon einmal ein Renndress erben.

Daniele Sette figuriert seit der Saison 2019/20 im B-Kader von Swiss-Ski.

Kein Weg ist ihm zu weit, kein Aufwand zu gross, um seinen Traum zu leben. Er investiert jeden Franken in den Sport, fliegt nach Neuseeland, um dort intensiv zu trainieren und lässt sich auch von Blessuren nicht bremsen. 2018 wird er ins Global Racing Team aufgenommen, in der sich zwei Trainer um Athleten mit besonderen Werdegängen wie den von Daniele Sette betreuen. Der Schweizer weiss: «Es ist meine letzte Chance, ich muss sie packen.»

Der verhängnisvolle Sturz

Genau das tut er. Von nichts lässt er sich aufhalten, nicht einmal von einem verhängnisvollen Unfall, der bis heute nachwirkt. Im Dezember 2016 durchtrennt ihm bei einem Sturz die Kante des Skis einen Nerv der linken Hand. Seither hat er in zwei Fingern kein Gefühl mehr, die Motorik der Hand ist seither eingeschränkt. Der Techniker steht aber wieder auf, fährt weiter und darf im 2017 an der WM in St. Moritz als Vorfahrer über die Piste. Immerhin, denkt er, «besser als gar nichts». Im Europacup erzielt er positive Resultate und erhält im Frühling 2019 einen Anruf, an dem er sich vorkommt wie an Weihnachten: Swiss-Ski nimmt ihn ins B-Kader auf. Die Nachricht löst viel in ihm aus, vor allem sorgt sie für enorme Erleichterung. «Es war ein cooler Moment», erinnert sich Sette, «ich wusste: Jetzt bist du erstmals Teil eines Teams. Man setzt auf mich und nimmt mich ernst.» Sette, der 2014 in Adelboden sein erstes Weltcuprennen bestritten hat, erzielt am 11. Januar 2020 beim gleichen Riesenslalom im Berner Oberland mit dem 19. Platz seine beste Klassierung überhaupt. Er ist überwältigt von der fantastischen Stimmung, von seinem Ergebnis ebenfalls, und überraschen kann es folglich nicht, dass für ihn Adelboden sein absoluter Favorit unter den Austragungsorten ist. Bei Swiss-Ski profitiert er von Annehmlichkeiten, die er als Solist so lange Zeit nicht gekannt hat. Er muss sich nicht mehr alleine um alles kümmern, auch der wirtschaftliche Druck ist nicht mehr so gross wie zuvor. Aber er ist unverändert bereit, auch Erspartes in den Sport zu stecken, weil er überzeugt ist: «Wenn ich weiterkommen will, muss ich auf jedes Detail achten.»

Tränen in den Augen

Am 28. Februar ist Daniele Sette 28 geworden. Er befindet sich in einem Alter, in dem er sagt: «Ich habe meine besten Jahre noch vor mir. Meiner Meinung nach stehe ich eher am Anfang als kurz vor dem Ende meiner Laufbahn.» Der Sohn italienischer Eltern schafft es mittlerweile besser, sein Potenzial abzurufen. «Ich habe immer an mich und meine Fähigkeiten geglaubt», sagt er, «jetzt bin ich auch in der Lage, das zu zeigen.» Nicht vergessen hat er heikle Phasen, in denen er dachte, nicht vom Fleck zu kommen. Oder in denen ihm aus Enttäuschung über eine Nicht-Nomination für den Europacup Tränen in die Augen schossen. Aber der Sport bedeutet ihm alles. Darum ist eine Neuorientierung kein Thema. «Es gibt immer einen Weg», lautet sein Credo, «manchmal muss man die Lösung einfach etwas länger suchen. Das waren Prozesse, die mich durchaus bereicherten.» Im Frühjahr hat die CoronaPandemie auch ihn gezwungen, sein Programm anzupassen. Aber Flexibilität und Solo-Trainings, das ist Sette sich gewohnt. Mitte Juli steht er erstmals nach vier Monaten wieder auf den Ski: «Es war ein sehr schönes Gefühl.»

Sette: «Ich muss liefern»

Sich im Weltcup etablieren, den Anschluss an die Weltspitze herstellen, an der WM in Cortina teilnehmen – das sind die nächsten Ziele des Daniele Sette. Und wenn er tatsächlich an einem Grossanlass an den Start gehen darf, möchte er für Furore sorgen. Dass ihn nicht viele auf der Rechnung haben mögen, stört ihn nicht. Sette weiss, dass er Überzeugungsarbeit zu leisten und den Nachweis zu erbringen hat, dass er über genügend Qualität verfügt. Oder in seinen Worten: «Ich muss liefern.» Sechs Jahre würde er gerne noch Skifahrer bleiben, mindestens. Ihm ist sehr wohl bewusst, dass er sich auf einem schmalen Grat bewegt und er sich nicht viele Ausrutscher erlauben darf. Aber wie sagt er doch mit einem entspannten lächeln: «Ich liebe diesen Sport. Darum werde ich weiterhin nicht nachlassen.»

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