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Langlauf
Der Steuermann aus Davos
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Christian «Hitsch» Flury ist seit April Chef der Schweizer Langläufer. Der 44-Jährige ist ein Praktiker, der bei Swiss-Ski Synergien fördern will – und daheim im Keller sein eigenes Bier braut.
Er mag das Überraschende und scheut sich nicht vor dem Abenteuer. Er hat Energie und Ideen, bei spontanen Wendungen im Leben fällt er nicht gleich aus der Spur. Christian Flury hat einmal mit seiner Frau Barbara ein Jahr in Kanada verbracht, vor vier Jahren ist er mit vier Freunden zu einer spektakulären Bike-Tour nach Nepal aufgebrochen und hat in jenen Wochen eine physische wie psychische Reifeprüfung abgelegt. «Ich bin ein neugieriger Mensch», sagt er, «abenteuerlich veranlagt – aber nicht unvernünftig.» Und jetzt kann Flury, den alle nur «Hitsch» rufen, seine Kreativität in einer neuen beruflichen Funktion ausüben: Im April ist der Bündner zum Disziplinenchef der Schweizer Langläufer befördert worden.
Kempf: «Du kannst übernehmen»
Verschiedentlich hört er, dass er ein geeigneter Nachfolger von Hippolyt Kempf wäre. Er denkt sich jeweils nicht viel dabei, er sagt: «Ich lebe im Hier und Heute.» Aber im Februar wird es plötzlich und unerwartet schnell konkret. Flury, seit 2010 in verschiedenen Rollen im Schweizer Langlauf tätig, unterhält sich nach einer Sitzung in Magglingen mit Kempf. «Hitsch», sagt Kempf, «du kannst übernehmen. Ich höre auf. Überleg es dir.» Flury überlegt. Und sagt zu. Er löst Kempf ab, der zum Nordisch-Direktor des Verbandes aufgestiegen ist und eine wichtige Bezugsperson für Flury bleibt: «Es war mir wichtig zu wissen, wer neuer Direktor wird. Hippolyt ist die ideale Besetzung, weil er jemand mit Visionen ist, weil sein Wort bei sportpolitischen Themen Gewicht hat.» Und: «Wir zwei ergänzen uns sehr gut. Ich weiss, wie er tickt – und umgekehrt. Das passt.»
Praktiker mit hohen Ansprüchen
Der 44-jährige Flury trägt zwar jetzt die Verantwortung, er muss entscheidungsfreudig sein, aber er pflegt alles andere als einen autoritären Führungsstil. Er sei ein «ausgesprochener Teamplayer», sagt er, «und ich bin ein Praktiker mit hohen Ansprüchen an mich selber». Vier Begriffe sind für ihn im Leistungssport zentral: Respekt, Verantwortung, Entwicklung, Exzellenz. «Wir müssen gegenseitig Respekt haben, Verantwortung übernehmen und nicht immer abschieben», sagt er, «wer wissbegierig durchs Leben geht, entwickelt sich ständig weiter. Und wenn ich von Exzellenz rede, lässt sich das nicht allein an Medaillen messen. Exzellent arbeitet, wer an die Grenzen seiner Möglichkeiten geht und sein Potenzial total ausschöpft.»
Verheiratet mit Barbara Mettler
Flury wächst in Davos auf, absolviert eine Lehre als Zimmermann und ist sportlich unterwegs. Der Langläufer qualifiziert sich für eine Junioren-WM und hofft bis 22 auf den grossen Durchbruch. Er muss aber einsehen, dass es dafür nicht reichen wird. Und doch: sich vom Sport verabschieden, das kommt für ihn nicht infrage. Er begleitet als Servicemann die Nordisch-Kombinierer im B-Weltcup, fängt mit 24 die Trainerausbildung an und führt bald den regionalen Stützpunkt der Langläufer in Davos. Zu tun hat er dort mit jungen Menschen des Sportgymnasiums – und begegnet auch Barbara Mettler, die frühere Schweizer Spitzenlangläuferin amtet als Internatsleiterin. Flury und Mettler werden ein Ehepaar und bald Eltern von zwei Buben.
Zeit für Luftveränderung
Nach sechs Jahren am Stützpunkt hält Flury, inzwischen Inhaber des höchsten Trainerdiploms, die Zeit reif für eine Luftveränderung. Er weiss: Die Welt wartet nicht auf einen Langlauftrainer. Aber er weiss auch: Den Mutigen gehört die Welt. Der gut vernetzte Flury streut überall, dass er bereit für etwas Neues wäre. 2009 bekommt er einen Anruf – aus Kanada. Und kurz darauf ist der Container gefüllt: Die Flurys ziehen nach Canmore. Hitsch wird Trainer der Kanadier.
Der Anruf von Hippolyt Kempf
Ein Jahr später meldet sich Hippolyt Kempf bei ihm – mit einem Stellenangebot. Er nimmt an, weil es ein Problem mit dem Visum für seine Frau gibt. Und so beginnt 2010, nach der
ersten olympischen Goldmedaille von Dario Cologna, seine Zeit bei Swiss-Ski. Flury wird Gruppentrainer der Weltcup- und Continental-Cup-Teams, und während drei Saisons ist er Teammanager im Weltcup sowie bei den nordischen Ski-Weltmeisterschaften 2015 und 2017. Vor drei Jahren übernimmt er die Leitung des Nationalen Langlauf-Leistungszentrums in Davos, dazu ab Herbst 2018 die Ausbildung im Bereich Langlauf bei Swiss-Ski. Und im April 2020 also folgt der nächste Karriereschritt. «Ich darf steuernd mitwirken», sagt er, «die Gesichter dieses Sports bleiben die Athleten.» Allen voran nennt er Dario Cologna, der «grösste Anerkennung» verdiene: «Seit zehn Jahren bewegt er sich auf höchstem Niveau, dank ihm hat unser Sport an Popularität und Telegenität zugelegt. Und bei allen Erfolgen hat er nie die Bodenhaftung verloren.» Ihm ist das wichtig, diese Bodenständigkeit.
Medaillen als Gradmesser
Flury ist es bewusst, dass ein Gradmesser seiner Arbeit Medaillen an Grossveranstaltun-
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gen sind. «Gerade in den Staffel-Wettbewerben und in den Teamsprints muss das unser Ziel sein», sagt Flury. Er sieht seinen Auftrag aber auch darin, innerhalb von Swiss-Ski Synergien zu fördern. «Wir alle müssen bereit sein, über den Tellerrand zu schauen und die sogenannte Extrameile zurückzulegen, weil sich das lohnt», betont er, «die einzelnen Sparten können zusammenarbeiten und voneinander profitieren.»
Kein Träumer
Flury ist kein Träumer, sondern Realist und ein positiv denkender Mensch, der nicht sich, sondern die Sache in den Mittelpunkt stellt. Er findet das Projekt, in dem er nun mittendrin steckt, «hochspannend». Unbeschwert geht er an die Sache heran, tankt zwischendurch Energie auf ausgiebigen Wanderungen oder wenn er in die Welt des Bierbrauens eintaucht: Im Keller seines Hauses steht eine Anlage, mit der Flury die Eigenmarke Strela-Bräu herstellt. Seine Lust auf Neues kennt eben kaum
PETER BIRRER
Grenzen – auch ausserhalb seines Berufs.
CHRISTIAN FLURY
Geboren
10. September 1976 in Bern
Wohnort
Davos
Zivilstand
Verheiratet mit Barbara, zwei Söhne (Jon Arvid, 12, und Maurin Joris, 9)
Erlernter Beruf
Zimmermann. Während der Zeit als Leistungssportler war er in den Sommermonaten als Zimmermann und im Sportgeschäft tätig, im Winter auch als Langlauflehrer.
Werdegang im Sport
1997–2003 Servicemann und Assistenztrainer Nordische Kombination bei Swiss-Ski; 2003–2006 Cheftrainer Langlauf (Stützpunkt Davos); 2006–2009 Trainer Stiftung Sport-Gymnasium Davos; 2009–2010 Sportliche Leitung der Junioren und U-23-Trainingsgruppe von Kanada; seit 2010 bei Swiss-Ski
Hobbys
Familie, Biken, Wandern, Bierbrauen
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