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Schweizer Kunstturnen 2021
Mit einem Medaillensatz aus dem Lockdown
Die Schweizer Kunstturnerinnen und Kunstturner sind fulminant in die neue Saison gestartet. An den Heim-Europameisterschaften glänzten sie mit Gold, Silber und Bronze. Damit nicht genug: An den Olympischen Sommerspielen in Tokio gelang dem Kunstturn-Nationalkader Historisches. Ein Rückblick.
Verlassene Strassen und Städte, leere Trainingshallen, Geisterspiele in den Stadien – und im schlimmsten Fall eine Wettkampf-Zwangspause für die Athletinnen und Athleten im Kunstturn-Spitzensport. Im Corona-Jahr 2020 mussten sich die Athletinnen und Athleten wie auch die Sportfans in Geduld üben und die Erinnerungen an Giulia Steingruber am Sprung oder Pablo Brägger am Reck auf Social Media oder in Wiederholungssendungen in Endlosschlaufe hervorholen. Das Leiden und der Verzicht auf Spitzensport haben dieses Jahr jedoch ein Ende gefunden und gleich zu Beginn der Kunstturnsaison wurden die Athletinnen und Athleten sowie die Fans für ihre Geduld belohnt – in Form der Kunstturn Heim-Europameisterschaften 2021 in Basel. So verwöhnten die Kunstturnerinnen und Kunstturner die Zuschauer vor den Bildschirmen in der Basler St. Jakobshalle mit Wettkämpfen auf ausgezeichnetem Niveau und mit insgesamt drei Schweizer Medaillenträgern. Giulia Steingruber mit Gold am Sprung, Benjamin Gischard mit seiner Silbermedaille am Boden und Christian Baumann mit Bronze am Barren sorgten nicht nur für einen Medaillensatz der Schweizer EM-Delegation, sondern versüssten auch den Fans, den Organisatoren wie auch dem Schweizerischen Turnverband STV die Wettkämpfe im eigenen Land.
Bangen und Hoffen um Giulia Steingruber
Besonders Giulia Steingruber sorgte dabei mit ihrer Leistung zu Beginn der Geräte-Finals für das erste Ausrufezeichen der Schweizer Kunstturn-Delegation. Trotz einem Muskelfaserriss am linken Oberschenkel erturnte sich die Ostschweizerin im Sprungfinal mit dem Jurtschenko mit Doppelschraube überlegen die Goldmedaille. Damit kürte sich Steingruber nach 2013, 2014 und 2016 zum vierten Mal zur Sprung-Europameisterin. Die Verletzung liess danach aber keine weiteren Topleistungen mehr zu. Deshalb verzichtete die 27-Jährige vor dem Sprung auf die Finalteilnahme im Mehrkampf und auf den BodenFinal. Das Männerteam liess sich derweil vom Exploit von Giulia Steingruber anstecken – angefangen beim Team-Leader Benjamin Gischard. Dieser zeigte im Boden-Final eine beinahe perfekte Darbietung und sicherte sich hinter dem russischen Ausnahmeturner Nikita Nagorni die Silbermedaille. Für Gischard ist es das erste Edelmetall im Einzel auf internationaler Bühne. Ausserdem war seit dem EM-Titel von Ernst Fivian im Jahre 1959 an diesem Gerät kein Schweizer Kunstturner mehr besser klassiert.
Freude für Baumann – Frust für Brägger
Neben Steingruber und Gischard sorgte Christian Baumann mit seiner fast perfekten Übung am Barren aus Schweizer Sicht für den krönenden Schlusspunkt der Heim-Europameisterschaften: Mit 15.100 Punkten holte sich der 26-jährige Aargauer die Bronzemedaille – nach 2015 sein zweites Edelmetall an diesem Gerät. Die ausgezeichnete Leistung von Christian Baumann liess denn auch sogar den zwischenzeitlichen Frust über den zerplatzten Goldmedaillen-Traum von Pablo Brägger am Reck vergessen machen. Als letzter Turner und Topfavorit stieg der Ostschweizer in den Reckfinal und begann diesen fulminant und virtuos. Doch dann verfehlte Brägger nach dem «Kolman» die Stange um Millimeter und musste vom Gerät. Der 27-Jährige wiederholte das Flugelement und erturnte sich mit 13.333 Punkten den siebten Schlussrang.
Offene Rechnung von Rio in Tokio beglichen
Derweil zeigten die Schweizer Kunstturnerinnen und Kunstturner nicht nur an den Heim-Europameisterschaften in Basel Höchstleistungen – im Gegenteil: Vielmehr beglich das Schweizer Kunstturn-Nationalkader der Herren an den Olympischen Sommerspielen in Tokio eine alte Rechnung aus den vergangenen Spielen im brasilianischen Rio de Janeiro. So boten Benjamin Gischard, Pablo Brägger, Christian Baumann und Eddy Yusof im Mehrkampf-Final eine überzeugende Leistung und belohnten sich dafür mit dem sechsten Schlussrang. War in der Qualifikation noch der eine oder andere kleine Fehler zu sehen, zeigte das Schweizer Quartett im Final eine makellose Leistung – insbesondere am Barren konnten die Schweizer ihr ganzes Potential abrufen. Dabei erhielt Pablo Brägger für seine Übung 14.833 Punkte. Eddy Yusof schloss den Wettkampf an diesem Gerät mit 14.633 und Christian Baumann mit 14.600 Punkten ab. Unter dem Strich kamen die Schweizer Kunstturner auf insgesamt 250.927 Punkte und sicherten sich das angestrebte olympische Diplom. Fünf Jahre zuvor belegten die Schweizer an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro in der Qualifikation den neunten Rang und verpassten damit hauchdünn die Final-Teilnahme. Währenddessen verpasste Giulia Steingruber an ihren dritten Olympischen Spielen die Finalteilnahme am Sprung knapp. Im Mehrkampf-Final beendete die BronzeMedaillen-Gewinnerin von Rio de Janeiro den Wettkampf auf Rang 15. Nach den erfolgreichen Heim-Europameisterschaften und den Olympischen Sommerspielen in Tokio sowie den wohlverdienten Sommerferien sind die Schweizer Kunstturnerinnen und Kunstturner im Spätsommer in die Vorbereitung für die Kunstturn-Weltmeisterschaften im japanischen Kitakyushu gestartet. Zudem steht mit den European Championships im kommenden Sommer in München der nächste Grossanlass in unmittelbarer Nähe vor der Tür. Die Kunstturn-Fans dürfen dort gespannt sein, ob die Athletinnen und Athleten wie in Basel und Tokio zu Höchstleistungen auflaufen werden.