Andrea Gredinger

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Geschichten, die das Leben schreibt Wäre Andrea Gredinger* (36) nicht mit einer starken Sehschwäche auf die Welt gekommen, hätte ihr Leben vielleicht einen ganz anderen Verlauf genommen. Vielleicht. «Brillenschlange oder blinde Kuh waren von all den Übernamen, die man mir als Kind gab, noch die freundlichsten. Aber auch unter diesen litt ich damals als kleines Mädchen furchtbar – fast mehr noch als an der Sehschwäche selbst. Aufgewachsen bin ich bei meiner Mutter in einer kleinen Gemeinde im Kanton Zug. Wie wohl alle Kinder liebte auch ich meine Mutter bedingungslos. Ich liebte sie auch, wenn sie es am Morgen kaum schaffte, aus dem Bett zu kommen. Oder wenn sie tagelang am Küchentisch sass und vor sich hingrübelte. Oder wenn sie sich einfach nicht aufraffen konnte, um mit mir zu spielen. Denn meine Mutter war meine Mutter und dass sie an schweren Depressionen litt, wusste ich damals noch nicht. Ich wusste nur, dass ich sie schonen musste, damit sie nicht noch trauriger wurde. Ich wollte meine Mutter nicht mit meinen Sorgen belasten. So bekam sie nicht mit, dass ich vom ersten Schultag an von meinen Mitschülern wegen meiner Sehschwäche und meinen dicken Brillengläsern, die wie Cola-Flaschen­ böden aussahen, gehänselt und ausgelacht wurde. Erst waren es nur zwei, drei Jungs in der Klasse, die mich geplagt haben, aber je länger je mehr wurde ich von allen zur Aussenseiterin gestempelt und links liegengelassen. Obwohl ich extrem unter der Aussenseiterrolle litt, frass ich alles still in mich hinein. Zwar schämte ich mich in Grund und Boden, kam mir schlecht und minderwertig vor, aber ich wollte auf keinen Fall damit meine Mutter belasten. So habe ich die ganze Schulzeit als ein nicht endend wollender Albtraum in Erinnerung.

Ich wurde schon gemobbt, bevor ich dieses Wort kannte.

Im Nachhinein ist es nicht verwunderlich, dass ich mich nach der Lehre in den erstbesten Mann verliebte, der in mir nicht einfach das hässliche, tolpatschige Entlein sah. Ich war überglücklich, dass mich endlich jemand gern hatte. Und verdrängte dabei, dass Paul schwere Drogen- und Gesundheitsprobleme hatte. Auch als Erwachsene wurden die Sorgen nicht kleiner. Schon ganz bald kam unser Sohn Matthias auf die Welt, wenig später folgte Thomas. In den ersten Jahren unserer Ehe hatte mein Mann die Drogen noch so weit im Griff, dass er einer geregelten Arbeit nachgehen konnte. Aber dann wurde es immer schlimmer. Die Drogen griffen erst seine Psyche, dann auch seine Gesundheit an. Und rissen ihn schliesslich in den Tod. Da stand ich nun praktisch mittellos mit meinen zwei kleinen Kindern und wusste nicht mehr ein und aus. Ich sah mich gezwungen, das zu tun, was mir am meisten wehtat: die Kinder in ein Heim weggeben. Die Entscheidung war wohl richtig, aber definitiv zu viel für mich. Die Kinder fehlten mir so sehr, dass ich in eine schwere Krise stürzte, aus der ich selbst nicht mehr rausfand. Monatelang verbrachte ich in einer Klinik. Ich war gefangen in meiner eigenen kleinen Welt und konnte mich an nichts und niemandem mehr freuen. In dieser schlimmen Zeit musste ich oft an meine Mutter denken und habe mich ihr dabei sehr nahe gefühlt. Jetzt – oder dann nie mehr! Es war ein schöner Frühlingstag, als ich die Klinik endlich verlassen konnte und mir war klar, dass ich mein Leben jetzt in die Hand nehmen und vor allem in eine neue Bahn lenken musste. Weil die Heilsarmee in Münsingen das Kinderheim Sonnhalde führt und ich ganz in der Nähe wohnte, fand ich dort für meine Kinder einen geeigneten Platz. Das Heim war mir sofort sympathisch, weil dort Werte wie Ehrlichkeit, Familie, Hoffnung und Lebensfreude gross geschrieben wurden. Sowohl für die Kinder als auch für mich ist die jetzige Situ­a­tion optimal. Die Woche hindurch arbeite ich als Massage-Therapeutin und die Kinder le­ben bei der Heilsarmee, wo sie sich wohl fühlen. Jeweils an den Wochenenden kommen sie dann zu mir nach Hause. Und wann immer eines meiner Kinder ein Problem hat, kann es jederzeit auch am Abend schnell bei mir vorbeikommen. Denn eines habe ich aus meiner eigenen Kindheit gelernt: Kinder brauchen eine Mutter, die für sie da ist, die für sie Zeit hat, die für sie Verständnis hat und die immer für sie einsteht.»

* Bei der hier dargestellten Lebensgeschichte haben wir die Namen geändert und die Bilder von andern Personen verwendet. Dies zum Schutze der Privatsphäre von Andrea Gredinger und ihren Kindern.


Mit dem Kinderheim Sonnhalde stehen wir Müttern wie Andrea Gredinger zur Seite. In unserem Kinderheim in Münsingen leben 24 Kinder und Jugendliche, die aus irgendwelchen Gründen vorübergehend nicht bei der eigenen Familie wohnen ­können. Ziel ist es, auf eine Rückplatzierung in die Stammfamilie hin zu arbeiten, den Heranwachsenden die Entwicklung zu selbständigen, mündigen Menschen zu ermöglichen und ihre Ressourcen und Möglichkeiten zu stärken. Dies in ­ enger Zusammenarbeit mit den Eltern, Behörden und den öffentlichen Schulen von Münsingen.

Suppe, Seife, Seelenheil. Wie und wo die Heilsarmee mit Ihrer Hilfe hilft:

Offene Ohren:

Freie Betten:

Gedeckte Tische:

Alles beginnt mit einer einfühl­ samen Person, die sich eines hilfesuchenden Menschen annimmt. Darum empfangen wir Menschen in Not sowohl in unseren 8 Sozialberatungs­ stellen als auch in unseren 55 Heilsarmee-Gemeinden mit offenen Armen und Ohren.

Wer den Boden unter den Füssen verloren hat, hat oftmals auch kein Dach mehr über dem Kopf. In insgesamt 7 Wohn- und 5 Übergangs­ heimen, 4 Alters- und Pflege­ heimen und 2 Passantenheimen bieten wir jede Nacht über 1200 Menschen ein Obdach. Zusätzlich führen wir noch 1 Jugend- und 6 Kinderheime.

Oft ist das Problem eines hilfesuchenden Menschen ganz profan. Er oder sie hungert nach Essen oder nach ein bisschen Gesellschaft. Darum laden wir gern zu Tisch. Zum Beispiel bei unseren diversen Mittags­tischen für Jung und Alt, aber auch bei unseren Weihnachts­feiern oder den Frauen-Zmorgen.

Stiftung Heilsarmee Schweiz | Laupenstrasse 5 | Postfach 6575 | 3001 Bern | Telefon 031 388 05 35 | Fax 031 382 05 91 spenden@heilsarmee.ch | heilsarmee.ch | Spendenkonto 30-444222-5

Tröstende Worte: Unser Tun ist geprägt durch unsere Beziehung zu Gott. Darum bringen wir die Men­ schen mit Jesus Christus in Berührung. Nicht zuletzt mit unseren Gottesdiensten, die jeden Sonntag in 55 Heilsarmee-Gemeinden stattfinden. Aber auch unsere psychiatri­ sche Spitex und der Gefängnis­ dienst sind wertvolle Angebo­ te für Menschen in Not.


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