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Die Ernüchterung

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Pingpong

Pingpong

TEXT: ETIENNE GÜNGERICH, DAMIAN

KELLER, NICOLA CATHOMAS

FOTOS: FABRICE DUC, DIETER MEIERHANS

ERNÜCHTERUNG

Zweimal ausverkauftes Haus, zwei Niederlagen. Die Nati erfüllte am Finalwochenende die Erwartungen nicht.

ERNÜCHTERUNG Die Schweiz setzte sich für die Heim-WM hohe Ziele, scheiterte aber schmerzhaft. Am entscheidenden Finalwochenende passte nichts mehr zusammen. Ein Umbruch in der Mannschaft ist unumgänglich.

E

igentlich war alles für ein grosses Fest in der Swiss Life Arena angerichtet. Die Schweiz legte zwar mit dem 4:4 gegen Norwegen einen Fehlstart hin, reagierte aber mit einem starken 7:5 über Finnland und entfachte eine kleine Euphorie. Sie zeigte, was in diesem Team steckt und was mit Entschlossen- sowie Geschlossenheit möglich gewesen wäre. Es folgte die Bewerkstelligung des 1. Ranges mit einem offensiven Feuerwerk gegen die Slowakei und der irgendwie überstandene, schwierige Viertelfinal gegen ein zähes Lettland.

Auf jedes Szenario sei man vorbereitet, hiess es im Schweizer Lager vor dem Spiel des Jahres, dem Halbfinal gegen Tschechien. Tatsächlich gelang der Schweiz nach einem schnellen Rückstand mit zwei Toren eine angemessene Reaktion. Doch schon zum Ende des ersten Abschnittes zeichnete sich der Einbruch ab. Zwei vermeidbare Gegentreffer, die auf Stellungsfehler sowie ungenügendes Nachsetzen zurückzuführen sind, ermöglichte Tschechien zur ersten Pause eine leicht erspielte Führung.

Chance auf Wiedergutmachung vergeben

Der kollektive Zusammenbruch im Schweizer Spiel folgte in der ersten Drittelspause. Der eingewechselte Goalie Patrick Eder hatte kaum seine Handschuhe angezogen, da musste er sich schon zweimal geschlagen geben. Weil die Schweiz komplett neben den Schuhen stand und nicht nur den Mut, sondern auch ihr Konzept in der Garderobe liess. Anders sind das zögerliche Verhalten unter gegnerischem Druck (beim 2:4) und beim eigenen Pressing (beim 2:5) nicht zu erklären.

Tschechien erteilte der Schweiz in Sachen Konzentration, Konsequenz und Unerschrockenheit eine Lektion. Die von den Schweizern nach dem Spiel angesprochene athletische Unterlegenheit war nicht der Grund für die 3:11-Klatsche. Sonst hätte die Nati in der gesamten Vorbereitung einiges falsch gemacht.

Zerplatzt war der grosse Gold-Traum, weil die Schweiz mit dem (zum Teil selbst auferlegten) Druck nicht umgehen konnte. «Manchmal geht das besser, manchmal schlechter», bilanzierte Patrick Mendelin nach Turnierschluss. 16 Stunden blieb der Schweiz nur, um die Blamage zu verdauen und sich für das Spiel um Platz 3 wieder aufzuraffen. Das ist wenig für eine

Im Gruppenspiel wurde die Hürde Finnland noch übersprungen.

Partie, in der es noch um eine Medaille, aber vor allem um Wiedergutmachung und viel Reputation ging. Die Aufgabe war sicher nicht einfach, und dennoch musste ein solches Geschehnis in der Vorbereitung miteinbezogen werden.

Keine Energie für Bronze

Die Schweiz fuhr aber gegen Finnland dort weiter, wo sie gegen Tschechien aufgehört hatte: ohne Überzeugung, ohne Konsequenz, ohne taktische Disziplin und vor allem ohne Energie. Letzteres konnte nicht von den Fans, die so sehr auf ein gutes letztes Spiel und einen versöhnlichen Turnier-Abschluss hofften, übernommen und übertragen werden. Noël Seiler, Patrick Mendelin, Deny Känzig und Christoph Reich bemühten sich diesbezüglich am meisten. Der Jüngste, der Älteste, der Turnier-Joker und der Ersatz-Torhüter, der erst für die letzte Partie nachnominiert wurde – das sagt eigentlich alles über das so oft thematisierte Energie-Level der Nati aus.

Auch vom Trainerstaff kamen für das Bronzespiel keine ersichtlichen Impulse, um die Mannschaft aufzurütteln – oder erst, als es schon zu spät war. Es wurde zu Beginn fast gleich weitergespielt, wie am Samstag. Die Finnen, die am Vortag eine harte Halbfinalniederlage im Penaltyschiessen zu verdauen hatten und ebenfalls unter Druck standen (Finnland blieb an einer WM noch nie ohne Medaille), kamen ohne grossen Aufwand zu einer 4:0-Führung. Erst als Mendelin in der 37. Minute das zweite Schweizer Tor erzielte, ging

«Der grosse Gold-Traum platzte, weil die Schweiz mit dem zum Teil selbst auferlegten Druck nicht umgehen konnte.»

Der Moment danach.

Von Tschechien überrannt.

STIMME

CHRISTOPH MEIER

Die Stimmung war gigantisch, aber unsere Resultate passten nicht dazu. Das Auf und Ab begann schon gegen Norwegen und zog sich durch die ganze WM. Im Halbfinal war unser Spiel nach schnellen Gegentoren weg – den Tschechen gelang alles, sie konterten uns aus. So ein Spiel darf es nicht geben und trotzdem passiert es. Im Bronzespiel bekommen wir aus drei Schüssen zwei Tore, ohne die Zuschauer wären wir nicht mehr so nahe rangekommen. Verband und Liga sind gefordert und müssen mehr investieren, damit wir an die Spitze kommen. Dieses Ende wird noch lange in meinem Hinterkopf bleiben, auch wenn Frau und Kind zu Hause ablenken.

Christoph Meier wird am Ende noch lange zu beissen haben.

STIMME

NOËL SEILER

Ich habe von David Jansson eine coole Rolle erhalten und durfte als «Energie-Spieler» meinen Job erledigen. Ich habe schnell gemerkt, dass das Alter auf dieser Stufe keine Rolle spielt und nur Leistungen zählen. Deshalb habe ich den Gedanken, dass ich der Jüngste bin, schnell vergessen. Alles in allem empfand ich es als eine tolle WM, wobei das Resultat am Ende leider nicht stimmt. Die Atmosphäre, den Umgang mit dem Druck, aber auch spielerische und technische Aspekte dieser WM – ich werde möglichst alles in meinen Erfahrungsrucksack packen und einfach weitermachen.

Noël Seiler erfüllte seine Rolle als Energie-Spieler.

so etwas wie ein Ruck durch die Mannschaft – die Partie war da aber eigentlich schon verloren, wodurch sich der Druck und die Verkrampfung gelöst hatten. Dass es einfachere Herausforderungen gibt, als gegen Finnland einen Vier-Tore-Rückstand aufzuholen, ist zudem keine neue Erkenntnis.

ERNÜCHTERUNG SEIT PRAG

Vom Final-Wochenende kann aus Schweizer Sicht zusammenfassend festgehalten werden, dass ab dem zweiten Drittel des Halbfinals bis tief ins Bronzespiel nichts mehr zusammenpasste. Es wirkte, als wäre der Stecker gezogen worden. Die Nati funktionierte in dieser Phase auch nicht mehr als Team, die Spieler hielten sich nicht mehr bedingungslos an den Gameplan, mutierten zu Einzelkämpfern und versuchten auf eigene Faust etwas zu kreieren. Sie waren mehr mit sich selber beschäftigt, als mit dem Spiel an sich. Tatu Väänänen erklärte während der WM im SRF-Studio die Schwäche seiner Finnen einmal so: «Die fünf Spieler arbeiten nicht gut genug zusammen.» Die Aussage des WilerVerteidigers kann auf den Auftritt der Schweiz am Final-Wochenende umgemünzt werden.

Zum zweiten Mal hintereinander blieb die MännerNati an einer WM ohne Edelmetall – das gab es noch nie. 1998 (Silber in Prag), 2006 (Bronze in Stockholm), 2012 (Bronze in Zürich) und 2016 (Bronze in Riga) schob sich die Nati nach medaillenlosen Titelkämpfen jeweils wieder unter die ersten drei. Stufen- und geschlechterübergreifend holte die Schweiz seit 2019 an sechs Turnieren nur zweimal eine Medaille (Silber und Bronze für die Frauen in Neuenburg und Uppsala). Die A-Nati der Männer hat in einem Halbfinal seit der Jahrtausendwende nur einmal (2018 gegen Schweden) mehr als drei Tore erzielt. Das 3:11 gegen Tschechien war zugleich die höchste Halbfinal-Niederlage seit acht Jahren (1:10 in Göteborg gegen Schweden).

Das sind harte Fakten. Sie lassen aber die Schlussfolgerung zu, dass bei der Schweiz nach einem erfreulichen Entwicklungssprung zwischen den Jahren 2014 und 2018 Stagnation Einzug hielt. Zuletzt war sie dem Tiefpunkt (WM 2014) näher als dem Glanzpunkt (2018 in Prag) – Verbesserung der Konkurrenz hin oder her. Es braucht nun einen personellen Umbruch und eine Relativierung der Ziele für die kommenden Grossanlässe.

Patrick Mendelin zeigte den Willen und die nötige Entschlossenheit.

«Der einzige, der sich von Spiel zu Spiel steigerte, wie das Top-Akteure können, war Altmeister Mendelin.»

Etienne Güngerich, Redaktor

Kein schönes Ende der Ära Jansson.

WER BEERBT JANSSON?

Nach der verpatzten WM von 2014 in Schweden übernahm David Jansson das Amt des Nationalcoachs von Petteri Nykky. Dem Schweden gelang es auf Anhieb, ein neues Team aufzubauen und frische Ideen ins Schweizer Unihockey einzubringen. 2016 und 2018 gewann er mit seinem Team die Bronzemedaille und entwickelte es vor allem im Spiel mit Ball massiv weiter. Doch auch der akribische Jansson schaffte es nicht, die Schweiz einmal in einen WM-Final zu bringen und verpasste zuletzt zweimal in Folge eine Medaille. Nach sieben Jahren als Headcoach übernimmt er nun als «Swiss Way Coach» eine neue Aufgabe beim Verband. Bei Redaktionsschluss war noch nicht bekannt, wer Janssons Nachfolger wird. Als Kronfavoriten gelten Luan Misini, Rolf Kern und Armin Brunner, die allesamt schon bei Schweizer Auswahlen tätig waren. Die Chancen von Kern und Misini dürften sich nach dem WM-Auftritt verschlechtert haben, da sie «vorbelastet» aus dem letzten Turnier kommen. Aus Schweden wird Johan Schönbeck gehandelt, der die Schweiz aus seinen Engagements bei den Unihockey Tigers und Wiler-Ersigen gut kennt. Auch der Name Petri Kettunen wurde in Zürich herumgereicht. Eine Anstellung des Finnen, der mit seinem Heimatland 2016 Weltmeister wurde und danach Tschechien trainierte, wäre allerdings eine Überraschung.

Christoph Reich tröstet nach dem verlorenen Bronzespiel Jan Bürki.

Schweden feiert den zehnten Weltmeistertitel.

Schwedens starke dritte Formation.

Turnier-MVP Alexander Galante Carlström.

BUSINESS AS USUAL

Am Schluss war es so wie immer, wenn eine WM in der Schweiz stattfindet – Schweden triumphierte. Der zehnte Weltmeistertitel stand nur im Halbfinal auf der Kippe, als die ansonsten enttäuschenden Finnen tapfer dagegen hielten, im Penaltyschiessen den Sack aber nicht zumachen konnten. Die Schweizer bestätigten den fast schon üblichen «Heim-Nachteil», indem sie ohne Medaille blieben. An der insgesamt achten WM auf Schweizer Boden blieb das Heimteam zum fünften Mal ohne Edelmetall. Geheimfavorit Tschechen wurde den Erwartungen mit dem ersten Finaleinzug seit 2004 gerecht. Lettland strauchelte durch die Gruppenspiele, landete aber letztlich doch wieder auf Rang 5, während die Formkurve der Norweger in die andere Richtung verlief und auf Rang 8 endete. Deutschland und die Slowakei dürfen mit den Rängen 6 und 7 zufrieden sein. Alle anderen Nationen hatten am Finalwochenende bereits Feierabend. Dänemark war «the best of the rest» auf Rang 9. Die beste nichteuropäische Mannschaft war Kanada auf Rang 12. Das Duell gegen den letzten Platz verlor Singapur gegen die Philippinen nach Verlängerung.

DIE WICHTIGSTEN RESULTATE

Schweiz – Norwegen 4:4 Schweiz – Finnland 7:5 Schweiz – Slowakei 9:3

Viertelfinal:

Schweiz – Lettland 3:1

Halbfinals:

Schweiz – Tschechien 3:11 Schweden – Finnland 4:3 n.P.

Bronzespiel:

Schweiz – Finnland 3:5

Final:

Schweden – Tschechien 9:3

Alexander Galante Carlström wurde zum 3. Mal Weltmeister.

STIMMEN:

EMIL JOHANSSON

Unseren Krimi hatten wir im Halbfinal – als die Finnen im Penaltyschiessen mit zwei Toren vorne lagen, hatte ich schon Angst. Im Final gegen Tschechien vermochten wir uns bezüglich Chancenauswertung im Vergleich zum 3:3 im Gruppenspiel zu steigern, wir waren auf den Punkt bereit. Dass die Tschechen im Schlussdrittel mit 6-gegen-5 so lange den Ball hielten, ruinierte unsere Party nicht. Ich mag es, Schüsse zu blocken und konnte die letzten fünf Minuten richtig geniessen. Für uns war es eine brillante WM in coolen Hallen – bezüglich Malmö 2024 wurde ein hoher Standard gesetzt.

Emil Johansson Hampus Ahrén

HAMPUS AHRÉN

Als kleiner Junge verfolgte ich die Weltmeisterschaften und bewunderte die Spieler, die Auszeichnungen erhielten. Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich nun auch zu diesen Spielern gehöre und Teil des sechsköpfigen All-Star-Teams sein darf. Ein unbeschreibliches Erlebnis, zum zweiten Mal Weltmeister zu werden. Wir konnten das positive Gefühl aus dem Halbfinal ins Endspiel mitnehmen und durch einen guten Start weiter verstärken. Der Schlüssel zum Erfolg war unsere Defensivarbeit, die es uns erlaubte, die Qualität in der Offensive auszuspielen.

Das 3:11 im Halbfinal gegen Tschechien gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Schweizer Unihockey-Geschichte.

LEADER ABGETAUCHT

Bis zum Halbfinal zeigte eine Handvoll Schweizer gute Leistungen. Tobias Heller und Christoph Meier überzeugten mit Courage und Zielstrebigkeit. Claudio Laely holte alles aus seinen Qualitäten heraus, Michael Schiess war spielwitzig und Manuel Maurer lieferte Tore. Doch der Växjö-Stürmer steht sinnbildlich für die Kritik an den Leistungsträgern: ab dem Halbfinal schaute wie so oft nichts Zählbares mehr heraus.

Luca Graf, Tim Braillard oder Joël Rüegger bestritten schon mindestens ihre vierte WM, blieben aber ohne grossen Einfluss aufs Spiel. Von Leistungsträgern wie Jan Zaugg, Nicola Bischofberger oder Pascal Meier kam in der Gesamtabrechnung ebenfalls zu wenig. Und Spieler wie Nils Conrad, Jan Bürki oder Schiess verpassten den nächsten Entwicklungsschritt.

Der einzige Akteur der sich im Verlauf des Turniers steigerte – so wie es die Top-Spieler der Schweden, Finnen und Tschechen können – war Altmeister Patrick Mendelin. Bei seiner sechsten WM stemmte sich der Basler gegen das Ungemach und übernahm Verantwortung, während andere abtauchten.

Der junge Noël Seiler hat noch einen langen Weg vor sich und setzte nicht alles perfekt um, doch mit seiner Unbeschwertheit versprühte er als einer der wenigen am Final-Wochenende zumindest Energie. Gleiches gilt für Deny Känzig, der nur sporadisch eingesetzt wurde, aber befreit auftrat. Dass gerade sie belebende Elemente im Schweizer Spiel waren, muss kein Zufall sein. Sie stiessen erst später zum Team und waren entsprechend nicht so sehr von der hohen Zielsetzung und dem damit verbundenen Druck eingenommen wie einige ihrer Mitspieler.

Nur gerade drei neue Gesichter hatte die Nati im Vergleich zur WM vor vier Jahren in Prag. Kontinuität ist oft erfolgsversprechend, doch in diesem Fall war es für die Schweiz – rückblickend betrachtet – wohl des Guten zu viel, zumal sich einige Leistungsträger in ihren Klubs schon seit Monaten in schwacher Form befanden.

Im seit 2014 ältesten WM-Team (sieben Spieler über 30 Jahre alt) wird es zweifellos zu einem Umbruch kommen, auch wenn noch niemand konkret seinen NatiRücktritt angedeutet hat. Die Zeit ist gekommen, um Akteuren wie Jan Ziehli, Yann Ruh, Yannis Wyss, Florian Wenk, Stefan Hutzli, Claudio Schmid, Simon Laubscher, Levin Conrad oder Pascal Michel eine (weitere) Chance zu geben. Der Spielerpool muss auf jeden Fall wieder weiter geöffnet werden.

Kommentar von Etienne Güngerich, Redaktor unihockey.ch

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