magazin f端r schule und studium
Am Puls Raphael Stierli rappt f端r Thailands Kinder
02.2011
www.tango-online.ch
Am Ziel Giada Berini trampt durch Alaskas Wildnis
Am Hauptbahnhof
Eine Nacht
mit den Emos
Bachelor-Studium Biotechnologie Chemie Lebensmitteltechnologie Umweltingenieurwesen Facility Management Info-Anlässe 4. Oktober 2011, 17.30-19.30 Uhr Campus Grüental, Wädenswil 5. November 2011, 10.00-13.00 Uhr Campus Grüental, Wädenswil www.lsfm.zhaw.ch/bachelor
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das f채ngt ja gut an
ENDLAGER
4
War da mal was? Ein halbes Jahr nach der Atomkatastrophe von Fukushima droht das Thema bereits wieder aus den Schlagzeilen und aus dem Bewusstsein zu verschwinden. Jonas Kakó, 21, hat sich damit in einem Schulprojekt auseinandergesetzt. «Ich wollte alles möglichst überspitzt und somit sofort verständlich darstellen. Zudem war mir wichtig, die Szenerie so realistisch wie möglich darzustellen, weshalb eine Photoshop-Manipulation nicht in Frage kam. Also besorgte ich mir eine Tonne vom Schrottplatz und bemalte sie. Dann warf ich die Tonne – unter den Blicken verdutzter Touristen – ins Wasser.» Mehr von Jonas gibt es auf Seite 64.
5
inhalt
topstory 16
STYLECHECK Meine Nacht mit den Emos, die eigentlich gar keine Emos mehr sind
report 9
REGENBOGEN Mit «Sai» gegen Kinderprostitution in Thailand
24
BREAKDANCE «Wenn du ein neues Leben beginnen willst, musst du dein Altes zuerst aufgeben.» – Also verlassen die acht Tänzer der Roc Kidz Crew ihr gewohntes Leben, um zusammen als beste Freunde und als Tänzer loszuziehen. In einem bunt bemalten Bus fährt die multikulturelle Gruppe Richtung Süden. Für sie beginnt eine Reise, die weder ihren Geldbeutel noch ihren Ruhm bereichern wird, sondern vielmehr ihr Herz und die Herzen anderer.
KÖRPERSTELLUNG La Novie del Mar
26
LIFESTYLE Alotria – meine Lifestyle-Marke
42
FORSCHERTRIEB Am Gymnasium erforscht
reportage 38
NÄCHSTENLIEBE «Das ist einfach so passiert»
porträt 12
BREAKDANCE Bis auf die Unterhosen alles geteilt
kurzgeschichte 36
KOPFSCHMERZEN Kindergeschrei
48
FEIERABEND Momentaufnahmen
50
SONNENSTRAHLEN Im Fall der Farben
55
REGENSCHAUER Sans parapluie
59
FREUDENTRÄNEN Hoffnung
61
MEDIZINSTUDENT Das rote Kleid
comic 22
GUTMENSCH
62
9 REGENBOGEN
Mein lieber George …
Als Raphael Stierli ein schockierendes Buch über Kinderprostitu-
KREISLAUF
tion in Thailand liest, beschliesst er, auf seine Art zu helfen. Raphael
Die Dose
aka Cyphermaischter produziert den Rap «Sai», dreht ein Video und
essay
spannt eine Hilfsorganisation für sein Projekt ein. Mit dem Erlös aus
46
seinem ersten Solo-Album soll ein Kinderheim in Thailand unter-
GLIMMSTÄNGEL Rauchen – Lust oder Frust?
53
stützt werden.
ABTREIBUNG Entscheidung über das Leben
foto 4 56 64
DAS FÄNGT JA GUT AN Endlager
STYLECHECK
BERN-ZÜRICH
Luisa Ricar beobachtet für ihre Matu-
Scheitern
raarbeit während Wochen das Trei-
DAS HÖRT JA GUT AUF
ben am Zürcher Hauptbahnhof. Bald
Kulturlandschaft
fallen ihr Jugendliche auf, die stundenlang vor den Spiegel stehen, um
34
aufruf
sich schliesslich am HB perfekt gestylt der Welt zu präsentieren. Ein Treffen
50
impressum
mit den Emos, die offenbar gar keine Emos mehr sind und trotzdem noch am HB hängen.
6
16
ciao Weitaus die meisten Texte, die wir von euch erhalten, sind Kurzgeschichten. Diese sind teilweise so brilliant und spannend, dass wir problemlos ein doppelt so dickes tango, das nur aus Kurzgeschichten besteht, drucken könnten. Aber eben: Unsere Seitenzahl ist leider begrenzt, weshalb wir versuchen, im Magazin einen guten Mix aus verschiedenen Themen und journalistischen Textsorten (Interviews, Porträts, Reportagen, Essays) zu berücksichtigen. Doch zum Glück gibt es das Internet. Im Frühjahr haben wir unsere Website tango-online.ch zum Online-Magazin ausgebaut. Seither schalten wir in
12
regelmässigen Abständen neue Beiträge auf, die uns nach Redaktionsschluss des Printmagazins erreicht haben. Auf tango-online.ch findest du also noch mehr spannende Porträts von Menschen, die etwas bewegen und noch mehr Projekte, die Schlagzeilen machen, aber auch gut geschriebene Kurzgeschichten,
26
Essays und Interviews. – Und weil wir alle auch mal ganz gerne gamen und zocken, findest du auf unserer neu gestalteten Homepage auch ständig neue OnlineGames und attraktive Wettbewerbspreise. Also, wir freuen uns, wenn du regelmässig bei tango-online.ch hineinklickst und dir so die Wartezeit bis zum nächsten Heft verkürzt. Übrigens: Selbstverständlich gelten für das OnlineMagazin die gleichen Qualitätskriterien wie für das Print-Magazin: Jeder Beitrag muss spannend, originell, aussergewöhnlich oder faszinierend sein. In jedem Fall freuen wir uns über jeden Artikelvorschlag und selbstverständlich beantworten wir jede Zuschrift individuell – wir bitten aber um Verständnis, wenn die Antwort manchmal etwas auf sich warten lässt, denn wir erhalten sehr viele originelle und kreative Artikel(vorschläge), die wir jeweils im Team intensiv besprechen. Wenn du auch eine Idee hast, so beachte bitte unseren Aufruf auf Seite 34. Viel Spass mit tango wünscht Daniel Heeb
LIFESTYLE
Moni Rimensberger gestaltete tango. Sie erinnert sich
Sein Ziel: die Gestaltung einer eigenen Lifestyle-Marke.
gerne an die Zeit, als sie viel im Wald spielte. Stunden-
Also beginnt Damian Ineichen in seiner Freizeit, ein Logo
lang vertrieb sie sich die
zu entwickeln, Entwürfe für eine T-Shirt-Kollektion zu
Zeit mit ausgedachten
designen, die T-Shirts schliesslich zu bedrucken und einen
Abenteuergeschichten
eigenen Katalog zu gestalten. Das Ergebnis kann sich seh-
und mit Tannenzapfen-
en lassen!
sammeln für den Ofen zu Hause.
7
MÉLANIE WAR DAS MATHEMATIK-STUDIUM ZU THEORETISCH. UMSO BESSER GEFÄLLT ES IHR IM JUNIOR BANKING PROGRAM. Mélanie schätzt die praxisbezogene Ausbildung – «das gefällt mir viel besser als an der Uni», sagt sie. Mélanie ist eines von 800 Young Talents, die bei uns das Junior Banking Program oder eine Lehre absolvieren – und auf die wir setzen, weil sie unsere Zukunft bedeuten. credit-suisse.com/karriere
8
report
MIT «SAI» GEGEN KINDERPROSTITUTION IN THAILAND Raphael Stierli alias «Cyphermaischter» macht mit seinem Song «Sai» und dem dazu gehörenden Videoclip auf die Situation der Kinderprostituierten in Thailand aufmerksam.
Raphael Stierli
V
or einiger Zeit las ich «Ich war erst dreizehn» von Julia Manzanares
und Derek Kent. Das Buch, das auf einer wahren Begebenheit basiert, erzählt von einem minderjährigen thailändischen Mädchen. Nach dem Tod ihres Vaters entschliesst sich Sai, ihre Familie zu verlassen, um in einer Bar in Lampang Geld zu verdienen. Ihr Einkommen reicht jedoch nicht aus, um ihre Familie zu ernähren, und so landet sie schliesslich in Bangkok in den Fängen der 9
mit «sai» gegen kinderprostitution in thailand
TANGO-FACTS CYPHERMAISCHTER: REGABOGA «Im Leben jedes Menschen gibt es schöne, sonnige, aber auch regnerische Abschnitte. Und es kommt vor, dass diese Momente heftig aufeinandertreffen – in der Natur entstehen in diesen Momenten Regenbogen am Horizont, die als Symbol der Hoffnung auf bessere Zeiten oder als Warnsignal für ein aufziehendes Gewitter verstanden werden können. Dieses Phänomen thematisiere ich auf meinem ersten Soloalbum», verrät Raphael Stierli alias «Cyphermaischter». «Regaboga» kannst du bei iTunes herunterladen. Alle Einnahmen aus den Online-Verkäufen des Songs «Sai» gehen an das Caritas-Projekt in Pattaya. Die CD kannst du bei www.exlibris.ch/DE/Regaboga kaufen. Pro verkauftes Album gehen zwei Franken an das Hilfsprojekt. Das Video findest du auf www.tango-online.ch. Mehr zum Projekt findest du auch auf www.youngcaritas.ch/sai. 10
TANGO-FACTS HILFSPROJEKT IN PATTAYA: GEFÄHRDETE UND AUSGEBEUTETE KINDER ERHALTEN SCHUTZ UND HILFE Religiöse und ethnische Konflikte, aber auch politische Intrigen und wirtschaftliche Rezession thailändischen Sexindustrie. Dieses
vies, visualisierte zudem den Song
haben das Schwellenland Thailand in eine
Thema hat mich sehr bewegt und
während unzähliger Drehtage in ei-
schwere Krise gestützt, was 2006 zu einem
zugleich schockiert. Ich begann
nem Videoclip.
Militärputsch führte. Auf der Suche nach
mich damit intensiver auseinan-
Doch mir ist es nicht nur wichtig,
derzusetzen und erfuhr, dass allein
auf das Schicksal der Kinderpros-
in Thailand bis zu 800‘000 Kinder in
tituierten aufmerksam zu machen,
der Prostitution tätig sind. Vielfach
ich möchte auch Hilfe leisten. Des-
nutzen auch Schweizer Touristen
halb spende ich für jede verkaufte
die Notlage minderjähriger Mäd-
CD meines Soloalbums «Regaboga»
chen aus.
zwei Franken an ein Caritas-Hilfs-
LAOS
THAILAND
Aufgrund meiner Recherchen
projekt, mit dem präventive Mass-
und Erkenntnisse entschied ich
nahmen zum Schutz thailändischer
mich, auf dieses Verbrechen auf-
Kinder in Pattaya realisiert werden
merksam zu machen. Meine Grund-
sollen. Zusätzlich fliessen alle Ein-
idee bestand darin, einen Rap-Song
nahmen aus den Online-Verkäufen
zu produzieren, der die Geschichte
des Songs in das Caritas-Projekt. Ich
eines unschuldigen thailändischen
möchte, dass den Kindern in Pattaya
Mädchens erzählt. Also produzierte
eine bessere und sichere Zukunfts-
ich das musikalische Grundgerüst
perspektive aufgezeigt wird. Kinder
Sicherheit und Einkommen in den städtischen
für den Song und erzählte im Text,
sind hilflos und können sich nicht
Zentren fallen Familienstrukturen oftmals
wie Sai Schritt für Schritt in die
wehren. Daher will ich mithelfen,
auseinander. Die Kinder sind allein der Strasse
Sexindustrie gerät: «Dr Bus öffnet
die Kinder zu schützen, zu unter-
überlassen und werden von Zuhältern für krimi-
d‘Türa in a Welt voller Angscht, in
stützen und zu bilden.
nelle Zwecke oder zum Betteln missbraucht.
a Schtadt, wo z Leba nur mit Geldnota klappt, a Hinterwäldler vom Land mit wenig Geld in dr Hand isch a gfundnigs Fressa für männli-
BANGKOK PATTAYA KAMBODSCHA
VIETNAM
Drogen, Prostitution und Menschenhandel sind in Pattaya, unweit von Bangkok, sehr präsent. Caritas Schweiz führt dort mit Partnerorgani-
chi Gwalt.»
Text und Musik fanden schliesslich den Weg ins Tonstudio von Lou Geniuz, der bereits mit den RapGrössen Gimma und Breitbild zusammenarbeitete. In diesem professionellen kreativen Umfeld entstand mein Song «Sai». Beat Edelbauer, besser bekannt als FixFinest Mo-
Raphael Stierli alias «Cyphermaischter», 23, aus Grüsch, startete seine
sationen eine Kindertagesstätte, die Kinder vor
ersten Gehversuche als Musiker unfreiwillig. Als Strafaufgabe musste
Gewalt schützt, damit sie nicht ins Sexgewerbe
er im Konfirmandenunterricht einen Bibel-Psalm in einen Rap umwan-
hineingeraten. Die Kinder erhalten im Zentrum
deln. Danach wurde er vom Hip-Hop-Fieber infiziert. Was ist ihm ausser
eine ihren Fähigkeiten und ihrem Alter ent-
seiner Musik und dem Projekt «Sai» sonst noch wichtig? «Meine Fami-
sprechende Ausbildung und Erziehung, zudem
lie, meine Freunde, Fitness, Unihockey und Spass am Leben.»
bekommen sie einmal am Tag eine ausgewogene Mahlzeit.
11
portr채t
Bis auf die Unterhosen die Mitglieder der Breakdancetruppe The Roc Kidz Crew k체ndigten ihre Wohnungen und fuhren gegen S체den, um auf der Strasse zu tanzen. Das Thurgauer Crewmitglied Fabian Kimoto hat die Gruppe mit der Kamera begleitet, seither ist die Truppe in aller Munde.
12
alles geteilt Susanne Hefti
W
as passiert, wenn acht ausserordentliche Breakdancer
ihr
bishe-
riges Leben aufgeben und auf der Suche nach Entfaltung und Unabhängigkeit in einem bunt bemalten
eine ganz andere Hip-Hop-Kultur,
Bus gegen Süden fahren? Die Break-
frei von Drogen, Waffen und Gewalt.
dancetruppe The Roc Kidz Crew war
Viele der Mitglieder sind Grö-
über 18 Monate lang nur aus einem
ssen im Breakdance-Geschäft: Ben-
einzigen Grund unterwegs: der Lie-
ny Kimoto beispielsweise hält den
be zum Tanz. Ohne Chef und ohne
Weltrekord im Headspin und gehört
Regeln führen sie in unzähligen
zu den dreizehn aussergewöhnlichen
Städten ihr Programm auf, das im-
Tänzern, denen im Playstation-Spiel
mer auf der Strasse stattfindet und
B-Boys eine Figur gewidmet wurde.
das Publikum direkt miteinbezieht.
Er ist eine der Schlüsselfiguren der
So scharen sie in Rom, Paris und
europäischen
Pisa hunderte Leute um sich, die am
genauso wie Dergin Tokmak, der
Spektakel teilhaben wollen.
im Rollstuhl sitzt und mit Krücken
Die Roc Kidz sind
Rockstars.
Nach den Shows kommt nicht nur
Ein Leben abseits von traditionellen Lebensentwürfen
ein voller Hut
Breakdance-Szene,
tanzt,
meistens
kopfüber
und
so virtuos, dass
TANGO-FACTS THE RISING SUN Eine unvergessliche Reise voller Emotionen, Liebe und Leidenschaft zur Tanzkunst. Purer Lifestyle – voller Überraschungen und positiven Begegnungen. Eine DVD über die acht Mitglieder der multikulturellen Gruppe The Roc Kidz Crew und ihren Erlebnissen auf der Fahrt Richtung Süden ist ab Oktober 2011 überall im Handel erhältlich. Gewinne eine Gratis-DVD und schreibe eine E-Mail an redaktion_tango@hotmail.com, Stichwort The Roc Kidz Crew.
einem der Atem wegbleibt.
Mit
zurück, sondern es gibt Standing
seinem Programm «Solo on Crut-
Ovations für die Tänzer und Fotos
ches» tourte er mit dem Cirque du
mit begeisterten Fans. Die Strassen-
Soleil durch die ganze Welt. Zum
tänzer kommen aus Deutschland,
Tanzen sei keine Behinderung zu
Japan, Italien, aus dem Iran, der
gross oder zu einschränkend, meint
Türkei und der Ostschweiz, genauer: aus Romanshorn.
Während ihrer Reise leben sie wie eine Familie zusammen. Sie teilen sich alles, nur die Unterwäsche nicht – wobei, die Socken schon. Obwohl so viele unterschiedliche Charaktere aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen, bringen sie einander Respekt, Liebe und Toleranz entgegen. Genau das ist eine Botschaft, die die Roc Kidz den Zuschauern, sei es mit ihrem Film «The Rising Sun» oder mit ihrem Strassenprogramm, vermitteln wollen. Mit ihrer Haltung verkörpern sie
13
Polizistin oder Polizist in der grössten Schweizer Stadt zu sein, ist spannend, vielseitig und anspruchsvoll – sei es im Streifenwagen, auf dem Motorrad, auf dem See, in Uniform oder in Zivil. Für diese aussergewöhnliche Aufgabe brauchen Sie Einsatzbereitschaft, Besonnenheit und eine gute Ausbildung. Aufgeweckte, kontaktfreudige 20- bis 35-jährige Schweizerinnen und Schweizer mit Berufsabschluss, Matur oder anerkanntem Diplom bilden wir während zwei Jahren bei vollem Lohn zu verantwortungsbewussten, kompetenten Polizistinnen und Polizisten aus. Unsere künftigen Mitarbeitenden müssen körperlich fit und mental belastbar sein.
Ich bin Polizist bei der Stadtpolizei Zürich. Daniel, 28, Handballer
Tag für Tag, rund um die Uhr, an vorderster Front dabei sein! Wenn Sie die Herausforderung annehmen möchten, bestellen Sie die Bewerbungsunterlagen bei der Stadtpolizei Zürich: Telefon 044 411 92 16/17 oder über www.stadtpolizei.ch
bis auf die unterhosen alles geteilt
er, und das will er den Leuten mit seinem Programm vermitteln. In jedem stecke eine kreative Seele, ob mit Behinderung oder ohne.
Das Talent, das die acht Crewmitglieder an den Tag legen, ist erstaunlich und ihre mitreissenden Körperbewegungen beim Tanzen auf der Strasse oder bei einem Auftritt wirken kinderleicht und schwerelos, obwohl ohne Zweifel viel Arbeit dahinter steckt. Denn um ein so hohes Niveau zu erreichen, verlangen die Tänzer ihren Körpern täglich das Äusserste ab, auch bei Regen oder vierzig Grad im Schatten. Auf der Tour durch Europa beispielsweise verletzte sich Crewmitglied Julia am Handgelenk und muss die
Und natürlich kennen die Tänzer auch selbstzweifel Gruppe für längere Zeit verlassen, und auch die anderen Tänzer kämpfen mit überbeanspruchten Körperteilen. Ein Tänzerleben kennt nicht nur Sonnenseiten, sondern fordert meist auch seinen Tribut. Um längerfristig so zu leben, gehört eine gehörige Portion Mut und Idealismus dazu.
Die Crewmitglieder der Roc Kidz haben sich für ein Leben abseits von Konventionen und traditionellen Le-
schen so frei, wie man es sich nur
bensentwürfen entschlossen. Dabei
erträumen kann. Acht Menschen,
war die Entscheidung zur Tänzer-
die ihr Leben selbst in die Hand ge-
karriere für viele Gruppenmitglie-
nommen haben, um das zu tun, was
der alles andere als selbstverständ-
sie lieben.
lich. Familie oder Freunde brachten
Kürzlich gewann die Truppe den
ihnen Unverständnis entgegen. Und
Publikumspreis beim Milano Clown
natürlich kennen die Tänzer auch
Festival und beim Festival Artisti di
Selbstzweifel, wenn es um die Zu-
Strada in Ascona. «The Rising Sun»,
kunft geht, die sie mit dem Tanzen
der Dokumentarfilm über die Roc
haben. Doch alles, was man aus Lie-
Kidz Crew, feierte am Zurich Film
Susanne Hefti, 26, aus Zürich, hat an der Zür-
be macht, hat eine Zukunft. Und die-
Festival seine Schweizer Premiere.
cher Hochschule für Angewandte Wissenschaf-
se Ideologie macht diese acht Men-
ten Journalismus und Kommunikation studiert und bildet sich nun im Bereich Fotografie weiter. Sie interessiert sich ausserdem für Literatur und Kunst.
15
topstory
Meine Nacht mit den Emos, die eigentlich gar keine Emos mehr sind Sie verbringen Stunden vor dem Spiegel, um sich am Hauptbahnhof Zürich perfekt gestylt der Welt zu präsentieren. Ein Treffen mit den Emos, die keine Emos mehr sind und trotzdem noch am HB hängen. Luisa Ricar
L
eo ist 19 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl. Am besagten Abend war er nicht zufällig am Zürcher Haupt-
bahnhof. Er fuhr an einer Gruppe auffällig gekleideter und düster geschminkter Jugendlicher vorbei. Einmal, zweimal, niemand nahm Notiz vom schüchtern wirkenden jungen Mann. Beim dritten Vorbeifahren wurde er von Heni angesprochen. Heni ist 22 Jahre alt
bert und kommentiert; selbst Emo-
und ein Emo. Leo jetzt auch.
Witze werden gerissen. Zu Beginn
Heute treffe ich mich mit Heni am Zür-
getraue mich fast nicht, werfe aber
cher Hauptbahnhof. Er gilt als grosser Ken-
dann doch die Frage in die Runde,
ner der Emoszene. Ich bin gespannt. Als Heni
ob sie denn keine Emos seien.
schliesslich angewuselt kommt, steht mir ein kleiner und unsicher wirkender junger Mann
Alle: «Nei wää! Sicher nöd!»
mit grosser Nase und wachem Blick gegen-
Heni: «Doch, voll, ich zell mich im-
über. Seine Haare sind schwarz und übers Auge gekämmt, Vans, Karogürtel, dunkle Röhrenjeans und ein T-Shirt mit farbigem Print.
Bei
unserem
Gang
durch den HB scheint Heni praktisch jeden zu kennen, der schwarze Haare, Nietengürtel, enge Hosen
Henis Haare sind schwarz und übers Auge gekämmt, Vans, Karogürtel, dunkle Röhrenjeans und ein T-Shirt mit farbigem Print.
oder ähnliche Accessoires trägt. Bald sind wir
16
mer no als Emo.» Cherry: «Boa, du bisch ja voll krass!» Heni:
«Lueg,
die döt hine sind eher
‘Visual
Keys‘.»
Okay, «Visual Keys», keine
Emos. Was denn sonst noch?
von einer lustigen Truppe von Mädels und
Heni: «Ja, eigentlich sind mir alli
Jungs umgeben. Keine Spur von den manisch-
so chli Individualischte, aber es git
depressiven Emos, die in Selbstmitleid versin-
scho vereinzelti Churks, Nerds oder
ken. Es wird gelacht, getrunken, herumgeal-
Technotics under ois.»
17
meine nacht mit den emos, die eigentlich gar keine emos mehr sind
Ich nehme Heni zur Seite und
Würklich, das vermiss ich fascht es
frage nach den guten alten Zeiten,
bizeli. Früäner simmer no für meh
als die Welt noch einfach war und es
Emotione und zwüschemenschlichi
Emos und Nicht-
Beziehige igstande, aber jetzt nüme.
Emos
gab:
Im
Jahr 2007, als das Phänomen Emo auch die Schweiz erreichte,
war
Emo noch klar definiert.
Emo
Früäner hend sich d'Emos no kuschled, aso hend Gruppekuschel gmacht und so Sache.
war, wer schwar-
18
Me isch halt normal worde», bedauert Heni. Wannabe
Normal war früher aber alles an-
das Schimpfwort
dere als die Emos. Die Leute konn-
ist, kann sich an-
ten mit den provokant gestylten Ju-
scheinend jeder
gendlichen nicht viel anfangen, man
so kleiden, wie er
wurde lediglich argwöhnisch begut-
oder sie möchte.
achtet. Auf jeden Fall war man da-
mehr
ze, enge Kleidung trug, sich die Haa-
Heni wird fast etwas nostalgisch,
mals noch etwas Spezielles, etwas
re stylte, harte Musik hörte und sich
als er von «früher» erzählt, als das
Mysteriöses, wenn man am HB so
besonders gefühlsbetont gab. Heni
Phänomen Emo noch in den Kinder-
herumlief.
war damals natürlich schon dabei.
schuhen steckte. Damals versam-
In Internet-Communitys finden
Früher war das richtige Styling ex-
melte man sich jedes Wochenende
sich viele Tipps, wie man einen gu-
trem wichtig, um zur Szene zu gehö-
am HB, man war die «HB-Family».
ten Emo-Style kreiert: Emos tragen
ren. «Damals isch das scho schlimm
Es war immer jemand da, dem man
viel Schwarz, kombiniert mit funky
gsi, da isch jede fertig gmacht worde,
sich anvertrauen konnte, wenn es
Farben. Emos tragen keine Sportlo-
wo sich chli billig aazoge het und de
irgendwo Stress gab. Freud und Leid
gos – das ist zu Mainstream. Emos
isch denn mit ‚Wannabe‘ beschimpft
wurden geteilt. «Früäner hend sich
tragen Chucks oder Vans, Stiefel
worde», meint Heni mit einem Schul-
d’Emos no kuschled, aso hend Grup-
sind zu punkig. Emos tragen Acces-
ternzucken. Jetzt, wo Emo und nicht
pekuschel gmacht und so Sache.
soires, auch Piercings und Tattoos
peppen den Look auf. Emos tragen
Cherry: «Mer hetti scho bessers
Make-up. Die Augen, die Fenster zur
z’tuä, aber irgendwie landet mer
Seele, werden dunkel betont.
denn doch wieder
Offensichtlich ist, dass sich die Emos ihren Style von anderen Ju-
bim HB.» Snusnu: «Und
zusammenklauten:
d’Lüt sind cool!
Die Nietengürtel von den Punks, die
Es git sottigi, die
schwarze Kleidung von den Gothics,
ghöred eifach zu
die traditionellen Schachbrettmus-
de Familie.»
gendgruppen
ter von den Skas und so weiter. «Mer
Heni:
«Mer
Später am Abend wird er mit zwei Typen am HB rumknutschen, doch so weit sind wir noch nicht.
hier – perfekt gestylt – der Welt zu präsentieren. Das wird zwar heftig
demen-
tiert, «zum Uuf-
het sich halt vo allem nur s’Beschte
weiss eifach, mer
gno», meint Heni mit einem Au-
chan det hi gah und mer kännt öp-
kein Emo sii», meint ein Mädchen
genzwinkern. Doch ebenso schnell,
per.»
mit rotgefärbten Haaren und Rü-
wie alle «etwas Emo» wurden, verschwand das Phänomen auch wie-
Snusnu: «Und mer chan d’Lüt beobachte!»
falle muss ich
schenrock. Doch es ist offensichtlich, dass der Bahnhof Ziel des abendli-
der. Und jetzt sind wir wieder hier,
Heni: «Ja, genau. Wenn mer am
chen Ausgangs ist: «De HB isch wie
bei der kleinen Gruppe Emos, die ei-
HB hängt, het mer immer öpper, es
oise Mikrokosmos, und oise Mikro-
gentlich gar keine Emos mehr sind.
Original, es Meitli mit emene Rüsche-
kosmos bestaht us Lüt, wo chömed
«Ihr hängt also am HB herum, weil ihr nichts Besseres zu tun
rock, anderi Kulture und so zum Be-
und gönd, und dadrus entstaht e Be-
obachte.»
wegig und au e Spannig und drum
habt?», frage ich in die Runde.
Am HB ist ein Kommen und Gehen, ein Sehen und Gesehen-Wer-
Heni: «Also eigentlich träffed mir ois jedes Wuchenend.»
het mer s’Bedürfnis am HB z’sii und sich unterhalte z’lah». Punkt.
den. Die Jugendlichen verbringen
Später am Abend, als sich die
Stunden vor dem Spiegel, um sich
Truppe vom Treffpunkt am HB auf 19
meine nacht mit den emos, die eigentlich gar keine emos mehr sind
die Treppen vor dem Landesmuseum verschoben hat, bleibe ich fasziniert an Manu hängen, der mit engen lachsfarbenen Hosen und perfekt gescheitelten Haaren das GucciTäschchen seiner Kollegin mit einer solchen Grazie hält, als wäre es
meint Leo mit einem Seitenblick auf
seines. Es ist auch seines, wie sich
Heni. Heni lacht nur und erzählt
spätestens dann herausstellt, als
von einer Goa-Party, auf die sie Leo
er Spiegel und
habe aber stren-
Kamm aus der
ge Regeln ein-
Tasche holt, um
Später am Abend wird er mit zwei Typen am HB rumknutschen, doch so weit sind wir noch nicht.
mitgenommen haben.
Der Abend ist bereits weit fort-
«will
geschritten. Die Securitas patrouil-
mini Nase suscht
liert regelmässig, alle sind ausge-
wie en Härdöpfel
lassen, es herrscht eine spezielle
usgseht». Die an-
Stimmung. Manu und Ninjo geben
deren
scheinen
ein schönes Bild ab, als sich die zwei
nichts Ausserge-
hochgewachsenen Jungen spontan
wöhnliches
da-
innig küssen. Keine irritierten Bli-
rumknutschen, doch soweit sind wir
ran zu finden, dass sich ein 17-jäh-
cke seitens der Gruppe. Irgendwann
noch nicht.
eine widerspenstige
Haarsträh-
ne zu bändigen. Später am Abend wird er mit zwei Typen
am
HB
zuhalten,
riger Mann in dramatischste Posen
zerstreut sich die Gruppe, man
Als wir zusammen der Limmat
wirft und den Schatten seines Hin-
nimmt den Zug, das Tram, geht hi-
entlangspazieren, die Arme einge-
tern bewundert. Ich auf jeden Fall
naus aus dem Hauptbahnhof. Und
hängt wie zwei Kolleginnen, erzählt
amüsiere mich köstlich.
am nächsten Wochenende wird man
er von seiner KV-Lehrstelle, dass
Zurück am Hauptbahnhof. Leo,
er erst 17 Jahre alt sei, aber immer
unser Rollstuhlfahrer, verabschie-
älter geschätzt werde, von seinem
det sich um Mitternacht. Er erzählt,
Freund in Italien und dass er mich
dass es für ihn anfangs nicht einfach
knuffig finde. Na gut. Als ich ihm ein
gewesen sei, sich in eine Gruppe von
kleines Fotoshooting vorschlage, ist
nichtbehinderten Jugendlichen ein-
er hellauf begeistert und schon po-
zufügen, sonst sei er immer unter
siert er wie ein Profi im Scheinwer-
seinesgleichen gewesen. Heni habe
ferlicht vor dem Landesmuseum.
ihn damals, als Leo neugierig an
Ich komme kaum nach mit Knipsen,
den Emos vorbeigefahren war, so-
sich wieder treffen, das ist klar.
gleich in ihre Mitte aufgenommen und ihm die Integration erleichtert. Dafür sei er ihm extrem dankbar,
Luisa Ricar, 17, aus Pfäffikon, hat in einer äusserst aufwendigen Maturarbeit ein 44-seitiges Magazin über das Leben am Hauptbahnhof Zürich produziert, das Imiitat eines Magazins des Tages-Anzeigers. Sie unterhielt sich mit Pendlern, dem Sicherheitschef, einem fünfsprachigen Apotheker, dem Pfarrer der kleinen Bahnhofskirche oder mit dem ehemaligen SBB-Chef Benedikt Weibel, der weniger «bünzlig» sei als andere Bähnler. Foto: Ornella Cacace
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comic
Mein lieber George ...
22
SSamuel Schuhmacher, 18, aus Hettllingen, besucht das Liceo Artistico in Zürich. Er mag Bildnerisches GestalZ tten, Kunstgeschichte und Deutsch. «Grundgedanke meiner Geschichte « war, einen sogenannten ‚guten Menw sschen‘ darzustellen, wie es viele Leute zzu sein versuchen, der aber sich und ssein Leben völlig vergisst.»
23
report
La Novia del Mar In Mexico stiess ich auf eine geheimnisvolle Statue, die die Einheimischen die Geliebte des Meeres nennen. Sie liess mich nicht mehr los. Veronica Schärer
D
ie ersten Fischer schlenderten geräuschvoll mit ihrer schweren Arbeits-
Als ich eine zweimonatige Reise
ausrüstung an ihr vorbei. Sie rührte
quer durch Mexiko machte, um mei-
sich nicht.
ner besten Freundin meine zweite
Das leise Klimpern der frisch ge-
Heimat zu zeigen, fand ich sie in
schliffenen Messer, die die Fischer
einem
um ihre nackte Brust trugen, und
namens Campeche. Es war einmal
das rhythmische Rattern ihrer voll-
einer der bedeutendsten Häfen in
gepackten Wägelchen, die sie vor
Mexiko gewesen – aber auch einer
sich her stiessen, lockten die Sonne
der gefährlichsten. Er wurde regel-
hinter dem tiefschwarzen Horizont
mässig von Piraten heimgesucht.
hervor. Sie rührte sich nicht.
24
kleinen
Fischerstädchen
Die Legende besagt, dass sie
Ein sanfter Windstoss blies ih-
sich bei einem Überfall auf ihre
ren Rock hoch und entblösste ihre
Stadt leidenschaftlich in einen der
Beine. Die Fischer glucksten. Sie
Piraten verliebte. Der Pirat schwor
rührte sich nicht. Darauf berühr-
ihr, bevor er die Segel spannte, dass
ten erste, schwache Sonnenstrahlen
er zu ihr zurückkehren werde, um
ihre Zehen und kitzelten sie liebe-
sie zu holen. Die Leute gaben ihr
voll. Sie rührte sich nicht.
den Namen «Novia del Mar» (Ge-
liebte des Meeres), da bis heute kein
lancholie – aber keine Verzweiflung,
Während ich mich wieder von
Tag verstrichen ist, an dem sie nicht
Zuversicht – aber keine Gewissheit,
ihr entfernte, kam mir merkwür-
aufs Meer hinausblickend auf ihn
Anspannung – aber keine Ungeduld,
digerweise ein Cicero-Zitat in den
wartet.
Verlassenheit – aber keine Einsam-
Sinn: «Dum spiro spero.» Solange
keit, Machtlosigkeit – aber keine
ich atme, hoffe ich.
Da sah ich sie nun, wie die Meerbrise ihre Haare nach hinten kämm-
Hilflosigkeit.
Als ich mich noch weiter entfern-
te, um ihr freie Sicht aufs unendlich
Wie war das möglich? Ich be-
te, begann ich zu spüren, dass sie
weite Meer zu ermöglichen. Die Bei-
gann sie zu umkreisen. Ich wollte
mich zurückhielt. Sie wollte mich
ne hatte sie straff nebeneinander
sie verstehen. Fühlen, was sie fühlt.
noch nicht gehen lassen. Sie hatte
gelegt, den Kopf hatte sie auf ihren
Denken, was sie
mir noch etwas
Armen aufgestützt. Ihre gesamten
denkt.
zu
Körperteile verwiesen ausschliess-
was
sieht.
griff ich meinen
lich in die eine Richtung, in seine
Also setzte ich
letzten Gedanken
mich neben sie,
nochmals auf. Ci-
nahm
Po-
cero sprach aus,
forderte mich. Ihr Ge-
sition ein, sah,
dass das Leben
sichtsausdruck offen-
dachte und fühl-
und die Hoffnung
barte eine gewaltige
te und verstand
Fülle an Emotionen:
schliesslich: Hoffnung.
Richtung.
Ihr
Anblick
über-
Sehen, sie
ihre
sagen.
Also
zusammengehören. Das eine kann ohne das andere
Müdigkeit – aber kei-
Doch, was ist Hoffnung? Das
ne Erschöpfung, Me-
ewige Warten? Der Traum vom Un-
Ich atmete tief durch, wischte
wahrscheinlichen? Ein angenehme-
mir den Schweiss von der Oberlip-
res Wort für «Befürchtung»? Ist
pe, machte einige Schritte auf sie
Hoffnung bloss eine blödsin-
zu und liess mich nochmals auf sie
nige Art, sich der Realität
ein. Ich erkannte, dass es die Liebe
zu entziehen?
zu ihm war, die ihr diese Kraft, «sich
Ich löste mich aus dieser unbequemen Körperstellung
nicht existieren.
nicht zu rühren» und ewig weiter zu hoffen, gab. Jetzt verstand ich sie.
und betrachtete sie nochmals.
Hoffnung ist ein Anker, der
Ich musste schlucken. Ich war
davor bewahrt, von Wellen der Er-
plötzlich wütend geworden.
schöpfung, Verzweiflung, Ungeduld,
Auf sie, auf ihr stures «Sich-
Einsamkeit und Hilflosigkeit davon-
nicht-rühren-Wollen»
und
auf ihr nutzloses Hoffen.
getragen zu werden. Deshalb hofft sie. Es ist die einzige Möglichkeit zu überleben. Löst sich der Anker, ist man für immer verloren.
Bevor ich sie für immer verliess, zwinkerte ich ihr kurz zu und schenkte ihr ein herzliches, dankbares Lächeln. Sie rührte sich nicht.
Veronica Schärer, 21, aus Küttigen, studiert an der Uni Bern BWL sowie Kommunkations- und Medienwissenschaften. Sie ist ein Mensch, der «gerne in Bewegung ist und Dinge in Bewegung bringt».
25
report Damian Ineichen
A
lles begann in einer Geschichtsstunde vor den Sommerferien. Der Raum war in dämmriges, diffuses
Licht getaucht, und der Diaprojektor summte leise. Unser Geschichtslehrer bemühte sich, uns lebhaft etwas zu den Dias zu erzählen. Doch wir konnten kaum still sitzen. Unsere Aktivitäten bestanden vorwiegend darin, miteinander zu plaudern und Witze zu reissen, denn es war eine der letzten Stunden des Semesters, und der Stoff war nicht mehr
Mein Ziel: die Gestaltung einer eigenen LifestyleMarke. Dazu gehören: eine persönliche Philosophie, die Entwicklung eines Logos, das Designen und Drucken einer eigenen T-Shirt-Kollektion und die Organisation eines Fotoshootings.
prüfungsrelevant. Vor allem in der hintersten
aussieht. Bald entstanden kurze Snowboard-,
Reihe, dem Stammplatz von meinen Freunden
Skateboard- und Trickfilme unter dem Na-
und mir, ging es laut zu und her. Wir kritzelten
men Alotria. Auch meine selbstgebauten Sla-
auf dem Pult herum oder schossen Papierflie-
lomboards bekamen den Schriftzug Alotria.
ger durch die Gegend. Doch dann fuhr der Ge-
Alotria wurde zu meiner Marke.
schichtslehrer energisch dazwischen: «Hört
Rahmen
meiner
Maturitätsarbeit
beschloss ich, mich richtig mit der Marke
Das
Alotria
Allotria?
Wort
klang seltsam, aber vielversprechend.
Zuhause
googlete ich die Wortbe-
26
Im
endlich auf, Allotria zu machen!»
Alotria ist die Suche nach neuen Abenteuern
auseinanderzu-
setzen. Mein Ziel war die Gestaltung einer eigenen Lifestyle-Marke. Dazu ge-
deutung und fand heraus, dass Allotria so viel
hörten die Entwicklung eines Logos sowie das
wie «Spass oder vergnüglicher Unfug» bedeu-
Designen und Drucken einer eigenen T-Shirt-
tet. Das Wort setzte sich in meinem Kopf fest.
Kollektion.
Immer, wenn ich etwas mit Freunden kreier-
Viele meiner Designs für die T-Shirts
te, bekam es die Aufschrift Alotria. Allerdings
entstanden während produktiver Schulstun-
mit nur einem l geschrieben, da es so besser
den und langer Nächte. Die besten Entwürfe
verfeinerte und perfektionierte ich mit einem vektorbasierten Zeichenprogramm am Computer. Danach druckte ich die T-Shirts selber mit dem Siebdruckverfahren. Dieser Teil war sehr aufwendig und zeitintensiv, da ich viel experimentieren musste, um das bestmögliche Resultat zu erzielen. Schliesslich entstand eine T-Shirt Kollektion mit zehn verschiedenen Motiven.
Nun organisierte ich ein Fotoshooting für einen Prospekt. An einem perfekten Herbsttag – die Aussicht auf das Nebelmeer und die Berge, welche majestätisch aus ihm herausragten, war unglaublich – stellten meine Freunde und ich auf einem Hügel ein grosses Trampolin auf. Es war ein
unbeschreibliches
Gefühl, hier oben Trampolin zu springen und dabei auf das Nebelmeer hinabzuschauen. Ausgestattet mit Blitzanlage und einer guten Fotokamera, fing ich viele spektakuläre Bilder ein. Während des ganzen Shootings herrschte eine sensationelle Stimmung, und wir genossen die gemütliche Atmosphäre. Allerdings unterschätzte ich, wie anstrengend es ist, Fotograf zu sein, meinen Models Anweisungen zu geben, die Blitzschirme immer wieder neu auszurichten und den Überblick über den Ablauf des Fotoshootings zu behalten. Als ich am späten Abend heimkam, fiel ich todmüde, aber höchst zufrieden in mein Bett.
Mit den Fotos gestaltete ich einen Prospekt, der die Philosophie von Alotria wiedergibt: Alotria ist die Suche nach neuen Abenteuern – beispielsweise eine wilde Biketour im Herbst während des ersten Schneefalls oder Snowboarden auf den letzten Schneefeldern im Frühling oder aber eine Jamsession im Wald während einer warmen Sommernacht. Alotria ist ein Lebensgefühl, das sich an vielen Orten entdecken lässt. Jeder kann seine Abenteuer selbst bestimmen und nach Alotria
Damian Ineichen, 18, aus Bonstet-
suchen. Ein bisschen Alotria steckt in jedem
ten, besuchte die Kantonsschule
Kopf und in jedem Herzen.
Limmattal. Seine Hobbys: Filmen, Fotografieren, Biken, Snowboarden, Klavier spielen. Sein Berufsziel: Architekt. Weitere Infos: www.facebook.com/alotria
27
tang
aufruf
OTOGRAFIEREN • ZEICHNEN C • SC SCHREIBEN • DICHTEN C • INTERVIEWEN • GESTALTEN TE EN • EXPERIM EXPERIMENTIEREN IMEN MEN ENTI NTI TIER EREN ER EN • B BERICHTEN ERIC C EN N DU BIST KREATIV schreibst gerne (und gut) • schreibst spannende Reportagen • verfasst originelle Kurzgeschichten • schiesst starke Fotos • zeichnest witzige Cartoons, Comics, Karikaturen • verfasst eine spezielle Matura-, Abschluss- oder Facharbeit • Dann brauchen wir dich als Geschichtenerzähler/-in oder Reporter/-in oder Fotograf/-in oder Cartoonist/-in …
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Fr. 222.– 29
kurzgeschichte
Kindergeschrei Noch immer hallten die hilflosen Stimmen der Verwundeten in ihren Ohren. Ihre stummen Blicke hatten sich in ihren Kopf eingebrannt. Caroline Röhrl
M
üde
braune
Augen
blickten Veronique an, döste sie endlich ein.
als sie sich im Spiegel
Ein
betrachtete. Der Schweiss tröpfelte
dröhnendes
Ge-
aus ihren goldenen Locken hervor,
räusch riss Veronique aus
sammelte sich in kleinen Bächen,
ihrem
die über ihr braungebranntes Ge-
Das Wellblech schepperte
sicht liefen. Angestrengt, mit zusam-
unter einer unbekannten
mengepressten Lippen, die nur noch
Kraft. Augenblicklich
Dämmerzustand.
als dünne Striche sichtbar waren,
stummen Blicke hatten sich in ihren
war Veronique hell-
wusch sich die junge Frau die Hän-
Kopf eingebrannt. Die Müdigkeit
wach. Kindergeschrei
de mit Seife, so dass sich der Wasch-
lastete auf Veronique, aber sie konn-
drang von draussen
eimer
Wasser
te sich ihr nicht hingeben. Zu nah
durch
langsam in ein Schaumbad verwan-
waren noch die mageren Finger, die
Wände herein und er-
mit
abgekochtem
die
dünnen
füllte den Raum. Trä-
delte.
Während
sich
sie
apathisch
an ihren Arm
nen der Verzweiflung
geklammert hat-
stiegen Veronique in die
ten. Diese Fin-
Augen, ein trockener Kloss bil-
ger hatten einem
dete sich in ihrem Hals und liess
Mädchen
sie nur noch keuchend atmen.
auf
ihr
gelbild
Spiestarrte,
schrubbte sie an den vereinzelten Blutflecken, bis
Tränen der Verzweiflung stiegen Veronique in die Augen.
ihre Haut gerö-
angstvoll
mit
kurz
geschnit-
Welches Unglück war nun
tenen
braunen
geschehen? Wie viele
Haaren und tiefschwarzen Augen
verletzte Kinder wür-
Mit pochenden Kopfschmerzen
gehört. Wo die Kleine jetzt sein
den die schon über-
legte sich Veronique im Nebenzim-
mochte? An einem besseren Ort,
füllte Krankensta-
mer auf das harte Ruhebett der
wie sie es dem jüngeren Bruder er-
tion mit ihrer
Krankenstation. In dem abgedun-
zählt hatte? Veronique keuchte. Wie
kelten Raum war die Hitze beinahe
sollte sie diese Armut und all das
so unerträglich wie draussen vor
Elend vergessen, wenn sie zurück
der Tür. Der Ventilator an der De-
in ihrer Heimat war? Wie sollte sie
cke surrte und knackste verzweifelt.
den ganzen Luxus dort ertragen
Schützend wickelte Veronique das
können?
tet war, spannte und schmerzte.
Moskitonetz um sich, es war hoff-
Stöhnend presste sie ihre
nungslos, den schwirrenden, sum-
dünnen Finger an ihre Stir-
menden Insekten zu entkommen.
ne, doch die pulsieren-
Noch immer hallten die hilflosen
30
den Schmerzen liessen
Stimmen der Verwundeten in ihren
sich nicht betäuben.
Ohren. Würde sie die verzweifelten
Nach Stunden, so
Gesichter je vergessen können? Ihre
kam es ihr vor,
Not bevölkern?
Veronique kämpfte gegen ihre Tränen an. Sie musste stark sein, sie musste helfen. Mit zitternden Händen knüpfte sie sich eine frische Schürze um ihre schlanke Taille, steckte ihre goldenen Locken zurück und holte tief Luft. Wie ein Mantra flüsterte sie fortwährend die beschwörenden Worte: «Ich muss stark sein, ich muss helfen.»
Mit einem kräftigen Handgriff stiess Veronique die Tür zum Hof auf. Die hereindringende Hitze erschlug sie fast und das grelle Licht der Mittagssonne, die hoch oben über dem kleinen Dörfchen am Himmel brannte, liess die junge Frau für einige Sekunden erblinden. Schützend schloss sie ihre Augen. Das Kindergeschrei drang nun ungefiltert an ihre Ohren. Schaudernd blickte Veronique auf. Ihr bot sich eine unfassbare Szene dar: Einige Kinder rannten schreiend über den Hof, versuchten, den ledrigen, ausgefransten Fussball zu erwischen und im Tor zu versenken, das durch zwei dürre Stöckchen
begrenzt
wurde. Der kleine mutige Junge ging in dem Spiel auf, vergass für einige Momente den Schmerz, den ihm der heutige Tag gebracht hatte. Das Gelächter der Kinder erfüllte Veroniques Herz und zauberte ein müdes Lächeln auf ihre Lippen. Auch in dieser Welt des Elends waren einige Minuten des Glücks möglich.
Caroline Röhrl, aus Büsserach, 22, studiert BWL an der Universität St. Gallen. Die zukünftige Unternehmensberaterin sagt: «Ich bin ehrgeizig, diszipliniert und halte es kaum einen Tag ohne Sport aus.»
31
reportage
Das ist einfach so passiert Mitten im Dschungel Südindiens steht einsam ein Krankenhaus für die Bedürftigen. Seinen Leitspruch «Lasst uns die Last der anderen mittragen» setzt es auf bemerkenswerte Weise um. Veronika Widmann
K
betrachtet
sen. Das nächste öffentliche Kran-
Kumar die Hand sei-
kenhaus liegt 60 Kilometer entfernt
nes Patienten. Gestern
– unerreichbar für die Menschen
hat dieser sich sämtliche Finger
von Kamagiri. Das erkennt auch
an einem Feuerwerkskörper ver-
Doktor Jeyachandran, als er 1987
brannt, jetzt müssen die Verbände
das erste Mal in die Gegend kommt.
gewechselt werden. Kumar streift
Aus seinen jährlichen Besuchen ent-
sich in einer gewohnten Bewegung
springt der Wunsch, dauerhafte me-
ein Paar Plastikhandschuhe über.
dizinische Hilfe zu leisten. Mit Hilfe
Er legt sich ein Fläschchen Jod,
von Spenden bringt er das Projekt
einen Pinsel, eine Spritze und fri-
ins Rollen: Im Jahr 2000 steht das
schen Verband bereit. Dann beugt
erste Smart-Care-Gebäude, 2002 das
er sich über die verletzte Hand und
zweite. Jeyachandran ist seitdem
beginnt, den Verband abzuwickeln.
an fünf Tagen in der Woche für sei-
Die verbrannte Haut betupft er mit
ne Patienten da, er arbeitet unent-
Jod, zieht die Spritze auf. Sein Pati-
geltlich. Spricht man ihn auf seine
onzentriert
ent verzieht das Gesicht, gibt aber keinen Ton von sich. Plötzlich geht die Lampe aus, die im halbdunklen Raum Licht für die Behandlung spendet, – Stromausfall.
Kein ungewöhnliches Ereignis im Smart-Care-Krankenhaus in Kamagiri. Es liegt auf 900 Metern Höhe im Hinterland Südindiens, umgeben von Bergen, Dschungel und kleinen Dörfern. Das Krankenhaus ist die erste und oft einzige Anlaufstelle bei Verletzungen und Krankheit für rund 10‘000 Menschen, die auf dem Hochplateau und in den umliegenden Bergen leben. Die meisten dieser Menschen sind sogenannte tribals, Mitglieder der
Leistungen an, ist ihm das sichtlich
indigenen
unangenehm. «Das ist einfach so
Bevölkerung
Indiens.
In traditionellen Stammesgemein-
passiert», sagt er bescheiden.
schaften leben sie zurückgezogen
Kumar lässt sich vom Stromaus-
und in den einfachsten Verhältnis-
fall nicht aufhalten. Im Licht einer
32
Taschenlampe spritzt er die restlichen Finger und umwickelt sie dann mit einem frischen Verband. Kumar ist ungefähr dreissig, so genau weiss er es selber nicht, er trägt Trainingshose und Sweatshirt, und wenn er sich nicht konzentriert, steht ständig ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. «Ich liebe meine Arbeit hier, am liebsten assistiere ich bei Operationen oder Anästhesien», erzählt er.
Zehn Jahre zuvor hatte Kumar wenig Grund zum Lachen. Er war schwer krank, konnte kaum zehn Schritte laufen, ohne zusammenzubrechen, schlief schlecht. «Meine Freunde haben mir dann von Doktor Jeyachandran erzählt, der gerade dabei war, in Kamagiri ein Krankenhaus zu bauen», erzählt er heute. Nach einer Untersuchung stand fest: Kumar hatte ein Problem mit seinen Herzklappen, er musste unbedingt operiert werden. Die Operation war zu kompliziert für das Smart-CareKrankenhaus, aber Jeyachandran hatte Kontakte zu einem Arzt in Bangalore und bezahlte für die Operation. Bald darauf ging es Kumar wieder besser, trotzdem verbrachte er immer mehr Zeit bei Smart Care. Was er denn noch hier wolle, fragte 33
das ist einfach so passiert
Jeyachandran ihn irgendwann. Kumars Erklärung dafür ist einfach: «Die Hilfe, die ich erfahren habe, hat mich sehr beeindruckt. Ich möchte diese Erfahrung weitergeben und selbst anderen Leuten helfen.»
Kumar hat die Schule nach der achten Klasse verlassen, hat keine offizielle Ausbildung zum Krankenpfleger. Es ist eines der Prinzipien des
Smart
Care-Krankenhauses,
locals wie Kumar, anzulernen und auszubilden. «Alles, was ich kann, hat mir Doktor Jeyachandran beigebracht. Manche Menschen haben mehr Vertrauen zu mir, weil ich von hier komme und ihre Sprache spreche», erklärt Kumar. So gehört es auch zu seinen Aufgaben, die
Einige haben Decken dabei, denn
kommen aus ganz Indien, sie brin-
Patienten über Gesundheits- und
es kann vorkommen, dass sie nicht
gen neben ihrer Expertise oft auch
mehr
selben
ihre Geräte selbst mit – und lassen
Tag an die Reihe
sie manchmal sogar da. Der gröss-
kommen.
Wenn
te Teil der Ausstattung in den zwei
es einmal regnet,
Operationssälen sind ausrangierte,
warten die Patien-
aber noch gut funktionierende Gerä-
ten in der Kapelle,
te, die Krankenhäuser oder die Ärz-
Hygienemassnahmen aufzuklären,
die zum Gelände gehört. Sie wirkt
te selbst spenden. Vor dem OP steht
mit denen sie viele Krankheiten ver-
eher wie eine Mehrzweckhalle als
ein ganzer Schrank voll von Umhän-
meiden könnten. Ebenso kommt es
ein Gotteshaus, wäre da nicht der
gen in allen Grünschattierungen,
vor, dass er Patienten begleitet, die
Altar an der Stirnseite. «Das hier
manche mit eingestickten Namen
wegen einer komplizierten Opera-
ist einfach ein Ort der Ruhe, an den
oder Initialen. «Das ist so eine Re-
tion in ein grösseres Krankenhaus
die Menschen kommen können, um
gel: Jeder bringt seinen Arztkittel
müssen. «Für sie ist das etwas kom-
zu beten. Vielen hilft das, wenn ihre
mit und lässt ihn nach dem Wochen-
plett Neues, was ihnen Angst macht.
Angehörigen gerade operiert wer-
ende hier, sodass wir keine kau-
An normalen Arbeitstagen werden bis zu hundert Menschen behandelt.
Wenn ich nicht mitkäme, würden sie wahrscheinlich wieder umkehren», sagt er lachend.
Nicht nur auf Kumar übt das Prinzip von Smart Care Faszination aus. Rohan Ramesh, 26, ist Chirurg
am
Ein Rollstuhl, zusammengebaut aus einem alten Plastikstuhl und den Rädern eines Fahrrads.
und hat die letzten beiden Jahre in Kamagiri gewohnt und gearbeitet.
34
fen lacht Gleich dem
müssen», Ramesh. neben Schrank
steht ein Meisterstück der Improvisation: ein
den», erzählt Ramesh.
Rollstuhl, zusammengebaut aus ei-
Geld bekam er dafür nicht. «Der
Eine weitere Besonderheit von
Lohn für die Arbeit sind unersetz-
Smart Care sind die im Abstand von
liche Erfahrungen. Man lernt, un-
ein oder zwei Monaten stattfinden-
Es ist Sonntag, ein ruhiger Tag.
ter den einfachsten Bedingungen
den medical camps. Sie stehen jedes
Die Menschen wissen, dass sie am
zu arbeiten», sagt er. An normalen
Mal unter einem anderen Motto, so
Wochenende nur in Notfällen kom-
Arbeitstagen werden bis zu hun-
gibt es zum Beispiel Pädiatrie- und
men sollen. Eine einzige Patientin
dert Menschen behandelt. Dann bil-
Gynäkologie-Camps. Alle Fälle, die
sitzt in einem Rollstuhl in der Son-
den sich lange Schlangen vor dem
nicht akut sind, werden dann von
ne. Ihr rechter Fuss ist eingebunden,
Hauptgebäude des Krankenhauses.
Spezialisten behandelt. Die Ärzte
sie hat ihn hochgelegt. Ihr Name ist
nem alten Plastikstuhl und den Rädern eines Fahrrads.
Benla Salamma, sie ist etwa 45 Jah-
Gott etwas tun könne – meine Fami-
re alt und kommt aus einem Dorf in
lie und ich waren verzweifelt.» Bei
der Nähe. Neben ihr steht ihre Toch-
diesen Worten wischt sich Salamma
ter Stella, die mitgekommen ist, um
mit ihrem Sari die Tränen aus den
sich um sie zu kümmern und ihr Ge-
Augen. Seit einer Woche ist sie jetzt
sellschaft zu leisten. Die Unterstüt-
hier in Kamagiri, wo Jeyachandran
zung durch Verwandte ist wichtig
ihr Haut vom Oberschenkel an den
für die Patienten, denn es gibt kein
Fuss verpflanzte. Bald wird sie wie-
Pflegepersonal, das sich regelmä-
der zu Hause sein.
ssig um sie kümmern könnte. Salamma wurde von einer Schlange gebissen, als sie an einer Bushaltestelle wartete. «Ich bin zu verschiedenen Ärzten gegangen und habe viel Geld gezahlt, aber keiner von ihnen hat mir wirklich geholfen», erzählt sie ihre Geschichte. «Sie haben alle gesagt, dass jetzt nur noch
Veronika Widmann, 20, aus Mühldorf, absolviert nach bestandener Matura derzeit ein Zwischenjahr in Polen. Sie bezeichnet sich als «aufgeschlossen, meistens optimistisch, ehrgeizig und zuverlässig». Da sie noch nicht weiss, was und wo sie danach studiert, «bin ich gespannt, was das Leben in den nächsten Jahren für mich bereithält».
35
report
Am Gymnasium erforscht Immer mehr Maturarbeiten erreichen Hochschulniveau. Die Maturandinnen und Maturanden haben verblüffende Ideen und kommen zu erstaunlichen Ergebnissen, wie eine Auswahl von Arbeiten aus der ganzen Schweiz zeigt.
An den Wurzeln eines alten Walliser Dialekts Fabio Steffen, Kantonsschule Rychenberg, Winterthur Die Menschen in den abgeschiedenen Seitentälern
Alltag noch reden», wie Steffen erklärt. Er reiste für
des Unterwallis können durchaus grimmig – «furieux» –
vier Tage ins Val d'Hérens, unterhielt sich mit den Leu-
sein, aber «fou fouryóouk», wie man in der Gemeinde
ten und informierte sich bei einer Sprachforscherin.
Evolène im Val d'Hérens sagt? Genauso skurril mutet
Das Patois werde fast nur mündlich weitergegeben und
an, dass sich ausgerechnet ein junger Zürcher in seiner
sei sehr schwierig zu erlernen, sagt Steffen. «Es gibt kei-
Maturarbeit mit diesem uralten frankoprovenzalischen
ne Grammatik und kaum schriftliche Quellen. Deshalb
Dialekt – auf Französisch Patois – beschäftigt.
musste ich mir fast alles selbst erarbeiten.»
Angefangen hatte alles
Der
frankoprovenzali-
mit dem Tim-und-Strup-
sche Dialekt ist eine bil-
pi-Band «Der Fall Bien-
derreiche Sprache aus der
lein» – im Patois «L'Afére
Vorzeit des heutigen Fran-
Pecârd» – des belgischen
zösisch – perfekt ange-
Zeichners Hergé. Als Fa-
passt an das Leben in den
bio Steffen während sei-
Bergen. So existieren min-
nes Austauschjahres am
destens sechs verschiede-
Gymnasium in Nyon die-
ne Ausdrücke für Schnee,
sen Comicband im franko-
je nach seiner physikali-
provenzalischen
Dialekt
schen Beschaffenheit: Er-
in die Hände bekam, war
kenntnisse, die in Steffens
sein Interesse an diesem
Maturarbeit nachzulesen
knorrigen Patois geweckt.
sind.
«Ich beschloss, für meine Maturarbeit auf Französisch den Wurzeln dieser Sprache auf den Grund zu gehen», erzählt er. Für
dieses
Vorhaben
gab es keinen besseren Ort als Evolène, die «einzige Gemeinde, wo die Mehrheit der Menschen, auch die Jungen, das Patois im 36
Arrangierte Hochzeit oder Liebesheirat? Mayuri Mayuri Sivanathan, Sivanathan, Gymnasium Gymnasium am am Münsterplatz, Basel Münsterplatz, Basel Mayuri Sivanathan versteht sich hat, bringen das Dilemma auf denals Brückenbauerin zwischen den
Punkt: Drei Viertel der Befragten
Kulturen. Die junge Tamilin hat ein
wünschen sich eine Liebesheirat,
besonders heisses Eisen in die Hand
bei ihren Eltern verhält es sich ge-
genommen: arrangierte Ehen unter
nau umgekehrt. Sivanathan hat ihre
Tamilen in der Diaspora. «In der
Untersuchung in Kanada durchge-
tamilischen Gemeinschaft ist die
führt, weil sie befürchtete, von den
arrangierte Eheschliessung selbst-
Tamilen hierzulande keine korrek-
verständlich, und Diskussionen da-
ten Antworten auf ihre heiklen Fra-
rüber sind praktisch tabu», sagt sie.
gen zu bekommen: Zu eng ist die so-
Tamilen der zweiten Einwande-
ziale Kontrolle unter den Tamilen in
rergeneration wie Sivanathan kann
der kleinräumigen Schweiz.
diese Haltung ihrer Eltern in ein
«Ich denke, dass die Ergebnisse
Dilemma stürzen. Sie sind mit den
auf die Schweiz übertragbar sind»,
freiheitlichen
des
sagt Sivanathan, die ihre Arbeit mit
Westens aufgewachsen und wollen
dem präzisen Blick und der Empa-
ihr Leben selbst in die Hand neh-
thie einer Ethnologin verfasst hat.
men. Auf der anderen Seite fühlen
Und weil die junge Frau eine Brü-
sie sich ihren Eltern verpflichtet, de-
ckenbauerin ist, schlägt sie eine «mo-
nen die Bewahrung der Traditionen
derne Form der arrangierten Ehe»
oft wichtiger ist als eine Anpassung
vor – einen Kompromiss, der auch
an die Sitten des Gastlandes.
für sie selbst gelten soll: «Die Eltern
Vorstellungen
Die Interviews, die Sivanathan
dürfen einen Partner vorschlagen.
in der kanadischen Diaspora mit 20
Wenn ich nicht einverstanden bin,
Tamilinnen und Tamilen geführt
müssen sie weiterschauen.».
Entwicklung einer Klettersicherung Pius Theiler, Kollegium St. Fidelis, Stans Es begann alles mit einem Sturz
einem hervorstehenden Stein fest-
im Titlis-Gebiet. Pius Theiler war
krallt, sobald jemand ins Seil fällt.
am Klettern und verlor den Halt,
An der Hochschule Luzern führte er
kurz bevor er den nächsten Fix-
Belastungstests durch und begann,
punkt zum Absichern erreicht hat-
den Alu-Prototyp leichter zu ma-
te. Mit mobilen Zwischensicherun-
chen. Die zweite Version fertigte der
gen, die man zwischen zwei Bohr-
Maturand aus Kohlefasern an. «Die
haken in Ritzen befestigt, kann man
Klammer könnte schliesslich in ver-
in solchen Situationen die Fallhöhe
schiedenen Grössen produziert wer-
vermindern. Doch für vorstehende
den», erklärt er. «Die Entwicklung
Felsformationen wie jene im Titlis-
war eine Gratwanderung zwischen
Gebiet gibt es noch keine entspre-
Benutzerfreundlichkeit,
chenden Sicherungen: «Da kam ich
und Festigkeit.» Momentan hapere
auf die Idee, in meiner Maturarbeit
es noch bei der Benutzerfreundlich-
eine Sicherung für solchen Fels zu
keit, für die Serienproduktion brau-
entwickeln», erzählt Theiler.
che es noch viel Arbeit.
Er befasste sich also mit Rei-
Gewicht
Einen ersten Schritt in diese Rich-
stellte
tung hat Theiler schon gemacht. Mit
statische Berechnungen an und
der Unterstützung von Pro Wirt-
skizzierte erste Ideen. Zwölf Lö-
schaft Nidwalden/Engelberg hat er
sungsansätze entwickelte er, dann
die Klettersicherung zum Patent an-
wählte er den vielversprechendsten
gemeldet.
bungs-
und
Sturzphysik,
aus: eine Art Klammer, die sich an 37
am gymnasium erforscht
Die Aktivitäten der NSDAP in Basel André Wehrli, Gymnasium Liestal Im
Staatsarchiv
Basel-Stadt
schlummerte ein kleiner Schatz: Zahlreiche Dokumente aus dem Zweiten Weltkrieg, die noch nie jemand bearbeitet hatte. Sie betreffen das «Deutsche Heim», ein Haus, das die NSDAP als Treffpunkt in Basel gegründet hatte. André Wehrli beschreibt, dass die NSDAP-Ortsgruppe über 4000 Mitglieder umfasste und sehr aktiv war. Im Haus wurden Nazi-Propagandafilme gezeigt und Parteifeste gefeiert. «Ich wusste nicht, dass es in Basel so viele Nazis gab. Wenn man sieht, was sie da machten, dann ist das sehr erschreckend», sagt Wehrli. Die Arbeit war nicht immer einfach. «Ich betrat Neuland und fand in der Literatur praktisch nichts über das Thema», erzählt Wehrli. Zudem seien vor der Räumung des Hauses viele Akten vernichtet worden. «Ich wusste nie, was vollständig ist und was nicht.» Trotz der Schwere des gewählten Themas gab es auch heitere Momente. «Ich war ganz erstaunt, als ich in den Zeitungen alte Perwoll-Reklamen fand», erzählt er. Im Krieg sei das Papier rationiert gewesen, dennoch habe es damals sehr viel Werbung gegeben. In nächster Zukunft
74
08
74
W 0 W Wolfram
Saueerstoff
Wolfram
will André Wehrli ein Maschinenbaustudium an der ETH beginnen. Seine Faszination für Historisches könne er aber trotzdem noch ausleben – im Rahmen des Studiums will er auch Geschichtsvorlesungen besuchen.
Chemie? Chemie! Wer heute Chemie studiert, beschäftigt sich mit brennenden ökologischen, ökonomischen, medizinischen und technischen Themen im Jetzt und kann Lösungen für die Zukunft mitgestalten. Das gemeinsame Grundstudium Chemie/Biochemie ist für die Schweiz einzigartig und dank dem guten Betreuungsverhältnis sind optimale Startbedingungen für das Studium vorhanden. Sind Sie Maturand/in? Möchten Sie Ihre naturwissenschaftliche Neugierde durch ein spannendes Studium zum Beruf machen? Informieren Sie sich im Internet oder kontaktieren Sie uns! chemie@pci.uzh.ch Tel 044 635 44 72
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38
=bg_Z\a8MfO^emlibms^Â?8 F^n^8A]^^g8_1k8Mfp^emÂŚ8ng]8CebfZl\anmsÂ’
Ein Roboter, der Sudoku lĂśsen kann
EbmfZ\a^g8[^bf8K\a1e^kp^mm[^p^k[8€ˆ €8 bg8EZma^fZmbd—8FZmnkpbll^gl\aZ_m^g8 ng]8L^\agbd�
Tobias Holenstein, Kantonsschule am Burggraben, St. Gallen Eigentlich ist Tobias Holenstein kein Sudoku-Freak.
Obk8ln\a^g8cng`^8>hkl\a^kbgg^g8ng]8>hkl\a^k—8 ]b^8fbm8bak^g8sndng_mlp^bl^g]^g8A]^^g8snf8 K\anms8ngl^k^k8Mfp^em8ng]8ngl^k^l8CebfZl8 [^bmkZ`^g’
Doch dann las er in der Zeitung, dass jemand das schwierigste Sudoku-Rätsel der Welt erfunden habe. Das reizte mich, erzählt der Schßler. Er habe versucht, das
L^beg^af^g8d+gg^g8K\a1e^kbgg^g8ng]8K\a1e^k8 ]^k8h[^k^g8BZak`Zg`llmn_^g8bg8 8<^nml\aeZg]8 ÂŞZ[8CeZll^8 Â&#x2C6;ÂŤ8 8 lm^kk^b\a8ÂŞG[^klmn_^8Z[8CeZll^8Â&#x201E;ÂŤ8 8]^k8K\ap^bs8ÂŞK^dng]Zklmn_^8AAÂŤ8 8lhpb^8 ]^k8<^nml\a^g89nleZg]ll\ane^g8bg8=nkhiZ8ÂŞZ[8 CeZll^8 Â&#x2C6;ÂŤÂ&#x2019;8<b^8:^lm^g8ik l^gmb^k^g8bak^ 9k[^bm^g8ohk8Hkh_^llhk^g8]^k8HZkmg^kÂŚMgbo^klbÂŚ m m^g8JOL@89Z\a^gÂ&#x2014;8LM8:^kebg8ng]8LM8E1g\a^gÂ&#x2019;
Rätsel zu lĂśsen â&#x20AC;&#x201C; vergeblich. ÂŤDa fragte ich mich, ob es nicht eine schnellere Methode gibt.Âť Von seinem Lehrer ermuntert, beschloss er, als Maturarbeit einen Roboter zu bauen, der Sudoku lĂśsen kann. ÂŤDen Sudoku-LĂśsungsalgorithmus habe ich erstaun-
?^pbgg^g8Kb^8?^e]ik^bl^8bf8?^lZfmp^km8ohg8 Â&#x2C6;Â&#x2C6;Â&#x2019;Â&#x2C6;Â&#x2C6;Â&#x2C6;8=nkhÂ&#x2019;
lich schnell geschrieben, erzählt Holenstein. In einem
pppÂ&#x2019;lb^f^glÂŚlmb_mng`Â&#x2019;hk`ÂĽl\an^e^kp^mm[^p^k[
Nachmittag war das Programm entworfen, das auch das
9gf^e]^l\aenll8snk8L^begZaf^Â&#x201C;8 Â&#x2019;8Fho^f[^k8Â&#x20AC;Â&#x2C6; =bgl^g]^l\aenll8_1k8]b^89k[^bm^gÂ&#x201C;8 Â Â&#x2019;8BZgnZk8Â&#x20AC;Â&#x2C6; Â&#x20AC;
Dein
schwerste Rätsel der Welt lÜsen konnte. Dann tauchte
oder ein
jedoch ein Problem auf: Tobias Holenstein schrieb ein
oder ein
die Zahlen des Sudoku in einen Farb-Code. Mit einem
HĂśrspiel oder ein Handykrimi oder eine Soundcollage oder ein Computerspiel oder eine Mischung aus allem. Gewinne bis zu 1000 Franken in bar.
Lego-Farbsensor kann der Roboter nun das angemalte
Anmeldeschluss 31. Januar 2012.
Rätsel in wenigen Minuten lesen und lĂśsen â&#x20AC;&#x201C; mit einem
Abgabeschluss 30. März 2012.
Texterkennungsprogramm, das die Zahlen auf einem Bild erkennen konnte. Doch das Digitalisieren des Rätsels dauerte viel zu lang und war nicht präzise. Da behalf sich der Schßler mit einem Trick: Er ßbersetzte
einfachen Filzstift schreibt er die Zahlen in die leeren
Fotos Kilian Kessler
Projekt ist ein Roboter
Felder. Dieser leicht gekĂźrzte Beitrag von Simone Schmid ist zuerst in ÂŤNZZ am SonntagÂť erschienen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
39
essay
Rauchen – Lust oder Frust? “Rauchen ist ungesund.” “Rauchen tötet.” Sätze, die Raucher schon so oft gehört haben. Laut dem Bundesamt für Gesundheit sterben in der Schweiz jeden Tag 25 Menschen an den Folgen des Rauchens, und die Hälfte der Raucher erreicht ihr 70. Lebensjahr nicht. Wieso gibt es dennoch so viele, die in der Abhängigkeit bleiben?
Salome Kern
M
it 14 zog ich an meiner ersten Zigarette und hatte das Gefühl, glü-
hende Kohlenstücke zu schlucken. Mein erster Gedanke war: «Nie wieder!» Aber es verging nicht allzu viel Zeit, und ich hatte erneut eine Zigarette in der Hand. Eifrig übten meine Kolleginnen und ich gemeinsam, den blauen Dunst zu inhalieren, was üble Hustenanfälle zur Folge hatte.
sind. So ging alles gut, ich zählte
Doch bald wurden die Glimmstängel
mich schon zu den Nichtrauchern
zum täglichen Begleiter. Was für ein
und war sehr stolz auf mich. Bis zu
Nervenkitzel es doch war, im Ver-
jenem verhängnisvollen Tag in der
steckten zu rauchen. Kaugummi in
Pizzeria, den ich gerne ungeschehen
den Mund und Deo zu versprühen, war vor dem Heimkommen Pflicht.
machen würde. liche Zeit. Besonders in den ersten
Ich traf mich mit einem Freund
Auf diese naive und pubertäre
vier Wochen brachte mich das Ver-
zum Pizzaessen und schlug mir so
Weise wurde ich zur regelmässigen
langen zu rauchen beinahe um den
richtig den Bauch voll. Er steckte
Raucherin. Als mein Taschengeld
Verstand. Ich liebte meine Morgen-
sich nach dem üppigen Essen eine
erhöht wurde, leistete ich mir noch
zigarette oder die Zigarette für die
Zigarette an. Eifersüchtig linste ich
mehr Zigaretten. So war es mit 16
Verdauung nach dem Essen, aber
nach dem sogenannten Sargnagel,
Jahren an der Zeit, zuzugeben, dass
ich gab nicht auf.
ich auch zu den 31 % Nikotinabhän-
Ein Internetpro-
gigen in der Schweiz gehörte.
gramm erinner-
wie gerne hätte
Ich will frei von Abhängigkeit sein.
ich jetzt auch geraucht. Folglich
Drei Jahre rauchte ich fast ein
te mich immer
Päckchen pro Tag und kümmerte
wieder an mei-
mich nicht um die Belehrungsver-
nen Vorsatz, es
suche meiner Mitmenschen. Dann
rechnete aus, wie viel ich schon ge-
Rauchen nicht so schlimm sein kön-
beschloss ich, mir das Rauchen ab-
spart hatte, und gab mir Tipps, wie
ne und ich nachher sofort wieder
zugewöhnen. Es war eine schreck-
schwierige Situationen zu umgehen
aufhören würde. Nach fünfmonati-
40
log ich mich selber an und redete mir ein, dass
TANGO-FACTS WER RAUCHFREI BLEIBT, GEWINNT ger Abstinenz war ich also schwach geworden, der Teufelskreis begann von vorne. Zum Kiosk laufen, Zigaretten kaufen, in der Kälte rauchen und das Keuchen beim Sport … Ich
meine Haut verschlechtern – ich
war frustriert und fragte mich ver-
will frei von Abhängigkeit sein. Jetzt
zweifelt: «Wie entkomme ich jemals
und für immer!» Mit diesen Worten
dieser Sucht?» – Es sah schlecht aus,
drückte ich meine letzte Zigarette
und ich rauchte weiter. Nach sieben
aus und habe seit diesem Moment
Monaten wurde mir das Rauchen
keine Zigarette mehr angefasst.
wieder lästig und ich setzte einen
Der schnelle Weg in die Abhän-
Schlusspunkt. «Ich will nicht mehr
gigkeit ist sehr viel einfacher als der
200 Franken pro Monat verbrennen,
steinige zurück. Aber er hat sich ge-
ich will nicht mehr meine Gesund-
lohnt! Ich bin sehr stolz, diese Ent-
heit gefährden, ich will nicht mehr
scheidung getroffen zu haben.
Das Jugendprojekt «Rauchfreie Lehre» der Lungenliga unterstützt Lehrlinge, rauchfrei zu bleiben oder wieder zu werden. Die Lehrlinge verpflichten sich mit einer schriftlichen Anmeldung bis zum 25. September, während eines Lehrjahres rauchfrei zu sein. Um die Tabakabstinenz zu überprüfen, werden stichprobenmässig Kohlenmonoxyd (CO)-Tests durchgeführt. Wer sich an die Teilnahmeregeln hält, wird mit einem Kinogutschein belohnt und nimmt an der gesamtschweizerischen Verlosung teil. Zu gewinnen sind 17 Wochenenden im Europa-Park Rust für zwei Personen, 70 mal 300 Franken, 50 Tagespässe für ein Open Air usw.. Anmeldung: www.rauchfreielehre.ch/lernende
Salome Kern, 19, aus Winterthur, macht das KV mit Berufsmatura. Ihr Ziel ist es, in den Journalismus einzusteigen.
41
kurzgeschichte
M o m e n t a u f n a Unter all den Gesichtslosen suchte ich jemanden mit Gesicht, jemanden mit einem bekannten, jemanden mit dem erhofften Gesicht, ich suchte ihn. Lea Mozzini
D
ie Sonne, schon dem Untergang nahe, tauchte die unscheinbare Tramhaltestelle
in
warm-som-
merlich-goldenes Abendlicht und verlieh der ganzen Szene einen malerischen Ausdruck. Die herrlich blühenden Bäume auf der gegenüberliegenden Strassenseite wogten und ra-
beln im Bauch, das immer stärker
schelten sanft im leichten Wind, der mit mei-
wurde, je näher die Strassenbahn
nem Haar spielte und es, nachdem ich es mir
meinem Ziel kam. Anfangs noch ge-
wieder zurechtgestrichen hatte, immer wie-
lassen, wurde ich nun immer unge-
der aufs Neue zerzauste und in mein Gesicht
duldiger, konnte kaum noch ruhig
wehte, wo es an meiner Nase kitzelte und mir
stehen. Ich war schon ganz hibbelig.
die Sicht verbot. Ich genoss die wohltuende
Ich versuchte meine Gedanken zu
Wärme auf meiner Haut und schloss die Au-
bremsen, mein Hirn auszuschalten,
gen, um den nahenden Frühling mit all mei-
doch es gelang mir genauso wenig,
nen Sinnen wahrnehmen zu können. Es fühlte
wie es mir gelungen war, mir weis-
sich gut an, ich fühlte mich gut.
zumachen, es sei ein ganz normaler
Die sich nähernde Strassenbahn verdeckte nur allzu schnell den süssen Sonnenschein, begrub mich unter ihrem Schatten und brachte mich in die Realität zurück. Wie jeden Dienstag um diese Zeit war das Tram geran-
42
Tag und ich hät-
Ich atmete tief durch und drehte mich, endlich auf der anderen Strassenseite ngekommen, um.
te keinen Grund, so aufgeregt zu sein. Noch eine Haltestelle.
Die
dunklen Bäume zogen
an
Fenstern bei,
ihr
den vorGrün
gelt voll mit Leuten, haupt-
mischte sich mit
sächlich Studenten, die ih-
dem Braun ihrer
rem Feierabend entgegenfuhren. Ich quetsch-
Stämme zu einer undefinierbaren
te mich zu ihnen, die Tür schloss sich, das
Farbe, die ich aber gar nicht richtig
Tram fuhr weiter. Ich schnappte verschiedene
aufnahm. Mein Körper stand zwar
Gesprächsfetzen auf, die aber so ohne Kon-
zwischen diesen Menschen, meine
text keinen Sinn ergaben. Ich schaute mich
Augen blickten aus dem Fenster,
suchend um, erfolglos natürlich. Das Tram
meine Ohren nahmen vage das Ge-
war lang und übervoll, wie sollte ich da auch
plauder um mich herum wahr, und
fündig werden? Also liess ich meine Gedan-
trotzdem war ich nicht dort. Ich
ken abschweifen, blendete meine ganze Um-
schien auf einem anderen Planeten
gebung, versunken in meiner eigenen Welt,
zu schweben, weit weg vom mono-
völlig aus. Ich spürte ein willkommenes Krib-
tonen Treiben des Alltags. Erst als
h m e n
Meine Ungeduld wuchs, meine Vorfreude und meine Anspannung wurden unerträglich, das Kribbeln hatte sich nun in meinem ganzen Körper ausgebreitet und verströmte, die aufgekommene Kälte verdrängend, eine wohlige Wärme in mir. Ich fühlte mich so leicht, wir hielten, näherte ich mich mei-
so unbeschwert und zufrieden, dass sich mir
nem Körper wieder soweit, dass ich
unbemerkt ein freudiges Lächeln ins Gesicht
imstande war, normal auszusteigen,
gezeichnet hatte. Noch zwei Schritte. Ich at-
obwohl das gar nicht so einfach
mete tief durch und drehte mich, endlich auf
ist, wenn sich die Beine, die einen
der anderen Strassenseite angekommen, um.
tragen auf
sollten,
einmal
so
schwabbelig wie Pudding anfühlen.
Erleichtert
atmete ich die laue
Abendluft
ein, spürte er-
Also liess ich meine Gedanken abschweifen und blendete meine ganze Umgebung völlig aus.
Ich beobachtete die Menschen, die vom Tram her in alle Richtungen zerstoben, und konzentrierte mich vor allem auf jene, die in meine Richtung kamen. Unter all den Gesichtslosen suchte ich jemanden
neut die sanfte
mit Gesicht, jemanden mit
Brise auf
einem bekannten, jeman-
mei-
nem Gesicht und roch den frischen,
den mit dem erhofften Gesicht, ich suchte ihn.
milden Duft des Frühlings, während
Einige Leute sahen mich an, ohne mich
ich mich vom Strom treiben liess.
wirklich zu sehen, so wie ich sie ansah, ohne
Die Gewissheit, dass er im sel-
sie wirklich zu sehen, dann wendeten sie ihre
ben Tram wie ich war, wohl nur ei-
Blicke wieder ab und ich wendete meinen
nige wenige Meter von mir entfernt,
Blick wieder ab. Augenblicke, die verstrei-
und dass er jetzt, genau wie ich, die
chen. Er war nicht da.
andere Strassenseite anstrebend, der Masse folgte, war so gross, dass ich es auch nicht für nötig empfand, mich jetzt schon meiner Vorfreude hinzugeben. Ich überquerte die Strasse und zog die Jacke etwas enger, denn es war unwillkürlich kälter geworden, jetzt da die Sonne hinter den Häusern verschwunden
Lea Mozzini, 19, aus Zürich, liest, schreibt und fotografiert gerne, spielt
war und sich der Abend unmissver-
Gitarre und interessiert sich für orientalische Tänze. Sie bezeichnet sich
ständlich bemerkbar gemacht hatte.
als nachdenklich, aufmerksam, träumerisch und fröhlich.
43
impressum Verlag, Redaktion, Anzeigen tango magazin für schule und studium Postfach 2133 9001 St. Gallen Telefon 076 513 28 57 Fax 071 310 13 17 redaktion_tango@hotmail.com MitarbeiterInnen dieser Ausgabe Giada Berini Susanne Hefti Sarah Gimmel Salome Kern Damian Ineichen Anais Lienhart Marlis Luginbühl Norma Merk Lea Mozzini Luisa Ricar Andrea Rimle Caroline Röhrl Veronica Schärer Simone Schmid Marcel Schneeberger Samuel Schuhmacher Raphael Stierli Jonas Tirabosco Veronika Widmann Korrektorat
Peter Litscher
Gestaltung
Moni Rimensberger schwarzefeder.ch
Bild
Titelseite fotolia.com S.36 poco_bw istock.com S.59 Shaun Lowe istock.com S.61 Ivan Mikhaylov istock.com
Druck
Auflage
Im Fall der Farben Ihr entwich die Erinnerung an die letzten wärmenden Sonnenstrahlen. Es ist Herbst, die Zeit vergeht. Andrina Rimle
E
s ist Herbst, die Zeit vergeht. Der Sommer war gestern. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen, Adieu zu sa-
gen, sich zurückzuziehen in sein Schnecken-
AVD Goldach Sulzstrasse 10 9403 Goldach
haus, in seine eigenen vier Wände hinter den
26‘000 Exemplare
bleiben, bald werden Eiskristalle am Morgen
Abonnement Einzelausgabe: Fr. 5.– Jahresabonnement: Fr. 10.– Erscheinungsweise halbjährlich (15. März / 15. September) Redaktions- und Anzeigenschluss 15. Februar / 15. August
grauen Mauern. Bald wird es kälter werden, bald wird der Atemhauch in der Luft hängen den Blick aus dem Fenster verhindern. Doch noch ist von dieser Kälte nur ein kühles Lüftchen zu spüren. Die Sehnsucht nach der Wärme der Sonne lässt die schwere Luft noch einmal vibrieren.
Im Strom der Menschen, die durch die Gassen flutet, bleibt auch eine Frau mittleren Alters unbemerkt. Unbemerkt dank ihrem schlendernden, gelangweilten Gang, den man sich beim Bummeln
44
eben so aneignet.
Unbemerkt dank ihrer
dunklen
ihrer schwarzen Le-
derjacke und ih-
Hose,
hüllt, sagte Ja. Seither verbrachte sie ein ganzes, unausgeschöpftes Leben mit ihm. Er, erfolgreich, karrierebewusst, ambitiös, berechnend und kalkulierend, verbringt jetzt, nach 27 Jahren Ehe, die meiste Zeit rer dunkelbraunen Handtasche. Um
im Büro seiner eigenen Finanzagen-
möglicherweise doch noch die su-
tur. Weil er genug verdiente, gab sie
chenden Augen eines anderen Men-
ihren Beruf auf Wunsch ihres Man-
schen auf sich zu lenken, liegt ein
nes auf – ihr Untergang.
die kühle Luft flattern. Sie vergass
weisser, blendender Schal locker um
Denn nun gehört sie zu jenen
das Gefühl für den sanft wogenden,
ihren Hals, eine rote Brille sitzt auf
vielen Frauen, die dazu verurteilt
leichten Wind, der weich und freund-
ihrer Nase, um ihrem abgestumpf-
und verdammt sind, von ihrem
lich ihre Haare erfasst. Ihr entwich
abhän-
die Erinnerung an die letzten wär-
gig zu sein, von
menden Sonnenstrahlen, den Glanz
denen
verlangt
des Sommers, den blauen, klaren
wird, immer da
Himmel, durchtrennt vom Kondens-
zu sein, zu be-
streifen eines Flugzeuges, ihr ent-
dienen, zu geben
glitt die Schwere und die Fülle der
Ringfinger. Eindeutig verheiratet.
und zu lieben. Nun gehört sie zu je-
Wärme vor den langen, dunklen, vor
Die schulterlangen blonden Haare
nen Frauen, die nichts anderes zu
ewigen Kälte klirrenden Nächten.
werden bei jedem Schritt zurückge-
tun wissen, als durch die ruhigen
weht.
Gassen zu schlendern, die Schau-
ten
Blick
gewitzte Schärfe zu verleihen. Ein grosser
Prunk-
klotz funkelt an ihrem
Mann
eine
Einst zog sie die Blicke der Männer auf sich. Damals.
linken
Einst zog sie die Blicke der Män-
fenster der luxuriösen Läden zu
ner auf sich, damals, an der Uni-
bestaunen, sich treiben und fallen
versität, in den endlosen Gängen
zu lassen wie die roten Blätter, um
des riesigen Gebäudes. Während
sich irgendwann niederzulegen und
des Studiums hatte sie ihren Mann
nicht wieder aufzustehen, erschöpft,
kennen gelernt, sie folgte ihm, der
zerstört, vermodert für immer.
Es ist Herbst, die Zeit vergeht.
sie von Anfang an umgarnt hatte,
Sie verlor den Blick für die wir-
Andrina Rimle, 19, aus Wittenbach, hat die
für sie geschwärmt hatte. Unwider-
belnden, tanzenden und fallenden
Matura an der Kantonsschule am Burggraben
stehlich zog er auch sie an, sie gab
Goldtropfen, die rostroten, ockergel-
bestanden. Nun will sie Umweltnaturwissen-
sich ihm hin, umwickelt und um-
ben und braunen Blätter, die durch
schaften an der ETH studieren. Sie bezeichnet sich als «ehrlich, offen, fröhlich», mag Skitouren und ist interessiert an fremden Kulturen.
45
Information Bachelorstudiengänge an der Hochschule für Heilpädagogik Mittwoch, 16. November 2011, 15 Uhr → Logopädie → Psychomotoriktherapie → Gebärdensprachdolmetschen Tel. 044 317 11 61 / 62 - therapeutischeberufe@hfh.ch Anmeldung nicht erforderlich
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A YJOLY -HJOOVJOZJO\SL
essay
Entscheidung über das Leben Der Befund ist positiv. Was jetzt? Damit leben oder sich dagegen entscheiden? Es kann so viel kaputtgehen und so viel entstehen.
Marlis Luginbühl
D
er Anfang ist oft ein Missgeschick. Eine Unachtsamkeit. Ein einziger kleiner Fehler.
Es nistet sich ein. Es ernährt sich von seinem Wirt und wächst. Es wird immer grösser und hungriger. Es verändert den Körper und
ist die Sache erledigt.
die Gedanken. Plötzlich ist immer etwas da.
Alles wieder wie früher.
Etwas, was krank machen kann. Etwas,was
Alles wieder normal. Es war die richtige Ent-
Symptome hervorruft, die typisch sind.
scheidung.
Manchmal schneller
da,
ist als
es man
denkt. Manchmal passiert es einfach, auch wenn man es gar nicht will. Zuerst
Was wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte?
Nur die Gedanken bleiben. Was wäre, wenn …? Man legt mir ein kleines,
rosafarbenes
Ge-
schöpf auf die Brust. Es weint. Ich empfinde unbe-
will man es nicht wahrhaben und wehrt sich gegen die Vorstellung.
schreiblich grosse Liebe und bin überglück-
Will die Zeichen nicht sehen. Doch es wächst,
lich. Ich sehe das Kind aufwachsen, sehe seine
und es raubt Kräfte.
ersten Schritte, höre seine ersten Worte.
Der Befund ist positiv. Was jetzt? Damit leben oder sich dagegen entscheiden? – Was
Was wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte?
würdest du tun, wenn du davon überrascht würdest? Was, wenn du vor dieser Entscheidung stündest? Es kann so viel kaputt gehen und so viel wachsen.
Marlis Luginbühl, 19, aus Horboden, hat soeben die Matura
Ich habe mich entschieden. Nur neun Ta-
im Gymnasium Interlaken bestanden und studiert nun BWL
bletten. Nur vier Tage lang Schmerzen. Dann
in Bern. «Ich bin ein sehr ruhiger Mensch und liebe es, in meiner Freizeit meine Gedanken aufzuschreiben und sie so zu ordnen.»
47
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kurzgeschichte
Sans parapluie Schritte. Dazu ein monoton begleitender Rhythmus. Fast hypnotisierend. Man riecht den nassen alten Asphalt und die kühle neue Luft. Es regnet. Sie merkt nichts von alldem. Eilig geht sie über den Asphalt. Der Regen wird stärker. Übertönendes Rauschen. Ärgerlich drückt sie die Kopfhörer ins Ohr. Übertönte Musik. Einige Schritte weiter bleibt sie stehen. Schaut auf die Schuhe. Sie haben nasse Ränder. Sie stopft die Kopfhörer in die Tasche. Was solls, denkt sie sich, ich höre eh nichts mehr. Und geht weiter. Sie streicht mühsam eine Strähne aus dem Gesicht. Die Haare kleben am Kopf, so nass sind sie. Ein Regentropfen rinnt die Wirbelsäule entlang. Sie fröstelt. Bekommt Gänsehaut an den Armen. Regentopfen auf der Haut. Einer genau zwischen den Lippen. Es schmeckt gesund. Gesund und salzig. Warum salzig, denkt sie. Wir sind doch nicht am Meer. Was solls, denkt sie sich, ist eh unwichtig. Alles ist nass. Der kleine Zeh, der Bauchnabel. Sie blinzelt. Fährt sich mit der Hand über das Gesicht. Sie ist schwarz. Hätt ich doch die wasserfeste Schminke gebraucht, denkt sie. Hätt ich doch den Regenschirm dabei. Den mit den weissen Punkten. Was solls, sagt sie, Regen macht ja eh schöner.
Norma Merk, 18, aus Retschwil, hat die Matura an der Kantonsschule Beromünster geschafft. Sie schaut sich gerne alte Schwarzweiss-Filme an, geht am liebsten barfuss und träumt von einer Weltreise im VW Bulli.
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foto
Scheitern Ich fasste den Vorsatz, zu Fuss von Bern nach Zürich zu gehen, um ein anderes Verhältnis zu dieser viel befahrenen Strecke zu erhalten.
Marcel Schneeberger Aufbruchsstimmung. Einem Neuanfang gleich, will ich Altes hinter mir lassen, mich
der Umgebung – ich rieche und spüre die Dinge anders, neu.
vorwärts bewegen. Gedanken schiessen mir
Dann die Weggabelung: zwei Wege, zwei
durch den Kopf, sie kreisen, haben weder An-
Möglichkeiten – weitermachen oder aufhö-
fang noch Ende, haben kein Ziel. Anfangs laufe
ren?
ich wie getrieben los, stetig in Bewegung, ru-
Scheitern.
helos, rastlos, aber doch ohne Hast. Ich treibe. Laufen wird zur Trance – ein Zustand innerer Ausgeglichenheit. Stille. Einsamkeit.
Marcel Schneeberger, 26, aus Wabern, studiert an der
Ich gehe durch den Alltag anderer Men-
Uni Bern Deutsch und Englisch. In der Hälfte der Strecke
schen, unscheinbar, unauffällig, unsichtbar.
Bern−Zürich, auf der diese Fotos entstanden, brach er auf-
Sie bemerken mich nicht. Ich spüre die einzel-
grund von Schmerzen die Reise ab, was für ihn zunächst ei-
nen Bewegungen nicht mehr, werde eins mit
ner Niederlage gleichkam. «Mit der Zeit konnte ich jedoch dieses Scheitern umdeuten, in einen Gewinn an Erfahrung und Eindrücken.»
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kurzgeschichte
Hoffnung
Der Klang dieses Wortes stiess in mir eine Tür auf. Endlich. Zu lange hatte ich still in der hintersten Ecke meines Herzens darauf gewartet, dass sich die Tür einen Spalt öffnet und mir das Licht zurück bringt. Geblendet vom klaren, reinen Licht senkte ich meine Augen. Auf dem Boden meines Herzens stiess die Hoffnung auf fruchtbaren Boden und keimte. Meine Freudentränen liessen die Hoffnung erblühen, und sie leuchtete mir in einem satten Rot entgegen, als ich aufstand und durch die Tür trat. Sarah Gimmel, 19, aus Ostermundigen, hat
Hinaus, ins Freie.
das Gymnasium Kirchenfeld besucht und möchte nun Medizin studieren. «Ich bin eine leidenschaftliche
Tänzerin,
glacesüchtig,
verträumt und liebe die Tropen.»
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kurzgeschichte
Das rote Kleid Wie sie dasass in ihrem wunderbaren roten Kleid, verliebte er sich auf der Stelle in sie. Vor ihr auf dem Tisch stand ein Cappuccino. Bestimmt wartet sie auf ihren Freund, schoss es ihm durch den Kopf. Anaïs Lienhart
E
r sah sie zum ersten Mal, als sie in einer bescheidenen Teestube sass, gegenüber dem Haus, in dem er wohnte. Es war keine schöne Wohngegend, aber die Preise wa-
ren anständig und als Student der Medizin, der nebenbei in einem Kino jobbte und Geschichten schreibt, konnte er sich nun wirklich nicht beklagen. Nun, jedenfalls sah er sie, wie sie dasass in ihrem wunderbaren roten Kleid, und verliebte sich auf der Stelle in sie.
Er konnte nicht sagen warum, sie sah nicht besser aus als andere, und er hatte noch nie mit ihr gesprochen, doch er wusste es in dem Moment, als er sie sah. Ihr Haar war von einem hellen, eher unscheinbaren Braun, schulterlang und leicht gewellt. Sie trug es offen, lediglich ein schmaler silberner Haarreif hielt die Strähnen zurück, damit sie nicht ins Gesicht fielen. Ihre Züge strahlten eine ungemeine Harmonie aus,
Ihm fiel auf, wie klein ihre Hände waren.
was wahrscheinlich von der Symmetrie herrührte.
Er trat näher heran, blieb vor dem Fenster stehen, als betrachte er mit grossem In-
teresse die hölzerne Skulptur hinter ihr. Doch seine Vorsicht war unbegründet, denn sie studierte konzentriert die Seiten eines Schulbuches. Der Titel liess erahnen, dass es sich um eine Zusammenstellung deutscher Literaturklassiker handelte.
Ihre Augen, von einem leuchtenden Grünblau, huschten angeregt über die Zeilen. Ihm fiel auf, wie klein ihre Hände waren. Winzig klein, wie die Hände seiner elfjährigen Cousine. Überhaupt war alles an ihr so klein, im Miniaturformat geraten. Dabei
Anaïs Lienhart, 17, aus Wil, spielt
wirkte sie jedoch nicht zerbrechlich, ganz und gar nicht. Er glaub-
Geige und verbringt ihre Freizeit
te zu wissen, dass ihre Hände sich nicht scheuten, auch Gartenar-
am liebsten mit ihren Kollegin-
beit zu erledigen oder Brotteig zu kneten. Um ihren Hals hing ein
nen: «Ich rede viel, lese gerne,
silbernes Kreuz, kaum daumennagelgross. Ihre Jacke, ein hell-
mag alte Filme und Musik. Ich
braunes Übergangsmodell, hing über der Stuhllehne. Vor ihr auf
bin fleissig und verarbeite meine
dem Tisch stand ein Cappuccino. Bestimmt wartet sie auf ihren
ganze Umgebung in Texten.
Freund, schoss es ihm durch den Kopf. Bestimmt. Aber er konnte nun nicht länger warten, er musste etwas tun, denn er wusste, würde er sie heute nicht auf sich aufmerksam machen, sie würde nie erfahren, dass es ihn gibt.
Er stiess also die Türe auf und trat ein.
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comic
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Di e Dos e
Ganz ohne Worte erzählt Jonas Tirabosco, 14, aus Genf eine clever inszenierte Geschichte zum Litteringproblem, die zum Nachdenken anregt. Mit seinem Comic hat er beim Wettbewerb der IG Saubere Umwelt einen Preis gewonnen.
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das hört ja gut auf
KULTURLANDSCHAFT «Jetzt neu im Selbstanbau: Die ultimativen Obst- und Gemüsesorten», scherzt Jonas Kakó, 21, zu seinem Bild, das die Entwicklung der Lebensmittelindustrie karikiert. Zur Fotografie ist der Gymnasiast vor drei Jahren gekommen. «Durch das Fotografieren habe ich gelernt, die Welt mit einem völlig neuen Blick zu sehen.» Seine zweite Leidenschaft gehört dem Reisen: «Keine Pauschalreisen. Möglichst günstig mit dem Rucksack durch die Welt. Entweder mit dem Zug oder per Anhalter. Dabei ist die Kamera mein ständiger Begleiter.»
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