eidg. stiftung für sprache in content marketing, medien und wirtschaft
und der Fachstelle für Schreiben und Publizieren an der HWZ.
EDITORIAL
Was «Design Thinking» mit erfolgreichen Unternehmenstexten zu tun hat Liebe Leserinnen und Leser Der Begriff «Design Thinking» hat sich in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund gedrängt. Er steht kurz gesagt für eine Denkweise, welche die Instrumente und Grundprinzipien des klassischen Designs zur Lösung beliebiger Probleme einsetzt. Die fünf Schritte des Design Thinking nach Tim Brown/IDEO.
Tim Brown, einer der Pioniere des Design Thinking und heute CEO der Innovationsberatung IDEO, hat das Prinzip einst wie folgt formuliert: «Design Thinking ist ein Ansatz, der den Mensch ins Zentr um stellt und sich aus der Werkzeugkiste der Designer bedient, um die Bedürfnisse der Leute, die Möglichkeiten der Technologie und die Anforderungen für geschäftlichen Erfolg zu integrieren.» Die klassische Vorgehensweise von IDEO geht von fünf Schritten aus: 1. Verstehen: die Aufgabe, den Kunden usw.; 2. Analysieren: das menschliche Verhalten, die Bedürfnisse usw.; 3. Visualisieren: erste Lösungsvorschläge; 4. Bewerten: die ersten Lösungsvorschläge; 5. Implementieren: die beste Lösung. Wer professionell für Unternehmens- oder Marketingkommunikation schreibt, dem kommen diese fünf Schritte durchaus bekannt vor. Denn sie entsprechen im Kern der Vorgehensweise bei der Planung eines Texts.
Die folgende Tabelle illustriert die Parallelen zwischen Design Thinking und Textplanung: Design Thinking
Corporate Writing
Marketing Writing
1. Verstehen
Kommunikationsproblem
Produkt und Situation
2. Analysieren
erforderliche Darstellungsform bzw. Textfunktionen
3. Visualisieren
umgekehrte Pyramide; roter Faden
4. Bewerten
Textskizze prüfen
Copyplattform; kreativer Sprung
5. Implementieren Textskizze umsetzen, Text verfassen
Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, die Philosophie des Design Thinking in all unsere Schreiblehrgänge aufzunehmen. Herzliche Grüsse Ivo Hajnal und Franco Item
JUNI 2018
Newsletter der Text Akademie
CAS MARKETING WRITER & UX WRITING: TRENDGESCHICHTE
Microcopies, statt viele Worte zu verlieren: die rasche Interaktion mit dem Leser zählt! Hat die klassische Longcopy ausgedient? – Natürlich nicht, aber: Unternehmen benötigen immer mehr Microcopies, die unmittelbare Konversationen führen und direkte Handlungen auslösen. Wer die Seite von Airbnb anklickt, entdeckt im Suchfeld eine einfache Aufforderung: «Gib z. B. ‹Ibiza› ein». Der Text ist trivial, doch leistet er in seiner Kürze Wesentliches: Er illustriert das Kerngeschäft von Airbnb und lenkt das Augenmerk des Users auf das Wesentliche: die Suche nach einer Unterkunft.
Die heimlichen Verführer Die Qualität einer Microcopy bemisst sich aber nicht nur an ihrer Kürze. Vielmehr muss die Microcopy – wie jeder gute Marketingtext – auf der Klaviatur der menschlichen Begehrlichkeiten spielen. Ist ein Angebot beispielsweise kostenlos, so muss die Microcopy diesen rationalen Benefit ohne Hindernis in den Vordergrund rücken.
Airbnb: Die Microcopy im Suchfeld ist auf das Wesentliche reduziert: die Interaktion mit dem Nutzer.
Microcopies im Aufwind Kurztexte wie die Aufforderung von Airbnb werden «Microcopies» genannt. Sie bahnen ultrakurze Konversationen an, die der Nutzer mit einer Handlung – in der Regel ein Klick oder eine Eingabe – abschliesst. Und solche Konversationen werden immer wichtiger. Denn nicht nur Webseiten fordern zu Interaktionen auf, sondern ebenso die popu lären Sprachassistenten wie Amazons Alexa. Sprachassistentin Alexa: keine Plaudertasche Apropos Alexa: Wem die Gespräche mit Alexa zu viel Zeit rauben, kann einen Kurzmodus («Brief Mode») aktivieren. Dieser reduziert die Antworten der Maschine auf ein Minimum oder gar ein einfaches Piepsignal. Ein Nutzer berichtet: «So, I just asked Alexa to turn on my lights, she said ‹OK› just like normal, but after that, she said that this would be the last time she would, and that I would hear a beep tone instead of a successful command.»1
Der Rechtschreibedienst Grammarly verliert keine Zeit. Der Button zur Installation hält unmissverständlich fest: «It's free.»
Ohne Markenwerte keine Microcopy Ebenso muss eine Microcopy auf die Marke zugeschnitten sein. Denn was nützt eine eingängige Aufforderung, wenn sie in der Tonalität den Markenwerten zuwiderläuft? Ein klassischer Prüfstein sind Entschuldigungen, die eine Webplattform bei Ausfällen aufschaltet: Wer es schafft, den Nutzer trotz technischer Probleme mit wenig Worten bei der Stange zu halten, muss sich vor Microcopies nicht fürchten – und macht allenfalls aus der Not eine Tugend.
Twitter gelingt es, den Nutzer selbst bei einem technischen Missgeschick sympathisch anzusprechen: «Leider ist etwas schiefgelaufen. Bitte versuche es später erneut.» Amazon Alexa: Kurzmodus seit März 2018 in Betrieb. 2|3
Quelle 1: https://goo.gl/o5n
DIGITAL WRITING: CHATBOTS
Immer mehr Maschinen reden mit uns. Doch wann hören wir wirklich zu? Chatbots (automatisierte Dialogsysteme) sind keine Science Fiction, sondern 2018 Alltag. Die technischen Rahmenbedingungen sind klar – doch kaum jemand hat bislang über Sprache und Stil von Chatbots nachgedacht.
Der News-Chatbot Novi der ARD gibt dem Nutzer die Gelegenheit, nachzufragen oder zum nächsten Thema überzugehen.
Immer häufiger übernehmen automatisierte Chatbots Informationsaufgaben oder die Kundenbetreuung. Ihre Möglichkeiten sind allerdings noch begrenzt. Die «Studie über Einsatzpotentiale und Beispiele für Conversational Interfaces» der Universität St. Gallen zeigt deutlich, welche Voraussetzungen für den Einsatz eines Chatbots bestehen: › Die Entscheidungsfindung muss in einem klaren Rahmen erfolgen (etwa innerhalb eines Dialogs rund um ein bestimmtes Thema). › Die Daten müssen vorliegen, um dem Nutzer eine sinnvolle Entscheidung zu präsentieren. «Human Touch» gefragt All dies genügt aber noch nicht, um die Nutzer zufriedenzustellen. Wie die St. Galler Studie feststellt, fehlt den Chatbot-Dialogen so oft die Natürlichkeit bzw. der menschliche Einschlag. Hierfür sind einerseits die oben erläuterten, eng gefassten Voraussetzungen verantwortlich. Denn diese lassen nur wenig Spielraum für lebendige Gespräche. Andererseits sind viele Chatbots in ihrer Tonalität nicht auf der Höhe. Denn statt möglichst natürlich und in authentischer Umgangssprache zu antworten, pflegen sie eine technische Ansprache, wie sie bestenfalls in einer Gebrauchsanweisung angemessen ist.
Das Fallbeispiel Allianz Cinema Chatbot Allianz Cinema hat eine sinnvolle Idee umgesetzt. Wer Fragen zum Allianz Cinema am See hat oder stets über das Programm auf dem Laufenden sein will, wendet sich auf Facebook Messenger an einen Chatbot. Doch schon der Begrüssungstext zeigt, dass die Programmierer eher sich als den Kunden vor Augen hatten: «Ich wurde programmiert, um alle deine Fragen zu beantworten.»
Der Chatbot von Allianz Cinema begegnet dem Nutzer in eigentümlicher Weise.
Copy&Paste reicht nicht Ein weiteres Problem: Chatbot-Programmierer erliegen oft der Versuchung, auf der Webseite veröffentlichte Antworten zu häufig gestellten Fragen (FAQs) direkt auf den Chatbot zu übertragen. Dass solche Antworten jedoch nicht den Ansprüchen eines lebendigen Dialogs genügen, liegt auf der Hand. Fazit: Wer für einen Chatbot schreibt, lässt von Programmiererdeutsch und FAQs am besten die Finger.
Der Chatbot der Zürcher Kantonalbank wiederholt Standardantworten aus den FAQs.
CAS CORPOR ATE WRITER: SPR ACHE UND PERSONAL BR AND
Wie der sprachliche Auftritt die eigene Karriere beeinflusst Wer seine Karrierechancen wahren will, präsentiert seine Kompetenzen auf LinkedIn. Doch immer mehr achten Arbeitgeber nicht nur auf die Fakten, sondern auch auf den sprachlichen Auftritt. Und dieser ist mitunter verräterisch. Moderne Handbücher für Personalfachleute legen seit geraumer Zeit vermehrt Wert auf den sprachlichen Auftritt der jeweiligen Kandidaten – und ziehen daraus entsprechende Schlüsse. So gilt für die Fachautorin Petra Perlenfein: Viele Konjunktive, passive Verben sowie ein langer Bewerbungstext sprechen für ein niedriges Selbstbewusstsein.1
Dem «Ich» auf der Spur So bestätigen Allison Tackman und Kollegen in einer jüngst erschienenen Studie die besondere Rolle der «Ich-Person».3 Wer vermehrt Pronomen der ersten Person in formellen Kommunikationssituationen verwendet, verrät eine Neigung zu Depressionen und psychischer Belastung. Es ist daher ratsam, in Bewerbungssituationen das «Ich» weniger in den Vordergrund zu drängen und vielmehr Projekte, Aufgaben u.a.m. zu thematisieren. Gleiches gilt selbst verständlich für Präsentationen. Konkret überzeugt! Längst bekannt ist ferner, dass eine abstrakte Sprache Distanz zwischen Schreiber und Leser schafft. Eine interessante Bestätigung liefert eine aktuelle Studie von W. Brooke Elliott und Kollegen. Das Autorenteam stellt fest, dass Investoren sich von einer
Sprache erlaubt Rückschlüsse auf die mentale Verfassung.
konkreten Sprache in Offenlegungshinweisen angezogen fühlen. So gilt, dass «highlighting concrete language in a disclosure will increase investors’ willingness to invest in a firm» (S. 860). Und was mehr wollen Jobbewerber, als dass ein attraktiver Arbeitgeber auf sie setzt? Testen Algorithmen bald Profile? Da wenige soziale Handlungen wie beispielsweise Facebook-Likes bereits intime Rückschlüsse auf eine Person zulassen (s. Portfolio 2/17, S. 3), liegt eine Prognose auf der Hand: Schon bald werden Algorithmen unsere LinkedIn-Profile durchforsten und sprachlich scannen. Quellen 1: Petra Perlenfein, Bewerbungstraining: Stärken erkennen und überzeugend vermitteln. Berlin: Cornelsen, 2007 (dort S. 39). 2: Uwe P. Kanning, Personalauswahl zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Berlin/Heidelberg: Springer 2015 (dort S. 153-4). 3: Allison Tackman et al., «Depression, Negative Emotionality, and Self Referential Language». In: Journal of Personality and Social Psychology, März 2018. 4: W. Brooke Elliott et al., «Does concrete language in disclosures increase willingness to invest?». Rev Account Stud 20 (2015), 839–865.
Impressum Stiftung Schweizerische Text Akademie Technopark Zürich Technoparkstrasse 1 8005 Zürich www.textakademie.ch
Fachstelle Schreiben & Publizieren Hochschule für Wirtschaft in Zürich HWZ
ISSN 2297-5764
Skepsis bislang angebracht, aber … Wie seriös sind derartige Einschätzungen? – Der Experte Uwe Kanning zeigt sich skeptisch: «Je mehr Kriterien erfüllt sind, desto sicherer könnte der Entscheider sein, wäre da nicht das kleine Problem, dass man von keinem einzigen dieser Kriterien überhaupt weiss, ob es tatsächlich in einem Zusammenhang zum Selbstwert des Menschen steht.»2 Kanning ist sicherlich insofern beizupflichten, als der psychologische Hintergrund vieler dieser sprachlichen Züge nicht geklärt ist. Allerdings beweisen jüngste Studien, dass Kannings Zweifel unbegründet sind. Denn Sprache und Schreibstil einer Person lassen – zumindest teilweise – tatsächlich Rückschlüsse auf Charakterzüge zu.