und der Fachstelle für Schreiben und Publizieren an der HWZ.
EDITORIAL
«Du» oder «Sie»? – Warum sich die Frage nach der richtigen Ansprache nicht beantworten lässt Liebe Leserinnen und Leser 2008 erlebte die Schweiz einen Paradigmenwechsel: Der – inzwischen verstorbene – CEO Carsten Schloter führte das «Du» flächendeckend und über alle Hierarchiestufen im Swisscom-Konzern ein. Kurz darauf zogen andere Schweizer Grossunternehmen nach, darunter die traditionelle SBB. Die Gründe lagen auf der Hand: In immer mehr multinationalen Unternehmen wurde Englisch zur Konzernsprache, und das zweideutige «you» ebnete dem deutschen «Du» den Weg. Duzen wird zur Kulturfrage Inzwischen stösst das verordnete Duzen wieder auf deutlich mehr Skepsis: Klar wird erstens, dass das kategorische «Du» erhebliche Folgen für die Unternehmenskultur hat. Es verlangt nach Vorgesetzten, die sich zu flachen Hierarchien und mehr Teamgeist bekennen – und ist beispielsweise nur schwer mit einer starren Kleiderordnung vereinbar. Zweitens schafft es beim Recruiting Probleme: Denn die informelle Ansprache mit «Du» kann beim Vorstellungsgespräch Kandidatinnen und Kandidaten jeglichen Alters verstören. Drei mögliche Vorgehensweisen … Wie eine Erhebung der Agenturen Employer telling und textkernel zeigt1, sind sich Unternehmen des Problems rund um die «Du-Ansprache» durchaus bewusst – und verhalten sich äusserst unter-
schiedlich. So verwenden deutschsprachige Unternehmen wahlweise … – «Du» als Standardansprache. – «Du» einzig für junge Zielgruppen (z.B. in Job angeboten für Lehrlinge oder Praktikanten). – durchgehend «Sie» für alle Zielgruppen. … und viel Inkonsequenz Eine vierte Gruppe gesellt sich hinzu: diejenigen Unternehmen, die ohne erkennbare Regeln mal das «Du», mal das «Sie» verwenden.2 So siezen Lufthansa, VW oder Deutsche Telekom auf ihrer Webseite Schüler, duzen auf ihren Social-MediaKanälen wie Facebook, Twitter oder Instagram jedoch Berufserfahrene. Diese Vielfalt belegt: «Du oder «Sie?» gehört zu denjenigen Fragen, die sich nicht verbindlich beantworten lassen. Umso dankbarer sind wir, dass wir auf die meisten anderen Fragen rund um Sprache eine Antwort wissen. Herzliche Grüsse Ivo Hajnal und Franco Item
Quellen: 1: textkernel/employer telling, «Club der Gleichen – Edition Stellenanzeigen», Oktober 2016. 2: Vgl. https://pr-journal. de/nachrichten/unternehmen/21003-studie-zum-guten-ton-indaxkonzernen-was-ist-richtig-duzen-oder-siezen.html
JULI 2018
Newsletter der Text Akademie
PROFESSIONAL WRITING WORKSHOP / SCHREIBWERKSTAT T | DAVOS: 22. – 25.8.18; ZÜRICH: 31.8. – 21.9.18; BERN: 21.9. – 19.10.18
Wenn Sprache kein Wissen schafft: Wird Forschung zu wenig verständlich kommuniziert? Forschungseinrichtungen und wissensgetriebene Unternehmen finden in der Öffentlichkeit immer weniger Gehör. Eine aktuelle Studie belegt: Die Ursachen sind zum Teil hausgemacht. Die Wahrheit ist bekanntlich subjektiv und jede(r) hat seine eigene Sichtweise. Immerhin bildeten noch vor Kurzem wissenschaftlich untermauerte Tatsachen einen Orientierungsrahmen, an den sich alle Teilnehmer einer Debatte – ungeachtet ihrer eigenen Meinung – hielten. Doch inzwischen sind selbst Fakten zur Verhandlungssache geworden – und das «postfaktische» Zeitalter hat begonnen. Wissenschaftliches Schreiben immer wichtiger Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus Hightech-Branchen (Chemie, Biotechnologie, IT u.a.m.) tun sich in diesem Umfeld schwer. Denn sie sind darauf angewiesen, dass ihre Argumente und Forschungsergebnisse in der Öffentlichkeit ausreichend Gehör finden. Dass dies immer schwerer gelingt, hat unter anderem hausgemachte Ursachen. Denn wie eine Forschergruppe des schwedischen Karolinska-Institus nachweist, haben wissenschaftliche Texte in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich an Verständlichkeit eingebüsst.1 Textverständlichkeit kontinuierlich gefallen Im Einzelnen haben die Studienautoren über 700 000 Abstracts von Forschungsbeiträgen unterschiedlicher Fachrichtungen untersucht, die zwischen 1881 und 2015 in ausgezeichneten Fachzeitschriften erschienen sind. Diese Beiträge unterzogen sie zwei klassischen Lesbarkeitsformeln: derjenigen von Rudolf Flesch aus dem Jahre 1948 (FRE: Flesch Reading Ease) sowie derjenigen von Jeanne S. Chall und Edgar Dale von 1995 (NDC: New Dale-Chall Readability Formula). Test
Kriterien
FRE
– Anzahl Silben pro Wort – Anzahl Wörter pro Satz sinkender Wert = sinkende Verständlichkeit
NDC
– Anzahl Wörter pro Satz –A nteil «schwieriger»
Wissenschaftstexte: immer schwerer verständlich Die schwedische Studie belegt: Die beiden Tests zeigen ein kohärentes Bild, die Textverständlichkeit ist im Untersuchungszeitraum beinahe linear gefallen. Hierauf deuten konstant fallende Werte beim FRE bzw. steigende Werte beim NDC.
Bild 1: Die Werte des FRE fallen, diejenigen des NDC steigen. Das heisst: Die Verständlichkeit ist gesunken. Quelle: s.u.
Wissenschaftsjargon statt Leserfreundlichkeit Ein weiteres Studienergebnis: In den letzten Jahrzehnten ist der Anteil an Fachwörtern und Wissenschaftsjargon in Forschungsbeiträgen stetig gewachsen – und zwar auf Kosten von Begriffen aus dem allgemeinen Wortschatz.
Bild 2: Der allgemeine Wortschatz nimmt seit über 100 Jahren ab. Heute dominieren Fachwörter und -jargon. Quelle: s.u.
Professional Writer gefragt! Das Fazit aus der schwedischen Studie fällt somit leicht: Wer komplexe Sachverhalte kommuniziert, muss mit den Vorgaben der Verständlichkeit vertraut sein. Denn sonst wird die Gesellschaft rasch noch «postfaktischer».
nicht-alltäglicher Wörter steigender Wert = sinkende Verständlichkeit
Tabelle 1: Die in der schwedischen Studie angewandten Test verfahren. 2|3
Quelle: 1: P. Pláven-Sigray et al., «Research: The readablity of scientific texts is decreasing over time». eLife, Sep 5, 2017 https://doi.org/10.7554/eLife.27725.001
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Siri, Alexa & Co.: Wie Chatbots Content Marketing verändern könnten Sprachassistenten wie Siri (Apple) oder Alexa (Amazon) lernen stetig dazu. Für einfache Tätigkeiten und Anfragen werden sie bereits häufig genutzt. Mittelfristig haben sie das Potential, Content Marketing massgeblich zu verändern. Mehr als die Hälfte der deutschen Online-User hat bereits Erfahrungen mit einem Sprachassistenten gesammelt. Nur 25% der User lehnt die intelligenten Chatbots im Gegenzug ab. Je jünger die Nutzer, desto alltäglicher wird das Gespräch mit Siri, Alexa & Co.1 Sprachassistenten immer auskunftsfreudiger Eine weitere Statistik besagt: Gegen 50% der Deutschen wollen die Chatbots zur Abfrage von qualitätsvollem Content nutzen: also von Informationen aus Suchmaschinen (46%), der Wetterprognose (45%) oder von Sportresultaten (24%).2 Übrigens bestehen nach Auskunft von Google bereits 20% der mobilen Suchen aus Sprachan fragen.
Der Hintergrund: Schriftliche Suchanfragen an Google werden in Stichwörtern (z.B. «günstige Reisen nach XY?») gestellt, hinter denen Google eine konkrete Frage erkennt. Hingegen bestehen mündlich über einen Sprachassistenten gestellte Anfragen aus kurzen Sätzen, die sich erstens durch einen starken persönlichen Bezug auszeichnen; und zweitens meist auf ein ganz konkretes Bedürfnis ausgerichtet sind, wobei sich der Nutzer eine rasche Empfehlung erhofft. Aus Suchanfragen werden «Micro-Moments» In den Worten des Blogs thinkwithgoogle: «We’re also seeing this personal advisor theme play out quite literally, as people are specifically including qualifiers like <me> and <I> in their searches.»3 Für mündliche Anfragen optimierter Content wird folglich in umgangssprachlicher Form aufscheinen müssen, um dem Nutzer adäquat zu begegnen. Google hat für die Situation, in welcher der Nutzer zum Smart phone greift und eine mündliche Anfrage startet, einen eigenständigen Begriff geprägt: «Micro-Moment».
Bild 1: Chatbots wie Siri, Alexa oder Google Assistant geben bereits heute keinen Leertext von sich, sondern verbreiten qualitätsvollen Content.
Potential erkannt Ein solches Nutzerverhalten deutet auf das Potential dieser Chatbots. Sprachassistenten könnten schon bald die Renaissance von Audiocontent wie des klassischen Podcasts einläuten. Inzwischen haben etablierte Verlage damit begonnen, beliebte Content-Angebote in Hörform anzubieten. Seit Kurzem stellt Amazon das «Polly-Plug-in» für WordPress zur Verfügung, das Blog-Posts in Audiodateien umwandelt. SEO auf mündliche Anfragen ausrichten Sprachassistenten könnten Content Marketing allerdings noch in einer zweiten Hinsicht beeinflussen: bei der Vermarktung der Inhalte bzw. konkret der Suchmaschinenoptimierung (SEO).
Bild 2: «Mikro-Momente» gipfeln in kaufentscheidenden Fragen. Quelle: thinkwithgoogle
Derartige «Mikro-Momente» bestimmen letztlich über Kauf oder Nicht-Kauf. Umso mehr werden Content-Gefässe wie Webseiten oder Blogs künftig darauf ausgerichtet sein, in solchen «MikroMomenten» die kaufentscheidenden Informationen auf Augenhöhe zu liefern. Quellen: 1: BVDW, Digital Trends. Umfrage zu digitalen Sprachassistenten. November 2017. 2: https://www.email-marketing-forum. de/Fachartikel/details/1826-Sprachassistenten-Eine-langfristigeGroesse-im-Marketing-Mix/146873 3: https://www.thinkwithgoogle. com/consumer-insights/personal-needs-search-trends/
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Auf sozialen Medien gezielt Stimmung machen! Unternehmen, die auf sozialen Medien publizieren, sollten auf die Stimmungen ihrer Nutzer eingehen. Denn eine aktuelle Studie belegt: Wir sind auf Twitter oder Facebook nicht zu jeder Tageszeit gleich gut aufgelegt … Unsere Stimmung wird durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, darunter erfahrungsgemäss die Tageszeit. Doch lassen sich derlei Stimmungsschwankungen in unseren Äusserungen auf sozialen Medien erkennen? – Dieser Frage ist ein bri tisches Forscherteam nachgegangen und hat Erstaunliches zu Tage gebracht.1 Tag und Nacht: ganz unterschiedliche Stimmung In ihrer Studie durchleuchteten die Forscher die Tweets von Usern aus den 54 grössten britischen Städten zwischen 2010 und 2014 und analysierten diese stundenweise nach Stimmungslagen während des Tages. Das Ergebnis: – Begriffe für kognitive Prozesse bzw. kategorielles Denken (Wortgruppen rund um Arbeit und Leistung, aber auch um Finanzielles) dominieren am frühen Vormittag. – Begriffe für existentielles Denken (Wortgruppen rund um Tod, Religion oder Gesundheit) treten hingegen gehäuft in den Nachstunden auf.
Schreibstil verändert sich deutlich Eine weitere Erkenntnis: Der Schreibstil der TwitterNutzer verändert sich zwischen den beiden Zeiträumen (frühe Nacht bis Vormittag) merklich. Dies manifestiert sich am Auftreten von bestimmten Wortklassen: – So verwenden die Nutzer in den frühen Morgenstunden vermehrt Artikel und Präpositionen, was ein kategorielles Denken verrät und für formellen Schreibstil steht. – Hingegen treten während der Nachtstunden vermehrt Pronomen auf, die ein dynamisches Denken und den Erzählstil charakterisieren.
Bild 2: Gross dargestellte Wortklassen variieren während der Nachstunden und des Vormittags besonders stark. Pronomen sind für Stimmungslage und Denkweise charakteristisch.
Sich an die Stimmungslage anpassen Wer den Nerv seiner Nutzer treffen will, muss folglich vermehrt ihre Stimmungslagen während des Tags und der Nacht berücksichtigen. Denn dann wird Content wirklich «sozial».
Negative Emotionen während der Nacht Das existentielle Denken geht mit negativen Emotionen einher. Bemerkenswert ist im Übrigen, dass sich die festgestellten Stimmungsschwankungen auf ein relativ beschränktes Zeitfenster zwischen früher Nacht und Vormittag konzentrieren.
Quelle: 1: Fabon Dzogang et al., «Diurnal variations of psychometric indicators in Twitter content». PLOS ONE, 20. Juni 2018 (https:// doi.org/10.1371/journal.pone.0197002).
Impressum Stiftung Schweizerische Text Akademie Technopark Zürich Technoparkstrasse 1 8005 Zürich www.textakademie.ch
Fachstelle Schreiben & Publizieren Hochschule für Wirtschaft in Zürich HWZ
ISSN 2297-5764
Bild 1: F1 steht für Wortgruppen von kategoriellem Denken (Kurve links), F2 für Wortgruppen von existentiellem Denken (Kurve rechts). F1 ist jeweils gegen 8 Uhr vormittags, F2 gegen 4 Uhr in der späten Nacht am stärksten zu erkennen.