2. Sinfoniekonzert - Programmheft

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2. Sinfoniekonzert

26. Oktober 2021 | Stadthalle

BEETHOVEN | HEUCKE | MAHLER



Philharmonisches Orchester Hagen Konzertsaison 2021/22 2. Sinfoniekonzert


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2. Sinfoniekonzert

26. Oktober 2021, 19.30 Uhr, Stadthalle Hagen LUDWIG VAN BEETHOVEN Ouvertüre zu Coriolan op. 62 STEFAN HEUCKE Concerto grosso Nr. 1 für Tubaquartett und Orchester op. 82 I. Choral mit Variationen / II. Scherzo: Sehr lebhaft / III. Passacaglia: Ruhig, aber kraftvoll vorwärts PAUSE GUSTAV MAHLER Sinfonie Nr. 4 G-Dur I. Bedächtig. Nicht eilen / II. In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast / III. Ruhevoll. Poco adagio / IV. „Das himmlische Leben.“ Sehr behaglich (mit Sopran-Solo) Tuba: MELTON TUBA QUARTETT Sopran: DOROTHEA BRANDT Leitung: JOSEPH TRAFTON In Kooperation mit dem SauerlandHerbst Konzertende gegen 21.45 Uhr


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Ludwig van Beethoven in einem Gemälde von Joseph Karl Stieler (ca. 1820)

LUDWIG VAN BEETHOVEN

*17. Dezember 1770 (getauft), Bonn †26. März 1827, Wien Ouvertüre zu Coriolan op. 62 Uraufführung: März 1807, im Palais Lobkowitz (Wien) Als Beethoven mit Coriolan 1807 seine erste Schauspiel­ ouvertüre komponierte, lebte er bereits seit 15 Jahren in seiner neuen Wahlheimat Wien. Es war gerade zwei Jahre her, dass Napoleon Wien besetzte und sich in Schloss Schönbrunn einquartierte. 1806 wurde Franz II. gezwungen, als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches abzudanken und war von nun an ausschließlich Franz I., Kaiser von Österreich. Die politische Lage betraf Beethoven nicht nur als Europäer und Bewohner Wiens, sondern


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führte auch zu einem Konflikt mit Fürst Karl Lichnowsky (1761-1814), der für ihn ein enger Freund und wichtiger Förderer geworden war, als Beethoven sich 1806 weigerte, vor französischen Offizieren zu musizieren. In dieser angespannten, von den napoleonischen Kriegen geprägten Lage Europas arbeitete Beethoven in Wien 1807 an einem Werk, dessen Einsatz er als Ouver­ türe zu einer Vorstellung nicht erwarten konnte. Denn das zuvor sehr erfolgreiche Schauspiel Coriolan von Heinrich Joseph von Collin (1771-1811) wurde nach vier Jahren, 1806, vom Spielplan abgesetzt. Zunächst betitelte Beethoven seine Komposition als Ouvertüre Zum ­Trauer­s piel ­C oriolan, doch strich er diesen Bezug zu ­C oriolan durch. Zu welchem Zweck hat Beethoven­ dieses Werk komponiert, wenn es womöglich nicht als ­Ouvertüre des Trauerspiels dienen sollte? Leider gibt es keine überlieferten Antworten auf diese Frage, doch gilt op. 62 heute als erstes Exemplar der noch im 19. Jahrhundert sehr populär werdenden Konzertouvertüren. Es sind Werke, die keinen fremden Zweck benötigen, sondern für sich allein stehen und keinem Ballett, Schauspiel oder Opern vorangestellt sein müssen. Robert Schumann und Felix ­Mendelssohn Bartholdy werden später die wohl ­berühmtesten Komponisten dieser neuen ­Gattung. Collins Coriolan ist ein antiker, römischer Feldherr, der früher ein beliebter Krieger war, dann jedoch aus ­seiner Stadt verbannt wurde. Das empfand Coriolan als


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­ ngerecht und wollte sich rächen, indem er sich mit der u befeindeten Seite zusammenschloss. Seine Mutter und seine Frau schafften es letztlich, ihn von seinen Rache­ plänen abzubringen. Doch Coriolan erträgt den inneren Druck und die Konflikte zwischen seinen wilden Emo­ tionen und der Vernunft nicht; er begeht Selbstmord. In der musikwissenschaftlichen Forschung wird diskutiert, inwiefern Beethoven die Handlung des Trauerspiels in seiner Ouvertüre integriert hat. Denkbar wäre, dass die gesamte Ouvertüre Coriolans psychische Grundstimmung einfängt, die stets zwischen wütenden Rachegelüsten und Vernunft oder Erinnerungen an seine glückliche Zeit als beliebter Feldherr in Rom schwankt. Einen Schritt weiter geht die Interpretation, in der das erste musikalische Thema Coriolan zugesprochen wird und das zweite, lyrische Thema seiner Mutter und seiner Frau, die versuchen, ihn von dem Feldzug gegen Rom abzubringen. Insbesondere die letzte Interpretation bescheinigt Beethoven, die Entwicklung der später auftretenden sinfonischen Dichtung beeinflusst zu haben, bei der ein programmatischer Zusammenhang zwischen Handlung und Musik besteht. Ein Beispiel dafür ist das eindrucksvoll komponierte Ende der Ouvertüre, denn es erweckt Assoziationen von Coriolans Tod. Das musikalische Hauptthema der ­Ouvertüre sprudelt an Energie und Dramatik über und fällt am Ende plötzlich aus dem Rhythmus wie ein


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v­ erwundetes Herz. Die letzten Schläge des Herzens werden schwächer mit immer größeren Abständen dazwischen (Generalpausen im Orchester) bis nur noch ein letzter, leiser Schlag zu hören ist. Diese einzelnen Akzente, die hier als Herzschläge interpretiert werden, sind zu ­Beginn der Ouvertüre in einem völlig anderen Charakter zu hören; sie sind sehr laut (fortissimo), donnernd und drängend wie ein Sturm, der das tragische Schicksal des Feldherrn voraussagt.


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STEFAN HEUCKE

*24. Mai 1959, Gaildorf Concerto grosso Nr. 1 für Tubaquartett und Orchester op. 82 I. Choral mit Variationen Introduktion: Sehr langsam, feierlich und geheimnisvoll Choral: Im doppelten Tempo, aber immer noch ruhig ·· Var. 1: Etwas unruhig ·· Var. 2: Tempo I ·· Var. 3: Leise, etwas bewegt ·· Var. 4: Energisch, drängend ·· Var. 5: Langsam und schwer ·· Var. 6: Geheimnisvoll, flüsternd ·· Var. 7: Gewaltig ausbrechend ·· Var. 8: Im Tempo des Anfangs II. Scherzo: Sehr lebhaft III. Passacaglia: Ruhig, aber kraftvoll vorwärts Uraufführung: 2. Dezember 2017, Kulturpalast Dresden VON FEIERLICHEN SAKRALKLÄNGEN UND VIRTUOSER SPIELLAUNE Die Tuba ist das jüngste Mitglied der Blechbläserfamilie – ein „Kontrabass der Harmonie-Musik“, der für ein kraftvolles und wohlklingendes Fundament sorgt. In seinem Grand traité d’instrumentation et d’orchestration


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modernes bescheinigte Hector Berlioz dem Instrument einen besonders „edlen“ Klang. Auch auf die Frage, was besser als eine Tuba klingen würde, hatte der französische Romantiker eine Antwort, nämlich zwei oder mehr ­Tuben: „Man kann sich keinen Begriff von der Wirkung einer größeren Anzahl von Basstuben in starken Militärmusikchören machen. Das klingt wie Posaune und Orgel zugleich.“ Die virtuosen Möglichkeiten der Tuba schätzte Berlioz allerdings eher gering ein, da sie nur „langsam einherschreitende Melodien“ spielen könne. Richard Strauss sah die Sache etwas anders: Der exponierte Einsatz der Basstuba im Bacchanal der Venusbergszene in Richard Wagners Tannhäuser etwa wirke auf ihn einfach „wunderbar“ – trotz (oder vielleicht auch wegen) der ­behenden Staccato-Aufschwünge, die der Tubist hier im Piano zu bewältigen hat. Dennoch entstand einer der ­ersten Klassiker der Tubaliteratur erst 1954, als Ralph Vaughan Williams sein Konzert für Basstuba und ­ ­Orchester komponierte. Mit diesem Werk gelang es erstmals, das solistische Potenzial des tiefen Blechblas­ instruments in seiner ganzen Bandbreite zu präsentieren, wobei die beiden dem Konzert hinzugefügten Solo-­ Kadenzen seinerzeit für Furore sorgten. In den letzten Jahrzehnten ist die Tuba immer populärer geworden, was vor allem den großen spieltechnischen Fortschritten sowie dem Einsatz herausragender Instrumentalisten zu verdanken ist. Eine besondere Rolle


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hierbei spielt das 1987 gegründete Melton Tuba Quartett, in dem sich die vier Tubisten Hartmut Müller, Heiko Triebener, Jörg Wachsmuth und Ulli Haas zu einem deutschlandweit einzigartigen Ensemble zusammengetan haben. Für sie komponierte John Stevens 2009/10 sein Grand Concerto 4 Tubas für Tuba-Quartett und ­Orchester, ein überaus stimmungsvolles Werk, das im Tonfall à la Copland, Gershwin und Bernstein einmal mehr die agilen Möglichkeiten des tiefen Blasinstruments unter Beweis stellt. Auch Stefan Heucke schrieb sein Concerto grosso­ Nr. 1 op. 82 für das Melton Tuba Quartett: „Ein konzertantes Stück für diese extravagante Besetzung steht bis jetzt (von einer Ausnahme abgesehen) ohne Beispiel da und für mich als Komponist war es eine äußerst ­anspruchsvolle Herausforderung, mich mit den sehr speziellen klanglichen Gegebenheiten eines Tubaquartetts aus­einanderzusetzen und sie kompositorisch zu nutzen.“ In seinem Concerto grosso Nr. 1 stellte Heucke dem ­Tubaquartett „ein groß besetztes Streichorchester, erweitert durch Pauken, Schlagzeuge und Harfe, zur Seite [...]. Auf Bläser im Orchester habe ich bewusst verzichtet, ­damit die Wirkung der Tuben unangefochten solistisch bleibt. Andererseits bieten gerade die hohen Streicher in Kombination mit dem Tubaquartett wunderbare ­Möglichkeiten, den Klang aufzuhellen und zum Leuchten zu bringen. Allerdings ist das Solistenensemble dem


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Orchester sowohl als Quartett, in unterschiedlichsten Duo- und Trio-Kombinationen, als auch jeder Tubist ­einzeln als ­Solist gegenübergestellt. Jeder Satz des drei­ sätzigen Werkes nützt zudem eine andere Quartett­ besetzung, der erste Satz ist mit drei F- und einer B-Tuba, der zweite mit zwei Euphonien und zwei F-Tuben, der dritte mit einem ­Euphonium, zwei F-Tuben und einer B-Tuba besetzt.“ Das Konzert, in dem Heucke feierliche Sakralklänge auf virtuose Spiellaune treffen lässt, gliedert sich in drei Sätze mit ungewöhnlicher Tempofolge: „Der erste, sehr ruhige Satz beginnt mit einer feierlichen Introduktion, die einen mystisch-sakralen Klangraum eröffnet. Es folgt ein Choralthema, eine Abstraktion des ­Chorals Nun bitten wir den Heiligen Geist; dem sich acht Variationen anschließen, deren letzte in eine Coda übergeht, die auf die Introduktion rekurriert. Es schließt sich als zweiter Satz ein lebhaftes und virtuoses Scherzo mit zwei Trios an, bevor der letzte Satz, wieder in mäßigem Tempo, als groß angelegte Passacaglia in eine Coda mündet, die das Choralthema in einer hymnischen ­Apotheose überhöht.“ Harald Hodeige


Gustav Mahler, 1909

GUSTAV MAHLER *7. Juli 1860, Kalischt †18. Mai 1911, Wien

Sinfonie Nr. 4 G-Dur I. Bedächtig. Nicht eilen II. In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast III. Ruhevoll. Poco adagio IV. „Das himmlische Leben.“ Sehr behaglich (mit Sopran-Solo) Uraufführung: 25. November 1901 in München, dirigiert vom Komponisten


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Entstehung Gustav Mahlers vierte Sinfonie ist das letzte sinfonische Werk für das er ein Lied aus Des Knaben Wunderhorn verwendete. In den Jahren 1892 bis 1901 komponierte er insgesamt 24 Klavier- und Orchesterlieder der mehrere hundert Lieder umfassenden Volksliedsammlung von Clemens Brentano und Achim von Arnim. Neben der vierten integrierte Mahler in seiner zweiten und dritten Sinfonie ebenfalls Wunderhorn-Lieder. Noch bevor die dritte Sinfonie vollendet war, hatte er 1896 bereits angefangen die vierte zu planen. Zu diesem Zeitpunkt ging er für sein neues Werk von einem sechssätzigen Stück aus, das drei Lieder der Sammlung Des Knaben Wunderhorn enthalten sollte: Das irdische Leben, Es sungen drei ­Engel und Das himmlische Leben. Tatsächlich verwendete er dann jedoch Es sungen drei Engel für den fünften Satz der dritten Sinfonie und Das irdische Leben wurde im Rahmen seiner Orchesterlieder Des Knaben Wunderhorn veröffentlicht. Mahler hatte zuvor überlegt, Das himmlische Leben, das er zusammen mit Es sungen drei Engel bereits 1892 komponierte, als Finalsatz seiner dritten Sinfonie zu verwenden. Es ist also kaum verwunderlich, dass es im Himmlischen Leben (das letztlich zum Finale der Vierten wurde), eine kleine melodische Phrase gibt, die ein Zitat der dritten Sinfonie ist. Zum ersten Mal erklingt das ­Zitat am Ende der ersten Strophe, bei den Worten „Sankt Peter


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im Himmel schaut zu“ (Takt 35). In der dritten Sinfonie hören wir eben diese Melodie im fünften Satz (Es sungen drei Engel) bei den Worten „Ich hab’ übertreten die Zehn Gebot“ und „Ach komm und erbarme dich über mich“. Zur Musik Als Mahler beschloss, Das himmlische Leben als letzten Satz seiner vierten Sinfonie zu verwenden, begann er das gesamte Werk vom Finale ausgehend zu konzeptionieren. Mit dieser Entscheidung ergeben sich einige Besonderheiten, die die vierte Sinfonie charakterisieren. Zunächst führte es dazu, dass der vierte Satz zum kürzesten der Sinfonie wurde. Üblicherweise ist er (gegebenenfalls zusammen mit dem Kopfsatz) der umfangreichste. Auch der Einsatz einer Gesangsstimme ist etwas Besonderes, wenn jedoch seit Beethovens neunter und Mahlers zweiter und dritter Sinfonie nicht mehr überraschend. Außergewöhnlich ist bei Mahlers Vierten allerdings, dass die Sinfonie mit der Solostimme in einer ungewöhnlichen Atmosphäre endet. Typisch wäre ein großes Finale, das zum Höhepunkt des Werks führt. Stattdessen endet es mit leisen, schlichten und in sich gekehrten Tönen. Es wäre jedoch ein Irrtum zu glauben, dass nicht auch diese Sinfonie zum Finale hinstrebt; die vorherigen Sätze sind mit dem Finalsatz eng verbunden. Besonders das Schellenmotiv zieht sich durch das Werk. Dementsprechend beginnt die Sinfonie mit eben diesen Schellen. Sie erinnern an die


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mit klingenden Schellen versehene Kappe eines Narren, Mahler selbst nannte sie „Schellenkappe“. Im ersten Satz erklingen sie noch in einem eher ruhigen Tonfall und wiederholen sich innerhalb der Sonatenhauptsatzform, die dem Satz zugrunde liegt. Im Finale der Sinfonie werden die Schellen vom Orchester verstärkt und bekommen ­einen stark treibenden Klang mit intensiver Spannung. Schon im ersten Satz ist an einzelnen Stellen zu ­hören, was Mahler im dritten und vierten auf die Spitze treibt: Ideen werden aufgegriffen, verlieren sich jedoch plötzlich oder werden von anderen sich aufdrängenden Einfällen schlagartig vertrieben. Am Ende des ersten werden bereits kleine eingetrübte Motive des zweiten ­ ­Satzes vorweggenommen. Mahler beschrieb selbst, der zweite Satz erinnere an das Scherzo seiner zweiten ­Sinfonie (dritter Satz), dem das Wunderhorn-Lied Des ­Antonius von Padua Fischpredigt zugrunde liegt. In der Vierten erfährt der tänzerische Klang der Zweiten jedoch einen ironischen Unterton, der sicherlich durch die einen Ganzton nach oben verstimmte Sologeige verstärkt wird. Die Geige soll „wie eine Fidel“ und „immer stark hervortretend“ gespielt werden. Insgesamt wirkt der zweite Satz wie eine Parodie der Fischpredigt. Die Fische, die der ­Predigt in der zweiten Sinfonie noch gespannt gelauscht haben und Antonius als Zuhörer dienten, werden im Text des Finalsatzes der Vierten großzügig verspeist. („Sollt’ ein Fasttag etwa kommen, / Alle Fische gleich mit F ­ reuden


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angeschwommen! / Dort läuft schon Sankt Peter / Mit Netz und mit Köder / Zum himmlischen Weiher hinein. / Sankt Martha die Köchin muss sein.“) Der dritte Satz ist zunächst in dunklen Farben gehalten, die jegliche Parodie des zuvor gehörten Satzes in ehrliche Melancholie verwandeln. Sind die anderen drei ­Sätze verhältnismäßig kurz, nutzt Mahler hier Zeit und Raum, um groß angelegte melancholische Spannungs­ bögen aufzubauen, die in muntere Abschnitte führen, ­jedoch stets wieder abgebrochen werden und letztlich am Ende des Satzes hörbar dem Himmlischen Leben entgegenstreben. Im Liedtext des vierten Satzes geht es um eine fantasievolle Darstellung des paradiesischen Lebens nach dem Tod, in welchem die Gegensätze zur irdischen Welt durch die Aufhebung von Gut und Böse im Himmel mit ironischen und doppelbödigen Bildern zum Ausdruck ­gebracht werden. Zu Beginn ist ein sehr leise einsetzendes Klarinettensolo zu hören, das die nachfolgende Gesangsmelodie vorwegnimmt. Die einzelnen Liedstrophen des Himmlischen Lebens werden formal durch Zwischenspiele getrennt, die das prägnante Schellenmotiv stets ­einleitet. Nicht nur wegen der einprägsamen Melodie mit dem kleinen Sextsprung zu Beginn der Phrase ist das genannte melodische Zitat aus Es sungen drei Engel ­ ­einfach wiederzuerkennen, sondern auch durch Mahlers Fähig­keit, einen plötzlichen Stimmungswechsel e­ ntstehen


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zu lassen. War die Atmosphäre zunächst ausgelassen, leicht und fast schon lustig, ändert sich mit dem Sextsprung alles: Das Orchester tritt für diese Phrase völlig in den Hintergrund, sogar die relativ hohe Lage im Sopran soll pianissimo gesungen werden und die Gesangslinie scheint vollkommen aus dem Rhythmus herauszutreten, als wäre die Zeit stehen geblieben. Genauso plötzlich wie die andächtige Stimmung aufgetreten ist, bringt das Schellenmotiv die Hörer*innen schlagartig zurück zum Fortschreiten des Satzes. Lediglich die letzte Strophe des Liedes fällt aus dieser Struktur heraus und endet ohne Schellen und ohne Melodiezitat in ruhigster Stimmung mit den Worten, „dass alles für Freuden erwacht“, ­während die Sinfonie paradoxerweise ihr Ende findet und der Orchesterklang leise im Boden versinkt.


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Das himmlische Leben Wir genießen die himmlischen Freuden, D’rum tun wir das Irdische meiden. Kein weltlich’ Getümmel Hört man nicht im Himmel! Lebt alles in sanftester Ruh’. Wir führen ein englisches Leben, Sind dennoch ganz lustig daneben! Wir tanzen und springen, Wir hüpfen und singen! Sankt Peter im Himmel sieht zu! Johannes das Lämmlein auslasset, Der Metzger Herodes drauf passet! Wir führen ein geduldig’s, Unschuldig’s, geduldig’s, Ein liebliches Lämmlein zu Tod! Sankt Lucas den Ochsen thät schlachten Ohn’ einig’s Bedenken und Achten. Der Wein kost kein Heller Im himmlischen Keller, Die Englein, die backen das Brot. Gut’ Kräuter von allerhand Arten, Die wachsen im himmlischen Garten! Gut’ Spargel, Fisolen Und was wir nur wollen!


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Ganze Schüsseln voll sind uns bereit! Gut’ Äpfel, gut’ Birn’ und gut’ Trauben! Die Gärtner, die Alles erlauben! Willst Rehbock, willst Hasen, Auf offener Straßen Sie laufen herbei! Sollt’ ein Fasttag etwa kommen, Alle Fische gleich mit Freuden angeschwommen! Dort läuft schon Sankt Peter Mit Netz und mit Köder Zum himmlischen Weiher hinein. Sankt Martha die Köchin muss sein! Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, Die unsrer verglichen kann werden. Elftausend Jungfrauen Zu tanzen sich trauen! Sankt Ursula selbst dazu lacht! Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, Die unsrer verglichen kann werden. Cäcilia mit ihren Verwandten Sind treffliche Hofmusikanten! Die englischen Stimmen Ermuntern die Sinnen, dass alles für Freuden erwacht.


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STEFAN HEUCKE Das Werkverzeichnis des deutschen Komponisten Stefan Heucke (*1959) um­ fasst über 90 Werke aller Gattungen, Opern, Oratorien, Sinfonien, Konzerte, geist­ liche Musik, Kammermusik und Lieder. Seine Werke werden in der ganzen Welt von prominenten Orchestern und Solisten aufgeführt. Besonderes Aufsehen erregte seine große Oper über Das Frauenorchester von Auschwitz (2006). Heucke war Composer-in-residence bei mehreren Orchestern und internationalen Festivals. 2016 eröffnete der neue Bochumer Konzertsaal seine Tore mit Heuckes Kantate Baruch ata Adonaij – Gesegnet seist Du Herr. 2017 wurde seine abendfüllende Deutsche Messe für Soli, Chor und Orchester anlässlich des Luther-Jahres in Berlin vom Deutschen Symphonie-­ Orchester und dem Berliner Rundfunkchor uraufgeführt. Seit 1996 werden Heuckes Werke bei Schott Music International verlegt. Er lebt als freischaffender Komponist abwechselnd in Deutschland und in Italien.


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MELTON TUBA QUARTETT Das 1987 gegründete ­Melton Tuba Quartett ist das erste und bis heute einzige seiner Art in Deutschland. Es spielen die vier Tubisten: Hartmut Müller, Heiko Triebener, Jörg Wachsmuth und Ulli Haas. Durch seine zahlreichen Aktivitäten im In- und Ausland hat sich das ­Melton Tuba Quartett einen festen Platz in der Musikwelt gesichert. Ihre Auftritte führten sie zu in- und ausländischen Musikfestivals wie dem Internationalen Tubakongress Verso il Millenio in Riva del Garda oder zur Army Band Tuba Conference in Washington, zum Kanzlerfest in Bonn, dem Rheingau Musikfestival und den Brandenburgischen Sommerkonzerten, in die ausverkaufte Berliner Philharmonie und zur ARD und dem ZDF. Ein wesentlicher Schwerpunkt des Quartetts ist die ­Musikvermittlung: Mit humorvollen und informativen Kinder- und Familienkonzerten bringt das Ensemble jungen und jung gebliebenen Menschen jeden Alters die Tuba und ihre Musik nahe.


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Das Quartett brachte bereits einige erfolgreiche CD-­ Aufnahmen heraus, z.B.: Lazy Elephants (1995), POWER (1999) und What a Wonderful World (2005). Bevor 2016 die aktuelle CD Featuring the Meltons erschien, präsentierte das Melton Tuba Quartett zusammen mit den Duisburger Philharmonikern ihre fünfte CD im Rahmen der Weltpremiere des Grand Concerto 4 Tubas von John Stevens. 2017 wurde das Concerto grosso von Stefan Heucke als zweites Tubaquartett der Welt im Kulturpalast in Dresden vom Melton Tuba Quartett uraufgeführt.

DOROTHEA BRANDT Die Sopranistin Dorothea Brandt wurde 2006, im Jahr ihres Abschlusses an der HfM Saarbrücken (Professor Yaron Windmüller), von den Wuppertaler Bühnen enga­ giert. Dort sang sie zahlreiche lyrische Partien, wie z. B. ­Pamina, Norina oder Gretel. Sie ist Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes und des Richard-Wagner-Verbandes, sie erhielt


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einen Förderpreis des ZONTA-Club Saarbrücken und ­gewann 2005 den 1. Preis beim Walter-Gieseking Wett­ bewerb. Im Jahr 2006 war sie Finalistin im Wettbewerb „Schubert und Moderne“ in Graz. Dorothea Brandts besondere Liebe gilt dem Belcanto und der Neuen Musik. Neben der Operntätigkeit gibt sie zahlreiche Konzerte und Liederabende, z. B. im Rahmen der Biennale Venedig, in der Historischen Stadthalle Wuppertal, auf Sylt, in München, Basel oder Nürnberg. Sie arbeitete unter anderem zusammen mit Dirigenten wie Howard Arman, Jörg-Peter Weigle, Tonu Kaljuste, Erwin Ortner, Michel Plasson und Regisseuren wie Andrea Schwalbach, Aurelia Eggers, Georg Köhl, Jakob Peters-Messer, Georges Delnon. Im Jahr 2012 wurde sie von der Fachzeitschrift Opernwelt als Nachwuchs­ sängerin nominiert. Seit der Spielzeit 2014/15 arbeitet die Sopranistin freiberuflich als Sängerin, Gesangspädagogin und Stimmbildnerin. Sie leitet die Kolibris Friedhofskirche der ­Mädchenkurrende Wuppertal und hat einen Lehrauftrag am Wuppertaler Standort der Musikhochschule Köln. Dorothea Brandt war in Hagen bereits in der Zauberflöte (Pamina), in Ritter Roland (Eurilla), als Schlaues ­Füchslein und in Ovids Geschichten als Echo und Thisbe zu erleben.


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JOSEPH TRAFTON Joseph Trafton, geboren in Kentucky, ist seit der Spielzeit 2017/18 Generalmusikdirektor der Stadt Hagen. Er studierte Dirigieren, Kompo­ sition und Klavier in Miami. 1998 erhielt er ein Stipendium an der Universität für Musik Wien. Im Alter von 21 Jahren debütierte er bereits als Dirigent bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall. Ein Aufbaustudium erfolgte an der Eastman School of Music in New York. Er ergänzte seine Ausbildung durch Kurse bei Bernhard Haitink, Pierre Boulez, Gennadi Rozhdestvensky sowie an der Pierre Monteux Akademie für Dirigenten. Joseph Trafton ist ein international gefragter Dirigent für Sinfoniekonzerte, Opern, Ballette sowie zeit­ genössische und Multimedia-Projekte. Er ist regelmäßiger Gastdirigent bei Festivals wie dem von Claudio Abbado gegründeten Festival Wien Modern, dem Festival Musica Strasbourg und dem tschechischen Festival Ostrava Days. Als Erster Kapellmeister am National­ theater ­Mannheim („Opernhaus des Jahres“ 2014/15) hat er in


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fünf Spielzeiten mehr als 350 Vorstellungen dirigiert, ­darunter die Uraufführung von Der Golem von Bernhard Lang mit einem Video-Libretto von Peter Missotten, die in der internationalen Presse große Anerkennung bekommen hat. Zu seinem breitgefächerten Repertoire zählen Opern und Operetten wie Puccinis La Bohème, Mozarts Die Zauberflöte, Wagners Der fliegende Holländer, Bizets Carmen, Verdis La Traviata, Beethovens Fidelio, Strauß’ Die Fledermaus, Donizettis Lucia di Lammermoor u.v.a. Schwerpunkte in seinem Konzertrepertoire liegen bei Beethoven, Haydn, Bruckner, Strawinsky, Debussy, John Adams und Philip Glass. Seit seinen ersten Kapellmeisterstationen am Theater Regensburg und Staats­ theater Braunschweig hat er zahlreiche Projekte für ­Kinder und Jugendliche gemacht, darunter das Cross­ over-Projekt mit einer Rockband Carmen – High School Opera sowie Jesus Christ Superstar. Als Gast stand er am Pult von Klangkörpern wie dem Sinfonieorchester Basel, Lucerne Festival Academy Orchester, Oldenburgischen Staatsorchester und OSSIA Ensemble New York.


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Tagesbesetzung Violine 1: Shotaro Kageyama, Henry Kreuter, Kalina Kolarova, Ilzoo Park, Ingrid Kletke, Rosalind Oppelcz, Marco Frisch, Lucjan Mikolajczyk, Natascha Akinschin, Yutaka Shimoda, Jeongmin Joo, Alina Bazarova° Violine 2: Evgeny Selitsky, Magdalena Rozanska, Katharina Eckert, Ines Collmer, Barbara Wanner, Yang Zhi, Inna Tscherkassova, Victor Maletych, Terese Pletkute°, N.N. Viola: Ayane Koga, Ursina Staub, Michael Lauxmann, Iris Reeder, Olga Adams-Rovner, Axel Kühne, Magnus Döhler, Nestor Alvarez Gonzalez Violoncello: Yan Vaigot, Thomas Fleischer, Kerstin Warwel, Isabel Martin, Katrin Geelvink, Vera Nebylova° Kontrabass: Grzegorz Jandulski, Andreas Jannasch, Hubert Otten, Miguel Alonso, Gabriela Couret Gonzalez Flöte: Francesco Camuglia, Annette Kern, Anne Lindemann, Isabell Winkelmann


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Oboe: Fanny Kloevekorn, Rebecca Bröckel, Almut Jungmann Klarinette: John Corbett, Klaus Grünewald, Yuria Otaki Fagott: Vasco Teixeira, Klaus Korte, Mario Krause Horn: Oliver Nicolai, Martin Theusner, Rosa Schell, Ermir Qirici Trompete: Andreas Sichler, Carlos Correia, Alex Friedemann Schlagwerk: Andrea Toselli, Heiko Schäfer, Timo Erdmann, Richard Willmann, Miklos Vitcoczy, Hoejeong Jeong° Harfe: Ute Blaumer

° Akademist*innen


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Vorschau 1. Familienkonzert So. 31. Oktober, 11.00 Uhr, Großes Haus Halloween Spuktakel Moderation: Juri Tetzlaff; Leitung: Joseph Trafton 3. Sinfoniekonzert Di. 16. November, 19.30 Uhr, Stadthalle Hagen Scheherazade op. 35 (Nikolai Rimski-Korsakow); Klavierkonzert Nr. 5 F-Dur op. 103, Ägyptisches Konzert (Camille Saint-Saëns); Midnight Sun Variations (DEA) (Outi Tarkiainen) Klavier: Roger Muraro; Leitung: Joseph Trafton Krabbelkonzerte So. 28. November, 10.00 Uhr, 11.15 Uhr, Theatercafé Hinweis: Ab November fahren die Konzertbusse der Sinfoniekonzerte wieder zu den gewohnten Zeiten!


Impressum Theaterleitung Intendant: Francis Hüsers Generalmusikdirektor: Joseph Trafton Geschäftsführer: Dr. Thomas Brauers Redaktion – Christina Brüggemann Gestaltung – Yuliana Falkenberg Textnachweise – Die Texte über Beethoven und Mahler sind Originalbeiträge von Christina Brüggemann für dieses Heft; den Text Von feierlichen Sakralklängen und virtuoser Spiel­ laune verfasste Dr. Harald Hodeige. Fotonachweise – Seite 6: Hermann Traub auf Pixabay Seite 19: Ursus Samaga Seite 20: Linus Lohoff Seite 21: privat Seite 23: Christian Kleiner Theater Hagen gGmbH Elberfelder Straße 65, 58095 Hagen Telefon 02331 /207-3210 (Pforte) Postfach 4260, 58042 Hagen www.theaterhagen.de Amtsgericht Hagen – HRB 9873 Vorsitzender des Aufsichtsrates: Wolfgang Röspel Spielzeit 2021/22




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