Programmflyer CobyCounty

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schimmernder dunst über cobycounty

Wie wollen wir leben? Tarun Kade über die Wirklichkeit möglicher Welten

In einem Interview anlässlich des Erscheinens seines Romans Schimmernder Dunst über CobyCounty im Jahr 2011 erklärte Leif Randt, sein Buch sei aus Versehen politisch. Politisch insofern als die beschriebenen zwischenmenschlichen Beziehungen einem gesellschaftlichen Kontext entstammen, der sich in sie einschreibt. Weniger dadurch, dass im Roman realpolitische Ereignisse wie Bürgermeisterwahlen vorkommen. Man könnte Randts Aussage missverstehen und ihm vorwerfen, er ziehe sich auf das zur Floskel verkommene Credo der Frauenbewegung der 1970er Jahre zurück, das Politische liege im Privaten. Doch das Politische in Randts Texten liegt woanders. Mit großer Genauigkeit in der Beschreibung schafft er eine in sich geschlossene Welt, die zur eigenen Positionierung ihr gegenüber herausfordert. Er benutzt Sprache nicht in erster Linie, um eine äußere oder innere Welt zu beschreiben, sondern in der Sprache selbst entsteht diese Welt, wird sie Realität. Wenn der Literaturagent Wim uns wissen lässt: „Das Gute ist, dass sich bis heute nie etwas verschlechtert hat“, wird daran eine Lebenshaltung deutlich, die im Ausbleiben des Negativen schon das Positive sieht. Wenn das kleine Schild neben einem Kunstwerk im CobyCounty Arthouse die Aufschrift „Bitte nicht berühren“ trägt, eröffnet das in dieser Welt einen großen Raum. Mit seiner Aufmerksamkeit fürs Detail schafft Randt beim Lesen eine Aufmerksamkeit fürs Detail. Eine Bewertung liefert Randt nie. Sie bleibt uns selbst überlassen. Dass im Roman Worte wie „ziemlich“, „relativ“, „eigentlich“ und eine luzide Dauerreflektion eine große Rolle spielen, trägt dazu bei, dass das Einnehmen einer Haltung dieser Welt gegenüber schwer fällt. Die Haltung verflüssigt sich, so wie der Gegenstand sich verflüssigt hat. Die Stadt CobyCounty ist ein dauersonniger Ort irgendwo am Meer mit einer ethnisch heterogenen und sozial homogenen Einwohnerschaft. Existenzielle Nöte gibt es nicht, längst ist das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt, Strandpartys und Tourismusindustrie boomen. Denn CobyCounty ist die Fiktion einer besseren Welt. Eine wahrgewordene Utopie. „Als wir uns damals aufmachten, um in den Frühling nach CobyCounty zu ziehen, schien dies aus einer leicht angetrunkenen Laune zu geschehen. Diese Laune trägt uns jetzt seit vierundvierzig Jahren durch ein fantastisches Leben“, wird die Mutter des Literaturagenten Wim Endersson einmal zitiert. CobyCounty war eine Stadtneugründung wohlhabender Menschen in idealer Lage, die sich eine bessere Welt schaffen wollten. Und es ist ihnen gelungen, wenn auch auf Kosten größerer emotionaler Intensitäten. Aber das wird hier nicht als wirkliches Problem wahrgenommen, es gibt ja das „kleine Drama“ oder den Urlaub, dessen neue Eindrücke dazu beitragen, „die alten wieder wertschätzen zu können“. Grundsätzlich scheint die Lebenssituation stabil, vielleicht ist CobyCounty wirklich „die beste aller Welten.“ Doch was ist nötig, um die Laune dieses fantastischen Lebens zu erhalten? Was sind die Grundbedingungen einer solchen Welt? „Indem der Film ausschließlich Bilder von CobyCounty zeigt, verweist er ganz subtil auf eine Welt da draußen“, sagt Wims

bester Freund Wesley bei der Premiere eines Dokumentarfilms über die Stadt. Dasselbe könnte man über den Roman sagen, auch wenn man dabei Gefahr läuft, in die Falle altbewährter Deutungsmuster zu tappen. Und doch macht der in einer nicht allzu weit entfernten fiktiven Zukunft verortete Roman, in dem das Außerhalb CobyCountys nur andeutungsweise anklingt, immer wieder Verhältnisse zu anderen Welten auf. Insbesondere zu unseren eigenen, wie verschieden diese auch sein mögen. Wenn Dienstleistungen in CobyCounty primär von Kunststudenten übernommen werden, die den Dienstleistungscharakter der Arbeit unsichtbar machen, schärft das den Blick für Dienstleistungsentwicklungen in unserer Welt. Wer bedient mich im freundlichen Café im Bremer Viertel? Wer arbeitet an der Supermarktkasse? Wer säubert die Sanitäranlagen am Flughafen in Dubai, dem spektakulärsten Stadtneuentwurf unserer Zeit. Was für Ausgrenzungen sind nötig, damit das System weiterlaufen kann? Wenn in CobyCounty Bürgermeisterwahlen stattfinden und sich die Kandidaten vor allem durch Haarschnitt und Kleidungsstil unterscheiden, können wir damit unser Demokratieverständnis überprüfen, wie das auch Thomas Assheuer in der Zeit anlässlich des Bundestagswahlkampfes tat, der während der Probenzeit für die Inszenierung in Gange war. Wie resigniert stehen wir wirklich der Wirksamkeit politischer Wahlen gegenüber? Auch wenn in CobyCounty Hochbahnunglücke oder Brandkatastrophen über die Bildschirme flimmern, das eigene Leben davon aber nicht wesentlich beeinflusst wird, denkt man unwillkürlich an den eigenen medialen Katastrophenkonsum und die Folgen für das eigene Handeln. Bei Bertolt Brecht würde man dieses ins Verhältnissetzen unserer Welt Historisierung nennen. Ziel dieses Vorgehens ist es, auf die Veränderlichkeit des aktuellen Zustands hinzuweisen, indem er als historischer und damit vorübergehender Zustand markiert wird. Auch in Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny geht es um die Gründung einer utopischen Stadt, deren Prinzipien den zeitgenössischen ähneln, aber nicht mit ihnen identisch sind. Der historische Zustand kann auch die Vision eines zukünftigen Zustandes sein, den man in Verschiedenheit und Ähnlichkeit zum aktuellen ins Verhältnis setzen kann. Randt greift so auf die Möglichkeiten der Science Fiction zu, ohne dem Raumschiffklischee des Genres zu entsprechen. Er schafft eine Welt, die nicht einfach der unseren entspricht und doch an sie erinnert. Wir sind nicht CobyCounty, wie viel CobyCounty wir auch in uns tragen mögen. Wenn die Mittel des Romans, dies erfahrbar zu machen, vor allem in der Sprache liegen, im Umgang mit ihr, in einer Aufmerksamkeit für sie, liegt die Kraft des Theaters in der Möglichkeit der realen menschlichen Begegnung. Auf der Bühne sind immer beide Ebenen gleichzeitig präsent: Mensch und Figur, Realität und Fiktion, leibliche Präsenz und vorgestellte Fabelwelt. Und in jeder Entscheidung schwingen all die anderen nicht getroffenen Entscheidungen mit, in jeder Bewegung all die nicht ausgeführten Bewegungen. Wie treffen wir aufeinander, wie sehen wir uns, was könnte anders sein? Jeder Moment könnte anders sein oder um es mit Wim zu sagen: „Welche Möglichkeit siehst du jetzt?“


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