Die aufhaltsame Wirkungslosigkeit eines Klassikers. Brecht-Studien

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Jost Hermand – Die aufhaltsame Wirkungslosigkeit eines Klassikers

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Jost Hermand Die aufhaltsame Wirkungslosigkeit eines Klassikers Brecht-Studien Recherchen 137 © 2018 by Theater der Zeit Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien. Verlag Theater der Zeit Verlagsleiter Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.theaterderzeit.de Lektorat: Viola van Beek Coverbild: Bertolt Brecht, 1937. © picture alliance / Fred Stein Covergestaltung: Kerstin Bigalke Gestaltung: Bild1Druck GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-95749-141-1 ePDF ISBN 978-3-95749-167-1

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Jost Hermand

DIE AUFHALTSAME WIRKUNGSLOSIGKEIT EINES KLASSIKERS Brecht-Studien

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Vorwort Bertolt Brecht und die Literaturwissenschaft

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Die Bewohnbarmachung der Erde Brechts Verhältnis zu Stadt und Natur

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Bertolt Brecht und Karl Kraus Über die Vergleichbarkeit des Unvergleichlichen

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Gescheiterter Antifaschismus Von Tollers Der entfesselte Wotan (1923) bis zu Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches (1935–1938)

46

Lediglich harmlose Blödeleien? Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg (1943)

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Brecht und die drei Eislers Die vier „Deutschen“ vor dem House Un-American Activities Committee (1947)

74

„Böser Morgen“ Widersprüchliches in Brechts „Buckower Elegien“ (1953)

82

Gerechte Kriege – ungerechte Kriege Brechts Pauken und Trompeten (1955)

99

Ein geflochtener Kranz Helene Weigel als Schauspielerin

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Ästhetik und Gemeinsinn Das unverminderte Faszinosum „Brecht“

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Über den Autor Anmerkungen Bildnachweis

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VORWORT Bertolt Brecht und die Literaturwissenschaft

I Angesichts der inzwischen ins Uferlose angeschwollenen Brecht-Literatur etwas Sinnvolles zum Thema „Brecht und die Literaturwissenschaft“ zu sagen, ist ein geradezu herkulisches Unterfangen. Um mich dabei nicht auf das rein Aufzählende zu beschränken, was die Kenner notwendig langweilen und die mit diesen Schriften weniger Vertrauten eher abschrecken würde, verfahre ich deshalb im Folgenden – im Hinblick auf die verschiedenen Phasen dieser Forschungsrichtung – lieber argumentativ, indem ich sie vorwiegend auf ihren ideologischen Stellenwert befrage. Ja, nicht nur das. Um dem Ganzen einen gesellschaftspolitischen Fokus zu geben, fasse ich dabei – wohl oder übel – lediglich die innerdeutsche Entwicklung der sich mit Brecht beschäftigenden Sekundärliteratur ins Auge und gehe auf die außerdeutsche Auseinandersetzung mit Brecht nur dort ein, wo sie auf die Forschung in der DDR, der alten BRD und der heutigen sogenannten Berliner Republik eingewirkt hat. Und selbst dabei übergehe ich die geradezu unübersehbare Fülle an journalistischen Beiträgen und Theaterkritiken und erwähne nur das, worin die wichtigsten Literatur- und Theaterwissenschaftler dieser drei Staaten die Bedeutsamkeit von Brecht gesehen haben. Doch im Rahmen eines abrissartigen Vorworts wird selbst das etwas kursorisch ausfallen. II Eine spezifisch literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Bertolt Brechts Œuvre und seinen darin vertretenen gesellschaftspolitischen Anschauungen begann – nach 15 Jahren einer relativen Nichtbeachtung während des skandinavischen und US-amerikanischen Exils – erst, als Brecht in der Anfangsphase des Kalten Kriegs 1948 im sowjetzonalen Ostberlin Fuß zu fassen versuchte. Wie sehr man dort diese Entscheidung begrüßte, beweist schon ein im Jahr 1949 von Peter Huchel herausgegebenes Sonderheft von Sinn und Form, das ausschließlich seinem Werk gewidmet war. Allerdings verhinderte die zum gleichen Zeitpunkt in der Sowjetischen Besatzungszone beginnende Formalismus-Debatte, in der, wie wir wissen, einige einflussreiche SED-Kulturfunktionäre Brecht Verstöße gegen die

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Vorwort

alleingültige Doktrin des sozialistischen Realismus vorwarfen, erst einmal ein genaueres Eingehen auf die Grundprinzipien seiner literarischen Schreibweise. Erst nach dem zwischen 1952 und 1954 einsetzenden Ruhm seines Berliner Ensembles trat daher in der inzwischen gegründeten DDR eine parteipolitische und literaturwissenschaftliche Würdigung seiner Werke ein. Dafür sprechen nicht nur die Gedenkreden, die Walter Ulbricht, Johannes R. Becher, Paul Wandel und Georg Lukács nach Brechts Tod im August 1956 unter dem Motto „Du verließest uns viel zu früh“ an seinem Grabe oder im Berliner Ensemble hielten, sondern auch die ersten über ihn verfassten literaturwissenschaftlichen Studien, allen voran Ernst Schumacher mit seinem Buch Die dramatischen Versuche Bertolt Brechts 1918–1933 (1955), mit dem er kurz zuvor bei Hans Mayer und Ernst Bloch in Leipzig promoviert hatte. Darauf erschienen in der DDR in schneller Folge weitere Brecht-Studien von Hans-Joachim Bunge, Käthe Rülicke-Weiler und Gerhard Zwerenz sowie das zweite Brecht-Sonderheft von Sinn und Form. In ihnen ging es vor allem darum, die Entwicklung Brechts von seiner anarchistischen Jugendphase zu seinen späteren marxistisch orientierten Positionen herauszustellen. Damit waren die wichtigsten Voraussetzungen für die Entfaltung einer breitgefächerten Brecht-Forschung in der DDR geschaffen, zu deren Hauptvertretern zwischen 1960 und 1965 vor allem Werner Hecht, Hans Kaufmann, Klaus Schuhmann und besonders Werner Mittenzwei gehörten, die sich inzwischen weitgehend aus den Fesseln der Formalismus-Debatte gelöst hatten und neben Brechts marxistischer Grundhaltung auch die Bedeutung seiner Verfremdungstechnik sowie seiner Materialwerttheorie akzentuierten, statt ihm weiterhin auf erpenbeckmessersche Weise den Vorwurf zu machen, sich nicht an die maßstabsetzenden Lehren Konstantin Stanislawskis gehalten zu haben. III Wie zu erwarten, vollzog sich in der BRD die politische und literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Brecht während der fünfziger und frühen sechziger Jahre unter völlig anderen ideologischen Vorbedingungen. Hier schwieg man sich, ob nun auf konservativer oder neoliberaler Ebene – aufgrund der herrschenden antikommunistischen Propagandawellen – über ihn, wie auch über andere linksorientierte Exilautoren, entweder aus oder trat jenen Theaterregisseuren, die es dennoch wagten, einige seiner Stücke zu inszenieren, vor allem in den spannungsreichen Jahren 1953 (17. Juni), 1956 (Ungarnaufstand) und 1961 (Mauerbau), mit massiven Boykottdrohungen entgegen. Und auch die mit der Adenauerschen Restaurationspolitik konformgehende bundesrepublikanische Germanistik, die sich fast

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Bertolt Brecht und die Literaturwissenschaft

ausschließlich mit goethezeitlichen oder romantischen Dichtungen beziehungsweise der biedermeierlichen Literatur der Metternichschen Restaurationsperiode beschäftigte, ging – wegen der faschistischen Vergangenheit vieler ihrer maßgeblichen Vertreter – aus begreiflicher Berührungsangst allen als „politisch“ geltenden Literaturwerken von vornherein aus dem Wege. Dafür nur ein Beispiel: Als ich 1957, nach einem längeren Aufenthalt in Ostberlin, vor Marburger Studenten einen Vortrag über „Bertolt Brecht und das Berliner Ensemble“ hielt, sagte einer der führenden westdeutschen Neugermanisten dieser Jahre anschließend ironisch lächelnd zu mir: „Ja, aber wer ist denn dieser Herr Brecht?“ Was damals in der westdeutschen Germanistik – unter völliger Nichtbeachtung irgendwelcher gesellschaftskritischen Aspekte – als positiv galt, waren weitgehend die sogenannten literarischen Bauformen, aber nicht der ideologische Aussagewert von Dichtungen. Wer sich deshalb in diesem Staat überhaupt literaturwissenschaftlich mit Brecht beschäftigte, stellte daher, wie Franz Herbert Crumbach, Otto Mann oder Jürgen Rühle, Brechts Weltanschauung von vornherein als „verfehlt“ hin oder bezichtigte ihn im Jargon des Kalten Kriegs, lediglich ein literarischer Handlanger jenes „Schinderregimes“ jenseits des Eisernen Vorhangs gewesen zu sein, in dem man jede freiheitlich-individuelle Regung rücksichtslos unterdrückt habe. Die ersten, die dieser Haltung in der frühen BRD auf germanistischer Seite widersprachen, waren zwischen 1957 und 1959 Reinhold Grimm, Walter Hinck, Marianne Kesting, Volker Klotz und Klaus Völker, die sich in Anlehnung an Peter Szondis Theorien über offene und geschlossene Bauformen des Dramas, wenn auch unter Weglassung aller von Brecht geforderten Grundprinzipien des dialektischen Materialismus marxistischer Prägung, vornehmlich mit der Herausstellung bestimmter dramaturgischer Techniken, durch Komik erzielter Verfremdungseffekte sowie ähnlich gearteter Themenstellungen beschäftigten, sich also bei ihren Rechtfertigungsstrategien vor allem auf formale Kriterien stützten. Falls dabei überhaupt ideologische Aspekte ins Spiel kamen, wichen Autoren und Autorinnen wie Marianne Kesting zumeist ins Journalistisch-Unverbindliche aus, indem sie Brecht als eine „geheimnisvolle Widerstandsfigur“ charakterisierten,1 der es vornehmlich um die Durchsetzung ihrer Form des Theaters, aber nicht um irgendwelche gesellschaftskritische oder gar weltverändernde Absichten gegangen sei. IV Eine Politisierung des Brechtschen Œuvres trat in der BRD erst ein, als in den frühen sechziger Jahren unter westdeutschen Intellektuellen wie Jür-

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Vorwort

gen Habermas, Alexander Mitscherlich, Georg Picht, Hans Werner Richter und Martin Walser – aus Sympathie mit dem gegen die Adenauersche Kalte-Kriegs-Politik auftretenden SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt – eine Wendung ins Linksliberale einsetzte, was schließlich einen Verleger wie Siegfried Unseld bewegte, 1967 im Suhrkamp Verlag jene zwanzigbändige Taschenbuchausgabe der Gesammelten Werke Brechts herauszubringen, die sich über Nacht als ein durchschlagender Erfolg erwies.2 Danach war plötzlich auch in der neugermanistischen Literaturwissenschaft der BRD – trotz der antagonistischen Haltung mancher älteren Ordinarien – überall von Brecht die Rede, wovon beispielsweise die in diesem Zeitraum veröffentlichten Brecht-Studien von Klaus-Detlef Müller, Henning Rischbieter und Dieter Schmidt zeugen, die neben formalen Aspekten auch auf die ideologischen Grundvoraussetzungen des Brechtschen Schaffens eingingen und dabei selbst die Werke ostdeutscher Brecht-Forscher wie Werner Hecht, Hans Mayer, Werner Mittenzwei und Käthe Rülicke-Weiler, die zwischen 1961 und 1966 erschienen waren, keineswegs unberücksichtigt ließen. Einen weiteren Anstoß erlebte die westdeutsche Brecht-Forschung selbstverständlich durch jene aufmüpfige 68er-Bewegung, deren studentische Vertreter zum Teil mit der 1968 gegründeten Deutschen Kommunistischen Partei sympathisierten, eine verschärfte Vergangenheitsbewältigung anstrebten, sich mit der antifaschistischen Exilliteratur auseinandersetzten und dabei Brecht zu einem ihrer politischen Kronzeugen, wenn nicht gar zum wichtigsten Vorbild einer dem sogenannten „Spätkapitalismus“ entgegentretenden ideologischen Haltung erhoben. Das bekannteste Beispiel dafür ist die 1969 an der Kieler Universität angenommene Dissertation von Reiner Steinweg, Das Lehrstück. Brechts Theorie einer politisch-ästhetischen Erziehung, die kurz darauf beim Metzler Verlag und dann in der Edition Suhrkamp erschien und vor allem die Rotzeg-Gruppen sowie die Anhänger des Marxistischen Studentenbunds Spartakus zu Revolutionshoffnungen gegen das herrschende „Establishment“ beflügelte. Doch diese von Brechts Werken angefeuerte Euphorie nahm schnell weit über die außenparlamentarische Gesinnung der westdeutschen Studentenbewegung (APO) gehende Formen an. Überall fanden in der Folgezeit plötzlich Brecht-Kongresse statt, wurden Brecht-Seminare abgehalten, ja einige seiner Stücke sogar in westdeutschen Oberschulen unterrichtet, worauf der Suhrkamp Verlag allein von Brechts Drama Mutter Courage und ihre Kinder fast eine Million Exemplare absetzen konnte. Ja, der inzwischen von Frankfurt an die University of Wisconsin in Madison berufene Reinhold Grimm gründete im Jahr 1970 mit Ulrich Weisstein, Gisela Bahr, John Fuegi und mir in den USA die Internationale

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Bertolt Brecht und die Literaturwissenschaft

Brecht-Gesellschaft, worauf wir beide ab 1971 erst bei Athenäum und dann bei Suhrkamp das Brecht-Jahrbuch herausgaben. Doch auch sonst schwoll die Brecht-Literatur zu diesem Zeitpunkt so schnell an, dass Grimm in der dritten Auflage seines 1971 bei Metzler erschienenen Materialienbuchs zu Brecht für die inzwischen publizierte Sekundärliteratur, in der Brecht immer stärker als der bedeutendste Dramatiker des 20. Jahrhunderts herausgestellt wurde, bereits dreißig petitgedruckte Seiten benötigte. Doch dieser ins Maßlose ausufernde innerdeutsche Brecht-Enthusiasmus währte, wie die 68er-Bewegung, nur wenige Jahre, da die von manchen ihrer Anführer erhofften „Wirkungen in der Praxis“ ausblieben und ihnen die westdeutsche sozialliberale Koalition zudem nach 1972/73 mit antilinken Radikalenerlassen und Berufsverboten entgegentrat. Eines der aufschlussreichsten Dokumente der darauf einsetzenden ideologischen Ernüchterung ist jener 1974 von Jan Knopf herausgebrachte Forschungsbericht, den er im Untertitel Fragwürdiges in der Brecht-Forschung nannte und in dem er sich sowohl von den marxistisch-engagierten als auch den bürgerlich-formalistischen Brecht-Interpretationen absetzte, die beide lediglich Symptome „affirmativer Gesellschaften“ seien, die der auf das Prinzip der „Negation“ eingeschworene Brecht zeit seines Lebens abgelehnt habe. Dem hielt Knopf entgegen, sich bei der Interpretation Brechtscher Texte lieber der hegelianischen Dialektik zu bedienen, mit der Brecht ständig auf die „Widersprüche“ innerhalb aller gesellschaftlichen Ordnungen hingewiesen habe.3 Doch davon ließ sich eine Reihe an den gesellschaftlich „eingreifenden“ Tendenzen in Brechts Werken interessierter Theater- oder Literaturwissenschaftler weder in der BRD oder gar in der DDR beirren. Hierfür sprechen auf westdeutscher Seite vor allem die Schriften von Wolfgang Fritz Haug und seiner Argument-Gruppe sowie im Osten die weiterhin erscheinenden Brecht-Studien von Hans-Joachim Bunge, Werner Hecht, Werner Mittenzwei und Ernst Schumacher, die nach wie vor an ihrem Konzept einer konsequenten antikapitalistischen Haltung des mittleren und späten Brecht festhielten. Die besten Beispiele dafür sind vor allem Mittenzweis Buch Der Realismus-Streit um Brecht. Grundriß der Brecht-Rezeption in der DDR, 1945–1975 (1978) sowie seine 1979 in Ostberlin arrangierte Akademie-Tagung „Avantgarde und Exil“ am Zentralinstitut für Literaturgeschichte, auf der auch die formalen Neuerungen Brechts als durchaus marxistisch herausgestellt wurden. In der BRD flaute dagegen in den späten siebziger Jahren – im Zuge der einsetzenden Subjektivitätswelle sowie einer mit feministischer Furore gegen Brechts angeblich infame Ausnutzung weiblicher Mitarbeiter argumentierenden Forschungsrichtung – das Interesse an seinen linkskritischen

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Vorwort

Anschauungen so stark ab, dass sich der Suhrkamp Verlag schließlich gezwungen sah, das Brecht-Jahrbuch im Jahr 1980 einzustellen. Doch davon ließen sich einige weiterhin an solidaritätsstiftenden Konzepten festhaltende Brecht-Forscher keineswegs entmutigen. Vor allem in der DDR hörte man nach wie vor nicht auf, diesen Autor anlässlich der alljährlich stattfindenden Brecht-Tagungen im Brecht-Haus in der Chausseestraße als einen der „ihren“ zu feiern, ja, ihn fast zum Staatsklassiker zu erheben. Eine Änderung in dieser Hinsicht setzte dort erst im Gefolge der Honeckerschen Enttabuisierung des subjektiven Faktors ein, das heißt des steigenden Interesses an „Eigensinn“ und „persönlicher Handschrift“, was selbst Mittenzwei nach seinen fünf vorausgegangenen literaturtheoretischen Büchern über Brecht dazu bewegte, jetzt endlich eine umfassende zweibändige Brecht-Biographie zu schreiben, die 1986 unter dem Titel Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln beim Aufbau Verlag herauskam. In ihr hielt er allerdings weiterhin an seiner Grundüberzeugung fest, die Brüche und Spannungen in Brechts Anschauungen als dialektische Widersprüche hinzustellen, denen stets das Bemühen nach sozialbetonten „Lösungen“ zugrunde gelegen habe. V Doch diesem – gesellschaftspolitisch gesehen – wohl bedeutendsten Buch der älteren Brecht-Forschung blieb die in ihm angestrebte Wirkung versagt. Schon drei Jahre später wandte sich die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung gegen eine Weiterführung sozialistischer Hoffnungen. Selbst in der folgenden Kohl-Ära der neunziger Jahre blieb im wiedervereinigten Deutschland die Kalte-Kriegs-Mentalität weiterhin eine der dominierenden Ideologien. Im Bereich der Brecht-Forschung äußerte sich diese Tendenzwende am eklatantesten in John Fuegis Monographie Brecht and Company (1994), die 1997 in deutscher Übersetzung erschien und der sogar die Bild-Zeitung wegen der in diesem Buch vorherrschenden Kommunismuskritik, der angeblich weiberverbrauchenden Lebenshaltung Brechts sowie seiner Geldgier eine überschwängliche Besprechung widmete. Zu ähnlichen Verunglimpfungen Brechts kam es im Jahr 1998 anlässlich seines hundertsten Geburtstags, als er in vielen systemkonformen Zeitungen der BRD als ein mit der DDR untergegangener Autor abgekanzelt wurde, dessen banale Sentenzen „man endlich satt“ habe.4 Doch so leicht ließ sich Brecht, der letztlich bedeutendste Dramatiker des 20. Jahrhunderts, nicht einfach beerdigen. Bei anderen ehemals linken Autoren, ob nun Peter Weiss, Friedrich Wolf oder Arnold Zweig, wirkten sich solche Attacken geradezu tödlich aus. Nicht so bei Brecht. Er blieb trotz alledem, und zwar durch die Aktivitäten der Brecht-Gesellschaft, das neue

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Bertolt Brecht und die Literaturwissenschaft

Brecht-Jahrbuch, seine weltweite Wirkung sowie auch durch viele seiner in Deutschland aufgeführten Stücke weiterhin am Leben. Schließlich haben die Krisen des von ihm attackierten sogenannten „Spätkapitalismus“ keineswegs aufgehört. Manche von Brechts Anschauungen, ob nun die beißende Kritik an der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsgesellschaft in Die heilige Johanna der Schlachthöfe oder die ebenso gnadenlose Satire auf die kapitalistische Freizeitwelt in Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, warten auch heute noch auf Geschichte, wie Ernst Schumacher bereits kurz nach der Jahrhundertwende in der Berliner Zeitung schrieb.5 Und so sind trotz der allgewaltigen „Theodizee des Kapitalismus“, wie Joseph Vogl unsere heutige Gesellschaft jüngst charakterisierte,6 die sich zu Brecht bekennenden Stimmen keineswegs verstummt. So konnte etwa die 1988 begonnene Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe seiner Werke bis zum Jahr 2000 abgeschlossen werden und auch das neu konzipierte Brecht-Handbuch in fünf Bänden (2001–2003), das erstmals zweibändig in den achtziger Jahren erschienen war, blieb nicht unbeachtet. Ja, die Bremer Germanistin Wendula Dahle brachte im Jahr 2007 sogar ein Buch unter dem Titel Die Geschäfte mit dem armen B. B. Vom geschmähten Kommunisten zum Dichter „deutscher Spitzenklasse“ heraus, in dem sie sich scharf dagegen verwahrte, Brecht lediglich als einen zwar bedeutenden, aber veralteten literarischen Klassiker zu betrachten, und dafür aussprach, ihn – angesichts der heutigen Weltlage – als einen auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse drängenden Autor zu würdigen. Und das sollten nicht nur die Gesellschaftswissenschaftler, sondern auch all jene Neugermanisten beherzigen, die sich weiterhin mit Brecht beschäftigen und ihre Ansichten auch über die engen Grenzen ihrer Zunft zu verbreiten suchen, statt sich lediglich in den Dienst des gegenwärtigen Infotainments zu stellen oder nur irrelevante, lediglich ihrer Karriere dienliche Bücher zu schreiben.7

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DIE BEWOHNBARMACHUNG DER ERDE Brechts Verhältnis zu Stadt und Natur

I Bertolt Brechts Größe besteht vor allem darin, dass er sich als ein wahrhaft „katholischer“ Autor verstand, wie er es bewusst provozierend formulierte. Er fasste – je älter er wurde – in nahezu allen seinen Werken, Notaten und mündlichen Äußerungen, die uns überliefert sind, stets das Ganze, das heißt die universalen Aspekte sämtlicher politischen, ideologischen und sozioökonomischen Verhältnisse ins Auge, statt sich lediglich mit partikularen Fragen bestimmter individueller oder tagespolitischer Problemstellungen abzugeben. Ihm ging es nicht um das Vereinzelte, nur ihn Betreffende, sondern um einen grundsätzlichen, alle Menschen angehenden „Umgang mit den Welträtseln“, wie es im Untertitel von Werner Mittenzweis großer Brecht-Biographie von 1986 heißt.1 Man mag das angesichts der äußerst komplexen Weltlage, der sich Brecht gegenübersah, hybrid oder gar anmaßend nennen, ja, ihn als einen „plumpen“ Vereinfacher abtun, der besser getan hätte, sich mit einer differenzierten Analyse bestimmter Einzelprobleme der angeblich ins Pluralistische ausartenden modernen Industriegesellschaften zu begnügen und endlich einzusehen, dass es im Hinblick auf das Ende der älteren „Meistererzählungen“, die sich noch um eindimensionale Veränderungskonzepte bemüht hätten, schon längst keine „einfachen Lösungen“ mehr gebe. Doch im Gegensatz zu den unnötig verschachtelten Formulierungsbemühungen eines Theodor W. Adorno ist gerade das „Plumpe“ an Brechts Sehweise und Sprachgebung, wie es bei Walter Benjamin einmal heißt,2 das letztlich Bedeutsame an Brecht, der sich stets bemüht hat, alle anstehenden Probleme politischer, wirtschaftlicher, philosophischer und naturwissenschaftlicher Art so „radikal“ wie nur möglich auf die ihnen zugrunde liegenden und relativ einfach zu erklärenden Wurzeln zurückzuführen. Selbstverständlich wurde Brecht diese Haltung nicht schon in der Wiege mitgegeben. Sich zu einer solchen Einstellung der Welt gegenüber durchzuringen, dazu bedurfte es vieler freiwillig eingegangener oder auch auferzwungener Erfahrungen sowie der sich daraus ergebenden Wandlungen. Aufgewachsen während der Spätzeit der wilhelminischen Ära, bemühte er sich nach dem Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution in

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der frühen Weimarer Republik erst einmal darum, sich als literarisches Genie und zugleich ungebärdig auftretender Bürgerschreck einen aufsehenerregenden Namen zu machen, bis ihn der heraufziehende Nazifaschismus, seine Hinwendung zu den Klassikern des Marxismus und die Exilierung nach 1933 zu der Einsicht bewegten, sich nicht weiterhin als ein Einzelner zu empfinden, sondern in allen politischen und sozialen Konflikten als gesamtgesellschaftlich denkender Zeitgenosse ideologisch Stellung zu beziehen. Wie bereits oft dargestellt, wählte er dafür zunehmend die Haltung eines Lernend-Belehrenden, der nicht nachließ, den Ursachen seiner Erfahrungen, die ihn aus der Bahn geworfen hatten, nachzugehen und sie zugleich anderen zu vermitteln. Und zwar konzentrierte sich Brecht dabei nicht allein auf die jeweils anstehenden tagespolitischen Konfliktsituationen, so dringlich ihm diese auch erschienen, sondern behielt zugleich in utopischen Vorgriffen stets eine sinnvollere Weltordnung im Blick, in der – jenseits der kapitalistischen Ausbeutung der „Armen und Entrechteten“, einer hektisch übersteigerten Industrialisierung sowie der Verwüstung der Natur durch imperialistische Raubkriege – einmal alle Menschen im Rahmen sozialistischer Gemeinschaftsformen in friedlichen, von der Natur vorgegebenen Bedingungen leben könnten. Ja, Brecht hoffte, dass er in der Verwirklichung derartiger Verhältnisse nicht nur den Part eines literarischen Vollzugsfunktionärs irgendwelcher sich als sozialbewusst aufspielenden, aber weiterhin auf der Ausbeutung des Menschen und der Natur beruhenden Gesellschaften übernehmen könne, sondern dass man ihm dabei eine relative Autonomie gewähren würde, wie er das – noch immer im Exil lebend – in der Figur Arkadi Tscheidses seines als Utopie angelegten Dramas Der kaukasische Kreidekreis (1943–1945) darzustellen versuchte, welcher sich bemüht, durch die Aufführung eines seiner Stücke dem Volk die Lehren der Partei, aber auch der Partei die Weisheit des Volkes zu vermitteln.3 Diese Rolle zu spielen, war zwar Brecht in seinen letzten Jahren in der Sowjetischen Besatzungszone und dann in der frühen DDR nur teilweise vergönnt, dennoch hielt er an diesem universalen Grundkonzept bis zu seinem Tode im Jahr 1956 hartnäckig fest, nämlich für eine „Bewohnbarmachung der Erde“ einzutreten, in der alle Menschen nicht nur untereinander, sondern auch im Hinblick auf ihre naturgegebene Umwelt „friedliche“ Verhältnisse anstreben würden. Doch genug der „goldenen Worte“. Versuchen wir lieber, diesen Entwicklungsgang vom Subjektiv-Ungezügelten zum Kommunitaristisch-Besonnenen anhand der dafür in Frage kommenden Äußerungen in Brechts Werken und den damit zusammenhängenden Notaten, Briefen und Interviewaussagen so konkret wie nur möglich nachzuzeichnen.

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Die Bewohnbarmachung der Erde

II In Brechts Anfängen ist von seiner späteren Forderung einer friedlichen „Bewohnbarmachung der Erde“ noch nirgendwo die Rede. Als Sohn aus sogenanntem guten Hause legte er seinem subjektiv-instinkthaften Durchsetzungsdrang erst einmal keinerlei Zügel an. Mit „kaltem“ Intellekt und „heißem“ Herzen, wie er in seinen frühen Autobiographischen Aufzeichnungen beteuerte,4 erschien dem zwanzigjährigen Brecht nur das als wahrhaft lebenswert, was ihm – jenseits aller konventionellen Moral- und Berufsvorstellungen – eine möglichst genussvolle Absättigung seines persönlichen Lustverlangens versprach. Und das waren in erster Linie sexuelle Libidoempfindungen, orgienhafte Gelage mit Freunden, Ausflüge in die „freie Natur“ sowie literarische „Schocker“, mit denen er die Leisetreter und Ich-Leichen seiner bürgerlichen Umwelt so krass wie möglich vor den Kopf zu stoßen versuchte. Wohl das beste Beispiel dafür ist sein Erstlingsdrama Baal (1918/19), dem Brecht anfangs den Titel „Baal frißt! Baal tanzt! Baal verklärt sich!!!“ gab. In ihm geht es um einen vagabundierenden Dichter, der sich angesichts der Sinnleere der Schöpfung alles, was ihm momentane Lustbereicherung verschafft, ob nun Alkoholika, Jungfrauen oder Damen der höheren Gesellschaft, ohne die geringsten moralischen Skrupel einverleibt. Unter „Natur“ wird also in diesem Drama nur das verstanden, was im Rahmen der lebensfeindlichen Konventionen seiner Umwelt als triebhaft-ungezügelt und damit lasterhaft gilt. Während sich die Spießer weiterhin an Gottes Gebote halten, heißt es einmal, ist Baals Himmel „voll von Bäumen und Leibern“.5 Daher zieht es ihn am Schluss in den „ewigen Wald“, wo er im Einssein mit der Natur nach all seinen wahllosen Triebbefriedigungen einsam verröchelt. Die gleiche Stimmung herrscht in vielen Gedichten und Balladen Brechts aus diesen Jahren. Auch in ihnen geht es ständig um eine möglichst „natürliche“, das heißt betont antireligiöse, ja geradezu nihilistische Lusterfüllung. Statt dabei in die mystischen Gefühlswelten der neuromantischen Naturverklärung oder die naturverkultenden Heimatkunstkonzepte der Zeit um 1900 zurückzufallen, ist in ihnen fast durchgehend vom „Schwimmen in Flüssen und Seen“ oder vom „Klettern in Bäumen“ die Rede,6 was wie in seinem Baal-Drama lediglich als ein lustvolles Hingegebensein an momentane Gefühlsaufwallungen beschworen wird. Wie in seinen Gedichten über die Seeräuber oder andere Abenteurer dominiert in ihnen ein hemmungsloses Umhergetriebensein, das unter wahrhafter Lebenserfüllung – ohne Rücksicht auf irgendeine Mitmenschlichkeit – allein einen ungezügelten Egoismus zu verstehen scheint.

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Brechts Verhältnis zu Stadt und Natur

III Eine gewisse Änderung in dieser Hinsicht macht sich erst in jenen Werken Brechts bemerkbar, die er nach 1920 verfasste, als er sich entschloss, das heimatliche Augsburg zu verlassen und sich in den Dschungel der Großstadtmetropole Berlin zu begeben, um sich als genialisch auftretender Bürgerschreck auf möglichst provozierende Weise in die dort herrschenden literarischen Konflikte und Konfrontationen einzumischen. Angesichts der ihn in dieser Millionencity überwältigenden Häuserschluchten sah er sich plötzlich – halb berauscht, halb abgestoßen – nicht mehr von Wäldern und Seen, sondern von Asphalt und Steinen umgeben. Die bis dahin vielbeschworene „Natur“ tritt daher in seinen danach geschriebenen Werken immer stärker in den Hintergrund. Was blieb, war jedoch – trotz der Unzahl von Menschen, die ihm in Berlin begegneten – das Gefühl, weiterhin ein Einzelner zu sein. Während er bisher wenigstens das Einssein mit der Natur zu verspüren glaubte, kam ihm jetzt selbst das abhanden. Überall schien in dieser Asphaltwüste nur die kälteste Selbstsucht zu herrschen, überall dominierte ein erbarmungsloses Gewinnstreben, überall hatte sich eine berechnende Unnatur breitgemacht, die kein Untertauchen in naturverbundenen Rauschzuständen mehr erlaubte. Sein erstes Drama, in dem er diesen Schockeffekt zu verarbeiten suchte, war das Stück Im Dickicht der Städte (1921–1924), das im Zuge der damaligen Amerika-Orientierung in einer imaginierten Chicago-Welt spielt, wo als zwingende Notwendigkeit der Großstadtwirklichkeit lediglich das Prinzip des Kampfes aller gegen alle zu herrschen scheint. Verglichen mit dem hier dargestellten Milieu wirkt sein Baal fast wie ein letzter Schwanengesang auf die Reize der natürlichen Umwelt. Während dort noch das Schreiben mit dem „heißen Herzen“ den Ton angegeben hatte, hat sich hier das Schreiben mit dem „kalten Blick“ durchgesetzt.7 In Im Dickicht der Städte geht es im Kampf zweier Männer um ökonomische Vorherrschaft nicht mehr um ein anarchisches Umhergetriebensein, sondern nur noch um genau kalkulierte Taktiken. Und Brecht passte sich in seinem Bestreben um literarische Anerkennung diesem rücksichtslosen Behaviorismus so gut es ging an. „In der Asphaltstadt bin ich daheim“, heißt es 1925 mit zynischer Attitüde in seinem Gedicht „Vom armen B. B.“: „Versehen mit jedem Sterbsakrament: / Mit Zeitungen. Und Tabak. Und Branntwein. / Mißtrauisch und faul und zufrieden am End.“8 Alles, was wir im „Dschungel der Großstädte erreichen können“, schrieb er kurz darauf in seinem „Lesebuch für Städtebewohner“ (1926/27), ist „ungestörte Bitterkeit“.9 Doch das war nur die halbe Wahrheit. Mitte der zwanziger Jahre ließ sich auch Brecht von der vielbeschworenen „relativen Stabilisierung der wirtschaftlichen und poli-

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tischen Verhältnisse“ der Weimarer Republik verführen, vorübergehend als ein Wortführer jener Neuen Sachlichkeit aufzutreten, die sich vor allem in Berlin als der letzte Schrei der neuen Großstadtmentalität verstand. Kurzum: Er kaufte sich ein Auto, nahm an Sportveranstaltungen teil, begann Kriminalromane zu lesen, ging ins Kino, interessierte sich für Jazz und was sonst noch an Errungenschaften der sogenannten „Moderne“ angepriesen wurde. Ja, selbst im Theater setzte er seine Hoffnungen auf das neue „Sportpublikum“, das vor allem am siegreichen „Finish“ der jeweils dargestellten Kämpfe interessiert sei, wie er am 26. Februar 1926 im Berliner Börsen-Courier erklärte.10 Doch das waren relativ kurzlebige Illusionen. Schon bald beschlichen ihn immer wieder Zweifel an seiner partiellen Übereinstimmung mit dem herrschenden „Zeitgeist“. So schrieb er in seinem „Lesebuch für Städtebewohner“ mit ironisierender Distanziertheit: „Und nicht schlecht ist die Welt / Sondern / Voll.“ Und: „Wir wissen nicht, was kommt, und haben nichts Besseres / Aber dich wollen wir nicht mehr.“11 Ebenso nachdenklich heißt es 1927 in seinen Autobiographischen Aufzeichnungen: „Ich habe mich schwer an die Städte gewöhnt.“12 Was ihn in diesem Zusammenhang besonders verstörte, waren die weitverbreiteten Lobeshymnen auf die fortschreitende Industrialisierung von Seiten jener „Sachlizisten“, wie sie damals hießen, die im Zeichen des allerorts gepriesenen Fordismus und Taylorismus selbst in den übelsten Auswüchsen der zunehmenden Technikverkultung nur Ausdrucksformen eines segenbringenden „Fortschritts“ sahen. Wohl die schärfste Attacke gegen diese zeitverhaftete Kurzsichtigkeit ist sein 1927 geschriebenes Gedicht „700 Intellektuelle beten einen Öltank an“, das sich gegen all jene wendet, die im Namen der „Elektrifizierung, der Ratio und der Statistik“ sogar die Anlage jener Ölfelder begrüßten, wo einstmals „Gras wuchs“, der „Wind wehte“ und „langsam mahlende Mühlen“ standen.13 Doch selbst in diesem Gedicht herrscht noch eher ein satirischer als ein kämpferischer Ton vor. Einen grundsätzlichen Abgesang auf die Neue Sachlichkeit stimmte Brecht erst an, als er sich 1928 in das Studium der marxistischen Klassiker vertiefte und ein Jahr später der New Yorker Börsenkrach vom 24. Oktober allen Hoffnungen auf einen unaufhörlichen Fortschritt und die sich daraus ergebende Wohlstandssteigerung ein jähes Ende bereitete. IV Die Konsequenzen, die Brecht daraus zog, sind allbekannt. Statt wie in der Dreigroschenoper von 1928 lediglich auf halb zynische, halb vergnügliche Weise das verbrecherische Treiben einer lumpenproletarischen Gangster-

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clique darzustellen, entschloss er sich in seinen folgenden Werken zu einer wesentlich schärferen Gangart. Dafür sprechen vor allem kommunistisch inspirierte Stücke wie Die Maßnahme (1929/30) und Die Mutter (1931), in denen fast durchgehend das Agitatorische im Vordergrund steht, um damit den Kampf der KPD gegen die verheerenden Folgen des kapitalistischen Wirtschaftssystems sowie die Gefahr einer nazifaschistischen Machtübernahme zu unterstützen. Aber auch das Bild vom entmenschenden Leben in den großen Städten, jetzt eindeutig ins Antikapitalistische gewendet, ließ Brecht nicht zur Ruhe kommen. So schrieb er nach dem Wall-Street-Crash von 1929 das weit ausholende Gedicht „Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York“ über jene Stadt, die selbst ihm in seinen Anfängen – im Gegensatz zu dem als „langweilig“ empfundenen Deutschland – wegen ihrer „riesigen Bauwerke“, „nie endenden Straßen“, „breitbrüstigen Männer“, „Eisenbahnzügen, die rollenden Hotels gleichen“, ihren „Schallplatten“ und „filmischen“ Darstellungen als faszinierender Inbegriff alles Neuartigen erschienen war und sich jetzt durch die Machenschaften geldgieriger Bankherren in eine Trümmerstätte gescheiterter Hoffnungen verwandelt hatte.14 Und auch in anderen Schreckbildern der „großen Städte“ nahm Brecht in diesem Zeitraum immer wieder die USA aufs Korn, so in dem bereits 1927 konzipierten, aber erst 1930 endgültig abgeschlossenen opernhaften Stück Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, in dem es nur um Suff und Sex, das heißt das sinnentleerte Treiben in einer an Las Vegas gemahnenden Vergnügungsmetropole geht, wo erotisch ausgehungerte Männer für jedes Quäntchen Lust ihre mühsam verdienten Dollarnoten hergeben müssen, und dann in dem marxistisch konzipierten Drama Die heilige Johanna der Schlachthöfe (1929–1931), bei dem es sich – auf der Grundlage des Romans The Jungle (1906) von Upton Sinclair – um eine Analyse der innigen Verquickung der Chicagoer Fleischindustrie mit den Bankenbaronen der Wall Street handelt, um so das ständige Auf und Ab der kapitalistischen Wirtschaftszyklen unter die Lupe nehmen zu können. Ja, Brechts Abneigung gegen die Unmenschlichkeit der großen Städte nahm in diesen Jahren derart zu, dass er sich im Herbst 1932 – noch immer nicht an einen möglichen Sieg der Nazifaschisten glaubend – entschloss, im bayrischen Utting eine Landhausvilla zu erwerben, um dort mit seiner Familie endlich in einer friedlichen, naturgemäßen und seiner Herkunft entsprechenden Umgebung zu leben. Was ihn besonders beglückte, war, dass dieses Haus von einem weitläufigen Garten mit „vielen Sträuchern“, einer „riesigen Erle“, „schwarzen Fichten“, „Wiesen“ und „lang blühenden Blumen“ umgeben war, so dass man sich dort fast wie in einem „klei-

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Utting (1932)

nen Wald“ fühlen konnte.15 Doch diese geradezu traumhaft erlebte Situation währte nur wenigen Wochen. Schon am 30. Januar 1933 ernannte Paul von Hindenburg, der amtierende Reichspräsident, jenen Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler, von dem sich die hinter Hindenburg stehenden Kreise der Großindustriellen und Großagrarier noch am ehesten versprachen, dass er allen antikapitalistischen „Umtrieben“ von Seiten der Kommunisten endlich den Garaus machen würde. Und genau das trat in den folgenden Wochen ein.

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V Doch jetzt: wohin? Statt wie viele von Brechts Gesinnungsfreunden nach Moskau, Prag, Paris oder Wien zu fliehen, entschied sich Brecht für ein Exil auf der dänischen Insel Fünen, um nicht wieder in den konfliktreichen Strudel der großen Städte zu geraten. Und zwar wählte er dort als seine Wohnstätte ein strohgedecktes Fischerhaus am Skovsbostrand nahe Svendborg, das von hohen, kräftig wirkenden Bäumen umgeben war. „So weit man blickt, ist alles grün“, schrieb er 1934 als „Herr der Strohhütte“ an den „Herrn der Wolkenkratzer“ George Grosz in New York.16 All das gemahnte ihn wenigstens von Ferne an sein „Haus mit dem großen Garten“, den „vielen Baumgruppen“ und „weißen Rhododendronbüschen“ in Utting, wie es in dem gleichzeitig geschriebenen Gedicht „Zeit meines Reichtums“ heißt.17 Auch im Hinblick auf sein neues Haus genoss also Brecht wiederum das Althergebrachte, das noch nicht von der kapitalistischen Massenproduktion Verhunzte. In Utting waren es die „getäfelten Hölzer zur Decke“, die „mächtigen eisernen Öfen“ mit ihren „Bildnissen arbeitender Bauern“, die „eichenen Bänke und Tische“ und die „starken Türen“ mit ihren „Erzklinken“ gewesen,18 in Skovsbostrand waren es das Strohdach und das Fachwerk der Außenwände. All das, das heißt auf Bäuerliches und damit vorkapitalistische Zustände Zurückgehende, machte Brecht immer skeptischer, in der zunehmenden Industrialisierung einen tiefgreifenden „Fortschritt“ zu der allerseits gepriesenen „Moderne“ zu sehen. Er arbeitete daher zur gleichen Zeit an einem Stück unter dem Titel „Das Ölfeld“, von dem sich leider nur wenige, in Gedichtform abgefasste Zeilen erhalten haben, in welchem er den zerstörenden Eingriff in die Natur von Seiten jener Konzernherren thematisieren wollte, die wegen der von ihnen angeordneten Bohrungen den Ziegenhirten ihre Wiesen und den Bauern ihre Äcker wegnehmen, ja selbst „hundert Jahre alte Wohnhäuser“ abreißen lassen.19 In den folgenden Jahren, die Brecht im dänischen Exil verbrachte, ist daher ständig von der ihn umgebenden Natur die Rede. Allerdings überkamen ihm dabei – angesichts des mörderischen Vorgehens der Nazifaschisten – oft Zweifel, ob „ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“, wie es in dem bekannten Gedicht „An die Nachgeborenen“ heißt.20 Ja, in dem kurz darauf geschriebenen Gedicht „Schlechte Zeit für Lyrik“ fasste er diesen Konflikt in folgenden Zeilen zusammen: „In mir streiten sich / Die Begeisterung über den blühenden Apfelbaum / Und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers. / Aber nur das zweite / Drängt mich zum Schreibtisch.“21 Doch trotz aller antikapitalistischen und antifaschistischen Werke, die Brecht in diesem Zeitraum schrieb, behielt er dabei – in seiner universalen

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Skovsbostrand (1933)

Sehweise – stets auch das erst in Zukunft zu lösende Problem einer besseren Integration bewohnbarer menschlicher Ansiedlungen und unzerstörter Natur im Auge. Daher finden sich in seinen Gedichten der mittdreißiger Jahre, wie gesagt, immer wieder Zeilen, wo von Büschen, Hecken, Rasenflächen oder einem „knorrigen Birnbaum mit hangenden Zweigen“ die Rede ist,22 während er seine Stippvisiten nach Kopenhagen, London, Paris oder New York – außer der Reise nach Moskau – fast nirgends erwähnt. Und auch als sich Brecht kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs genötigt sah, nach Schweden auszuweichen, war er froh, dort in Lidingö wieder ein Haus beziehen zu können, das – fern der Großstadt Stockholm – von einem „Tannenwald“ umgeben war.23 Ja, selbst als die politische Situation im Jahr 1940 immer brenzliger wurde und er mit seiner Familie nach Finnland übersiedelte, war er wiederum froh, dass ihm die dortige Dichterin Hella Wuolijoki auf ihrem Landsitz Marlebäk in Kausala zeitweilig ein Haus „zwischen schönen Birken“ zur Verfügung stellte.24 Wie in Skovsbostrand und Lidingö war Brecht auch hier von der ihn geradezu urtümlich anmutenden Landschaft hellauf begeistert. „Es ist verständlich“, notierte er sich am 8. Juli 1940 in sein Arbeitsjournal, „daß die Leute hierzulande ihre Landschaft lieben“: Sie ist so sehr reich und zeigt großes Gemischt. Die fischreichen Gewässer und schönbäumigen Wälder mit ihrem Beeren- und Birkenge-

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ruch. […] Und welch eine Musik füllt diesen heiteren Himmel! Beinahe unaufhörlich geht Wind, und da er auf viele verschiedene Pflanzen trifft, Gräser, Korn, Gesträuche und Wälder, entsteht ein sanfter, anund abschwellender Wohlklang, der kaum mehr wahrgenommen wird und dennoch immer da ist.25 Ebenso angetan war er von dem „über 100 Jahre alten Gutshaus“ mit seinem „Eisen und herrlichen Holz, der rötlichen Fichte des Nordens“, wie es in einem Notat aus der gleichen Zeit heißt.26 Doch auch hier galt es – angesichts der sich ständig verschärfenden Kriegsläufte – bald wieder Abschied zu nehmen und weiterzufliehen, um nicht von den Häschern der Nazifaschisten festgenommen zu werden. Und zwar entschied sich Brecht diesmal für die auf der anderen Seite des Planeten liegenden Vereinigten Staaten, um sich nicht noch einmal einer neuen Gefahr auszusetzen. VI Als er am 21. Juli 1941 in San Pedro, dem Hafen von Los Angeles, landete, fand er das Gefühl, endlich von den 15 000 Kilometer entfernten europäischen Kriegsschauplätzen in Sicherheit zu sein, durchaus befreiend. Aber ansonsten begegnete er allem, worauf er hier stieß, von vornherein höchst skeptisch. Schließlich hatte ihn schon 1935 sein kurzer Besuch in New York maßlos enttäuscht. Doch Los Angeles wirkte auf Brecht noch abstoßender.27 Was ihn dort besonders befremdete, war das Künstliche des dort herrschenden Lebensstils, das heißt, auf einer weit ausgedehnten Sandfläche wohnen zu müssen, wo „alles Grüne nur durch Bewässerungsanlagen der Wüste abgerungen ist“.28 Zudem erschien ihm – aus Skandinavien kommend – das in Los Angeles herrschende Klima unerträglich heiß, ja geradezu tropisch. Nichts, aber auch nichts erinnerte ihn hier mehr an Europa. Er hatte fast das Gefühl, irgendwo in den Kolonien zu leben, wo man als Weißer nur hingehe, um „Geld zu machen“ und dann wieder nach Hause zu fahren.29 Ebenso verstört war er über den „würdelosen“ Charakter der dortigen Häuser, die alle so aussähen, als wären sie vorgestern aus billigstem Material zusammengezimmert worden. Nichts habe hier etwas Gediegenes, Altbewohntes, Kunsthandwerkliches, beteuerte er immer wieder. Im Gegensatz zu den Häusern in Utting, am Skovsbostrand, in Lidingö und Marlebäk empfand er die kalifornischen „Puppenhäuschen“ mit ihren rosafarbigen, gelben oder türkisgrünen Innenwänden nicht nur als würdelos, sondern geradezu verkitscht.30 All diese „nuttigen Kleinbürgervillen“, heißt es in seinem Arbeitsjournal, die von zuhälterischen Maklern als „beautiful“

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angepriesen würden, erschienen ihm weder schön noch brauchbar.31 Hier wirke alles so, erklärte er, „als ob man versucht habe, mit billiger Hübschheit den meisten Profit herauszuschlagen“. An sämtlichen Wänden, ja selbst an den Bäumen vor und hinter den Häusern, „die sich nur durch ständiges Sprengen am Leben erhalten ließen“, glaubte er irgendwelche „Preisschildchen“ zu erblicken. Wo gab es hier überhaupt Authentisches, wo war hier die „Natur“, fragte sich Brecht immer wieder. War diese Stadt nicht nur eine Durchgangsstation für Jobsuchende, die darauf hofften, in den verschiedenen Filmstudios Hollywoods einen „Fast Buck“ zu machen? In einer solchen Umgebung konnte sich Brecht nicht in den Garten setzen, um sich in das Lehrgedicht „De rerum natura“ von Lukrez zu vertiefen. Ein solcher Versuch wäre ihm – inmitten all dieser „deprimierenden Hübschheiten“ – wie eine weltabgewandte „Snoberie“ vorgekommen.32 Vor allem seine erste Nichtbleibe in der 25. Straße von Santa Monica mit ihren rosaroten Türen empfand er als etwas „unbeschreiblich Niedliches“, ja geradezu „Unedles“.33 Er bewunderte daher Jean Renoir, der in seinem Haus die kitschigen Stuckverzierungen einfach mit der Axt abgeschlagen habe, außerdem habe er sich möglichst „alte Möbel“ angeschafft, wodurch er endlich in halbwegs „kultivierter Umgebung“ lebe.34 Das Gleiche habe der Wiener Schauspieler Paul Henreid getan, dem es ebenfalls gelungen sei, „alte kalifornische Möbel“ zusammenzukaufen, an denen man ablesen könne, dass selbst Amerika früher einmal eine „Kulturnation“ gewesen sein müsse, wie es voller Verachtung auf die später eingetretene kapitalistische Verhunzung dieses Landes heißt.35 Brecht war daher froh, als er Anfang August 1942 in eines der „ältesten kalifornischen Holzhäuser“ in der 26. Straße umziehen konnte, das bereits „30 Jahre alt“ sei, wie er sich in seinem Arbeitsjournal ironisierend ausdrückte.36 Doch selbst in diesem Haus, wo er im angrenzenden Garten wieder seinen Lukrez lesen konnte, fühlte er sich nur „halbwegs wohl“.37 Schließlich war es auch hier unerträglich heiß. Und auch sonst hatte sich nicht viel verändert. Die Nachbarn wechselten „unaufhörlich“, da sie „anscheinend ohne viel nachzudenken ihre Arbeitsstellen“ aufgäben und in „leichter erreichbare Bezirke oder Städte“ umzögen. Gefühle wie „Heimat“ oder „Vaterhaus“ seien ihnen völlig fremd.38 Aus diesem Grund gebe es unter ihnen weder „Freundschaften“ noch „Feindschaften“, schrieb Brecht in seinen „Briefen an einen erwachsenen Amerikaner“.39 Jeder gehe in dieser Stadt an den anderen einfach lächelnd vorbei. In einem besonders deprimierten Moment notierte daher Brecht mit einem ironischen Achselzucken: „Hier kommt man sich vor wie Franz von Assisi im Aquarium, Lenin im Prater (oder Oktoberfest), eine Chrysantheme im Bergwerk oder eine Wurst im Treibhaus.“40

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Das Einzige, was Brecht in dieser Stadt gefiel, waren lediglich einige Gärten, besonders die von Lion Feuchtwanger und Charles Laughton, wo man wenigstens für eine kurze Weile den unaufhörlichen Verkehrslärm der mit mickrigen Palmen umsäumten Boulevards und das Schäbige des sich gewaltsam ausbreitenden Kommerzbetriebs vergessen könne. Doch selbst sie erschienen ihm – genauer betrachtet – letztlich ebenso unnatürlich wie die gesamte Lebensweise in dieser durch hässliche „Bewässerungsanlagen der Wüste abgerungenen Welt“,41 in der ansonsten nur gesichtslose „Menschenströme“ in die Kontorgebäude der „Geschäftsviertel“ strömten und auf den Straßen herausgerissene „Zeitungsblätter“ umherwimmelten.42 Angesichts dieser Zustände fragte sich daher Brecht im Hinblick auf die „Große Unordnung“, wie er den Kapitalismus meist nannte, in seiner bitteren „Adresse eines sterbenden Dichters an die Jugend“, wann endlich die Zeit kommen werde, in der man anfangen könne, „Das Land zu bebauen, das wir verfallen ließen, und / Die wir verpesten, die Städte / Bewohnbar zu machen“.43 Doch auf diese Frage hatte er vorerst keine Antwort. Was er in Los Angeles sah, war zwar viel „Entwicklung“, aber nichts, was sich in Richtung auf etwas Andersartiges, Besseres, Naturgemäßeres „entwickele“, wie er sich in sein Arbeitsjournal notierte.44 Brecht war demzufolge froh, dass er als Marxist nach dem infamen Verhör des House Un-American Activities Comittee 1947 die USA endlich verlassen konnte. Dabei stellte sich jedoch wiederum die Frage: jetzt wohin? Er entschied sich vorerst für die Schweiz, um von dort aus die deutschen Verhältnisse besser sondieren zu können, statt sich angesichts des einsetzenden Kalten Kriegs zwischen den USA und der UdSSR sofort für eine der westlichen Besatzungszonen oder den von der Sowjetunion verwalteten Teil Ostdeutschlands entscheiden zu müssen. Auch in der Schweiz entschloss sich Brecht, lieber in Feldmeilen auf dem Lande als in der Großstadt Zürich seine Zelte aufzuschlagen. Eines seiner ersten Notate aus dieser Zeit lautet daher im April 1948 fast wie erwartet: „Das erste europäische Frühjahr seit 8 Jahren. Die Farben der Pflanzenwelt, so viel frischer und so viel weniger krud als die der kalifornischen.“45 Was er dagegen an Neubauten sah, gefiel ihm auch hier keineswegs. Vor allem die neuen „städtischen Siedlungen“ mit ihren „Drei- und Vierzimmerwohnungen in riesigen Häuserblöcken“, die ihm wie „Gefängniszellen“ erschienen, deren winzige „Räumchen“ so aussähen, als sollten sie lediglich der „Wiederherstellung der Arbeitskraft“ dienen, lehnte er trotz des „bißchen Grüns dazwischen“ als „verbesserte Slums“ entschieden ab.46 Als sich daher Ende 1948 für ihn die Möglichkeit eröffnete, in Ostberlin seine vielen im Exil geschriebenen, aber unaufgeführten Stücke

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inszenieren zu können, hoffte er, dort sowohl eine politische als auch literarische Wirkungsstätte zu finden, in der er endlich daran mitwirken könne, seine bisher nur utopisch anvisierten Ansichten über eine „Bewohnbarmachung der Erde“ in die gesellschaftliche Praxis umzusetzen. VIII Dass er in Berlin eine weitgehend zerbombte Stadt wiederfand, störte Brecht anfangs keineswegs. Schließlich war ihm diese betriebsame Metropole schon vorher als ein Ort der „Großen Unordnung“ erschienen: Die 15 Jahre des Exils über verspürte ich keinerlei Bedauern, nicht mehr in meiner Heimatstadt oder in Berlin sein zu können. [...] Dazu kommt, daß in meiner Vorstellung diese Städte immer das Mal der Zerstörbarkeit auf der Stirn getragen hatten, als hätte man geplant, auf dem freilich etwas kostspieligen Umweg über die Zerbombung eigens aufgestellter Städte zu den riesigen Schutthaufen zu kommen, die einem vorschwebten. Ich sehe große Städte, die heute noch stehen, mit demselben Kainsmal behaftet.47 Was Brecht anfangs besonders vermisste, war, dass es in dieser Stadt so wenig „Grünes“ gab. Er lobte daher die „Einwohner am Karlsplatz“, weil sie im Winter 1946/47, als viele Menschen froren und das „Holz rar war“, wenigstens eine der dortigen Pappeln nicht abgehackt hätten.48 Als man mit dem Bau der Stalinallee begann, bedauerte er sofort, dass dieser Boulevard „noch keine Bäume“ habe.49 Überhaupt hatte er sich diesen Baukomplex wesentlich „kiezartiger“ und nicht so monumentalisierend im Stil älterer Großstädte vorgestellt. „Ich habe gewußt, daß Städte gebaut wurden“, schrieb er enttäuscht, aber: „Ich bin nicht hingefahren. / Das gehört in die Statistik, dachte ich / Nicht in die Geschichte.“50 In einem dieser Neubauten zu wohnen, zog er darum nicht in Erwägung. Am liebsten hätte er sich in einem Landhaus in Pankow eingenistet, das sich – obwohl mitten in der Stadt gelegen – in einem Park „mit großen alten Bäumen“ befand.51 Obendrein hatte dieses Haus jene „edlen Maße“, wie er erklärte, die „Einfachheit zur Kultur“ machen.52 Aber in ihm war schon ein Kindergarten untergebracht und daher bezog Brecht schließlich zwei Stockwerke in dem Hinterhofgebäude der Chausseestraße 125, die er in seinem Sinne umgestalten ließ. Dieses Quartier erschien ihm, der lieber zwischen alten Bäumen gewohnt hätte, zwar nicht ideal, aber es erlaubte ihm vom ersten Stockwerk aus wenigstens einen Ausblick auf das parkartige Gelände der alten Hugenottengrabstätten und den angrenzenden Dorotheenstädtischen Friedhof.

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Relativ zufrieden schrieb er daher mit detaillierter Genauigkeit an seinen Verleger Peter Suhrkamp, dass er jetzt in einem Hinterhaus wohne, das wie das Vorderhaus etwa 150 Jahre alt sein solle: Die Zimmer sind hoch und so die Fenster, die angenehme Proportionen haben. […] Eigentlich alle Maße sind anständig, es ist wirklich ratsam, in Häusern und mit Möbeln zu wohnen, die zumindest 120 Jahre alt sind, also in früherer kapitalistischer Umgebung, bis man eine spätere sozialistische haben wird.53

Berlin, Chausseestraße, Wohnzimmer (1953)

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Da jedoch dieses Haus an einer der verkehrsreichsten Straßen Ostberlins lag, erwarb Brecht 1952 zugleich ein kleines, mitten in der weitgehend naturbelassenen Gegend der Märkischen Schweiz gelegenes Landhaus am Schermützelsee in Buckow, von dem es in einem seiner Gedichte heißt, dass es „tief zwischen Tann und Silberpappel“ liege, beschirmt von einer Mauer und einen Garten: „So weise angelegt mit monatlichen Blumen / Daß er vom März bis zum Oktober blüht“.54 Und für dieses „alte, nicht unedel gebaute“ Haus sowie die Wohnung in der Chausseestraße fahndeten darauf er und Helene Weigel – höchst entschieden, nicht inmitten industrieller Massenprodukte leben zu müssen – monatelang nach alten Möbeln und vorindustriellen Gebrauchsgegenständen, denen im Bereich der Möbeltischlerei, der Eisenschmiedekunst oder der Keramik noch die Würde des ästhetisch Gediegenen anhafte.55 Man sollte diese Vorliebe für Kunsthandwerkliches keineswegs mit jenem bürgerlich-parvenühaften Prunkbedürfnis verwechseln, wie er sich in all jenen vollgestopften Wohnungen äußert, in denen nicht das Brauchbare und zugleich Schöne, also Kulturvolle, sondern das Überflüssige, Sinnlose, auf Verschleiß Bedachte, also Kulturlose, im Vordergrund steht.56 Wenn Brecht in diesen Jahren die Schönheit eines Tischs, einer Lampe, eines Bechers herausstrich, so tat er das nicht aus Eitelkeit oder Besitzerstolz. Er tat es, um im Umgang mit den Dingen des täglichen Gebrauchs einen Sinn für Ästhetik und zugleich ein schonendes, ja geradezu pflegliches Verhältnis zu diesen Dingen zu demonstrieren. Statt sich mit Gebrauchsgegenständen zu umgeben, die man nur benutzt, also auch wegschmeißen oder mutwillig zerstören kann, bevorzugte er lieber Dinge, die noch vorindustriell, das heißt vor- oder frühkapitalistisch, ja am liebsten bäuerlich-kunsthandwerklich anmuteten, also noch nicht jene Konsum- und Verbrauchermentalität aufwiesen, denen als einziger Fetisch die auf dem Prinzip der ständigen Innovationssucht beruhende Akzelerierung der ökonomischen Expansionsrate zugrunde liegt. Überhaupt erschien Brecht in diesen Jahren das Bäuerliche – als Ausdruck einer vorindustriellen Lebensweise, welche noch nicht den Entartungen der kapitalistischen Industrialisierung ausgesetzt war – immer wichtiger. Stolz darauf, dass er selber „von Bauern abstamme“, wie er schon vorher behauptet hatte,57 wollte er diese Haltung und die damit verbundene Einstellung zu einer stärkeren Naturverbundenheit und zugleich einem Sinn für kunsthandwerkliche Gediegenheit auch in der DDR propagieren. Wie im Hinblick auf seine Naturgedichte der Exiljahre sollte man das, wie gesagt, nicht mit einer neuromantischen Naturschwärmerei verwechseln. Brecht war weder ein bürgerlicher Naturtourist noch ein ökologisch gesinnter Grüner. Er wollte nicht im Walde still vor sich herwandeln,

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sondern sich lieber im Sinne der Konzeption einer naturgemäßen „Bewohnbarmachung der Erde“ an den Bäumen vor seinem Haus erfreuen.58 Demzufolge legte er bei seinen Bekenntnissen zur DDR, als einem „Staat der Arbeiter und Bauern“, den ideologischen Hauptakzent eher auf das Bäuerliche als auf das Proletarische. Dafür spricht unter anderem, wie intensiv er sich um eine Bearbeitung und Inszenierung von Erwin Strittmatters Bauerndrama Katzgraben (1953) bemühte,59 während er sein „Büsching“-Projekt, in dem es um den heroischen Einsatz des Maurers Hans Garbe beim Bau der Stalinallee gehen sollte, nach mehreren Ansätzen wieder aufgab. Und dafür spricht zugleich, wie energisch er sich 1952 – entgegen der kritischen Haltung einiger SED-Kulturfunktionäre – für eine Hochschätzung jener bäuerlichen Statuen Ernst Barlachs einsetzte, in denen dieser Künstler mit großer kunsthandwerklicher Fertigkeit den Gestalten dieser „so lange unterdrückten Klasse“ das „Monopol der Menschlichkeit“ verliehen habe.60 Was Brecht dabei besonders beeindruckte, war, wie gesagt, jene vorindustrielle Lebensweise, in der – trotz aller Unterdrückung – noch ein Sinn für Handwerklich-Gediegenes und zugleich Naturbezogenes geherrscht habe, der im Rahmen des heutigen Fabrikwesens mehr und mehr verlorengegangen sei. Aus den älteren Lebenszusammenhängen herausgerissen, spiele sich das Leben der gegenwärtigen Fabrikarbeiter, wie es in seinen Notizen zu „Arbeiter und bildende Kunst“ heißt, in einer völlig entnaturierten Welt ab, in der jeder Sinn für eine naturgemäße Lebens- und damit auch Herstellungsweise abhandengekommen sei.61 Doch Brecht wäre nicht Brecht, wenn er sich mit derartigen Lamentationen begnügt hätte. Er hielt auch oder gerade in der DDR an seiner Utopie fest, sich weiterhin für eine naturgemäßere „Bewohnbarmachung der Erde“ einzusetzen, in der man sich nachhaltig für eine Begrünung der Städte sowie eine kunsthandwerkliche Fertigung der täglichen Gebrauchsgüter bemühen würde, statt lediglich durch eine gesteigerte industrielle Massenproduktion die in der kapitalistischen Welt des Westens herrschende Konsumfreudigkeit einzuholen oder gar überbieten zu wollen. Nur das verstand er unter einem wahren Sozialismus, der sich – noch längst nicht verwirklicht – für eine bessere Integration von Mensch und Natur und eine damit verbundene sinnvollere Produktionsweise einsetzen würde. Ob eine solche Haltung bereits auf das vorausweist, was heutzutage viele Menschen unter einem „ökologischen Bewusstsein“ verstehen, sei dahingestellt. Manches deutet schon in diese Richtung, aber weniger in einer Perspektive, welche die Schuld an der zunehmenden „Entnaturierung“ der uns umgebenden Mitwelt allein in der unaufhörlich fortschreitenden Industrialisierung, sondern – unter sozialistischer Perspektive – auch und

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vor allem in dem immer hektischer angekurbelten Konsumgetriebe der gegenwärtig herrschenden kapitalistisch arrangierten Market-driven Society sieht, in der sich die meisten Menschen nur noch „als Teilstück verschiedener Massen und als Zubehör des Marktgeschehens“ empfinden, wie es 2009 der Philosoph Gerd Irrlitz in seinem weit ausholenden Essay „Ästhetische Naturanschauung und philosophischer Naturbegriff bei Brecht“ formuliert hat.62 Und er schloss daraus im Hinblick auf die soziale Fragestellung, die sich aus all diesen Problemkomplexen und besonders aus Brechts Ablehnung der Anonymität des großstädtischen Lebens ergibt, mit dem dringlichen Statement: Heute ist es fast Gemeingut politischer Rhetorik, zu sagen, dass wir das menschliche Leben bedrohen, wenn wir die Natur weiter so strangulieren. Brecht urteilte in entgegengesetzter Richtung. Weil wir die menschlichen Verhältnisse mit unmenschlicher Kälte gebildet haben, darum zerstören wir auch die uns lebensfähig machende Natur.63

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BERTOLT BRECHT UND KARL KRAUS Über die Vergleichbarkeit des Unvergleichlichen

I Auf den ersten Blick kann man sich kaum einen größeren Unterschied vorstellen als den zwischen Karl Kraus und Bertolt Brecht. War nicht der eine – etwas vereinfacht gesehen – ein bürgerlicher Einzelgänger, der in seiner Umwelt nur Untergangssymptome wahrnahm, auf die er mit beißendem Spott reagierte, und war nicht der andere – ebenfalls etwas vereinfacht gesehen – ein unermüdlicher Optimist, der sich unter marxistischen Vorzeichen bis zum Ende seines Lebens für eine „Bewohnbarmachung der Welt“ eingesetzt hat? Was soll daher bei einem Vergleich dieser beiden Autoren herauskommen? Nur Unterschiede oder eventuell auch Vergleichbares? Das wären die Fragen, die es in dieser Hinsicht zu stellen gilt. In der relativ spärlichen Sekundärliteratur zum Verhältnis dieser beiden so verschiedenartigen, ja unvergleichlichen Autoren zueinander gibt es darauf bisher kaum befriedigende Antworten. Zugegeben, dass Brecht nach dem 31. Januar 1933 von Kraus eine scharfe Ablehnung des Nazifaschismus erwartet hatte und über ihr Ausbleiben lange Zeit verstimmt war, davon ist in vielen Brecht-Studien mehr oder minder ausführlich die Rede.1 Aber all das, was dieser Erwartungshaltung in den zwanziger Jahren vorangegangen war, bleibt meist unerwähnt oder wird eher beiläufig behandelt.2 Ja, wenn in den bekannteren Brecht-Darstellungen Kraus überhaupt auftaucht, dann lediglich als eine unbedeutende Randerscheinung oder gar als Antipode, auf den man nicht näher einzugehen braucht. Schuld an dieser Nichtbeachtung ist weitgehend jene zum Teil ins Hagiographische tendierende Kraus-Darstellung, wie sie sich unter seinen engsten Anhängern ausbildete und dann auf weite Kreise der bürgerlichliberalen Literaturkritik übergriff.3 In ihren Schriften wird Kraus fast ausschließlich als ein „einsamer Kämpfer“ gegen das herrschende Presse-Unwesen charakterisiert,4 der kein Blatt vor den Mund genommen habe, um mit triumphierender Gehässigkeit gegen eine Welt von Feinden zu Felde zu ziehen, in denen er – aufgrund seiner intellektuellen Überlegenheit – lediglich ein Sammelsurium tölpelhafter Spießer oder nichtswürdiger Duckmäuser gesehen habe. Diese Kritiker stellten daher Kraus gern als einen ihnen zutiefst verwandten Spötter, Nörgler oder Querulanten hin,

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der stets darauf aus gewesen sei, sich auf gut- oder bestbürgerliche Weise über all jene lustig zu machen, die er als geistig minderbemittelt empfunden habe. Nun, es gibt zum Glück auch andere Kraus-Verehrer, die in ihm nicht nur einen brillanten Zyniker wahrgenommen haben, dem es in seinen in der Fackel abgedruckten Dramen, Gedichten, Glossen und Aphorismen allein darum gegangen sei, seine intellektuelle Überlegenheit zu demonstrieren, sondern der dabei selten oder nie die gesellschaftskritische Absicht seiner Invektiven gegen die grundsätzliche „Verkehrtheit“ der politischen Entwicklung von der späten Habsburger Doppelmonarchie über den Ersten Weltkrieg bis zur Ersten Republik der zwanziger Jahre in Österreich vergessen habe. Und in ihren Schriften taucht auch der Name Brecht hin und wieder auf. Ja, es gibt sogar schon einige Studien, die – wenn auch in unterschiedlicher ideologischer Perspektive – etwas näher auf die persönlichen Beziehungen zwischen Kraus und Brecht, ja sogar auf gewisse Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen in den Anschauungen und literarischen Darstellungsmitteln dieser beiden Autoren eingegangen sind. Eher positivistisch, das heißt sich auf die Wiedergabe faktisch nachweisbarer Bezüge beschränkend, verfuhren hierbei Kurt Krolop und Caroline Kohn.5 Friedrich Rothe akzentuierte vor allem den linksliberalen Aspekt dieser Beziehung,6 während sich James K. Lyon – unter Bezugnahme auf die sich angeblich widersprechenden Aphorismen „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ sowie „Gegensätze ziehen sich an“ – eher um eine „dialektisierende“ Sicht im Hinblick auf diese beiden Autoren bemühte.7 Dagegen versuchte ein Marxist wie Georg Knepler auch die „linke“ Komponente in den Werken von Kraus und ihre Bedeutsamkeit für Brecht herauszustellen.8 Um etwas mehr Klarheit in die komplizierten und zugleich folgenreichen Bezüge zwischen diesen beiden Autoren zu bringen, soll daher im zweiten Abschnitt dieses Essays erst einmal all das in chronologischer Reihenfolge dargestellt werden, was mir in dieser Hinsicht bedeutsam erscheint, um dann gegen Schluss die notwendigen Folgerungen daraus zu ziehen. II Der erste nachweisbare Beleg, dass Brecht Kraus’ Schriften gelesen hat, findet sich in seinen frühen Tagebüchern. Dort heißt es am 15. September 1921 im Rahmen einer Lektüreübersicht: „Außerdem lese ich Karl Kraus.“9 Damit könnte entweder ein Heft der Fackel oder das Drama Die letzten Tage der Menschheit gemeint sein, das 1918/19 erschienen war und viel Aufsehen erregt hatte. Kraus scheint spätestens 1924 auf Brecht aufmerksam geworden sein. Das geht aus einer seiner Polemiken gegen Herbert Jhering

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Alfred Hagel: Karl Kraus am Vorlesertisch (um 1930)

hervor, in der Kraus sowohl Arnolt Bronnen als auch Brecht, diesen „beiden Fasolte des deutschen Expressionismus“, wie so vielen Dramatikern ihrer Generation, eine „mangelnde Ausdrucksfähigkeit“ vorgeworfen hatte.10 Auch in den folgenden drei bis vier Jahren holte Kraus gelegentlich gegen Brecht aus. So warnte er etwa 1926 in seinem Essay „Winke für die Schwangerschaft“ eine junge Frau, keineswegs Brecht zu lesen, da sie bei der Lektüre seiner Werke sicher „brechten“ würde.11 Doch das wird Brecht sicher nicht „geritzt“ haben, wie man damals sagte. Er war zwar in seinen Urteilen nicht so scharfzüngig oder bildungsbetont wie Kraus, gab sich aber manchmal ebenfalls recht abschätzig, wenn es galt, einen seiner Widersacher niederzumachen. Und auch kalauernde Wortspiele gefielen ihm durchaus. So warf er etwa dem fünfzigjährigen Kraus vor, den siebzigjährigen George Bernard Shaw nicht genug zu schätzen, sich „über die Welt nur in Zeitungen zu informieren“ oder sich wie ein „moralischer Narziß“ aufzuspielen, der lediglich seine „eigne Reinheit“ beweisen wolle.12 Doch derlei Gerangel war in literarischen Kreisen damals allgemein üblich, wenn man an die scharfzüngigen Polemiken Alfred Kerrs und

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Kurt Tucholskys denkt. Als sich daher Kraus im Herbst 1928 längere Zeit in Berlin aufhielt, entwickelte sich zwischen beiden – trotz des großen Altersunterschieds, des verschiedenartigen Herkommens und ihrer politisch abweichenden Meinungen – dennoch relativ schnell ein gutes Einvernehmen, ja fast eine offen demonstrierte Waffenbrüderschaft. Wie es dazu kam, hatte mehrere Ursachen. Wohl die wichtigste war, dass Kraus im Jahr zuvor aktiv in die österreichische Politik eingegriffen hatte und darauf als Kritiker der herrschenden Reaktion von großen Teilen der Wiener Bourgeoisie abgelehnt, ja gehasst wurde. Während er bisher vornehmlich gegen das „schmierige“ Presse-Unwesen vorgegangen war, hatte er nach einer am 15. Juli 1927 vor dem Wiener Justizpalast abgehaltenen Arbeiterdemonstration, bei der fast hundert Protestierende von der Polizei ermordet worden waren, in aller Schärfe gegen den regierenden Polizeipräsidenten Johann Schober vom Leder gezogen, ja sogar eine Plakataktion gestartet, welche die Aufforderung an Schober enthielt, sofort zurückzutreten. Und das hatte sich auch in Berlin herumgesprochen und ihm unter den dortigen Linken eine Reihe neuer Freunde verschafft, während sich in Wien die herrschenden Schichten und selbst führende Sozialdemokraten weiterhin mit Schober gegen den „Pöbel“ solidarisierten.13 Darauf richtete Kraus sein Augenmerk zusehends auf Berlin,14 wo er sich ein verständnisvolleres Publikum für seine antibürgerlichen Ansichten erhoffte. Und das traf auch ein. Seine ersten Erfolge erzielte er dort in der letzten Märzwoche des Jahres 1928 mit seinen zeitkritisch bearbeiteten Offenbachiaden, und zwar Die Großherzogin von Gerolstein, Blaubart, Madame L’Archiduc und Pariser Leben,15 deren Texte er nicht nur vortrug beziehungsweise sang, sondern die er zugleich gestisch verdeutlichte, um damit eine neue Art von Theater zu initiieren, das in seiner parodistischen Darbietung nicht nur vergnüglich, sondern auch aufreizend, ja gesellschaftskritisch „eingreifend“ sein sollte.16 Man fragt sich unwillkürlich: Warum bevorzugte Kraus bei diesen Darbietungen ausgerechnet die Opéras bouffes jenes Jacques Offenbach, der inzwischen längst durch Operettenkomponisten wie Johann Strauss, Franz von Suppé, Emmerich Kálmán und Franz Lehár in den Hintergrund gedrängt worden war? Deren Werke erschienen ihm einfach zu albern, zu sentimental, auf bloßen Ohrenschmaus bedacht, kurzum: als Konsumgüter einer irregeleiteten Welt – und damit menschlich und ästhetisch „unwürdig“. In Offenbach, der weder die französische Grand Opéra noch das Wagnersche Musikdrama geschätzt hatte, sah er dagegen einen kongenialen Satiriker, der sich über die erbärmliche Großmannssucht und zugleich kapitalistische Veräußerlichung des französischen Zweiten Kaiserreichs unter Napoleon III. ebenso unbarmherzig lustig gemacht hatte wie er über die

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inzwischen untergegangene habsburgische k. und k. Monarchie sowie die auf sie folgende, von vielen Widersprüchen durchzogene Erste Republik. In Offenbach glaubte daher Kraus einen ihm zutiefst verwandten Künstler gefunden zu haben, der als jüdischer Außenseiter, gnadenloser Satiriker und Feind aller nationalen Überheblichkeit der bürgerlichen Welt seiner Zeit einen nicht minder entlarvenden Spiegel vorgehalten hatte, wie er es mit seiner Fackel und seinen Dramen versuchte. Als Kraus darauf hörte, dass Kurt Weill und Bertolt Brecht im August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm mit den Proben zu ihrer Dreigroschenoper begonnen hatten, der eine ähnliche vergnügliche und zugleich parodistische Absicht wie seinen Offenbachiaden zugrunde lag, nahm er zunächst „heimlich“ an den Proben teil und gab sich schließlich als der zu erkennen, der er tatsächlich war.17 Darauf entwickelte sich zwischen Kraus und Brecht, dem Vierundfünfzigjährigen und dem Dreißigjährigen, ein geradezu kameradschaftliches Verhältnis, ja, Kraus behandelte Brecht, dieses „junge Genie“, wie Elias Canetti in seiner Autobiographie Die Fackel im Ohr berichtet, geradezu wie seinen „erwählten Sohn“.18 Und auch andere bestätigten die menschliche Vertrautheit, die sich in diesen Wochen zwischen beiden entwickelte. So schrieb Heinrich Fischer, der damals am Theater am Schiffbauerdamm als Dramaturg tätig war, in seinen Erinnerungen an Kraus, dass beide während dieser Zeit „fast jeden Abend mit einigen Freunden in einem Bierkeller in der Friedrichstraße“ zusammengesessen hätten.19 Auch im Künstlerlokal Schlichter in der Martin-Luther-Straße trafen sich Kraus und Brecht oft, wie Friedrich Rothe herausgefunden hat.20 Bei den dort stattfindenden Diskussionen, an denen sich auch John Heartfield und Hanns Eisler beteiligten,21 muss es zu vielen anregenden Gesprächen über jene theatralische Praxis gekommen sein, die sowohl Kraus als auch Brecht damals beschäftigte, nämlich den Verlauf der Handlung mit Songs und Sprechdialogen aufzubrechen, um so jene naturalistische Psychologisierung zu vermeiden, die damals im Gefolge Ibsens und Hauptmanns trotz gewisser expressionistischer Experimente noch immer das Theaterwesen bestimmte. Brecht – großzügig in Fragen geistigen Eigentums – erlaubte Kraus sogar, in dem kurz darauf schnell Berühmtheit erlangenden Eifersuchtsduett aus der Dreigroschenoper noch die Strophe „Ach, man nennt mich Schönheit von Soho / Und man sagt, ich hab so schöne Beine …“ hinzuzudichten.22 Selbstverständlich nahm Kraus – mit Georg Knepler, dem Klavierbegleiter seiner Offenbachiaden – auch an der am 31. August 1928 stattfindenden Uraufführung der Dreigroschenoper teil. Als kurz darauf Alfred Kerr, der bürgerlich Überkorrekte, Brecht bezichtigte, sich ohne genaue Kennzeichnung an der Ammerschen Übersetzung der Gedichte François Villons „vergriffen“ zu haben, setzte sich

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Kraus unverzüglich für Brecht ein, ja ließ sich sogar dazu hinreißen, den „Trottel“ Kerr, mit dem er sich wegen dessen kriegsverherrlichender Gedichte schon seit längerem in den Haaren lag,23 als den „größten Schuft im ganzen Land“ zu bezeichnen. Aus Dankbarkeit für diese Art von Rückendeckung empfahl daher Brecht kurz darauf dem Berliner Regisseur Leo Reuß, sich in seiner Macbeth-Inszenierung bei der Hexenszene auf die Nachdichtung von Karl Kraus zu stützen, die von „unerhörter sprachlicher Schönheit“ sei.24 Und bei diesem guten Einvernehmen zwischen Kraus und Brecht blieb es auch in den darauffolgenden Monaten und Jahren. Schließlich war Kraus von der Theaterbesessenheit des jungen Brecht geradezu fasziniert. Zugleich hoffte er, dass Brecht nach dem Erfolg der Dreigroschenoper nun auch einige seiner Stücke aufführen würde. Aufgrund der in dieser Hinsicht kursierenden Gerüchte meldete daher das Neue Wiener Journal am 25. Januar 1929, dass es sicher bald zur Einstudierung des ein Jahr zuvor von Kraus verfassten Dramas Die Unüberwindlichen durch Bertolt Brecht und Erich Engel kommen würde. Doch das erwies sich als eine Ente.25 In diesem Stück hatte sich Kraus sowohl den Wiener Polizeipräsidenten Johann Schober als auch den korrupten Zeitungsverleger Imre Békessy vorgenommen, die bei ihm unter den Namen Wacker und Barkassy auftreten. In der Einsicht, dass dieser Angriff letztlich im Leeren verpuffen würde, hatte er dem Ganzen allerdings das Kierkegaard-Motto „Ein einzelner Mensch kann einer Zeit nicht helfen oder sie retten, er kann nur ausdrücken, daß sie untergeht“ vorangestellt. Schließlich war der von ihm angegriffene Schober nicht nur im Amt geblieben, sondern wurde 1929 sogar zum dritten Mal österreichischer Bundeskanzler. Und so blieben Die Unüberwindlichen in Wien unaufgeführt. Lediglich im Dresdner Residenztheater wagte Paul Verhoeven im Mai 1929 eine Inszenierung dieses Stücks. In Berlin kam dieses bewusst als Farce angelegte Drama am 20. Oktober des gleichen Jahres an der Berliner Volksbühne am Bülowplatz mit Peter Lorre, der vorher den Galy Gay in Brechts Mann ist Mann gespielt hatte, in der Rolle des Barkassy heraus und wurde von Herbert Jhering im Berliner Börsen-Courier als eines der besten Zeitstücke dieser Ära begrüßt.26 Doch schon einen Tag später musste es aufgrund einer Intervention der Österreichischen Botschaft in Berlin wieder vom Spielplan abgesetzt werden. Auch Anfang 1930 verbrachte Kraus wiederum einige Zeit in Berlin, wo am 15. Januar sein Stück Die letzte Nacht, bei dem es sich um den Epilog seines Dramas Die letzten Tage der Menschheit handelte, in der Regie von Heinrich Fischer und der Begleitmusik von Hanns Eisler auf der Versuchsbühne des Theaters am Schiffbauerdamm aufgeführt wurde. Sechs Wochen danach hielt Kraus mehrere „Vorlesungen“ einer Bühnenfassung

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der Letzten Tage der Menschheit, die trotz ihrer Dialektintonationen beim Publikum gut ankamen. Ja, am 9. März begann er in der von Hans Flesch geleiteten Berliner Funkstunde – unter der Mitwirkung von Ernst Busch, Trude Hesterberg, Peter Lorre und Helene Weigel – zwölf seiner Offenbachiaden in eigener Wortregie einzustudieren, worauf sich die allem Neuartigen durchaus zugängliche Krolloper entschloss, seine Fassung der Offenbachschen La Périchole im April 1931 in Szene zu setzen. Und das beglückte Kraus selbstverständlich. Nicht nur Teile der gebildeten und zugleich liberal eingestellten Oberschicht jubelten ihm in dieser Stadt zu, sondern auch viele der dortigen Linken, darunter neben Bertolt Brecht vor allem Walter Benjamin, Hanns Eisler, Heinrich Fischer und Herbert Jhering, die nicht nur seine Vortragskunst, sondern auch die satirische Schärfe seiner Angriffe gegen das bürgerliche Justemilieu geradezu hinreißend fanden. Trotz seiner unverhohlenen Abneigung gegen den Kommunismus, mit dem viele seiner Berliner Freunde seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929 und dem sensationellen Wahlerfolg der Nationalsozialisten im September 1930 zu sympathisieren begannen, fühlte sich Kraus in seiner radikalen Kritik der abgelebten Bürgerwelt von diesen Kreisen durchaus verstanden. Und er erwiderte die ihm entgegengebrachte Sympathie durchaus. So erklärte er Anfang März 1932 in der Fackel, dass er Brecht für „den einzigen deutschen Autor“ halte, „der heute in Betracht zu kommen hat“, weil er der „einzige“ sei, der ein „Zeitbewußtsein“ besitze, statt jener „Flachheit und Ödigkeit“ der „beliebteren Reimer der Lebenprosa“ zu huldigen, die sich unter den Autoren der Neuen Sachlichkeit verbreitet habe.27 Am besten gefiel ihm zeitweilig Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, von dem er Teile, darunter das Lied von den zwei Kranichen und die Gerichtsszene, sogar in seine „Vorlesungen“ aufnahm und sich dabei von Kurt Weill am Klavier begleiten ließ. Ja, im gleichen Fackel-Heft schrieb Kraus sogar: „Für die Verse von ‚Kranich und Wolke‘ gebe ich […] die Literatur sämtlicher Literaten hin, die sich irrtümlich für seine Zeitgenossen halten.“ Seine letzte „Vorlesung“ in Deutschland hielt Kraus im Dezember 1932. Anschließend kehrte er nach Österreich zurück, allerdings nicht ohne vorher noch mit Brecht den Plan einer Wiener Aufführung der Mutter (1931) an einem der dortigen Theater zu besprechen. Auch von einem möglichen Vortrag, den Brecht in Wien halten würde, war bei diesen Gesprächen die Rede. Doch aus beidem wurde nichts. Schließlich war nach dem 30. Januar 1933, an dem Hindenburg auf Drängen der deutschen Großindustriellen und Großagrarier Adolf Hitler das Kanzleramt übertrug, um die Weimarer Republik vor einer drohenden „Bolschewisierung“ zu retten, in Österreich wie in Deutschland an linke Aktivitäten nicht mehr zu denken. Ja, für

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alle, die sich diesem Trend entgegenzusetzen versuchten, wurde die Lage von Tag zu Tag immer prekärer. Helene Weigel trug zwar Anfang Februar 1933 auf einer Arbeiterversammlung in Begleitung Kneplers noch Brechts „Wiegenlieder einer proletarischen Mutter“ vor, doch danach waren selbst solche Auftritte nicht mehr möglich. Den Schlusspunkt dieser Entwicklung bildete schließlich der Reichstagsbrand vom 27. Februar, der von den Nazifaschisten der KPD angelastet wurde. Danach mussten alle exponierten Linken versuchen, dem braunen Terror zu entkommen, um nicht sofort verhaftet, eingekerkert oder gar umgebracht zu werden. Brecht und Weigel verließen angesichts dieser Situation bereits am folgenden Tag Berlin. Ihr erster Zufluchtsort war Wien, wo Weigels Vater in der Berggasse 30 wohnte und Brecht zugleich Kraus wiedertreffen wollte, der ihn als „weiser Freund“, wie Brecht später schrieb, mit den Worten begrüßte: „Die Ratten besteigen das sinkende Schiff.“28 Kraus war zwar hocherfreut, beide in Sicherheit zu wissen, riet aber Brecht ab, in Österreich zu bleiben, da sich auch dort die „Barbarei“ ausbreite. Daher reiste Brecht, nachdem ihm der hilfsbereite Kraus finanziell unter die Arme gegriffen hatte,29 schon Anfang März in die Schweiz, um dort – weiterhin auf die Chance eines „eingreifenden Denkens“ vertrauend – mit seinem Freund Lion Feuchtwanger mögliche antifaschistische Aktivitäten zu besprechen. Aufgrund seiner die Schaffung einer proletarischen Einheitsfront gegen das Hitler-Regime ins Auge fassenden Einstellung, wofür sowohl Brechts in dieser Zeit entstandenen Gedichte gegen den „Anstreicher“ Hitler als auch das Drama Die Rundköpfe und die Spitzköpfe (1929–1934) sprechen, war er zutiefst enttäuscht, dass in den folgenden acht Monaten kein einziges Fackel-Heft erschien, in dem sich Kraus gegen die auch von ihm gehassten „Hakenkreuzler“ ausgesprochen hätte. Und als dann im Oktober 1933 doch ein, wenn auch nur acht Seiten umfassendes Heft dieser bisher so engagierten Zeitschrift herauskam, war er noch enttäuschter, da sich in ihm – nach einer kurzen Gedenkrede auf Adolf Loos – lediglich jenes kurze Gedicht befand, das mit den Zeilen begann: „Man frage nicht, was all die Zeit ich machte. / Ich bleibe stumm, / und sage nicht warum“, und dann mit dem Statement schloss: „Das Wort entschlief, als jene Zeit erwachte.“30 Ähnlich wie Kurt Tucholsky empfand Kraus zu diesem Zeitpunkt, „daß Gewalt kein Objekt der Polemik, Irrsinn kein Gegenstand der Satire“ sei.31 Fast alle aus Deutschland vertriebenen Linken fanden dieses Gedicht empörend. Gerade von Kraus, dem unerbittlichen Gegner der „verkehrten Welt“, hatten sie einen besonders scharfen Angriff gegen die „braune Barbarei“ im Nazireich und nicht einen so resignativ gestimmten Abgesang erwartet. Musste das nicht auch Brecht zutiefst verstören? Dass er nicht ebenfalls empört reagierte, wie manche seiner Gesinnungsfreunde hofften,

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beweist, dass er in Kraus weiterhin einen alle literarischen Kleingeister überragenden Autor sah, dessen gesellschaftskritische Haltung er durchaus zu schätzen wusste und der ihm durch sein persönliches Entgegenkommen auch menschlich beeindruckt hatte. Ja, Brecht lud Kraus Anfang Juli 1933 sogar zweimal brieflich ein, ihn doch in Skovsbostrand bei Svendborg, wo er sich inzwischen niedergelassen hatte, zu besuchen.32 Doch danach verstimmte auch ihn das monatelange „Schweigen“ von Kraus über die inzwischen verübten Untaten der Nazifaschisten so sehr, dass er sich Ende 1933, also nach dem Erscheinen des besagten Fackel-Hefts, entschloss, sich wenigstens in einem Gedicht unter dem Titel „Über die Bedeutung des zehnzeiligen Gedichtes in der 888. Nummer der Fackel (Oktober 1933)“ damit auseinanderzusetzen.33 Es begann mit den Zeilen: Als das Dritte Reich gegründet war Kam von dem Beredten nur eine kleine Botschaft. In einem zehnzeiligen Gedicht Erhob er seine Stimme, einzig um zu klagen Daß sie nicht ausreiche. Worauf Brecht die halbwegs verständnisvollen Worte anfügte: Als der Beredte sich entschuldigte Daß seine Stimme versage Trat das Schweigen vor den Richtertisch Nahm das Tuch vom Antlitz und Gab sich zu erkennen als Zeuge.34 Darauf schickte er dieses Gedicht an einige Wiener Kraus-Freunde, um es in dem Band Stimmen über Karl Kraus zum 60. Geburtstag zu veröffentlichen, in dem es dann 1934, allerdings erst im Herbst, auch erschien.35 Ja, Brecht verfasste Anfang 1934 sogar noch mehrere kurze Prosatexte über Kraus, die offenbar ebenfalls für die geplante Festschrift gedacht waren.36 In ihnen betonte er zwar wiederum, dass man gerade in einer „Zeit blutiger Verwirrung“ als Autor Leistungen erbringen müsse, die „für unseren Kampf verwendbar sind“, also etwas, was er auch von Kraus erwartete. Dennoch pries er ihn in diesen Notaten weiterhin als einen bedeutenden gesellschaftskritischen Methodiker, ja verglich ihn in dieser Hinsicht sogar mit Marx und Engels, indem er erklärte:

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Die großen Marxisten haben untersucht, warum die Menschheit bei dem Aufbau der modernen Produktion in einen Zustand geraten mußte, wo jeder neue Fortschritt, beinahe jede einzige Erfindung, die Menschen in immer tiefere Entmenschung hineintreiben muß. In einem riesigen Werk stellt Kraus, der erste Schriftsteller unserer Zeit, die Entartung und Verworfenheit der zivilisierten Menschheit dar. Als Prüfstein dient ihm die Sprache, das Mittel der Verständigung zwischen Mensch und Mensch. Seine Entdeckungen auf diesem Gebiet und die Methoden, die sie ermöglichen, sind Legion.37 Umso mehr war Brecht schockiert, als er Ende Juli 1934 jene Fackel-Hefte zu Gesicht bekam, in denen sich Kraus zum klerikalen Austrofaschismus des Dollfuß-Regimes bekannte und zugleich die Niederschlagung des Wiener Februaraufstandes rechtfertigte,38 da er darin die einzige Chance sah, den „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland zu verhindern, den zu diesem Zeitpunkt sogar viele Wiener Sozialdemokraten befürworteten.39 Brecht reagierte auf diesen Gesinnungswandel mit dem Gedicht „Über den schnellen Fall des guten Unwissenden“, in dem er seine bisherige Verteidigung des langanhaltenden Schweigens von Kraus zurücknahm und unter Bezugnahme auf sein Gedicht „Über die Bedeutung des zehnzeiligen Gedichtes in der 888. Nummer der Fackel (Oktober 1933)“ unmissverständlich erklärte: Als wir den Beredten seines Schweigens wegen entschuldigt hatten Verging zwischen der Niederschrift des Lobs und seiner Ankunft Eine kleine Zeit. In der sprach er. Er zeugte aber gegen die, deren Mund verbunden war Und brach den Stab über die, welche getötet waren. Und er fuhr weiter fort: So bewies er Wie wenig die Güte hilft, die sich nicht auskennt Und wie wenig der Wunsch vermag, die Wahrheit zu sagen Bei dem, der sie nicht weiß. Der da auszog gegen die Unterdrückung, selber satt Wenn es zur Schlacht kommt, steht er Auf der Seite der Unterdrücker.40

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Das war hart formuliert, beweist aber weniger „Spott und Hohn als Zorn und Trauer“, wie es bei Kurt Krolop heißt.41 Um nicht als grundsätzlicher Kraus-Gegner missverstanden zu werden, ließ Brecht dieses Gedicht nicht drucken, sondern Kraus lieber in Wien von Helene Weigel persönlich übergeben.42 Ja, er schrieb ihr sogar im November 1934, dass sie bei ihren Wien-Besuchen weiterhin „nett“ zu ihm sein solle, obwohl er zutiefst „bekümmert“ sei, dass Kraus gegen die Floridsdorfer Arbeiter Stellung genommen habe, die sich gegen „die Beauftragten von Unternehmern, Bankiers und Grundbesitzern“ zur Wehr gesetzt hätten.43 Doch in seinen Veröffentlichungen der Folgezeit schwieg sich Brecht über Kraus stets aus. Lediglich in einem Notat seines Arbeitsjournals vom 15. Juli 1942 findet sich ein weiterer Hinweis auf Kraus: Und wieder möchte ich Schweyk machen, mit Szenen aus Die letzten Tage der Menschheit dazwischengeschnitten, so daß man oben die herrschenden Mächte sehen kann und unten den Soldaten, der ihre großen Pläne überlebt hat.44 Dass Brecht auch in seinen späteren DDR-Jahren – trotz aller Enttäuschung über den politischen „Umfall“ von Kraus in den Jahren 1934/35 – weiterhin an seiner Hochschätzung des „linken“ Kraus der späten zwanziger Jahre festgehalten hat, haben aus eigener Erfahrung sowohl Caroline Kohn als auch Hans Mayer bestätigt.45 Ja, dafür sprechen sogar noch drei andere Belege: So schlug Brecht in einem Brief vom 3. Januar 1952 an die Sektion Dichtkunst und Sprachpflege der Deutschen Akademie der Künste in Ostberlin vor, in die Lektürelisten der Grundschulen der DDR unbedingt den Text „Ein sterbender Soldat“ aus dem Epilog der Letzten Tage der Menschheit aufzunehmen.46 Anfang Juli 1954 erklärte er in einem Gespräch mit Lotte Sternbach-Gärtner (d. i. Caroline Kohn), die ihn in Paris anlässlich eines vielbeachteten Gastspiels des Berliner Ensembles im Théâtre Sarah Bernhardt interviewte, im Hinblick auf Kraus: Ein echter Theatermensch! Jedesmal, wenn er in Berlin war, kam er an den Vormittagen zu uns ins Theater. Er wußte mehr über Theaterdinge als alle Kritiker, alle Fachleute zusammengenommen! Ich habe von ihm unendlich viel gelernt und wir hatten leidenschaftliche Diskussionen. Wie gerne würde ich einen Nestroy oder einen Shakespeare in seiner klugen und künstlerisch durchdachten Fassung spielen! Einmal werde ich es sicher tun!47

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Als darauf Franz Leschnitzer im Herbst 1954 einen marxistisch gemeinten Angriff auf Kraus in Sinn und Form veröffentlichen wollte, teilte ihm Peter Huchel, der Chefredakteur dieser Zeitschrift, in einem Brief vom 16. November mit, dass „das Redaktionskollegium (Brecht, Jhering, Renn) die Ansicht vertrete, daß man in der gegenwärtigen Situation unmöglich eine so scharfe Karl-Kraus-Abrechnung publizieren könne, zumal es in Westdeutschland weite Kreise gebe, die Kraus verehren und mit uns Schulter an Schulter gegen das Adenauer-Regime und für eine friedliche Lösung der deutschen Frage kämpfen“. „Brecht meinte“, fuhr Huchel in diesem Brief fort, „man könne Ihre Arbeit erst veröffentlichen, wenn man vorher eine positive Analyse über Karl Kraus gebracht habe.“48 Dieser Aufsatz erschien darum unter dem Titel „Der Fall Karl Kraus“ erst nach Brechts Tod im November 1956 in der Neuen Deutschen Literatur.49 III Welches Fazit soll man aus der Fülle dieser nachweisbaren Fakten, ob nun den persönlichen Begegnungen, den gedruckten und den privaten Äußerungen oder den literarischen Bezugspunkten zwischen Kraus und Brecht, ziehen? Schließlich gibt es hier sowohl Positives als auch Negatives, sowohl Gleichbleibendes als auch Sich-Wandelndes, sowohl Bedeutsames als auch Beiläufiges, so dass jeder Versuch, darin einen vergleichbaren Grundzug aufzuspüren, von vornherein unmöglich erscheint. Und doch spürt man bei näherer Betrachtung immer wieder, dass es zwischen diesen beiden Autoren nicht nur menschlich und literaturgeschichtlich, sondern auch ideologisch viele Berührungspunkte gibt. Beginnen wir bei dem Versuch, vor allem die Gemeinsamkeiten zwischen Kraus und Brecht zu betonen, mit einem Hinweis auf ihr soziales Herkommen. Beide waren fehlgeleitete „Bürger“, die zeit ihres Lebens das ihnen angeborene Oberklassenbewusstsein gewaltsam zu unterdrücken versuchten: der eine mit hasserfüllten, wenn auch hochgestochenen Invektiven gegen das ihn umgebende Justemilieu, der andere mit einer im Laufe der späten zwanziger Jahre erworbenen marxistischen Grundorientierung, die sich an den revolutionären Zielen der Arbeiterklasse orientierte. Auf den ersten Blick lassen sich diese beiden Haltungen kaum auf einen sie verbindenden ideologischen Nenner bringen. Und doch haben sie in ihrer Frontstellung gegen die „verkehrte Welt“ durchaus manches Gemeinsame. Schließlich wollten beide in letzter Konsequenz das ganz Andere, ob nun eine Rückkehr zum „Ursprünglichen“ wie bei Kraus50 oder ein Fortschreiten zu einer „besseren, bewohnbaren Welt“ wie bei Brecht, in der es keine Kriege und keine Ausbeutung mehr geben würde.

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Sowohl Kraus als auch Brecht verfuhren dabei so radikal wie nur möglich: der eine als Einzelgänger, der jedoch in den späten zwanziger Jahren auch nach möglichen Bundesgenossen Ausschau hielt, der andere als selbsternannter Parteigänger der Arbeiterklasse, der er bis zu seinem Tode die Treue hielt. Beide waren daher unerbittliche Gegner des Nazifaschismus, wenn auch Kraus seine 1933/34 geschriebene Dritte Walpurgisnacht, in der er dem Dritten Reich in aller Schärfe die Leviten las, nicht zu veröffentlichen wagte, während Brecht nach 1933 in seinen Angriffen gegen den „Anstreicher“ Hitler auch in der Öffentlichkeit, wie auf dem Pariser Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur von 1935, kein Blatt vor den Mund nahm. Obwohl also Brecht in den Jahren 1933/34 erst über das Schweigen von Kraus und dann über dessen Bekenntnis zum Dollfuß-Regime zutiefst enttäuscht war, ließ er sich auch in der Folgezeit nicht davon abbringen, in Kraus weiterhin einen seiner bedeutendsten Mentoren zu sehen. Schließlich hatte ihn in den schwierigen Jahren vor und nach der Machtübergabe an Hitler nicht nur Kraus’ persönliche Zuneigung, sondern auch die satirische Schärfe seiner Schriften nachhaltig beeindruckt. Dafür ließen sich viele der Brechtschen kritisch gemeinten Wortspiele und Zitatverdrehungen, und zwar nicht nur in seinen Geschichten vom Herrn Keuner, den Flüchtlingsgesprächen sowie dem Me-ti, sondern auch in zahlreichen seiner Dramen, Essays und Gedichte aus dieser Zeit, heranziehen. Ebenso beeindruckend müssen die vielen öffentlichen „Vorlesungen“ von Kraus auf den jungen Brecht gewirkt haben. Schließlich waren die Krausschen Offenbachiaden, die er 1926 in Wien begann und 1928 in Berlin fortsetzte, alles andere als bloße „Vorlesungen“, mit denen er lediglich die französischen Grand Opéras und die Wagnerschen Musikdramen parodieren wollte. Indem Kraus dabei sowohl sprach, sang und gestikulierte, erwies er sich damit zugleich als ein wichtiger Anreger jener Form des epischen Theaters, die auch Brecht in den gleichen Jahren mit seiner Dreigroschenoper, dem Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny sowie den darauffolgenden Lehrstücken anstrebte. In dieser Hinsicht gibt es daher für die an theatergeschichtlichen Aspekten Interessierten zweifellos noch viel zu entdecken. Was man bei solchen Vergleichen in der älteren Sekundärliteratur zu Brecht bisher herangezogen hat, beschränkt sich meist auf rein Stoffliches. Eine der Ersten, die auf derartige Bezüge aufmerksam machte, war Lotte Sternbach-Gärtner (Caroline Kohn), die bereits 1958 darauf hinwies, wie nachhaltig gerade Die letzten Tage der Menschheit auf Brechts Dramatik eingewirkt hätten.51 Darauf war es Jens Malte Fischer, der 1974 im Hinblick auf Die Unüberwindlichen von Kraus erklärte:

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Wie hier Elemente des Dokumentartheaters, der Revue, des Zeitstücks, des surrealistischen Theaters, des Shakespeareschen Monologs, des Kabaretts vereint werden, das steht weltliterarisch einzigartig da und hat nicht nur auf Brecht und das Theater der zwanziger Jahre Eindruck gemacht, sondern auch vieles vorweggenommen, was später als Neuerung bestaunt wurde.52 Georg Knepler stellte im Jahr 1984 vor allem den durchaus ähnlichen Antinaturalismus in den dramatischen Bemühungen von Kraus und Brecht heraus, mit dem beide versucht hätten, den Eindruck der „Scheinwirklichkeit“ zu vermeiden.53 Ja, Günter Hartung charakterisierte 1987 Die letzten Tage der Menschheit von Kraus im Sinne Brechts als durchaus „antiaristotelisch“.54 Nadežda Dakova betonte dagegen im gleichen Jahr, welche Bedeutung der Aphorismus und vor allem der sokratische Dialog für Kraus und Brecht gehabt hätten, wobei sie unter anderem auf die strukturelle Ähnlichkeit der Gespräche zwischen dem Nörgler und dem Optimisten in Die letzten Tage der Menschheit mit den Dialogen zwischen Kalle und Ziffel in Brechts Flüchtlingsgesprächen hinwies.55 Wohl die ausführlichste Analyse dieser Art legte 1991 Dieter Reinhold Krantz vor, der darauf hinwies, dass bereits Kraus, wie später Brecht, in seiner Abneigung gegen das „Schauspielertheater“ die Opernbühne in einen „Hörsaal“ zu verwandeln suchte, um den Zuschauern „keine Identifikation“ mit den auftretenden Akteuren zu erlauben.56 Beide hätten sich gleichermaßen um „Lehrstücke“ bemüht, bei denen man den Schauspielern die Rolle von „Zeigenden“ zugewiesen habe, was er anhand eines detaillierten Vergleichs der Stücke Die letzten Tage der Menschheit und Furcht und Elend des Dritten Reiches zu belegen versuchte.57 Eine solche Untersuchung wäre sicher noch überzeugender ausgefallen, wenn er dafür auch Stücke wie Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui sowie Schweyk im Zweiten Weltkrieg herangezogen hätte. Kurzum: In dieser Hinsicht ließe sich sicher noch vieles anführen. Dazu konnte jedoch in Form eines kürzeren Essays nur ein erster Ansatz geboten werden, in dem sowohl auf das Gemeinsame als auch auf das Trennende hingewiesen werden sollte, statt lediglich – wie meist zuvor – den grundsätzlichen Unterschied zwischen diesen beiden Autoren herauszustellen. Schließlich handelt es sich bei Kraus und Brecht um die zwei bedeutendsten Satiriker der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, die beide zeit ihres Lebens gegen die reaktionäre Übermacht der bürgerlichen Gesellschaft anzuschreiben versuchten. Mag auch der eine dabei von einer grundsätzlich negativistischen Sicht der herrschenden Verhältnisse ausgegangen sein, das heißt sich nie mit der Möglichkeit einer Ablösung durch

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Über die Vergleichbarkeit des Unvergleichlichen

ein anderes Gesellschaftssystem befasst haben, während sich der andere seit seiner Hinwendung zum Marxismus in den späten zwanziger Jahren – entgegen allen Zweifeln an der Realisierung einer andersgearteten, auf den Maximen des Sozialismus beruhenden Gesellschaft – immer wieder zu der Hoffnung auf eine Veränderbarkeit der bestehenden Verhältnisse durchgerungen hat. Dieser Unterschied sollte keineswegs übersehen werden. Aber in der Schärfe ihrer Kritik sowie ihrer Vorliebe für den lehrstückhaften Charakter des epischen Theaters waren sich beide durchaus einig. Und das bleibt letztlich das Vergleichbare im Unvergleichlichen ihrer literarischen Bemühungen, deren politische Brisanz – bei genauerem Hinsehen – bis heute keineswegs nachgelassen hat.58

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GESCHEITERTER ANTIFASCHISMUS Von Tollers Der entfesselte Wotan (1923) bis zu Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches (1935–1938)

I Wie kam es eigentlich in den späten Jahren der Weimarer Republik zum Aufstieg und dann zum Sieg jener Hitler-Partei, wie die NSDAP damals noch allgemein hieß, in der man vor 1929/30 noch keine ernstzunehmende Bedrohung der demokratischen Ordnung gesehen hatte? Schließlich waren die Anfänge dieser rechtsradikalen, weithin als spezifisch bayrisches Phänomen geltenden Splittergruppe so kläglich gewesen, dass sie außerhalb Münchens fast niemand beachtet hatte. Vor allem in den turbulenten Jahren nach der Novemberrevolution, als es allerorten zu Gewalttaten und Aufständen kam, ließ sich eine solche Entwicklung noch keineswegs vorhersehen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit galten die Freikorpsverbände und die Männer des Kapp-Putsches als die Hauptvertreter des Rechtsradikalismus. Adolf Hitler blieb dagegen jahrelang eine relativ unbekannte Größe.1 Bei der ersten öffentlichen Veranstaltung der NSDAP in München im Februar 1920, bei der Hitler als Redner auftrat, stellten sich nur 107 Zuhörer ein. Erst 1921 und 1922, als er im Zirkus Krone und im Hofbräuhaus-Saal sprach, stieg der Zahl jener, die sich von ihm begeistern ließen, allmählich an. Doch eine größere Aufmerksamkeit erregte erst sein berühmter Marsch auf die Münchner Feldherrnhalle vom 9. November 1923, der allerdings – wegen mangelnder Massenbeteiligung – in einem jämmerlichen Fiasko endete. Darauf wurde Hitler am 1. April 1924 zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, jedoch nach gut acht Monaten wieder entlassen. Anschließend brauchte er fast zwei Jahre, um die NSDAP wieder neu zu organisieren, konnte aber anderen Rechtsparteien wie der Deutschnationalen Volkspartei nicht den Rang streitig machen. Und so ging Hitler nach 1923, als jene „relative Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ innerhalb der Weimarer Republik einsetzte, die allen Umsturzversuchen vorerst ein Ende bereitete, als kleiner Putschist, den fast niemand mehr als gefährlich erachtete, allmählich in die Geschichte ein. Er wurde noch eine Weile als lokalbayrisches Phänomen belächelt – und schließlich ad acta gelegt. Und an dieser Sicht änderte sich auch in der Folgezeit nicht viel. Hitler und seine NSDAP erschienen den meisten als lokale Randerscheinung, über die man sich außerhalb Bayerns weitgehend lustig machte. All das

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galt als Hofbräurevolte, als Rowdybewegung, als operettenhafter Atavismus. In den Witzblättern des Winters 1923/24 tauchte daher Hitler lediglich als tätowierter Kopfjäger mit Federn im Haar und einem Ring durch die Nase auf,2 während seine Anhänger als schnauzbärtige Bierphilister mit dümmlich aufgerissenen Augen mit Pupillen in Form von Hakenkreuzen dargestellt wurden.3 Auf derselben Ebene liegen die meisten literarischen Einschätzungen des Nazifaschismus aus dieser Zeit. Auch in ihnen dominiert vorwiegend das Höhnische und Verulkende. Noch das hellsichtigste dieser Werke ist die dramatische Farce Der entfesselte Wotan (1923) von Ernst Toller. Ihr „Held“ ist ein spießig-verklemmter Barbier namens Wilhelm Dietrich Wotan, der im Inflationstaumel des Jahres 1923 von einer chauvinistischen Rage ergriffen wird und sich zusehends mit rechtsradikalen Freikorpsoffizieren, Junkern und Antisemiten umgibt. Mit der finanziellen Unterstützung eines Großkapitalisten nach dem Vorbild von Hugo Stinnes ereifert sich Wotan darauf unentwegt über die allgemeine „Zinsknechtschaft“ und will schließlich einen Feldzug gegen den Kommunismus eröffnen, um so den „Pestsumpf des Materialismus“ trockenzulegen.4 Als Ausgangspunkt dieser Aktion wählt er Bayern, da dort der schärfste Antisemitismus herrsche. Doch am Schluss zerplatzt das Ganze wie eine Seifenblase: Wotan wird verhaftet, jedoch von dem ihn arretierenden Polizisten getröstet, dass er „vom Gesetz nichts zu fürchten“ habe.5 Darauf entscheidet sich Wotan, den während seiner kurzen Festungshaft geschriebenen Memoiren den Titel „Der Dolchstoß kurz vorm Ziel“ zu geben. Ähnliche, wenn auch weniger konkrete Hitler-Satiren finden sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bei anderen linksorientierten Autoren. So stellte etwa Erich Weinert am 29. November 1923 in der Weltbühne Hitler als einen übergeschnappten Dorfdeppen hin, der sich als Anführer einer Säuferrotte gibt.6 Kurt Tucholsky sprach kurze Zeit später vom „Barbiergehilfen Hitler“, ja sah in seinen Gefolgsleuten – im Vergleich zu den Intellektuellen der Action Française – mit „wenigen Ausnahmen arme Luder, schwach im Geist“ und voller Angst vor der „fixern Konkurrenz der Romanen und Juden“. Ihre Schriften seien daher nicht nur „anmaßend, kriecherisch und vereinsbrödlerisch“, sondern geradezu „unlesbar“.7 Die gleiche intellektuelle Geringschätzung den Nazifaschisten gegenüber liegt seiner Skizze „Reisende, meidet Bayern!“ zugrunde, in der er seine Berliner Freunde aufforderte, ihre Ferien – nach dem Hitler-Putsch – lieber in der Schweiz als im Allgäu zu verbringen.8 Und auch Erich Mühsam charakterisierte in seinem Gedicht „Die Wacht im Bürgerbräu“ die Hitler-Anhänger noch 1928 als eine „bajuwarische Horde“ von Oktoberfestrowdys, die nördlich der Mainlinie gar nicht denkbar seien.9

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Auch die theoretischen Analysen des Nazifaschismus drangen in den Anfangsjahren der Weimarer Republik nicht viel tiefer. Schließlich war die Hitler-Bewegung vor 1929 noch zu lokal begrenzt. So gewann sie 1928 – nach den Jahren der besagten „relativen Stabilisierung“ – bei den Reichstagswahlen nur 2,2 Prozent der Stimmen. Noch zu den besten zeitgenössischen Studien über die frühe NSDAP gehören Bücher wie Verschwörer. Beiträge zur Geschichte und Soziologie der deutschen nationalistischen Geheimbünde seit 1918 (1924) von Emil Julius Gumbel und Der Fascismus in Deutschland (1923) von Paul Kampffmeyer. Gumbel stellte Hitlers Ideologie als eine absolut verlogene, unoriginelle, aber gerade darum so gefährliche „Heilslehre“ hin.10 „Unfähig einen eigenen Gedanken zu haben“, propagiere Hitler nur solche Losungen, die an „jedem Stammtisch jeden Tag wiedergekäut werden können“. Doch gerade darin, heißt es, liege seine „Stärke“.11 Vor allem mit seinen Parolen gegen Juden und Marxisten, erklärte Gumbel, appelliere Hitler nicht nur an das bayrische Ressentiment gegen den „angeblich bolschewistisch verseuchten Norden“, sondern an den gesamten durch die Inflation „verarmten Mittelstand“ – und stelle somit eine Gefahr für ganz Deutschland dar.12 Auch Kampffmeyer sah in der Hitler-Bewegung einerseits eine bayrisch-kleinbürgerliche Reaktion auf die „rote Flut“ aus dem Norden, auf das „waschlappige, feige Berlin“, wie es damals in der Sprache des Völkischen Beobachters hieß,13 andererseits eine das ganze Reich bedrohende Gefahr des Rechtsradikalismus. Er forderte daher die Parteien der Weimarer Republik auf, alle nazifaschistischen Organisationen zu verbieten und stärker als bisher auf den Gedanken einer „organisierten Zusammenarbeit aller sozialen Parteien“ innerhalb der von den Sozialdemokraten und den bürgerlichen Parteien angestrebten „Wirtschaftsdemokratie“ hinzuweisen.14 II Doch derartige Warnungen wurden lange Zeit in den Wind geschlagen. Schließlich setzte nach 1923/24 jene Stabilisierungsperiode ein, durch die Deutschland im Jahr 1929 wie bereits 1913 – hinter den USA – wieder zur zweitstärksten Industrienation der Welt aufstieg. Eine konkrete Wirkungschance erhielten daher die Nazifaschisten erst nach dem Schwarzen Freitag des Jahres 1929, der darauffolgenden Weltwirtschaftskrise sowie der sich daraus ergebenden galoppierenden Arbeitslosigkeit, durch die sich immer breitere Schichten der Bevölkerung verführen ließen, mit irgendwelchen politischen Radikalkuren zu sympathisieren. Bei den Septemberwahlen des Jahres 1930 stieg daher die Zahl der nationalsozialistischen Reichstagsmandate von 12 auf 107 an. Nach diesen Wahlen war der Nazifaschismus kein lokalbayrisches Phänomen mehr, sondern eine politische Macht, mit

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der sich alle Parteien auseinandersetzen mussten. Von nun an konnte man die NSDAP, deren Mandate bei den Juliwahlen des Jahres 1932 auf 230 anwuchsen, nicht mehr belächeln oder gar verdrängen. Jetzt war sie die stärkste Partei im Reichstag, die sich anschickte, ihre bis dahin irreal klingenden Parolen in die Wirklichkeit umzusetzen. Allen Nichtnazis wurde damit eine Gegenwehr geradezu aufgezwungen. Zu welchen Formen des Widerstands kam es hierbei eigentlich? Auf Seiten der Rechten wurde die NSDAP zuerst als Konkurrenz beargwöhnt, dann widerwillig geduldet und schließlich – angesichts der im Gefolge der Weltwirtschaftskrise erneut aufflackernden „roten Gefahr“ – immer stärker unterstützt. Indem selbst Alfred Hugenberg, der Vorsitzende der Deutschnationalen Volkspartei, und vor allem der Großindustrielle Fritz Thyssen, der Hitler als den bedeutendsten deutschen Staatsmann nach Freiherr vom Stein hinstellte,15 für die NSDAP eintraten, wurde die mit dem Odium des Lumpenproletarischen behaftete Hitler-Bewegung von Jahr zu Jahr immer gesellschaftsfähiger. Nicht ganz so glatt vollzog sich der Anschluss der konservativen oder jungkonservativen Kulturtheoretiker an die Nazifaschisten, von denen viele – wie Edgar Jung, Ernst Jünger oder Oswald Spengler – weiterhin eine Einzelrolle zu spielen versuchten. Und auch viele der bürgerlichen Liberalen, die sich vorher gern als „Vernunftrepublikaner“, „Sachlizisten“ oder „gute Europäer“ bezeichnet hatten, nahmen anfangs eher eine überparteiliche Haltung ein, statt sich irgendwo „einzureihen“. Trotz der gewaltigen Wahlerfolge der populistisch auftretenden Nazifaschisten glaubten die meisten von ihnen um 1930 noch nicht, dass in einer „Kulturnation“ wie Deutschland ein halbgebildeter Schreihals wie Hitler je an die Macht kommen würde. Unter totaler Verkennung der tatsächlichen politischen und sozioökonomischen Situation setzten sie – zur Wahrung ihrer persönlichen Eigenheit – ihre „parteipolitische Unabhängigkeit“ weiterhin mit ihrer moralischen und künstlerischen „Integrität“ gleich.16 Wenn sich also Autoren wie Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Carl Zuckmayer, Stefan Zweig oder ihnen verwandte Schriftsteller überhaupt engagierten, dann nur in der Phalanx der „Geistigen“, die über allen Klassen und Parteien schwebt und als ihren Präsidentschaftskandidaten am liebsten einen Romancier wie Heinrich Mann gesehen hätte. Die literarischen Werke dieser Richtung sind daher alles andere – nur nicht parteipolitisch. Statt auf das Niveau des Gegners herabzusteigen, bezogen ihre Vertreter lieber eine geistig überlegene Haltung, das heißt die des Verschweigens, des Belächelns, der Verschleierung ins Allegorische oder der Entrückung in die Geschichte. Zugegeben, es gab auch jene Linksliberalen, die sich unter anderem um die Weltbühne scharten, aber

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auch sonstwo publizierten. Jedoch auch sie blieben weitgehend „überparteilich“.17 Man denke an Kurt Tucholsky, der selbst nach 1929/30 in den Nazifaschisten weiterhin jene „kleinen Leute“ sah, die nun einmal aufs Klamaukmachen aus seien.18 Was er daher gegen sie ins Feld führte, war vor allem das Mittel der satirischen Veralberung. So stellte er Hitler gern als antiken Cäsar, als Wilhelm III., als Schmierenschauspieler oder als Aufsatzhelden hin, der in drei Teile zerfalle: „in einen legalen, in einen wirklichen und in Goebbels, welcher bei ihm die Stelle u. a. des Mundes vertritt.“19 Auch der Ton der anderen Weltbühne-Autoren wurde zu diesem Zeitpunkt von Monat zu Monat ideologisch immer unorientierter. Da sie – wegen der zunehmenden Selbstnazifizierung des Bürgertums – allmählich ihre Hintermannschaft verloren, schwankten sie zusehends zwischen Hoffnungslosigkeit, Zynismus und Zweckoptimismus hin und her. So schrieb etwa Axel Eggebrecht Anfang 1932 angesichts der überwältigenden Wahlerfolge der NSDAP: „Wir sind dabei, uns selber aufzugeben. […] Es ist vorbei, man legt die Hände in den Schoß und wartet auf Hitler.“20 Ja, Leopold Schwarzschild erklärte damals im Tagebuch im Hinblick auf Hitler: „Laßt ihn heran!“, um dem deutschen Volk endlich die Augen über die Unfähigkeit dieses Gangsters zu öffnen.21 III Doch welche Form nahm eigentlich die antifaschistische Gesinnung jener Literaten an, die sich nach 1929 parteipolitisch der SPD oder der KPD anschlossen? Auf Seiten der SPD-Literatur ist da nicht viel zu finden. Von Organisationen wie dem Reichsbanner und der Eisernen Front einmal abgesehen, wurden hier nur Vertreter und Vertreterinnen des linken Flügels wie Anna Siemsen und Karl Schröder wirklich aktiv gegen den Nazifaschismus. Dafür spricht nicht nur die Ende 1930 einsetzende antifaschistische Kritik in der von Schröder herausgegebenen Zeitschrift Der Bücherkreis, sondern auch sein Roman Klasse im Kampf (1932), in dem er die deutschen Arbeiter zu einer Einheitsfront gegen die nazifaschistische Bedrohung aufrief.22 Doch leider wurden derartige Bestrebungen von der SPD-Parteileitung nicht genügend unterstützt. Im Gegenteil, so ließen etwa die Parteigewaltigen 1932 die von Sergej Tschachotin und Carlo Mierendorff verfasste Broschüre Grundlagen und Formen politischer Propaganda, die sich gegen die NSDAP wandte, aus Angst vor den Nazifaschisten wieder einstampfen.23 Die KPD, die in der Hitler-Bewegung ihren Hauptgegner sah, hat dagegen aus ihrem Hass auf die „braunen Horden“ kein Hehl gemacht. Anfangs dominierte dabei in ihren Reihen ein eindeutig revolutionärer Optimismus, sich im Endkampf mit der NSDAP als die stärkere Partei zu

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erweisen. So heißt es etwa 1929 in einem der ersten Hefte der von ihr herausgegebenen Linkskurve, dass die „sozialfaschistisch“ eingestellte SPD „in immer schnellerem Tempo ihren Einfluß unter den Proletariern“ verliere und dass sicher bald ein „zweiter Novembersturm“ die sozialdemokratischen und nazifaschistischen Handlanger des Kapitals „hinwegfegen“ werde.24 Während der Wahlkämpfe des Jahres 1930 äußerte sich dagegen die KPD schon etwas weniger optimistisch. Um der NSDAP, dieser „Knüppelgarde der Unternehmer“, wie es von nun an hieß, in Zukunft wirksamer entgegentreten zu können, proklamierte sie jetzt eine „proletarische Einheitsfront von unten“, die neben den Fabrikarbeitern auch die „Massen der Landarbeiter, das notleidende städtische Kleinbürgertum, […] die Handwerker, die verarmten Kleinbauernmassen“ umfassen sollte, um diese Schichten nicht widerstandslos an die Hitler-Bewegung zu verlieren.25 Noch dringlicher wurden solche Stimmen nach den verlorenen Septemberwahlen des Jahres 1930.26 Lediglich wenn es um freischwebende Intellektuelle ging, waren derartige Bündnisangebote nicht immer absolut eindeutig. So wurden zwar einige Linksliberale in dieser Zeit von den Kommunisten einerseits umworben, jedoch andererseits als „illusionslos“ hingestellt und damit in die Isolation getrieben. Dafür ist die KPD später oft gerügt worden. Dennoch war sie, wie Hans-Albert Walter Anfang der siebziger Jahre zu Recht erklärte, angesichts der „wachsenden Faschisierung im bürgerlichen Lager, der hilflosen Haltung der SPD und der fehlenden Massenwirkung der Splittergruppen“ letztlich die „einzige Partei“, die „eine konsequent antifaschistische Haltung zeigte und eine gesellschaftliche Alternative bot“.27 Auf kulturellem Sektor organisierten sich die Vertreter dieser Richtung vor allem im Rahmen des Münzenberg-Konzerns, der Assoziation revolutionärer bildender Künstler und im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Was dabei im Vordergrund stand, war stets die Frage der politischen Effektivität, weshalb man neben den herkömmlichen ästhetischen Ausdrucksmitteln auch eine Fülle neuer Agitpropformen entwickelte. Innerhalb der bildenden Künste waren das primär die satirischen Zeichnungen in den Parteiorganen28 sowie die Photomontagen John Heartfields in der Arbeiter-Illustrierten Zeitung, in denen Hitler als S. M. Adolf, als vom Großkapital bezahlter Handlanger oder als blechredender Übermensch erschien. Auf dem Gebiet der Literatur boten sich als besonders effektive Agitationsformen das Marschlied, der Rotsong oder das satirische Gedicht an. Neben vielen anonymen oder aus der Sowjetunion importierten Texten waren es hier besonders die Gedichte Erich Weinerts, die ein gewisses Aufsehen erregten. Wie viele seiner liberalen oder linksliberalen Kollegen hatte Weinert die Nazifaschisten vor 1929/30

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weitgehend als Bierhelden oder antisemitische Raufbrüder angegriffen.29 Nach diesem Zeitpunkt sah er in ihnen nur noch die Schlägertruppen des Kapitals. Seine Witze über die „Nazizigeuner“30 traten daher zusehends hinter Aufrufen zurück, in denen er sich im Sinne der KPD für eine „proletarische Einheitsfront von unten“31 einsetzte und womit er die Masse der „Unwissenden“ für die Idee eines Sowjetdeutschlands der „Arbeiter, Bauern und Soldaten“ zu gewinnen hoffte.32 Die gleiche Aktualität strebte das kommunistische Kampftheater dieser Jahre an. Vor allem Gruppen wie Das Rote Sprachrohr und Die roten Ratten spielten seit 1930 immer wieder Szenen wie Nazis unter sich oder Für die Sowjetmacht, in denen sie die nazifaschistische Arbeiterverdummung mit der Arbeiterbefreiung in der UdSSR konfrontierten. Hitler und seine SA-Leute traten dabei nicht nur als Hampelmänner, sondern auch als ernstzunehmende Gegner auf, denen man mit aller Schärfe zu Leibe rücken müsse, falls man sie überhaupt besiegen könne. In der Pointiertheit ihres Antifaschismus lassen sich diese Szenen lediglich mit Agitpropdramen wie Die Jungens von Mons (1931) und Bauer Baetz (1932) von Friedrich Wolf oder Die Mausefalle (1931) von Gustav von Wangenheim vergleichen, die sich ebenfalls bemühten, auch die kleinen Angestellten und Landarbeiter in letzter Minute für eine kommunistische Einheitsfront zu gewinnen. Dieselbe Tendenz herrschte in den antifaschistischen Roten EineMark-Romanen dieser Jahre vor. Wohl das wichtigste Werk dieser Gruppe ist der Roman Rosenhofstraße (1931) von Willi Bredel, in dem es um den Aufbau einer Roten Zelle in einer Hamburger Arbeitergegend geht. Dass die Kommunisten – angesichts der sozialen und ökonomischen Übermacht der Nazifaschisten und der mit ihnen liierten Schichten – überhaupt Fortschritte erzielten, führt Bredel dabei vor allem auf die proletarische Solidarität und ihre geschickten Agitproptaktiken zurück. Ebenso eindrucksvoll wird diese Konfrontation in seinem Roman Der Eigentumsparagraph dargestellt, der jedoch im Frühjahr 1933 – kurz vor seiner Auslieferung – von den Nazifaschisten eingestampft wurde. Er handelt vom Arbeitskampf in einer Großwäscherei, deren Besitzer die NSDAP unterstützt, während die Arbeiter in Kommunisten, Sozialdemokraten und Hitler-Anhänger gespalten sind. Die NSDAP erscheint diesmal rein als die Partei des Kapitals, deren zentraler Programmpunkt der Schutz des Eigentums ist. Während in der Rosenhofstraße, trotz aller Terrormaßnahmen der NSDAP, auf Seiten der Kommunisten noch ein revolutionärer Optimismus geherrscht hatte, steht hier bereits der Kampf ums nackte Überleben im Vordergrund. Das Ganze schließt daher mit der Beerdigung eines ermordeten Genossen, auf der zwar noch immer von einer „proletarischen Revolution“ die Rede ist, alle Teilnehmer jedoch einen recht gedrückten Eindruck erwecken.33

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Wie hoffnungsvoll und zugleich deprimiert manche dieser Autoren bei der Niederschrift derartiger Werke waren, beweist wohl am besten das Buch Deutschland erwache! Geschichte des Nationalsozialismus (1932) von Ernst Ottwalt, das einerseits ständig die Siegeshoffnungen der KPD beschwört, jedoch andererseits in Hitler und seiner NSDAP bereits das Vorspiel zu einer „Diktatur des Trustkapitals“ sieht – und dann mit der doppeldeutigen Frage schließt: „Kann dieser Entwicklung Einhalt geboten werden?“34 IV Einer der Linken, der selbst zu diesem Zeitpunkt weiterhin hoffte, dass der Vormarsch der braunen Horden doch noch aufzuhalten sei, war Bertolt Brecht. Nachdem er in seinen Anfängen als ungebärdiger Bürgerschreck noch vornehmlich anarchistische Anschauungen vertreten hatte, war er 1928/29 durch das Studium der marxistischen Klassiker und durch Gespräche mit dem linksorientierten Philosophen Karl Korsch zu der Einsicht gelangt, dass es im Ankampf gegen die „versumpfte“ Welt der großen Städte nicht ausreiche, sie – wie in dem 1927 konzipierten Stück Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und dann in seiner Dreigroschenoper von 1928 – lediglich als einen Hexenkessel wild aufflackernder Triebe und Bereicherungsgelüste zu karikieren, sondern dass man dabei auch effektive Gegenkräfte ins Auge fassen müsse. Als die einzige Partei, die sowohl in aller Entschiedenheit gegen das rücksichtslose kapitalistische Geschäftsgebaren als auch gegen den Herrschaftsanspruch der Hitler-Bewegung auftrat, kam hierbei für ihn um 1929/30 – nach der Selbstnazifizierung des Bürgertums und der ideologischen Hilflosigkeit der sogenannten Liberalen – nur die KPD in Frage. Schließlich war es diese Partei, die im Sinne Georgi Dimitroffs bereits seit 1924 die These vertreten hatte, dass der Faschismus keine von völkischen Idealen beseelte Erweckungsbewegung, sondern eine terroristische Organisation sei, die einzig und allein im Dienst der reaktionärsten und chauvinistischsten Elemente des Finanzkapitals stehe. Obwohl sich Brecht der KPD nicht als Mitglied anschloss, fand er diese Sicht so überzeugend, dass er sie fast allen seinen Werken zwischen 1930 und 1933, ja noch weit darüber hinaus, zugrunde legte und keineswegs zögerte, sich dabei auch handfester Agitpropmethoden zu bedienen. Dafür sprechen sowohl sein Stück Die Mutter (1931), in dem er die Handlung des gleichnamigen Romans von Maxim Gorki in die siegreiche Oktoberrevolution überleitete, das Lehrstück Die Maßnahme (1929/30), in dem es um das Problem der Gewaltanwendung innerhalb noch „unreifer“ revolutionärer Vorgänge geht, als auch Die heilige Johanna der Schlachthöfe

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(1929–1931), in dem die Entlarvung der Krisenanfälligkeit kapitalistischer Wirtschaftssysteme im Vordergrund steht. Doch auch die Gefahr, die von der inzwischen mächtig angewachsenen Hitler-Bewegung ausging, ließ Brecht in diesem Zeitraum keineswegs aus dem Auge. Das beweisen Agitpropgedichte wie „Der Führer hat gesagt“, „Als der Faschismus immer stärker wurde“, „Das Lied vom SA-Mann“ sowie „Das Lied vom Klassenfeind“, in denen er sich in aller Schärfe gegen die nazifaschistische Demagogie der Klassenversöhnung wandte und stattdessen im Sinne der KPD eine „proletarische Einheitsfront von unten“ propagierte.35 Ja, Brecht war von der Wirkung derartiger Parolen so überzeugt, dass er im Herbst 1932 noch ein Landhaus im bayrischen Utting erwarb, da er wie die meisten Liberalen, Linksliberalen und auch viele Theoretiker der KPD eine unmittelbare Machtübernahme Hitlers für unmöglich hielt. Doch schon kurz darauf, wie wir wissen, sollte alles ganz anders kommen. Am 30. Januar 1933 ernannte Paul von Hindenburg auf Drängen der eine „Bolschewisierung“ Deutschlands befürchtenden Großindustriellen und Großagrarier Hitler zum neuen Reichskanzler. Und der tat genau das, was diese Schichten von ihm erwartet hatten: Er machte mit den Vertretern der KPD und allen, die mit ihr sympathisiert hatten, nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933, für den er selbstverständlich die Kommunisten verantwortlich machte, kurzen Prozess. Er ließ sie ermorden, verhaftete sie, sperrte sie ein, entzog ihnen die Staatsbürgerschaft oder was es sonst noch an illegalen Druckmitteln gab. V Um derartigen Maßnahmen zu entgehen, floh Brecht mit seiner Familie schon am Tag nach dem Reichstagsbrand über Prag nach Wien. Noch immer wie Heinrich Mann und viele andere Linke darauf hoffend, dass der Hitler-Spuk höchstens sechs Monate dauern würde, bezog er darauf am Skovsbostrand auf der dänischen Insel Fünen ein leerstehendes Fischerhaus, um von dort aus – nach neuen Reichstagswahlen und einem möglichen Machtwechsel – so schnell wie möglich nach Deutschland zurückkehren zu können. Doch das Gegenteil trat ein. Die NSDAP erhielt zwar bei den Wahlen am 5. März 1933 nicht die erhoffte absolute Mehrheit, konnte aber mit Unterstützung des rechten Bürgerblocks ihre Machtstellung so schnell ausbauen, dass schließlich aus der untergegangenen Weimarer Republik ein Einparteienstaat wurde, in dem lediglich Hitler das Sagen hatte. Was nun? Wie so viele der nach Moskau, Prag oder Paris ins Exil ausgewichenen linken Autoren sah Brecht schließlich im Sommer 1933 ein, dass aufgrund der Vorgänge in Deutschland mit einer baldigen Rückkehr in die

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verlorene Heimat nicht zu rechnen sei, zog aber daraus nicht die Konsequenz, klein beizugeben, sondern reihte sich höchst aktiv in die Reihe jener kommunistischen Schriftsteller ein, die trotz des Siegeszugs Hitlers und seiner NSDAP weiterhin darauf hofften, dass sich dieses verbrecherische System mit seinen geheuchelten Volksgemeinschaftsparolen eines Tages mit einer „proletarischen Einheitsfront von unten“ wieder beseitigen lasse. Obwohl es innerhalb des Dritten Reichs nicht zu einem nennenswerten Widerstand gegen die braune Führungsclique kam, hielten diese Autoren an der von der Moskauer Kommunistischen Internationale ausgegebenen Losung hartnäckig fest, dass der Nazifaschismus lediglich eine verschärfte Form des Monopolkapitalismus sei, der sich seiner volksbeglückenden Phrasen nur bediene, um die Arbeiterklasse nicht merken zu lassen, dass es den braunen Machthabern letztlich nur um die Erhaltung, wenn nicht gar die Verstärkung der kapitalistischen Machtpositionen gehe. Darum ließen sie nicht davon ab, ihre Hoffnungen allein auf die besagte proletarische Einheitsfront zu setzen, das heißt, sie konzentrierten sich vornehmlich auf die Klassensituation, anstatt auch andere ideologische Faktoren in Betracht zu ziehen. Und das gilt auch für Brecht, obwohl er kein Mitglied der KPD war, aber in dieser Partei die einzig wirksame Gegenkraft zum Nazifaschismus sah. Davon zeugen vor allem jene zwei Werke, an denen er in den Jahren 1933 bis 1935 arbeitete. Das eine war eine Neufassung des ShakespeareStücks Measure for Measure, dem er bereits 1933 den Titel Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und Reich gesellt sich gern. Ein Greuelmärchen gab und das er im Frühjahr 1934 abschloss. Wie schon sein Name sagt, geht es in diesem Drama um zwei Themen: den rassischen Gegensatz zwischen den Rundköpfen und den Spitzköpfen, die als Tschuchen beziehungsweise Tschichen bezeichnet werden, sowie den Nichtgegensatz zwischen den reichen Tschuchen und den reichen Tschichen, die innerhalb des in diesem Stück als diktatorisch hingestellten Iberin-Regimes zur Erhaltung der bestehenden Eigentumsverhältnisse miteinander kooperieren. Die Anspielungen auf den NS-Staat sind dabei trotz aller parabelhaften Einkleidung nur allzu offensichtlich. Der Diktator Iberin erinnert an Hitler, die Tschuchen und die Tschichen gemahnen an die „Juden“ und „Arier“ und die Huas, die „Hutabschläger“, welche den jahooischen Staatsbürgern ihre Kopfbedeckungen abreißen, um sie auf ihre rassischen Merkmale überprüfen zu können, ähneln den Sturmabteilungen der SA. Man könnte also das Ganze durchaus als ein Stück gegen den nazifaschistischen Antisemitismus interpretieren. Darum geht es zwar auch, aber letztlich wollte Brecht damit eher herausstellen, dass selbst die Rassenfrage von der HitlerBewegung nur benutzt werde, um damit die weiterbestehenden Klassen-

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gegensätze zu verschleiern. Wie Hitler ist daher sein Iberin in erster Linie ein „Anstreicher“, der die sozialen Gegensätze mit rassistischen Parolen zu übertünchen versucht, um so von dem tiefergehenden Gegensatz zwischen den Besitzenden und Nichtbesitzenden abzulenken. Iberins Gegner in diesem Stück sind daher allein die sich in der Sichelbewegung zusammenschließenden armen Pächter unter der Landbevölkerung, während die Reichen unter den Tschuchen und Tschichen zwanglos miteinander fraternisieren. Das hat Brecht – vor allem von jüdischer Seite her – zu Recht manche Kritik eingetragen. Doch auch die Sichelbewegung war im Hinblick auf den Kampf gegen den Nazifaschismus der Jahre 1934/35 nicht unproblematisch. Schließlich spielt dieses Stück schon aufgrund seiner Vorlage in einem imaginären, weitgehend von Großgrundbesitzern und Bauern bewohnten Land, in dem ganz andere soziale Widersprüche und Konfliktsituationen herrschen als in der hochentwickelten Industriegesellschaft des damaligen Dritten Reichs, wo man die „Armen und Entrechteten“ nicht mehr wie in dem Iberin-Staat einfach unterdrücken konnte, sondern sich im Gegenteil bemühen musste, sie durch ideologische Verschleierungsmanöver und eine gewaltig aufgebauschte Unterhaltungsindustrie von ihren eigentlichen Interessen abzulenken, um sie vor den eigenen Karren spannen zu können. In Brechts Stück Die Rundköpfe und die Spitzköpfe siegt daher Iberin, indem er die aufrührerischen Pächter der Sichelbewegung einfach aufknüpfen lässt, während Hitler und sein höchst effektiver Propagandaminister Joseph Goebbels zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Dramas eher versuchten, große Teile der Arbeiter, die vor 1933 noch für die SPD oder KPD gestimmt hatten, mit geschickten Umarmungstaktiken für sich zu gewinnen. VI Trotz der bitteren Einsicht, wie erfolgreich die Nazifaschisten in dieser Hinsicht waren, ließ jedoch Brecht nicht davon ab, im Kampf gegen die braunen Horden weiterhin die von der KPD propagierte Einheitsfront zu befürworten. Wie energisch er sich dafür einsetzte, belegen vor allem jene antifaschistischen Agitpropgedichte, die er 1934 in dem von Willi Münzenberg in Paris gegründeten Exilverlag Éditions du Carrefour unter dem Titel Lieder Gedichte Chöre herausbrachte, von denen er hoffte, dass sich auch andere linke Exilautoren zu ähnlichen Publikationen entschließen würden. Ja, er hoffte sogar, dass man solche Texte nach Deutschland einschmuggeln könne, um die dortige Arbeiterklasse über die Verlogenheit der nazifaschistischen Volksgemeinschaftspropaganda aufzuklären und sie somit in ihrem Widerstandswillen gegen die NS-Diktatur zu bestärken.

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Um keinen Zweifel an seinen Überzeugungen zu lassen, ließ Brecht daher in diesen Gedichten alle bisherigen Differenzierungen weg und ging zum Teil zu „plumpen“ Beschimpfungen über.36 Das gilt vor allem für seine „Hitler-Choräle“, in denen er die Form des christlichen Chorals benutzte, um Hitler als einen kleinbürgerlichen Prediger im Dienste des Großkapitals und die ihm zuströmenden kleingläubigen Anhänger als eine Herde irregeleiteter Schafe hinstellen zu können. Dass in diesen Jahren so viele Deutsche, darunter selbst Teile der Arbeiterschaft, zu den Nazifaschisten überliefen, erregte Brecht, der sich so viel von der sozioökonomisch fundierten Überzeugungskraft der kommunistischen Parolen versprochen hatte, manchmal bis zur Weißglut. Daher das Aggressive, der ins Blasphemische übersteigerte Ton dieser „Choräle“, in denen Hitler, wie in seinem späteren Gedicht „Kälbermarsch“, als Metzger dargestellt wird, dem die dummen Rindviecher nur allzu willig ins Messer laufen. Doch fast noch wichtiger als der Metzger-Vergleich ist im Hinblick auf Hitler die Anstreicher-Metapher, die in Brechts Werken dieser Jahre immer wieder auftaucht. Und zwar erfüllte sie eine doppelte Funktion: Zum einen sollte sie in satirischer Form umschreiben, dass es der junge Hitler – trotz aller hochgespannten Ambitionen – nie bis zum Kunstmaler, sondern nur bis zum Anstreicher gebracht habe, zum anderen, dass Hitler seinen Anhängern zwar den Traum einer wahren Volkgemeinschaft und demzufolge eine Überwindung der alten Klassengegensätze vorzugaukeln versuche, sich aber in Wirklichkeit damit begnüge, den tiefen Riss, der nach wie vor zwischen den Ausbeutern und den Ausgebeuteten klaffe, einfach mit einem riesigen Pinsel zu übertünchen.37 Damit wollte Brecht sagen, dass Hitlers Bemühungen, dem längst baufälligen Haus des Kapitalismus einen neuen Anstrich zu geben, nur bedeutungslose „Schönheitsreparaturen“ seien,38 also das, wofür Walter Benjamin zu gleicher Zeit den Begriff der faschistischen „Ästhetisierung der Politik“ prägte. Allerdings drückte sich Brecht dabei weniger „gewählt“ aus. Um auch von den Ungebildeten verstanden zu werden, ging er wesentlich krasser vor. Er stellte diese Taktiken lediglich als den Versuch hin, die überall im gesellschaftlichen Gefüge auftauchenden Risse und Löcher einfach zuzukleistern oder zuzuschmieren. Ja, er behauptete sogar, dass dieser Anstreicher ganz Deutschland bloß „anschmieren“ wolle.39 Und mit dem Begriff „Schmiere“ ergab sich für ihn zugleich die Möglichkeit, Hitler als einen Schmierenschauspieler zu entlarven, wie er das später in seinem Arturo Ui (1941) und der Kriegsfibel (1944) getan hat. Um die Wirkungschancen dieser Gedichte zu erhöhen, wurden vielen von ihnen zugleich die Hanns Eislerschen Vertonungen beigegeben. Schließlich wusste Brecht seit seiner Frühzeit, dass Gedichte nur dann eine engagierende Wirkung haben, falls ihnen einprägsame Melodien unterge-

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legt werden. Aber funktionierte diese Absicht jetzt noch immer? Solange er in der späten Weimarer Republik – mit vielen anderen Gesinnungsgenossen – gegen die ständig wachsende Gefahr des Nazifaschismus anzukämpfen versucht hatte, hatten solche Bemühungen noch einen konkreten Sinn gehabt. Doch welche Funktion war einem Band wie Lieder Gedichte Chöre im Exil beschieden? Wer sollte ihn hier lesen, geschweige denn die darin abgedruckten Lieder singen? Waren nicht die aus Deutschland vertriebenen Linken plötzlich hoffnungslos versprengte Einzelne oder bestenfalls kleine Gruppen, denen es nur in den seltensten Fällen gelang, solche Publikationen durch unverdächtige Dritte nach Deutschland einzuschmuggeln? Und selbst wenn ihnen das gelingen sollte, wo waren denn im Dritten Reich effektive Widerstandskader, mit denen sich eine politische Front gegen die sich rasch konsolidierende Macht der Nazifaschisten aufbauen ließ? Alle diese Fragen stellte sich bereits Brecht, ohne vorerst eine sinnvolle Antwort darauf zu finden. Welche realpolitischen Zielsetzungen sollte also Brecht in der Folgezeit seinen Schriften gegen Hitler und den Nazifaschismus zugrunde legen? Waren nicht derartige Bemühungen – angesichts der mangelnden Widerstandskraft des deutschen Proletariats und der weiterbestehenden Affekte der westlichen Demokratien gegen die Sowjetunion sowie ihrer vorsichtigen Appeasement-Politik dem Dritten Reich gegenüber – von vornherein aussichtslos? Aber so leicht gab sich Brecht trotz mancher defätistischen Anfälle nicht geschlagen. Dafür spricht unter anderem seine Rede auf dem Pariser Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur im Juni 1935, in der er sich weiterhin zu einer proletarischen Einheitsfrontpolitik dem NS-Regime gegenüber bekannte, statt lediglich das „barbarische“ Kulturverhalten der Hitler-Bewegung anzugreifen. Die gleiche Sicht herrscht in seinen „Deutschen Satiren“ vor, die er 1936/37 für den Deutschen Freiheitssender in Moskau schrieb und die einer „aufklärerischen Gegenpropaganda im Sinne der Kominternpolitik“ dienen sollten.40 In ihnen wird Hitler – im Hinblick auf einen drohenden Zweiten Weltkrieg – vornehmlich als ein Volksverführer beziehungsweise In-den-Abgrund-Führer angegriffen, um diejenigen Bevölkerungsschichten innerhalb der Grenzen des Dritten Reichs aus ihrer ideologischen Narkose aufzuschrecken und zum Widerstand aufzurufen, in denen, wie er hoffte, noch Reste linker Gesinnungen schlummerten. Und zwar gebrauchte er dabei zum Teil eine reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen, die keine allzu großen ästhetischen Ansprüche an das anvisierte Publikum stellte, ja, er verwandte bei der Darstellung Hitlers sogar chaplineske Mittel des Grotesken, um so seiner Zuhörerschaft den anerzogenen Respekt vor der „Größe“ dieses Mannes auszutreiben.

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Statt Hitler, wie es die britischen Liberalen zum gleichen Zeitpunkt mit arroganter Pose taten, lediglich als lächerlichen Hampelmann oder Struwwelhitler zu karikieren, ging es Brecht in diesen Satiren eher darum, Hitler als unbarmherzigen Ausbeuter, ja als Mörder großer Teile seines Volkes anzugreifen. Allerdings zeigen diese Gedichte, wie sehr Brecht – nach seinen auf eine proletarische Einheitsfront vertrauenden Werken in der Zeit von 1931 bis 1935 – immer stärker zu der Einsicht kam, dass es Hitler mit seinen Hetzreden inzwischen gelungen war, selbst große Teile der deutschen Arbeiterklasse für sich zu gewinnen. Und so ist zwar in seinen „Deutschen Satiren“ ständig von Hitler, seinen Satrapen und den Großindustriellen, aber immer weniger von den aufzuklärenden Arbeitern die Rede. VII Wie ließ sich danach der Kampf gegen den Nazifaschismus weiterführen? Hatte nicht Hitler schon 1936/37 alle seine Ziele erreicht? Die ihm im Wege stehenden Widersacher innerhalb seiner eigenen Partei hatte er bereits 1934 in der sogenannten Nacht der langen Messer umbringen lassen, die deutsche Wirtschaft lief auf Hochtouren, es gab kaum noch Arbeitslose mehr, das Saarland und die autonome Stadt Danzig hatten sich in freien Wahlen für ihn entschieden, die in Berlin im Jahr 1936 stattfindenden Olympischen Spiele verliehen ihm einen internationalen Achtungserfolg, der Riefenstahl-Film Triumph des Willens erhielt 1937 auf der Pariser Weltausstellung einen ersten Preis, große Teile des katholischen und protestantischen Klerus bekannten sich zu ihm, 99 Prozent der Wahlberechtigten hatten im April 1938 für die deutsch-österreichische Wiedervereinigung gestimmt, die Großindustriellen strichen wieder beträchtliche Gewinne ein und die Kleinbürger und Arbeiter wurden durch Schlagermusik und Filmkomödien bei „guter Laune“ gehalten, wie sich Goebbels häufig ausdrückte, und begannen mehrheitlich, sich durch steigende Löhne und KDF-Begünstigungen als Teil der von Hitler propagierten „Volksgemeinschaft“ zu empfinden. Was also tun, um die demokratischen Länder des Westens zu bewegen, sich neben der UdSSR am Kampf gegen das NS-Regime zu beteiligen? Das ging letztlich nur, indem man sie auf den sogenannten inneren Terror der in Deutschland herrschenden Verhältnisse hinwies. Daher gab auch Brecht seine bisherige Hoffnung auf eine proletarische Einheitsfront zwangsläufig auf und entschloss sich im Sommer 1937, eine „Reihe von Schreckensszenen“ zu schreiben,41 die er im Juli 1938 fertigstellte und der er anfangs Titel wie „Deutschland, ein Greuelmärchen“, „Die Angst“ sowie „99 %“ gab, bis er sich entschied, das Ganze Furcht und Elend des Dritten Reiches zu nennen.

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Im Hinblick auf seine formale Ausgestaltung nannte Brecht dieses Stück eine realistische „Gestentafel“. Er wollte damit sagen, dass es ihm bei der Niederschrift dieser 24 Szenen vor allem darum gegangen sei, seinen Zuschauern oder Lesern zu zeigen, wie übermächtig der Nazifaschismus selbst in das Alltagsleben aller in Deutschland gebliebenen Menschen einzugreifen versuchte. Ob nun Bürger, Angestellte oder Arbeiter: Alle in diesen Szenen auftretenden Menschen kennen keine Normalität mehr, sondern reden oder flüstern, als ob ihnen ständig die Gestapo auf der Spur wäre. Jeder scheint hier jeden zu beargwöhnen: die Bürger die Bürger, die Angestellten die Angestellten, die Arbeiter die Arbeiter, ja sogar die Eltern ihre Kinder. Ob selbst jene, die vorgeben, stolz darauf zu seien, „was unser Führer aufgebaut hat“ und „weswegen uns alle Völker beneiden“, wie eine Köchin behauptet, wirklich so denken, bleibt unklar.42 Sie reden einfach so, wie es in diesem Regime üblich geworden ist.

Furcht und Elend des Dritten Reiches. Helene Weigel, Fred Düren und Friedrich Gnaß in der Szene „Volksbefragung“ (1957)

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Gut, es gibt auch einige geheime Widerständler, aber die meisten anderen, selbst die Vertreter der Unterklasse, passen sich aus Angst vor der „Obrigkeit“ einfach an. Während Arnold Zweig in seinem kurz darauf entworfenen Beil von Wandsbek, dem anderen Hauptwerk der Exilliteratur, in dem es um eine Innenansicht des Dritten Reichs geht, eher die von den „guten“ Bürgern als verführerische Normalität der gesellschaftlichen Zustände empfundene Realität des NS-Regimes darzustellen versuchte,43 haben bei Brecht sogar die eher gutgläubigen Bürger Angst, in den Augen des Blockwarts oder der SA-Führer „verdächtig“ zu wirken,44 und sagen lieber ständig „Heil Hitler“ oder in protestantischer Tradition „Gebt Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist“, um nur ja nicht aufzufallen. Lediglich in der letzten Szene, wo am 13. März 1938 im Radio einer Arbeiterfamilie die Nachricht ertönt, dass der Führer unter „ungeheurem Jubel“ gerade in Wien eingezogen sei, wollen einige Widerständler ein Flugblatt herausgeben, wissen jedoch nicht, was darauf stehen soll, bis eine der danebenstehenden Frauen sagt: „Am besten nur ein Wort: NEIN!“45 Und damit schließt das Ganze. Kommen wir zu Folgerungen. Von jenen Mitteln, mit denen die NSDAP zwischen 1933 und 1938 die Sympathien der deutschen Bevölkerung zu gewinnen suchte, ist in diesem Stück nirgendwo die Rede. In allen anekdotisch zugespitzten Episoden dieser Szenenfolge scheint es fast nur Mürrische, Verängstigte oder Verzweifelte zu geben, die in hoffnungsloser Vereinzelung ins Unpolitische auszuweichen versuchen, während die gegen das herrschende Terrorregime Aufbegehrenden an den Fingern einer Hand abzuzählen sind. So gesehen, scheinen die hier geschilderten Zustände geradezu nach einem Eingreifen von außen zu schreien, um dieser Vergiftung des Alltagslebens im Herrschaftsbereich der Nazifaschisten ein für allemal ein Ende zu bereiten. Damit wird deutlich, wie wenig Brecht zu diesem Zeitpunkt – nach allen ernüchternden Einsichten – von den Hoffnungen einiger Exilgruppen wie etwa der linksradikalen KPD-Opposition hielt, dass in Deutschland alle Bedingungen „reif, ja geradezu überreif für eine proletarische und sozialistische Revolution“ seien.46 Dennoch wollte er damit keiner pessimistischen Grundstimmung das Wort reden. Wie schon in Die Maßnahme versuchte Brecht mit der beschriebenen Szenenfolge in Furcht und Elend des Dritten Reiches eher zu zeigen, dass man angesichts der Übermacht des Gegners nicht einfach zu unbesonnenen Gegenschlägen ausholen dürfe, sondern auf einen opportunen Moment warten müsse, um so ein unsinniges Blutbad zu vermeiden. All dies war zwar einsichtsvoll, gab aber keine Antwort auf die Frage, warum in den Jahren davor so viele Deutsche zu den Nazifaschisten über-

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gelaufen waren. Hatten sie das wirklich nur aus Angst getan oder waren sie nicht eher der brauen Demagogie auf den Leim gegangen? Ließen sich solche Fragen nur sozioökonomisch beantworten? War es wirklich nur das Großkapital, das diese Terrorherrschaft herbeigeführt hatte, um sich seiner kommunistischen Widersacher entledigen zu können? Oder waren hierbei nicht auch massenpsychologische Affekte und kulturelle Verschleierungstaktiken beteiligt gewesen, die in ökonomischen Krisenzeiten häufig einen Umschlag aus dem Liberalen ins Reaktionäre bewirken können? Alle diese Fragen ließ Brecht im Jahr 1938 erst einmal unbeantwortet. Ihm ging es, wie gesagt, damals eher darum, in den um Deutschland herum liegenden Staaten irgendwelche noch existierenden Widerstandstendenzen anzufachen, was er durch eine Inszenierung dieses Stücks in Paris und den Abdruck einzelner Szenen in Exilzeitschriften wie Das Wort, Die neue Weltbühne sowie Maß und Wert zu erreichen suchte. Doch das waren, wie fast alle literarischen Angriffe auf Hitler und seine Nazifaschisten, nur winzige Tropfen auf einen heißen Stein, die schnell wieder verdunsteten. Schließlich unterschrieben England und Frankreich Ende September 1938 in München jenes berüchtigte Abkommen, das Hitler im Hinblick auf die Tschechoslowakei freie Hand ließ und ihn zwölf Monate später ermunterte, durch die Besetzung Polens jenen Zweiten Weltkrieg vom Zaun zu brechen, mit dem er vor allem den „Lebensraum“ des deutschen Volkes nach Osten machtvoll erweitern wollte, was ihn im Sommer 1941 – nach einer Reihe erfolgreicher Blitzkriege – sogar dazu verführte, die Sowjetunion zu überfallen. Und damit war nach all den Jahren gescheiterter Hoffnungen, dass sich der Nazifaschismus entweder durch eine in Deutschland wirksam werdende proletarische Gegenbewegung oder den gewaltsamen Eingriff westlicher Demokratien beseitigen lasse, Hitler erstmals auf einen Gegner gestoßen, dem er nicht gewachsen war.

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LEDIGLICH HARMLOSE BLÖDELEIEN? Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg (1943)

I Heroisches Pathos war Bertolt Brecht stets zuwider. Sich angesichts übermächtiger Gewalt als bramarbasierender Held aufzuspielen, empfand er als illusionär. Um der Gefahr zu entgehen, von den Mächtigen eingekerkert zu werden, wollte er sich lieber außerhalb der Gefängnisse „nützlich“ machen.1 Er war kein „Schillinger“, der zwar wohlgemeinten, aber letztlich unwirksamen Freiheitsduseleien huldigte. Seine politischen Leitbilder waren demzufolge nicht jene hochtrabenden Marquis-Posa-Figuren der angeblich „klassischen“ Literatur, sondern weitgehend jene kleinen Leute, die aufgrund ihrer Armut und Machtlosigkeit von jung auf gelernt hätten, wie gefährlich jede offen zur Schau getragene Widersetzlichkeit gegen die Machenschaften jener „Großkopfeten“ ist, welche nicht davor zurückschrecken würden, alle Infragestellungen ihrer Herrschaft so brutal wie nur möglich zu unterdrücken. Viele seiner Dramenfiguren sind demzufolge kleinbürgerliche oder proletarische Überlebensstrategen, die es sich nicht leisten können, rebellisch aufzutreten und dabei ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Sie passen sich lieber vorübergehend an, mucken nur im Geheimen auf, ziehen sich eine Tarnkappe über den Kopf oder witzeln bloß auf eine untergründige Weise über die jeweils Herrschenden. Kurzum: Sie drücken ihre Widersetzlichkeit lediglich in Formen aus, die ihnen unter den gegebenen politischen Umständen als die einzig möglichen erscheinen. Vorbilder einer solchen Haltung fand Brecht, wie bekannt, bereits in den zwanziger Jahren in einem genial-skurrilen Witzbold wie Karl Valentin, dem „Little Tramp“ in den Filmen Charlie Chaplins sowie dem hintergründig palavernden „braven Soldaten Schwejk“ von Jaroslav Hašek. Vor allem Hašeks Schwejk-Roman (1921–1923), den er mehrfach als einen der drei besten Romane des frühen 20. Jahrhunderts bezeichnete, zog ihn im Laufe seines Lebens immer wieder an. Was ihn an Hašek beeindruckte, war nicht nur, dass dieser 1918 Mitglied der Kommunistischen Partei der UdSSR geworden war, sondern auch, dass dieser Autor seine neuerworbene Gesinnung, statt sie in hohlklingende Phrasen einzukleiden, in bewusst blödelnden Satiren zum Ausdruck gebracht hatte, um so seinem Hass gegen die endlich überwundene Habsburger Oberherrschaft in Böh-

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men und Mähren eine möglichst wirksame Form zu geben.2 Schon 1927 arbeitete deshalb Brecht mit Felix Gasbarra und Leo Lania an einer Fassung dieses Romans für die Berliner Piscator-Bühne, zu der George Grosz die Bühnenbilder beisteuerte. Doch nicht genug damit. Den Hašekschen Schwejk nahm Brecht, der kurze Zeit später zu einem Sympathisanten der KPD wurde, sogar in das ihm von den Nazifaschisten aufgezwungene Exil mit, wo er immer wieder darauf zurückgriff, wenn es um die Gestaltung kleinbürgerlicher oder proletarischer Figuren ging, welche durch die jeweils wechselnden Zeitläufte in Notsituationen geraten, in denen ihnen fast nichts anderes übrig bleibt, als der herrschenden Unterdrückung mit hintergründigen Witzen oder einem makabren Galgenhumor entgegenzutreten. II Zugegeben, in den ersten Jahren des Exils bekannte sich Brecht – trotz der beschämenden Niederlage des deutschen Proletariats – zeitweilig auch zu kämpferischen Parolen. Vor allem in dem mit Hanns Eisler zusammengestellten Band Lieder Gedichte Chöre von 1934 und sogar noch in den späteren „Svendborger Gedichten“ gibt es durchaus Zeilen, in denen das Lob jenes „Revolutionärs“ angestimmt wird, der auch in Zeiten der brutalsten Machtausübung von Seiten der Herrschenden den Widerstand der Unterdrückten „organisiert“,3 selbst wenn er sich damit der Gefahr aussetzt, von den braunen Machthabern an die Wand gestellt und erschossen zu werden. Sogar der erlahmte oder kranke Kommunist wird in diesen Gedichten aufgefordert, sich „baldmöglichst“ wieder den weiterhin streitbaren Genossen anzuschließen,4 während alle, die in Zeiten des Kampfes „zu Hause bleiben“, als Verräter geschmäht werden, weil sie durch eine solche Haltung letztlich der „Sache des Feinds“ dienten.5 Doch schon nach wenigen Jahren sah Brecht ein, wie sinnlos solche Appelle waren. Schließlich erwies sich der in Deutschland grassierende Nazifaschismus als eine Erfolgsgeschichte ersten Ranges. Nicht nur das gehobene und mittlere Bürgertum, auch große Teile der Arbeiterschaft folgten dem „Anstreicher“ Adolf Hitler mit einer Ergebenheit, die viele der bisherigen Linken an ihren früheren Überzeugungen irrewerden ließ. Nicht so Brecht. Auch er sah zwar den unaufhaltsamen Aufstieg jenes Mannes, den er später in komischer Verfremdung Arturo Ui nannte, hoffte aber nach wie vor, dass sich ein Volk wie die Deutschen nicht auf Dauer von der pseudosozialistischen Ideologie einer „wahren Volksgemeinschaft“, in der es kein oben und kein unten mehr geben würde, blenden lasse. Und so blieb er in seinen skandinavischen Exiljahren, wenn auch immer verbitterter, seiner marxistischen Überzeugung treu, dass die von ihm in den späten

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zwanziger und frühen dreißiger Jahren umworbenen klassenbewussten Arbeiter „eines schönen Tages“, wie es in vielen älteren Utopien heißt, doch aufwachen und ihrem Führer die Gefolgschaft verweigern würden. Aber das erwies sich – zu seiner Beschämung – als eine trügerische Hoffnung. Schließlich zogen die meisten dieser Arbeiter 1939 mit fliegenden Fahnen in den Zweiten Weltkrieg und zögerten sogar ab 1941 nicht, die Sowjetunion, welche ihnen die KPD vor 1933 als ein Arbeiterparadies, das heißt einen „Staat ohne Arbeitslose“, hingestellt hatte, auf eine unvorstellbar brutale Weise zu verwüsten und über zwanzig Millionen Soldaten und Zivilisten dieses Landes umzubringen. III Was tun in einer so hoffnungslosen Situation? Um nicht selber zum Märtyrer zu werden, entfloh Brecht im Sommer 1941 von Finnland in die USA. Damit waren er und seine Familie erst einmal in Sicherheit. Aber das war auch alles. Schließlich gab es hier für ihn keine Möglichkeiten, als Dramatiker oder Lyriker in die politische Meinungsbildung einzugreifen. Vor allem in Hollywood, wo sich die meisten deutschen Exilanten im Rahmen der Filmindustrie noch am ehesten Verdienstmöglichkeiten versprachen, herrschte selbst in den folgenden Kriegsjahren das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage. Hier bemühten sich fast alle, lediglich einen „Fast Buck“ zu machen. Doch dazu war selbst der höchst konkret denkende Brecht nicht gewieft genug. Als er seine Fühler nach New York ausstreckte, um vielleicht eines seiner Stücke auf dem Broadway unterzubringen, erwies sich selbst das als ein Trugschluss, denn auch die dort dominierenden Produzenten hatten fast ausschließlich finanzielle Aspekte und nicht irgendwelche politischen Ambitionen oder gar ästhetischen Ansprüche im Auge. „Weil es die Breite Straße gibt“, erklärte darum Brecht ernüchtert, „gibt es in Amerika kein Theater.“ Ja, was seine Situation noch erschwerte, waren die ständigen Meldungen über die militärischen Erfolge der Nazifaschisten in weiten Teilen Europas, denen die US-Amerikaner, die sich seit dem Dezember 1941 gegen die anfangs im Pazifik siegreich vordringenden Japaner wehren mussten, nichts entgegensetzen konnten. Trotz alledem gab Brecht – wenn auch mit immer geringeren Erwartungen – nicht auf, weiterhin Werke wie Die Gesichte der Simone Machard (1941–1943) gegen den Nazifaschismus zu verfassen. Erst nach der Schlacht von Stalingrad im Winter 1942 auf 1943, in der die deutsche Wehrmacht ihre erste schwere Niederlage erlebte, schöpfte er wieder Mut, vielleicht doch mit einem neugeschriebenen Antifa-Drama den von ihm so gehassten Broadway zu erobern. Und dabei griff er – statt wie bisher auf den kämpferischen Elan der deutschen Arbeiterklasse zu

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vertrauen – auf die satirisch-blödelnde Technik Hašeks zurück und schrieb im Sommer 1943 seinen Schweyk im Zweiten Weltkrieg. IV Über die Entstehungsgeschichte dieses Stücks, bei dem Brecht nicht nur den von Grete Reiner aus dem Tschechischen übersetzten Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges (1926) von Jaroslav Hašek, sondern auch das Drama Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus heranzog, sind wir bestens informiert.6 In ihm geht es vornehmlich um jene kleinbürgerlichen Schichten, welche im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren die NS-Diktatur erdulden mussten. Trotz aller Widersetzlichkeit dieser Bevölkerungsschichten ist dabei von jenem kämpferischen Elan, der viele von Brechts Werken zwischen 1930 und 1935/36 auszeichnet, nicht mehr viel zu spüren. Schon die Tatsache, dass er hier im Hinblick auf die Angehörigen der unteren Klassen lediglich von den „kleinen Leuten“ spricht, statt zwischen kampfbereiten Proletariern und nazifaschistisch verseuchten Kleinbürgern einen klaren Trennungsstrich zu ziehen, beweist zur Genüge, wie sehr Brecht inzwischen die Hoffnung auf einen Widerstand, ja vielleicht sogar revolutionären Umsturzwillen der deutschen oder tschechischen Arbeiterklasse im Sinne der älteren kommunistischen Einheitsfrontideologie von 1933/34 aufgegeben hatte. Was er zu diesem Zeitpunkt an den Vertretern aller „kleinen Leute“ zunehmend positiv fand, war in erster Linie das „Unpositive“ solcher Menschen, an deren Alltagsbezogenheit, Phlegma, Fresslust und Gesinnungslosigkeit, das heißt ihrer niederen Lebensweise, wie Brecht meinte,7 die ins ideologisch Überspannte ausgreifenden Pläne der Oberen notwendig scheitern müssten. Fast alle tschechischen Figuren dieses Stücks verhalten sich daher wie jene von Brecht schon in den zwanziger Jahren dargestellten Überlebensstrategen und kümmern sich einen Dreck darum, welche Pläne die Großkopfeten mit ihnen durchzusetzen versuchen. Statt einen heroischen Widerstandswillen aufzubringen, witzeln sie lieber über ihre Bedrücker und versuchen selbst die SS-Männer durch eine vorgetäuschte Blödheit zu verwirren. Ja, auf den ersten Blick erweisen sie sich als schäbige Opportunisten, die kein ideologisches Rückgrat haben und daher nicht über jenen vielbeschworenen „aufrechten Gang“ verfügen, der manche jener „bessergestellten“ Menschen auszeichnet, die sich eine solche Haltung aufgrund ihrer finanziellen Absicherung leisten können. Und dieser Mangel an positiven Tugenden hat sicher viele Freunde und Bekannte Brechts, denen er den Fabelentwurf oder das Manuskript dieses Stücks zu lesen gab, verwirrt. Sie fanden das Ganze zwar äußerst witzig, aber nicht antifaschistisch genug. Lediglich ein versierter Hegelianer wie

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Hanns Eisler scheint erkannt zu haben, dass diese Witzigkeit – selbst in ihrer bewusst blödelnden Form – durchaus einen dialektischen Gegenpol zu den hohlen Phrasen der Nazifaschisten bildete. Doch die meisten anderen fanden das Ganze einfach belanglos. Sogar der durchaus unheroisch eingestellte Kurt Weill weigerte sich, die Musik zu diesem Stück zu komponieren. Auch er hatte das Gefühl, dass sich ein derartiges Drama, in dem es weitgehend um die Machenschaften des kleinen Hundehändlers Schweyk und des „Fresssacks“ Baloun geht, im Jahr 1943, als es noch an allen Fronten unter hohen Menschenopfern gegen die Nazifaschisten zu kämpfen galt, wegen seiner harmlosen Witzeleien nicht auf die Bühne bringen ließ. Schließlich war in diesem Stück nicht einmal von dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren Reinhard Heydrich und den darauf erfolgenden Racheaktionen der SS, wie etwa der Erschießung führender Prager Intellektueller sowie der grausamen Ermordung der Bevölkerung des Dorfes Lidice, die Rede. Zugegeben, in den „höheren Regionen“ dieses Stücks traten zwar auch Hitler, Göring, Himmler und Goebbels auf, aber sie wirkten wie lächerliche Panoptikumfiguren und nicht wie brutale Gewaltherrscher. Und alle anderen Personen waren – neben einigen bulligen SS-Chargen – eben jene Prager Kleinbürger, von denen die meisten lediglich im Wirtshaus „Zum Kelch“ ihr Bier trinken wollen und sich auch ansonsten wie gewöhnliche Stammtischgäste gebärden. Waren das jene Menschen, mit denen sich ein machtvolles Regime wie das Dritte Reich überwinden ließ? Diese Frage muss sich zweifellos auch Brecht ständig gestellt haben. Doch auf welche Bevölkerungsschichten sollte er zu diesem Zeitpunkt überhaupt irgendwelche weiterführenden Hoffnungen setzen? Er, der immer wieder darauf gehofft hatte, dass sich die deutsche Arbeiterklasse doch noch zu einem Widerstand gegen Hitler aufraffen würde, musste in den letzten zwei bis drei Kriegsjahren, selbst als sich nach der Schlacht um Stalingrad immer deutlicher abzeichnete, dass die Nazifaschisten den Krieg verlieren würden, voller Erbitterung einsehen, wie die deutsche Wehrmacht – und auch das in feldgraue Uniformen gesteckte Proletariat – trotz gewaltiger Rückschläge an allen Fronten mit einem Heroismus und einer Todesbereitschaft ohnegleichen gegen eine Niederlage Deutschlands anzukämpfen versuchte. Und auch in den noch unzerstörten Fabriken und anderen kriegswichtigen Anlagen wurde, wie er hörte, unvermindert für den Endsieg der Deutschen weitergearbeitet. Es kam nicht, wie anno 1918, zu Streiks oder zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten, geschweige denn zu einer möglichen Revolution. Im Gegenteil, trotz des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944 entstand keine breitere Widerstandsbewegung.

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Gewohnt, in marxistischen Kriterien zu denken, musste all das Brecht, der bis 1935/36 noch an die Kampfkraft des deutschen Proletariats geglaubt hatte, maßlos enttäuschen. Die Einträge in sein Arbeitsjournal über die von Hitler und seinen Satrapen irregeführten deutschen Arbeiter wurden daher mit den Jahren immer illusionsloser. So notierte er sich am 28. Januar 1945 nach dem unaufhaltsamen Vordringen der Roten Armee in Ostdeutschland: „Immer noch nichts aus Oberschlesien über die Haltung der Arbeiter.“8 Ja, kurze Zeit später heißt es dort mit gleicher Akzentsetzung von den „schrecklichen Zeitungsberichten aus Deutschland“: „Ruinen und kein Lebenszeichen von den deutschen Arbeitern.“9 In diesem Punkte erlebte er die gleiche Enttäuschung wie jene Mitglieder des Nationalkomitees Freies Deutschland, die in der UdSSR gehofft hatten, dass die von ihnen hergestellten Flugblätter die klassenbewussten Arbeiter unter den deutschen Soldaten dazu bewegen würden, zur Roten Armee überzulaufen.10 V Im Hinblick auf derartige Erfahrungen muss auch Brechts Stück Schweyk im Zweiten Weltkrieg gelesen und interpretiert werden. Man wird ihm nur gerecht, wenn man dabei nicht den historischen Zeitpunkt seiner Entstehung aus dem Auge verliert. Ohne den zutiefst beschämenden Erfolg der Naziideologie, die, wie gesagt, sogar die deutsche Arbeiterschaft verführte, dem sich mit pseudosozialistischer Attitüde ausgebenden „Arbeiter“ Hitler hinterherzulaufen, lässt sich dieses Stück überhaupt nicht verstehen. Schließlich waren aus der Mehrheit der vor 1933 die SPD oder die KPD wählenden „klassenbewussten Proleten“ im Laufe der dreißiger Jahre weitgehend brave Gefolgsleute der nazifaschistischen Führungsclique geworden, die ihren Unmut über das Bonzentum der Großkopfeten innerhalb der NSDAP nur noch in Flüsterwitzen oder hämischen Bemerkungen über den „Schrumpfgermanen“ Goebbels oder den „dicken“ Göring Ausdruck verliehen.11 Lediglich in eroberten Gebieten, wie in Böhmen und Mähren, nahm diese Haltung eine etwas schärfere Form an, obwohl es auch hier, wie in Frankreich, viele Kollaborateure in den „bessergestellten“ Schichten gab, deren Haltung Brecht, wie schon in seinem Stück Die Rundköpfe und die Spitzköpfe (1929–1934), meist in die Formel „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ einkleidete. Das sogenannte einfache Volk verhielt sich dagegen in diesen Gebieten weitgehend disloyal. Und das imponierte Brecht mehr als ein sinnloser Attentatismus, der lediglich grausame Vergeltungsmaßnahmen nach sich zog. So schrieb er zwar 1942 das Drehbuch für Fritz Langs Film Hangmen Also Die, in dem es um den Heydrich-Mord geht, aber wohl eher aus finanziellen Erwägungen, um seiner Familie und sich ein Mindesteinkommen zu verschaffen. Seine wahre gesellschaftspolitische

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Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg (1943)

Überzeugung drückte er dagegen lieber in dem Stück Schweyk im Zweiten Weltkrieg aus. Deshalb war er im Hinblick auf die Umarbeitung beziehungsweise Hollywoodisierung seines Filmskripts durchaus zu Kompromissen bereit, während er eine Amerikanisierung seines Schweyk für den Broadway, wie sie Ernst Josef Aufricht vorschlug, strikt ablehnte.12 Und so blieb dieses Stück 1943 unaufgeführt und hatte nicht jene Wirkung, die sich Brecht davon bei der Niederschrift versprochen hatte. In ihm selber wirkte dagegen die Beschäftigung mit der Schweyk-Figur bis zu seinem Lebensende weiter. Dafür spricht, dass Brecht in den folgenden Jahren keine klassenbewussten Arbeiter mehr auf die Bühne stellte. Die Korrumpierung des deutschen Proletariats durch die Nazifaschisten hatte ihn von der trügerischen Vorstellung geheilt, in solchen Gestalten weiterhin in idealistischer Verblendung eine heroisch kämpfende Avantgarde des sozialistischen Fortschritts zu sehen. Statt sich nach wie vor derartigen Illusionen hinzugeben, war er inzwischen ein ernüchterter, konkret denkender Materialist geworden, der eingesehen hatte, wie mächtig die Großen und wie machtlos die Kleinen in den neuzeitlichen Industriegesellschaften sind, in denen die Herrschenden über alle meinungsbeeinflussenden Propagandaapparate verfügen. Doch trotz alledem wurde er selbst nach dieser bitteren Erkenntnis nicht zu einem Renegaten der sozialistischen Bewegung. Er blieb bei seiner Überzeugung, dass man als Marxist sogar aufgrund solcher Einsichten die Flinte nicht einfach ins Korn werfen dürfe, sondern sich angesichts der kommenden sozialpolitischen Auseinandersetzungen neue, andersartige Taktiken ausdenken müsse. VI Derartige Taktiken im Hinblick auf die von den Nazifaschisten ideologisch verseuchte deutsche Bevölkerung zu entwerfen, wagte er jedoch in den Jahren 1942/43 noch nicht. Zu diesem Zeitpunkt erschien ihm eine positive Wechselwirkung zwischen den Oberen und den Unteren nur in einem bereits sozialisierten Staat denkbar, wie er das gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im Vorspiel zu seinem Stück Der kaukasische Kreidekreis zu gestalten versuchte, in dem er in der Gestalt des Dichters Arkadi Tscheidse die zwischen den Lehren der Partei und der Weisheit des Volkes vermittelnde Rolle der Kunst beschwor.13 Doch hier handelte es sich bereits um ein kommunistisch gewordenes Land wie die Sowjetunion. Hinsichtlich der deutschen Bevölkerung fiel es ihm dagegen zu diesem Zeitpunkt und sogar noch in den Jahren danach wesentlich schwerer, an eine derartig positive Wechselwirkung zwischen Partei und Volk zu glauben. Was er 1948 in Ostberlin vorfand, war schließlich einerseits eine winzige SED-Führungselite und andererseits ein sich ihr höchst unwillig unterwerfendes „Volk“,

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Lediglich harmlose Blödeleien?

das mehrheitlich nach Westen schielte, statt die sozialistischen Aufbauparolen der Partei zu begrüßen. Demzufolge vermied es selbst die SED zu diesem Zeitpunkt, in ihren Proklamationen von einem „klassenbewussten Proletariat“ zu reden. Welche Haltung sollte Brecht in einer solchen Situation einnehmen? Sich für einen Sozialismus zu engagieren, der mit den Bajonetten der sowjetischen Soldaten erzwungen worden war? Sich mit der weiterbestehenden nazifaschistischen „Verseuchung“ breiter Bevölkerungsschichten abzufinden? Sich der Hoffnung auf die Entstehung einer neuen „klassenbewussten“ Arbeiterschaft hinzugeben, die selbst vor industriellen Normenerhöhungen nicht zurückschrecken würde, um so das Wohlergehen aller zu befördern? Dass es der deutschen Arbeiterklasse – wegen der machtvollen Eingriffe der Nazifaschisten – nicht gelungen war, ihren eigenen Weg zum Sozialismus einzuschlagen, fand er beschämend. Doch er zögerte, dieses Versagen mit hohlklingenden Phrasen über die geradezu übermenschlichen Leistungen jener Aktivisten der Arbeit in den bereits sozialisierten Fabriken übertünchen zu wollen oder gar zu behaupten, dass viele Arbeiter inzwischen bereits begonnen hätten, auf dem von Johannes R. Becher vorgeschlagenen Weg zu der „einen, großen, gebildeten Nation“ sogar den Faust und den Zauberberg zu lesen. Solchen Vorstellungen gegenüber nahm daher Brecht selbst in seinen letzten Jahren in der DDR, in denen es ihm nicht vergönnt war, die Rolle des zwischen den Lehren der Partei und den Bedürfnissen der breiteren Bevölkerung vermittelnden Arkadi Tscheidse zu spielen, eher die Haltung eines engagierten Beobachters ein. Da es zwischen ihm und der SED kaum zu einem konstruktiven Dialog kam, hoffte er durch die „plumpe“ Einfachheit seiner Sprache wenigstens bei jenen „kleinen Leuten“ anzukommen, deren materialistische Grundeinstellung ihm realistischer erschien als die idealistische Rhetorik mancher Parteiführer. Und dabei griff er immer wieder auf die Lebenseinstellung der Hašekschen Schwejk-Figur zurück, ja holte 1955 sogar seinen eigenen Schweyk wieder hervor und bewog Hanns Eisler, die Musik dazu zu komponieren, starb jedoch im folgenden Jahr, ohne diesen Plan ausführen zu können. VII Wie die SED zu diesem Zeitpunkt auf eine Aufführung von Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg reagiert hätte, können wir nur vermuten. Sicherlich wäre sie nicht sonderlich erbaut gewesen. Sie hätte sich lieber ein Stück über einen „positiven Helden“ von ihm gewünscht. Doch so wenig Brecht „hollywoodisieren“ konnte, so wenig konnte er sich entschließen, ein „blutvolles“ Arbeiterdrama im Sinne der SED-Kulturfunktionäre zu

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Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg (1943)

schreiben. Er fasste zwar 1951 vorübergehend ein Agitpropdrama unter dem Titel „Büsching“ ins Auge, in dem es um den vorbildlichen Aktivismus des Maurers Hans Garbe gehen sollte, fühlte sich aber nicht in der Lage, diesem Projekt eine ihn befriedigende Fassung zu geben. Was Brecht seit seinem Schweyk wesentlich stärker interessierte, war die Haltung jener „kleinen Leute“, seien es nun Arbeiter, Kleinbürger oder Kleinbauern, die sich bei ihren Überlebensstrategien eher von ihren eigenen Bedürfnissen als von irgendwelchen parteipolitischen Parolen leiten lassen. Daher ließ er sein „Büsching“-Projekt liegen und inszenierte 1953 lieber Erwin Strittmatters Bauernkomödie Katzgraben, in der es um den von materialistischen Gesichtspunkten ausgehenden Kleinkrieg zwischen einigen mittellosen Kätnern und einem reichen Großbauern in der Niederlausitz geht. Überhaupt wählte Brecht in seinen letzten Jahren fast ausschließlich Themen, bei denen er dem gegenwärtigen Industriemilieu aus dem Wege gehen konnte. „Kleine Leute“, ob nun Neusiedler oder Kleinhändler, die sich im täglichen Überlebenskampf bewähren müssen und daher kaum Zeit für irgendwelche Vorstellungen haben, die darüber hinausgehen, erschienen ihm wirklichkeitsnäher als jene noch immer in „bürgerlichen“ Denkformen verankerten Intellektuellen, Angestellten oder auch hochqualifizierten Facharbeiter, welche bei der Durchsetzung des Sozialismus in der DDR allein auf die Wirkungskraft bestimmter parteipolitischer Parolen vertrauten. Daher stand er der Forderung der SED, die neuen „positiven Helden“ vor allem in den Intellektuellen oder Arbeitern zu sehen, von vornherein skeptisch gegenüber. Ob er jedoch seinen 1955 gefassten Plan, den Schweyk im Berliner Ensemble herauszubringen,14 tatsächlich durchgeführt hätte, wissen wir nicht. VIII Die nach Brechts Tod einsetzende Wirkungsgeschichte dieses Stücks ist genauso komplex wie das Stück selbst. Als es 1957 in Warschau im Theater der polnischen Armee in der Übersetzung von Andrzej Wirth uraufgeführt wurde, stieß es auf schroffe Ablehnung.15 Nach den mörderischen Untaten der Deutschen, denen sechs Millionen Polen zum Opfer gefallen waren, fand man hier ein solches Stück wegen seiner forcierten Komik geradezu blasphemisch. Doch auch die ost- und westdeutschen Erstaufführungen dieses Dramas hatten in den Jahren 1959 und 1962 keine besonders gute Presse.16 Hier gab es zwar viele Zuschauer, welche die Witzigkeit des Ganzen geradezu „umwerfend“ fanden, es aber als politisch gemeintes Stück für misslungen hielten. Und auch die spätere Forschung schloss sich weitgehend solchen Urteilen an.17 Was man Brecht in diesem Umkreis vorwarf, waren nicht nur gewisse historische Ungenauigkeiten, sondern auch, dass

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in diesem Stück weder von dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 noch von jener berüchtigten Wannseekonferenz von 1942, die zur Deportation und Liquidierung von sechs Millionen europäischen Juden geführt hatte, die Rede sei, ja, dass obendrein die SS maßlos verharmlost werde und die Nazigrößen lediglich als ins Kabarettistische verhohnepipelte Panoptikumfiguren aufträten. All das erschien selbst vielen westlichen Kritikern dieses Stücks – angesichts der bestialischen Verbrechen der Nazifaschisten – als unangemessen. Deshalb qualifizierten manche dieses Drama von vornherein als verharmlosend, wenn nicht gar verlogen ab.18 Solchen Urteilen, die sich zum Beispiel bei Hellmuth Karasek19 oder Hans Mayer20 finden, ist schwer eine rechtfertigende Analyse entgegenzusetzen. Wohl die besten Ansätze dazu lieferten Herbert Knust und Klaus-Detlef Müller im Jahr 1973.21 Knust deutete die widerspruchsvolle Haltung Schweyks als ein Merkmal „Brechtscher Dialektik schlechthin“ und wies dabei als vergleichbare Figuren auf Galilei, Mutter Courage, Azdak, Matti, Herrn Keuner sowie Ziffel und Kalle in den Flüchtlingsgesprächen hin.22 Brecht sei nie müde geworden, schrieb er außerdem, darauf hinzuweisen, dass „zwischen Groß und Klein, Reich und Arm, Ausbeutern und Ausgebeuteten“ stets eine „reziproke Abhängigkeit“ bestehe, die sowohl „größte Gefahren als auch größte Chancen“ in sich berge.23 Angesichts dieses Wechselverhältnisses habe er darum in Hašeks Schwejk einen „großen Realisten“ gesehen, den man in seiner Opposition zum Idealismus nicht als einen egoistischen, sondern als einen widersetzlichen Mitläufer betrachten müsse, der bereits wisse, dass das Große nicht immer groß und das Kleine nicht immer klein bleiben werde. Das Unpositive sei daher gerade das Positive an ihm. Ähnlich argumentierte Müller in seiner Verteidigung dieser untergründigen Komödie. Auch er hob ebenfalls den Realitätscharakter dieses Stücks hervor, in dem sich Brecht – die sozioökonomische Notlage der „kleinen Leute“24 unter dem Faschismus bedenkend – keinen allzu „optimistischen Zukunftshoffnungen“ hingegeben habe.25 Und an derartigen Perspektiven, so widerspruchsvoll sie im Einzelnen auch sein mögen, sollte man bei der Interpretation dieses Stücks auch in Zukunft festhalten. Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg ist keines von seinen schlechten oder gar misslungenen Werken, sondern ebenso bedeutsam wie alle anderen seiner Dramen. Es zeigt, wie in Zeiten gewalttätiger Unterdrückung auch Mittel der Tarnung, selbst wenn sie sich auf Seiten der kleinen Leute lediglich als witzelnde Blödeleien äußern, ein effektives Widerstandspotential enthalten, was auf eine Haltung hinausläuft, die sich nur mit dem oft missbrauchten Wort „dialektisch“ umschreiben lässt. Wie zu erwarten, hat das keiner besser formuliert als Brecht selber, in dessen Arbeitsjournal sich am 27. Mai 1943 folgendes Notat findet:

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Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg (1943)

Auf keinen Fall darf Schweyk ein listiger hinterfotziger Saboteur werden. Er ist lediglich ein Opportunist der winzigen Opportunitäten, die ihm geblieben sind. […] Seine Weisheit ist umwerfend. Seine Unzerstörbarkeit macht ihn zum unerschöpflichen Objekt des Mißbrauchs und zugleich zum Nährboden der Befreiung.26

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BRECHT UND DIE DREI EISLERS Die vier „Deutschen“ vor dem House Un-American Activities Committee (1947)

I Dass Hanns Eisler im Frühjahr 1930 nicht nur die Musik zu Bertolt Brechts Lehrstück Die Maßnahme (1929/30) komponierte, sondern auch auf die Textgestaltung dieses Dramas einen großen Einfluss hatte, ist allgemein bekannt.1 Weitaus weniger (oder fast nichts) wissen wir dagegen über die diesen Arbeitsprozess begleitenden Unterhaltungen zwischen Eisler und Brecht. Doch eines kann wohl mit Sicherheit angenommen werden: dass dabei auch Eislers Geschwister, nämlich Gerhart Eisler und Ruth Fischer (alias Elfriede Friedländer, geborene Eisler) eine zentrale Rolle gespielt haben müssen. Schließlich waren beide wie ihr Bruder Hanns in den zwanziger Jahren von Wien nach Berlin übergesiedelt und hatten dort im Rahmen der deutschen Kommunistischen Partei führende Positionen eingenommen. Ruth Fischer übernahm sogar vorübergehend den Vorsitz der KPD, bis sie wegen ihres Linksradikalismus 1925 aus der Partei ausgeschlossen wurde.2 Unabhängig davon war Gerhart Eisler 1928 als Mitglied des Politbüros von Ernst Thälmann nach Moskau abgeordert worden, um im Auftrag der KPdSU als kommunistischer Agitator nach Schanghai und Mukden zu gehen und dort bis 1931 am Aufbau marxistisch-leninistischer Kaderorganisationen mitzuwirken. Dass die Rolle der beiden Eisler-Geschwister nicht auf die Handlungsführung und den Ideengehalt von Brechts Maßnahme eingewirkt haben soll,3 in der es zentral sowohl um Fragen des „Linksradikalismus“ als auch der „geheimen Mission“ sowjetischer Agitatoren in der chinesischen Stadt Mukden geht, ist daher höchst unwahrscheinlich. Doch selbst dann, wenn sich derartige Hintergrundeinflüsse auf die Entstehung dieses Stücks heute nicht mehr handfest nachweisen lassen: Die drei Eislers sollten von diesem Zeitpunkt an in Brechts Leben weiterhin von entscheidender Wichtigkeit sein, die weit über das hinausging, was er damals ahnen konnte. Seine Freundschaft mit Hanns Eisler blieb zwar in manchen ästhetischen Fragen eine gespannte,4 aber in menschlicher und politischer Hinsicht doch recht enge. Gerhart Eisler lernte Brecht erst wesentlich später im US-amerikanischen Exil kennen, wo er eine maßgebliche Rolle in der Führungsspitze der deutschen Exil-KPD spielte. Ruth Fischer ging nach ihren zwischen 1933

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und 1940 in Frankreich verbrachten Jahren ebenfalls in die USA, hatte sich aber schon seit ihrem Parteiausschluss im Jahr 1925 zu einer rabiaten Antistalinistin entwickelt und stellte sich in den Vereinigten Staaten 1947/48 rückhaltlos in den Dienst des Federal Bureau of Investigation (FBI), der Strategic Services und des House Un-American Activities Committee (HUAC), was unter anderem zu den Verhören, der Inhaftierung und Ausweisung ihrer beiden Brüder beitrug sowie zu dem in diesen Zusammenhang stattfindenden Verhör Brechts führte.5 Für Brecht, der sich seit 1941 im kalifornischen Los Angeles aufhielt, hatte diese Konstellation folgende Konsequenzen: Während er bis Ende 1946 lediglich von Zeit zu Zeit – unter anderem wegen seiner Begegnung mit Gerhart Eisler am 27. Februar 1943 anlässlich einer in New York von der KPdUSA abgehaltenen Massenveranstaltung in der Carnegie Hall zum zehnten Jahrestag des Reichstagsbrands,6 eines eineinviertelstündigen Treffens mit Gerhart Eisler am 17. Januar 1944 in Ruth Berlaus New Yorker Appartement,7 seiner künstlerischen Zusammenarbeit mit Hanns Eisler in Los Angeles sowie des Artikels „Bert Brecht. The Minstrel of the GPU“ von Ruth Fischer,8 der im April 1944 in Dwight Macdonalds Zeitschrift Politics erschien – von einigen FBI-Agenten in Los Angeles und New York möglichst unauffällig bespitzelt worden war,9 wurde er 1947 plötzlich sogar in die hochnotpeinlichen, von allen Massenmedien begierig aufgegriffenen Verhöre des HUAC-Komitees in Washington einbezogen, wobei ihm vor allem die Abfassung seiner Maßnahme als eines im Dienste des Sowjetkommunismus agitierenden Revolutionsdramas zur Last gelegt wurde. Doch warum musste sich ausgerechnet Brecht, der damals in den USA – außerhalb der deutschen Exilgruppen und des FBI – noch eine weithin unbekannte Größe war, einem derartig spektakulären Verhör unterziehen? Wie es dazu kam, hat zwar eine relativ einfache, aber dennoch komplizierte, aufs engste mit den drei Eisler-Geschwistern zusammenhängende Vorgeschichte, die hier in aller gebotenen Kürze, wenn auch mit einigen signifikanten Details, rekapituliert werden soll. II Als sich Präsident Harry S. Truman zu jener Politik entschloss, die im Laufe der Jahre 1946/47 schließlich zum Kalten Krieg führte,10 suchte das zu diesem Zweck reaktivierte HUAC-Komitee, dem unter anderem J. Parnell Thomas (New Jersey), Richard M. Nixon (Kalifornien) und John E. Rankin (Mississippi) angehörten, innerhalb der Vereinigten Staaten nach Personen mit kommunistischer Gesinnung, die es als systemfeindlich und damit „unamerikanisch“ hinstellen konnte. Aus solchen Prämissen wurde meist die Folgerung gezogen, dass der Kommunismus – nach seinen eige-

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nen Verlautbarungen – den Umsturz der US-amerikanischen Regierung plane und demnach als „verbrecherische“ Bewegung einzustufen sei. Und zwar nahm dabei das HUAC-Komitee vor allem die Filmindustrie in Hollywood ins Visier, die in den Augen der Rechten, wie etwa die bereits Ende der dreißiger Jahre anonym erschienene Broschüre Jew Star over Hollywood belegt, schon seit Charlie Chaplins Modern Times (1936) und The Great Dictator (1940) als „verjudet“, „pornographisch“ oder „prolinks“ galt.11 Dementsprechend wurden 1947 zehn „linksverdächtige“ Hollywoodregisseure in Washington verhört und zum Teil, entgegen den geltenden Rechtsvorstellungen, ins Gefängnis geworfen, weil sie – unter Berufung auf das Fifth Amendment der US-amerikanischen Verfassung – irgendwelche sie als mögliche „Vaterlandsverräter“ inkriminierende Aussagen verweigert hatten. Aber die wahre Cause célèbre war zu diesem Zeitpunkt der Fall Gerhart Eisler, den das FBI und das HUAC-Komitee in einer großangelegten Hetzkampagne als den gefährlichsten Agenten des Sowjetkommunismus in den USA anzuprangern versuchten, obwohl sich dieser nach Kriegsende sofort darum bemüht hatte, möglichst umgehend nach Deutschland zurückzukehren. Eingeleitet wurde diese sorgfältig geplante Aktion am 13. Oktober 1946 durch eine Radioansprache von Louis Budenz, der lange Zeit als Redakteur bei der kommunistischen Tageszeitung Daily Worker gearbeitet hatte und für seinen Austritt aus der KPdUSA im Jahre 1943 und seiner Bekehrung zum Katholizismus mit einer Anstellung an der University of Notre Dame in Indiana „belohnt“ worden war.12 In dieser Ansprache bemühte er sich, Eisler als Hauptspion Moskaus, aktionsbereiten Politkommissar der Komintern und geheimen „Boss“, wenn nicht gar „Cäsar der roten Legionen“ der US-amerikanischen Kommunisten zu enttarnen.13 Daraufhin forderte FBI-Chef J. Edgar Hoover das HUACKomitee auf, die bereits geplante Rückreise Gerhart Eislers nach Europa mit allen Mitteln zu verhindern und diesen Mann in Gewahrsam zu nehmen. In der anschließenden Pressekampagne gegen Eisler machte sich vor allem Ruth Fischer einen unrühmlichen Namen, indem sie in einer sechsteiligen Artikelserie unter dem Titel „The Comintern’s American Agent“, die vom 18. bis 23. November 1946 im New York Journal-American, dem führenden Blatt der politisch rechtsstehenden Hearst-Presse, erschien, ihren Bruder als einen GPU-Agenten, Terroristen und Atomspion angriff. Daraufhin wurde Gerhart Eisler am 22. November von John E. Rankin, dem zeitweilig amtierenden Vorsitzenden des HUAC-Komitees, nach Washington vorgeladen, aber ohne Verhör wieder weggeschickt.14 Drei Wochen später ging Gerhart Eisler zum Gegenangriff über und hielt am 11. Dezember auf einer vom German American veranstalteten Versamm-

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lung eine längere Rede, die kurz darauf unter dem Titel Eisler Hits Back: A Reply to the Rankin Men mit Unterstützung des American Committee for Protection of the Foreign Born, des Civil Rights Congress, der Friends of the German-American und des German-American Labor Council auch als Pamphlet herauskam. Danach wurde er unter scharfe FBI-Überwachung gestellt, am 4. Februar 1947 in New York verhaftet, im Federal House of Detention festgehalten sowie am Tag darauf nach Washington gebracht. Dort musste er sich am 6. Februar vor dem HUAC-Komitee einem Verhör unterziehen. In diesem Zusammenhang wurde am selben Tag auch Ruth Fischer vom gleichen Komitee über ihren von vielen Medien als gemeingefährliches Politmonster angeprangerten Bruder ausgefragt. Im Rahmen ihrer Zeugenaussagen charakterisierte Ruth Fischer ihren Bruder, wie auch in der von ihr verfassten Lebensgeschichte Gerhart Eislers, die sie am gleichen Tag dem Washington Times-Herald übergab, vor allem als einen kaltblütigen GPU-Agenten und Terroristen, der selbst vor der Tötung eigener Genossen nicht zurückgeschreckt sei.15 Und dabei kam sie – ungefragt – zweimal auf Eislers geheime Mission nach China zu sprechen, die sich in ihren Ausführungen so anhört, als wolle sie damit zugleich auf Brechts Maßnahme anspielen. Dass diese Annahme nicht aus der Luft gegriffen ist, belegt ihr ein Jahr später im Verlag der Harvard University erschienenes Buch Stalin and German Communism. A Study in the Origins of the State Party, wo es heißt: The one didactic play of this series by Brecht that best digests all the terroristic features into a mirror of the totalitarian party and its elite guard, the NKVD, is The Punitive Measure, written under the impact of the defeat of Chinese Communism. The accompanying music was written by Hanns Eisler, whose brother, Gerhart, had been sent to China at the end of 1929 to liquidate the opposition to the Russian Politburo.16 Bei ihrem Verhör am 6. Februar ließ sie jedoch diesen Hinweis auf Brecht weg und erklärte lediglich, dass ihr Bruder nach China geschickt worden sei, um den chinesischen Kommunisten den von Stalin gewünschten Kurs einzubläuen und notfalls auch Tötungen vorzunehmen. „In the Chinese purges“, wiederholte sie ausdrücklich, „he behaved so cruelly and carried out the orders so well that the report about him in Berlin said that he was really the hangman of the rebellious Chinese Communists, who were sentenced by the decisions of Moscow.“17 Ja, als Richard M. Nixon gegen Ende des Verhörs noch einige zusätzliche Fragen an Ruth Fischer stellte, kam sie nochmals auf die besagte Mission ihres Bruders zurück und be-

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Das Verhör Hanns Eislers in einer amerikanischen Pressekarikatur (30. Oktober 1947)

hauptete, dass er vor allem durch das Moskauer GPU-Training, das ihn für den China-Auftrag abhärten sollte, zu einem unbarmherzigen „terrorist“ geworden sei.18 Gerhart Eisler selber verweigerte bei seinem Verhör vor dem HUACKomitee jedwede Aussage19 und wurde daraufhin als ein „dangerous enemy alien“ im New Yorker Ausländergefängnis auf Ellis Island eingesperrt. Seine Verteidigungsrede, die er in Washington nicht halten durfte, brachte später der New Yorker Civil Rights Congress unter dem Titel My Side of

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Die vier „Deutschen“ vor dem House Un-American Activities Committee (1947)

the Story: The Statement the Newspapers Refused to Print als Broschüre heraus. Aufgrund all dieser Ereignisse und Verhöre hielt Richard M. Nixon am 18. Februar in Washington im Kongress eine Rede gegen Gerhart Eisler, die zugleich seine Maiden Speech in diesem Hause war, in der er – unter Berufung auf J. Edgar Hoover – noch einmal alle Hauptanschuldigungen gegen diesen für die USA höchst gefährlichen Mann wiederholte und nachdrücklich darauf bestand, „to put Mr. Eisler out of circulation“. Ja, John E. Rankin forderte – mit deutlich antisemitischen Untertönen – in der anschließenden Diskussion das Department of Justice auf, diesen Mann wegen seiner „terroristischen“ Gesinnung für die nächsten „10, 20, or 50 years“ einzukerkern.20 Daraufhin verurteilte ein New Yorker Gericht Eisler im April des gleichen Jahres erst einmal zu einem Jahr Gefängnisstrafe. Doch schon kurze Zeit später wurde diese Strafe – wegen „betrügerischer“ Passvergehen – auf drei Jahre verlängert.21 III Im Zusammenhang mit all diesen Vorkommnissen gerieten auch Hanns Eisler und schließlich sogar Brecht, die beide bisher zwar ebenfalls, aber nicht mit der gleichen Akribie wie Gerhart Eisler vom FBI observiert worden waren, in die Schusslinie des HUAC-Komitees. Rückschauend erklärte Hanns Eisler später im Hinblick auf diese Ereignisse: „Ohne meinen Bruder Gerhart hätte ich nie solche Schwierigkeiten gehabt.“22 Dasselbe hätte – mit noch größerer Berechtigung – auch Brecht sagen können, der damals in den USA wesentlich unbekannter als die beiden Eisler-Brüder war. Hanns Eisler, dessen im Jahr 1938 erfolgte Einwanderung in die USA sogar Eleanor Roosevelt ausdrücklich gutgeheißen hatte, wurde erstmals am 11. Mai 1947 in Los Angeles verhört. Zu dieser Art von „Vorverhör“ reiste J. Parnell Thomas sogar extra nach Kalifornien an. Brecht erhielt seine gerichtliche Vorladung, vor dem HUAC-Komitee in Washington auszusagen, am 19. September des gleichen Jahres. Hanns Eisler musste sich diesem Komitee als Erster stellen, und zwar drei Tage lang, vom 24. bis 26. September 1947. Den Vorsitz führte, wie bei den vorhergegangenen Verhören, J. Parnell Thomas. Die meisten Fragen stellte allerdings der leitende Ermittlungsbeamte Robert E. Stripling.23 Eisler gab sich im Verlauf des Verhörs, in dem es vor allem um seine angebliche Rolle als der „Karl Marx des Kommunismus auf musikalischem Gebiet“ und seine Zugehörigkeit zur KPD ging, große Mühe, Brecht möglichst aus dem Spiel zu lassen, obwohl bei der Aufzählung seiner Kompositionen auch die mit Brecht abgesprochene Musik zu dem Film Kuhle Wampe sowie dem Stück Die Maßnahme zur Sprache kam.24

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Das Verhör Hanns Eislers dauerte so lange, dass seine Druckfassung in der publizierten Form aller „Hearings before the Commitee on Un-American Activities“ fünfzig engbedruckte Seiten umfasst. Ja, Nixon bezeichnete dieses Verhör am 24. Oktober 1947 im Los Angeles Examiner als „perhaps the most important one“, das je von diesem Komitee vorgenommen wurde.25 Wie intensiv sich die Ermittlungsbeamten des HUAC-Komitees darauf vorbereitet hatten, geht nicht nur aus den 122 Dokumenten hervor, mit denen sie Hanns Eislers „unamerikanische“ Gesinnung zu beweisen versuchten, sondern auch daraus, dass sie dem gleichen Komitee eine Übersetzung des gesamten Texts der Maßnahme nach dem Klavierauszug dieses Stücks der Wiener Universal Edition von 1931 vorlegten.26 Ob diese Übersetzung, die von Elizabeth Hanunian stammt, wie aus dem gedruckten Protokoll hervorgeht, bereits auf jene 1943 von einem FBI-Agenten angefertigte Übersetzung der Maßnahme zurückgeht,27 lässt sich nicht mehr genau ermitteln. Jedenfalls wird diese dem Komitee vorgelegte englische Fassung – neben Brechts Zusammenarbeit mit Hanns Eisler und seinen Kontakten mit Gerhart Eisler – wahrscheinlich einer der Hauptgründe gewesen sein, warum auch er in die Eisler-Verhöre verstrickt wurde.28 Brechts Verhör, für das er sich mit Hilfe von New Yorker Anwälten sorgfältig gewappnet hatte, folgte am 30. Oktober.29 Auch hier ging es dem HUAC-Komitee wiederum hauptsächlich darum, den Befragten in eine möglichst enge Beziehung zum Kommunismus zu bringen und somit für die Vereinigten Staaten als „gefährlich“ einzustufen, wobei auch das von

Bertolt Brecht vor dem HUAC-Komitee (Oktober 1947)

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Die vier „Deutschen“ vor dem House Un-American Activities Committee (1947)

FBI-Agenten observierte Treffen Brechts mit Gerhart Eisler vom 17. Januar 1944 in die „Beweisführung“ einbezogen wurde.30 Bekanntermaßen gab zwar Brecht bei diesem Verhör zu, dass er sich bei der Abfassung seiner Dramen auch auf die soziopolitischen Erkenntnisse des Marxismus gestützt habe, wie er in einem selbstverlesenen „Statement“ erklärte, beteuerte aber ausdrücklich, dass er vor 1933 kein Mitglied der KPD gewesen sei.31 Danach konzentrierte sich der Chief Investigator Robert E. Stripling bei seinen Bemühungen, Brecht – trotz gegenteiliger Aussagen – dennoch als überzeugten Kommunisten hinzustellen,32 vor allem auf den Text der Maßnahme, mit dem er bereits durch das Verhör Hanns Eislers vertraut war und den er jetzt wiederum als zentrales Beweisstück der „revolutionären“ Gesinnung Brechts und Eislers anführte.33 Hierbei kam es auf beiden Seiten zu vielen Wortklaubereien über den politischen Bedeutungsgehalt einzelner Zeilen der Maßnahme, die jedoch relativ ergebnislos verliefen. Allerdings hielt sich Brecht in all diesen Auseinandersetzungen so nah an die Wahrheit wie nur möglich. Es wäre deshalb falsch, seine Äußerungen lediglich als „schweykisch“ oder „hinterfotzig“ zu charakterisieren. Selbst da, wo sie „komisch“ klingen, hängt das fast immer mit Brechts unbeholfenem Englisch und nicht mit einer bewussten Irreführung der ihn Verhörenden zusammen. Und so wurde er schließlich vom HUAC-Komitee als „unbelastet“ verabschiedet, fuhr nach New York zurück, hörte abends noch mit Helene Weigel und Hermann Budzislawski Auszüge aus seinem Verhör im Radio34 und flog am folgenden Tag von dort aus nach Europa. Hanns und Gerhart Eisler mussten dagegen noch bis 1948 beziehungsweise 1949 in den USA bleiben. Hanns wurde, trotz der Proteste von Louis Aragon, Leonard Bernstein, Charlie Chaplin, Aaron Copland, Albert Einstein, Paul Éluard, Thomas Mann und Pablo Picasso, schließlich ausgewiesen. Gerhart, nachdem sich sogar W. E. B. Du Bois, Thomas Mann und Yehudi Menuhin für ihn eingesetzt hatten,35 entzog sich weiteren Drangsalen durch die Flucht auf einem polnischen Frachter.36 Und so sahen sich Brecht und die zwei Eisler-Brüder erst 1949/50 in Ostberlin wieder, während Ruth Fischer – aufgrund eines Stipendiums der Harvard University – noch mehrere Jahre in den USA blieb, bis auch sie Mitte der fünfziger Jahre nach Europa zurückkehrte und dort bis zu ihrem Tod 1961 in Paris lebte, nachdem sie 1956, beeindruckt durch die antistalinistischen Äußerungen Nikita Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU,37 wieder eine kommunismusfreundliche Haltung bezogen hatte.38

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„BÖSER MORGEN“ Widersprüchliches in Brechts „Buckower Elegien“ (1953)

I Die Einsicht, dass jedes geschichtliche Ereignis nicht einfach über Nacht geschieht, sondern dass ihm stets eine mehr oder minder lange Vorgeschichte vorausgeht, gilt seit langem als eine Binsenweisheit. Dennoch wurde der 17. Juni 1953, an dem es in der DDR zu weitverbreiteten Aufständen kam, in der alten Bundesrepublik lange Zeit als ein singulärer Spontanakt hingestellt, mit dem die ostdeutsche Bevölkerung – nach Jahren einer schweigenden Verdrossenheit – endlich versuchte, sich von den „Fesseln der kommunistischen Zwangsherrschaft“ zu befreien und sich zu den „Idealen der westlichen Demokratie“ zu bekennen. Nun, ganz so spontan, wie manche der Einsichtsvolleren schon damals wussten, waren diese Unmutsgefühle keineswegs ausgebrochen, sondern hatten sich im Laufe der Jahre allmählich verstärkt, bis sie sich in den Tagen um den 17. Juni in zahlreichen Protesten endlich Ausdruck zu verschaffen suchten. Genau genommen hatte diese innere Widersetzlichkeit bereits im Jahr 1945 begonnen, als die Siegermächte nach der katastrophalen Niederlage des Nazifaschismus das Restterritorium des Dritten Reichs in vier Besatzungszonen aufgeteilt hatten, wobei der Sowjetunion – nach der Abtretung der östlich der Oder-Neiße-Linie liegenden Gebiete an Polen – große Bereiche Mittel- und Ostdeutschlands zugefallen waren. Schon das hatte unter den dort lebenden Deutschen, denen man während der NS-Zeit die UdSSR als ein Land brutalster Untermenschen hingestellt hatte, deutliche Ressentiments geweckt. Auch sie wären lieber von den „Amis“ erobert worden, die ihnen schon in der Weimarer Republik und dann noch einmal in den Hollywoodfilmen der dreißiger Jahre, welche selbst die Nazifaschisten nicht verboten hatten, als äußerst liebenswert erschienen waren. Daher setzten sie schon damals ihre Hoffnung auf eine möglichst baldige Vereinigung der vier Besatzungszonen in ein nicht östlich, sondern westlich orientiertes Deutschland. Doch diese Hoffnung währte nicht lange, da der Ende 1947 einsetzende Kalte Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zwangsläufig zu einer Spaltung in zwei sich feindlich gegenüberstehende Administrationsgebiete führte. Im Gegensatz zu England, Frankreich und

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den USA, die nach diesem Zeitpunkt in ihren drei Besatzungszonen eine konsequente „Westbindung“ durchsetzten und dabei von Seiten der deutschen Bevölkerung viel Unterstützung fanden, versuchte die UdSSR bis 1948/49 eine Teilung Deutschlands in zwei voneinander unabhängige Territorien so lange wie möglich zu verhindern. Im Rückblick auf die zwei Weltkriege, in denen erst das Zarenreich und dann die Sowjetunion durch die deutschen Invasionsarmeen schlimmste Verheerungen erlitten hatten, war der KPdSU damals eher daran gelegen, im Sinne der Entmilitarisierungsbestimmungen des Potsdamer Abkommens das deutsche Restreich in einen neutralen Pufferstaat zwischen den Westmächten und sich selbst zu verwandeln, um so die Gefahr eines Dritten Weltkriegs zu verhindern. Die Sowjetunion unterstützte daher in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit Hilfe der kommunistischen Parteien Westeuropas in ihrer Außenpolitik vor allem eine großangelegte Friedenskampagne. Um sich dabei nicht dem Verdacht auszusetzen, bei diesen Bemühungen lediglich sozialistische Zielsetzungen im Auge zu haben, die man im Westen als geschickt verschleierten Imperialismus auslegen könnte, befürwortete die UdSSR hierbei vornehmlich pazifistisch-demokratische Ideale, von denen sie sich noch am ehesten eine effektive Breitenwirkung versprach, während sie mit ihren politischen und sozioökonomischen Veränderungsvorstellungen erst einmal hinterm Berg hielt. Das gilt in besonderem Maße für ihre Politik in der Sowjetischen Besatzungszone, in der die Nazifaschisten – wie in ganz Deutschland – 1933 die KPD total zerschlagen hatten und denen es danach gelungen war, selbst große Teile der vorher linksorientierten Arbeiterschaft für ihre Ziele zu gewinnen. Hier war also die Chance, das Proletariat, geschweige denn die sich den Nazifaschisten angeschlossenen bürgerlichen Schichten, von irgendwelchen von Moskau ausgehenden Sozialisierungsprogrammen zu überzeugen, gering. Die UdSSR schlug deshalb in ihrer Besatzungszone zu Anfang erst einmal einen klassenübergreifenden, ja fast westlich-demokratisch klingenden Kurs ein, um die dort lebende Bevölkerung, die man im Dritten Reich zwölf Jahre lang mit antikommunistischen Parolen traktiert hatte, nicht sofort mit proletarisch-revolutionären Losungen gegen sich aufzubringen. Daher sprach sich selbst die am 11. Juni 1945 neu entstandene KPD in ihrem Gründungsaufruf ausdrücklich für die „Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes“ mit Befürwortung „des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative“ aus. Ja, das gesamte Zentralkomitee dieser Partei erklärte zu diesem Zeitpunkt noch mit liberaler Intonation:

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„Böser Morgen“

Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk.1 Da das proletarische Klassenbewusstsein in der NS-Zeit verschüttet worden sei, hieß es weiter, wäre es demzufolge „falsch und äußerst schlecht“, sofort „den Kampf um die unmittelbare Errichtung des Sozialismus führen zu wollen“.2 Eine gewisse Änderung in dieser Hinsicht trat erst ein, als die ostdeutsche KPD – wegen ihrer numerischen Unterlegenheit – immer stärker darauf drängte, sich mit der wesentlich beliebteren SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zu vereinigen, um sich in allen innenpolitischen Entscheidungen ein größeres Mitspracherecht zu verschaffen. Allerdings betonten die Sprecher dieser neu gegründeten Partei anfangs weiterhin, einen „demokratischen“ Weg zum Sozialismus einschlagen zu wollen.3 Erst im Sommer 1948, nachdem die Westmächte durch eine einseitig in ihren drei Besatzungszonen durchgeführte Währungsreform eine endgültige Spaltung Deutschlands erzwungen hatten, entschied sich die SED – im Gegenzug zu diesen Maßnahmen – sich in eine „Partei des neuen Typs“ umzuwandeln, das heißt, ein klares und eindeutiges Bekenntnis zur Sowjetunion zum Hauptgrundsatz ihrer zukünftigen Entscheidungen zu machen. Als es daher in der im Mai 1949 gegründeten BRD zu Wahlen zum ersten Bundestag kam, deren Ergebnis die zwischen dem 7. und 12. September 1949 erfolgte Konstituierung eines westdeutschen Parlaments unter der Kanzlerschaft Konrad Adenauers war, entschloss sich die SED am 7. Oktober des gleichen Jahres zur Gründung jenes Staates, den sie die Deutsche Demokratische Republik nannte, statt ihn wie die anderen Ostblockstaaten als Sozialistische Volksrepublik auszugeben, um so die Mehrheit ihrer Bewohner, die den Begriff „sozialistisch“ immer noch mit „russisch“ gleichsetzten, nicht ideologisch vor den Kopf zu stoßen. Allerdings gab sie dabei dem Begriff „demokratisch“ einen anderen Akzent als in den westlichen Ländern. Während man dort darunter vor allem das persönliche Durchsetzungsvermögen des Einzelnen verstand, gebrauchte die SED diesen Begriff nicht im Sinne des Ichhaften, sondern im Sinne des Wirbeton-

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ten, indem sie ihn auf seine ursprüngliche Bedeutung als Ausdruck von „Volksherrschaft“ zurückführte, was letztlich auf eine Gleichsetzung mit dem Begriff „sozialistische Volksherrschaft“ hinauslief. II Das klang auf Anhieb erst einmal durchaus überzeugend: Die nazifaschistische Diktatur, die durch ihren imperialistischen Größenwahn Deutschland in den Abgrund geführt hatte, sollte in ihrem Territorium durch ein politisches System ersetzt werden, in welchem den Großkopfeten unter den Industriellen und Landjunkern nicht noch einmal die Chance gegeben würde, eine rechtsradikale Partei wie die NSDAP zu unterstützen oder gar die alleinige Macht an sich zu reißen, sondern wo die Mehrheit der werktätigen Arbeiter und Bauern in inniger Verbundenheit mit der Intelligenz einen Staat des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit aufbauen würde. Was dieser Idealvorstellung jedoch im Wege stand, war nicht nur die postfaschistische Mentalität weiter Schichten der ostdeutschen Bevölkerung, sondern auch die ökonomische Misere, die nach Kriegsende einsetzte. Schließlich fühlte sich die Sowjetunion, die am meisten unter den barbarischen Auswirkungen des von den Nazifaschisten entfesselten Zweiten Weltkriegs gelitten hatte, durchaus berechtigt, auf großzügige Wiedergutmachungsleistungen zu bestehen. Und das konnte sie im Zuge des Kalten Kriegs nur in ihrer eigenen Besatzungszone durchsetzen, was sowohl zur Demontage von zweihundert Fabriken als auch zu beträchtlichen Lieferungen an die UdSSR aus der laufenden Produktion führte, wodurch zwischen 1945 und 1950 in der SBZ beziehungsweise DDR eine Einbuße von vierzig Prozent der Industriekapazität eintrat. Dazu kam die im Potsdamer Abkommen verfügte Bodenreform, durch die zwei Drittel des Territoriums, das bisher Junkern und Großbauern gehört hatte, an Landarbeiter, Kleinbauern und Umsiedler übergeben wurde, was anfangs einen erheblichen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktivität bewirkte. All das führte zwangsläufig zu drastischen Einschränkungen in der Konsumgüterversorgung der ostdeutschen Bevölkerung, die derart drakonische Maßnahmen weder als Folgen der nazifaschistischen Verbrechen noch als dem Aufbau des Sozialismus dienliche Veränderungskonzepte, sondern als diktatorische Verfügungen der sowjetischen Militärbehörden und der ihnen knechtisch folgenden SED-Bonzen empfand. Statt die Umwandlung privatwirtschaftlich arbeitender Fabriken in volkseigene Betriebe, die Bodenreform und die Einrichtung staatlicher HO-Läden als „demokratisierend“ oder gar „sozialistisch“ zu verstehen, sahen die meisten SBZ- und dann DDR-Bewohner darin lediglich „undeutsche“, das heißt

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von den schon im Dritten Reich verhassten Russen verfügte Zwangsmaßnahmen. Schließlich war dieser „Wende“ ins Sozialistische keine innerdeutsche Revolution, sondern, wie gesagt, jenes Dritte Reich vorausgegangen, für das die überwältigende Mehrheit der Deutschen im Zweiten Weltkrieg bis zur letzten Minute gekämpft und gearbeitet hatte. Selbst die ideologische Ernüchterung nach dem 8. Mai 1945 hatte bei vielen SBZlern nicht dazu geführt, in den Russen, diesen „barbarischen Halbasiaten“, ihre Befreier zu sehen. Im Gegensatz zu den US-Amerikanern, Engländern und Franzosen, die von den meisten der Westzonler als durchaus wesensverwandt empfunden wurden, galten die Sowjets in der SBZ als fremdartig, wenn nicht gar als unzivilisiert. Während sich also die Westdeutschen von den dortigen Alliierten – wegen der von ihnen verkündeten formal-demokratischen Freiheitsvorstellungen, der Befürwortung einer privatwirtschaftlichen Konsumgüterindustrie sowie der seit 1948 einsetzenden Marshallplan-Hilfe – geradezu gern, ja seit der Mitte der fünfziger Jahre mit Wonne „amerikanisieren“ ließen, sahen die Ostdeutschen in den sowjetisierten Russen – wegen der anfänglichen Demontagen und der darauf einsetzenden sozialistischen Planwirtschaft, von der sie sich eher Nachteile als Vorteile versprachen – von vornherein abzulehnende Eindringlinge. Ja, die meisten der von den Sowjets durchgeführten Maßnahmen erschienen vielen unter ihnen nicht als „Befreiung“, sondern vielmehr als „Diktatur“. Die SED-Führung, deren wichtigste Vertreter 1945 aus dem Moskauer Exil zurückgekehrt waren, zu denen sich nur eine winzige Minderheit der aus den nazifaschistischen Gefängnissen und Konzentrationslagern befreiten antifaschistischen Regimegegner bekannte, war daher von Anfang an unbeliebt. Nicht nur die bürgerlichen Mittelschichten, auch große Teile der Arbeiterschaft, die sich während der Wirtschaftskrise der späten Weimarer Republik der SA und dann der NS-Arbeitsfront angeschlossen hatten, verhielten sich deshalb den von den Sowjets geförderten Mitgliedern der SED höchst misstrauisch gegenüber. Sie sahen – nach den Entbehrungen des Zweiten Weltkriegs – nicht in irgendwelchen den Aufbau des Sozialismus befürwortenden Maßnahmen, zumal diese mit vielen Reparationen an die UdSSR verbunden waren, sondern eher in einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Konsumgesellschaft eine ihnen als zukunftsträchtig erscheinende Zielvorstellung, zumal in den westlichen Besatzungszonen, wie gesagt, schon im Sommer 1948 die Marshallplan-Hilfe einsetzte sowie eine zur Durchsetzung einer sogenannten freien Marktwirtschaft dienliche Währungsreform stattgefunden hatte, worauf sich die dortigen Läden und Warenhäuser wieder mit den seit langem entbehrten Konsumgütern zu füllen begannen.

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Die Folge davon war, dass sich zwischen 1949 und 1952 670 000 ostdeutsche Mittelständler, aber auch viele der dortigen Facharbeiter entschlossen, ihren Wohnsitz in der SBZ und dann der DDR aufzugeben und nach Westdeutschland umzuziehen, wovon sie sich höhere Gehälter, eine bessere Versorgung mit Konsumgütern und zugleich einen größeren Freiraum für ihre persönlichen Eigenheiten versprachen. Die SED musste deshalb alles aufbieten, um dieser verhängnisvollen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Sie tat das, indem sie 1949 Maßnahmen für eine gesteigerte Produktivität innerhalb der Energiewirtschaft, der chemischen Industrie sowie des Schwermaschinenbaus einleitete, denen sie 1951 einen nach sowjetischem Muster entworfenen Fünfjahresplan folgen ließ und zugleich die Gründung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks und die Kollektivierung aller noch selbstständigen Bauernhöfe anordnete. Doch mit all diesen Schritten, mit denen sie das „Wir“-Gefühl innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung verstärken wollte, verstimmte sie die meisten der dort Lebenden lediglich. Diese wollten sich nicht zum Wohle des Ganzen immer stärker „einordnen“, das heißt sich dem Ideal der Solidarität verschreiben, sondern lieber herkömmlicherweise als Einzelne ihr persönliches Fortkommen und ein konsumbetontes Glücksverlangen ins Auge fassen. Sie schielten daher neidisch nach Westdeutschland hinüber, wo der dortige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard den ihm vertrauenden Bundesbürgern – im Sinne des American Dream – einen „Wohlstand für alle“ versprach.4 Und so wurde die ökonomische Situation in der DDR in den folgenden Jahren immer prekärer. Angesichts des eklatanten Rohstoffmangels, der von der Sowjetunion bis 1953 eingeforderten Reparationen und des Verlusts vieler in den Westen gegangener Facharbeiter sah sich die SED schließlich mit einer wirtschaftlichen Notsituation konfrontiert, die sie nur mit diktatorischen Maßnahmen zu überwinden hoffte. Doch damit erreichte sie – trotz allen guten Willens – lediglich das Gegenteil. Und so nahm angesichts des in der BRD aufblühenden kapitalistischen „Wirtschaftswunders“ die weitverbreitete Unzufriedenheit, ja Frustrierung in der DDR von Jahr zu Jahr, wenn nicht von Monat zu Monat stetig zu. Selbst das von der SED eingeführte Prämiensystem für erhöhte Arbeitsleistungen hatte demzufolge nicht die erwünschte Wirkung, sondern löste bei eher antisozialistisch eingestellten Bevölkerungsschichten offen geäußerte Unmutsstimmungen gegenüber jenen „Helden der Arbeit“ aus, die sich aus innerer Überzeugung oder auch nur aus persönlichem Bereicherungsdrang für den von der SED propagierten „Aufbau des Sozialismus“ einzusetzen versuchten. Daher sah sich die SED im Mai 1953 schließlich gezwungen, um in vielen Branchen der Industrie eine steigende Produktivität anzukurbeln, von

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allen „Werktätigen“ eine Erhöhung der Arbeitsnorm um zehn Prozent bei gleichbleibender Lohnzahlung zu fordern, mit der sie den Zusammenbruch ihres auf zentralistischen Planungsprinzipien beruhenden Wirtschaftssystems zu verhindern suchte. Und das brachte den Kessel schließlich zum Platzen. Wie allgemein bekannt, kam es daraufhin am 17. Juni 1953 und den Tagen danach in mehreren Städten der DDR zu Arbeiterunruhen, deren Sprecher die vom Politbüro der SED verfügten Normenerhöhungen grundsätzlich ablehnten. Diese Aufstände wurden zwar von der Volkspolizei und zum Teil mit Hilfe sowjetischer Panzereinheiten unterdrückt, ja, die angeordneten Normenerhöhungen wurden von der SED-Parteileitung schon am gleichen Tag wieder zurückgenommen, was jedoch keineswegs zu einer sofortigen Beruhigung der innenpolitischen Situation beitrug, sondern noch lange als gesellschaftlicher Störfaktor weiterwirkte. III Für die Kalten Krieger im Westen war dieser 17. Juni natürlich ein gefundenes Fressen. Ihre ideologischen Trägerschichten hatten schon seit der Spaltung Deutschlands im Jahr 1949, für die man dort selbstverständlich allein die starre Haltung der Sowjetunion verantwortlich machte, von Anfang an gehofft, dass der Unstaat „Sowjetzone“, wie die DDR in ihren Organen allgemein hieß, sicher über kurz oder lang am Unwillen der dort lebenden Deutschen scheitern würde. Und diesen Tag sah man am 17. Juni 1953 endlich gekommen. Allerdings verschwieg man dabei stets die objektiven Schwierigkeiten in ökonomischer Hinsicht, die in der DDR herrschten, sondern sprach stets nur von der nicht zu unterdrückenden Sehnsucht nach mehr „Freiheit“, die sich in diesem fragwürdigen Land Luft zu machen versuche, als ob es den Ostzonenbürgern bei ihren Aufständen nur darum gehe, sich endlich „freier“ auszudrücken, „freier“ aufzutreten, „freier“ reisen zu können, statt sich dauernd die in eine bessere Zukunft weisenden Losungen der SED anhören zu müssen, deren Ziel lediglich darin bestehe, sie in gefügige Untertanen einer totalitaristisch auftretenden Partei zu verwandeln. Um dieser Propagandawelle den nötigen Nachdruck zu verleihen, gaben an diesem Tag oder kurz danach fast alle westdeutschen Politiker vollmundig klingende Statements ab,5 in denen neben dem Wort „Freiheit“ selbst Metaphern wie „gottgewollte Fügung“ oder „Erlösung bringender Frühlingssturm“ nicht fehlen durften. Außerdem bemühte sich der Westberliner Sender RIAS fünf Tage lang, durch politisch aufheizende Meldungen die Ostberliner Bevölkerung zum Generalstreik gegen die „verhasste SED-Regierung“ aufzuputschen,6 während sich Gruppen jugendlicher Westberliner sogar unter die Streikenden in Ostberlin mischten, um sie in ihrem Widerstandswillen gegen die „SED-Tyrannei“ zu unterstützen.

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Obwohl dieser Aufstand am Widerstand der DDR-Volkspolizisten und dem Einsatz sowjetischer Streitkräfte scheiterte, ließ sich die CDU/ CSU-Fraktion im westdeutschen Bundestag diese Gelegenheit nicht entgehen, schon am 24. Juni einen Entwurf vorzulegen, dass der 17. Juni in Zukunft in der BRD als „Nationaler Gedenktag für Freiheit und Einheit“ begangen werden solle.7 Ja, einen Tag später forderte die SPD sogar, den 17. Juni zum alleinigen „Nationalfeiertag“ zu erheben,8 was dann auch geschah und in allen systemkonformen Medien des Westens alljährlich eine wahre Sintflut an Diffamierungskampagnen gegen die sogenannte DDR in Bewegung setzte. Angesichts dieser höchst effektiven Propagandawellen war es für die SED nicht leicht, den 17. Juni 1953 in ihren weiterhin aufrechterhaltenen Zielvorstellungen eines planmäßigen Aufbaus des Sozialismus in der DDR zu verorten. So hob zwar Otto Grotewohl, der amtierende Ministerpräsident, schon am ersten Tag der Aufstände um 14 Uhr die geforderten Normenerhöhungen im Rundfunk wieder auf. Außerdem versprach er den Arbeitern großzügige Lohn-, Sozialfürsorge- und Rentenerhöhungen, Fahrpreisermäßigungen, Wohnungsbaumaßnahmen und erweiterte Sozialleistungen sowie der Intelligenz eine größere Freizügigkeit in ihren wissenschaftlichen und künstlerischen Bemühungen. Doch all das reichte nicht aus, um die „breiten Massen“ zu besänftigen. Dazu war ihr Unwille bereits zu groß geworden. Daher entschied sich das Zentralkomitee der SED bereits am 24. Juni, die Hauptschuld an diesen Unruhen nicht „unseren Arbeitern“ anzulasten, sondern dafür jene aus Westdeutschland und Westberlin mit US-amerikanischer Unterstützung in die DDR eingeschleusten „Kriegsverbrecher, Militaristen und kriminellen Elemente“ verantwortlich zu machen, die man vorher in „Terrororganisationen ausgerüstet“ habe, um so durch „organisierte Überfälle“ die DDR zu Fall zu bringen.9 In den Presseorganen der DDR war deshalb im Hinblick auf die Anstifter der Unruhen am „Tag X“, wie der 17. Juni danach vielfach genannt wurde, in der Folgezeit ständig von Westberliner „Provokateuren“, „Rowdies“ und „Banditen“ als den eigentlichen „Rädelsführern dieses faschistischen Putschversuchs“ die Rede.10 Doch mit derart einseitigen Erklärungsversuchen ließen sich weder die besagten objektiven Schwierigkeiten in der Konsumgüterversorgung noch der durch sie ausgelöste Unwille der DDR-Bevölkerung aus der Welt schaffen. Schließlich erwiesen sich auch diesmal die wirtschaftlichen Bedingungen als wesentlich meinungsbeeinflussender als alles politische Drumherumgerede. Das Resultat der am 17. Juni und den Tagen danach in allen größeren Städten der DDR stattfindenen Proteste war daher lediglich eine

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prekäre Waffenruhe oder ein zeitweiliger Stillstand, der dem von der SED geforderten sozialistischen Um- oder Aufbauwillen eher schadete, als ihn zu befördern. Dass alle diese Ereignisse in der durch den Kalten Krieg verursachten Spaltung Deutschlands in zwei souveräne Staaten in der hochpolitisierten Öffentlichkeit rechts und links der Grenze nicht nur im Rundfunk und den Presseorganen zu einer geradezu unübersehbaren Fülle an Nachrichtensendungen, Leitartikeln und essayartigen Kommentaren führen mussten, war vorherzusehen. Aber auch auf literarischem Gebiet, wo es manche weniger erwarten würden, haben diese sensationell hochgespielten Vorgänge beachtliche Spuren hinterlassen, wenn auch wesentlich zahlreicher in der ostdeutschen als in der westdeutschen Literatur, wo es anno dazumal eher als „freiheitlich“ galt, sich in die Innenräume einer als individualistisch verstandenen Abstraktion des Absurden, Lettristischen und damit Formalistischen zurückzuziehen. Die Satire auf Bertolt Brechts Verhalten am 17. Juni 1953 in dem Drama Die Plebejer proben den Aufstand (1966) von Günter Grass, wegen der er zeitweilig in der DDR zur Unperson erklärt wurde, blieb daher in diesen Breiten eine Ausnahme. Hier begnügte man sich in dieser Hinsicht, wie gesagt, weitgehend mit Bekenntnissen zu einer abstrakt bleibenden „Freiheit“, statt den 17. Juni in der DDR auf die ihm vorangegangenen Schwierigkeiten zurückzuführen. In der DDR-Literatur ist dagegen die Fülle der sich mit diesen Ereignissen auseinandersetzenden Werke kaum zu überschauen. Aufs Große und Ganze gesehen, lassen sich dabei zwei deutlich entgegengesetzte Gruppen unterscheiden. Zu der einen gehörten unter anderem Autoren und Autorinnen wie Kurt Barthel (KuBa), Uwe Berger, Eduard Claudius, Rainer Kerndl, Erwin Lademann, Erik Neutsch, Siegfried Pitschmann, Werner Reinowski, Fritz Selbmann und Inge von Wangenheim, die in ihren Erzählungen oder Romanen im Sinne der SED vor allem den zutiefst konterrevolutionären, ja geradezu faschistoiden Charakter dieser Aufstände herausstellten.11 Andere DDR-Autoren, darunter Günther Cwojdrak, Wolfgang Harich, Stefan Heym und Erich Loest, forderten dagegen in Anbetracht der Gefährlichkeit der weitverbreiteten Streikbewegung, ein „großes Gespräch“ zwischen der SED und der werktätigen Bevölkerung zu eröffnen, um so die „breiten Massen“ über die „objektiven Schwierigkeiten“, das heißt den Rohstoffmangel und die Abwanderung von Facharbeitern in die BRD aufzuklären, die eine industrielle Produktionssteigerung bisher verhindert hätten.12

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IV Doch um endlich zum Zielpunkt all dieser Überlegungen zu kommen: Wie verhielt sich eigentlich Bertolt Brecht, der weitaus Bedeutendste all dieser DDR-Autoren und -Autorinnen, den Ereignissen des 17. Juni 1953 und der darauffolgenden Tage gegenüber, die er in Ostberlin hautnah miterlebte? Wie er im Einzelnen darauf reagierte, hat vor allem Werner Mittenzwei höchst präzis beschrieben.13 In den frühen Morgenstunden dieses Tages war Brecht erst einmal bestürzt, dass es nicht die Kleinbürger, sondern ausgerechnet die Arbeiter waren, die auf den Straßen zu randalieren begannen. Wie konnte diese Klasse gegen ihre eigenen Interessen demonstrieren, fragte er sich. Schließlich verlangten einige dieser Gruppen nicht nur die Zurücknahme der geforderten Normenerhöhungen, sondern obendrein den Sturz der Regierung, die sofortige Einführung einer „freien Marktwirtschaft“ und damit die Zurücknahme der ersten sozialistischen Errungenschaften. Brecht fuhr daher sofort ins Berliner Ensemble und diktierte dort Briefe an Walter Ulbricht und Otto Grotewohl, in denen er diesen beiden nicht nur seine politische „Verbundenheit“ versicherte, sondern ihnen sogar anbot, sich mit seinem Ensemble an abwiegelnden Aktionen der SED-Führung zu beteiligen. Allerdings forderte er dabei in seinem Brief an Ulbricht, endlich die seit langem nötige „große Aussprache mit den Massen über das Tempo des sozialistischen Aufbaus“ in Gang zu setzen, um so zu einer „Sichtung und zu einer Sicherung der sozialistischen Errungenschaften“ beizutragen.14 Ja, Brecht erwog sogar, möglichst umgehend in die SED einzutreten, um sich noch aktiver in die stattfindenden Prozesse einschalten zu können.15 Das soll nicht heißen, dass Brecht den Demonstrierenden innerhalb der Arbeiterklasse von vornherein misstraute. Ja, dass sich diese Klasse – nach der ideologischen Narkose durch den Nazifaschismus, die sie in einen lethargischen Zustand versetzt hatte – wieder zu tatkräftigen Aktionen aufzurappeln versuchte, imponierte ihm. Er sah daher in diesen Demonstrationen weder einen „faschistischen Putschversuch“ noch einen „allgemeinen Volksaufstand“, wie es in den offiziellen Verlautbarungen der SED oder den westlichen Medien zumeist hieß. Stattdessen schrieb er am 20. August 1953 in Rückschau auf diese Tage in sein Arbeitsjournal: In aller ihrer Richtungslosigkeit und jämmerlicher Hilflosigkeit zeigen die Demonstrationen der Arbeiterschaft immer noch, daß hier die aufsteigende Klasse ist. Nicht die Kleinbürger handeln, sondern die Arbeiter. Ihre Losungen sind verworren und kraftlos, eingeschleust durch den Klassenfeind, und es zeigt sich keinerlei Kraft der Organisation, es entstehen keine Räte, es formt sich kein Plan. Und doch hatten wir hier die Klasse vor uns, in ihrem depraviertesten Zustand, aber die Klasse.

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Und er fügte dieser Erklärung sogar noch die Sätze an: Das war der Kontakt. Er kam nicht in der Form der Umarmung, sondern in der Form des Faustschlags, aber es war doch der Kontakt. – Die Partei hatte zu erschrecken, aber sie brauchte nicht zu verzweifeln. […] Deshalb empfand ich den schrecklichen 17. Juni als nicht einfach negativ.16 Worauf Brecht also hoffte, war, dass sich nach den Erschütterungen des 17. Juni ein „ganz anderes Verhältnis zwischen der SED und der ostdeutschen Arbeiterklasse anbahnen“ würde, wie Werner Mittenzwei schrieb.17 Und er zog dafür vor allem folgende Brecht-Äußerung heran: In dem Augenblick, wo ich das Proletariat […] ausgeliefert dem Klassenfeind sah, dem wieder erstarkenden Kapitalismus der faschistischen Ära, sah ich die einzige Kraft, die mit ihr fertig werden konnte.18 Da jedoch die „große Aussprache“ mit den breiten Massen über das „Tempo des sozialistischen Aufbaus“, die zu einer grundsätzlichen Klärung der ideologischen Situation führen sollte, wie er am 17. Juni an Walter Ulbricht geschrieben hatte, danach weitgehend ausblieb, ja, die SED-Führung sogar auf künstlerischem Gebiet nach wie vor eher die Tendenz ins Schönfärberische als ins Dialektisch-Aufhellende unterstützte, zog sich Brecht in der zweiten Junihälfte des Jahres 1953 zu einer ideologischen und literarischen Besinnungspause in sein geliebtes Landhaus am Schermützelsee in der Märkischen Schweiz zurück, wo er in der Folgezeit jene halb kritischen, halb selbstreflektierenden „Buckower Elegien“ schrieb, in denen viele Literaturwissenschaftler – unter weitgehender Nichtbeachtung seiner vorausgegangenen Briefe und Notate – die Hauptzeugnisse von Brechts Einschätzung des 17. Juni in Ostberlin gesehen haben. V Und das ist in mancher Hinsicht nicht unzutreffend. Schließlich liegen ihnen – wenn auch kunstvoll verschlüsselt – die gleichen Hoffnungen und Enttäuschungen zugrunde, auf die man auch in seinen Briefen und Aufzeichnungen aus diesem Zeitraum ständig stößt. Schon das vorangestellte Motto „Ginge da ein Wind / Könnte ich ein Segel stellen. / Wäre da kein Segel / Machte ich eines aus Stecken und Plane“19 gibt den Kurs des Ganzen an, nämlich in Zeiten ideologischer Windstille, das heißt der ausbleibenden „großen Aussprache“, nicht klein beizugeben oder gar zu verstummen, sondern – so gut es geht – weiter zu segeln. Der gleiche Grundimpuls

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Widersprüchliches in Brechts „Buckower Elegien“ (1953)

Buckow, Gärtnerhaus (1952)

liegt dem Gedicht „Der Radwechsel“, dem ersten Gedicht dieses locker aneinandergereihten und doch wohldurchdachten Zyklus, zugrunde. „Ich bin nicht gern, wo ich herkomme“, heißt es hier. Aber auch: „Ich bin ich nicht gern. wo ich hinfahre.“ Dennoch, auf eine Verbesserung der Verhältnisse hoffend, betrachtet der Wartende, die ihm aufgezwungene Pause mit „Ungeduld“.20 Selbst dem kurz darauf folgenden und von hämischen, sich die Hände reibenden „Westlern“ gern zitierten Gedicht „Die Lösung“ liegt keine gegen die Regierung der DDR gerichtete Tendenz, sondern lediglich ein satirischer Angriff auf einen SED-Dichterling wie den damaligen Sekretär des DDR-Schriftstellerverbands Kurt Barthel (KuBa) zugrunde, der den meuternden Maurern und Zimmerleuten der Stalinallee am 20. Juni im Neuen Deutschland vorgehalten hatte, dass sie sich „schämen“ sollten, ohne Ursache protestiert zu haben, statt einzusehen, wie sehr sich „die Sowjetarmee und die Kameraden der deutschen Volkspolizei“ durch ihren Einsatz um „den Frieden der Welt“ bemüht hätten. Ja, KuBa hatte die protestierenden Arbeiter sogar aufgefordert, in Zukunft „sehr viel und sehr gut zu mauern“, damit man ihnen „diese Schmach“ vergeben könne.21

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„Böser Morgen“

Wesentlich zentraler für Brechts Einschätzung der Vorgänge des 17. Juni in Ostberlin ist dagegen das Gedicht „Böser Morgen“, in dem er die ihn bestürzende Widersprüchlichkeit dieses Tages mit dem Erwachen aus einem Alptraum verglich. Selbst der bis dahin so betörend schöne Blumengarten in Buckow, der jedes Jahr „von März bis Oktober blüht“, erschien ihm – bei Licht besehen – plötzlich „billig und eitel“.22 Nichts, aber auch nichts war mehr so, wie es vorher war. Alles wirkte mit einem Mal bedrohlich. Selbst die Arbeiter, die er in seinem Alptraum vor sich sah, wiesen mit ihren „zerarbeiteten“ und „gebrochenen“ Fingern wie „Aussätzige“ auf ihn, als ob er ebenfalls dafür verantwortlich sei, mit welcher Härte man ihren Aufstand niedergeschlagen habe. Und Brecht stellte sich dieser Konfrontation, indem er das Gedicht „Böser Morgen“ mit den Zeilen beschloss: „Unwissende! schrie ich / Schuldbewußt.“23 Auf den ersten Blick wirkt das wie eine Selbstanklage, nicht entschieden genug für den Aufbau des Sozialismus eingetreten zu sein und sich von Zeit zu Zeit in die Buckower Idylle zurückgezogen zu haben, statt die noch „Unwissenden“ aufzuklären, dass selbst ein schlechter Sozialismus immer noch besser sei als gar kein Sozialismus. Doch letztlich geht es in diesen wenigen Zeilen um wesentlich mehr: nämlich um die Einsicht, dass sich „Neues“ und selbst wenn es sich noch so progressiv, das heißt sozialbetont, antiausbeuterisch und damit wahrhaft „demokratisch“ versteht, nie über Nacht gegen Altgewohntes durchsetzen lässt. In diesem Punkt blieb Brecht, der stets in Hegels Phänomenologie des Geistes das Alte Testament des Marxismus gesehen hatte, auch im Hinblick auf die Ereignisse des 17. Juni 1953 ein die geschichtlichen Vorgänge nicht beschönigender Dialektiker, der im Sinne der Schriften Zur Frage der Dialektik (1914) von Lenin oder Über den Widerspruch (1937) von Mao Tse-tung genau wusste, dass jeder noch so wohlgemeinten These stets eine Antithese entgegenstehe, man also stets von einer Einheit der Gegensätze ausgehen müsse, die man nicht leichtfertig übersehen dürfe. Das Neue erwachse nun einmal nicht organisch aus dem Vorhergegangenen, betonte deshalb auch Brecht immer wieder, sondern könne sich nur in einer erbitterten Frontstellung dagegen durchsetzen. Daher sei selbst der nicht nur das Wohl der Wenigen, sondern das Wohl aller Menschen ins Auge fassende Kommunismus, wie Brecht bereits in der Endphase der Weimarer Republik eingesehen hatte, zwar das „Einfache“, das jedoch „schwer zu machen“ sei, um eine bekannte Formulierung aus seinem Agitationsstück Die Mutter von 1931 zu zitieren.24 Und diese Einsicht in den widersprüchlichen Verlauf aller progressiv gemeinten politischen Bemühungen gab Brecht auch nach dem Sieg des Nazifaschismus über die KPD nicht auf. Statt sich in den dreißiger Jahren im Hinblick auf den großen, wenn auch nicht unvergleichlichen Stalin ein-

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Widersprüchliches in Brechts „Buckower Elegien“ (1953)

Bertolt Brecht (1954)

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fach irgendwelchen personenkultischen Schönrednern anzuschließen, hatte er ihn eher als einen Diktator eingeschätzt, der sich im Kampf gegen seine Widersacher zwangsläufig zu Gewaltmaßnahmen entschlossen habe, um im dialektischen Verlauf der Geschichte überhaupt einige seiner sozialistischen Programmpunkte durchsetzen zu können. Ja, Brecht hatte sich zeitweilig sogar dazu durchgerungen, Stalin als einen „nützlichen Mörder“ seines Volkes zu charakterisieren sowie unter der gleichen dialektisierenden Perspektive im Hinblick auf die Moskauer Schauprozesse in den wohlmeinenden „Unschuldigen“ die wahrhaft „Schuldigen“ zu sehen. Und dieselbe Sehweise legte er auch den auf den „Bösen Morgen“ folgenden Gedichten seiner „Buckower Elegien“ zugrunde, in denen der Hauptakzent fast durchgehend auf die weiterbestehende Widersprüchlichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR gelegt wird. In „Gewohnheiten, noch immer“ ist vom „preußischen Adler“ die Rede, der weiterhin den Jungen „das Futter in die Mäulchen“ hackt. In „Heißer Tag“ sind es der „Priester“ und die „dicke Nonne“, die „wie in alten Zeiten“ nach wie vor ein Kind anhalten, sie über den See zu rudern. In „Die Wahrheit einigt“ wird in „schwerer Lage“ zum Eingedenken an die Zukunft der nicht vergessene Lenin beschworen. In „Eisen“ bricht zwar das eiserne Baugerüst zusammen, aber dann heißt es: „Doch was da aus Holz war / Bog sich und blieb.“ In „Der Einarmige im Gehölz“ ist es der „gefürchtete SS-Mann“, der immer noch lebt. In „Beim Lesen des Horaz“ wird an die „Sintflut“ erinnert, die jedoch wieder „verrann“. In „Bei der Lektüre eines sowjetischen Buches“ geht es um die Eindämmung der „zornerfüllten“ Wolga, die nach ihrer Bezwingung die „schwarzen Gefilde der Kaspischen Niederung“ befruchten wird. Ja, in dem Schlussgedicht „Bei der Lektüre eines spätgriechischen Dichters“ wird auf jene Troer hingewiesen, die trotz des Ansturms der Hellenen nicht verzweifelten, sondern weiterhin „Mut“ und „gute Hoffnung“ bewahrten.25 VI Alle diese Gedichte beweisen wohl zur Genüge, dass es Brecht – im Gegensatz zu manchen SED-Funktionären – nach dem 17. Juni 1953 keineswegs darum ging, die Hoffnung auf den Aufbau des Sozialismus allein durch neue Begeisterungsstürme anzufachen, sondern sich in schonungsloser Analyse mit den weiterbestehenden Widersprüchen zwischen dem Alten und dem Neuen auseinanderzusetzen. Mit anderen Worten: Er hoffte als eingefleischter Dialektiker, durch die Aufdeckung der nach wie vor existierenden Diskrepanzen zwischen dem Althergebrachten und dem Vorwärtsweisenden seinen Teil zur Überwindung derartiger Gegensätze beizutragen. Und in dieser Haltung ließ er sich auch durch weitere Erschütterungen innerhalb des Ostblocks nicht beirren.

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Widersprüchliches in Brechts „Buckower Elegien“ (1953)

Das gilt sogar für die folgenschweren Ereignisse des Jahres 1956, dem Jahr seines Todes, in dem er nicht nachließ, sich in aller Schärfe für eine Literatur einzusetzen, die sich nicht von der angeblich glänzenden Fassade des kapitalistischen „Wirtschaftswunderlands“ im Westen blenden lasse, sondern sich bemühte, der Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung weiterhin die mühsamen, aber wahrhaft progressiv gemeinten sozialistischen Umwandlungsbemühungen der SED vor Augen zu führen. Dementsprechend erklärte er auf dem IV. Schriftstellerkongress der DDR am 12. Januar 1956 in Ostberlin höchst unverblümt: Immer noch lebt der größere Teil Deutschlands im Sumpf der bürgerlichen Barbarei, und der Sumpf steigt weiter. […] Wir schreiben unter neuen Bedingungen. Die sozialistische und realistische Schreibweise, die wir als Sozialisten und Realisten für unsere neuen Leser, Erbauer einer neuen Welt, entwickeln, kann, wie wir sahen, für den großen Kampf in vielfacher Weise dichterisch ausgebaut werden, nach meiner Meinung besonders durch das Studium der materialistischen Dialektik und das Studium der Weisheit des Volkes. Bauen wir doch unseren Staat nicht für die Statistik, sondern für die Geschichte, und was sind Staaten ohne die Weisheit des Volkes.26 Brecht tat daher bis zu seinem Tod alles, was ihm mit seinen begrenzten Mitteln möglich war: Er ließ weiterhin sein Stück Die Mutter im Berliner Ensemble aufführen, um die von den Nazifaschisten verteufelten Russen als sympathieerregende Menschen darzustellen, er unterstützte den in der LPG-Bewegung tätigen Erwin Strittmatter, er setzte sich für die Einführung von Agitpropgruppen ein, um die ostdeutsche Bevölkerung von den Vorteilen der sozialistischen Umwandlungsbemühungen zu überzeugen und er wandte sich nachdrücklich gegen jene Bevölkerungsschichten in der DDR, die weiterhin mit neiderfüllten Augen in das Wirtschaftswunderland BRD hinüberschielten, das heißt nach mehr trivialer Unterhaltung, Luxuswaren und anderen westlichen Konsumgütern verlangten. Er wusste genau, dass sich diese Schichten nicht nach irgendeiner nebulösen „Freiheit“ sehnten, sondern sich nach den schrecklichen Kriegs- und Nachkriegsjahren in ihrer karg bemessenen Freizeit endlich genussreich amüsieren und ebenso genussreich konsumieren wollten, die also von einem „Arbeiterstaat“ mehr als „Arbeiterbier“ erwarteten, wie es Heiner Müller ein Jahr später in seinem Drama Der Lohndrücker formulierte.27 Zugegeben, Brecht interessierten als kritisch denkenden Marxisten im Jahr 1956 auch die Reaktionen auf den XX. Parteitag der KPdSU, wo Nikita Chruschtschow seine oft kolportierte Anti-Stalin-Rede gehalten

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hatte. Aber selbst das erschütterte seine ideologischen Grundanschauungen nicht. Plötzlich mit antistalinistischen Äußerungen an den zentralen Prinzipien des Sozialismus rütteln zu wollen, erschien ihm – als konsequenten Dialektiker – von vornherein falsch. Schließlich hatten Stalin und die Rote Armee unter ungeheuren Menschenopfern Europa vom Nazifaschismus befreit, worin er nach wie vor die welthistorische Leistung der Sowjetunion sah. Daher ging es Brecht auch weiterhin um die Durchsetzung sozialistischer Wirtschaftsverhältnise, um dem westlichen Großkapital nicht noch einmal die Chance zu einer neuen Faschisierung der „breiten Massen“ zu bieten. Wie die SED-Führung hoffte er deshalb weiterhin, dass eines Tages auch „über Rhein und Ruhr rote Fahnen“ flattern würden.28 Er gab zwar in einigen Notaten kurz vor seinem Tod zu, dass es unter Stalin zu einer „Verkümmerung der Dialektik“ gekommen sei. Aber er gab die Schuld an dieser „Verkümmerung“ nicht Stalin selber, sondern den noch unterentwickelten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnissen, die vor der Oktoberrevolution im Zarenreich geherrscht hätten, in dem es nur erste Ansätze zu einem klassenbewussten Proletariat gegeben habe, wodurch es bei der Durchsetzung des Sozialismus notwendigerweise zu erheblichen Zwangsmaßnahmen gekommen sei. Und die gleiche Situation habe in der frühen DDR geherrscht, wie Brecht erklärte, wo man ohne gewaltsame Eingriffe nie die sich inzwischen anbahnenden sozialistischen Errungenschaften erreicht hätte. Er riet daher immer wieder, bei den „Mühen der Ebenen“ diese Situation keineswegs aus dem Auge zu verlieren, sondern sich nach wie vor um eine Aufklärung der breiten Massen zu bemühen, in deren Interesse diese unvermeidlichen Zwangsmaßnahmen erfolgt seien. „Die Liquidierung des Stalinismus“, schrieb er deshalb in einer seiner letzten Aufzeichnungen, „kann nur durch eine gigantische Mobilisierung der Weisheit der Massen durch die Partei gelingen. Sie liegt auf der geraden Linie zum Kommunismus.“29 Schließlich ging es Brecht bis zuletzt in erster Linie um die Verbesserung der materiellen und bildungsmäßigen Bedingungen der Mehrheit der Bevölkerung und nicht vornehmlich um eine intellektuelle Verfreiheitlichung der ohnehin Begünstigten oder um die Durchsetzung seines mit Verfremdungseffekten operierenden Dramentyps, was sowohl viele seiner Gegner als auch manche seiner falschen Freunde immer wieder behauptet haben.

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GERECHTE KRIEGE – UNGERECHTE KRIEGE Brechts Pauken und Trompeten (1955)

I Auf die Frage „Krieg oder Frieden?“ hatte Bertolt Brecht lange Zeit keine eindeutige Antwort. Nach der relativ anarchischen Phase seiner Frühzeit, als er in seinen Dichtungen auch wilde, ja gewaltsame Züge keineswegs verschmäht hatte, bekam diese Problemstellung erst durch sein Studium des Marxismus-Leninismus in den späten zwanziger Jahren eine ihn provozierende Dringlichkeit. Schließlich galt es jetzt nicht mehr, lediglich den ungebärdigen Bürgerschreck zu spielen, sondern parteipolitisch Stellung zu beziehen. Obwohl Brecht keine Kämpfernatur war, ja meist zögerte, sich in gefährliche Situationen zu begeben, zwangen ihn vor allem seine Ablehnung des Nazifaschismus sowie seine Hinwendung zur Kommunistischen Partei und die daraus resultierende Exilsituation nach 1933 zusehends zu einer ideologischen und persönlichen „Haltung“, bei der sich eine kämpferische Parteinahme nicht länger vermeiden ließ. Dennoch blieb er in seinen frühen Exiljahren lieber auf einer kleinen dänischen Insel, als sich allzu häufig in eines der großstädtischen Zentren des antifaschistischen Widerstands, ob nun nach Moskau oder Paris, zu begeben. Und er arbeitete dort – eingedenk seiner Maxime „Es ist besser, sich außerhalb des Gefängnisses nützlich zu machen, als im Gefängnis heroisch unterzugehen“ – vornehmlich an inzwischen weitgehend „klassisch“ gewordenen Dramen wie Leben des Galilei und Der gute Mensch von Sezuan.1 Als es jedoch gegen Ende der dreißiger Jahre zum Krieg gegen den Faschismus kam, zögerte auch Brecht nicht, in seinen Werken Themen aufzugreifen, die vor allem um die eingangs genannte Frage „Krieg oder Frieden?“ kreisten. So schrieb er 1937 zur Unterstützung der spanischen Freiheitskämpfer sein Stück Die Gewehre der Frau Carrar, in dem er den hartnäckigen Widerstand der kleinen Leute gegen die vordringenden Franco-Truppen als politisch gerechtfertigt, ja als absolut notwendig hinstellte, während er in seinem Drama Mutter Courage und ihre Kinder, das er 1939 in den ersten Wochen des Zweiten Weltkriegs konzipierte, die politisch neutrale Haltung einer rücksichtslosen Marketenderin in einem Raub- und Konfessionskrieg, wie dem Dreißigjährigen Krieg, als sinnlos anprangerte. Wie in seinen Gedichten und Prosatexten, die er in diesem Zeitraum ver-

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fasste, ging es ihm in diesen Stücken nicht darum, Kriege als Auseinandersetzungen machthungriger Diktatoren oder eroberungssüchtiger Völker zu analysieren, sondern als Marxist die dahinter stehenden Klassenpositionen so klar wie möglich herauszustellen. Schließlich hatte sich Brecht seit 1928/29 entschlossen, in allen politischen Fragen auch die sozioökonomischen Auswirkungen der jeweiligen Eigentumsverhältnisse mitzubedenken. Dementsprechend geht es in seiner Mutter Courage – im Gegensatz zu späteren Interpretationen dieses Stücks als einer geradezu antikischen Niobe-Tragödie – vornehmlich um die These, dass die „kleinen Leute“ in Kriegen nichts zu gewinnen haben, selbst wenn sie sich noch so energisch bemühen sollten, bei solchen Auseinandersetzungen „ihren Schnitt zu machen“. Solange sich Brecht weiterhin in Skandinavien – erst in Dänemark, dann in Schweden und zuletzt in Finnland – aufhielt, hoffte er, wenigstens mit einigen seiner Antikriegstexte, wie dem gegen Hitler gerichteten Radiohörspiel Das Verhör des Lukullus von 1940, auf seine Weise agitatorisch in die politischen Geschehnisse einzugreifen. Was ihn dabei als Marxisten besonders verbitterte, war die Gefahr eines Überfalls der NS-Armeen und der hinter ihnen stehenden „Junker“ und „Ruhrkapitäne“ auf die Sowjetunion,2 in der Brecht ein friedliches „Land der Bauern und Arbeiter / Der großen Ordnung, des unaufhörlichen Aufbaus“ sah.3 Doch als er schließlich – nach den Blitzkriegerfolgen der Nazifaschisten in den ersten Kriegsjahren und dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die UdSSR – am 21. Juli 1941 in Los Angeles landete, gab er seine Hoffnungen auf ein „eingreifendes Denken“ erst einmal auf. Mit wem sollte er hier, wo er selbst sein Anti-Hitler-Drama Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui nirgends unterbringen konnte, kooperieren? Dennoch ließ sich Brecht nicht vollends entmutigen und schrieb im Sommer 1943 sein Antikriegsdrama Schweyk im Zweiten Weltkrieg, das jedoch in seiner Darstellung des „Unpositiven“ der kleinen Leute, was Brecht gerade als das „Positive“ in ihrer ideologischen Haltung empfand, allen, denen er es zur Aufführung anbot, als zu „unheroisch“ erschien. Und so wanderte auch dieses Stück in einen jener Manuskriptsäcke, in denen sich schon so viele seiner anderen ungedruckten und unaufgeführten Werke befanden. Erst nach dem 8. Mai 1945, als die Heeresführung des Dritten Reichs bedingungslos kapituliert hatte, schien Brecht endlich der Zeitpunkt gekommen zu sein, sich in aller Offenheit zu einer sozialistisch gefärbten Friedenssehnsucht zu bekennen. Aber selbst das erwies sich als ein Trugschluss. Schließlich ging der Krieg gegen Japan noch einige Monate weiter und endete erst, als die japanische Regierung nach dem Abwurf US-amerikanischer Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August

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1945 die Kampfhandlungen einstellte. Da jedoch Brecht in der Folgezeit in den USA nirgends irgendwelche konkreten Wirkungschancen sah, ja nach dem ideologischen Stimmungsumschwung im Zuge des einsetzenden Kalten Kriegs sogar vor das House Un-American Activities Committee zitiert wurde,4 wo er mit warnender Stimme erklären wollte: „Große Kriege sind erlitten worden, größere stehen, wie wir hören, bevor. Einer von ihnen mag sehr wohl die Menschheit in ihrer Gänze verschlingen. Wir mögen das letzte Geschlecht der Spezies Mensch auf dieser Erde sein“,5 was ihm jedoch verwehrt wurde, entschloss er sich, die Vereinigten Staaten so schnell wie möglich zu verlassen und sich erst einmal in die im Zweiten Weltkrieg neutral gebliebene Schweiz zu begeben, um sich dort einen besseren Einblick in die europäische, besonders die deutsche Nachkriegssituation zu verschaffen. Da die Erfahrungen des Krieges noch immer schwer auf ihm lasteten, begann er dort, sich möglichst umgehend in verschiedene Friedensbemühungen einzumischen. So nahm er bereits am 5. November 1947, das heißt vier Tage nach seinem Eintreffen in Zürich, mit Carl Zuckmayer, Erich Kästner, Werner Bergengruen und Max Frisch an einem Treffen teil, bei dem diese Autoren folgenden gegen einen drohenden Atomkrieg gerichteten Aufruf verfassten, von dem sie hofften, dass ihn alle fortschrittlichen Schriftsteller der Welt unterzeichnen würden: Die Erwartung eines neuen Krieges paralysiert den Wiederaufbau der Welt. Wir stehen heute nicht mehr vor der Wahl zwischen Frieden und Krieg, sondern vor der Wahl zwischen Frieden und Untergang. Den Politikern, die das noch nicht wissen, erklären wir mit Entschiedenheit, daß die Völker den Frieden wollen. Und in einem Begleittext hieß es – wohl unter dem Einfluss Brechts – noch deutlicher, dass die „neue Kriegspropaganda“ vor allem daher rühre, weil es „in Europa zwei verschiedene ökonomische Systeme“ gebe.6 Schließlich hatte Brecht schon gegen Kriegsende in seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“ erklärt, dass es sich bei all den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen 1939 und 1945 nicht nur um ideologische Gegensätze, sondern auch um „Kriege der Klassen“ gehandelt habe.7 Kurz darauf begann Brecht mit seiner Bearbeitung der sophokleischen Antigone, die er durch ein in Berlin stattfindendes Vorspiel auf die Situation des Kriegsendes zu aktualisieren versuchte. Ja, nicht nur das. Er bemühte sich zugleich, den Gesamtverlauf der Handlung durch eine weitgehende Eliminierung der betont „tragischen“ Elemente in eine gesellschaftliche Situation zu übertragen, innerhalb derer eher sozioökonomische Konflikte

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als schicksalsbedingte Verstrickungen zu Kriegen führen. Sein anderes Antikriegsprojekt war zu diesem Zeitpunkt ein Stück unter dem Titel „Der Wagen des Ares“, in dem er die „Rückkehr des Kriegsgottes aus einem fehlgegangenen Krieg in ein ruiniertes Land“ darstellen wollte.8 Leider hat sich davon nur ein kurzer Fabelentwurf erhalten, der als eine Art „aristophanische Revue“ angelegt ist, obwohl in diesem Plan auch die „Atomphysik“ herumgeistert, die Ares in seinem nächsten Krieg anwenden will.9 II Doch all das waren nur Vorspiele im Hinblick auf Brechts geplante Rückkehr nach Deutschland. Wie zu erwarten, blieb ihm dabei – wegen seiner linkspolitischen Einstellung und des sich von Monat zu Monat verschärfenden Kalten Kriegs – im Oktober 1948 keine andere Wahl, als sich in den sowjetischen Sektor Berlins zu begeben. Schon zwei Tage nach seiner Ankunft nahm er dort an einer groß aufgezogenen Friedenskundgebung des von Johannes R. Becher geleiteten Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands teil, hielt aber noch keine Rede, um sich parteipolitisch erst einmal genauer zu orientieren. Umso aktiver packte er jedoch seine Theaterarbeit an. Mit einem von ihm gegründeten Ensemble studierte er sein Antikriegsstück Mutter Courage und ihre Kinder ein, das schon am 11. Januar 1949 im Deutschen Theater über die Bühne ging. Dem Programmheft dieser Aufführung stellte er unter der Überschrift „Was eine Aufführung der ‚Mutter Courage und ihre Kinder‘ heute zeigen soll“ folgenden Text voran: Daß die großen Geschäfte in den Kriegen nicht von den kleinen Leuten gemacht werden. Daß der Krieg, der eine Fortführung der Geschäfte mit anderen Mitteln ist, die menschlichen Tugenden tödlich macht, auch für ihre Besitzer. Daß er darum bekämpft werden muß. Und darauf folgten Abbildungen von Tankwagen der US-amerikanischen Standard Oil nebst Statistiken der Kriegsgewinne dieser Firma sowie zwei Zeichnungen mit Friedenstauben des damals im Ostblock als „Kommunisten“ vielfach gefeierten Pablo Picasso. Im Gegensatz zu den im Westen weitverbreiteten „Freiheits“-Parolen, hinter denen sich seit der Verkündung der Truman-Doktrin auf US-amerikanischer Seite meist antikommunistische „Containment“- oder gar „Rollback“-Tendenzen verbargen, vertrat Brecht um 1950/51, also nach der durch den Kalten Krieg herbeigeführten Spaltung Deutschlands und angesichts des heiß entbrannten Korea-Kriegs, der Hunderttausende von Opfern forderte, vor allem pazifistische Ansichten. So erklärte er etwa in

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einem Schreiben an den Congress for Cultural Freedom, der sich, wie der Sender Free Europe, im Zuge einer psychologischen Kriegsführung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bemühte, mit vollmundigen Freiheitsversprechen auf die Bevölkerung der Ostblockländer einzuwirken: Die Freiheit, sein Leben zu verbessern […] ist die elementarste aller Freiheiten des Menschen. Von ihr hängt die Entwicklung der Kultur ab, und es hat keinen Sinn, über Freiheit und Kultur zu sprechen, wenn nicht diese Freiheit, das Leben [in ökonomischer Hinsicht] zu verbessern, besprochen wird. Die erste Bedingung eines besseren Lebens ist der Friede, die Sicherheit des Friedens. Lassen sie uns doch alle gesellschaftlichen Systeme, an die wir denken mögen, zu allererst daraufhin untersuchen, ob sie ohne Krieg auskommen. Lassen sie uns zu allererst um die Freiheit kämpfen, Frieden verlangen zu dürfen. Sage keiner: Erst müssen wir darüber sprechen, was für ein Friede es sein soll. Sage jeder: Erst soll es Friede sein. Dulden wir da keine Ausflucht, scheuen wir nicht den Vorwurf, primitiv zu sein! Seien wir einfach für den Frieden!10 Im Sinne dieser Erklärung wandte sich daher Brecht in der Folgezeit in aller Entschiedenheit gegen irgendwelche Wiederbewaffnungstendenzen innerhalb der beiden deutschen Teilstaaten. Dementsprechend begrüßte er Anfang Mai 1951 die Erklärung der DDR-Volkskammer zur Durchführung einer Volksbefragung gegen eine mögliche Remilitarisierung und den Abschluss eines endgültigen Friedensvertrags mit Deutschland, um so zu einer politischen Beruhigung der Spannungen in Mitteleuropa beizutragen.11 Aus den gleichen Gründen stimmte Brecht mit Otto Grotewohl, dem ersten DDR-Ministerpräsidenten, überein, als dieser am 3. Dezember 1950 dem westdeutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer den Vorschlag unterbreitete, einen paritätischen Rat zur Konstituierung einer gesamtdeutschen Regierung und zur Vorbereitung von Wahlen zu einer Nationalversammlung zu bilden. In seiner eigenen Erklärung zu diesen Vorschlägen schrieb Brecht damals mit zweckoptimistischer Zuversicht über einen möglichen Wahlsieg der friedliebenden Teile der deutschen Bevölkerung: Es gibt in der DDR nicht wenige Leute, die gerade der Frage Friede oder Krieg wegen glauben, daß auch die Bevölkerung Westdeutschlands, heute vor die Wahlen gestellt, viele der Errungenschaften und sozialen Erneuerungen der DDR gutheißen könnte.12

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Dazu passt, dass Brecht im gleichen Zeitraum als Wandinschrift für den ersten Baukomplex in der Ostberliner Stalinallee, das Hochhaus an der Weberwiese, folgende Gedichtzeilen vorschlug: „Friede in unserem Lande! / Friede in unserer Stadt! / Daß sie den gut behause / Der sie gebauet hat!“13 III Als Theaterpraktiker beschäftigte Brecht im Jahr 1951 – neben anderen Projekten – vor allem die Bearbeitung seines Antikriegsstücks Das Verhör des Lukullus, das Paul Dessau in diesem Jahr in eine Oper umzuwandeln versuchte. Und zwar fand Brecht die Aufführung dieses Werks, bei dem es um ein Totengericht über einen bekannten römischen Feldherrn geht, nicht nur wichtig, weil die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse „von einem Teil der Deutschen in Ost und West vielfach skeptisch beurteilt“ worden seien,14 sondern auch, weil die „amerikanischen Drohungen“ zusehends „hysterischer“ würden, wie es im Januar 1951 in seinem Arbeitsjournal heißt.15 Bei der Voraufführung dieser Oper gab es von Seiten der SED zum Teil heftige Proteste, die sich nicht allein gegen die als „formalistisch“ eingestufte Musik Dessaus, sondern auch gegen die pazifistische Grundeinstellung in Brechts Libretto wandten.16 Ja, bei einer der folgenden Aussprachen, an der nicht nur führende DDR-Kulturfunktionäre wie Anton Ackermann, Wilhelm Girnus und Paul Wandel, sondern sogar Otto Grotewohl, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht teilnahmen, empfahl man Brecht, angesichts der immer bedrohlicher werdenden Situation des Kalten Kriegs von seinen „pazifistischen“ Anschauungen Abstand zu nehmen.17 Und Brecht stimmte diesen Vorschlägen auch durchaus zu, ja fühlte sich sogar geehrt, dass sich die ostdeutschen Regierungsvertreter so viel Zeit genommen hätten, mehrere Stunden mit ihm über eins seiner Stücke zu diskutieren, wofür es in westlichen Ländern sicher nichts Vergleichbares gebe.18 Besonders einleuchtend fand er den Ratschlag, genauer zwischen Angriffskriegen und Verteidigungskriegen zu unterscheiden, statt mit pazifistischer Gesinnung den Krieg als solchen zu verdammen. Besonders für die Forderung, schrieb er darauf an Anton Ackermann, die „Aktivität gegen Raubkriege“ stärker herauszustellen, „bin ich Euch tatsächlich Dank schuldig“.19 Nachdem er die gewünschten Änderungen vorgenommen hatte, schickte Brecht ähnliche Briefe an Paul Wandel und Walter Ulbricht.20 Als es daher am 12. Oktober 1951 zur zweiten Premiere dieses Werks kam, das jetzt den Titel Die Verurteilung des Lukullus trug, gab es von Seiten der SED keine weiteren Einwände mehr gegen Brechts Libretto. Und auch in seinen folgenden Äußerungen schwenkte Brecht in dieser Frage meist voll auf die SED-Parteilinie ein. Dafür spricht, dass er

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kurz darauf jenen gegen die „Politik der Stärke“ der westdeutschen Bundesrepublik gerichteten „Herrnburger Bericht“ verfasste, der am 5. August 1951 anlässlich der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ostberlin aufgeführt wurde. Im Jahr 1952 beschäftigte sich Brecht dagegen fast ausschließlich mit Theaterproblemen. Doch Anfang 1953 griff er abermals in jene politischen Diskussionen ein, die der gegensätzlichen Politik der beiden deutschen Staaten und damit der erneuten Kriegsbedrohung galten. Nachdem der westdeutsche Bundestag am 19. März 1953 mehrheitlich dem Europaarmee-Abkommen zugestimmt hatte, verabschiedete am folgenden Tag die DDR-Volkskammer einen Appell an das deutsche Volk zum gemeinsamen Kampf für Einheit und Frieden.21 Brecht schloss sich diesem Appell sofort mit mehreren Antikriegsgedichten und kurzen Statements an, wobei seine Tonlage allmählich schärfer wurde. Schließlich hatten die Westmächte weder auf den Entwurf der Sowjetregierung vom März 1952 über die Grundlagen eines Friedensvertrags mit Deutschland reagiert, noch hatte die westdeutsche Regierung einen gleichartigen Appell der DDR-Volkskammer vom 20. März 1953 mit einer Antwort gewürdigt. Auch anlässlich der Unruhen am 17. Juni bekräftigte Brecht seine Treue zur DDR und erklärte am 6. Oktober desselben Jahres den Machthabern innerhalb der SED gegenüber: „Im Kampf gegen Krieg und Faschismus stand und stehe ich an Ihrer Seite.“22 Auch in den letzten drei Jahren seines Lebens, die ihm noch vergönnt waren, ließ sich Brecht nicht entmutigen, sich immer wieder mit Gedichten und öffentlichen Erklärungen zum Friedenswillen der DDR zu bekennen. Ständig griff er mit kurzen, aber markanten Statements jene westlichen Politiker an, die zwar vom „Frieden“ redeten, aber nur, um dann „Krieg führen zu können“.23 Entgegen solchen „Kriegstreibern in der Bundesrepublik“ setzte er sich für eine „Kunst“ und einen „sozialen Fortschritt“ ein, welche in erster Linie den „Frieden“ benötigen.24 Und zwar gab er dabei zu bedenken, dass wegen der ideologischen Verhetzung der westdeutschen Bevölkerung der ostdeutsche Vorschlag zu sogenannten Freien Wahlen von der Tagesordnung abgesetzt werden sollte. Schließlich sei es der „älteste Trick der Bourgeoisie“, schrieb er, „den Wähler frei seine Unfreiheit wählen zu lassen, indem man ihm das Wissen um seine Lage vorenthält“.25 „Die Art der Wahlen“, fuhr er fort, „wie wir sie in Deutschland hatten, kann nicht ganz gut gewesen sein. Zweimal während meines Lebens wählten die Deutschen in jener zivilisierten Weise, von der die Rede ist, den Krieg.“26 Überhaupt erschien ihm, dass der Krieg an sich nur zur „Lebensweise der kapitalistischen Länder“ passe und „mitunter ihre Sterbensweise wird“ und daher von allen sozialistischen Staaten grundsätzlich verdammt werden müsste.27

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Besonders scharf wurden die innerdeutschen Auseinandersetzungen im Jahr 1954, nachdem es auf der Berliner Außenministerkonferenz der vier Großmächte, die vom 25. Januar bis zum 18. Februar stattfand, zu keiner Einigung in der Deutschlandfrage kam. Am 26. Februar nahm daraufhin der westdeutsche Bundestag auf Vorschlag Adenauers ein verfassungsänderndes Gesetz über die Wehrhoheit der Bundesrepublik an, das von den USA ausdrücklich begrüßt wurde. Ja, auf der Londoner Neunmächtekonferenz, welche vom 28. September bis zum 3. Oktober des gleichen Jahres währte, entschieden sich schließlich die Westmächte, nur die Bundesrepublik als den einzig rechtmäßigen deutschen Staat anzuerkennen, was später zu der sogenannten Hallstein-Doktrin führte, in der jedem Land, das diplomatische Beziehungen zur DDR aufnehmen würde, der Abbruch wirtschaftlicher Beziehungen zur Bundesrepublik angedroht wurde. Obendrein beschlossen die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, Italiens, Kanadas, Luxemburgs und der Niederlande wenige Wochen später in den sogenannten Pariser Verträgen, Westdeutschland in den gegen den Ostblock gerichteten Militärpakt der NATO aufzunehmen. Brecht reagierte auf alle diese Ereignisse mit einer sich ständig steigernden Friedensbetontheit. So forderte er schon im Mai 1954 anlässlich einer außerordentlichen Tagung des Weltfriedensrates in Berlin, an der Vertreter aus mehr als sechzig Ländern teilnahmen, die Großmächte auf, ein allgemeines Atomwaffenverbot zu erlassen.28 Ähnliche Aufrufe verfasste er gegen die in Paris ins Auge gefassten Pläne für die Einführung der Wehrpflicht in Westdeutschland. „Wir wollen keine ‚Vereinigung‘ Deutschlands durch Krieg“, erklärte er in ihnen, „und wir wollen kein Deutschland, das in einem Kriegslager steht. Wir wollen ein friedliches Deutschland“: Wir erkennen die Pariser Abmachungen, die von der Adenauer-Regierung für ganz Deutschland geplant sind, nicht an. Wir wollen kein Deutschland, das in einem Kriegslager steht, denn ein dritter Krieg würde Deutschland unbewohnbar machen.29 Unter einen dieser Appelle setzte er auf Wunsch Walter Friedrichs, des Präsidenten des Deutschen Friedensrats der DDR, als Erster seine Unterschrift und rief alle friedliebenden Deutschen auf, seinem Beispiel zu folgen. Und das taten denn auch mehr als 170 000 Menschen.30 Die längste Rede zur Erhaltung des Friedens hielt Brecht im Mai 1955 in Moskau anlässlich der Verleihung des Lenin-Preises „Für Frieden und Verständigung zwischen den Völkern“. Hier erklärte er wiederum höchst eindringlich: „Der Friede ist das A und O aller menschenfreundlichen Tä-

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tigkeiten.“31 Im Kapitalismus, sagte er in Moskau, kämpften alle Menschen mit allen anderen Menschen: die Bauern mit den Städtern, die Händler mit den Händlern, das Volk mit den Behörden, die Fabriken mit den Banken, die Konzerne mit den Konzernen und schließlich die einen Völker mit den anderen Völkern. Nur dort, wo man zu einem sozialistischen Wirtschaftssystem übergegangen sei, würden die Impulse sämtlicher Menschen friedlich. Hier verwandle sich der Kampf aller gegen alle in einen „Kampf aller für alle“. Wer sich selber nütze, nütze hier zugleich der Gesamtgesellschaft. Brecht schloss daher seine Rede mit einem Hoch auf die Sowjetunion: „Es lebe der Friede! Es lebe Ihr großer Staat des Friedens, Staat der Arbeiter und Bauern!“32 IV Doch nicht nur als Redner und Unterzeichner von Appellen, auch als Gedichtemacher und Stückeschreiber wurde Brecht in diesem Zeitraum nicht müde, sich für die Verhinderung einer größeren Wehrbereitschaft in Deutschland einzusetzen. Dazu zählt unter anderem die Publikation seiner Kriegsfibel, die er bereits während des Zweiten Weltkriegs, genauer Mitte 1944, aus 69 Photos zusammengestellt hatte, unter denen sich jeweils ein sie kommentierender Vierzeiler befindet. Voller Furcht, dass auf den Zweiten Weltkrieg ein Dritter Weltkrieg folgen könnte, beschloss er diesen Band mit einem Bild Adolf Hitlers, unter das er folgendes Epigramm setzte: Das da hätt einmal fast die Welt regiert. Die Völker wurden seiner Herr. Jedoch Ich wollte, daß ihr nicht schon triumphiert: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.33 Dagegen gab er seinen Plan, ein Drama über den US-amerikanischen Physiker J. Robert Oppenheimer, den „Vater der Atombombe“, zu verfassen – dem Anfang 1954 von einem US-amerikanischen Untersuchungsausschuss vorgeworfen wurde, ein linker Fellow-Traveller zu sein und der deshalb versucht habe, den Bau der Wasserstoffbombe zu verhindern – nach einigen Überlegungen wieder auf. Dazu erschien ihm der Fall Oppenheimer dann doch zu moralisch und nicht politisch genug.34 Und auch sein „Einstein“-Projekt ließ er nach einer kurzen Orientierungsphase liegen. Stattdessen erwog Brecht, lieber ein älteres Militär-, Kriegs oder Antikriegsdrama in einer aktualisierenden Bearbeitung am Theater am Schiffbauerdamm aufzuführen. Nach längeren Gesprächen mit Benno Besson und Elisabeth Hauptmann entschied er sich schließlich im Sinne seiner Friedensbemühungen für das in Deutschland weitgehend unbekannte Stück

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The Recruiting Officer (1706) von George Farquhar, in dem es um eine Rekrutierungskampagne geht, die der englische Captain Plume und sein Sergeant Kite in Shrewsbury am Severn durchführen, um wehrbereite Söldner für den Einsatz im Spanischen Erbfolgekrieg anzuwerben. Wie wir wissen, war Farquhar in diesem Krieg im Dienst seiner Majestät der englischen Queen Anne selber als Werbeoffizier in Shrewsbury am Severn tätig gewesen, konnte sich also bei der Abfassung dieses Stücks durchaus auf eigene, höchst „realistisch“ wiedergegebene Erfahrungen stützen. Dennoch ist sein Recruitung Officer kein wirkliches Antikriegsdrama, sondern letztlich eine durchaus amüsante Komödie, die – gattungs- und mentalitätsgeschichtlich gesehen – wie ein Übergangswerk von der witzig-brillanten Comedy of Manners eines William Congreve des späten 17. Jahrhunderts zu den eher sentimental-tugendhaften Lustspielen des frühen 18. Jahrhunderts wirkt. In ihr geht es zwar – trotz der forcierten Bewaffnungsbemühungen – auch um zum Lachen anregende Intrigen und Frivolitäten, aber letztlich setzen sich am Schluss dann doch die bürgerlichen Tugenden der Ehrsamkeit und beruflichen Absicherung nebst der unumgänglichen Eheschließung durch. Wie ließ sich daraus ein Stück machen, mit dem sich Brecht in die damals in der DDR geführte Diskussion um Krieg und Frieden einmischen wollte? Nun, in aktualisierenden Umfunktionierungen älterer Dramen hatte Brecht ja bereits überreiche Erfahrungen. Dafür sprechen – von seinen frühen Bemühungen auf diesem Gebiet einmal abgesehen – nach 1945 seine Antigone nach Sophokles, sein Coriolan nach Shakespeare, sein Hofmeister nach Lenz sowie sein Don Juan nach Molière. Es wäre falsch, diese Werke als eine zweitrangige Sondergruppe aus Brechts Gesamtœuvre herauszulösen. Und es wäre ebenso falsch, diese Bearbeitungstendenz als eine Besonderheit des späten Brecht hinzustellen, das heißt als Anpassung an die DDR-Erbepflege oder als Ermattungserscheinung eines gealterten Dichters, der nicht mehr fähig oder willens war, „eigene“ Werke zu schreiben. Nichts wäre irreführender als eine solche Perspektive. Zugegeben, die Neigung zu Bearbeitungen nimmt in Brechts späteren Werken zu. Doch genau besehen bestimmt sie letztlich sein gesamtes dramatisches Schaffen. Im Gegensatz zu den meisten Stückeschreibern seiner Zeit ging es ihm – schon seit der Mitte der zwanziger Jahre – nicht um dichterische Originalität, das heißt das im subjektiven Sinne Andersartige, sondern stets um eine in die gesellschaftspolitischen Konflikte „eingreifende“ Aktualität.35 Und dazu war ihm im Vertrauen auf seine eigene Sprachmächtigkeit jedes Mittel, selbst Anlehnungen oder Bearbeitungen, falls sie der von ihm ins Auge gefassten Absicht dienten, durchaus recht. Nichts wäre daher abwegiger, als Brecht einen „vandalisierenden“ Umgang mit bereits existieren-

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Brechts Pauken und Trompeten (1955)

den Werken vorzuwerfen. Er bot seinem Publikum keine theatralischen Trümmerstätten, sondern stets neue Lesarten älterer Fabeln im Lichte seiner gesellschaftlichen Erfahrungen. Konzepte wie Bewahren oder Eingriff bilden deshalb bei ihm keinen Widerspruch. Indem er bewahrte, versuchte er zugleich einzugreifen – nicht umgekehrt. Er wollte geschichtliche Wendepunkte markieren, er wollte Klassenpositionen verstärken, er wollte Einsichten in die Dialektik der politischen und sozioökonomischen Prozesse vermitteln, kurzum: Er wollte seine Zuschauer ermuntern, aus den jeweils dargestellten gesellschaftlichen Konflikten die richtigen Folgerungen zu ziehen, statt sich im Theater lediglich zu amüsieren oder seelisch ergriffen zu werden. Wie ist er mit dieser Absicht, die allen Stücken aus seiner mittleren und letzten Lebensphase zugrunde liegt, bei der Bearbeitung von Farquhars Recruiting Officer vorgegangen? Nach einer ersten Sichtungsphase, welches ältere Drama sich am besten für die von ihm ins Auge gefasste Kriegsthematik eignen würde, übertrug er die Übersetzung des Farquharschen Stücks Benno Besson und Elisabeth Hauptmann, worauf er einige der ihm überflüssig erscheinenden Szenen strich, neue hinzufügte und dann das Ganze seinem Sprachduktus anpasste. Über all das sind wir durch den vorzüglichen Kommentar von Carl Wege in der Berliner und Frankfurter Brecht-Ausgabe bestens vertraut. Auch zur inhaltlichen Analyse der Brechtschen Bearbeitungstendenz finden sich dort wichtige Hinweise.36 Ansonsten wirkt die Sekundärliteratur zu diesem Stück eher spärlich. Selbst in Werner Mittenzweis zweibändiger Brecht-Biographie von 1986 fällt kein Wort über diese Bearbeitung. Lediglich Alfred Wertheim und Siegfried Mews haben sich mit diesem Drama, dem Brecht den Titel Pauken und Trompeten gab, etwas ausführlicher auseinandergesetzt,37 während die Literatur über die anderen Brecht-Bearbeitungen aus den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren bereits beträchtliche Ausmaße angenommen hat. Ich fürchte, die meisten Brecht-Interpreten fanden dieses Stück nicht „ernsthaft“ genug, um ihm die gebührende Beachtung zu schenken. Zugegeben, es ist wesentlich „witziger“ als die anderen Adaptionen aus diesem Zeitraum. Aber das sollte nicht über die Ernsthaftigkeit seiner ideologischen Absicht im Rahmen der damals in der DDR geführten Debatte über Krieg und Frieden hinwegtäuschen. Schließlich geht es bei allen Änderungen, die Brecht in seiner Bearbeitung vornahm, fast durchweg um die mit dieser Debatte verbundenen Problemstellungen. Mag das Ganze mit seinen Intrigen, Verwechslungen, Knalleffekten und Kalauern auch noch so sehr an die Gags und Lazzi aus der Klamottenkiste älterer Komödien erinnern, letztlich spielt sich bei ihm alles vor dem Hintergrund einer Kriegssitua-

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tion ab, die sämtliche in ihm auftretenden Figuren zu ideologischen Stellungnahmen und den sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Verhaltensformen zwingt. V Um diese Absicht so klar und einleuchtend wie nur möglich herauszustellen, entschied sich Brecht kurzentschlossen, die von Farquhar geschilderten Vorgänge aus der Zeit des Spanischen Erbfolgekriegs, bei dem es sich lediglich um einen dynastischen Raubkrieg ohne irgendwelche höhergearteten Zielvorstellungen handelte, in die Zeit des von den Idealen der Aufklärung beflügelten Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs zu verlagern. Während bei Farquhar die kämpferische Auseinandersetzung noch unhinterfragt als Fortsetzung absolutistischer Machtinteressen mit anderen Mitteln erscheint, der alle in ihn Hineingezogenen lediglich zu gesellschaftlichen Anpassungsmanövern bewegt, ging es Brecht – nach seiner in der Lukullus-Debatte und sich im Zuge des Kalten Kriegs verschärfenden Absage an einen naiven und damit wirkungslosen Pazifismus – in Pauken und Trompeten vor allem darum, auf unmissverständliche Weise darzustellen, wie der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg sowohl die mit ihm Sympathisierenden als auch die ihm Entgegentretenden zwang, ideologisch Farbe zu bekennen. Allein zu diesem Thema ließ Brecht drei Kolumnen im Programmheft der Uraufführung von Pauken und Trompeten, die am 19. September 1955 im Berliner Ensemble stattfand, einrücken. In ihnen wird vor allem darauf hingewiesen, wie das „junge amerikanische Bürgertum“ damals die „großen fortschrittlichen Ideen der bürgerlichen Aufklärung Europas“ erstmals zu „verwirklichen“ suchte und mit welcher Schärfe die englische Monarchie diesen „Rebellen“ entgegengetreten sei, was schon zu diesem Zeitpunkt den Zorn aller progressiv „Gesinnten“ herausgefordert habe. Ja, selbst die wichtigsten Abschnitte aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776, nach der „alle Menschen gleich geschaffen“ und mit „gewissen unveräußerlichen Rechten“, darunter „Leben, Freiheit und Streben nach Glück“, ausgestattet seien, werden ausführlich zitiert. Ja, nicht nur das. Auch dass es sich bei diesem Krieg zwischen einem „Bürgerheer aus Farmern, Handwerkern und Kaufleuten“ gegen eine aus Söldnern bestehende „britische Kolonialarmee“ gehandelt habe, wird zugleich in aller Schärfe akzentuiert. Ein besonderer Nachdruck wird dabei auf das Faktum gelegt, dass zur Aufstellung dieses Söldnerheers nicht nur Soldaten aus anderen Ländern angekauft wurden, sondern dass die englische Regierung nicht davor zurückgeschreckt sei, jene „Impressment Acts“ von 1704 zur Anwendung zu bringen, die es jedem Friedensrichter erlaubt

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Brechts Pauken und Trompeten (1955)

hätten, alle „kräftigen Männer auszuheben und aufzustellen, die keinen gesetzlichen Beruf oder Arbeit noch sonstige Mittel für ihren Lebensunterhalt aufweisen“ konnten, der „Kriegsdisziplin“ zu unterwerfen und im Falle der Weigerung als „Deserteure“ zu bestrafen. Und diesen Zwangsmaßnahmen seien fast ausschließlich die Männer „der unteren Stände“ zum Opfer gefallen. Ja, man habe dabei die „Ungleichheit der Stände“ als einen „Ratschluß der Natur“ hingestellt, dass es nun einmal „so sein müsse“. Dem entspricht, dass Brecht – als guter Marxist – bei seiner Bearbeitung von Farquhars Recruiting Officer sowohl die Klassenunterschiede der auftretenden Personen als auch deren ideologische Haltung zu den an sie gestellten Obrigkeitsforderungen wesentlich verschärfte. Sein Friedensrichter Mr. Balance ist ein rücksichtsloser Kleinstadttyrann, der im Dienste seiner Majestät König George wegen der mangelnden Kriegsbegeisterung der „kleinen Leute“ nicht davor zurückscheut, kurzerhand gewaltsame Zwangsrekrutierungen vorzunehmen. Ja, er ordnet unter Berufung auf die älteren „Impressment Acts“ sogar an, die in den Gefängnissen Inhaftierten in Uniformen zu stecken. „Ins Feld mit ihnen!“, erklärt er dem Werbeoffizier Plume, dem es bis dato nicht gelungen war, selbst durch trickreiche Versprechungen eine genügende Anzahl wehrbereiter Rekruten von der Notwendigkeit eines Kriegs gegen die ungehorsamen Kolonisten in Amerika zu überzeugen. Mr. Balance findet es geradezu „unmenschlich“, irgendwelche „Leute in Gefängnissen oder arbeitslos auf der Straße vegetieren zu lassen, wenn sie in der Neuen Welt als Helden für Englands Freiheit sterben können. Unsere vaterländische Pflicht ist es in jeder Hinsicht, auch ihnen ihre Chance zu geben.“38 Und so kommt es, wie es kommen muss. Gegen Ende des Stücks verfügt Captain Plume endlich über eine Kompanie halbwegs wehrbereiter Rekruten, übergibt sie jedoch in letzter Minute einem anderen Captain und entscheidet sich lieber, durch die Heirat mit der Tochter des reichen Friedensrichters in den Stand der oberen Zehntausend aufzusteigen und bricht als Captain a. D. mit den anderen „Großkopfeten“, wie Brecht gern sagte, zu einer standesgemäßen Fasanenjagd auf. Die „kleinen Leute“ lassen sich dagegen in Brechts Pauken und Trompeten entweder von Captain Plume und seinem Sergeant Kite betören, Handgeld anzunehmen und damit Söldner zu werden, oder sie fangen, wie der Schankbursche Mike, an, sich für die Neue Welt zu begeistern, von der sie gehört haben, dass es dort „keinen König und keine Lords gibt, die von unserem Schweiß fett werden“, ja, dass dort alle Menschen als „gleich geschaffen“ gelten und „gewisse Rechte“ wie „Leben, Freiheit und Streben nach Glück“ beanspruchen können.39 Mike hofft sogar, mit seiner Lucy nach dort auszuwandern und als wagemutiger Entrepreneur in New York ein kleines Hotel zu gründen.

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Gerechte Kriege – ungerechte Kriege

So viel zu den klar herausgestellten Klassengegensätzen und ihren ideologischen Folgerungen, wie sie von einem Stückeschreiber wie Brecht stets zu erwarten sind. Um jedoch seinen Zuschauern zur Einsicht zu verhelfen, dass es sich bei dieser halbwegs witzigen, halbwegs ernsthaften Komödie keineswegs nur um Vorgänge aus längst vergangenen Zeiten handele, sondern zugleich, im Sinne der von Brecht angestrebten Aktualisierungsbemühungen, um eine Stellungnahme zu der damals in der DDR vieldiskutierten Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen gehe, ließ er im Programmheft von Pauken und Trompeten folgende Passage abdrucken: „Die Kolonialtruppen Englands – das Bürgerheer der jungen amerikanischen Republik: Zweierlei Militär, zweierlei Soldaten.“ Ja, Brecht aktualisierte diesen Gegensatz im Hinblick auf den Kalten Krieg der frühen fünfziger Jahre sogar noch durch den Zusatz: „Und heute wie damals: Den Heeren des Imperialismus steht seit 1918 die Rote Armee gegenüber, an ihrer Seite neuerdings die Volksarmee des neuen China und die Soldaten der Volksdemokratien.“ Um diesen Kontrast noch schärfer herauszustellen, fügte er diesem Satz sogar noch ein längeres Zitat aus dem Stück Die erste Reiterarmee (1929) von Wsewolod Wischnewski, einem Maschinengewehrschützen der Ersten Reiterarmee Semjon Budjonnys, an, in dem sich eine Schar russischer Bauern freiwillig zum Wehrdienst meldet, um für das unverbrüchliche „Wohl des Volkes“ zu kämpfen. Doch selbst diese offene Parteinahme, in aller Entschiedenheit für die gute Sache des Sozialismus einzutreten, war Brecht offenbar noch nicht ausreichend, um der in der frühen Bundesrepublik proklamierten „Politik der Stärke“, für die Konrad Adenauer kurz darauf sogar eine atomare Ausrüstung der dort aufzustellenden Armee forderte, so eindeutig wie möglich Paroli zu bieten. Daher findet sich in diesem Programmheft sogar noch in fettgedruckten Zeilen folgendes Statement, in dem es höchst unverblümt heißt: Bei der Jahrtausendfeier der Hunnenschlacht auf dem Lechfeld 955 vergleicht der Bonner Außenminister von Brentano die Hunnen mit den „Massen des Ostens“. Er rief auf zu „entschlossenem und schützendem Handeln“. Der Heilige Ullrich habe „die andrängenden Nomadenhorden nicht durch Angebote von Neutralität und friedlichem Verhalten abgewendet“. Professor Hallstein, Staatssekretär im Bonner Außenministerium, verlangte, daß „Europa bis zum Ural integriert werden müsse“. So rüstet die deutsche Großbourgeoisie zum Krieg gegen die Völker, die die Herrschaft der Bourgeoisie beseitigt haben und sich selbst regieren.

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Brechts Pauken und Trompeten (1955)

All das spricht für sich selbst und bedarf letztlich keiner interpretatorischen Entschlüsselung. Wegen der in ihr aufgeworfenen Fragen sollte daher die bisher oft übersehene ernste Komödie Pauken und Trompeten in Zukunft stärker beachtet werden. Die heißen Phasen des Kalten Kriegs haben zwar inzwischen weitgehend aufgehört, aber die in diesem Stück geführte Debatte über gerechte und ungerechte Kriege ist keineswegs verstummt. Was dagegen heutzutage fehlt, wären Dramen dieser Art, in denen es im Hinblick auf die gegenwärtigen kriegerischen Auseinandersetzungen um eine ideologische Klärung von Begriffen wie Freiheit, Terror, populistischer Übermut, religiöser Fundamentalismus, atomare Bedrohung, wirtschaftlicher Konkurrenzzwang, militärische Aufrüstung oder ökologische Verwüstung gehen würde, die in der heutigen, wesentlich komplizierteren Weltsituation, in der es nicht mehr um den klaren Gegensatz zwischen Sozialismus und Kapitalismus geht, auf massenmedialer Ebene meist höchst undifferenziert verwendet werden. Wie so viele von Brechts Dramen wartet daher auch dieses Stück weiterhin auf eine „eingreifende“ Aktualisierung.

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EIN GEFLOCHTENER KRANZ Helene Weigel als Schauspielerin

I In den alten, inzwischen längst vergangenen Zeiten des 18. und 19. Jahrhunderts gab es zwar auch große Schauspieler und Schauspielerinnen, aber ihr Ruhm verblasste schnell. Schon eine Generation später erinnerte sich kaum noch jemand an sie, da sie kein sichtbares, bildlich dokumentiertes Vermächtnis hinterließen. Und wer sich überhaupt mit derartigen Fragen beschäftigte, zitierte in diesem Zusammenhang meist Friedrich Schillers bekanntes Diktum „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“, um auf die Vergänglichkeit irgendwelcher Bühnenerfolge hinzuweisen. Selbst jene Faust- oder Hamletdarsteller, die man vorübergehend umjubelt hatte, versanken daher schon im Alter oder spätestens nach ihrem Tod in jenem dunklen Schacht des Vergessens, aus dem es keine Wiederkehr gibt. Im Gegensatz zu Dramatikern, Poeten, Malern oder Komponisten wurden sie nicht in Denkmälern oder Weiheschriften verewigt, sondern einfach vergessen. Welch ein Wandel hat sich inzwischen in dieser Hinsicht vollzogen! Wohin man heute blickt, wird man mit Porträts berühmter Schauspieler und Schauspielerinnen konfrontiert. Im Rahmen der durch die gegenwärtige Film- und Fernsehindustrie entstandenen visuell-akustischen Eventkultur sind sie – neben den Popstars der Musikindustrie – fast zu den bekanntesten Leitbildern einer Unterhaltungsbetriebsamkeit geworden, in der vor allem das Glamouröse, Actionbetonte, Erotisch-Anreizende, Gewalttätige, ins Horrible Gesteigerte, Sentimental-Verkitschte oder Problemlos-Verliebte jener globalisierten Hollywoodwelt im Vordergrund steht, mit denen die dahinter stehende Kultur- oder besser Unkulturindustrie vornehmlich jene Affekterwartungen zu bedienen versucht, um ihr Publikum in einen vernunftlosen Dschungel emotionaler Gefühlsentladungen zu locken. Nicht irgendwelche politischen oder sozialen Fragen stehen in solchen Produkten im Vordergrund, sondern stets das Vereinzelte, Individuelle und damit Gesellschaftlich-Unverbindliche. Und dieser Einstellung entspricht auch der von den Public-RelationsManagern angefachte Starkult bestimmter Schauspieler und Schauspielerinnen, der in den Illustrierten und Boulevardblättern wie auch in den

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Talkshows mancher Fernsehsendungen ein geradezu gigantisches Ausmaß angenommen hat. Durch die somit in Gang gekommene Tratschmühle wissen daher die meisten unserer Zeitgenossen und Zeitgenossinnen über sie geradezu alles: Wie oft sie geschieden sind, mit wem sie gerade eine Affäre haben, ob sie ein Kind erwarten, welche Burger sie am liebsten essen, welchen Preis sie gerade erhalten haben oder ob Sie geliftet sind. Schließlich gehören sie zu den Megastars der gegenwärtigen Unterhaltungsindustrie, die inzwischen selbst den adligen Hoheiten den Rang abgelaufen haben. Sie sind die führenden Mitglieder des Jetsets, die Beautiful People, die Schausteller und Schaustellerinnen jener Welt der angeblich „unbegrenzten Möglichkeiten“, die es trotz ihrer niederen Herkunft in unserer konkurrenzbetonten Market-driven Society „geschafft“ haben, neben bekannten Rennfahrern, Popstars, Talkshow-Moderatoren und Fußballern die Ehrenplätze auf jenem sonnenbeschienenen Olymp einzunehmen, mit denen die systemkonformen Medien zu beweisen versuchen, dass in unserer Gesellschaft jeder mit dem nötigen Talent die obersten Sprossen der sozialen Leiter zu erklimmen vermag. Anhand solcher Karrieren wird demonstriert, dass in der heutzutage herrschenden, angeblich chancengleichen Demokratie offenbar nur noch das „Ich“ oder, wie es gern heißt, das durchsetzungsfähige „Ego“, wenn nicht gar das „Supertalent“ zählt, um damit alle gesamtgesellschaftlichen Solidaritätsvorstellungen von vornherein als obsolet hinzustellen. In ihr soll letztlich jeder ein Schauspieler oder eine Schauspielerin seiner selbst sein. II So viel – in skizzenhafter Verkürzung – über das ideologisch hochgespielte Prestige all jener Stars, denen im heutigen Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit die medienorientierte Mitwelt einen Kranz nach dem anderen flicht und auf die preisgekrönten Häupter drückt. Doch nun zu der Frage: Wie lässt sich die große Helene Weigel in dem hier angedeuteten Koordinatennetz der vergangenen hundert Jahre verorten? Wie kommt es eigentlich, dass gerade sie, die im Unterschied zu anderen Schauspielerinnen ihrer Ära, ob nun Marlene Dietrich, Elisabeth Bergner, Elizabeth Taylor oder Marilyn Monroe, fast nie vor einer Filmkamera gestanden und sich stets gegen eine sensationslüsterne Ausschlachtung ihrer Biographie gesperrt hat, dennoch so bekannt, ja berühmt geworden ist? War es ihre Herkunft, ihr Ehrgeiz, ihre persönliche Ausstrahlungskraft, ihr Talent, ihr schauspielerischer Perfektionismus? Zugegeben, all das hat dabei sicher mitgespielt, dass sie die große, unvergleichliche „Weigel“ wurde. Aber letztlich war es auch ihre nie nachlassende Parteilichkeit, mit der sie sich seit den späten zwanziger Jahren vor

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Helene Weigel (1928)

allem jener Rollen annahm, in denen sie eine geradezu an Käthe Kollwitz erinnernde Anteilnahme an den Kämpfen jener „Armen und Entrechteten“ zum Ausdruck bringen konnte, mit denen sich Teile dieser Gesellschaftsschichten gegen die kapitalistische Ausbeutung und den nazifaschistischen Terror zur Wehr zu setzen versuchten. Und sie bemühte sich darum bis zum Ende ihres Lebens mit einer ideologischen Entschiedenheit, die unter den Schauspielern und Schauspielerinnen ihrer Generation – vom großen Ernst Busch einmal abgesehen – kaum zu finden war. Wie niemand sonst tat sie das mit einer äußerst sparsamen, aber stets den klassenbedingten Gestus betonenden Gebärdensprache der jeweils

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dargestellten Figur und zugleich einer leisen, aber eindringlichen Stimme, die selbst in kämpferisch gestimmten Passagen nie den Eindruck des Forcierten, Plakativen oder gar Dogmatischen erweckte und daher selbst konservativ eingestellte Zuschauer und Zuschauerinnen beeindruckte, wenn nicht gar an ihren bisherigen Anschauungen irre werden ließ. Jedenfalls war das die Wirkung, als ich sie 1955 zum ersten Mal auf der Bühne des Berliner Ensembles sah. Sie war keine ausladende Tragödin, sie wirkte nicht hypnotisierend, sie versuchte nicht, ihr Publikum mitzureißen, es in ihren Bann zu ziehen, sondern nahm kritische Haltungen ein, provozierte durch geschickt eingesetzte Understatements und rezitierte mittendrin Brechts „Lob des Kommunismus“, als ob es sich dabei um das Selbstverständlichste von der Welt handeln würde. III Dass ihr diese Haltung, diese Überzeugungskraft nicht schon in der Wiege mitgegeben wurde, ist klar. Zu so etwas muss man sich durchringen, um sich in den politischen und sozioökonomischen Konflikten als engagierter Anteilnehmer zu bewähren, statt ein willfähriger Mitläufer der jeweils Herrschenden zu werden. In ihrer Kindheit musste Helene Weigel erst einmal einige sie ins Philiströse einengende Barrieren überwinden. Sie wurde am 12. Mai 1900 im 1. Wiener Bezirk als Tochter mittelständischer Juden geboren, die sich ihrem Wunsch, zum Theater zu gehen, energisch entgegenzustellen versuchten. Lediglich ihre feministisch emanzipierte Lehrerin Eugenie Schwarzwald sowie die ebenso antiautoritär eingestellte Karin Michaëlis bestärkten sie in ihren schauspielerischen Ambitionen, so dass sie schließlich den Mut aufbrachte, mit ihren Eltern zu brechen, Wien zu verlassen und nach Frankfurt am Main zu gehen. Schon im gleichen Jahr konnte sie dort als 19-Jährige die Marie in Georg Büchners Woyzeck und kurze Zeit später das polnische Dienstmädchen Piperkarcka in Gerhart Hauptmanns Die Ratten spielen. Im Sinne der damals dominierenden expressionistischen Darstellungsweise galt sie als ein „kochendes Talent“. Auch als sie 1922 ein Engagement in Berlin annahm, wurde sie von den dortigen Kritikern als „sehr lärmend“ oder „explosiv“ charakterisiert. 1925 holte sie Max Reinhardt an das Deutsche Theater. Ja, im folgenden Jahr erhielt sie eine Berufung an Leopold Jessners Staatstheater, wodurch immer breitere theaterinteressierte Schichten auf sie aufmerksam wurden. Zu denen, die am stärksten von ihr fasziniert waren, gehörte der junge, sich betont anarchistisch gebende Bertolt Brecht, von dem sie 1924 schwanger wurde und einen Sohn, namens Stefan, zur Welt brachte. Da Helene Weigel in erotischer Hinsicht weitgehend emanzipiert war, das heißt ir-

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gendwelche bürgerlichen Moralvorstellungen oder gar sexuellen Besitzansprüche verachtete, nahm sie an den polygamen Neigungen Brechts, der bereits mit Paula Banholzer und Marianne Zoff je ein Kind gezeugt und auch danach weitere Affären hatte, keinerlei Anstoß. Und Brecht schätzte diese Einstellung an ihr so sehr, dass er sie 1929 – unter der Bedingung der Verschiedenheit ihrer sexuellen Temperamente – als eine jener „frechen Frauen“, wie man damals in liberalen Künstlerkreisen sagte, sogar heiratete, worauf Helene Weigel-Brecht ein Jahr später ein weiteres Kind, die Tochter Barbara, gebar. Doch es war nicht nur ihr Übereinkommen in erotischer Hinsicht, sondern auch ihr gemeinsames Interesse an einer linksgerichteten Ideologie, das Brecht und Weigel in den späten zwanziger Jahren angesichts des heraufziehenden Nazifaschismus immer stärker verband. Schließlich gerieten sowohl Brecht als zynischer Anarchist der Dreigroschenoper als auch Weigel als Jüdin zusehends in Gefahr, auf die Abschussliste der auf den Straßen Berlins randalierenden SA-Horden gesetzt zu werden. Es spricht für beide, dass sie aufgrund dieser Bedrohung nicht ins Unpolitische auswichen oder gar eine schmähliche Appeasement-Haltung einnahmen, sondern dieser Gefahr mit offenem Visier entgegentraten. Brecht ließ sich durch den sensationellen Erfolg seiner Dreigroschenoper nicht verführen, weitere eingängig verjazzte Stücke dieser Art zu schreiben und sich als sarkastisch auftretender „Bürgerschreck“ feiern zu lassen – und ging stattdessen in Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und den folgenden Lehrstücken, vor allem in Die Maßnahme, ganz offen zu Gegenangriffen über, in denen er seine Lektüre des Marxschen Kapitals auch für seine Theaterarbeit nutzbar zu machen versuchte. Und auch Weigel schwenkte auf diese Linie ein, indem sie mit Brecht in Berlin die von László Radványi, dem Mann von Anna Seghers, gegründete Marxistische Arbeiterschule besuchte, um sich die Grundkenntnisse jener materialistischen Weltanschauung anzueignen, welche von den Nazifaschisten zwischen 1930 und 1932 als Ausdruck einer jüdischen Weltverschwörung angeprangert wurde, mit der diese „rattengleichen Untermenschen“ nicht nur den Sieg der deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg verhindert hätten, sondern – laut der „Protokolle der Weisen von Zion“ – zugleich planten, die gesamte Welt in ein bastardisiertes Rassenchaos zu verwandeln, in dem sie die Herrschaft ergreifen würden. Um derartigen Parolen so effektiv wie nur möglich entgegenzutreten, verzichtete Brecht auf alle bisherigen theatralischen Rauschmittel und bediente sich zwischen 1930 und 1932 in Lehrstücken wie Die Mutter, Die Maßnahme und Die heilige Johanna der Schlachthöfe einer Sprache, die so nüchtern, so sozialbetont, so konkret wie nur möglich war, was er als die „epische“ Form

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des Theaters bezeichnete. Um der „dritten Sache“ willen, wie er den Sozialismus bezeichnete, erschien ihm jetzt nicht mehr der eigenpersönliche Erfolg, sondern vor allem die „Nützlichkeit“ für die Gesamtgesellschaft als die wichtigste Forderung des Tages. Und auch „die Weigel“, wie sie in diesen Kreisen hieß, entschied sich für die gleiche Haltung, indem sie bei ihren Auftritten auf jede psychologische Einfühlung verzichtete und sich für einen didaktischen Zeigegestus entschied. Am besten gelang ihr das in der Rolle der Pelagea Wlassowa in Brechts Die Mutter nach Maxim Gorkis gleichnamigem Roman, der inzwischen zu einem Weltklassiker der Arbeiterbewegung geworden war. Im Gegensatz zu den sich betont subjektiv gebenden Stars des bürgerlichen Theaters spielte sie hier nicht eine bestimmte Mutter oder gar sich selbst, sondern die proletarische Mutter schlechthin, die im Ankampf gegen die kapitalistischen Fabrikbesitzer und die ihnen hörige Polizei ihr Leben nicht nur für ihren Sohn Pawel einsetzt, sondern als Agitatorin aller „Armen und Entrechteten“ auftritt, das heißt sie war nicht die Mutter, sondern sie zeigte die Mutter, wie Brecht gesagt hätte. Und damit wurde sie zur ersten maßgeblichen Schauspielerin des von ihm propagierten epischen Theaters. Kein Wunder, dass sie dadurch ihre bisherigen Engagements an den bürgerlichen Bühnen verlor und nur noch mit der Jungen Volksbühne oder mit irgendwelchen linken Agitpropgruppen zusammenarbeiten konnte. Das wurde ihr zwar in der systemkonformen Presse verübelt, aber dafür sahen sie rund 15 000 Berliner Arbeiterfrauen in ihrer Rolle als Pelagea Wlassowa, die sonst wahrscheinlich nie ins Theater gegangen wären. Sie spielte zwar zwischen 1930 und 1932 auch kleinere und größere Rollen in Brechts Die Maßnahme, Mann ist Mann sowie Die heilige Johanna der Schlachthöfe, aber die sowohl von Brecht als auch von Weigel angestrebte episch-didaktische Darstellungsweise erreichte in dem Stück Die Mutter ihren ersten Höhepunkt. Doch dann kam der 30. Januar 1933, der allen derartigen Bemühungen ein abruptes Ende bereitete. Brecht als Linker und Weigel als linke Jüdin, die den Nazifaschisten schon lange ein Dorn im Auge waren, mussten fliehen und entschieden sich – nach Umwegen über Österreich, die Schweiz und Frankreich – nach Dänemark auszuweichen, wo ihnen Weigels ältere Freundin Karin Michaëlis ein Haus am Skovsbostrand auf der Insel Fünen besorgte. Und damit begann für beide ein Exil, das bis 1948 andauern sollte. Abgeschnitten von allen deutschsprachigen Theatern versuchte sich Brecht wenigstens weiterhin, so schwierig das auch war, als Autor im antifaschistischen Kampf „nützlich“ zu machen und schrieb ein Drama, einen Essay, ein Gedicht nach dem anderen, worin er sich zu seinen marxistischen Anschauungen bekannte. Aber die Weigel? Wo sollte sie, die weder Eng-

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lisch, Französisch, Dänisch noch Russisch konnte, im Sinne ihrer Pelagea Wlassowa auftreten? Selbst Brechts Versuch, für sie eine deutschsprachige Filmrolle in der UdSSR zu bekommen, scheiterte. Die einzigen Chancen, die sich für sie ergaben, waren zwei kürzere Auftritte in Paris, wo sie 1937 die Hauptrolle in Brechts Die Gewehre der Frau Carrar spielte und 1938 die Rolle der jüdischen Frau in Brechts Szenenfolge Furcht und Elend des Dritten Reiches übernahm. Doch das war auch alles. Um eventuelle exilbedingte Sprachhindernisse zu umgehen, schrieb Brecht zwar 1939 die Rolle der stummen Katrin in Mutter Courage und ihre Kinder für sie, doch dieses Stück war nach ihrer Flucht aus Dänemark über Schweden, Finnland und die Sowjetunion in die USA in keinem dieser Länder aufzuführen. Vor allem nach ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten führten Brecht und Weigel jahrelang eine erniedrigende Schattenexistenz. In der Filmmetropole Hollywood, der Stadt des massenmedialen „Rauschgifthandels“, wie sich Brecht ausdrückte, fanden sie weder im Hinblick auf ihre politischen Anschauungen noch ihre Vorstellungen eines epischen Theaters irgendeine Resonanz. Hier fühlte sich Brecht wie „Lenin im Prater“ und erklärte nach einem Besuch in New York, dass es auch dort nur den Broadway, aber kein wirkliches Theater gebe. In Los Angeles konnte Brecht 1942 lediglich ein Drehbuch für den nachträglich hollywoodisierten Film Hangmen Also Die von Fritz Lang schreiben und eine kaum beachtete Aufführung seines Galilei mit Charles Laughton inszenieren, während der Weigel 1944 nur gestattet wurde, für dreißig Sekunden in dem Film The Seventh Cross von Fred Zinnemann mitzuwirken. Mehr Möglichkeiten einer öffentlichen Wirksamkeit eröffneten sich für beide in ihren sechs Jahren in den USA nicht. IV Als sie daher 1947 zurück nach Europa, und zwar zuerst in die Schweiz, reisten, schrieb Brecht mit Blick auf Helene Weigel als erstes Stück seine Antigone, die er in einer epischen Modellaufführung in Chur in Szene setzte. Hier konnte sie, inzwischen 47 Jahre alt geworden, endlich wieder auftreten, und sie gestaltete diese Rolle zu Brechts höchster Zufriedenheit und zu tiefster Befremdung des dortigen konservativen Publikums geradezu „meisterlich“. Doch schon 1948 ergab sich für beide die Chance, wieder politisch aktiv zu werden, als sie nämlich von dem sowjetischen Kulturoffizier Alexander Dymschitz nach Ostberlin eingeladen wurden, um sich mit ihrer Theaterarbeit an der von der UdSSR lancierten Friedenskampagne zu beteiligen. Und sie nahmen dieses Angebot auch an, da sie zu diesem Zeitpunkt kaum eine andere Chance hatten, sich in irgendeinem anderen Land in ihrem Sinne politisch „nützlich“ zu machen.

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Als erstes Stück inszenierte Brecht dort mit einem eigens von ihm zusammengestellten Ensemble sein Antikriegsstück Mutter Courage und ihre Kinder mit Weigel in der Titelrolle. Es gelang ihr dabei in unzähligen Aufführungen, den Zuschauern klarzumachen, dass die „kleinen Leute“ in irgendwelchen Kriegen und damit indirekt auch in dem von den Nazifaschisten angezettelten Zweiten Weltkrieg nichts zu gewinnen, sondern nur zu verlieren hätten. Und sie tat das, indem sie sich mit der Figur der Mutter Courage nicht identifizierte, sondern deren anpassungsbereites Verhalten so gestisch wie nur möglich herausstellte, das heißt nicht in dieser Figur aufging, sondern sie zeigte. Dennoch hatte ihr Spiel nichts Lehrhaftes oder gar Propagandistisches, sondern war von einer stillen Intensität, der man sowohl das lange Exil als auch den Willen zu einem politischen Neubeginn anmerkte. Es gab daher viele, die darin das bedeutendste Theaterereignis der ersten Nachkriegsjahre in Deutschland sahen. Nicht Brecht, sondern sie erhielt deshalb einen der ersten Nationalpreise der DDR für diese Aufführung, ja, auf den Straßen von Ostberlin riefen plötzlich immer mehr Menschen: „Da geht Mutter Courage“, wenn sie sich irgendwo blicken ließ. Von diesem Widerhall beflügelt, übernahm daher Weigel – ohne zu zögern – kurz darauf die Leitung des Berliner Ensembles, was Brecht, der sich auf sein Schreiben und die jeweils anfallenden Regiearbeiten beschränkte, als eine große Erleichterung empfand. Und zwar versuchten beide, dabei an die Bemühungen der Arbeiterkulturbestrebungen der späten zwanziger Jahre anzuknüpfen, obwohl das in mancher Hinsicht im Widerspruch zu den Lehren der psychologisch-realistischen Darstellungsweise der sowjetischen Stanislawski-Methode stand, aber von der SED-Führungsspitze aufgrund der gleichen sozialistischen Grundhaltung und auch wegen des schnell anwachsenden künstlerischen Prestiges des Berliner Ensembles geduldet und schließlich sogar aktiv unterstützt wurde. Dazu trug vor allem der große Erfolg bei, den Helene Weigel als Pelagea Wlassowa in der Inszenierung von Brechts Die Mutter erzielte, die seit 1950 erstmals wieder über die Bühne ging. Auch hier, obwohl es sich dabei um eine Aufführung handelte, mit der Brecht seinem Publikum vor allem die von den Nazifaschisten ins Dämonische verteufelten Bolschewiki in einem positiven Licht zeigen wollte, vermied die Weigel alles Plakative und überzeugte selbst manche der Erzkonservativen unter den Zuschauern und Zuschauerinnen durch die darstellerische Eindringlichkeit, mit der sie als BelehrtBelehrende andere „Unterdrückte und Entrechtete“ in ihrem Kampf gegen Lohnkürzungen und andere Willkürmaßnahmen der Ausbeuterklasse zu unterstützen versuchte. Aufgrund dieser beiden Aufführungen erhielt das von ihr geleitete Berliner Ensemble schließlich 1953 das Theater am Schiffbauerdamm, wo

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Helene Weigel (1958)

Brecht mit Hilfe anderer, meist wesentlich jüngerer Regisseure eine Reihe seiner im Exil geschriebener Stücke und Bearbeitungen herausbringen konnte. Daran schloss sich eine Reihe von Gastspielen in den Theatermetropolen anderer Länder wie Frankreich, den Niederlanden, Belgien, England, Polen und Österreich an, wodurch Weigels Ruhm zusehends internationale Ausmaße annahm. Bevor Brecht im Jahr 1956 in der Ostberliner Charité starb, war ihre letzte große Rolle die der rücksichtslosen Gouver-

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neursfrau Natella Abaschwili in Brechts Kaukasischem Kreidekreis, die sie nicht minder bedeutsam gestaltete als ihre bisherigen Mütterrollen. Ja, nach Brechts Tod nahmen ihre Verpflichtungen als Schauspielerin, Erbeverwalterin und Theaterleiterin eher zu als ab. Und sie stellte sich all diesen Anforderungen mit einem geradezu unermüdlichen Eifer. Sie gastierte mit dem Berliner Ensemble in Moskau, Leningrad, Budapest, Belgrad, Paris, London, Venedig, Frankfurt am Main und im Ruhrgebiet, wobei sie meist in Die Mutter und Mutter Courage und ihre Kinder auftrat, sie berief Erich Engel als ihren neuen Oberspielleiter ans Schiffbauerdammtheater, sie kümmerte sich um die Erbanteile von Brechts Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, sie nahm Einfluss auf die Einrichtung eines Brecht-Archivs in der Ostberliner Chausseestraße, sie gewann Elisabeth Hauptmann für die erste große Brecht-Ausgabe beim Suhrkamp und beim Aufbau Verlag, sie zügelte jüngere Schauspieler und Schauspielerinnen, sich bei ihren Bühnenauftritten nicht allzu stark ihren persönlichen Emotionen hinzugeben, sondern stets das aufzuklärende Publikum im Auge zu behalten, sie war äußerst geschickt beim unumgänglichen Taktieren mit den staatlichen Behörden, sie kam 1961 mit dem Stück Frau Flinz von Helmut Baierl, in dem sie die Titelrolle übernahm, den Wünschen der SED entgegen, nach Erwin Strittmatters Katzgraben weiterhin Stücke mit DDR-Themen in das Repertoire des Berliner Ensembles aufzunehmen, sie spielte 1965 die Volumnia in der Brechtschen Bearbeitung des Coriolan von Shakespeare, sie startete Aktionen zur Verbesserung der Kinderschuhe und Kindernahrung in der DDR – und starb schließlich mit 71 Jahren nach einer Verletzung, die sie sich bei einem Gastspiel in Paris zugezogen hatte, am 6. Mai 1971 in Ostberlin, und zwar noch immer hoffend, dass sich aus der DDR – trotz aller bürokratischen Widrigkeiten und der ideologischen Resistance großer Bevölkerungsanteile – doch einmal ein wahrhaft friedlicher, antifaschistischer und sozialgerechter Staat werden würde. Wie Brecht hielt sie bis zu ihrem Lebensende an der Überzeugung fest: „Lieber ein befohlener Sozialismus als gar kein Sozialismus.“ V Wie lässt sich ein so schweres, aber auch ruhmreiches Leben und Wirken auf einen Nenner bringen? Einmal ganz grob gesprochen, könnte man dabei zu folgendem Schluss kommen: Sie war die Neuberin des 20. Jahrhunderts. Während sich jene auf der Grundlage der Theaterreform Johann Christoph Gottscheds unter Aufbietung aller Kräfte und Möglichkeiten mit ihrem Ensemble Mitte des 18. Jahrhunderts bemüht hatte, das deutsche Theater aus einem kruden Unterhaltungsmedium, in dem meist der Hanswurst die Hauptrolle spielte, in ein bildungsbürgerlich-aufgeklärtes

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Theater zu verwandeln, versuchte die Weigelin – im Rahmen der Bedingungen ihrer Lebensspanne – mit Hilfe Brechts das Berliner Ensemble in eine halb bildungsbetonte, halb proletarische Modellbühne zu verwandeln. Der Einsatz beider bei dieser Aufgabe war groß, doch blieben ihre Erfolge weitgehend zeitgebunden. Was der Neuberin unter dem Einfluss und mit der Hilfe Gottscheds nicht gelang, hat dann wenigstens das Theater der sogenannten Weimarer Klassik weitergeführt. Das Berliner Ensemble Bertolt Brechts und Helene Weigels blieb dagegen ein Modell, das noch immer seiner in die Gesellschaft „eingreifenden“ Wirkung harrt. Hoffen wir, dass in Zukunft einige sozial engagierte Dramatiker und Dramatikerinnen sowie Theaterleiter und Theaterleiterinnen dafür sorgen werden, dass es nicht zu einem funktionslosen Museum erstarrt, sondern dass es weiterhin ein Vorbild bleibt, selbst mit den Mitteln der höchsten Kunst an der Herbeiführung einer Gesellschaft jenseits von Nazifaschismus, Kapitalherrschaft, Kulturverlust und Kriegstreiberei mitzuwirken, für die sich diese beiden Menschen während des größten Teils ihres Lebens mit unermüdlicher Beharrlichkeit eingesetzt haben.1

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ÄSTHETIK UND GEMEINSINN Das unverminderte Faszinosum „Brecht“

I Wer erinnert sich noch daran, was man nach dem Zusammenbruch des Nazifaschismus in der US-amerikanischen Besatzungszone unter „Kultur“ verstanden hat? Im Gegensatz zu heute, wo im Zuge der steigenden Wohlstandsvermehrung sogar von Ess-, Reise-, Fernseh-, Wohn- und Badezimmerkultur die Rede ist, galt damals innerhalb der meinungsbestimmenden Bevölkerungsschichten nur das als „Kultur“, was einen „höheren Anspruch“ vertrat, also Dramen, Gedichte, hochstilisierte Romane, Opern, Symphonien, Kammermusikwerke, Ölgemälde oder Skulpturen, mit denen das zutiefst gedemütigte Bildungsbürgertum den als „kulturlos“ hingestellten „Amis“ beweisen wollte, dass es in der deutschen Vergangenheit nicht nur eine auf das Dritte Reich zusteuernde Populärkultur, sondern auch eine geradezu überbordende Fülle klassisch-romantischer sowie religiöser Werke gegeben habe, die zu den bedeutendsten Zeugnissen des Weltkulturerbes gehörten.1 Dementsprechend wurden „wir“, womit die 4,5 Prozent jener bildungsmäßig privilegierten Oberschüler gemeint sind, die damals wie ich in Kassel, der nördlichsten Stadt der US-amerikanischen Besatzungszone, lebten, in den Jahren 1946 bis 1950 ständig dazu angehalten, keine Aufführung von Goethes Iphigenie auf Tauris, Lessings Nathan der Weise, Mozarts Zauberflöte, Beethovens Fidelio, Wagners Tannhäuser, Pfitzners Kantate Von deutscher Seele oder Bachs Matthäuspassion zu versäumen, alle Symphoniekonzerte mit klassisch-romantischer Musik zu besuchen, Dramen von Goethe, Schiller und Kleist zu lesen, Werke von Heinrich Schütz, Leonhard Lechner und Michael Praetorius zu singen und in den Schulferien an sogenannten Musischen Lehrgängen teilzunehmen, wo wir Zeichenunterricht erhielten, Laienspiele aufführten, Gedichte schrieben sowie Bach-Motetten und das Mörike-Chorliederbuch von Hugo Distler einstudierten. Damit wurde auch in uns jener für diese Zeit bezeichnende „Hochkulturhunger“ geweckt, der einen elitär gesinnten Kulturphilosophen wie Theodor W. Adorno zutiefst beglückte, als er 1948 aus den von ihm ebenfalls als „kulturlos“ bezeichneten, das heißt einer faschistoiden Massenmedienindustrie frönenden Vereinigten Staaten nach Frankfurt zurückkehrte.

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Demzufolge spielte ich damals nicht nur Klavier, sondern nahm zugleich an Abendkursen der Kasseler Malakademie teil, schrieb Gedichte im Stil Hölderlins, Rilkes und Hesses, trat 1949 als Abiturient in der Titelrolle von Goethes Drama Des Epimenides Erwachen auf und begann sogar, selber Dramen zu schreiben.2 Allerdings ging mir und meinen Klassenkameraden dabei nicht auf, dass all dies eine geradezu nahtlose Weiterführung jener bildungsbürgerlichen Inneren Emigration war, mit der schon die Nazifaschisten die „unvergleichliche Größe“ der älteren deutschen Kultur herausgestrichen hatten, um die kulturbewusste Oberschicht von ihren ins Auge gefassten Fernzielen abzulenken. Noch viel zu jung und uns ideologisch bedenkenlos in die Hochkultur der Vergangenheit vertiefend, begriffen wir von dem, was sonst um uns herum auf politischer und sozioökonomischer Ebene vor sich ging, fast nichts. Und es gab auch niemanden, weder in der Schule noch sonst wo, der uns darauf hingewiesen hätte. Und daran änderte sich auch zu Beginn unserer Marburger Studienzeit, als wir – vor allem die kulturbesessenen Geisteswissenschaftler unter uns – ab 1950 die sogenannte „moderne“ Kunst zu entdecken begannen, kaum etwas. Jetzt waren es plötzlich im Bereich der Literatur nicht mehr Hölderlins „Schicksalslied“, Rilkes „Sonette an Orpheus“ oder Hesses Glasperlenspiel, die uns in ihren Bann zogen, sondern die Werke Franz Kafkas, Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil, der Doktor Faustus von Thomas Mann, ja sogar die Romane von James Joyce, Marcel Proust und Italo Svevo, die wir in deutschen Übersetzungen lasen. Als Lyriker faszinierte uns vor allem Gottfried Benn, dessen Gedichte wir – nach seinem im August 1951 im Marburger Auditorium maximum gehaltenen Vortrag „Probleme der Lyrik“ – geradezu sklavisch nachzuahmen versuchten.3 Was uns an diesen Werken anzog, war vornehmlich das Elitäre, Modernistische, Ästhetisch-Subtile, sich vom „pöbelhaften“ Geschmack der sogenannten „breiten Massen“ Absondernde, während wir irgendwelchen ins gesellschaftliche Leben „eingreifenden“ Tendenzen keinerlei Beachtung schenkten. Überhaupt blieb alles Politische wie auch alles Populäre weitgehend außerhalb unseres Gesichtskreises. Weder die Realien der Vergangenheit noch die Realien der Gegenwart interessierten uns. Ob nun Adolf Hitler oder Konrad Adenauer: all das war uns „Hekuba“, wie es bei Shakespeare heißt. Wir lebten als angehende Neugermanisten fast ausschließlich im Haus der hohen Kultur, fühlten uns als die Elite der Nation und waren nur an Dingen interessiert, in denen wir eine höchstmögliche ästhetische Perfektion sowie ein gesellschaftliches Außenseitertum aufzuspüren glaubten. Ich kann mich daher nicht entsinnen, dass wir uns als Marburger Studenten jemals über Politik unterhalten hätten. Nicht einmal unsere eige-

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nen Erlebnisse im Dritten Reich, ob nun in der Hitler-Jugend, den KLVLagern oder den Bombennächten, beschäftigten uns mehr. Die meisten von uns blieben bis 1956 hochgebildete Schöngeister ohne jedes Interesse an irgendeiner „Vergangenheitsbewältigung“. Was scherten uns Auschwitz, die Reichsparteitage, die Aufmärsche der SS, die Germanisierung des Warthegaus oder die Liquidierung der KPD, solange es eine „Klassik“ und einen „High Modernism“ gab? Alles andere überließen wir den sogenannten Ungebildeten innerhalb der unteren achtzig bis neunzig Prozent der westdeutschen Bevölkerung, die sich – in unserer Sicht – von den banalen Parolen der neu gegründeten Parteien einfangen ließen und sich ansonsten jenen „Wonnen der Gewöhnlichkeit“ hingaben, welche ihnen in Form der schon im Dritten Reich äußerst beliebten Schlagerschnulzen, Heimatfilme und Tanzrhythmen sowie von der sich allmählich entwickelnden westdeutschen Unterhaltungsindustrie beziehungsweise den US-amerikanischen Entertainmentkonzernen geboten wurden. Aufgrund dieser Einstellung plante ich 1952/53 als 22-Jähriger, meine Doktorarbeit über die Rolle der klassischen und modernistischen Musik in Thomas Manns Roman Doktor Faustus zu schreiben, konnte aber keinen Neugermanisten finden, der ein solches Thema für „dissertationswürdig“ hielt.4 Dass diese Professoren zumeist ehemalige Nazis waren und daher in Mann nach wie vor insgeheim einen „Vaterlandsverräter“ sahen, ging mir, da ich damals für solche Zusammenhänge noch gar keinen Blick besaß, erst viel später auf. Derartige „Statthalter des deutschen Geistes“, wie sie sich selber nannten, hielten zu diesem Zeitpunkt unter den noch lebenden deutschen Autoren lediglich Edelnazis wie Ernst Jünger und Gottfried Benn für lesenswert. Dass es irgendwo im Osten, das heißt jenseits der Zonengrenze, auch eine andere deutsche Literatur gab, ja, dass man dort Stücke von Bertolt Brecht und Friedrich Wolf aufführte sowie Romane von Bruno Apitz, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Anna Seghers und Arnold Zweig las, davon wussten wir nichts. Diese Literatur wurde nicht einmal kritisiert, sondern einfach totgeschwiegen, was meist viel wirksamer ist. Und falls man solche Autoren und Autorinnen überhaupt erwähnte, galten sie weitgehend als „ideologische Handlanger jenes Schinderregimes in der Sowjetzone“, wie sich einige BRD-Feuilletonisten ausdrückten, denen man unter ästhetischer Perspektive keine Beachtung zu schenken brauche. Das einzige „politische“ Drama, das damals in Marburg über die Bühne ging, war Georg Büchners Dantons Tod. Da es als wildes expressionistisches Stück aufgeführt wurde, bei dem zwanzig im Publikum verteilte Komparsen die Marburger Stadtsäle in den französischen Nationalkonvent zu verwandeln suchten, konnten wir mit dieser Form der Inszenierung sowie der politischen Botschaft des Ganzen wenig anfangen. Als mir Jahre

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später der Programmzettel dieser Aufführung wieder in die Hände fiel, sah ich zu meinem Erstaunen, dass die Regie kein Geringerer als Erwin Piscator geführt hatte, der in den fünfziger Jahren – als ein aus dem Exil zurückgekehrter „Linker“ – offenbar im Klima des Kalten Kriegs fast nur in westdeutschen Provinzstädten wie Marburg Theater machen durfte. Ein solcher Name sagte mir 1952 noch gar nichts. Selbst wenn auf dem Programmzettel „Regie: Bertolt Brecht“ gestanden hätte, hätte mir das nichts bedeutet. Und auch als ich 1953/54 dazu verdonnert wurde, meine Dissertation nicht über Thomas Mann, sondern über „Die literarische Formenwelt des Biedermeiers“, also die konservativ gesinnte Metternichsche Restaurationsperiode, zu schreiben, ahnte ich noch nicht, dass man die Zeit zwischen 1815 und 1848 damals in der DDR als die Ära des deutschen Vormärz bezeichnete, um somit den Hauptakzent vor allem auf die liberal- oder radikaldemokratischen Tendenzen innerhalb dieser Epoche zu legen. Auch dass die Adenauersche Restaurationsperiode, wie sie später von manchen westdeutschen Historikern genannt wurde, zu diesem Zeitpunkt in untergründiger Parallele häufig mit der Metternich-Ära verglichen wurde, war mir nicht bewusst. Ja, selbst die anderen 15 Doktoranden, die in den folgenden Jahren bei dem gleichen Neugermanisten über die Literatur der Biedermeierzeit promovierten, nahmen sicher noch nicht an, dass man sie damit von irgendwelchen linksliberalen oder gar sozialistischen Anschauungen fernzuhalten versuchte. II Doch dann trat etwas ein, was sowohl meine literarischen Anschauungen als auch meinen späteren Lebensweg radikal verändern sollte. Statt als promovierter westdeutscher Bildungsbürger eine Studienreferendarstelle am Wetzlarer Gymnasium anzutreten, nahm ich – mit der Absicht, ein freischaffender Schriftsteller zu werden – im Februar 1956 ein Angebot des Ostberliner Akademie-Verlags an, mit dem 51 Jahre älteren, „gesamtdeutsch“ orientierten Kunsthistoriker Richard Hamann, der als sogenannter „Grenzgänger“ seit 1947 sowohl an der Marburger Philipps-Universität als auch der Ostberliner Humboldt-Universität lehrte,5 eine fünfbändige Kunst- und Kulturgeschichte von der Gründerzeit bis zum Expressionismus zu verfassen. Und damit hörte die Zeit des relativ planlosen Lesens, Klavierspielens, Chorsingens, Malens sowie Dramen- und Gedichteschreibens plötzlich auf. Was jetzt anstand, war ein großes kulturgeschichtliches Projekt, das mich zum ersten Mal mit einer Fülle bis dahin ungeahnter politischer, sozialer und wirtschaftsgeschichtlicher Probleme konfrontierte, die sich nur mit jenem jugendlichen Mut zur Unvollkommenheit

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bewältigen ließen, den man als 26-Jähriger noch in einem reichlichen Maße besitzt. Als erstes Buch dieser Reihe nahm ich mir – nach Ostberlin übergesiedelt – den Band zum gesellschaftskritischen Naturalismus der späten achtziger und frühen neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts vor. Dabei tat sich mir eine völlig neue Welt auf. Schließlich hatte ich als westdeutscher Oberschüler und dann als Neugermanist noch nie Dramen von Gerhart Hauptmann und Arno Holz gelesen, wusste nicht, wer Émile Zola, Henrik Ibsen, Max Liebermann und Käthe Kollwitz, geschweige denn August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Franz Mehring waren, erfuhr, dass Bismarck die Gesetze gegen die „gemeingefährlichen Bestrebungen“ unter den „vaterlandslosen Gesellen“ der Sozialdemokraten erlassen hatte, und versuchte, mich über die von den Autoren und Malern dieser Bewegung gehandhabten Darstellungsweisen der proletarischen Milieuschilderung zu informieren. Dazu kamen die für dieses Thema zentralen Werke von Ferdinand Lassalle, Karl Marx und Friedrich Engels. Außerdem kaufte ich mir das 1954 in Ostberlin erschienene Werk Die Zerstörung der Vernunft von Georg Lukács, den ersten Band des Prinzip Hoffnung von Ernst Bloch, mit dem Hamann halbwegs befreundet war, sowie die Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterklasse von Jürgen Kuczynski. Nach Jahren eines geradezu anämischen Ästhetizismus und einer als existentialistisch verbrämten Egozentrik, die im Westen als Wesensformen einer modernen Verfreiheitlichung ausgegeben wurden, aber keinerlei weltanschaulich konkrete Zielsetzungen enthielten, welche für die sozialen Verhältnisse relevant gewesen wären, gab mir die Lektüre dieser Werke nicht nur ein besseres Verständnis für die politischen und sozioökonomischen Hintergründe des deutschen Naturalismus, sondern auch einen völlig neuen Realitätssinn. Plötzlich waren es weniger weltabgewandte, kunstautonome Dichtungen als vielmehr Epochenumbrüche, ideologische Polarisierungen und politische Entscheidungsprozesse, die mich interessierten, wenn auch immer noch unter subjektiv-idealistischer Perspektive, das heißt weitgehender Nichtbeachtung realpolitischer Erwägungen sowie der damit verbundenen Parteistrategien. Zugegeben, all das „politisierte“ mich zwangsläufig, aber anfangs eher in wissenschaftlicher als in tagespolitischer Hinsicht. Welche ideologischen Erschütterungen im Jahr 1956 die Anti-Stalin-Rede Nikita Chruschtschows, der Ungarnaufstand und der Sturz Wolfgang Harichs in der DDR auslösten, nahm ich daher, zumal ich als westdeutscher Bildungsbürger weder Nachrichten hörte noch Zeitungen las, kaum wahr. Mir ging es trotz der durch den Naturalismus-Band ausgelösten Einsichten letztlich weiterhin vornehmlich um die „hohe Kunst“. Die wenige Zeit, die mir neben der

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Arbeit an der in Angriff genommenen Akademie-Reihe blieb, verwandte ich deshalb, um ins Theater, die Oper, in Symphoniekonzerte und zu Kammermusikabenden zu gehen, deren Besuch damals in Ostberlin, wie alles, was mit anspruchsvoller „Kultur“ zusammenhing, relativ preiswert war, um möglichst breiten Schichten der Bevölkerung – im Sinne der herrschenden Vollstreckertheorien, mit denen sich der Marxismus als Erbe aller großen Menschheitshoffnungen ausweisen wollte – einen Zugang zu den Werken der hohen Kunst ermöglichen zu können. Was mich anfangs in Ostberlin besonders faszinierte, waren die von Walter Felsenstein inszenierten Aufführungen in der Komischen Oper, darunter Das schlaue Füchslein von Leoš Janáček, sowie die Wagnerschen Meistersinger von Nürnberg mit Theo Adam in der Staatsoper Unter den Linden. Doch auch alles, was damals im Deutschen Theater, der Volksbühne und dem Maxim Gorki Theater an Stücken von Shakespeare, Lessing, Goethe, Schiller und Hauptmann aufgeführt wurde, übertraf das, was ich bis dahin gesehen hatte, bei weitem. Allerdings verfeinerten die Aufführungen dieser Werke, die ich, wenn auch nicht so meisterlich inszeniert, schon in Kassel und Göttingen gesehen hatte, zu Anfang lediglich mein ästhetisches Empfindungsvermögen, ohne mir das Gefühl zu geben, in einem Staat mit grundsätzlich andersgearteten Kulturvorstellungen zu leben. Zum radikalen Umdenken in dieser Hinsicht zwang mich erst der Besuch des Berliner Ensembles am Schiffbauerdamm, wo ein mir noch unbekannter Autor namens Bertolt Brecht, der 1948 aus dem US-amerikanischen Exil auf dem Umweg über die Schweiz nach Deutschland zurückgekehrt war, fast ausschließlich seine als „sozialistisch“ ausgegebenen Dramen aufführen ließ. III Und ich war als „Westler“, dem Begriffe wie „episches Theater“, „Materialwert“, „Verfremdungseffekte“ oder gar „sozialistischer Realismus“ noch weitgehend unvertraut waren, erstaunt, welch hohen ästhetischen Reiz die dort aufgeführten Werke – trotz ihres politischen Bekenntnischarakters – hatten. Was hier über die Bühne ging, war keineswegs dogmatisch oder lehrhaft gemeint, ging nicht ins Schönfärberische über, begnügte sich nicht mit irgendwelchen SED-Parolen oder personenkultischen Vorstellungen der stalinistischen Vergangenheit, mit denen man die Mehrheit des Publikums lediglich gelangweilt hätte, sondern versuchte ihm klar zu machen, welche Mühen es beim Umbau der Gesamtgesellschaft zu überwinden habe, um endlich jene „Bewohnbarmachung der Erde“ zu erreichen, in der sich das kapitalistische „Reich der Notwendigkeit“ in das sozialistische „Reich der Freiheit“ verwandeln würde.

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In fast allen diesen Stücken ging es daher um in der Vergangenheit oder der Gegenwart stattfindende Auseinandersetzungen, die nicht auf „einfache Lösungen“ hinausliefen, sondern eher den mühsamen, von vielen Widersprüchen und Konflikten durchzogenen Gesamtverlauf der gesellschaftlichen Entwicklung herausstellten, und das in einer zwar einfachen, aber zugleich höchst kunstbewussten Sprachgebung, die selbst ein ästhetisch verwöhntes Ohr nicht unbeeindruckt ließ. Überwältigt von den dort erlebten Eindrücken, die alles in den Schatten stellten, was ich zuvor in anderen Theatern gesehen hatte, ließ ich mir daher zwischen Frühjahr 1956 und November 1957 für wenige Ostmark keine der dortigen Inszenierungen entgehen, das heißt sah neben der allerseits gerühmten Mutter Courage und ihre Kinder auch Die Mutter, Leben des Galilei, Der kaukasische Kreidekreis, Pauken und Trompeten, Der Held der westlichen Welt, Winterschlacht, Hirse für die Achte und Der Tag des großen Gelehrten Wu, in denen hochbedeutsame Schauspieler und Schauspielerinnen wie Ernst Busch, Norbert Christian, Friedrich Gnaß, Angelika Hurwicz, Wolf Kaiser, Agnes Kraus, Regine Lutz, Käthe Reichel, Ekkehard Schall und Helene Weigel die Hauptrollen spielten. Ja, einmal durfte ich – auf Vermittlung von Wolfgang Heise, mit dem ich das Manuskript meines Naturalismus-Bandes durchgesprochen hatte – sogar an einer von Erich Engel und Helene Weigel geleiteten Probe von Der gute Mensch von Sezuan teilnehmen. All das waren Aufführungen von einer solchen Eindringlichkeit, dass ich sie noch heute – über sechzig Jahre später – vor meinem inneren Auge wie eine Reihe von Dokumentarfilmen vorübergleiten sehe. Im Vergleich zu den dort über die Bühne gehenden Stücken erschienen mir damals fast alle anderen Werke zeitgenössischer Dramatiker, ob nun von Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch oder Peter Hacks, zwar „achtbar“, aber nicht wirklich richtungsweisend. Also kaufte ich mir alle Einzelausgaben der Brechtschen Stücke, weiterhin fasziniert von ihrem ästhetischen Reiz, aber auch von ihrer mich immer stärker beeindruckenden politischen Aussagekraft und einem Realitätssinn, dem ein universales Weltverständnis zugrunde lag, das ich bis dahin nicht einmal in Ansätzen besessen hatte. Doch bevor ich daraus irgendwelche Konsequenzen ziehen konnte, wurde mein Lebensgang abermals jäh durchbrochen. Nachdem schon mein Naturalismus-Band bei einigen SED-Kulturfunktionären auf erheblichen Widerstand gestoßen war und nur durch das mutige Eingreifen Hans Mayers in den Druck gehen konnte,6 fand der als einflussreicher Kritiker gefürchtete Alfred Kurella mein danach geschriebenes Manuskript zu dem folgenden Impressionismus-Band nicht „marxistisch“ genug, was dazu führte, dass ich im November 1957 aus der DDR ausgewiesen wurde.7 Lediglich Ludolf Koven, der Leiter des Akademie-Verlags, hielt nach wie vor

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zu mir und bat mich eindringlich, das angefangene Projekt nicht aufzugeben, ja, er versprach mir sogar, heimlich Vorschusszahlungen in Westgeld überweisen zu lassen, um mit dem Band Stilkunst um 1900 zu beginnen und zugleich das unvollständige Manuskript Richard Hamanns zu dem Band Gründerzeit zu überarbeiten. Also saß ich wenige Tage später wieder im westdeutschen Marburg: fern der DDR, fern vom Berliner Ensemble, fern vom Akademie-Verlag, weiterhin in einem fast eremitenhaften Zustand an meiner groß geplanten Kulturgeschichte des wilhelminischen Zeitalters arbeitend. Als erstes hielt ich dort vor einer germanistischen Studentengruppe einen Vortrag unter dem Titel „Bertolt Brecht und das Berliner Ensemble“, von denen fast niemand etwas wusste. Als mein früherer Doktorvater davon hörte, erklärte er lediglich halb ironisch, halb abschätzig: „Ja, aber wer ist denn dieser Herr Brecht?“ Doch davon ließ ich mich nicht beirren. Das Akademie-Projekt, die gesamtdeutsche Haltung Hamanns sowie das Berliner Ensemble blieben auch weiterhin die zentralen Leitsterne meiner Existenz. Und das bewirkte, dass ich in der damaligen, der Ideologie des Kalten Kriegs verpflichteten BRD eine Anstellung als akademischer Assistent oder Bibliothekar nur dann bekommen hätte, falls ich sowohl meine Beziehung zum Ostberliner Akademie-Verlag aufgegeben als auch meine bekennerische Haltung zu Brecht verleugnet hätte. Weil ich mich zu beiden nicht entschließen konnte, wurde ich überall abgewiesen und musste weiterhin von den wenigen Westmark leben, die ich von Ludolf Koven erhielt. Um jedoch nicht jedes Jahr in überstürzter Hast ein neues Buch schreiben zu müssen, sah ich mich aufgrund dieser Situation – ohne irgendwelche Zukunftsaussichten – schließlich im Sommer 1958 gezwungen, eine Assistenzprofessur an der University of Wisconsin in Madison anzunehmen, die irgendwo auf der anderen Seite des Planeten lag, wie ich auf einer alten Landkarte entdeckte. IV Als ich in besagtem Madison eintraf, fand ich unter meinen älteren USamerikanischen Kollegen keinen, mit dem ich über meine literarischen, geschweige denn politischen Ansichten reden konnte. Alle waren zwar „nett“, aber zutiefst konservativ eingestellt. Das erste, was man mir neben meinen Sprachkursen und einer Einführung in die Novellenliteratur des 19. Jahrhunderts anbot, war, die Regie in dem alljährlich in deutscher Sprache aufgeführten German Play zu übernehmen. „Machen Sie Maria Stuart“, erklärte man mir, „Schiller geht immer gut.“ Ich entschied mich jedoch, Brechts Mutter Courage und ihre Kinder zu inszenieren, worunter meine Kollegen, die noch nie den Namen Brecht gehört hatten, eine

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Grimmelshausen-Bearbeitung, also etwas Wohlgefällig-Komödiantisches vermuteten. Mit Brechts Modellbuch in der Hand hielt ich darauf mit einer Gruppe von rund zwanzig Studenten und Studentinnen wochenlang Proben zu diesem Stück ab, wobei ich manche, die mit ihren Eltern aus Siebenbürgen, Weichselpreußen, dem Banat oder ähnlichen osteuropäischen Ländern vertrieben worden waren, in ihren jeweiligen Dialektintonationen sprechen ließ, was Brecht vermutlich gefallen hätte. Außer den üblichen „Krächen“ lief das Ganze – mit einem mühsam zusammengezimmerten Marketenderinnenwagen, einem Halbvorhang, einem verstimmten Klavier und einigen eingeblendeten Projektionen – relativ gut ab und hatte sogar vor vollem Haus den gewünschten Erfolg. Ob jedoch das Publikum die angestrebte „Message“ wirklich verstanden hatte, blieb unklar. Lediglich einige antifaschistisch eingestellte Historiker und Soziologen, die man nach 1933 beziehungsweise 1938 aus Deutschland oder Österreich vertrieben hatte, kamen nach der Premiere auf mich zu und sagten verwundert: „Herr Hermand, Sie sind ja einer von uns.“ Ja, einer von ihnen, mein späterer Freund George L. Mosse, drückte mir mit den Worten „Höchstwahrscheinlich war dies die amerikanische Erstaufführung dieses Dramas“ sogar zustimmend die Hand. Doch diese Aktion blieb eine Eintagsfliege. Die meisten meiner Kollegen im German Department wollten danach von Brecht nichts mehr hören. Auch meine Beziehungen zu Deutschland nahmen – außer den Kontakten zum Akademie-Verlag – allmählich ab. Diese Situation änderte sich erst, als in den späten sechziger Jahren in den USA jene gegen den Vietnamkrieg protestierende New-Left-Bewegung entstand, die selbst in den Literaturwissenschaften zu einem deutlichen Paradigmenwechsel, wie man damals sagte, von den eher als kanonisch geltenden Schriftstellern der Vergangenheit zu den eher rebellisch auftretenden Autoren der letzten Jahrzehnte führte. Und damit schlug – wie in der BRD – auch in der Neugermanistik der Vereinigten Staaten endlich die längst überfällige Stunde für Brecht. Plötzlich wollten die älteren Studenten und Studentinnen wissen, warum dieser Schriftsteller in die bisher lediglich negativ hingestellte „Sowjetzone“ gegangen sei, welche Möglichkeiten sich dort für ihn eröffnet hätten, worin sich das „Sozialistische“ in seinen Werken äußere, welche Haltung er den USA gegenüber bezogen habe und vieles andere mehr. Statt also das „Gute“ in der deutschen Literatur weiterhin lediglich in den Repräsentanten der Weimarer Klassik und den auf sie folgenden bürgerlichen Humanisten à la Thomas Mann zu sehen, hatten diese Gruppen in Brecht endlich einen links dieser Traditionslinie stehenden Autor gefunden, mit dem sie der bisher weitverbreiteten Abneigung gegen die nazifaschistischen Ab-

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irrungen innerhalb der jüngsten deutschen Literatur ebenso effektiv entgegenzutreten hofften. Im Zuge dieser Entwicklung gelang es mir, zur Unterstützung dieser Tendenzen sowohl den westdeutschen Brecht-Forscher Reinhold Grimm als auch den jungen Amerikaner David Bathrick, der gerade über Brechts Trommeln in der Nacht promoviert hatte, zur Stärkung meiner Position nach Madison zu berufen. Ja, es war sogar ein Leichtes, mit Grimm auf einer Tagung der Modern Language Association neben der bereits bestehenden Goethe-Gesellschaft eine Brecht Society zu gründen – für die sich anfangs vor allem Gisela Bahr, Eric Bentley, John Fuegi und Ulrich Weisstein engagierten – und anschließend beim linksliberalen Athenäum Verlag in Königstein ein Brecht-Jahrbuch herauszugeben, welches sich als so erfolgreich erwies, dass uns Siegfried Unseld nach drei Jahren aufforderte, es lieber in dem von ihm geleiteten Suhrkamp Verlag herauszubringen, der sich seit 1967 mit der von Elisabeth Hauptmann besorgten zwanzigbändigen Ausgabe der Gesammelten Werke Brechts inzwischen in der BRD als der führende Verlag dieses Autors etabliert hatte. Im Zuge der um 1968 sowohl in der ehemaligen Bundesrepublik als auch in den USA einsetzenden „linken Welle“ im Rahmen der APO oder der New Left schien es daher für die Propagierung Brechts kaum noch Widerstände zu geben. Jetzt hieß es plötzlich vielerorts: „Brecht allewege!“ Gut, es gab auch zu diesem Zeitpunkt in den Vereinigten Staaten noch eine Reihe Kalter Krieger, die wie der Goethe- und Eichendorff-Verehrer Oskar Seidlin in Brecht wegen dessen „stalinistischer“ Gesinnung lediglich den „Lobredner eines Massenmörders“ sahen,8 aber sie wurden kaum noch ernst genommen. Ja, als nach einem meiner Brecht-Vorträge an der University of Texas in Austin einer der älteren Germanisten aufstand und erklärte: „Brecht unterrichten wir in Texas nicht. Der ist uns zu ideologisch. Wir unterrichten lieber Dürrenmatt, weil der so absurd ist“, lächelten die anderen im Saal Sitzenden nur noch ironisch. Schließlich sahen die meisten jüngeren Kollegen inzwischen in Brecht längst einen der Hauptrepräsentanten der neueren deutschen Literatur schlechthin. Grimm und ich wurden daher in der Folgezeit mit Einsendungen von Aufsätzen, Rezensionen und Theaterberichten für das Brecht-Jahrbuch geradezu überschüttet. Ich selber schrieb alljährlich stets einen oder zwei Beiträge. Und auch an dem von Wolfgang Fritz Haug, Klaus Pierwoß und Karen Ruoff herausgegebenen Argument-Band Aktualisierung Brechts (1980) beteiligte ich mich,9 weiterhin hoffend, dass das Interesse an Brecht trotz der in den späten siebziger Jahren einsetzenden Rückzüge in einen ins Subjektivistische tendierenden Postmodernismus nicht abflauen würde. Doch genau das trat ein. Zugegeben, es gab zwar auch in den frühen acht-

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ziger Jahren in der BRD eine Reihe neuer sozialer Bewegungen, aber die engagierten sich eher für ökologische, feministische oder pazifistische Zielsetzungen, während spezifisch linke Ideologiebildungen zusehends in den Hintergrund traten. Daher war ich nicht verwundert, als mir Unseld im Jahr 1980 mitteilte, dass er das Brecht-Jahrbuch aus „verlagstechnischen“ Gründen nicht weiterführen könne, und mir als Trostpflästerchen nur noch erlaubte, 1983 einen Dokumentenband unter dem Titel Bertolt Brecht. Über die bildenden Künste mit zahlreichen Abbildungen herauszubringen, wobei mich Herta Ramthun, die „gute Seele“ des Brecht-Archivs, mit hilfreichen Anregungen unterstützte und sogar einige unveröffentlichte Textstellen für mich heraussuchte.10 Auch in anderen westlichen Brecht-Publikationen der achtziger Jahre überwog danach meist das Editorische und Kommentierende, das heißt der Dokumentationscharakter, während das Rebellisch-Auftrumpfende weitgehend in den Hintergrund trat. Dies machte sich selbst in dem inzwischen in den USA neu gegründeten Yearbook of the International Brecht Society bemerkbar, wo sich mehr und mehr das betont „Akademische“ durchsetzte. Ja, in der BRD wurde damals auf den Seiten der systemimmanenten Feuilletons im Zuge der Kohl-Wende bereits voller Genugtuung von einer allgemeinen „Brecht-Müdigkeit“ gesprochen, um selbst auf diesem Sektor kein neues sozialkritisches Denken aufkommen zu lassen. Politisch „eingreifende“ Debatten im Hinblick auf Brecht fanden deshalb nach diesem Zeitpunkt fast nur noch in der DDR statt. So wurde ich 1979 auf einer Tagung des Ostberliner Zentralinstituts für Literaturgeschichte, die Werner Mittenzwei unter dem Titel „Exil und Avantgarde“ veranstaltete, aufs heftigste von der sowjetischen Literaturkritikerin Tamara Motylewa angegriffen, als ich auf die Brechtsche Skepsis gegenüber einigen Aspekten des stalinistisch ausgerichteten sozialistischen Realismus hinwies. Zu ähnlichen Auseinandersetzungen kam es 1982 nach meinem Vortrag im Brecht-Haus in der Chausseestraße über das Brecht-Bild in Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss11 sowie auf der im gleichen Jahr an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften stattfindenden Johannes-R.-Becher-Konferenz, wo ich über Bechers und Brechts Ostfrontdramen sprach.12 Mein Beitrag „Brecht als Lehrer der ‚Unbürgerlichkeit‘“, der 1987, also ein Jahr nach Mittenzweis großer Brecht-Biographie Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln in der ihm gewidmeten Festschrift erschien,13 fand dagegen wegen seiner klar herausgestellten Klassenpositionen durchaus Zustimmung. Das Gleiche gilt für den Vortrag „Vom schonenden Umgang mit schönen Dingen. Einer von Brechts Vorschlägen zur Lebenskunst“, den ich im Herbst 1988 in der Ostberliner Akademie der Künste anlässlich der Tagung „Brecht mit

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90 Jahren“ hielt, der von vielen durchaus als sinnvoller Vorschlag zu gesellschaftlichen Veränderungskonzepten aufgefasst wurde. Doch derartige Debatten hörten nach der 1989/90 stattfindenden Wiedervereinigung Deutschlands weitgehend auf. Da jetzt der Sozialismus als eine Möglichkeit der Verbesserung der sozialen Verhältnisse in den meinungsbildenden Massenmedien nicht nur links, sondern auch rechts der ehemaligen Grenze weitgehend als totalitaristische Gewaltherrschaft verteufelt wurde, drohte auch Brecht – jedenfalls im außerakademischen Bereich – zu einer von den Zeitläuften überholten Unfigur zu werden. Um diesem Trend entgegenzutreten, griff ich 1995 auf der Augsburger Brecht-Konferenz mit Ernst Schumacher vor allem jenen infamen Brecht-Renegaten John Fuegi so scharf wie möglich an, dem sogar die Ehre zuteilgeworden war, von der Bild-Zeitung über den grünen Klee gelobt zu werden. Zugleich forderte ich Marcel Reich-Ranicki auf, nicht nur an Brechts erotischen Gedichten Gefallen zu finden, sondern sich auch ernsthaft mit Brechts Dramen und politischen Schriften auseinanderzusetzen. Obendrein trat ich mit Helen Fehervary und Marc Silberman dafür ein, statt lediglich Brechts literarische Besonderheit zu betonen, lieber seine „kooperative“ Haltung in allen auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse drängenden Fragen herauszustellen. Doch derartige Einwände blieben damals weitgehend ungehört. Die Mehrheit der bekannteren deutschen Literaturkritiker äußerte sich zum „Fall Brecht“, wie es jetzt immer häufiger hieß, zusehends negativ, als sei auch er einer von jenen gewesen, die sich mit der Stasi eingelassen hätten. So erklärte etwa der Spiegel-Autor Hellmuth Karasek 1995, dass Brecht zwar ein „großer Schriftsteller“ gewesen sei, jedoch sein „dramatisches Werk dem Kommunismus“ geopfert, das heißt für den „zur Heilslehre verkommenen Marxismus ruiniert“ habe. Lediglich in der Dreigroschenoper, behauptete er, wo Brecht „nicht lammfromm in der Kutte des marxistischen Mönchs und Scholaren“ daherkomme, sei er ein „genialer Autor“. Der gute Mensch von Sezuan lese sich dagegen heute wie ein „kitschiges kommunistisches Weihnachtsmärchen“. Kurzum: der Kommunismus sei „tot“ und damit sei auch Brecht ein „toter Autor“.14 Doch nicht nur Reich-Ranicki und Karasek, auch eine Reihe anderer Journalisten äußerte sich nach 1989 mit ähnlich abfälligen Worten über den „Kommunisten“ Brecht, der, um Heinz-Uwe Haus zu zitieren, die „Sowjetunion der Moskauer Prozesse“ verklärt und „ihrem Zwangsstaat in Deutschland“ gehuldigt habe.15 Und wie er erklärten auch andere zu diesem Zeitpunkt, dass Brecht alles „auf den Sieg des Sowjetkommunismus“, also auf „das falsche Pferd“ gesetzt habe, und so sei nach dessem „Scheitern“ auch sein Werk „entwertet“ worden.16 Ja, solche Urteile, die in

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der unmittelbaren Nachwendezeit allerorten anzutreffen waren, nahmen in den folgenden Jahren – vor allem im Hinblick auf Brechts hundertsten Geburtstag im Jahr 1998 – an Schärfe eher zu als ab, als sei der Sozialismus noch immer eine Bedrohung, gegen die „man“ mit äußerster Verbissenheit vorgehen müsse. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung eröffnete diese Kampagne am 23. Dezember 1997 mit der provozierenden Frage, ob nicht dieser „Dichter des Klassenkampfs“ in Wahrheit ein geldgieriger Kapitalist gewesen sei, dessen Biographie man nicht in ein frommes Märchen verfälschen dürfe. Ja, in der Rheinischen Post hieß es am 10. Februar 1998 ebenso herablassend, dass das „Haltbarkeitsdatum“ von Brechts Dramen längst abgelaufen sei. Mit solchen Werken wirbele man nur noch „Staub und Asche“ auf. Der Puntila/Matti, las man hier, wirke heute wie „finnischer Folklore-Kitsch“, das Sezuan-Stück wie ein „sentimentaler Ausflug ins Land der Tränen“, die Heilige Johanna wie eine „Klippschuleinführung in Ökonomie und Moral“, die Mutter Courage wie eine „mitleidslos ‚humane‘ Antikriegsfanfare“, der Kaukasische Kreidekreis wie eine „rührende Gutmensch-Legende“ usw. usf.17 Auf die Gehässigkeit, die hinter diesen Angriffen steckte, reagierte ich am 7. Juli 1998 im Rahmen der Ringvorlesung „Brecht 100“ an der Berliner Humboldt-Universität, zu der mich Frank Hörnigk eingeladen hatte, mit einem Vortrag unter dem Titel „Der arme b. b. nach 1989“, in dem ich mit all jenen Kritikastern ins Gericht ging, die Brecht den angeblich längst fälligen Gnadenstoß zu versetzen suchten, um sich damit – direkt oder indirekt – als willfährige Vertreter der als „postmodern“ hingestellten Market-driven Society des Neoliberalismus auszuweisen. Deshalb beschloss ich diesen Vortrag damals mit den Worten: Brecht war kein Egoist, der nur dem Lustprinzip huldigte, sondern bekannte sich in seinen mittleren und späteren Jahren zu einer ideologischen Identität, die auf einer überindividuellen „Haltung“ beruhte. Mit anderen Worten: er wollte ein Lehrer sein, der in der Kunst wesentlich mehr als bloße Unterhaltung sah. Er gehörte noch zu jenen, die daran glaubten, dass die Mäßigung der eigenen Habgier zugunsten einer sozialgerechteren Gesellschaftsordnung stärker sein müsse als der infantile Egoismus. Wehe uns, wenn dies eine Täuschung war und sich die skrupellose Marktwirtschaft als die dem menschlichen Wesen gemäßere Verhaltensnorm entpuppen sollte, das heißt, wenn der Egozentrismus das einzige soziale Leitbild bliebe, während alle „höheren“ Engagementsformen als Überbeanspruchungen abgewertet würden.18

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Doch das waren „goldene Worte“, die im Trubel der mediengesteuerten Kulturbetriebsamkeit schnell wieder verhallten. Dennoch – trotz der systemimmanenten Übermacht der großen Konzerne, der weiterbestehenden Diffamierungen aller auf gesellschaftliche Alternativvorstellungen drängenden Ideologien und der damit verbundenen Abwertung linksorientierter literarischer Werke – war auch in der Folgezeit das Leitbild „Brecht“ nicht ganz aus der Welt zu schaffen. Dazu war er, um es „plump“ zu sagen, einfach zu bedeutend. Während also von anderen linken Autoren, ob nun Peter Weiss, Friedrich Wolf oder Arnold Zweig, seit der letzten Jahrhundertwende außerhalb kleiner akademischer Kreise kaum noch die Rede war, ist Brecht bis heute ein literarischer Dauerbrenner geblieben, für den sich immer noch wesentlich breitere Leserschichten und Theaterbesucher interessieren als für andere ehemals als „fortschrittlich“ geltende Autoren. Sich für ihn zu engagieren, ist daher – angesichts der sozialen Ungleichheit in der Dritten Welt, aber auch der sogenannten reichen Industrieländer – für kritische Geister nach wie vor ein sie aktivierendes Anliegen. Demzufolge brachte auch ich im Jahr 2001 alle meine frühen Brecht-Studien in einem Sammelband unter dem Titel „Das Ewig-Bürgerliche widert mich an“ beim Verlag Theater der Zeit heraus, um mich weiterhin zu meinen bisherigen Anschauungen zu bekennen.19 Obendrein knüpfte ich Kontakte zu der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, in deren Verwaltungsgebäude am Berliner Ostbahnhof ich zwei neue Säle mit Reden über „Brecht als Lehrer“ sowie „Helene Weigel als Schauspielerin“ einweihte. Außerdem hielt ich auf ihrer alljährlich stattfindenden Kulturtagung im Clara-SahlbergBegegnungszentrum einen Vortrag zu „Brechts Einstellung zu Krieg und Frieden“, um auch die Hörer und Hörerinnen jenseits der akademischen Elfenbeintürme anzusprechen. Ja, auf der in Karlshorst abgehaltenen Tagung zu „Brecht und der Marxismus“ ließ ich mich dazu überreden, mich neben Wolfgang Fritz Haug, Hans Heinz Holz und Thomas Metscher in einem längeren Spontanvortrag darüber zu äußern, welche Rolle Brecht in meiner menschlichen und politischen Entwicklung, falls das überhaupt zu trennen ist, gespielt hat, der dann in veränderter Form in der Zeitung Junge Welt erschien.20 Darauf fasste ich im Jahr 2010 alle diese Reden und ein paar weitere Aufsätze in einem zweiten Sammelband mit BrechtStudien zusammen, dem ich den Titel Die Toten schweigen nicht gab.21 Nach der Abfassung weiterer Brecht-Aufsätze hielt ich im Herbst 2016 in einer von der Internationalen Brecht-Gesellschaft arrangierten Sektion auf der Tagung der German Studies Association in San Diego einen Vortrag zu dem Thema „Brecht und die Literaturwissenschaft oder Die aufhaltsame Wirkungslosigkeit eines literarischen Klassikers“. In ihm wies ich am

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Schluss auf einige jüngst erschienene neugermanistische Schriften hin, die sich weiterhin zu der Anschauung bekannten, in Brecht nicht nur einen zwar bedeutenden, aber als veraltet geltenden Gedichte- und Stückeschreiber zu sehen, sondern ihn auch als einen auf eine mögliche Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse drängenden Autor einzuschätzen.22 Diese Einsicht sollten vor allem die Mitglieder der Brecht-Gesellschaft beherzigen, erklärte ich, und ihre Ansichten auch über die engen Grenzen ihrer Zunft zu verbreiten suchen, statt sich als Akademiker – soweit das ihre Wirkungsmöglichkeiten erlauben – vornehmlich in den Dienst der gegenwärtigen digitalen Infotainmentbetriebsamkeit zu stellen. Und das „wollte auch ich gesagt haben“, wie sich Brecht 1935 in seiner Rede auf dem Pariser Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur ausgedrückt hat, bei dem es ihm nicht nur um die Erhaltung der Kultur, sondern in erster Linie um die gesellschaftspolitische Wirkung seiner Werke sowie eines damit verbundenen „eingreifenden“ Denkens zu tun war.23 Um zum Schluss zu kommen: Man fasse daher den hier vorgelegten Bericht über meine Brecht-Aktivitäten – im Sinne des letzten Satzes – nicht als einen selbstgefälligen Altersrückblick, sondern eher als einen Appell auf, auch in den kommenden Jahren nicht in einen gesellschaftsabgewandten Quietismus zu verfallen und sich stattdessen nach wie vor um den bereits von Werner Mittenzwei beschworenen „Umgang mit den Welträtseln“ zu bemühen, zu dem Brecht als universal denkender Dichter bereits manche zentralen Anregungen gegeben hat. Wie heißt es in seinem Gedicht „Ich benötige keinen Grabstein“: „Wenn ihr einen für mich benötigt / Wünschte ich, es stünde darauf: / Er hat Vorschläge gemacht.“24 Haben wir sie angenommen?

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Foto: privat

ÜBER DEN AUTOR

Jost Hermand, geboren 1930 in Kassel, lebt in Madison, Wisconsin, USA. Prof. em. für Neuere deutsche Kulturgeschichte an der University of Wisconsin, Dr. h. c. der Universität Kassel und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ausgewählte Veröffentlichungen: Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus (mit Richard Hamann), 5 Bde., Berlin 1959–1977; Synthetisches Interpretieren. Zur Methodik der Literaturwissenschaft, München 1968; Die Kultur der Weimarer Republik (mit Frank Trommler), München 1978; Bertolt Brecht: Über die bildenden Künste, Frankfurt a. M. 1983; Die Kultur der Bundesrepublik 1965–1985, München 1988; Als Pimpf in Polen. Erweiterte Kinderlandverschickung 1940–1945, Frankfurt a. M. 1993; Mit den Toten reden. Fragen an Heiner Müller (mit Helen Fehervary), Köln 1999; „Das Ewig-Bürgerliche widert mich an“. Brecht-Aufsätze, Berlin 2001; Kultur in finsteren Zeiten. Nazifaschismus, Innere Emigration, Exil, Köln 2010; Die Toten schweigen nicht. Brecht-Aufsätze, Frankfurt a. M. 2010; Unerfüllte Hoffnungen. Rückblicke auf die Literatur der DDR, Oxford 2012; Freunde, Promis, Kontrahenten. Politbiographische Momentaufnahmen, Köln 2013; Vorbilder. Partisanenprofessoren im geteilten Deutschland, Köln 2014; Das liebe Geld! Eigentumsverhältnisse in der deutschen Literatur, Köln 2015; Die Wenigen und die Vielen. Trägerschichten deutscher Kultur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Köln 2017.

Für die Computerisierung meines Manuskripts sorgte Justin Court, während mir Carol Poore beim Korrekturlesen half. Beiden sei für ihre Bemühungen auch an dieser Stelle aufrichtig gedankt.

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ANMERKUNGEN

Vorwort Bertolt Brecht und die Literaturwissenschaft 1

Kesting, Marianne: Bertolt Brecht, Reinbek 1959, S. 150.

2

Vgl. Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke in zwanzig Bänden, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a. M. 1967. Ebenfalls 1967 erschien die Dünndruckausgabe Gesammelte Werke in acht Bänden, nach der im Folgenden, wenn nicht anders angegeben, zitiert wird.

3

Knopf, Jan: Bertolt Brecht. Ein kritischer Forschungsbericht. Fragwürdiges in der Brecht-Forschung. Frankfurt a. M. 1974, S. 12.

4

Vgl. die diesbezüglichen Statements in: Die Zeit, 5. Februar 1998.

5

Vgl. Schumacher, Ernst: „Die Maulwürfe des ruhelosen b. b. Das Scheitern des Staatssozialismus hat Brecht widerlegt, der Sieg des Kapitalismus bestätigt ihn neu“, in: Berliner Zeitung, 4. Januar 2002, S. 6.

6

Vgl. Vogl, Joseph: Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2011.

7

Leicht veränderte Version meines Kurzreferats in der Sektion „The Brechtian Turn“ auf der 40. Tagung der German Studies Association in San Diego, 1. Oktober 2016.

Die Bewohnbarmachung der Erde Brechts Verhältnis zu Stadt und Natur 1

Vgl. Mittenzwei, Werner: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, 2 Bde., Berlin 1986.

2

Vgl. Richter, Gerhard: „Plumpes Denken. Ein Brechtscher Begriff neu gedacht“, in: ders.: Ästhetik des Ereignisses. Sprache – Geschichte – Medium, München 2005, S. 155–166, hier S. 155.

3

Vgl. meinen Aufsatz: „‚Der kaukasische Kreidekreis‘. Brechts utopischer Ort zwischen Partei und Volk“, in: Hermand, Jost: Die Toten schweigen nicht. Brecht-Aufsätze, Frankfurt a. M. 2010, S. 119–124.

4

Brecht, Bertolt: Tagebücher 1920–1922. Autobiographische Aufzeichnungen 1920–1954, hrsg. von Herta Ramthun, Frankfurt a. M. 1975, S. 38.

5

Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 1, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a. M. 1967, S. 35 (im Folgenden mit Sigle GW plus Band und Seitenzahl angegeben).

6

GW 4, S. 209.

7

Vgl. Arendt, Christine: Natur und Liebe in der frühen Lyrik Brechts, Frankfurt a. M. 2001, S. 12.

8

GW 4, S. 261.

9

Ebd., S. 282.

10 Vgl. Koopmann, Helmut: „Großstadtdschungel und Raubtierwelt. Brecht geht freudig nach Berlin“, in: Hillesheim, Jürgen (Hrsg.): „Man muß versuchen, sich einzurichten in Deutschland!“ Brecht in den Zwanzigern, Würzburg 2015, S. 85–110. 11 GW 4, S. 269. 12 Brecht: Tagebücher, S. 213. 13 GW 4, S. 316 f. 14 Ebd., S. 475 ff. 15 Brecht: Tagebücher, S. 218. 16 Brecht, Bertolt: Briefe, Bd. 1, hrsg. von Günter Glaeser, Frankfurt a. M. 1981, S. 207. 17 GW 4, S. 418.

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Anmerkungen 18 Ebd. 19 Ebd., S. 530. 20 Ebd., S. 723. 21 Ebd., S. 744. 22 Ebd., S. 579. 23 Brecht, Bertolt: Arbeitsjournal, Bd. 1, hrsg. von Werner Hecht, Frankfurt a. M. 1973, S. 54 [15. Juli 1939]. 24 Ebd., S. 129 [5. Juli 1940]. 25 Ebd., S. 132 [8. Juli 1940]. 26 Ebd., S. 129 [5. Juli 1940]. 27 Vgl. meinen Aufsatz: „Brecht in Hollywood“, in: Hermand: Die Toten schweigen nicht, S. 107–118. 28 Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 293 [9. August 1941]. 29 Ebd., S. 303 [22. Oktober 1941]. 30 Vgl. Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 22 ff. 31 Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 469 [18. Juni 1942]. 32 Ebd., S. 494 [16. Juli 1942]. 33 Ebd. 34 Ebd., S. 480 [29. Juni 1942]. 35 Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 2, S. 509 [12. August 1942]. 36 Ebd. 37 Ebd., S. 511 [14. August 1942]. 38 GW 8, S. 851. 39 Ebd. 40 Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 392 [23. März 1942]. 41 Ebd., S. 293 [9. August 1941]. 42 GW 4, S. 878. 43 Ebd., S. 942. 44 Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 361 [19. Januar 1942]. 45 Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 2, S. 826 [12. April 1948]. 46 Ebd., S. 833 [11. Juni 1948]. 47 GW 8, S. 867. 48 GW 4, S. 975. 49 Ebd., S. 1003. 50 Ebd., S. 1010. 51 Zit. nach: Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 560. 52 Ebd., S. 558. 53 Ebd., S. 560 54 GW 4, S. 1009. 55 Vgl. Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 2, S. 996 [26. November 1952]. 56 Vgl. auch meinen Aufsatz: „Vom schonenden Umgang mit schönen Dingen. Einer von Brechts Vorschlägen zu Lebenskunst“, in: Hermand, Jost: „Das Ewig-Bürgerliche widert mich an“. Brecht-Aufsätze, Berlin 2001, S. 274–285. 57 GW 4, S. 755. 58 Vgl. Müller, André/Semmer, Gerd (Hrsg.): Geschichten von Herrn B., Frankfurt a. M. 1967, S. 101. 59 Vgl. meinen Aufsatz: „Erwin Strittmatters Bauernkomödie ‚Katzgraben‘“, in: Hermand, Jost: Unerfüllte Hoffnungen. Rückblicke auf die Literatur der DDR, Oxford 2012, S. 41–56. 60 GW 8, S. 516. 61 Vgl. ebd., S. 519 f.

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Anmerkungen 62 Irrlitz, Gerd: „Ästhetische Naturanschauung und philosophischer Naturbegriff bei Brecht“, in: Kleinschmidt, Sebastian (Hrsg.): Das Angesicht der Erde. Brechts Ästhetik der Natur. Brecht-Tage 2008, Berlin 2009, S. 28–86, hier S. 79. 63 Ebd., S. 80.

Bertolt Brecht und Karl Kraus Über die Vergleichbarkeit des Unvergleichlichen 1

Vgl. u. a. Krolop, Kurt: „Bertolt Brecht und Karl Kraus“, in: Philologica Pragensia 4 (1961), H. 2, S. 95–112, H. 4, S. 203–230; Mittenzwei, Werner: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Bd. 1, Berlin 1986, S. 464–469; Pizer, John: „Why Silence Becomes Golden. Brecht’s Poetry on Karl Kraus“, in: Brecht Yearbook 28 (2003), S. 155–172; Knopf, Jan: Bertolt Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten, München 2012, S. 262–277.

2

Vgl. u. a. Rothe, Friedrich: Karl Kraus. Die Biographie, München 2003.

3

Vgl. Liegler, Leopold: Karl Kraus und sein Werk, Wien 1920; Schick, Paul: Karl Kraus, Reinbek 1965.

4

Vgl. u. a. Hennecke, Hans: „Einer gegen alle. Ein kritischer Versuch über Karl Kraus“, in: Neue Deutsche Hefte 5 (1959), H. 55, S. 974–988, H. 56, S. 1081–1096.

5

Vgl. Krolop: „Bertolt Brecht und Karl Kraus“; Kohn, Caroline: Karl Kraus, Stuttgart 1966.

6

Vgl. Rothe: Karl Kraus.

7

Vgl. Lyon, James K.: „‚Gleich und Gleich gesellt sich gern‘ und ‚Gegensätze ziehen sich an‘. Das dialektische Verhältnis Karl Kraus – Bertolt Brecht“, in: Strelka, Joseph (Hrsg.): Karl Kraus. Diener der Sprache. Meister des Ethos, Tübingen 1990, S. 267–285.

8

Vgl. Knepler, Georg: „Karl Kraus und die Bürgerwelt“, in: Sinn und Form 27 (1975) H. 2, S. 332–370.

9

Brecht, Bertolt: Tagebücher 1920–1923. Autobiographische Aufzeichnungen 1920–1954, hrsg. von Herta Ramthun, Frankfurt a. M. 1975, S. 146.

10 Die Fackel 26 (1924), H. 649–656, S. 45. 11 Die Fackel 28 (1926), H. 743–750, S. 86. 12 Zit. nach: Lyon: „Das dialektische Verhältnis Karl Kraus – Bertolt Brecht“, S. 268. Vgl. auch Hecht, Werner: Brecht-Chronik, Frankfurt a. M. 1997, S. 185. 13 Vgl. u. a. Pfabigan, Alfred: Karl Kraus und der Sozialismus. Eine politische Biographie, Wien 1976, S. 222 ff. 14 Vgl. Kohn: Karl Kraus, S. 42. 15 Vgl. Knepler, Georg: Karl Kraus liest Offenbach. Erinnerungen. Kommentare. Dokumentationen, Wien 1984, S. 213. 16 Vgl. meinen Aufsatz: „Karl Kraus und Georg Knepler. Die Offenbachiaden“, in: Hermand, Jost: Mehr als tönende Luft. Politische Echowirkungen in Lied, Oper und Instrumentalmusik, Köln 2017, S. 128–144. 17 Vgl. Aufricht, Ernst Josef: Erzähle, damit du dein Recht erweist, Berlin 1966, S. 73. 18 Zit. nach: Wizisla, Erdmut (Hrsg.): Begegnungen mit Bertolt Brecht, Leipzig 2009, S. 83. 19 Fischer, Heinrich: „Erinnerung an Karl Kraus“, in: Forum 8 (1961), S. 225–228. Vgl. auch Krolop: „Bertolt Brecht und Karl Kraus“, S. 104. 20 Vgl. Rothe: Karl Kraus, S. 24. 21 Vgl. ebd. 22 Vgl. ebd., S. 35. 23 Vgl. Krolop: „Bertolt Brecht und Karl Kraus“, S. 99; Kohn: Karl Kraus, S. 280. 24 Zit. nach: Hecht: Brecht-Chronik, S. 257 25 Vgl. Rühle, Günther: Theater für die Republik 1917–1933. Im Spiegel der Kritik, Frankfurt a. M. 1967, S. 949. 26 Vgl. Herbert Jhering im Berliner Börsen-Courier, 21. Oktober 1929. 27 Die Fackel 33 (1932), H. 868–872, S. 1 f. und 36 f. 28 Zit. nach: Hecht: Brecht-Chronik, S. 349.

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Anmerkungen 29 Vgl. Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 1, S. 468. 30 Die Fackel 35 (1933), H. 888, S. 4. 31 Die Fackel 35 (1934) H. 890–905, S. 26; vgl. dazu auch Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 1, S. 468; Lyon: „Das dialektische Verhältnis Karl Kraus – Bertolt Brecht“, S. 284. 32 Vgl. Brecht, Bertolt: Briefe, Bd. 1, hrsg. von Günter Glaeser, Frankfurt a. M. 1981, S. 170 u. 182. 33 Vgl. zum Folgenden vor allem Krolop: „Bertolt Brecht und Karl Kraus“. 34 Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 4, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankurt a. M. 1967, S. 501 (im Folgenden mit Sigle GW plus Band und Seitenzahl angegeben). 35 Vgl. Stimmen über Karl Kraus zum 60. Geburtstag, hrsg. von einem Kreis dankbarer Freunde, Wien 1934, S. 11. 36 Vgl. GW 8, S. 430–432. 37 Ebd., S. 432. 38 Vgl. Die Fackel 35 (1934) H. 890–905, S. 21 ff. 39 Vgl. Rothe: Karl Kraus, S. 171. 40 GW 4, S. 505. 41 Krolop: „Bertolt Brecht und Karl Kraus“, S. 226. 42 Vgl. Kraft, Werner: Das Ja des Neinsagers. Karl Kraus und seine geistige Welt, München 1974, S. 219. 43 Brecht: Briefe, Bd. 1, S. 224. 44 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 1, hrsg. von Werner Hecht, Frankfurt a. M. 1973, S. 493 [15. Juli 1942]. 45 Vgl. Kohn, Caroline: „Bert Brecht, Karl Kraus et le Kraus-Archiv“, in: Études Germanique 11 (1956) H. 4, S. 342–348; Mayer, Hans: „Karl Kraus und die Nachwelt“, in: Sinn und Form 9 (1957) H. 5, S. 934–947, hier S. 945. 46 Vgl. Brecht: Briefe, Bd. 2, S. 669. 47 Sternbach-Gärtner, Lotte [= Caroline Kohn]: „‚Die letzten Tage der Menschheit‘ und das Theater von Bert Brecht“, in: Deutsche Rundschau 84 (1958), H. 9, S. 836–842, hier S. 836. 48 Zit. nach: Krolop: „Bertolt Brecht und Karl Kraus“, S. 230. 49 Vgl. Leschnitzer, Franz: „Der Fall Karl Kraus“, in: Neue Deutsche Literatur 4 (1956) H. 11, S. 59–82. 50 Vgl. Mayer: „Karl Kraus und die Nachwelt“, S. 939 ff. 51 Vgl. Sternbach-Gärtner [Kohn]: „Die letzten Tage der Menschheit“. 52 Fischer, Jens Malte: Karl Kraus, Stuttgart 1974, S. 30. 53 Knepler: Karl Kraus liest Offenbach, S. 94. 54 Hartung, Günter: „Bertolt Brecht, Karl Kraus und die antifaschistische Satire“, in: Brücken. Germanistisches Jahrbuch DDR – ČSSR (1987/88), S. 27–57, hier S. 27. 55 Vgl. Dakova, Nadežda: „Karl Kraus und Bertolt Brecht. Vergleichende Betrachtung einiger poetologischer Grundsätze“, in: Philologia 19/20 (1987), S. 44–52, hier S. 49. 56 Krantz, Dieter Reinhold: Karl Kraus und Bertolt Brecht. Dramentheorie und Realisierung. Ein Vergleich, Diss. masch., Waterloo, Ontario 1991, S. 43. 57 Ebd., S. 63 ff. 58 Leicht veränderte Version meiner Erstfassung in: Brecht Yearbook / Brecht-Jahrbuch 40 (2016), S. 219–233.

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Anmerkungen Gescheiterter Antifaschismus Von Tollers Der entfesselte Wotan (1923) bis zu Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches (1935–1938) 1

Vgl. zum Folgenden auch meinen Aufsatz: „Hilfloser Antifaschismus? Bemühungen um eine kritische Darstellung der Nationalsozialisten in der Literatur der Weimarer Republik“, in: Diskussion Deutsch 59 (1981), S. 211–228.

2

Vgl. Dollinger, Hans: Lachen streng verboten! Die Geschichte der Deutschen im Spiegel der Karikatur, München 1972, S. 191.

3

Vgl. Arnold, Karl: „Der Münchner“, in: Simplicissimus 28 (1923), H. 36, S. 441.

4

Toller, Ernst: Der entfesselte Wotan, Potsdam 1924, S. 40.

5

Ebd., S. 60.

6

Vgl. Weinert, Erich: „Die deutsche Republik“, in: Die Weltbühne 19 (1923), S. 545 ff.

7

Tucholsky, Kurt: Gesammelte Werke, Bd. 2, hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz, Reinbek 1967, S. 218.

8

Vgl. Tucholsky: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 1144 ff.

9

Mühsam, Erich: Ausgewählte Werke, Bd. 1, hrsg. von Christlieb Hirte, Berlin 1978, S. 361 f.

10 Gumbel, Emil Julius: Verschwörer. Beiträge zur Geschichte und Soziologie der deutschen nationalistischen Geheimbünde seit 1918, Wien 1924, S. 176 ff. 11 Ebd., S. 178. 12 Ebd., S. 180 f. 13 Kampffmeyer, Paul: Der Fascismus in Deutschland, Berlin 1925, S. 10. 14 Ebd., S. 36. 15 Vgl. Die Weltbühne 28 (1932), S. 388. 16 Vgl. Walter, Hans-Albert: Deutsche Exilliteratur. 1933–1950, Bd. 1, Darmstadt 1972, S. 117. 17 Vgl. Deák, István: Weimar Germany’s Left-Wing Intellectuals. A Political History of the „Weltbühne“ and Its Circle, Berkeley 1968, S. 165 ff. 18 Tucholsky: Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 502. 19 Ebd., S. 782, 834, 1032 u. 1058. 20 Eggebrecht, Axel: „Wer weiter liest, wird erschossen!“, in: Die Weltbühne 28 (1932), S. 51. 21 Zit. nach: Walter: Deutsche Exilliteratur, Bd. 1, S. 105. 22 Vgl. Trommler, Frank: Sozialistische Literatur in Deutschland, Stuttgart 1976, S. 556 ff. 23 Vgl. ebd., S. 561. 24 „Signale des Faschismus“, in: Die Linkskurve 1 (1929), H. 3, S. 1–3, hier S. 2. 25 „Resolution des Politbüros des ZK der KPD im Kampf gegen den Faschismus vom 4. Juni 1930“, in: Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 4, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Berlin 1966, S. 531. 26 Vgl. Kraus, J.: „Nach den Wahlen – vor der Entscheidung“, in: Die Linkskurve 2 (1930), H. 10, S. 1–4. 27 Walter: Deutsche Exilliteratur, Bd. 1, S. 131. 28 Vgl. u. a. Schmidt, Diether: „Zum Faschismusbild der deutschen Künstler“, in: Internationale sozialistische Kunstprozesse seit der Oktoberrevolution, 2. Jahrestagung der Sektion Kunstwissenschaft des Verbandes Bildender Künstler der DDR, Magdeburg, 31. März – 1. April 1977, bearbeitetes Protokoll, Berlin 1977, S. 57–61; Olbrich, Harald (Hrsg.): Sozialistische Karikatur, Berlin 1978, S. 199 ff. 29 Vgl. Weinert, Erich: Gesammelte Gedichte, Bd. 2, hrsg. von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin unter Mitarbeit von Li Weinert, Berlin 1970, S. 346. 30 Weinert: Gesammelte Gedichte, Bd. 4, S. 74. 31 Ebd., S. 301. 32 Ebd., S. 403. 33 Bredel, Willi: Der Eigentumsparagraph, Berlin 1961, S. 224. 34 Ottwalt, Ernst: Deutschland erwache! Geschichte des Nationalsozialismus, Wien 1932, S. 386.

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Anmerkungen 35 Vgl. Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke in acht Bänden, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a. M. 1967, Bd. 4, S. 374 ff (im Folgenden mit Sigle GW plus Band und Seitenzahl angegeben). 36 Vgl. Lerg-Kill, Ulla Clara: Dichterwort und Parteiparole. Die propagandistischen Gedichte und Lieder Bertolt Brechts, Bad Homburg 1968, S. 132–134; Hermand, Jost: „Brechts Hitler-Satiren“, in: ders.: Die Toten schweigen nicht. Brecht-Aufsätze, Frankfurt a. M. 2010, S. 68–82, hier S. 70. 37 Vgl. GW 4, S. 441–444. 38 Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch, Bd. 2, Stuttgart 1984, S. 73 f. 39 GW 4, S. 442. 40 Mittenzwei, Werner: Das Leben des Bertolt Brecht oder der Umgang mit den Welträteln, Bd. 1, Berlin 1986, S. 525. 41 Vgl. Lyon, James K.: „Furcht und Elend des III. Reiches“, in: Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch, Bd. 1, Stuttgart 2001, S. 339–357. 42 GW 2, S. 1091. 43 Vgl. den Kommentar von Birgit Lönne in: Zweig, Arnold: Das Beil von Wandsbek, Berliner Ausgabe, Bd. 1/8, hrsg von der Humboldt-Universität und der Akademie der Künste, Berlin 1996, S. 559 ff. 44 GW 2, S. 1141. 45 Ebd., S. 1186. 46 Zit. nach: Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 1, S. 593.

Lediglich harmlose Blödeleien? Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg (1943) 1

Vgl. meinen Aufsatz: „‚Lieber nützlich leben als heroisch sterben‘. Brechts Märtyrerphobie“, in: Hermand, Jost: Die Toten schweigen nicht. Brecht-Aufsätze, Frankfurt a. M. 2010, S. 83–94.

2

Vgl. hierzu Haug, Wolfgang Fritz: Bestimmte Negation. „Das umwerfende Einverständnis des braven Soldaten Schwejk“ und andere Aufsätze, Frankfurt a. M. 1973, S. 7–69.

3

Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 4, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a. M. 1967, S. 466 f. (im Folgenden mit Sigle GW plus Band und Seitenzahl angegeben).

4

Ebd., S. 686.

5

Ebd., S. 503.

6

Vgl. vor allem: Knust, Herbert: Materialien zu Bertolt Brechts „Schweyk im zweiten Weltkrieg“, Frankfurt a. M. 1974, S. 149 ff.; Voges, Michael: „Entstehung“, in: Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 7, hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller, bearb. von Michael Voges, Berlin u. Frankfurt a. M. 1991, S. 416–424; und Müller-Schöll, Nikolaus: „Schweyk“, in: Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch, Bd. 1, Stuttgart 2001, S. 484–500.

7

Vgl. Brecht, Bertolt: Arbeitsjournal, Bd. 2, hrsg. von Werner Hecht, Frankfurt a. M. 1973, S. 569 [27. Mai 1943].

8

Ebd., S. 725 [28. Januar 1945].

9

Ebd., S. 732 [10. März 1945].

10 Vgl. mein Buch: Verlorene Illusionen. Eine Geschichte des deutschen Nationalismus, Köln 2012, S. 273. 11 Vgl. hierzu die Ausführungen über den „Flüsterwitz“ in: Bauer, Gerhard: Sprache und Sprachlosigkeit im Dritten Reich, Köln 1988. 12 Vgl. Mittenzwei, Werner: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Bd. 2, Berlin 1986, S. 95. 13 Vgl. meinen Aufsatz„‚Der kaukasische Kreidekreis‘. Brechts utopischer Ort zwischen Partei und Volk“, in: Hermand: Die Toten schweigen nicht, S. 119–124. 14 Vgl. Eisler, Hanns: Fragen Sie mehr über Brecht. Gespräche mit Hans Bunge, Darmstadt 1986, S. 227.

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Anmerkungen 15 Vgl. Wyss, Monika (Hrsg.): Brecht in der Kritik. Rezensionen aller Brecht-Uraufführungen sowie ausgewählter deutscher und fremdsprachiger Premieren, München 1977, S. 336. 16 Vgl. ebd., S. 338–344. 17 Vgl. Müller-Schöll: „Schweyk“, S. 490 ff. 18 Vgl. ebd., S. 499. 19 Vgl. Karasek, Hellmuth: Bertolt Brecht. Der jüngste Fall eines Theaterklassikers, München 1978. 20 Vgl. Mayer, Hans: „Texte in der Sklavensprache“, in: ders.: Bertolt Brecht und die Tradition, München 1965, S. 79–86. 21 Knust, Herbert: „Brechts braver Schweyk“, in: Publications of the Modern Language Association 88 (1973), H. 2, S. 219–232; Müller, Klaus-Detlef: „‚Das Große bleibt nicht groß‘. Die Korrektur der politischen Theorie durch die literarische Tradition in Bertolt Brechts ‚Schweyk im Zweiten Weltkrieg‘“, in: Wirkendes Wort 23 (1973), H. 1, S. 26–44. 22 Knust: „Brechts braver Schweyk“, S. 219. 23 Ebd., S. 221. 24 GW 7, S. 1187. 25 Müller, Klaus-Detlef: „Das Große bleibt nicht groß“, S. 44. 26 Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 569 [27. Mai 1943]. Die Erstfassung dieses Essays erschien in: Heister, Hanns-Werner/Spies, Bernhard (Hrsg.): Mimesis, Mimikry, Simulatio. Tarnung und Aufdeckung in den Künsten vom 16. bis zum 21. Jahrhundert, Berlin 2013, S. 429–441.

Brecht und die drei Eislers Die vier „Deutschen“ vor dem House Un-American Activities Committee (1947) 1

Vgl. u. a. Mittenzwei, Werner: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Bd. 1, Berlin 1986, S. 346.

2

Vgl. hierzu meinen Aufsatz: „Ruth Fischer alias Elfriede Friedländer. Sexualwissenschaftlerin, Kommunistin, Antistalinistin“, in: Beutin, Heidi/Beutin, Wolfgang/Bleicher-Nagelsmann, Heinrich/Malterer, Holger (Hrsg.): Die Frau greift in die Politik. Schriftstellerinnen in Opposition, Revolution und Widerstand, Frankfurt a. M. 2010, S. 317–332.

3

Der Einzige, der in diesem Zusammenhang auch kurz auf Gerhart Eisler eingeht und sich dabei auf Ruth Werner (Sonjas Rapport, Berlin 1977, S. 52 u. 61 f.) beruft, ist Jürgen Schebera: „‚Die Maßnahme‘. Geschmeidigkeitsübung für gute Dialektiker?“, in: Brecht 83. Brecht und Marxismus. Dokumentation, Protokoll der Brecht-Tage 1983, hrsg. vom Brecht-Zentrum der DDR, Redaktion Inge Jahn-Gellert, Berlin 1983. S. 97. Dagegen stellte Günter Hartung diesen Bezug zwei Jahre später als abwegig hin, vgl. seinen Beitrag: „Leninismus und Lehrstück. Brechts ‚Maßnahme‘ im politischen und ästhetischen Kontext“, in: Brecht 85. Zur Ästhetik Brechts. Fortsetzung eines Gesprächs über Brecht und Marxismus. Dokumentation, Protokoll der Brecht-Tage 1985, hrsg. vom Brecht-Zentrum der DDR, Redaktion Inge Gellert, Berlin 1986, S. 133.

4

Vgl. dazu meinen Aufsatz: „‚Manchmal lagen Welten zwischen uns!‘ Brecht und Eislers ‚Deutsche Symphonie‘“, in: Hermand, Jost: „Das Ewig-Bürgerliche widert mich an“. Brecht-Aufsätze, Berlin 2001, S. 331–350.

5

Vgl. u. a. Schebera, Jürgen: „The Lesson of Germany. Gerhart Eisler im Exil. Kommunist, Publizist, Galionsfigur der HUAC-Hexenjäger“, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 7 (1987), S. 85–97; ders.: Hanns Eisler. Eine Bildbiographie, Berlin 1981, S. 127–134.

6

Vgl. Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 151.

7

Vgl. Stephan, Alexander: Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart 1995, S. 219

8

Ernst Josef Aufricht, der einen Angriff Ruth Fischers auf Brecht verhindern wollte, arrangierte vorher ein Treffen der beiden in Ruth Berlaus Wohnung, wo sich jedoch die zwei offenbar nur „anbrüllten“. Nachdem dieser Aufsatz erschienen war, soll Brecht gesagt haben, dass man solche Schweine umlegen müsste. Vgl. Aufricht, Ernst Josef: Erzähle, damit du dein Recht erweist, Berlin 1966, S. 226; Radkau, Joachim: Die deutsche Emigration in den USA. Ihr Einfluß auf die amerikanische Europapolitik 1933–1945, Düsseldorf 1971, S. 272;

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Anmerkungen Lyon, James K.: Bertolt Brecht in America, Princeton 1980, S. 294; Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 175 ff. 9

Vgl. das Brecht-Kapitel in Stephan: Im Visier des FBI, S. 194–231.

10 Vgl. hierzu u. a. auch meinen Aufsatz: „From Nazism to NATOism: The West German Miracle According to Henry Luce“, in: Trommler, Frank/McVeigh, Joseph (Hrsg.): America and the Germans. An Assessment of a 300-Year History, Philadelphia 1985, S. 74–88. 11 Siehe meinen Aufsatz: „Ein wildgewordener Kleinbürger? Hitler-Parodien bei Brecht und Chaplin“, in: Hörnigk, Therese/Stephan, Alexander (Hrsg.): Rot gleich Braun? Nationalsozialismus und Stalinismus bei Brecht und Zeitgenossen, Brecht-Dialog 2000, Berlin 2000, S. 115–126. 12 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch die sorgfältigen Kommentare von Günter Mayer in: Eisler, Hanns: Musik und Politik. Schriften, Bd 1, hrsg. von Günter Mayer, München 1971, S. 494–530; Schebera: „The Lesson of Germany“, S. 89. 13 Vgl. dazu Spolansky, Jacob: The Communist Trail in America, New York 1951, S. 114. 14 Vgl. Eisler: Schriften, Bd. 1, S. 498. 15 Vgl. das Verhör von Ruth Fischer, 6. Februar 1947, in: Hearings on Gerhart Eisler. Investigation of Un-American Propaganda in the United States, Transcript of Proceedings. Committee on Un-American Activities, House of Representatives, Washington 1947, S. 29–35 u. 46–55. 16 Fischer, Ruth: Stalin and German Communism. A Study in the Origins of the State Party, Cambridge, Massachusetts 1948, S. 618. Die beiden letzten Kapitel tragen die Überschriften: „Brecht, Minstrel of the GPU“ und „Die Maßnahme“. 17 Fischer in: Hearings on Gerhart Eisler, S. 47. 18 Ebd., S. 53. 19 Vgl. das Verhör von Gerhart Eisler, 6. Februar 1947, in: Hearings on Gerhart Eisler, S. 1–4. 20 Vgl. Richard M. Nixons Maiden Speech im House of Representatives in: Congressional Record. Proceedings and Debates of the 80th Congress, Vol. 93, Part 1, 3. Januar – 24. Februar 1947, Washington 1947, S. 1129–1131. 21 Vgl. allgemein: Schebera, Jürgen: „Gerhart Eisler im Kampf gegen die USA-Administration. Dokumente aus den Jahren 1946/47“, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 24 (1982), H. 6., S. 843–866. Die Flut der Berichte über den „Fall Gerhart Eisler“ ist unübersehbar. Allein die New York Times veröffentlichte in diesem Zeitraum mehr als hundert Beiträge, in denen es um Gerhart Eisler ging. Vgl. ProQuest Historical Newspapers, http://www.proquest.com. 22 Eisler, Hanns: Fragen Sie mehr über Brecht. Gespräche mit Hans Bunge, Darmstadt 1986, S. 96. 23 Vgl. Hearings Regarding Hanns Eisler. Hearings before the Committee on Un-American Activities, House of Representatives, 24–26. September 1947, Washington 1947. 24 Vgl. ebd., S. 14. 25 Zit. nach: Betz, Albrecht: Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet, München 1976, S. 172. 26 Vgl. Hearings Regarding Hanns Eisler, S. 189–209. 27 Die Zusammenarbeit Eislers und Brechts an Die Maßnahme wird bereits in einem FBI-Bericht aus Los Angeles vom 30. März 1943 erwähnt (vgl. Hanns Eislers FBI-Akte unter diesem Datum). Auch von einer Übersetzung der Maßnahme, „which advocates communist world revolution by violent means“, ist hier bereits die Rede. Vgl. Lyon, James K. (Hrsg.): Brecht in den USA, Frankfurt a. M. 1994, S. 113. 28 Um nicht ebenfalls in den „Fall Gerhart und Hanns Eisler“ einbezogen zu werden, distanzierte sich Theodor W. Adorno zu diesem Zeitpunkt ausdrücklich von dem Buch Composing for the Films, das er mit Hanns Eisler zusammen geschrieben hatte, worauf dieses 1947 bei Oxford University Press in New York nur unter Eislers Namen erschien. Vgl. Hennenberg, Fritz: Hanns Eisler, Reinbek 1987, S. 70. Erst in den späten sechziger Jahren ließ Adorno wieder zu, als Mitautor dieses Bandes genannt zu werden 29 Abgedruckt in: Hearings Regarding the Communist Infiltration of the Motion Picture Industry. Hearings before the Committee on Un-American Activities, House of Representatives, 20.–30. Oktober 1947, Washington 1947, S. 491–503. 30 Vgl. ebd., S. 499 f.

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Anmerkungen 31 Vgl. ebd., S. 494. Auch für Hanns Eisler hat sich bis heute – trotz manch gegenteiliger Behauptung – kein Beleg für eine Mitgliedschaft in der KPD finden lassen. Vgl. den Kommentar von Günter Mayer in: Eisler: Schriften, Bd. 1, S. 313. 32 Robert E. Stripling brachte 1949 ein Buch unter dem Titel The Red Plot Against America in Drexel Hill, Pennsylvania, heraus. 33 Vgl. Hearings Regarding the Communist Infiltration of the Motion Picture Industry, S. 496 f. 34 Vgl. Hecht, Werner: Brecht-Chronik, Frankfurt a. M. 1997, S. 796. 35 Vgl. Schebera: Hanns Eisler, S. 132 f. 36 Vgl. Schebera: „The Lesson of Germany“, S. 96; Černy, Jochen: „Gerhart Eisler“, in: Garraty, John/Carnes, Mark (Hrsg.): American National Biography, Bd. 7, New York 1999, S. 386. 37 Vgl. Edmondson, C. Earl: „Ruth Fischer“, in: American National Biography, Bd. 7, S. 946. 38 Teilabdruck meines Aufsatzes: „Unvorhersehbare Folgen. Die drei Eislers und Brechts ‚Maßnahme‘“, in: Brecht Yearbook / Brecht-Jahrbuch 30 (2005), S. 363–380.

„Böser Morgen“ Widersprüchliches in Brechts „Buckower Elegien“ (1953) 1

Zit. nach: Berthold, Lother/Diehl, Ernst (Hrsg.): Revolutionäre deutsche Parteiprogramme. Vom Kommunistischen Manifest zum Programm des Sozialismus, Berlin 1964, S. 196.

2

Zit. nach: Doernberg, Stefan: Kurze Geschichte der DDR, Berlin 1964, S. 32 f.

3

Vgl. Berthold/Diehl: Revolutionäre deutsche Parteiprogramme, S. 205 f

4

Vgl. das Kapitel „Zur Ideologie der nichttotalitären Industriegesellschaft“ in meinem Buch: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945–1965, München 1986, S. 251–262.

5

Vgl. Krämer, Martin: Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und sein politisches Echo in der Bundesrepublik Deutschland, Bochum 1996, S. 121 ff.

6

Ebd., S. 121. Vgl. dazu auch: RIAS-Hauptabteilung Politik (Hrsg.): Der Aufstand der Arbeiterschaft im Ostsektor von Berlin und der in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Tätigkeitsbericht der Hauptleitung Politik des Rundfunks im amerikanischen Sektor in der Zeit vom 16. bis 23. Juni 1953, Berlin 1953.

7

Vgl. Die Neue Zeitung, 26. Juni 1953.

8

Vgl. Die Welt, 25. Juni 1953.

9

„Beschluß der 14. ZK-Tagung“, in: Zentralkommitee der SED (Hrsg.): Dokumente der SED, Bd. 4, Berlin 1954, S. 438 f.

10 Neues Deutschland, 24. Juni 1953; Selbmann, Fritz: Das Schreiben und das Lesen. Ein Sammelband, Halle 1974, S. 359. 11 Vgl. Pernkopf, Johannes: Der 17. Juni 1953 in der Literatur der beiden deutschen Staaten, Stuttgart 1982, S. 100–126. 12 Vgl. ebd., S. 66–83. 13 Vgl. Mittenzwei, Werner: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Bd. 2, Berlin 1985, S. 482–510. 14 Zit. nach: ebd., S. 493. 15 Vgl. ebd., S. 494 16 Brecht, Bertolt: Arbeitsjournal, Bd. 2, hrsg. von Werner Hecht, Berlin 1973, S. 1009 [20. August 1953]. 17 Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 510. 18 Brecht: Arbeitsjournal, Bd. 2, S. 1009 [20. August 1953]. 19 Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 4, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a. M. 1967, S. 1009 (im Folgenden mit Sigle GW plus Band und Seitenzahl angegeben). Vgl. zum Folgenden auch: Brecht, Bertolt: Buckower Elegien, hrsg. und mit Kommentaren von Jan Knopf, Frankfurt a. M. 1986; Joost, Jörg Wilhelm: „Buckower Elegien“, in: Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch, Bd. 2, Stuttgart 2001, S. 439–453; Lorenz, Benjamin: Bertolt Brechts Buckower Elegien. Der Aufstand am 17. Juni 1953, München 2010.

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Anmerkungen 20 GW 4, S. 1009. 21 Zit. nach: Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 1010. 22 GW 4, S. 1010. 23 Ebd. 24 GW 1, S. 852. 25 GW 4, S. 1011–1016. 26 GW 8, S. 555. 27 Müller, Heiner: Werke, Bd. 3, hrsg. von Frank Hörnigk, Frankfurt a. M. 2000, S. 29. 28 GW 8, S. 873. 29 Ebd., S. 882.

Gerechte Kriege – ungerechte Kriege Brechts Pauken und Trompeten (1955) 1

Vgl. meinen Aufsatz: „Solidarität mit dem Proletariat. Brechts Einstellung zur Todesbereitschaft im Kampf für die ‚dritte Sache‘“, in: Hermand, Jost: Freundschaft. Zur Geschichte einer sozialen Bindung, Köln 2006, S. 172–179.

2

Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 4, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a. M. 1967, S. 939 (im Folgenden mit Sigle GW plus Band und Seitenzahl angegeben).

3

Ebd., S. 839.

4

Vgl. meinen Aufsatz: „Brecht und die drei Eislers“ in diesem Buch.

5

Zit. nach: Mittenzwei, Werner: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Bd. 2, Berlin 1986, S. 570.

6

Zit. nach: Völker, Klaus (Hrsg.): Brecht-Chronik, München 1971, S. 117.

7

GW 4, S. 725.

8

Vgl. Mittenzwei, Werner: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 222 f.

9

Ebd., S. 226 f.

10 GW 8, S. 872. 11 Vgl. ebd. 12 Ebd., S. 875. 13 Ebd., S. 876. 14 Zit. nach: Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 428. 15 Brecht, Bertolt: Arbeitsjournal, Bd. 2, hrsg. von Werner Hecht, Frankfurt a. M. 1973, S. 943 [15. Januar 1951]. 16 Vgl. dazu allgemein: Lucchesi, Joachim: „Das Verhör des Lukullus / Die Verurteilung des Lukullus“, in: Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch, Bd. 1, Stuttgart 2001, S. 401–418. 17 Vgl. ebd., S. 410 f. 18 Vgl. Müller, André/Semmer, Gerd (Hrsg.): Geschichten vom Herrn B., Frankfurt a. M. 1967, S. 51. 19 Brecht, Bertolt: Briefe, Bd. 2, hrsg. von Günter Glaeser, Frankfurt a. M. 1981, S. 617 f. 20 Im gleichen Sinne schrieb Brecht im März 1952 an Dolf Sternberger: „Bitte, glauben Sie mir übrigens, daß ich gegen Angriffskriege nicht nur bin, weil die Regierung der DDR gegen Angriffskriege ist. Daß sie es ist, ist einer der Gründe, warum ich für sie bin.“ Ebd., S. 697. 21 Vgl. Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 458. 22 Zit. nach: Völker: Brecht-Chronik, S. 149. 23 GW 8, S. 880. 24 Ebd., S. 887. 25 Ebd., S. 884. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 885.

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Anmerkungen 28 Vgl. ebd., S. 895 f. 29 Ebd., S. 897 f. 30 Vgl. GW 2, S. 51. 31 GW 8, S. 899. 32 Ebd., S. 902. 33 GW 4, S.1048. Vgl. dazu auch meinen Aufsatz: „Darstellungen des Zweiten Weltkriegs“ sowie die Beiträge von Alexander von Bormann: „Der Kalte Krieg und seine literarischen Auswirkungen“, und Rainer Nägele: „Brecht und das politische Theater“, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 21, hrsg. von Jost Hermand, Wiesbaden 1979, S. 11–60, 61–116 u. 117–156. 34 Vgl. Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 594 f. 35 Vgl. dazu meinen Aufsatz: „‚Das Theater ist nicht die Dienerin des Dichters, sondern der Gesellschaft.‘ Zur Aktualität von Brechts Bearbeitungstechnik“, in: Haug, Wolfgang Fritz/ Pierwoß, Klaus/Ruoff, Karen (Hrsg.): Aktualisierung Brechts, Berlin 1980, S. 122–143. 36 Vgl. Wege, Carl: „Pauken und Trompeten“, in: Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 9, hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller, bearb. von Carl Wege, Berlin u. Frankfurt a. M. 1992, S. 431 ff. 37 Vgl. Wertheim, Albert: „Bertolt Brecht and George Farquhar’s ‚The Recruiting Officer‘“, in: Comparative Drama 7 (1973), H. 3, S. 179–190; Mews, Siegfried: „Pauken und Trompeten“, in: Knopf: Brecht-Handbuch, Bd. 1, S. 625–637. 38 GW 3, S. 2677. 39 Ebd., S. 2671.

Ein geflochtener Kranz Helene Weigel als Schauspielerin 1

Leicht veränderte Version meines Vortrags anlässlich der Einweihung des Helene-WeigelSaals im Hauptgebäude der Ver.di-Gewerkschaft in Berlin, 19. Dezember 2011.

Ästhetik und Gemeinsinn Das unverminderte Faszinosum „Brecht“ 1

Vgl. zum Folgenden auch meinen Aufsatz „‚Hochkulturhunger‘ nach 1945. Erlebtes, aber erst später Begriffenes“, in: Beutin, Heidi u. a. (Hrsg.): „Endlich unsrer Kraft zu trauen und ein schönres Leben aufzubauen“. Hoffnungen, Sehnsüchte und politische Vorstellungen zum Mai 1945, Mössingen 2016, S. 39–56.

2

Vgl. Pehnt, Wolfgang: „Des Epimenides Erwachen. Die Goethe-Feier des RG Kölnische Straße“, in: Schulspiegel 1, H. 5/6, 15. August 1949, S. 3.

3

Vgl. Hermand: „‚Hochkulturhunger‘ nach 1945“, S. 41.

4

Ebd., S. 43.

5

Vgl. Heftrig, Ruth/Reifenberg, Bernd (Hrsg.): Wissenschaft zwischen Ost und West. Der Kunsthistoriker Richard Hamann als Grenzgänger, Marburg 2009.

6

Vgl. mein Buch: Der Kunsthistoriker Richard Hamann. Eine politische Biographie, Köln 2009, S. 157 ff.

7

Vgl. Artinger, Kai: „In Vielem grenzüberschreitend. Richard Hamanns und Jost Hermands kulturgeschichtliche Buchreihe ‚Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus‘“, in: Heftrig/Reifenberg: Wissenschaft zwischen Ost und West, S. 81–103, hier S. 82.

8

Vgl. mein Buch: Freunde, Promis, Kontrahenten. Politbiographische Momentaufnahmen, Köln u. a. 2013, S. 70.

9

Vgl. meinen Aufsatz: „‚Das Theater ist nicht die Dienerin des Dichters, sondern der Gesellschaft.‘ Zur Aktualität von Brechts Bearbeitungstechnik“, in: Haug, Wolfgang/Pierwoß, Klaus/Ruoff, Karen Fritz (Hrsg.): Aktualisierung Brechts, Berlin 1980, S. 122–143.

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Anmerkungen 10 Vgl. Brecht, Bertolt: Über die bildenden Künste, hrsg. von Jost Hermand, Frankfurt a. M. 1983. 11 Vgl. Hermand, Jost: „Der Über-Vater. Brecht in der ‚Ästhetik des Widerstands‘“, in: Jahn-Gellert, Inge (Hrsg.): Brecht und Marxismus, Berlin 1983, S. 190–202 12 Vgl. Hermand, Jost: „Schweyk oder Hölderlin? Brechts und Bechers Ostfrontdramen“, in: TheaterZeitSchrift 3 (1983), S. 92–96 u. 108–111. 13 Vgl. Hermand, Jost: „Brecht als Lehrer der ‚Unbürgerlichkeit‘“, in: Schrader, Bärbel/Berger, Christel (Hrsg.): Fragen an Brecht, Festschrift für Werner Mittenzwei, Leipzig 1987, S. 22–29. 14 Karasek, Hellmuth: Bertolt Brecht. Vom Bürgerschreck zum Klassiker, Hamburg 1995, S. 202 f. 15 Haus, Heinz-Uwe: „Umwälzungen finden in Sackgassen statt. Gedanken zur Frage ‚Brecht wohin?‘“, in: Brecht Yearbook / Brecht-Jahrbuch 16 (1989), S. 128 –131, hier S. 129. 16 „‚Das ist die Verpapstung von Brecht.‘ Ein Streitgespräch“, in: Gellert, Inge (Hrsg.): Nach Brecht, Berlin 1992, S. 135–159, hier S. 136. 17 Kill, Reinhard: „Heldengedenktag für den armen B. B.“, in: Rheinische Post, 10. Februar 1998. 18 Hermand, Jost: „Der arme b. b. nach 1989“, in: Hörnigk, Frank (Hrsg.): Brecht 100. Ringvorlesung aus Anlaß des 100. Geburtstages Bertolt Brechts, Berlin 1999, S. 216–233, hier S. 221. 19 Vgl. Hermand, Jost: „Das Ewig-Bürgerliche widert mich an“. Brecht-Aufsätze, Berlin 2001. 20 Vgl. Huth, Stefan: „Brecht war die zentrale Figur. Gespräch mit Jost Hermand“, in: Junge Welt, 24. Dezember 2008, S. 2–3. 21 Vgl. Hermand, Jost: Die Toten schweigen nicht. Brecht-Aufsätze, Frankfurt a. M. 2010. 22 Vgl. u. a. Dahle, Wendula: Die Geschäfte mit dem armen B. B. Vom geschmähten Kommunisten zum Dichter „deutscher Spitzenklasse“, Hamburg 2007. 23 Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 8, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a. M. 1967, S. 246. 24 Brecht: Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 1029.

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BILDNACHWEIS

Seite 20: Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv FA 15/002.02, Foto: unbekannt Seite 22: Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv FA 15/004.10a, Foto: unbekannt Seite 27: Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv FA 16/002.31, Foto: Christian Kraushaar Seite 33: Alfred Hagel: Karl Kraus am Vorlesertisch Seite 60: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Willy Saeger Seite 78: Akademie der Künste, Berlin, Hanns-Eisler-Archiv 3206, Zeichnung aus The New Masses Seite 80: Getty Images, Foto: Leonard McCombe Seite 93: Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv FA 15/010.18, Foto: Karl Heinz Drescher Seite 95: Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv FA 05/061, Foto: Heinz Schubert Seite 116: Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv FA 17/007.01, Foto: unbekannt Seite 122: Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv FA 57/124, Foto: Vera Tenschert

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Willkommen Anderswo – sich spielend begegnen Clemens Risi . Oper in performance Helmar Schramm . Das verschüttete Schweigen Vorstellung Europa – Performing Europe Günther Heeg . Das transkulturelle Theater Applied Theatre . Rahmen und Positionen Torben Ibs . Umbrüche und Aufbrüche Christoph Nix . Theater_Macht_Politik Henning Fülle . Freies Theater Du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt . Die Expertengespräche zu „Die Schutzflehenden / Die Schutzbefohlenen“ am Schauspiel Leipzig Hans-Thies Lehmann . Brecht lesen Theater als Intervention . Politiken ästhetischer Praxis Vorwärts zu Goethe? . Faust-Aufführungen im DDR-Theater Infame Perspektiven . Grenzen und Möglichkeiten von Performativität Italienisches Theater . Geschichte und Gattungen von 1480 bis 1890 Momentaufnahme Theaterwissenschaft Leipziger Vorlesungen Kathrin Röggla . Die falsche Frage Vorlesungen über Dramatik Auftreten . Wege auf die Bühne FIEBACH . Theater. Wissen. Machen Die Zukunft der Oper zwischen Hermeneutik und Performativität Parallele Leben . Ein Dokumentartheaterprojekt Theatermachen als Beruf . Hildesheimer Wege Dokument, Fälschung, Wirklichkeit Dokumentarisches Theater Reenacting History: Theater & Geschichte Horst Hawemann . Leben üben – Improvisationen und Notate Roland Schimmelpfennig . Ja und Nein Vorlesungen über Dramatik Theater in Afrika . Zwischen Kunst und Entwicklungszusammenarbeit Wie? Wofür? Wie weiter? Ausbildung für das Theater von morgen Theater im arabischen Sprachraum Ernst Schumacher . Tagebücher 1992 – 2011 Lorenz Aggermann . Der offene Mund Rainer Simon . Labor oder Fließband? Rimini Protokoll . ABCD Dirk Baecker . Wozu Theater? Das Melodram . Ein Medienbastard Magic Fonds . Berichte über die magische Kraft des Kapitals Heiner Goebbels . Ästhetik der Abwesenheit Texte zum Theater Wolfgang Engler . Verspielt Essays und Gespräche Ästhetik versus Authentizität? Reflexionen über die Darstellung von und mit Behinderung Adolf Dresen . Der Einzelne und das Ganze Dokumentation Performing Politics . Politisch Kunst machen nach dem 20. Jh. Vorträge Die andere Szene . Theaterarbeit und Theaterproben im Dokumentarfilm Einfachheit & Lust & Freiheit Essays Macht Ohnmacht Zufall Essays Wolf-Dieter Ernst . Der affektive Schauspieler B. K. Tragelehn . Der fröhliche Sisyphos Die neue Freiheit . Perspektiven des bulgarischen Theaters Essays Working for Paradise . Der Lohndrücker. Heiner Müller Werkbuch Die Kunst der Bühne . Positionen des zeitgenössischen Theaters Essays Woodstock of Political Thinking . Zwischen Kunst und Wissenschaft Essays Falk Richter . TRUST Inszenierungsdokumentation

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Müller Brecht Theater . Brecht-Tage 2009 Diskussionen Frank Raddatz . Der Demetriusplan Essay Radikal weiblich? Theaterautorinnen heute Aufsätze per.SPICE! . Wirklichkeit und Relativität des Ästhetischen Essays Reality Strikes Back II . Tod der Repräsentation Aufsätze und Diskussionen Go West . Theater in Flandern und den Niederlanden Aufsätze Das Angesicht der Erde . Brechts Ästhetik der Natur Brecht-Tage 2008 Sabine Kebir . „Ich wohne fast so hoch wie er“ Steffin und Brecht Theater in Japan Aufsätze Vasco Boenisch . Krise der Kritik? Anja Klöck . Heiße West- und kalte Ost-Schauspieler? Theaterlandschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa Essays Elisabeth Schweeger . Täuschung ist kein Spiel mehr Aufsätze Helene Varopoulou . Passagen . Reflexionen zum zeitgenössischen Theater Kleist oder die Ordnung der Welt Im Labyrinth . Theodoros Terzopoulos begegnet Heiner Müller Essay u. Gespräch Martin Maurach . Betrachtungen über den Weltlauf . Kleist 1933 – 1945 Strahlkräfte . Festschrift für Erika Fischer-Lichte Essays Angst vor der Zerstörung Tagungsbericht Joachim Fiebach . Inszenierte Wirklichkeit Die Zukunft der Nachgeborenen . Brecht-Tage 2007 Vorträge und Diskussion Sabine Schouten . Sinnliches Spüren Thomas Flierl . Berlin: Perspektiven durch Kultur Aufsätze Sire, das war ich – Zu Heiner Müllers Stück Leben Gundlings Friedrich von Preußen Werkbuch Friedrich Dieckmann . Bilder aus Bayreuth Essays Durchbrochene Linien . Zeitgenössisches Theater in der Slowakei Aufsätze Stefanie Carp . Berlin – Zürich – Hamburg Essays Das Analoge sträubt sich gegen das Digitale? Tagungsdokumentation Politik der Vorstellung . Theater und Theorie B. K. Tragelehn . Roter Stern in den Wolken Theater in Polen . 1990 – 2005 Aufsätze Brecht und der Sport . Brecht-Tage 2005 Vorträge und Diskussionen VOLKSPALAST . Zwischen Aktivismus und Kunst Aufsätze Carl Hegemann . Plädoyer für die unglückliche Liebe Aufsätze Johannes Odenthal . Tanz Körper Politik Aufsätze Gabriele Brandstetter . BILD-SPRUNG Aufsätze Brecht und der Krieg . Brecht-Tage 2004 Vorträge und Diskussionen Falk Richter – Das System Materialien Gespräche Textfassungen zu „Unter Eis“ Die Insel vor Augen . Festschrift für Frank Hörnigk Szenarien von Theater (und) Wissenschaft Aufsätze Jeans, Rock & Vietnam . Amerikanische Kultur in der DDR Manifeste europäischen Theaters Theatertexte von Grotowski bis Schleef Hans-Thies Lehmann . Das Politische Schreiben Essays Brechts Glaube . Brecht-Tage 2002 Vorträge und Diskussionen Friedrich Dieckmann . Die Freiheit ein Augenblick Aufsätze Gerz . Berliner Ermittlung Inszenierungsbericht Jost Hermand . Brecht-Aufsätze Martin Linzer . „Ich war immer ein Opportunist…“ Gespräche Zersammelt . Die inoffizielle Literaturszene der DDR Vorträge und Diskussionen Rot gleich Braun . Brecht-Tage 2000 Vorträge und Diskussionen Adolf Dresen . Wieviel Freiheit braucht die Kunst? Aufsätze

Erhältlich in Ihrer Buchhandlung oder unter www.theaterderzeit.de

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