Junges Theater for Future – IXYPSILONZETT Das Magazin für Kinder- und Jugendtheater

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IXYPSILONZETT Das Magazin für Kinder- und Jugendtheater

02.2019

Junges Theater for Future Wie gestalten Theatermacher*innen Zukunft? Show, don’t tell: Lukas Rietzschel über die Verantwortung von Kunst | Unwissenschaftliche Graffiti: Katrin Ullmann stellt sich dem Hamburger Menetekel | Zukunft bei Unga Klara: Farnaz Arbabi und Gustav Meinoff im Gespräch | Alles ist echt bei SCHÄXPIR: Theresa Luise Gindlstrasser fragt nach dem Multiversum | Nichtrechthabenmüssen: Stefan Fischer-Fels über kommende Herausforderungen für das TYA


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SCHWERPUNKT JUNGES THEATER FOR FUTURE 4

SHOW, DON’T TELL Warum Kunst alle gesellschaftlichen Kräfte und Milieus aufzeigen muss Von Lukas Rietzschel

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ULTIMATIV UNWISSENSCHAFTLICHE BEHAUPTUNGEN Graffiti als Zukunftsdeutung Von Katrin Ullmann

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WIR WOLLEN KINDERN KUNST GEBEN, KEINE LEERE BÜHNE Ein Gespräch mit Farnaz Arbabi und Gustav Deinoff Von Meike Fechner

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DIE ZUKUNFT IM MULTIVERSUM Ein Gespräch mit Sara Ostertag und Julia Ransmayr Von Theresa Luise Gindlstrasser

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FÜR DIE ZUKUNFT WÜNSCHE ICH MIR … Ein europäisches Projekt über das Morgen aus der Perspektive von Kindern Von Karoline Felsmann

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„DER NÄCHSTE TANZ IST GANZ ALLEIN FÜR EUCH!“ Nachhaltiges Produzieren und Netzwerken für junges Publikum Von Angelika Endres

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GESCHEIT ÜBER GESELLSCHAFT ERZÄHLEN Einblicke in das bundesländerübergreifende, theaterpädagogische Projekt Wir. Wie? Von Julia Opitz

EDITORIAL Von Meike Fechner,

WE’RE FUCKED

WE’RE FUCKED

Beklemmend ist das Gefühl, dass die Zukunft vielleicht

Das gilt in besonderem Maße für Kinder und Jugendli-

schon bald vorbei sein könnte. Beschämend ist die ei-

che, die nicht wählen dürfen, nicht gefragt werden,

gene Verantwortung dafür. Dieses Heft wurde trotz di-

nicht gleichberechtigt an politischen Debatten teilhaben

gitaler Version tausendfach auf Papier gedruckt und per

können, oftmals nicht ernst genommen, sondern be-

Post verschickt, weil man das halt so macht. Seit Jahr-

lehrt und belächelt werden.

Birte Werner und Nikola Schellmann

zehnten. Sind wir wirklich bereit, etwas anders zu ma-

WE’RE FUCKED

chen, etwas neu zu denken, uns eine Zukunft mit lauter Unbekannten vorzustellen?

Das steht nicht für eine fragende Haltung, die alle Positionen nebeneinanderstellt, alle Perspektiven auslotet, die Interessen der Ökonomie und der Ökologie gegeneinander abwägt. Es ist eine Feststellung, die – zugegeben – nicht sehr differenziert daherkommt, aber aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen doch den Nagel auf den Kopf trifft.


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VORBILD GROSSBRITANNIEN? Sustainability means more than going green Von Jo Caird NICHTRECHTHABENMÜSSEN IST DAS SCHÖNSTE PRIVILEG DES THEATERS Gedanken zum 50. Geburtstag des GRIPS Theaters Von Stefan Fischer-Fels

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NACHRUF 32

DER EMPATHISCHE KRITIKER Nachruf auf Bernd Mand Von Christian Schönfelder

REZENSION 33

„KAMPF GEGEN DIE IGNORANZ DES WEISS-SEINS“ Von Anna Eitzeroth

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WISSENSWERT

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TERMINE | IMPRESSUM

AUSGEZEICHNETE PERSÖNLICHKEITEN Verleihung der ASSITEJ Preise 2019

WEGE INS THEATER 30

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THEATER IN DIE VORORTE BRINGEN Experimente im Münchner Stadtraum Von Xenia Bühler, Anna Grüssinger und Josefine Rausch

WE’RE FUCKED

Hamburger Menetekel – ein futurologischer

Das klingt erstmal nicht besonders zukunftsweisend,

Der im Juli 2019 viel zu früh verstorbene Bernd Mand

Kongress von Ron

aber die Zukunft steht im Mittelpunkt dieser Ausgabe

hat uns einen Auftrag für die Zukunft hinterlassen, den

Zimmering und

von IXYPSILONZETT. Zukunft entsteht mit Mut zur

wir sehr ernst nehmen sollten und mit dem wir Sie in

Graffitimuseum,

Wahrheit und zu unbequemen Worten. Zukunft ent-

die Lektüre dieses Heftes entlassen:

24.–26. Mai 2019,

steht in partizipativen Projekten und Netzwerken, in eu-

Deutsches SchauSpiel-

ropäischen Utopien, in Offenheit und Freiheit. Zukunft

ES IST AN DER ZEIT,

Haus Hamburg.

entsteht in der ernsthaften Auseinandersetzung mit

ANTWORTEN ZU GEBEN.

Foto: Sinje Hasheider

Kindern und Jugendlichen als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft.

ES IST AN DER ZEIT, POSITION ZU BEZIEHEN UND ZU HANDELN. ES IST AN DER ZEIT, WENIGER FRÜH MIT DEM DENKEN AUFZUHÖREN.


SHOW, DON’T TELL Warum Kunst alle gesellschaftlichen Kräfte und Milieus aufzeigen muss Von Lukas Rietzschel

Das ist sehr schön, dass Sie heute hier sind. Dass Sie sich etwas anhören möchten, was eigentlich gegen Sie gerichtet ist, und auch gegen Leute wie mich. Dass es Menschen gibt, die etwas dagegen haben, dass wir uns für Demokratie einsetzen, was auch immer das heißt. Dass es Menschen gibt, die „mit der Faust in die Welt schlagen“ wollen. Die also etwas dagegen haben, dass wir darüber reden, wie wir Gesellschaft zusammenhalten können. Und dass wir uns eben auch damit auseinandersetzen müssen, dass es Kräfte gibt innerhalb dieser Gesellschaft, die genau darauf gar keine Lust haben. Ganz wichtig ist: ich halte nichts von politischer Kunst, weil das leider oft damit einhergeht, dass wir didaktisch und moralisierend werden. Und auch in meinem Buch Mit der Faust in die Welt schlagen ist es ein großes Anliegen für mich gewesen, eben nicht zu bewerten. Niemandem zu sagen, was oder wer schlecht oder gut ist, und am Ende sogar offen zu halten, wie ich dazu stehe. Zwei politische Ereignisse haben mich in den letzten Jahren geprägt: das erste war die Bundestagswahl 2017. In Görlitz, wo ich lebe, das ist die östlichste Stadt Deutschlands, direkt an der Grenze

Jeden Tag zeigen wir in unseren Theatern für

zu Polen, hat der alteingesessene CDU Kandidat Michael Kretsch-

junges Publikum Stücke und Projekte, in denen es

Tino Chrupalla aus Weißwasser, einer noch viel abgehängteren Ge-

um die ganze komplexe Welt geht: Um Familien

gend als Görlitz. Ein Malermeister, der zuvor nichts mit Politik zu

und Freundschaften, um Geschlechtergerechtigkeit

sich die Wut hat, weil er hinter sich die Verständnislosigkeit der

und Fairness, um Antirassismus und Interkultura-

Menschen hat – und zieht in den Bundestag ein. Und Michael

lität. Und doch: Ein mulmiges Gefühl schleicht sich

nisterpräsident geworden. Er tingelt also jetzt durch ganz Sachsen,

ein. Reicht das? Bleiben wir in unseren schönen,

weil er Angst hat vor den Landtagswahlen 2019. Und er ist nicht der

achtsam gestalteten und kreativen Räumen nicht

und aufgewachsen bin, und auch in der sächsischen Schweiz hat

zu weit weg von der Straße, auf der gerade die

die AfD ein Direktmandat. Und zudem hat die AfD die meisten

Demokratie in Frage gestellt wird? Was können

so ratlos drauf wie Sie. Die Auswirkungen davon sind erstmal ma-

und müssen wir tun? Was als politische Menschen und was als Kulturschaffende?

mer seinen Wahlkreis verloren an einen absoluten Politikneuling,

tun hatte, ist auf einmal auf dem Plan – einfach nur, weil er hinter

Kretschmer ist aus der Niederlage heraus erstmal sächsischer Mi-

einzige, der Angst hat. Auch im Landkreis Bautzen, wo ich geboren

Stimmen geholt in Sachsen, noch vor der CDU. Ich guck’ da genauterieller Art, nämlich hat die AfD auf einmal ein Wahlkreisbüro in Foto: Andreas J. Etter


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Görlitz, direkt auf der Einkaufsstraße: die AfD ist präsent. Und jetzt

also ein SS-Festival zu Hitlers Geburtstag. Und feiern da und tanzen,

kümmern wir uns mal um euch. Die Alt-Parteien, die waren nicht

besaufen uns und grölen mal so rum – und haben einfach mal so

da. Und wem kann man absprechen in diesen Gegenden, dass es

richtig schön Spaß. Ostritz hat keine klassische neonazistische Ver-

etwas Schlechtes ist, wenn sich die Politik auf einmal wieder für die

gangenheit, aber man kann mit dem Zug gut anreisen. Und die

Leute interessiert. Und das ist ein riesengroßes Dilemma.

Szene ist mittlerweile europäisch vernetzt, da kommen also Neona-

Ich glaube fest an Kommunalpolitik. Ich glaube, dass dort,

zis aus dem Westen Deutschlands – denn die gibt es auch –, aus

wo Politik und politische Entscheidung immer weiter auf die nächs-

Polen und Tschechien. Und die Ostritzer*innen dachten sich erst-

te politische Ebene übertragen werden – auf die bundesdeutsche,

mal so: „Ist doch egal, lass die doch mal machen. Solange die auf

auf die europäische Ebene –, Kommunalpolitik entscheidend ist. Wo

ihrem Gelände bleiben, sollen die doch mal Spaß haben.“ Der Punkt

sich Menschen engagieren, werden Fahrverbote durchgesetzt, da

ist aber, dass die natürlich dort nicht bleiben, sondern die sind sicht-

entscheiden wir darüber, wie Integration funktioniert oder nicht.

bar, in den Bussen, in den Bahnen, im Ort. Die sind kahlgeschoren,

Görlitz hat einen Bürgerrat, der nach einem relativ einfachen Prin-

die haben immer noch ihre Bomberjacken, die sind einfach breit

zip funktioniert: jeder der kleinen Stadtteile bekommt pro Einwoh-

wie ein Schrank. Und da kriegt man schon Angst und da kannst du

ner*in einen Euro zur Verfügung. Und mit diesem Budget kann

halt vor so einem Nazi stehen und sagen: „Ja, aber eigentlich ist der

dann der Bürgerrat machen, was er will. Allein diese Möglichkeit,

Geist die Waffe.“ Ja, aber dann drückt der Ihnen die Faust ins Ge-

dass jede*r seine Vorschläge einbringen kann, das hilft schon. Denn

sicht und dann hat der leider Recht.

dann kommen auf einmal Leute zusammen, die sich nie begegnen

Und das ist ein großes Problem. Und es gab natürlich Pro-

würden, die kein Wort miteinander wechseln würden. Da sind also

test und es gab Demonstration dagegen: „Die nehmen uns unsere

Rentner*innen, Studierende, da sind auf einmal Grüne, Linke, FDP,

Ortschaft weg.“ Und das ist eigentlich schlimm genug, dass immer

CDU, aber eben auch AfD-ler – einfach nur, um über eine banale

erst irgendwas passieren muss, bis die Menschen dann mehrheitlich

Parkbank zu entscheiden. Da wird Demokratie gelebt. Da geht’s

auf die Straße gegangen sind, sich gewehrt haben, in ihren Vereinen

ums Konsens-Finden, um Kompromisse und ganz banal eigentlich

gesagt haben: „Das ist unsere Stadt, das ist unser Land, wir wollen

darum, wieder zu zeigen: eure Stimme, eure Entscheidung hat Ge-

nicht zulassen, dass ihr euch hier sammelt, dass ihr erstmal unser

walt. Ihr seid in der Lage und bekommt auch die Möglichkeit, mit-

Dorf indoktriniert und am Ende dafür sorgen wollt, dass unsere Ge-

zugestalten, wie euer nächstes Umfeld aussehen darf. Und wenn

sellschaft, dass unser Staat, dass unsere Demokratie abgeschafft

diese Parkbank dann steht, dann entsteht eine Identität mit dem

wird.“ Denn das wollen die. Und sich das bewusst zu machen und

Stadtteil. Wenn dann jemand kommt, und ein Hakenkreuz reinritzt

den Leuten auch zu sagen: Nur weil ihr gegen Rechts seid, seid ihr

in diese Parkbank oder über diese Blumenrabatte trampelt, dann ist

nicht automatisch links oder links extrem. Denn das muss man lei-

da hoffentlich jemand, der sagt: „Was soll denn das. Das ist doch

der auch dazu sagen: ihr seid ganz banal in der Mitte der Gesell-

unser Geld, unsere Parkbank. Das ist dein Stadtteil, da hast du doch

schaft und verteidigt diese Gesellschaft und dazu habt ihr auch eine

eigentlich mitentschieden, was passiert.“ Und das gibt mir so ein

Verantwortung. Das hat mir gezeigt, dass es durchaus möglich sein

bisschen Hoffnung: In dieser kommunalen, in dieser untersten

kann, jemanden zu mobilisieren – auch Gegenkräfte zu installieren.

Ebene des Föderalismus – da sehe ich eine Chance.

Aber es kann nicht sein, dass immer erst die Provokation im Raum

Das zweite Beispiel ist ein Rechtsrockfestival. Ein klassisches

stehen muss, bevor wir merken: wir müssen etwas dagegen tun.

neonazistisches Rechtrockfestival, das jetzt zum dritten Mal stattge-

Ich habe diese beiden Beispiele ganz bewusst ausgewählt,

funden hat zwischen Görlitz und Zittau. In Ostritz haben sich am

weil ich glaube, dass Kunst Ähnliches leisten kann. Ich glaube, dass

20. April die Neonazis auf dem Gelände eingenistet und einfach be-

Kunst Leute zusammenführen, inklusiv sein kann. Ich glaube an

schlossen: wir machen jetzt hier ein Schild- und Schwertfestival,

inklusive Kunst und daran, dass diese auch provokativ sein muss.

































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