Theater der Zeit 01/2022 - Oliver Bukowski: „Warten auf’n Bus“

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EUR 9,50 / CHF 10 / www.theaterderzeit.de

Januar 2022 • Heft Nr.1

Oliver Bukowski

„Warten auf’n Bus“ Carsten Brosda zu Theater und Corona / Künstlerinsert Erich Wonder und Heiner Müller Report Belarus / Neustarts Bern, Meiningen, Annaberg-Buchholz / Nachruf Etel Adnan


SCHAUSPIEL BERN 2021/22 Rose Bernd

Gerhart Hauptmann Regie: Roger Vontobel seit 09. Sep 2021, Stadttheater

Der talentierte Mr. Ripley

Patricia Highsmith Regie: Damian Popp seit 17. Sep 2021, Schauspiel mobil

Kaspar

Peter Handke Regie: Mathias Spaan seit 25. Sep 2021, Vidmar 1

Von schlechten Eltern (UA)

Tom Kummer Regie: Tilmann Köhler seit 06. Nov 2021, Vidmar 1

Maria Stuart

Friedrich Schiller Regie: Roger Vontobel seit 12. Nov 2021, Stadttheater

Gigiwonder. Die Geschichte eines Beins (UA)

Vera Schindler Regie: Ruth Mensah ab 09. Jan 2022, Vidmar 2

Das Ende von Schilda (UA)

Ariane von Graffenried & Martin Bieri Regie: Annina Dullin-Witschi ab 02. Apr 2022, Vidmar 1

Der Drache

Jewgeni Schwarz Inszenierung: Bruno Cathomas ab 03. Jun 2022, Schauspiel mobil

Ein Sommernachtstraum William Shakespeare Regie: Sabine Auf der Heyde ab 13. Jan 2022, Vidmar 1

Jugojugoslavija (DSE) Bonn Park Regie: Anita Vulesica ab 18. Mrz 2022, Vidmar 1

Extra:

Die lange Nacht der vergessenen Stücke

Konzept: Simon Strauss & Zino Wey am 18. Jun 2022, Stadttheater

Schauspieldirektion: Roger Vontobel


carsten brosda

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Wie viel Theater ist jetzt möglich? Carsten Brosda, Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins und Hamburger Kultursenator, im Gespräch mit Thomas Irmer über die ökonomischen Folgen der Corona-Maßnahmen für die Theater

H

err Brosda, es gibt in Heidelberg, aber vielleicht nicht nur dort, eine Diskussion um das im vorletzten Jahr gezahlte Kurz­ arbeitergeld für Angestellte des Theaters. Unterm Strich wurde am Theater Heidelberg 2020 ein Plus erwirtschaftet, und ein ­Antrag der Grünen fordert nun die Rückzahlung dieser Gelder. Das Kurzarbeitergeld war ein Segen für die Theater in der Zeit, in der nicht gespielt werden konnte. Es hat geholfen, mit dieser Situation betriebswirtschaftlich klarzukommen. Das war die wirksamste Hilfe für die Kulturbetriebe mit Festangestellten, die wir während der Pandemie gehabt haben. Wir hoffen sehr, dass es diese Hilfe weiter geben wird, denn sie wird wahrscheinlich auch künftig gebraucht. Es mag vereinzelt so sein, dass unterm Strich sogar Rücklagen aufgebaut werden konnten wie offenbar in Heidelberg. Das ist aber keineswegs an allen Häusern so der Fall, sondern von Theater zu Theater sehr unterschiedlich. Es gab Theater, die besonders im zweiten Lockdown intensiv weitergearbeitet ­haben und deshalb gar nicht so viel von der Kurzarbeit Gebrauch machen konnten. Aber ich würde allen Trägern, deren Theater Rücklagen aufbauen konnten, dazu raten, die erst mal in den Häusern zu belassen. Das wird in der zu erwartenden angespannten Haushaltslage nach der Pandemie helfen, wenn der Staat möglicherweise nicht mehr ausreichend Mittel bereitstellen kann. Diese Phase wird voraussichtlich betriebswirtschaftlich für die Theater anstrengend, auch weil ungewiss ist, ob das Publikum wieder im gleichen Umfang wie vor der Krise zurückkommt. Und wenn man da mit Rücklagen arbeiten kann, halte ich das für einen sinnvollen Weg, damit die Theater nicht sofort in eine Schieflage geraten. Im Moment müssen wir alle Prognosen mit vielen Konjunktiven versehen, aber alles, was dazu beiträgt, dass die Theater und Orchester aus eigener Kraft durch diese Zeit kommen, halte ich für sinnvoll. Spätestens 2023 könnten solche Rückforderungen ansonsten schwere Folgen haben.

Einzelne Stimmen behaupten, dass das Kurzarbeitergeld für ­Angestellte in Kulturbetrieben eine Art zusätzliche Subventionie­ rung darstellt und deshalb von den Theatern auch zurückgefor­ dert werden könne. Ist das überhaupt juristisch korrekt? Ich halte es zumindest nicht für sinnvoll. Wir reden nicht von Subventionen, sondern von Zuwendungen. Es gibt ein staatliches Interesse, den Kulturbetrieb aufrechtzuerhalten. Zudem ist das Kurzarbeitergeld eine Versicherungsleistung, die sich zunächst aus den Beiträgen speist, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer an die Bundesagentur für Arbeit zahlen. Dass es dafür in dieser ­Sondersituation zusätzliche Mittel vonseiten des Staates brauchte, ändert nichts daran, dass es sich im Kern um eine Leistung handelt, für die zuvor Beiträge eingezahlt wurden und für die deshalb ein versicherungsrechtlicher Anspruch besteht. Die neue Regierung möchte erstmals die Kultur als Staatsziel be­ nennen. Inwieweit wird das solche Diskussionen beeinflussen? Es ist eine wichtige Absichtserklärung, dass man Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern will. Das muss jetzt umgesetzt werden. Dafür braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die die Ampel-Koalition von sich aus nicht hat. Das ist keine neue Forderung, schon 2007 hat die Enquete-Kommission den Vorschlag eingebracht, dass man den Satz „Der Staat schützt und fördert die Kultur.“ ins Grundgesetz aufnehmen soll. Für mich bedeutet das, dass es aus staatlicher Sicht nicht damit getan ist, die Kunstfreiheit zu sichern, sondern dass es darum gehen muss, mit Förderung von Kultur und kultureller Produktion dafür zu sorgen, dass künstlerische Freiheit in Anspruch genommen werden kann. Es wäre nach den Verheerungen von Corona ein starkes Signal des Staates zu sagen: Wir übernehmen Verantwortung, wir stehen dafür ein, dass es nicht nur eine ­privatwirtschaftliche Angelegenheit ist, Kunst und Kultur zu ermöglichen, sondern dass die Gesellschaft über den Staat dort entsprechend investiert. Wenn es gelingt, dies im Grundgesetz

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protagonisten

zu verankern, dann dürfte das auch ein starker Fingerzeig in manche kommunalpolitische Diskussion hinein sein, in denen Kulturausgaben ja oftmals bloß freiwillige Leistungen sind, die nur dann geleistet werden können, wenn alles andere finanziert ist. Da hätten dann in den Städten und Gemeinden diejenigen ein Argument mehr, die dafür eintreten, dass nach der Pandemie nicht zuerst bei der Kultur gespart werden soll.

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Sie beobachten im Moment die Unterschiede der Theatersituation in den einzelnen Bundesländern. Was fällt Ihnen da auf? Wir haben eine regional differenzierte Lage. Und es ist sinnvoll, klare Maßstäbe zu entwickeln, entlang derer dann regionale Ge­ gebenheiten bewertet werden können. Diese Maßstäbe sollten bundesweit einheitlich sein, damit die Reaktionen regional differenziert sein können. Idealerweise geht es darum, Kultureinrichtungen und also auch Theater so lange wie möglich offen zu halten. Die zentrale Voraussetzung dafür ist, dass sich alle impfen lassen. Das ist der Weg aus der Pandemie.

In Bayern sollen die Kulturaus­ gaben pauschal um zehn Prozent abgesenkt werden. In anderen Bundesländern gibt es andere Über­ legungen. Was beobachten Sie da? Die Theater waren auf jeden Fall Wir sehen das im Bühnenverein Vorreiter bei der Entwicklung von mit Sorge. Der Zusammenhang für innovativen Hygienekonzepten. Mit die eventuell gekürzten Ausgaben für Kultur mit den Pandemie-beneuer Technik durchlüftete Räume, die Bewegung von Zuschauern dingten geringeren Steuereinnahdurch die Theater, digitale Registrie­ men ist offensichtlich. Damit muss man umgehen, und ich plädiere rung und anfangs auch Testung von Besuchern. Sind all diese Bemühun­ dafür, dass man frühzeitig in aller Offenheit gemeinsam Wege begen wirklich anerkannt worden? Carsten Brosda, Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins und Hamburger Kultursenator Das ist alles richtig, aber auch die spricht, wie man durch diese Zeit Foto Daniel Reinhardt/Senatskanzlei kommt. Dazu braucht es oft einen Theater könnten jetzt zum Beispiel noch mehr Anreize zur Impfung breiteren Blick. Wenn man vor Ort ein Theater hat, das Rücklagen gebieten. Mit besonderen Angeboten für Besucher. Da ist viel denkbar. Aber es stimmt, dass die Theater bildet hat, dann kann man sich zum Beispiel stärker um die freie Szene und die privatwirtschaftlich geführten Theater kümmern. im Betrieb gezeigt haben, wie man sicher veranstaltet, Menschenmengen steuert, Luftaustausch technisch so herstellt, dass vom Es geht um die Folgen für die nächsten drei, vier Jahre. Es wäre Nachbarsitz sogar keine Aerosole mehr hinüberwirken, sie haben widersinnig, jetzt alles zu retten, um dann ungerührt zuzugucken, wie es später zugrunde geht. Die Frage ist doch: Wie erhalte viel investiert, um ihren Vorstellungsbetrieb sicher zu machen. ich ein kulturelles Fundament in einer Gesellschaft, die in und Andere haben da weit weniger getan. Theater sind für ihre Besucher angemessen sicher. nach dieser Krise viel mit sich selbst verhandeln muss? Dafür brauchen wir die Kultur auf dem Platz, aber eben auch die Mittel, Deshalb ist ja auch der Umstand, dass Theater wieder geschlossen dass Kultur auf dem Platz sein kann. Dabei ist nicht auszuschliewerden, umstritten, wenn sie alle Auflagen sozusagen überer­ ßen, dass in einem kommunalen Haushalt nicht ausreichend Geld zur Verfügung steht. Was aber auf keinen Fall sein darf, ist füllen. Wir fordern als Bühnenverein, Theater so lange wie möglich offen der Kurzschluss, dann einfach mal bei der Kunst zu kürzen. Damit ist noch nie und nirgends auf der Welt ein Haushalt saniert zu halten und nicht wie bei den Kürzungen, über die wir gerade worden. sprachen, einseitig zu handeln. Anfang November 2020 hat man alle Theater und Kulturorte für den sogenannten Lockdown light Jetzt nimmt die Öffentlichkeit aber auch wahr, dass bestimmte auf einen Schlag wieder geschlossen. Das hat aus vorhersehbaren Gründen pandemiebezogen nicht ausgereicht, aber Vertrauen Bereiche der Industrie schon wieder auf Vor-Corona-Niveau ­ ­Gewinne machen, während bei den Theatern klar ist, dass sie über zerstört. Wir müssen Räume ermöglichen, in denen sich die Gesellschaft mit sich selbst befassen kann, dazu gehören auch die mindestens drei Spielzeiten nicht die geplanten und vielerorts Theater. Und darüber muss man sprechen. Da geht es nicht um auch ihren Erfolg messenden Eigeneinnahmen erwirtschaften. Extrempositionen. Wir haben doch wie überall – in den Familien, Theater haben bis zu 90 Prozent Umsatzeinbußen und gehören bei der Arbeit und anderswo in der Gesellschaft – die beiden Posidamit zu den wirtschaftlich am stärksten betroffenen Branchen überhaupt. Trotzdem muss man genauer hingucken, wo die Betionen: Die einen sagen, alles stilllegen, Kontaktsperre auch in der Kultur, und die anderen sagen, so schlimm ist es nicht. Beide schädigungen besonders groß sind. Auf die Industrie sollte man nicht neidisch sein, denn ihre Gewinne tragen zur schnellen wirt­Positionen halte ich für nicht besonders klug. Die Frage ist, wie kann ich besonders viel Kultur unter Pandemiebedingungen schaftlichen Erholung auch für die Kultur bei. Nicht nur für staatliche und kommunale Kulturträger. ermög­lichen. //


editorial

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I

m Künstlerinsert wird in diesem Heft an die Zusammenarbeit von Heiner Müller und Erich Wonder erinnert, an bahnbrechende Bühnenraum-Arbeiten zwischen Autonomie und Assoziation, in ­entsprechenden Notaten und Interviewausschnitten mit einem ABC von Stephan Suschke erhellt. Was seinerzeit irritierte und als neuer Surrealismus wahrgenommen wurde, scheint heute beinahe klar – und hat dabei Anstöße aus der Wonder-Welt für nachfolgende Entwicklungen gegeben.

Ralle und Hannes in Betrachtung ihrer kleinen Welt im Brandenburgischen, das ist das Stück des Monats von Oliver Bukowski in einer Bielefelder Theater-Version nach der sogar von Fernsehverächtern bejubelten Serie im rbb. Bukowskis Stücke wurden in ganz Europa aufgeführt, besonders oft in Finnland, wo vielleicht eine Art Verwandtschaft mit den tief empfundenen sozial-grotesken Filmen von Aki Kaurismäki vermutet werden darf. Ralle und Hannes sind jedenfalls Provinz international. Theater müssen offen bleiben, das ist die Ansage, und deshalb stellen wir das Gespräch mit Carsten Brosda, dem Vorsitzenden des Deutschen Bühnenvereins, allem anderen, was an Theater zählt, in dieser Ausgabe voran. Offen bleiben! // Thomas Irmer

Mitteilung des Verlags Der Verlag dankt Dorte Lena Eilers für ihre langjährige Arbeit in der Redaktion und ihre Verdienste für die Zeitschrift sowie Christine Wahl. Mit dieser Ausgabe begrüßen wir herzlich Thomas Irmer als verantwortlichen ­Redakteur und Elisabeth Maier als Mitglied der Redaktion. Wir freuen uns auf den neuen Jahrgang und wünschen Ihnen liebe Leserinnen und Leser viele spannende Stunden mit ­Theater der Zeit und ein gesundes und hoffentlich theaterreiches Jahr 2022. // Harald Müller, Paul Tischler (Geschäftsführung Theater der Zeit) Der Aboauflage liegt bei

IXYPSILONZETT – Das Magazin für Kinder- und Jugendtheater

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Inhalt Januar 2022 neustarts

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Daniele Muscionico Beben in der Bundeshauptstadt Roger Vontobel glückt zum Neustart an den Bühnen Bern ein Bravourstück

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Michael Helbing Das neue Volkstheater der Meininger Unter Schauspielchef Frank Behnke knüpft das Haus mit „Julius Caesar“ und „Antigone“ zeitgemäß an große Traditionen an

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Michael Bartsch Powern für Beachtung Die heimliche Erzgebirgshauptstadt Annaberg-Buchholz auf dem Weg zu einer sächsischen Theaterhauptstadt

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kunstinsert

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Erich Wonder Bühnenräume

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Stephan Suschke Bühnenräume für Heiner Müller Aus einem Erich-Wonder-ABC

ausland

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Kirill Maksudov Leeres Theater Ein beunruhigender Report aus Belarus über die Situation der Theaterszene

protagonisten

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Thomas Irmer Der Komet Andreas Kleinerts Film „Lieber Thomas“ erzählt das Leben von Thomas Brasch wie einen Fiebertraum in Schwarz-Weiß

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Ermöglicher und Aktivist Dem Regisseur und Theaterleiter Hartwig Albiro zum 90. Geburtstag. Ein Brief von Hasko Weber

freies theater

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Elisabeth Maier Zwischen internationalem und Nachbarschaftstheater Das Theaterhaus G7 in der Mannheimer Unterstadt fördert neue Dramatik aus Europa und setzt auf neue Publikumsschichten­

festivals

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Stephanie Metzger Keine Angst vor der Angst Eindrücke vom Spielart Festival in München

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Lara Wenzel Politische Spuren Die Leipziger euro-scene im ersten Jahr unter der neuen Leitung von Christian Watty

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Klaudia Ruschkowski Ich werde meinen Flug fortsetzen Zum Tod der Schriftstellerin, Theaterautorin, Malerin und Philosophin Etel Adnan

abschied

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inhalt

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look out

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Elisabeth Maier Die unbändige Lust am Bühnenabenteuer Schauspielerin und Regisseurin Swana Rode vom Badischen Staatstheater Karlsruhe

neuerscheinungen theater der zeit buchverlag

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Terzopoulos Tribute Delphi, herausgegeben vom Attis Theatre in Athen Exklusiver Vorabdruck

auftritt

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Berlin „Starker Wind“ von Jon Fosse (Thomas Irmer) 40 Cottbus „Feinstoff. Vier Versuche mit Seide“ (UA) von Lars Werner (Thomas Irmer) Frankfurt / Main „In letzter Zeit Wut“ von Gerhild Steinbuch (Björn Hayer) Neustrelitz „Solaris“ nach dem Roman von Stanislaw Lem (Thomas Irmer) Rostock „Das Wunder von Mailand“ nach dem Film von Vittorio De Sica in der Bearbeitung von Peter Zadek (Juliane Voigt) Stuttgart „Am Ende Licht“ von Simon Stephens (Otto Paul Burkhardt)

stück

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Dramödie der Enttäuschten Die Bielefelder Dramaturgin Franziska Eisele über ihre Bearbeitung von Oliver Bukowskis „Warten auf’n Bus“ im Gespräch mit Thomas Irmer

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Oliver Bukowskis „Warten auf’n Bus“

magazin

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Statt Corona-Stillstand wieder „Fast Forward“ Die Hybridausgabe des Dresdner Festivals für junge europäische Regie Was macht eigentlich die Helferei? Das Kulturhaus in Zürich begeht erkennbar andere und zukunftsweisende Wege Auferstanden aus der Pankower Heide Das NaturTheaterKollektiv erinnerte in einer Raum-Klang-Performance an einen vergessenen Fundort Berliner Theater­geschichte Trouble um das Bundesverdienstkreuz für Tobias Morgenstern Bücher Hannah Speicher, Aphra Behn

aktuell

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Meldungen

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Premieren

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Autorinnen und Autoren, Impressum, Vorschau

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Salomon Bausch im Gespräch mit Tom Mustroph 80

was macht das theater?

Titelfoto Johannes Ackermann und Ralf Paschke in Oliver Bukowski „Warten auf’n Bus“, Theater Bielefeld, Bühnenfassung von Franziska Eisele und Irene Wildberger, Regie Michael Heicks. Foto Joseph Ruben.

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Heiner Müller: „Der Auftrag“, Bochum 1982. Hans-Dieter Knebel (Galloudec Danton), Jürgen Holtz (Debuisson), Gottfried Lackmann (Sasportas Robespierre) Foto Erich Wonder, Akademie der Künste, Berlin, Erich-Wonder-Archiv


Heiner Müller: „Der Lohndrücker“, Berlin, Deutsches Theater, 1988. Hermann Beyer (Direktor), Michael Gwisdek (Schorn, Parteisekretär), Ulrich Mühe (Stettiner) Foto Sibylle Bergemann – Ostkreuz


William Shakespeare/Heiner Müller: „Hamlet/Maschine“, Berlin, Deutsches Theater, 1990. Ulrich Mühe (Hamlet), Margarita Broich (Ophelia) Foto Estate Sibylle Bergemann


Heiner Müller mit Erich Wonder während der Proben zu „Hamlet / Maschine“ im Parkett des Deutschen Theaters Berlin, 1990 Foto Maria Steinfeldt


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künstlerinsert

Bühnenräume für Heiner Müller Aus einem Erich-Wonder-ABC von Stephan Suschke ALTE MEISTER Heutiges Theater muss dem Publikum Geschichten erzählen, wie es die Alten Meister getan haben. Zuerst taten sie es für die Kirche und ihre Heiligen, dann für die Könige und ihre Herzöge, dann für die Großbürger und ihre Museen, schließlich nur noch für sich selbst. Aber alle mussten ihre Geschichten ins rechte Licht rücken. In der Absicht der Wirkung unterscheiden sie sich, in der Technik, das Licht wie ein Instrument zu behandeln, sind sie einander nahe: ­Altdorfer mit seinen Erzählungen kosmischer Weltlandschaften. Grünewald mit seinem existenziellen Zwielicht, Georges de La Tour mit seiner einzigen und deshalb einzigartigen Lichtquelle, Runge mit seinem Sphärenlicht, Millet, der seine Bauern dem Gegenlicht aussetzte (später wird van Gogh dunkle Kartoffelesser in wahnsinnig leuchtende Sonnenblumen verwandeln), William Turners Landschaftslichträume, Giorgio de Chirico mit seinen Schatten, die auf den heißen leeren Plätzen das Nichts braten, … Die Impressionisten gingen ins Freie und stellten dort ihre Staffeleien auf. Sie wollten das Licht malen, wie es das Auge wirklich sieht. Mark Rothko – vielleicht der wichtigste Farb/Licht-Maler der Moderne – und vor ihm Vermeer van Delft, der wahrscheinlich größte Lichtmaler überhaupt, der durch das Mischen der drei Grundfarben das weiße, realistische Licht entdeckt und damit den Kodacolor-Film-­ Effekt, der mir in meiner Arbeit für die Bühne ermöglichte, neue Dinge zu sehen, vorweggenommen hat – alle diese Bilder und Bildner waren die eine extreme Erfahrung mit dem Licht.

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AUFTRAG, DER – SCHAUSPIELHAUS BOCHUM Angriff auf das theatralische Wertesystem des Zuschauers: Das Auge des Betrachters, gewöhnt an den rechteckigen Ausschnitt (von Film, Fernsehen oder Theater), wird hier mit einer ungewohnten Form, dem Dreieck konfrontiert. Mit der Reduzierung des Rechtecks auf das Dreieck wird dem Betrachter die Einsicht in das Geschehen nur teilweise ermöglicht. Er wird auf sein voyeuristisches Verhalten, als Grundidee des ­theatralischen Vorgangs, hingewiesen und aufgefordert, sich dieser Neugierde uneingeschränkt hinzugeben und die unendlichen Möglichkeiten der Fantasie auszuschöpfen. Ich war ein oder zwei Jahre vor „Auftrag“ bei Heiner in seiner Ostberliner Wohnung und wollte einen Text für eine freie Aktion ­haben. Da hat er aus der Hose einen Zettel gezogen, auf dem er sich einen Traum notiert hatte: Ein Traum, in dem er zu Honecker musste. Ich habe versucht, den umzusetzen, das aber nicht geschafft. Aus diesem Wissen habe ich den Raum für „Auftrag“ erfunden, so ist das Stück für mich eigentlich entstanden. Die politischen Tatsachen in dem Stück haben mich überhaupt nicht interessiert. BEWEGUNG Die Statik ist für mich der Tod am Theater. Bewegung ist für mich umgesetzte Zeit. Ein Raum ohne Zeit, also ohne Bewegung, ist ein toter, lebloser Raum. Im Theater schien der rasche Szenenwechsel nicht möglich. Die raschen Wechsel, die Schnitte des Films, für das Theater umzusetzen, das hat mich gereizt … ERZÄHLEN Große Geschichten entstehen in den Köpfen der Betrachter. Geschichten erzählen, ohne sie darzustellen, ein Bild, ein Raum, ein Flug – gleichzeitig. Alles ist möglich: Der Betrachter wird hi­ neingezogen ins Geschehen, wird zum Bestandteil der Szene … Die wahren Geschichten sind nie die Hauptmotive, sie nisten in den Zwischenräumen. EIGEN-SINN Ich bin nie auf Heiner Müller eingegangen, sondern habe gemacht, was mir dazu einfiel. FARBE Monochrome Räume, die das Fliegen lernen – sich darin ver­ lieren, sich wälzen. … Das blaue Feld über dem Orange – das Tor zum Einstieg in die Träume, die Geschichte und die imaginären Reisen. Eintauchen in das Blau über dem Orange – die Farbe als fiktiver Raum, alles hinter sich lassend, den Begriff „Interpretation“ als sich selbst überholenden, sinnlosen Begriff über Bord werfend, versucht sie, Geschichten zu erzählen, ohne sie vordergründig sichtbar zu machen. FILM & THEATER Es gibt Medien, die eine Generation prägen können. Uns hat nicht das Theater geprägt, sondern der Film. Aber ich will Theater machen. Ich bin ein Kameramann, der Räume baut. Ich möchte mich in die Räume hineinzoomen. Ich will die Großaufnahme auf der Bühne. Deswegen sehe ich mich als Kameramann, der Räume baut, das Gegenteil von einem Architekten, der statische Bauten entwirft.


erich wonder

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Wir mussten radikaler vorgehen und den Bogen extrem spannen. Und mit allen Mitteln und Inhalten die Zuschauer bewegen und aufwecken, ihnen zeigen, in welcher Welt sie leben, auch, dass man Angst hat. GEHEIMNIS Ich versuche, Rätselbilder zu schaffen, die jeder für sich auch unterschiedlich deuten kann. Das Geheimnis wahren. Ohne Geheimnisse gibt es kein Leben und letztlich auch keine künstlerische Existenz. HAMLET/MASCHINE – DEUTSCHES THEATER BERLIN Das Deutsche Theater war gerade von der Regierung in Gold und rotem Samt renoviert worden. Wenn man auf den roten Samt gegriffen hat, war dahinter Beton. Es war alles billig im Lieblingstheater von Honecker. Aber es hat mich interessiert, darauf zu reagieren. Deshalb habe ich das Theater gestört. Ich wollte es ein bisschen ­kaputt machen. Ich hab eine Eisenschiene gebaut, die ging von der Hinterbühne bis zum Lüster in der Mitte des Zuschauerraums. An dieser Schiene fuhren Wagen mit wahnsinnig grellem Licht und Lautsprechern. Das hat wahnsinnig gerattert und Lärm gemacht, mit einer Kette, über den Zuschauern, gegen den Samt und den Brokat. Heiner hatte ein Konzept: Vom Eiswürfel zum Brühwürfel, wie wir im Spaß gesagt haben, oder von der Eiszeit bis zur Klimakatastrophe. In der Mitte war „Hamlet/Maschine“ eingebunden, aber während uns zu „Hamlet“ von Shakespeare sehr viel einfiel, mussten wir beide bei seinem eigenen Stück passen. INTERESSE Mich interessieren nicht die Inhalte des Stücks, sondern die Situation. Gehörtes, Gedachtes und Gesehenes für sich vollkommen neu erfinden und damit leben. Eine Reise, als Ausbruch aus dem Ghetto des festgefrorenen ästhetischen Augenblicks. KATASTROPHEN Katastrophen spielen für den Künstler eine andere Rolle als für den Profitunternehmer. Katastrophe und Chaos setzen Energien frei, aus denen der Traum wächst wie Phönix aus der Asche: Der Künstler als fliegender Herrscher in der Freiheit der Visionen und als Gefangener einer unüberwindbaren Realität. LEBEN Wichtig war, Räume zu schaffen, in denen Schauspieler zwei Stunden oder mehr leben konnten. Das war dann deren Welt. Und diese Welt stand in einem ganz genauen Verhältnis zum Zuschauerraum. LICHT Wenn ich über Licht nachdenke, so bedeutet das für mich die Beschäftigung mit zwei extrem unterschiedlichen Erfahrungen: das Ergebnis des Lichts in Bildern wie sie in den Museen hängen und die direkte – körperliche und psychische – Begegnung mit Licht, wie es in meiner Umwelt auftritt. Ewiges Wechselspiel zwischen blendenden Lichtschleusen und extremer Finsternis. Nie völliger Tag – nie völlige Nacht. LOHNDRÜCKER, DER – DEUTSCHES THEATER BERLIN Man sieht nie einen Ort direkt, immer nur die Spiegelung eines Ortes, die dann auch wieder verschwindet. Es soll ein magischer Raum entstehen, der vielleicht noch ganz andere Dinge erzählen kann. MANIPULATION Der Zuschauer wird in das Geschehen hineingezogen, geht in den

Raum hinein, sein Blick wird festgenagelt, ohne sein besonderes Zutun. Ich orientiere das Auge, lasse den Betrachter nicht frei. Die Vorgänge werden mit dem Regisseur und den Schauspielern so komponiert, dass Einstellungen entstehen. REISE Ich wollte immer Stücke machen, die eigentlich Reisen waren, egal, ob das Reisen ins Innere waren oder nach draußen. SEHEN Schule des neuen Sehens: Verwandlung der Räume in Erfahrung & der Erfahrung in Räume, Dimensionen und Dinge. Der Raum formuliert Emotionen, Gefühle, Stimmungen. Keine Dekorationsfunktionen. Räume, die Geschichte haben und Geschichte machen werden. Der neue Raum ist real gewordene, lebbare, emotional-assoziative Utopie. THEATER Theater ist eine Flucht, ein Abenteuer, eine Reise in eine andere Realität … Theatererlebnis als Eintauchen in eine theatralisch ,fixierte‘ Zeit – eine in sich geschlossene, künstliche Zeit, zu deren Realität auch immer die innere Zeit der Träume und Erinnerungen gehört. TRISTAN UND ISOLDE – BAYREUTHER FESTSPIELE Da „Tristan“ eine Oper ist, in der die Story nebensächlich und in drei Minuten erzählt ist, habe ich versucht, meditative bzw. monochrome Räume zu machen. Ich wollte die monochrome Malerei Mark Rothkos in Raum und Bewegung umsetzen. WIRKUNG Die Sehnsucht, einen Theaterabend nicht zu illustrieren, sondern Sprache, Bilder und Bewegung aufzunehmen, um sie später, vielleicht nach Wochen, im Kopf neu zu erleben und mit diesem Glücksgefühl eine Weile zu verbringen. ZEIT Lange zusehen, was passiert. Räume allein regieren lassen. Warten können. Ruhe kann Raum erzeugen. Einen weiten Raum. Durch die Ruhe beginnen sich die Formen zu bewegen. Die Grenzen lösen sich auf, die Realität … In der DDR gab es ein anderes Zeitmaß. Das hat mich am Anfang völlig irritiert. Wenn Freunde von Heiner im Zuschauerraum saßen, hab ich mich davorgestellt, sodass sie nichts sehen konnten. Jemand aus dem Westen hätte sich umgesetzt, um sehen zu können. Die aber blieben sitzen und haben in meinen Rücken geschaut. Manchmal eine halbe Stunde lang. Aber sie hatten Zeit. Und Heiner Müller hatte auch Zeit, auch ein anderes Zeitverhältnis. Das sieht man auch am „Tristan“. Er hatte keine Eile zu inszenieren, sondern hat gewartet. ZWISCHENRÄUME Räume zwischen den Dingen sind wichtiger als Räume im Zentrum. Erich Wonder, geboren 1944 in Jennersdorf, Burgenland, schuf ab 1978 zahlreiche Bühnenbilder u. a. für Ruth Berghaus, Luc Bondy, Heiner Goebbels und mehrfach für bedeutende Inszenierungen von Heiner Müller.

Ausstellung

„ERICH WONDER – T/RAUMBILDER FÜR HEINER MÜLLER“ Akademie der Künste Berlin, Pariser Platz 4, 16. Januar bis 13. März 2022

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Beben in der Bundeshauptstadt Roger Vontobel glückt zum Neustart an den Bühnen Bern ein Bravourstück von Daniele Muscionico


bern

Mit der Spielzeit 2021/22 übernahm Florian Scholz die künstlerische Gesamtverantwortung der Bühnen Bern. Hier: Tom Kummers „Von schlechten Eltern“ in einer Inszenierung von Tilmann Köhler. Foto Iko Freese

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orhang auf in Bern! Alles soll anders werden, und der Name ist es bereits. In der schönen Schweizer Bundeshauptstadt steht mit der Intendanz von Florian Scholz nicht mehr das „Konzert Theater Bern“, wie sich das Haus seit der Fusionierung von Stadttheater und Symphonieorchester etwas betulich nannte. Flott hat man es in „Bühnen Bern“ umgedichtet und ein Zeichen gesetzt, dass unter dem 2017 teuer sanierten Dach vier starke, unabhän­ gige Sparten funktionieren sollen. Die überzeugendste Sparte, und das freut die Bernerinnen und Berner besonders, ist seit dieser Spielzeit das Schauspiel. Man hat hier zur Saisoneröffnung eine „Maria Stuart“ erlebt, bei der die Münder offen blieben. Die Darstellerinnen und Darsteller, bis in die letzte Nebenrolle überragend besetzt. Vielbeachtet, viel beklatscht, mit diesem Auftakt erobert Roger Vontobel sein Publikum nach Punkten. Allein die Bühne von Olaf Altmann besaß in ihrer kühnen Reduktion und Erhabenheit preiswürdiges Potenzial. Mit Yohanna Schwertfeger als Maria und der Antipodin Isabelle Menke als Elisabeth I. glückte Vontobel ein eindringliches und intelligentes Stück über männliche Machtstrukturen, in welchen Frauen unabhängig von Stand und Funktion instrumentalisiert und zerrieben werden. Mochte Menkes Elisabeth von sich behaupten „regiert zu haben wie ein Mann und wie ein König“, die Männer-Mühlen und Machenschaften der Mortimers dieser Welt mahlen zuverlässig – klein. Die Vergeblichkeit von Frauen, Macht und Autorität zu beanspruchen, trieb Vontobel dem Publikum schmerzhaft ins Bewusstsein. Dass die Schweiz das letzte Land Europas war, das ihren Bürgerinnen das Stimmrecht und das Wahlrecht zugestand, passte als historische – und zeitgenössische – Folie von „Maria Stuart“ perfekt. Auf der Bühne richteten sich alle Augen auf eine, die wie Schwertfeger neu im Ensemble ist, Lucia Kotikova in der Rolle des Staatssekretärs Davidson. Sie ist mit 22 Jahren blutjung, kommt frisch von der Schauspielschule in Hannover, Bern ist ihr erstes Engagement. Kotikova kann ihr Innerstes in ihrem Gesicht offenlegen, und es braucht kein Orakel, um zu wissen, dass hier der Schweiz eine neue Ausnahmeschauspielerin erwächst. Jenseits der Neuentdeckung Kotikova bot „Maria Stuart“ eine überragende Ensembleleistung, bei der Licht (Christian Aufderstroth), Livemusik (Keith O’ Brien) und Schauspiel perfekt ineinandergriffen. Insider meinten sogar, dass der Regisseur mit seiner Eröffnungsinszenierung gut und gern die Leistung der gefeierten „Don Carlos“-Arbeit in Dresden 2010 erreicht. Dazu schenkte der neue Schauspielleiter der Stadt auch eine ganz andere Handschrift und Theaterfarbe: Sein alter Spezi Tilmann Köhler und die Chefdramaturgin Felicitas Zürcher

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­ rachen mit einer Uraufführung in den Vidmarhallen ein angeb hendes Berner Kultstück vom Zaun: „Von schlechten Eltern“, eine Fassung des gleichnamigen autobiografischen Romans des Berner Bad Bad Boys und ehemaligen Hollywood-Journalisten Tom Kummer. Köhler hat die Figur des narzisstischen angeschlagenen Protagonisten, Tom, dreifach besetzt; ein kluges Prinzip, mit dem er seine Art von modernem Männersterben in einen thematischen Bezug stellt zu Schillers „Maria Stuart“.

DIE THEATERHAUS JENA gGMBH SUCHT ZUM BEGINN DER SPIELZEIT 2022 / 23 EINE*N KAUFMÄNNISCHE*N GESCHÄFTSFÜHRER*IN Die kaufmännische Geschäftsführung vertritt gemeinsam mit der künstlerischen Geschäftsführung die Belange der Theaterhaus Jena gGmbH nach innen und außen. Sie sorgt für die finanzielle und administrative Absicherung der künstlerischen Ziele. Weitere Informationen: www.theaterhaus-jena.de/jobs Bitte senden Sie Ihre vollständigen und aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen in einem PDF-Dokument zusammengefasst bis zum 28.01.2022 an die Adresse: personal@theaterhaus-jena.de Bitte benutzen Sie diese Adresse auch für Rückfragen.

„Maria Stuart“ in der Regie von Roger Vontobel. Foto Yoshiko Kusano

Eine entschiedene, starke und dramatisch klug gesetzte Saisoneröffnung also. Zu erwarten war sie nicht, denn über dem größten Vierspartenhaus der Schweiz, und insbesondere über der Sparte Schauspiel, steht seit Längerem kein Glücksstern mehr. Als Intendant und vor allem als Schauspielleitender wurde man hier in der Vergangenheit nicht alt. Oder dann nicht glücklich. Doch jetzt ist er Hauptstadt-reif, der Zürcher Roger Vontobel, und der hat bekanntlich ein Gefühl für Menschen. Für seine Zeitgenossen auf und vor der Bühne. Klar, er ist ein Idealist. Alles, was an Postdramatik riecht, darf man nicht von ihm erwarten. Doch zu erwarten war ebenso wenig, dass einer mit Jahrgang 1977, dreifacher Vater und erklärter Familienmensch, diesen Schritt zurück tut – und der Schweiz eine zweite Chance gibt. Mit dem Blick eines Vaters gibt er denn auch unumwunden zu: „Was Familienpolitik betrifft, bin ich sehr enttäuscht von der Rückständigkeit der Schweiz.“ Das Thema Familienpolitik wird in der kommenden Spielplangestaltung einen wesentlichen Aspekt darstellen. Viel will er, der Neue, und er traut es sich zu. Beispielsweise reizt ihn, das nivellierende Prinzip des Kompromisses, wie er typisch für die Schweiz ist, mit dem Exzessiven des Theaters zu verbinden.


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„Der Kompromiss hat ganz klar auch etwas mit meiner Schweizer Seele zu tun.“ Den Job des Intendanten will und muss er erst lernen. Doch das Entscheidende in der Agenda von Vontobel ist bereits ausgemacht. Er will mit seinem Dramaturgenteam, Felicitas Zürcher als Chefdramaturgin, Michael Isenberg und Julia Fahle, ein Wir-Gefühl zwischen Stadt und Theater entwickeln. Es wird sich um ein neues, ein unbekanntes Gefühl handeln, denn zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Bühne gibt es seit Längerem ein Fremdeln. Deshalb auch „Maria Stuart“ in der Kommune, in der die politischen Entscheide des Landes gefällt werden – mit Konsequenzen bis weit über das Land hinaus. Doch jenseits seines Interesses, gemeinsam mit dem Publikum über die politischen Entscheidungsfindungsprozesse und Machtmechanismen in der Schweiz nachzudenken, Vontobel geht es um Grundsätzlicheres. Mit der anerzogenen Höflichkeit des Eidgenossen sagt er es so: „Ich würde mir wünschen, die gesellschaftliche Notwendigkeit des Theaters im Bewusstsein von Bern und der Schweiz zu etablieren. Ich möchte das Grundverständnis zurückbringen, dass das nicht unser Haus, sondern das Haus der Stadtbevölkerung ist.“ Denn ein Unterschied zu Deutschland und Österreich fällt ihm in seiner neu-alten Heimat sehr wohl auf. „Hier wird gefragt: Wieso brauchen wir Theater? Wieso bezahlen wir mit unseren Steuergeldern etwas, was nicht mit uns zu tun hat?“War ihm denn die mäßige Liebe seiner Landsleute für die darstellende Kunst nicht bewusst? „Meine ganze Theatersozialisierung hat jenseits der Schweiz stattgefunden“, meint er. Informiert von alten Schweizer Weggefährten war er schon, dennoch: „Ein bisschen überrascht bin ich in der Tat.“Der Umstand hält ihn nicht davon ab, an einen Aufbruch zu glauben: Er schwärmt von flachen Kommunikationsebenen des Hauses und der Freiheit, die er innerhalb der komplexen Struktur genießt. Sogar das Adjektiv „autark“ fällt ihm dazu ein, wenn er von seinem „Theater im Theater“ erzählt. Er erlebt die Struktur groß genug, um einiges zu stemmen, aber klein genug, um sie im Team zu durchblicken, zu bewältigen und im Kleinen auch zu verändern. Beispielsweise träumt er davon, dass die Vidmarhallen als neuer Quartiertreffpunkt, als Begegnungsstätte und Public-OpenSpace genutzt werden; und er hat auch ein neues Format ausgeheckt, das „Schauspiel mobil“ heißt. Das könnte als Open-Airoder als Pop-Up-Theater überall funktionieren, an Dorfrändern, auf Wiesen, in Hotels, wo immer man das Theater willkommen heißt. In der ersten Spielzeit emigrierte man mit der Inszenierung „Der talentierte Mr. Ripley“ in eine architektonisch visionäre 50er-Jahre-Genossenschaftssiedlung außerhalb von Bern, später dann in das legendäre Fünfsterne-Hotel Bellevue im Zentrum. Nächstes Jahr soll die zweite mobile Inszenierung open air stattfinden: Der Bündner Schauspieler und Regisseur Bruno Cathomas will als Pop-Up-Theater „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz inszenieren. Die Premiere soll in einem Landgut außerhalb von Bern stattfinden, in einem Anwesen, von dem die reiche und geschichtsträchtige Stadt Beispiele zuhauf hat. Hätten die Menschen mit ihrer großen Vergangenheit als Bürger nur das Bewusstsein für die große Gegenwart des Theaters, Bern wäre dann wohl nicht Bern. Roger Vontobel hat sich mit seiner Theatermissionierung der alten Heimat einen Brocken vorgenommen. Kompromisse, wie sie das Land liebt, wird er nicht durchgehen lassen. //

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LA VALLÉE DE L’ÉTRANGE

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Stefan Kaegi / Rimini Protokoll MIT DEUTSCHER ÜBERSETZUNG

FILME PODIUMSDISKUSSIONEN WORKSHOPS

HAPPINESS Dries Verhoeven

CONTES ET LÉGENDES Joël Pommerat / Compagnie Louis Brouillard

MAN STRIKES BACK Post uit Hessdalen

TANK Doris Uhlich

MAILLON.EU

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Das neue Volkstheater der Meininger Unter Schauspielchef Frank Behnke knüpft das Haus mit „Julius Caesar“ und „Antigone“ zeitgemäß an große Traditionen an

von Michael Helbing

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ir haben sehr gelacht, als sich Hans-Georg Maaßen mal wieder in Populismus versuchte. „In Südthüringen“, twitterte der Ex-Präsident des Verfassungsschutzes in den Mai hinein, „lebt ein starkes, liebenswertes, aber durchaus auch selbstbewusstes und wehrhaftes Volk, das allergisch auf Ratschläge und Weisungen aus Rom, München oder Ost-Berlin reagierte. Auch wenn sie von ­Julius Caesar persönlich kamen.“ Nun ist es historisch unmöglich, dass Suhl, SchmalkaldenMeiningen, Hildburghausen und Sonneberg, wo sich ein extrem rechtskonservativer Maaßen als CDU-Direktkandidat vergeblich um ein Bundestagsmandat bemühte, jemals Weisungen Caesars erhielten. Es sei denn: auf dem Theater! Hier stand Shakespeares „Julius Caesar“ am Beginn einer Tradition. Georg II. von Sachsen-Meiningen, gleichsam Erfinder des Regie- wie des Ensembletheaters, ließ die Tragödie erst-

mals 1867 spielen; beim Berliner Gastspiel 1874 später begründete sie den eineinhalb Jahrzehnte währenden Ruhm der ­Meininger in Europa. Und schon 1866, kurz nach Amtsantritt, sorgte der „Theaterherzog“ für die „Antigone“-Erstaufführung in der Neuzeit. Lang ist’s her. Aktuell stehen beide Stücke wieder auf dem Spielplan, und zwar so, als begründeten sie neuerlich eine Tra­di­ tion: die einer Neudeutung des Volkstheaters im Staatstheater. Denn das Volk ist der Staat (wenn auch nicht dessen Apparat). Es ist der Souverän. Und also, dekretierte schon Vicco von Bülow alias Loriot, der in Meiningen einst eine Oper inszenierte und dessen Vorfahre Hans von Bülow hier Hofkapellmeister war, „ist die Zielrichtung der Satire der Wähler!“ Der neue Schauspieldirektor, Frank Behnke,

Nicht erziehen, aber herausfordern: Frank Behnke beginnt als Schauspielchef in Meiningen mit dem Doppelabend „Julius Caesar/ Die Politiker“. Foto Jochen Quast


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zielt auf diesen im Satyrspiel, in das er die Tragödie münden lässt: Sein Ensemble aus „Julius Caesar“, worin wankelmütiges Volk als Mob und Schafherde gilt, findet sich nach großer Schlacht bei Philippi in Wolfram Lotz’ absurde Pirouetten drehendem Sprechtext „Die Politiker“ wieder. „Die Politiker die Politiker die Politiker“, raunte die „Masse“ chorisch schon mal kurz, nachdem sie Caesars Triumph über jenen Pompeius zujubelte, dem sie zuvor zugetan war. Nun ­ ­verflucht und bestaunt sie in neurotischen und psychotischen ­Abwärtsspiralen eben jene, mit denen sie so wenig anfangen kann wie ohne sie: „Da stehen wir jetzt also wieder, allein. – Da! Gott sei Dank: Die Politiker kommen wieder rein.“ Wenn aber „ein Zwerg erscheint, von scheußlicher Gestalt“, trägt einer eine Maske des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke, der „unser liebes Volk“ bereits in „gallische Dörfer“ hineinschwafelte. Seiner AfD bescherte die Region jüngst den Wahlkreissieg bei den Zweitstimmen, wenn sie auch lieber einen heimischen Biathleten mit SPD-Ticket direkt in den Bundestag wählte. Wohl auch solcher Stimmungslage wegen kam der Niedersachse Frank Behnke mit leicht mulmigem Gefühl und enger werdendem ­Herzen hierher. Zehn Jahre lang war er Schauspieldirektor in Münster, wo es allein doppelt so viele Studenten gibt wie in ­Meiningen Einwohner. Zudem ist dies für den 59-Jährigen – „ein total westsozialisierter Theatermensch“, Dramaturg und Regisseur in Wilhelmshaven, Osnabrück, Celle, Nürnberg, Hamburg – die Erstbegegnung mit einem Theater im Osten. Verpflichtet hat ihn Jens Neundorff von Enzberg, 55: ein Junge aus Südthüringen zwar, der als Musikdramaturg in Meiningen begann, nun jedoch als Intendant von Regensburg hierher wechselte und nach insgesamt zwanzig Jahren überhaupt ziemlich westsozialisiert wirkt. Der Regensburger Presse erklärte er zum Abschied, einem Zeitungsbericht zufolge, die „komplett andere Mentalität“ der Thüringer. „Unter Demokratie werde dort verstanden: Ich kann über alles meckern, aber wenn ich Verantwortung übernehmen soll, verweise ich auf den Chef.“ Ungefähr so nehmen sich auch sechs Clownsfratzen in roten Kapuzenshirts aus, die mit Rasseln im Zuschauerraum ­ ­lärmen. Sie gehen erst der Rhetorik des Brutus (Lukas Umlauft) auf den Leim, zu der sich dieser überwinden muss, um das „­Gemeinwohl“ über seine Liebe zu Caesar zu stellen, den er mitmordete. Dann erliegen sie der demagogischen Trauerrede des Marcus Antonius (Miriam Haltmeier), der sie vom Gegenteil überzeugt und in den nächsten Bürgerkrieg hineinlamentiert. Eine Inszenierung später, der „Antigone“, die Elina Finkel in den Kammerspielen besorgt, verachtet König Kreon (Gunnar Blume) „zum Wohl des Staates“ einen jeden, „wenn ihm ein Freund mehr als ein Land bedeutet.“ Volkes Stimme, in einem in zwei altklugen Frauen an der Fensterbank aufgelösten Chor von Evelyn Fuchs und Anja Lenßen enorm präsent gestaltet, hält ihn für so vernünftig wie seinen Sohn, Haimon (Marcus Chiwaeze), der beschwörend dagegenhält. Derart subtil legt sich das Theater zum Auftakt der neuen Ära nicht mit dem Publikum im Besonderen an, das Behnke ­dessen Ruf und auch der Pandemie zum Trotz als „extrem gierig auf Theater“ erlebt, wohl aber mit dem Volk im Allgemeinen. Nachdem ihm in diesem „Ausnahmetheater“, das der Nabel der

meiningen

Stadt ist und sehr gut ausgestattet obendrein, das Herz wieder aufging, will Behnke die Leute weder erziehen noch verschrecken, herausfordern und „ein Risiko eingehen“ aber durchaus. Das zahlt sich alles in allem bislang aus, in zwei zumindest für dieses Vier-Sparten-Haus wegweisenden Aufführungen, die Tradition mit Zeitgenossenschaft verbinden und verschiedene Schichten in der Handlungs- wie der Entstehungszeit der Stücke freilegen, jedenfalls durchschimmern lassen. Über Frank Alberts weiter, in Teilen drehbarer Bühnenschräge für „Caesar“ thront und droht ein in alle Richtungen ­beweglicher Lichterkranz: eine, nun ja, Corona, eine Krone zwischen Machtwechsel und -vakuum, durchaus nicht so standhaft wie der Stern des Nordens, als den Caesar sich behauptet. Der ist bei Vivian Frey ebenso ein sich zur Alleinherrschaft aufplusternder Durchschnittsmensch und Parvenü ohne natürliche Autorität wie später der Kreon von Gunnar Blume. Matthias Schuberts ­metallischer Sound dröhnt und quietscht dazu wie ein Echo aus grauer Vorzeit. Ähnlich tönt es in der „Antigone“, die sie in Heinz Oliver Karbus’ moderner Übertragung sprechen, was das Nähe-DistanzSpiel mit dem Stoff leider einebnet. Vesna Hiltmann aber hat dem Abend eine Kulisse zwischen antikem Tempel und unserer Zeit gemäßer Hauswand mit vier großen Fenstern gebaut, auf und hinter der sich eine Szene aus dem syrischen Bürgerkrieg manifestiert. Das schiebt sich uns entgegen, als sie Antigone ein­ mauern. Derart rückt eine Ferne, in der ein göttliches (letztlich auch menschengemachtes) Gesetz mit dem des Staates streitet, näher an uns heran als durch jede Aktualisierung. In „Caesar“ spielen nicht nur Protagonisten auch Masse, die Politiker wanken und kriechen darin zudem selbst, kommen gar wie Plebejer daher: der ungeschliffen grobe Cassius des ­Stefan Willi Wang oder der nölige Casca des Leo Goldberg etwa. Goldberg taucht wieder als Antigones Bruder Eteokles auf, der seinerseits den staatsfernen Wächter mimt (und Teiresias auch), während der Polyneikes des Jan Wenglarz, so blutbeschmiert wie Vivian Freys Caesar, aus dem Boten einen listigen Kobold macht. Die Toten, mag das heißen, sind unter uns, und alle Macht ist auf Zeit verliehen. Als Meininger Entdeckung darf aktuell Miriam Haltmeier gelten, eine unter zehn Neuen im achtzehnköpfigen Ensemble. Die Schauspielerin hat den Vorteil eines vermeintlichen Nachteils: Sie misst 1,86 Meter. Überragend und auffallend spielt sie aber nicht allein deshalb. Ihren Marcus Antonius legt sie als Meister der Verstellung an, der Charisma daraus bezieht, sich für uncharismatisch zu halten und sich gleichsam selbst zur Radikalität verführt. Ihre Antigone spielt sie kompromisslos, aber mit brüchiger Fassade. Das hat immer einen hohen Ton, Zwischentöne aber auch. Sie ist jene, die uns anrührt und befremdet zugleich. Sie ist das archaische Prinzip, die unzeitgemäße Figur, die den Tod nicht fürchtet. Nur, dass die Regie sie leider nie ins Unrecht zu setzen vermag, Kreon hingegen, einen unbeherrschten Herrscher, von Anfang an. Derart kann das Volk keine Tragödie ­empfinden; es wendet sich ab und knetet, in der Gestalt der beiden Chorfrauen, an der Tafel einer Totenfeier weiter in seinem privaten Teig. //

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neustart

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Powern für Beachtung Die heimliche Erzgebirgshauptstadt Annaberg-Buchholz auf dem Weg zu einer sächsischen Theaterhauptstadt

von Michael Bartsch

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n die Häuserzeile am Fuß der ansteigenden Buchholzer Straße passt das Annaberger Winterstein-Theater auf den ersten Blick nicht. Mit seiner beeindruckenden neoklassizistischen Fassade scheint das Gebäude die einengenden benachbarten Bürgerhäuser beiseite drücken zu wollen. Unvermutet setzt es einen sehr urbanen Akzent in der eher beschaulichen Erzgebirgsarchitektur. Aber Annaberg fühlt sich wegen seiner Lage, der Bergbautradition oder mit seiner imposanten Annenkirche ohnehin als Quasi-Hauptstadt des Erzgebirges. Die eben 1893 auch eine Bühne brauchte, zunächst getragen von einer bürgerlichen Theatergemeinschaft. Das Zwei­ spartentheater trägt seit 1981 den Namen des Schauspielers Eduard von Winterstein aus der Gründerzeit des Hauses. Auch als Geimpfter wird man in diesen angespannten Seuchenzeiten nicht ohne Weiteres zu einem Interview eingelassen. Etwa 800 Meter aufwärts, im „Erzhammer“ am Markt, gibt es ein Testzentrum. Nur eine einsame Fichte und eine kahle Pyramide erinnern an den sonst um diese Adventszeit einladenden populärsten Weihnachtsmarkt des Erzgebirges. Auch das Theater hat pflichtgemäß geschlossen. Der neue Intendant Moritz Gogg achtet auf 2G+ bei Besuchern und ist stolz darauf, dass das Sicherheitskonzept bislang erfolgreich war. Weder bei den Beschäftigten noch beim Publikum ist ein Coronafall bekannt. Ungeachtet der erneuten Restriktionen wirkt der Intendant recht stolz oder zumindest optimistisch. Er spricht nur gut über seinen langjährigen Vorgänger Ingolf Huhn, aber hält auch mit seinen Ambitionen nicht hinter dem hier wörtlich zu nehmenden Berg. Der 47-jährige gebürtige Grazer Moritz Gogg fällt mit seiner leichten österreichischen Dialektfärbung nur wenig unter der stark lautverschobenen Mundart der Arzgebirger auf. Vor allem aber bringt er mit seinem Netzwerk und seinen persönlichen Erfahrungen in Europa einen frischen, aber auch verstörenden Hauch von Internationalität in die geschlossene Veranstaltung Erzgebirge. Als Pianist war er Preisträger beim Wettbewerb „Jugend musiziert“, als Bariton sang er an zahlreichen deutschsprachigen Bühnen, darunter einen Papageno an der Dresdner Semperoper. Nach den zwölf Jahren an der Staatsoper Hamburg, dem Brucknerhaus Linz und der Operndirektion und KBB-Leitung in Gießen avancierte er 2021 zum Intendanten in Annaberg. Mitgebracht hat

er einen ähnlich weltläufigen Generalmusikdirektor. Jens Georg Bachmann studierte nicht nur in New York, sondern dirigierte auch an der Metropolitan Opera, sprang dort für James Levine ein. Von den USA über Schweden und mehrere deutsche Städte bis nach Zypern spannt sich der Horizont seiner Engagements.

Auftrag: Mehr überregionale Beachtung Die seit Spielzeitbeginn in der Umsetzung befindlichen Pläne der neuen Hausleitung legen spontan die Frage nahe, ob die konservativen Bergbewohner sie auch goutieren werden. Denn diese erste Spielzeit Moritz Goggs bietet mehr als einen für solche Wechsel typischen Anwärm- und Einschleichspielplan. Geschickt versucht der neue Intendant den Spagat zwischen Vertrautheit und Herausforderung, zwischen Freundlichkeiten für die Einheimischen und Ködern für die erhoffte überregionale Aufmerksamkeit. Denn die ließ bislang zu wünschen übrig, wie auch im Metropolenghetto gefangene Kulturjournalisten einräumen müssen. Zur Uraufführung von „Seit Beginn der Wetteraufzeichnung“ im Oktober beispielsweise erschien kein überregionaler Kritiker, obschon dieses auf einen unterhaltsamen Partyraum komprimierte Welttheater der Globalkrisen beide Aspekte vereinigt. Es erregt schon beinahe Verdacht, wie überaus lobend sich Gogg über seine neue Heimat äußert. Das politisch fest in blauer Hand befindliche Erzgebirge, neben der Lausitz, der Sächsischen Schweiz oder Mittelsachsen bundesweiter Rekordhalter beim Anteil Ungeimpfter und bei den Infektionszahlen, werde zu Unrecht so negativ wahrgenommen. Den Brandanschlag auf drei Autos des Theaters vom November 2019 hat Moritz Gogg allerdings noch nicht erlebt. Vermutet wurde damals ein Zusammenhang mit „Cabaret“, „Lola Blau“ und einem Stück zu Auschwitz im Spielplan. Unverdrossen nennt der Intendant seine neuen Nachbarn „toll und großartig“ und spricht von einer „sehr freundlichen Bevölkerung“. Beeindruckt ist er dabei insbesondere von den Theateranhängern. Er spüre an der Resonanz trotz der Reduzierung der 300 Plätze um ein Drittel, trotz der beschwerlich einzuhaltenden Auflagen anhaltende Treue und Interesse. „Da sind wir wirklich von Glück gesegnet!“ Noch scheint sich außer einer gewissen Skepsis in der Regionalpresse niemand darüber zu beschweren, was er mit ihnen vorhat. Die Maximen, die er selbst bei seiner Bewerbung formuliert hat und die auch vom Träger, der Erzgebirgischen Theater- und


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Orchester GmbH ETO gewollt sind, gehen einerseits auf das Stammpublikum zu, fordern aber auch Flexibilität. Moritz Gogg nennt zwei Eckpunkte: „Ich komme mit internationalen Beziehungen und möchte das Haus nach Maßstäben der großen Häuser führen!“ Und er möchte neue, zeitgemäße Ästhetiken nahebringen, die auch junge Erwachsene ansprechen. Überdies hat er ein Spielzeitmotto gewählt, das die Orien­ tierung verdeutlicht: „Werden wir menschlich gewesen sein?“ Im Gespräch übersetzt er es so: „Wirklich gute Kunst geht Hand in Hand mit Menschlichkeit und gutem Umgang.“ Über den Umgang miteinander im Team zumindest freut er sich schon einmal ehrlich. Die Ansprache gesellschaftlicher Werte sollte aber „diplomatisch und klug“ erfolgen. Denn selbstverständlich gelte ebenso ein Unterhaltungsanspruch des Publikums. Diesem genügen Klassiker und Ohrwürmer wie Humperdincks „Hänsel und Gretel“, leider im Kuschelmonat Dezember nun wieder im coronabedingten Aufführungsstau. Zu den vertrauteren Publikumsstücken hätte Ende November gewiss auch „Orson Welles probt Moby Dick“ gehört. Die Premiere von Schillers „Kabale und Liebe“, geplant am 9. Januar, ist ebenfalls verschoben worden. Kaum in Gefahr dürften ab Juni der „Räuber Hotzenplotz“ und der „Herr der Diebe“ auf der Naturbühne Greifensteine sein. Zur Kategorie der Alleinstellungsmerkmale, der Werke, „die es nur hier gibt“ und mit denen auswärtige Besucher angelockt werden sollen, zählen im Frühherbst noch möglich gewesene Premieren. Um die erste Theaterkomödie des Drehbuchautors Martin Rauhaus „Seit Beginn der Wetteraufzeichnung“ hatten sich mehrere Bühnen beworben, berichtet Intendant Gogg. Annaberg hatte die Nase vorn. Die ziemlich bemühte Einweihungsparty eines Luxusbungalows von Unternehmer Harry und Frau gerät im ersten Teil des Stücks noch zu einer halbsteifen und akademisch überladenen Diskussion um alles, was derzeit das apokalyptische kollektive Unterbewusstsein bestimmt. Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Rechtsextremismus und Nationalismus, Rassismus,

Komprimiertes Welttheater der Globalkrise: Wird Annaberg-Buchholz mit Moritz Gogg zur sächsischen Theaterhauptstadt? Foto Dirk Rückschloß/ Pixore Photography

Gender-Blüten, Waldzustand und Meeresverschmutzung, alles wird gestreift. Ausgelöst durch Harrys Hinweis auf ein BunkerUntergeschoss, in dem maximal vier Leute im apokalyptischen Ernstfall zwei Jahre überleben können. Dorthin begibt sich die Partygesellschaft dann auch, aber Harry überlebt nicht einmal den eskalierenden Zoff dieser Gruppe. Man spürt das dramaturgische Geschick des „Tatort“-Autors Rauhaus. Das ist ebenso wenig billiger Boulevard wie das Sinnieren über die Rezeption bildender Kunst im bekannten Monolog „Nipple Jesus“. Dem Nachwuchs bietet das Winterstein-Theater die Münchhausen-Adaption „Ronny von Welt“ als Klassenzimmerstück. Im Musiktheater hält Annaberg für Insider und traditionelles Publikum Überraschungen bereit. Wer kennt schon die Opernfassung von Büchners „Leonce und Lena“ des Wiener Komponisten Erich Zeisl? Acht Vorstellungen immerhin konnte sie bislang erleben. Als „Bestattical“ etikettiert wird das schwarzhumorige „Sarg niemals nie“, im Untertitel ein „Musical zum Totlachen“, das jüngere Besucher anspricht. Eine deutsche Erstaufführung ist die Operette „Der reichste Mann der Welt“ von Hans Müller mit der Musik von Ralph Benatzky. Solche Entdeckungen überraschen wie die Fülle des Spielplans an einem relativ kleinen Theater insgesamt. Sie ist nicht allein mit dem bunten Angebot für die beliebte Naturbühne Greifensteine zu erklären. Zwischen Unterhaltung und dem Nachdenken über Werte und Glück gibt sich der neue Intendant sehr ambitioniert und vertraut auf die Potenzen von Ensemble und der Erzgebirgischen Philharmonie Aue. „Wir machen hier wirklich auf höchstem Niveau Kunst“, äußert er selbstbewusst. Sie möge bitte noch aufmerksamer registriert werden! //


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Leeres Theater Ein beunruhigender Report aus Belarus über die Situation der Theaterszene von Kirill Maksudov

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och nie hat mir Theater so viel Freude und Schmerz bereitet wie im letzten Jahr. Außerdem verspüre ich Wut. Ein Jahr ist vergangen, und ich kann mich immer noch nicht beruhigen. Jedes Mal, wenn ich irgendwelche vernünftigen Argumentationen höre oder lese, wie man sich im August 2020 hätte verhalten sollen, wird meine Wut stärker. Weil ich mich an die innere Leere der ersten Woche nach den Wahlen erinnere, wo man nicht wusste, wie es Verwandten und Freunden geht, was mit einem selbst passieren wird, und keine Ahnung hatte, was man nun tun sollte. Leere wird sehr leicht von Angst und Verzweiflung ausgefüllt. Ein Moment der Inspiration war der Appell der Künstler des Nationalen Janka-Kupala-Theaters in Minsk. Sie hatten sich in einem Moment zu einer politischen Äußerung entschlossen, als Schweigen weniger riskant war. Sicherlich hatten alle, die sich an diesem Appell beteiligten, unterschiedliche politische Ansichten. Was sie vereinte, waren ihr Zorn und ihre Verzweiflung. Sie redeten. Und für diejenigen, die sich nur durch Gewalt an der Macht

halten können, war genau das am schlimmsten. Deshalb war die Reaktion so schnell und entschlossen, wie es nur ging. In den Nachrichten hatten die Kupalaŭcy dazu aufgerufen, zum Theater zu kommen, wo ein Treffen mit einem Vertreter des Kulturministeriums stattfinden sollte. Ich fuhr zum Theater. Auf dem Rasen beim Diensteingang waren sehr viele Bekannte, Schauspieler und Mitarbeiter von Theatern aus der ganzen Stadt. Was genau da passierte, war nicht klar. Die Kupalaŭcy selbst waren drinnen, sie hatten eine weitere Versammlung. Sie entschieden über ihr Schicksal und wir, ihre Freunde, warteten, wozu sie sich entschließen würden. Die Atmosphäre war angespannt. Ich kann mich noch gut an dieses schmerzliche Gefühl einer fehlenden Führung erinnern, eines fehlenden klar artikulierten Willens, was jetzt zu tun wäre und wie. Genau das hatte die staatliche Propaganda uns allen zum Vorwurf gemacht: Wir hätten gehorsam ausgeführt, was uns unheilvolle „Puppenspieler“ vorgegeben hätten. Zugleich erinnere ich mich an diese Atmosphäre von Solidarität und Freundlichkeit. Das Ganze ähnelte einem Picknick am Wegesrand. Die Unruhe ließ nach, als ich sah, dass meine Freunde da waren. Es war einer der letzten Momente, wo wir alle zusammen waren.


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Am nächsten Tag gab es an dem Ort, wo die Vorstellung statt­ gefunden hatte, eine Polizeirazzia. Weitere öffentliche Premieren veranstalteten die freien Kupalaŭcy nicht, ihre Inszenierungen sind nur noch online zu sehen. Alle ihre Inszenierungen („Woyzeck“, „Furcht und Elend des Dritten Reiches“, „Paulinka“ und selbst das Kinderstück „Zwiebelchen“) sind hochaktuell, selbst wenn darin keine Balaklavas, Verhaftungen und Misshandlungen vorkommen. Die Regisseure und Schauspieler interessieren sich für den Charakter der Gewalt und Angst, die in der be­larusischen Gesellschaft herrschen. Genau deshalb haben sie einen endlosen Zulauf an ­Publikum. Die Pandemie hat die Produktion von Online-Inszenierungen zu etwas ganz Gewöhn­lichem gemacht, gerade rechtzeitig, als es zu einer Frage der ­Sicherheit wurde. Das Kamerateam wird im Abspann nicht genannt, nur die Künstler, die im Visier stehen. Das Theatergebäude in Minsk stand indes lange Zeit leer. Ein paar Schauspieler waren geblieben, aber um wieder spielen zu können, mussten Vorsprechen organisiert werden, zu denen nicht ein einziger anständiger Schauspieler kam. Schlussendlich kündigte das Ensemble, das aus einigen alten und neu rekrutierten Schauspielern und Studierenden bestand, ihre erste Inszenierung an. Das wollte ich mir ansehen. Es war eine sehr schwierige Erfahrung, und das nicht einmal, weil sie schlecht gespielt hätten. Sondern weil das Premierenpublikum völlig beliebig wirkte. Die Leute applaudierten an den falschen Stellen. Bei einer guten Vorstellung wird das Publikum zu einer Art Einheit, aber hier hatte man das Gefühl, dass die Schauspieler vor einem leeren Saal spielten.

Die vierfache Marie in „Woyzeck“ vom Theater Kupalaŭcy in Minsk. Foto Theater

Das Gespräch mit dem Minister verlief schlecht. Das Ensemble hatte fast vollständig gekündigt. Es verschwand aus den Nachrichten. Aber ich wusste, dass es heimlich an einer Inszenierung ­arbeitete. Im September 2020 sollte zum hundertjährigen Jubi­ läum des Thea­ters das Stück „Die von hier“ von Janka Kupala ­Premiere haben, dem legendären belarusischen Dichter und Dramatiker, dessen Namen das Theater trägt. Und mir wurde geschrieben, dass ich kommen solle. In ein ehemaliges Fabrikgebäude. Dort wollte das Ensemble heimlich, ohne Kulissen und nur für ein paar Dutzend vertrauter Zuschauer spielen, um die Inszenierung aufzuzeichnen. Angespannte und trübe gestimmte Bewohner einer Stadt im Straßenkrieg versammelten sich zu dieser Vorstellung. Janka Kupala hat eine bissige Satire über Opportunisten geschrieben, diejenigen Belarusen, die bereit waren, jeder beliebigen starken Macht zu dienen. Der Autor sieht mit Verzweiflung und Schmerz, wie diese Menschen in seiner Heimat fremde Ordnungen einführen und nennt sie angewidert „Die von hier“. Damals, vor hundert Jahren, bestand die Chance, einen wirklichen Volksstaat zu schaffen, aber es gelang nicht. Und wir saßen in dem dunklen Saal, und uns vereinte der Glaube daran, dass es uns diesmal gelingen würde.

Die einen können die staatlichen Theater aus objektiven finanziellen und familiären Gründen nicht verlassen. Die anderen wollten sich die Möglichkeit einer öffentlichen Äußerung von der Bühne bewahren. Und solche Äußerungen gibt es auch, bei denen die Schauspieler und das Publikum nicht so tun, als wäre im Land alles in Ordnung. Dann wird das Theater zu einem Akt gemein­ samen Ungehorsams. Nach solchen Vorstellungen applaudieren die Schauspieler dem Publikum. Ein befreundeter Dramatiker erzählte mir, wie er einmal von einem Staatsbediensteten empfangen wurde. Es gab Gerüchte, dass seine Stücke nicht inszeniert werden dürften. Er fragte direkt danach. „Das stimmt nicht!“, wurde ihm ins Gesicht gelogen. „Stellen Sie auf jeden Fall einen Antrag, wir werden ihn begutachten.“ Eine ­halbe Stunde später saß mein Freund beim Intendanten des Theaters, in dem er arbeitete. Der Intendant bekam einen Anruf von eben jenem Staatsbediensteten, der ihn anschrie, dass die Stücke dieses Dramatikers auf keinen Fall inszeniert werden dürften, dass aber auch niemandem von diesem Verbot erzählt werden dürfe. Es ist ein neues, erstaunliches Gefühl, wenn man zu einer Untergrundvorstellung eingeladen wird. Dass man vertrauenswürdig ist. Unterwegs versucht man, alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu beachten. Nimmt seinen Pass mit. Ist früher da. Einmal bin ich dreißig Kilometer aus Minsk rausgefahren, die Vorstellung fand auf einer Datsche statt. Zuerst hält man aus der Ferne nach irgendetwas Verdächtigem Ausschau, dann nähert man sich vorsichtig, wird oft von Unbekannten empfangen, was immer Anspannung hervorruft. Dann sieht man irgendeinen Bekannten und wird ruhiger.

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Ein bitteres Gefühl stellt sich ein, wenn man erfährt, dass es bei der Vorstellung, die man zufällig nicht besuchen konnte, eine Razzia gegeben hat. Und die Zuschauer für fünfzehn Tage inhaftiert werden, nur weil sie zusammen Zeit verbringen wollten. Ich war zu einer Vorführung des Films „Courage“ eingeladen, offiziell wird er in Belarus nicht gezeigt. Im Stadtzentrum, mit den Fenstern zu den Orten der Proteste. Die Gastgeber und Gäste tauschten Erinnerungen aus, wie sie sich an den Tagen der Kundgebungen an den Posten vorbei ihren Weg gebahnt hatten. Ich kannte längst nicht alle, die da waren, aber alle waren sehr froh, einander zu sehen. Es erinnerte an Geburtstagsfeiern oder Partys in Zeiten vor Covid. Wir riefen Aleksej an, den Regisseur des Films. Er war sehr gerührt, dass sich in Minsk so viele Menschen zusammengefunden hatten, um den Film zu sehen. Zu einem Künstlergespräch kam es nicht, wir fingen an, Neuigkeiten und Worte der Unterstützung auszutauschen. Dann sahen wir den Film. Bei mir persönlich rief er einen Schock des Wiedererkennens kaum vergangener Ereignisse hervor. Alle sahen angespannt zu. Ich kenne die Protagonisten des Films sehr gut, habe sie lange Jahre in den Inszenierungen des Belarus Free Theatre gesehen. Sie hatten Erfahrung mit einem Leben unter staatlichem Druck, aber selbst sie durchlebten in ­jenen Augusttagen die mir bekannte Leere der Verzweiflung. Die Wunden waren noch zu frisch. Die Inszenierung, die ich auf der Datsche gesehen hatte, war von einer Amateurtheatergruppe. Studierende hatten ein Stück ihrer Dozentin inszeniert. Es ging um die Wahlen und um die Brutalität der Sondereinheiten, offiziell kann man so eine Inszenierung nirgendwo sehen. In einer anderen Inszenierung erzählten die Schauspielerinnen in alltäglicher Tonlage von den Erschießungen während des Bürgerkriegs und tranken dabei Wein und brieten Kartoffelpuffer. War das eine Legitimierung der Gewalt? Oder der Versuch zu zeigen, dass wir jede traumatische Erfahrung über­­ stehen und uns irgendwann ruhig daran erinnern können? Wir diskutierten viel darüber. Die Diskussionen auf diesen Wohnungsvorstellungen wurden meine Psychotherapie. Die einen wollten sich aussprechen, die anderen ihre Wahrnehmungen einordnen, eine Schauspielerin sagte: „Solange es solche Inszenierungen gibt, bleibt mir eine Freiheit, die mir niemand nehmen kann!“ Unter den Bedingungen der Zensur (alle Medien, mit denen ich zusammengearbeitet hatte, wurden als extremistisch eingestuft) habe ich meine Tätigkeit als Theaterkritiker beendet. Aber auch so hatte ich viel zu tun. In den offiziellen Theatern wird wenig Wichtiges und Interessantes gezeigt, und über die Untergrundinszenierungen darf man nicht berichten. Ich fühlte mich wie in einer leeren Stadt und versuchte, diese Leere selbständig zu füllen. Mitte September 2020 setzten sich Kollegen von einem Bildungsprojekt mit mir in Verbindung und schlugen vor, einen Vortrag für die Bewohner eines Minsker Stadtviertels zu halten. Ich ent-

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schied mich sofort für ein Thema: die Inszenierung „Die von hier“. Man nannte mir Zeit und Ort, eine kleine Grünfläche. Als ich ankam, waren nur wenige Menschen da. In der Ferne spielten Kinder. Ich dachte, wie gut, eine größere Menge hätte nur unnötig Aufmerksamkeit erregt. Die Organisatorin kam und brachte mir ein Megafon, wie es Stadtführer benutzen, und ich scherzte, dass wir es wohl nicht brauchen würden. Dann kamen immer mehr Menschen, und mir wurde klar, dass ich das Megafon wirklich brauchte und ich mich auch besser auf eine Bank stellen sollte. Ich hatte das Foto eines belarusischen Protestierenden vor Augen, der ohne Schuhe auf einer Bank stand, und zog mir auch meine Turnschuhe aus. Ich sprach darüber, dass Janka Kupala sein Stück vor hundert Jahren geschrieben hatte, im Wesentlichen darüber, wie der Kampf um einen unabhängigen belarusischen Staat verloren ­wurde. Aber wir reden nach hundert Jahren immer noch über ­dieses Stück. Und das würde bedeuten, dass Kupala letztendlich gesiegt hätte, die Idee der Freiheit stärker sei als die Knüppel und nicht ins Gefängnis gesperrt werden könne. Mit diesem optimistischen Gedanken beendete ich meinen Vortrag. Es wurden Fragen gestellt, was gerade in den Theatern los sei. Und dann fragte eine Frau, was ich über den Charakter der Gewalt denke, wie es passieren konnte, dass in einem Land, das die Schrecken des Zweiten Weltkriegs miterlebt hatte, gewöhn­ liche junge Menschen in der Uniform der Sondereinheiten plötzlich imstande waren, solche Grausamkeiten zu verüben. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich geantwortet habe. Bald darauf dämmerte es. Die Menschen verteilten Tee und Süßigkeiten auf den Bänken. Während des Vortrags waren meine Füße kalt ge­ worden, und der warme Tee kam mir sehr gelegen. In diesen Herbsttagen wurden an der Universität, an der ich arbeitete, die ersten Studierenden aus politischen Gründen exmatrikuliert. Es wurde gegen die Vorschriften verstoßen, viele Mitarbeitende weigerten sich, die notwendigen Papiere zu unterzeichnen, die Studierenden wurden trotzdem exmatrikuliert, sogar regelwidrig. Das schweißte die Mitarbeitenden zusammen, die ihre zivilgesellschaftliche Position öffentlich machen wollten. Wir hatten nicht die Möglichkeit eines Streiks wie die ­Beschäftigten in den Betrieben, die ihre Arbeit niederlegten und geschlossen zu Gesprächen mit der Leitung in den Hof gingen. Wie kann man als Dozent streiken? Während der Vorlesung schweigen? In den Flur gehen, wo fünf weitere Dozenten stehen, die zu der Zeit Unterricht hätten? Wir alle haben einen Brief mit der Forderung unterschrieben, die Repressionen gegen die Studierenden zu beenden. Wir müssen uns alle nicht schämen, den Studierenden, für die wir uns einsetzen wollten, in die Augen zu blicken. Unser Brief wurde ignoriert. Einen Streik hätten wir dem Gesetz nach drei Monate später beginnen können. Wir konnten uns nicht alle einigen, was zu tun sei. Gemeinsam mit einigen Kollegen verfasste ich eine Erklärung, dass wir trotzdem in den Streik treten. Natürlich wurde uns wegen Arbeitsversäumnis gekündigt. Ich habe Klage eingereicht. Mir war klar, dass ich keine Gerechtigkeit erreichen werde. Aber ich wollte ein Schauspiel.


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Im Gerichtssaal gab es viele echte Emotionen. Zunächst meine eigenen. Ich verspürte Angst und weinte sogar vor Dankbarkeit meinen Kollegen gegenüber, die gekommen waren, um mich zu unterstützen. Schadenfroh sah ich, wie die Richterin die Administratoren der Universität anschrie, weil sie unfähig waren, meine Kündigung korrekt zu vollziehen. Ich sah die Angst und Ratlosigkeit des Kaderleiters, des Buchhalters und des Juristen, die nicht erwartet hatten, dass von ihnen die Beachtung von Gesetzen erwartet wurde, die sie nicht einmal kannten. Als die Richterin die Entscheidung verlas, dass mein Streik als unecht eingestuft würde, da es in der Belegschaft keinen Konflikt gegeben hätte, sah ich mit Genugtuung, dass sie den Blick von mir abwandte. Im Januar schrieb mir eine ehemalige Schauspielerin des KupalaTheaters. Lass uns doch eine alternative professionelle Theaterschule gründen, sagte sie. Mir erschien das als Utopie. Niemand würde uns das gestatten. „Dann hilf mir wenigstens, einen Antrag für eine unabhängige Stiftung zu schreiben“, bat sie mich. Ich half mit, und wir wurden zu einem Gespräch eingeladen. „Warum möchten Sie Studierende ausbilden?“, wurden wir unter anderem gefragt. Wir möchten, dass unsere Studierenden ihre eigenen Theater gründen. Später sagte der Leiter der Stiftung, dass genau diese Antwort ihn bewogen hätte, uns zu helfen, obwohl sie nicht über die Gelder verfügten, die wir beantragt hatten. Wir hatten keinerlei Erfahrung, bekamen Hilfe bei der Erstellung eines Businessplans, ein Jurist und ein Buchhalter wurden uns versprochen, und wir erhielten eine Anschubfinanzierung. Wir fanden einen Unterrichtsraum und standen kurz davor, den Vertrag zu unterschreiben und die ersten Studierenden zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Aber dann kam der August 2021, als die Machthabenden 77 unabhängige Organisationen verboten, darunter auch unsere Stiftung. Wir verloren alles, bis auf die Dozenten und die Studierenden, die wir noch nicht einmal getroffen hatten. Wir beschlossen, das Treffen mit unseren künftigen Studierenden nicht abzusagen. Es waren professionelle Schauspieler, die sich weiterqualifizieren wollten. Einigen war gekündigt worden, andere arbeiteten noch in einem staatlichen Theater, sehnten sich aber nach künstlerischen Freiräumen. Unsere Hauptfrage an alle war: „Sind Sie bereit, im Untergrund zu arbeiten?“ Sie sahen uns mit offenem Blick an und antworteten: „Natürlich, ja, wir sind zu allem bereit.“ Wir begannen mit dem Online-Unterricht, nach einiger Zeit wurde uns über Bekannte erst ein Probenraum angeboten, dann ein weiterer. Wir können für die Studierenden Webinare und Workshops organisieren. Sie haben sich untereinander angefreundet, und vielleicht wird unser Ziel, das wir der Stiftung vor einem Jahr genannt hatten, Wirklichkeit, und in Belarus entsteht ein neues Theater. Ein belarusischer Regisseur verglich schon zu Beginn der 2000er Jahre in einem Inszenierungskonzept die Generation der Eltern und Kinder so: „Unsere Väter fanden sich [nach dem Zerfall der UdSSR] in einer Leere wieder. Wir aber sind von vornherein leer.“ Das ganze vergangene Jahr hindurch spüre ich persönlich jedoch, dass sich meine Leere trotz allem langsam füllt. // Aus dem Russischen von Lydia Nagel

Der Spieler SCHAUSPIEL Ab 28.1.22

Ein überbordendes Spiel mit Suchtpotenzial Nach Fjodor M. Dostojewskij Inszenierung: Pınar Karabulut Mit: Elmira Bahrami Jan Bluthardt Barbara Colceriu Vera Flück Marvin Groh Nairi Hadodo Peter Knaack Annika Meier Antoinette Ullrich Joshua Walton

theater-basel.ch

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Der Komet Andreas Kleinerts Film „Lieber Thomas“ erzählt das Leben von Thomas Brasch wie einen Fiebertraum in Schwarz-Weiß

von Thomas Irmer

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er Film leistet sich den Luxus von gleich drei Anfängen, was im Grunde auch die Ansage ist, dass weniger bei diesem Leben nicht geht und auch zu einfach wäre. Im Vorspann sieht man den Dichter einen nackten Frauenkörper buchstäblich beschreiben: Die erotische Buchstabenskulptur lebt für den erregenden Zustand zwischen Liebe und Literatur. Dann wacht ein kleiner Junge im Bett seiner Eltern auf und geht raus auf die Straße, wo die Welt plötzlich menschenleer ist. Die Schriftstellerin Annett Gröschner hat in einer der ersten Rezensionen des Films zu Recht

auf Jens Sigsgaards Kinderbuchklassiker „Paul allein auf der Welt“ aus dem Jahr 1942 hingewiesen, das wohl auch von Thomas Brasch gern gelesen und später immer wieder von ihm erinnert wurde. Und dann kommt noch der Anfang, der auch in der ­kürzesten Brasch-Biografie nie fehlt: Wie ihn sein Vater 1956 in die NVA-Kadettenanstalt bei Naumburg bringt, einer Hölle für sozialistische Kindersoldaten.

Von einem, der dort bleiben will, wo er nie gewesen ist: „Lieber Thomas“ widmet sich dem Schriftsteller, Dramatiker und Regisseur Thomas Brasch. Foto Peter Hartwig, Zeitsprung Pictures


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thomas brasch

lierten Filmstudenten, der diese Traumangst-Erscheinung mit Der erste Anfang enthält auch die Überschriften für den dann Gewalt verjagen muss. Später wird Brasch die Festnahme seines nach Verszeilen gegliederten Film aus einem seiner bekanntesten Texte: „Was ich habe, will ich nicht verlieren, / aber wo ich bin, will Helden Gladow aus „Engel aus Eisen“ visionieren, bei der die Brasch-Mutter dem jungen Meisterverbrecher die nachgeladenen ich nicht bleiben, / aber die ich liebe, will ich nicht verlassen, / aber die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, / aber wo ich lebe, Gewehre während der Belagerung durch die Polizei reicht. Das sind in Bilder gesetzte Komplexe der Innenwelt, eindringlich will ich nicht sterben, / aber wo ich sterbe, da will ich nicht hin: / Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“ Diese Zeilen, die sich zu f­aszinierend. Eine andere Szene wirkt auch wie ein Traum, ist aber vereinem von Braschs Gedichten quasi als eine Selbstauskunft verselbständigt haben, stammen ursprünglich aus dem Performancebürgt. Brasch erhält kurz vor der Ausreise noch eine Audienz Text „Der Papiertiger“. Dieses noch in bei Staatschef Honecker, ein letzter Versuch, die Veröffentlichung des Er­ der DDR entstandene und heute vor allem dem Theater nicht mehr so bezählbands „Vor den Vätern sterben kannte Werk gehört eigentlich in die die ­Söhne“ zu erbitten. Honecker, mit Der letzte Besuch Gedenkbibliothek früher Post-Dramadem Vater-Darsteller Schüttauf doppeltik, gleich neben die ersten Stücke von besetzt und in der realen Geschichte bei Staatschef Honecker Peter Handke. Kampfgenosse des Horst Brasch in der zählt zu den grandiosen Die drei Anfänge und sieben frühen Zeit der FDJ, murmelt mit Blick ­Zeilen bilden für den Regisseur Andreas auf den gerade eröffneten Palast der Szenen des Films Kleinert und Drehbuchautor Thomas Republik draußen was von ‚unsere ­ Wendrich das Sprungbrett für ein in Menschen sind noch nicht reif dafür‘ – rasanten Episoden erzähltes Dichter­ ­ ein Schuss tief in die Geschichte. leben, das von der Kadettenanstalt in Was nun erzählt der Film, dessen mehreren markanten Umschlagpunkten bis an den einsamen Tod bewundernswerte Komplexität hier nicht weiter behandelt werden in der Wohnung überm Restaurant Ganymed neben dem Berliner kann, von der Theatergeschichte im engeren Sinn? Da ist zum Ensemble reicht. Da ist Thomas, für die letzte Szene von Peter ­einen Jella Haase in ihrer bisher schönsten Rolle als Katharina Kremer mit verstörender physiognomischer Ähnlichkeit gespielt, Thalbach, der Gefährtin. Sie ist, nach der Ausreise, bei einer Probe tatsächlich wieder allein auf der Welt. für die Uraufführung von „Lovely Rita“ am West-Berliner SchillerDer Film, der bewusst kein Biopic sein will, stürzt sich mit theater zu sehen, in die der Theaterdichter als zorniger Ankläger des Regisseurs hineinplatzt. Man kann sich das so vorstellen mit Albrecht Schuch als hinreißend fiebrigen Stürmer und Dränger zunächst in die Jahre des Studenten Brasch an der Filmhochdem damaligen Regisseur Nils-Peter Rudolph, der hier als schnöschule Babelsberg, der nach der Flugblattaktion gegen den Einseliger Jung-Routinier gezeigt wird. Die Szene darf aber auch im weiteren Sinn für den Grundkonflikt zwischen Theaterautor und marsch in Prag 1968 ins Gefängnis kommt und schließlich auf Bewährung in die Produktion geschickt wird. Als düsteres Bild Theaterbetrieb verstanden werden, wobei im konkreten Fall natürder DDR voller glühendem Bohème-Leben nimmt der Film das lich die Ankunft von Thomas Brasch im westdeutschen Theater Paradox von Thomas Brasch auf, dem das Land, das ihn verstieß, geradezu maliziös gezeigt wird und damit ein weiteres Konfliktfeld des Protagonisten in der für diesen Film typischen gedrängt bitter fehlte. Der Knast wird nicht gezeigt, aber mit den Szenen ausschnitthaften Weise aufmacht. Da ist die erzählerische Filmin der Fabrik wird knapp erzählt, dass das Elend der Arbeiter wie kunst von Kleinert/Wendrich ganz auf ihrer Höhe. Der rasche auch der Zwang in der Kadettenanstalt durchaus vergleichbar Aufstieg Braschs mit seiner vielleicht bedeutendsten Urauffühsein könnte. Was sicher noch den Unmut einfach gestrickter rung von „Rotter“, 1977 in Stuttgart, fehlt indes. Der Filmemacher Ostalgiker hervorrufen mag und zugleich auch das Werk der an gegen seine Dämonen wird weitaus kenntlicher gezeigt, an die nie diesen Stellen ganz besonders wirkenden Bilder der Kamera von Johann Feindt ist. Dazwischen Szenen in der Familie: Jörg versiegende Lyrik erinnern die Zwischentitel aus dem Anfangs­ gedicht. Schüttauf als schon leicht gebrochener Funktionär Horst Brasch, Auch die Geschichte von Braschs Verblassen in der immer der sich wohl zusammen mit der von Anja Schneider gespielten besorgten Mutter in ein kleines Neubaurefugium zurückziehen auf Hochdampf für Neuigkeiten laufenden West-Kultur will der Film gar nicht erst in den Griff nehmen. Gut, wie ein Theaterdichwürde, wenn da dieser renitente Sohn nicht wäre, mit dem er nicht fertig wird. ter an seinen Neuschaffungen von Tschechow und Shakespeare Zu den grandiosen Ideen von Wendrich und Kleinert gehört arbeitet, das ist schwer interessant ins Bild zu bringen. Aber für zweifellos, dass einige dann doch Biopic-mäßige Szenen durch den Wandel Braschs vom chaotischen Kometen zum in der KleinTraumsequenzen gekontert werden, in denen die Dämonen des arbeit der Übersetzungen und dem schmerzvollen Ringen mit Thomas Brasch Gestalt werden. Am erschütterndsten, wenn dem bis heute nicht vollständig veröffentlichten Brunke-Roman Thomas seinem Vater während der Vorführung seines ersten ­ zu kommen, dafür hätte der ohnehin lange, aber mit 150 Minuten Films „Engel aus Eisen“ bei den Filmfestspielen in Cannes im keine einzige Sekunde zu lange Film sicher noch ein Kapitel ­Foyer begegnet und dieser ihm Vorhaltungen macht, mit dem ­gebraucht, auch weil der Zeithintergrund ja immer mit gezeigt Geld des „Klassenfeinds“ die westliche Unterhaltungsindustrie zu wird. Am Ende, nach der Wende: Thomas allein in der Welt. Tot, bedienen. „Wir sind da schon weiter“, provoziert er den exmatrikumit einem Loch im Herz. //

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An der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig ist in der Fakultät II, Schauspielinstitut „Hans Otto“ zum 01.09.2022 folgende Stelle zu besetzen:

Professur für Musikalische Ausbildung/Chanson (W2)

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Gesucht wird eine Künstlerpersönlichkeit (d/w/m) mit vielfältiger Bühnenpraxis und schauspielspezifisch-pädagogischer Erfahrung. Der Aufgabenbereich umfasst die musikalische Ausbildung der Schauspielstudierenden aller Jahrgänge im Einzel- und Gruppenunterricht, insbesondere die Erarbeitung eines individuellen Liedrepertoires unterschiedlicher Genres, die Entwicklung der Gesangsstimme im Spannungsfeld von Stimmbildung und Interpretation, die Erarbeitung von Chorliedern, die Vorbereitung und Begleitung von Liederprogrammen, die Mitarbeit in fachübergreifenden Projekten (z. B. Sommertheater) sowie die musikalische Betreuung der Schauspielstudios und des Absolventenvorspiels. Die Mitwirkung an der Weiterentwicklung des Studiengangs ist ebenso Bestandteil der Aufgaben wie die Beteiligung an der akademischen Selbstverwaltung. Die mit der Professur verbundenen Rechte und Pflichten ergeben sich aus § 67 Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz (SächsHSFG) und aus der Sächsischen Dienstaufgabenverordnung an Hochschulen (DAVOHS). Bei einer Erstberufung kann gemäß § 69 Abs. 2 SächsHSFG eine Einstellung auf Probe für die Dauer von zwei Jahren erfolgen. Einstellungsvoraussetzungen • abgeschlossenes Hochschulstudium in den Bereichen Musik oder Schauspiel • ausgewiesene pianistische Fähigkeiten, speziell im Hinblick auf Chansonund Liedbegleitung • Kenntnisse im Fach Stimmbildung sowie Chorleitung • mehrjährige Erfahrung in der künstlerischen sowie pädagogischen Praxis, 14:52 möglichst an einer staatlichen Hochschule oder einem Theater Grundsätzlich gelten die Berufungsvoraussetzungen nach § 58 SächsHSFG.

Aufgrund des Eintritts in den Ruhestand des langjährigen Verwaltungsleiters suchen wir ab spätestens Juni 2022 eine

Verwaltungsleitung (m/w/d) Stellenziffer 2021-0076

Die Badische Landesbühne Bruchsal ist seit dem Jahr 1951 ein Schauspieltheater als Einspartenhaus mit einem eigenständigen Kinder- und Jugendtheater und insgesamt 72 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Satzungsgemäß obliegt die Gesamtleitung des Theaters der Intendanz, die ab der Spielzeit 2023/2024 neu besetzt ist. Es handelt sich um eine Vollzeitstelle. Die Eingruppierung ist bis zur Entgeltgruppe 13 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD-K) mit Zulagen möglich. Bei Fragen zum Aufgabengebiet und Ausschreibungsverfahren wenden Sie sich bitte an den Verwaltungsleiter der BLB e. V., Herrn Norbert Kritzer (Tel. 07251/72727). Haben Sie Interesse? Dann würden wir Sie gerne kennenlernen und freuen uns über Ihre Online-Bewerbung bis zum 15. Februar 2022 unter www.bruchsal.de/stellenangebote.

Die Hochschule legt Wert auf die berufliche Gleichstellung von Menschen aller Geschlechter. Qualifizierte Frauen werden ausdrücklich aufgefordert sich zu bewerben. Die Bewerbung schwerbehinderter Menschen oder ihnen Gleichgestellter wird bei gleicher Eignung und Befähigung bevorzugt berücksichtigt. Es wird um Hinweis in der Bewerbung gebeten. Bewerbungen mit tabellarischem Lebenslauf, Lichtbild, Hochschulzeugnissen, Darstellung der bisherigen künstlerischen und pädagogischen Tätigkeit sowie Anschriften von fünf möglichen Gutachtern bzw. Gutachterinnen sind bis zum 15.02.2022 ausschließlich digital und als ein PDF-Dokument im Anhang, Größe max. 3 MB zu senden an: bewerbungen@hmt-leipzig.de Bewerbungs-, Fahrt- und Übernachtungskosten im Zusammenhang mit der Bewerbung werden nicht erstattet. Hinweise zum Datenschutz Mit Einreichen Ihrer Bewerbungsunterlagen stimmen Sie der Verarbeitung Ihrer personenbezogenen Daten im Rahmen des Bewerbungs- und Auswahlverfahrens an unserer Hochschule zu. Diese Einwilligung kann jederzeit ohne Angabe von Gründen schriftlich widerrufen werden. Ein Widerruf der Einwilligung führt jedoch dazu, dass Ihre Bewerbung im laufenden Auswahlverfahren nicht mehr berücksichtigt werden kann. Ihre Bewerberdaten werden von uns ausschließlich zum Zwecke der Durchführung des Bewerbungs- und Auswahlverfahrens verwendet. Die mit der Datenerfassung und -verarbeitung betrauten Mitarbeiter/innen der Verwaltung, ggf. des IT-Supports und die Mitglieder der Auswahlkommission sind verpflichtet, die Vertraulichkeit Ihrer Bewerberdaten zu wahren. Die gespeicherten Daten werden von uns nicht an Dritte weitergegeben. Unsere IT-Systeme und Server sind gegen unbefugte Zugriffe geschützt. Ihre Bewerberdaten werden spätestens sechs Monate nach Abschluss des Verfahrens gelöscht.


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hartwig albiro

Ermöglicher und Aktivist Dem Regisseur und Theaterleiter Hartwig Albiro zum 90. Geburtstag. Ein Brief von Hasko Weber

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ständnis ist, das sich auf Unveränderbarkeit gründet. Hartwig Albiro trat in die   ie Ausbürgerung von Wolf Bierser Zeit aus seiner Eingebundenheit heraus, hat seine Position und sich selbst mann lag mehr als zehn Jahre zurück, als mir Hartwig Albiro eine Tonkassette mit infrage gestellt. Nicht mit heiligem ­Pathos in der ersten Reihe, aber als Erheimlichen Konzertaufnahmen zusteckte und mir dringend anriet, da mal reinzuhömöglicher und Aktivist in seinem Thearen. Das war 1987 in Karl-Marx-Stadt. Einter. Er konnte seine Integrität bewahren, weil er seine eigene Rat­losigkeit nicht zu geprägt hat sich mir diese Geste, weil sie typisch war für das zugewandte Inte­resse verbergen suchte und weiterhin auf Gemeinsamkeit setzte, auch als Künstler. und die persönliche Unbefangenheit meiHartwig Albiro inszenierte in seines damaligen Oberspielleiters. Seine Erwartung war dementsprechend, er suchte nem Theater insgesamt mehr als vierzig den Austausch, nicht nur über Biermann, Stücke, galt als Goldoni-Spezialist und sondern übers Ganze. Diese freie Einlainteressierte sich immer wieder für Uraufführungen. Als Oberspielleiter ­ dung finde ich aus heutiger Perspektive immer noch bemerkenswert. Zum einen, ging er außergewöhnlich uneitel mit den täglichen Unwägbarkeiten des Probenbeweil jener Austausch den ­politischen Rahmen bestimmte, welchen wir als Künstler triebs um, besonders indem er künstlerifür uns in Anspruch ­nahmen, zum andesche Konkurrenz nicht nur duldete, sonren, weil sich darin die Kollektivität spiedern unterstützte und förderte. Ob Piet Drescher, Irmgard Lange oder Frank Casgelt, die in den meisten Ensembles gelebt wurde. Die Einladung zur Gestaltung, die torf, dessen Karl-Marx-Städter InszenieDie eigene Ratlosigkeit nicht verbergen. Der Regisseur und Theaterleiter Hartwig Albiro rungen nicht nur ästhetisch alles auf den Verwicklung ins G ­ ewurde 90. Foto Ernesto Ullmann Kopf stellten, was bis dahin galt, sondern schehen, die Suche nach einer Haltung ­ ­haben mich geprägt und bestimmen ­meine auch dem Ensemble zu einem anarchischen Selbstbewusstsein verhalfen – es Arbeit bis heute. Hartwig Albiro hat daran ging ums Ganze und um die Freiheit der einen wichtigen Anteil. Kunst, unbefangen und mit persönlicher Zugewandtheit. Für dieVon 1971 bis 1996 war Hartwig Albiro Oberspielleiter und Regisseur am Schauspiel der Städtischen Bühnen Karl-Marxse gemeinsame Erfahrung bin ich sehr dankbar! Lieber Hartwig, dass du dich heute, mit nunmehr 90 JahStadt, später Chemnitz. Eine Zeitspanne, die eine hoffnungsvolle Öffnung in allen Kulturbereichen Anfang der 70er Jahre genauso ren, noch immer für die Förderung der Kultur und des Theaters deiner Stadt engagierst und dich für eine Verbesserung unseres einschließt, wie die anschließende Zurücknahme von Freiheit und die permanente Kontrolle allen künstlerischen Handelns Gemeinwesens ins Zeug wirfst, finde ich großartig! durch den Staat DDR. Der Umbruch 1989 wurde dann zu einer Auf diesem Wege beste Wünsche zum runden Geburtstag, der wichtigsten Phasen innerhalb der bemerkenswert kontinuierden du im Dezember gefeiert hast! In diesen bewegenden Zeiten wünsche ich dir vor allem Gesundheit und Glück! lichen Theaterarbeit von Hartwig Albiro. Das Ganze, das System löste sich auf und ließ uns als Beteiligte zu Zeugen werden und Herzlich Hasko erleben, wie fragil und relativ ein gesellschaftliches Selbstver-

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Zwischen internationalem und Nachbarschaftstheater Das Theaterhaus G7 in der Mannheimer Unterstadt fördert neue Dramatik aus Europa und setzt auf neue Publikumsschichten­ von Elisabeth Maier

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ie Suche nach ihrem tunesischen Vater verarbeitet die französische Autorin Miryam Saduis in ihrem Stück „The Final Cut“. Er hat die Familie verlassen, als sie drei Jahre alt war. Die Leer­ stelle, die er in ihrem Leben hinterlässt, ist nicht zu füllen. Wie die Spätfolgen des Kolonialismus die Generation der Nachgeborenen verletzen, zeigt die Dramatikerin anhand der eigenen Biografie. Die Regisseurin Inka Neubert hat die deutschsprachige Erstaufführung des Stücks am Theaterhaus G7 in Mannheim heraus­ gebracht, das sie mit Pascal Wieandt leitet. Klug schlägt die Produktion Brücken zwischen den persön­ lichen Schicksalen und der Kolonialgeschichte, die sich noch heute in Rassismus und unüberwindlichen Barrieren zwischen Menschen

verschiedener Kulturen niederschlägt. Die Schauspielerin Fiona ­Metscher und ihre Kollegin Aurélie Youlia, die in Paris lebt, sprechen den Monolog gemeinsam. Begleitet werden sie von dem tunesischen Oud-Spieler Fadhel Boubaker. Schon diese Besetzung schärft die internationale Perspektive. Über die Inhalte hat Regisseurin Neubert mit dem Ensemble viel diskutiert. Literarisches Theater entwickelt sie auf Augenhöhe. Das zeichnet ihre Arbeitsweise aus. Neue europäische Dramatik zu entdecken, ist ein Fokus der kleinen Bühne im Hinterhof des Quadrats G7, die früher ein städtisches Lager war. Damit strahlt das innovative Theaterhaus weit über die Grenzen der Arbeiterstadt Mannheim hinaus. Zugleich aber sind die Theaterchefs Wieandt und Neubert bestens in der

Zu unkonventionell für das Stadttheater? Marcus Krone in der Inszenierung „Waldbahn Freiheit“ am Theaterhaus G7 Mannheim. Foto Elisa Berdica


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multikulturellen Arbeiterstadt Mannheim vernetzt. Debatten in der Gesellschaft aufzugreifen und Diskurse weiterzudenken, das ist ihr Ziel. Mit Diskussionen, Konzerten und Performances sprechen sie auch neue Publikumsschichten an. Für ihr bemerkenswertes Profil wurden sie im letzten Jahr mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet. „Der Kern sind unsere Eigenproduktionen“, bringt Pascal Wieandt das Konzept auf den Punkt. „Da probieren wir Neues aus. Wir entwickeln Produktionen, die wahrscheinlich zu unkonven­ tionell sind, als dass das Stadttheater sich da heranwagen würde.“ Dieser Prozess ist für ihn eng mit gesellschaftlichen Diskursen verknüpft. „Schon mit der Stückauswahl entscheiden wir, welche Themen wir in die Öffentlichkeit tragen. Das betrachten wir als unsere Aufgabe.“ Themen waren etwa die Entmietung oder die Globalisierung, die der reiche Westen als Gewinner anders sieht als die Menschen in den Entwicklungsländern. Mit der Bühne und einem Zuschauerraum mit 80 Plätzen, dem Probenraum, einem schönen Foyer und dem Hinterhof ist das G7 ein relativ gut ausgestattetes Haus. Zumindest in der freien Szene ist das nach Inka Neuberts Ansicht ein großes Plus. „Am schönsten ist es immer, wenn Leben ins Haus kommt“, findet Pascal Wieandt: „Wenn wir eine Eigenproduktion proben, und wenn zugleich noch eine Gastproduktion arbeitet, dann trifft man sich in den Pausen.“ Diskursveranstaltungen sind Inka Neubert ein großes Anliegen. In Zeiten der Corona-Pandemie sei der Austausch auch für Theatermenschen schwer. Deshalb haben sie und das Team das Sprechlabor konzipiert. Da ging es um das Reden in Extremsituationen. Gerade in Zeiten der Pandemie brauche man Fachleute, die gesellschaftliche Entwicklungen richtig einordnen. Zu jedem der Themen gab es einen künstlerischen Beitrag, den Kunstschaffende in kurzen Residenzen am Haus erarbeitet haben. Das Herzstück aber war der Dialog des Publikums mit den Experten. In der Abschlussveranstaltung ging es um das Reden am Ende des Lebens. Für dieses „Labor für Auflösung und Trost“ hat der junge Medienkünstler Philippe Mainz ein ästhetisch sehr anspruchsvolles Raumkonzept erarbeitet. „Dass der künstlerische Beitrag und die Gespräche ineinandergreifen, war unser Ziel“, sagt Inka Neubert. Das habe im Finale perfekt geklappt. Das G7 wurde 1989 zunächst als reines Amateurtheater gegründet. 27 Jahre lang bespielten Amateure und semiprofessionelle Akteure das Haus. In der Spielzeit 2016/17 übernahmen Inka Neubert und der 2019 verstorbene Bernd Mand das Haus. Sie stellten die Arbeit der freien Szene auf eine professionelle Basis. 2019 rückte Pascal Wieandt in die zweite Leitungsposition nach. Dass dies an dem Haus in Mannheim nach den ersten fünf Jahren erfolgreich geglückt ist, hob die Jury des Theaterpreises hervor. Trägerverein ist nach wie vor „Theater Trennt“. Denkbar eng ist die Besetzung: Das Leitungsteam hat zwei feste Stellen am Haus. Durch die 75.000 Euro, die das Haus für den Theaterpreis bekommen hat, hat die Bühne unter anderem eine 60-Prozent-Stelle für den jungen ­Dramaturgen Philipp Bode geschaffen. Alle anderen Kräfte wie auch die Schauspielerinnen und -spieler arbeiten auf Honorarbasis. Getragen wird das Haus auch von den rührigen Ehrenamtlichen. Welche Publikumsschichten hat das Theaterhaus G7 im Blick? „Die Zuschauerinnen und Zuschauer haben sich deutlich

theaterhaus g7

verjüngt“, sagt Pascal Wieandt. Als kleines Theaterhaus in der Mannheimer Unterstadt werde das G7 nicht als elitäre Einrichtung wahrgenommen. Da kommen die Leute aus der Nachbarschaft vorbei, genießen den schönen Hofgarten, in den das Team viel Arbeit investiert. Das Foyer hat auch außerhalb der Theaterzeiten offen. Da treffen sich Studierende zum Arbeiten. Ältere Damen genießen gemeinsam Kaffee und Kuchen. Dabei tauschen sie sich über ihre Bühnenerlebnisse aus. Inzwischen hat das Team erreicht, dass die institutionelle Förderung der Stadt verdreifacht wurde. Auch vom Land BadenWürttemberg gibt es Fördermittel. Da ist das Haus im Dialog mit Landtagsabgeordneten, um die Mittel aufzustocken. „Das ist notwendig, um die Professionalisierung auf eine solide Basis zu stellen“, sagt Wieandt Eine wichtige Aufgabe der Theaterchefs ist es, Drittmittel für die vielen Projekte einzuwerben, die das Haus anstößt. „Wichtig ist es uns, das Netzwerk in der Stadt mit anderen Bühnen und mit Institutionen aufzubauen, die auf den ersten Blick gar nicht so viel mit Theater zu tun haben“, findet Inka ­Neubert. Das sei in einem Haus wie dem G7, in dem sich alle auf Augenhöhe begegneten, kein Problem. Durch die Lockdowns in der Corona-Pandemie kam das ­Privattheater mit fantasievollen Projekten. Im ersten Lockdown ging es Inka Neubert darum, die freien Kunstschaffenden in ihrer existenzbedrohenden Lage aufzufangen. Aber man habe auch ­versucht, das Publikum in der Nachbarschaft zu erreichen. Das offene Angebot „miteuchmittwoch“ gehört seit Jahren den Besucherinnen und Besuchern. Im Lockdown habe man dem Publikum auf Wunsch Kuchen ins Haus gebracht. So sei man auf ­Abstand ins Gespräch gekommen. Mit Kunstprojekten wie den digitalen Miniaturen überbrückte das Team die künstlerische Zwangspause. Pascal Wieandt hat mit drei Schauspielerinnen ein Projekt über Instagram und TikTok realisiert. Neue Autorinnen und Autoren zu fördern, ist ein Schwerpunkt. „Texte, die von meiner Zeit handeln“ will Inka Neubert auf die Bühne bringen. Sie will verstehen, woher die Inhalte kommen. „Wir beziehen Autorinnen und Autoren in den künstlerischen Prozess ein“, sagt Inka Neubert. Allerdings gebe es manche, die das gar nicht wollten. Mit den Dramatikerinnen und Drama­ tikern zu sprechen, ist für sie wichtig. „In diesen Austausch beziehen wir das ganze Ensemble ein.“ So habe man langjährige ­Be­ziehungen aufgebaut. Über diese Schiene kam auch die Kooperation mit dem Netzwerk Eurodram zustande, das regelmäßig ­europäische Dramatik am G7 präsentiert. „Da haben wir plötzlich das Haus voll mit Theaterschaffenden aus ganz Europa“, schwärmt Neubert, die auch im deutschsprachigen Komitee des Netzwerks vertreten ist. Der Spagat zwischen internationaler Bühnenkunst und Nachbarschaftstheater reizt das Leitungsteam des G7. Stolz ist das Haus auf das Festival HEREANDNOW. Mit den Gastspielen ­verfolgt das Haus die Entwicklung der innovativen Szene in Großbritannien. „So kamen wir etwa mit dem Autor und Theater­ macher Chris Thorpe in Kontakt.“ Dieses wichtige Festival ermöglichen Sponsoren. „Gerade in Zeiten des Brexit ist es umso wichtiger, diese Kontakte zu pflegen“, findet Wieandt. „Jetzt ist der kulturelle Austausch eine Brücke, um mit Großbritannien in ­Kontakt zu bleiben.“ //

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festivals

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SPIELART

Keine Angst vor der Angst Eindrücke vom Spielart Festival in München von Stephanie Metzger

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s dauert, bis der Wicker Man in sich zusammenfällt. Die riesige Menschenskulptur aus Holz und Stroh brennt lichterloh auf dem Olympiasee und hält den Flammen doch über vierzig Minuten stand. Als die Holzbalken niederstürzen, hat die eklektische Oper, die die Künstlerin Anna McCarthy und ihr Team als spektakuläres Ritual der Angstbändigung aufführen, schon zu ihrem Ende gefunden. Eine Mischung aus raunenden Rezitativen, klassischen Melodien und beschwörenden Chören, in der sich eine Figur namens Lucy Strike, zu hören als Stimme über dem See, zur Verbündeten und Stellvertreterin gequälter Frauen erklärt. Gesang und Performance der futuristisch kostümierten Darstellerinnen lässt Hexenverbrennungen, düstere Séancen, schwarze Messen anklingen. Dieses Ritual gegen die Angst fasziniert, irritiert und hatte Sogwirkung. Rund um den See fast über 2000 teils spontan hinzugekommene Zuschauende. Mit dem Projekt „Global Angst“, kuratiert von dem Theatermacher und Kulturanthropologen Julian Warner, war das Münchner Spielart Festival am Halloween-Wochenende tatsächlich in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Die Idee: die Zusammenführung eines Kollektivs von Verängstigten gegen die Angst. Die Bestandteile: ein Parlament, in dem Expert:innen und Publikum über katastrophischen Klimawandel, ängstigende Algorithmen oder den Zusammenhang von ökonomischen Interessen und Angst diskutierten. Das Setting in der Münchner Muffathalle war eine Mischung aus orientalisch anmutendem Sakralraum, Gerichtssaal und Theater. Dann die Parade der Angst mit öffentlicher Verlesung der beim Parlament gesammelten Ängste. Ein fröhlichfantasievoller Demonstrationszug durch die Münchner Innenstadt, angeführt von einem schwarzen Reiter samt bedrohlichen Begleitern, gefolgt von Oberammergauer Krampussen, der weiblichen Burschenschaft Molestia, dem Weltkongress der Uiguren und weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen. Eine krude, für Passanten auch verstörende Mixtur – zog da etwa eine Anti-CoronaDemo durch die Stadt? –, die sich dann im Olympiapark rituell reinigen ließ: von der Angst. Vielleicht war es auch eine Reinigung von der Angst vor dem Spielart Festival selbst. Die Münchner Performance-Biennale steht mit ihrem in den letzten Jahren internationaler und umfangreicher gewordenen Programm inzwischen ja immer auch für Befremden, Überforderung und ein Gefühl von „Zuviel“. Aber welches Festival würde diesen Zustand nicht auch bewusst provo-

zieren wollen? Corona tat dem bei Spielart wenig Abbruch, das ist vielleicht die wirkliche Leistung des Kuratoren-Teams um die künstlerische Leiterin Sophie Becker. 9 Uraufführungen, 12 Erstaufführungen, über 250 Künstler:innen u. a. aus China, Griechenland, Indien, Nairobi, Brasilien, Südafrika, aus der Schweiz, dem Tschad und von den Philippinen. Die Tanz- und Performanceproduktionen aus der ganzen Welt wurden wie nie ergänzt durch digitale Formate und Nebenprogramme. Schon im Vorfeld schaffte man es kaum, das umfangreiche Angebot zu überblicken. Ganz zu schweigen davon, es erfassen zu wollen. Weshalb ein Reiz da­ rin bestand, sich über die kuratierten Nebenprogramme anzu­ nähern. „Global Angst“ etwa. Oder die so originelle wie sich künstlerisch noch am Anfang befindliche Auseinandersetzung mit dem Riechen in der Kunst. „Nose“ hieß dieses Programm, kuratiert von Eva Neklyaeva. Eine Mischung aus Lectures, Workshops, Aufführungen, Konzerten, Installationen. Sowohl als sinnliches Ereignis als auch als kulturelle Praxis wurde hier der Geruchssinn verhandelt, nein: erfahren. In einer Räucherzeremonie von Katie Paterson zum Beispiel, bestehend lediglich aus zwei Räucherstäbchen und 30 Minuten, in denen man den Geruch des ersten Waldes auf der Erde und des möglicherweise letzten Waldes, den die Menschheit gekannt ­haben wird, zu riechen bekam. „Burn, Forest, Feier“ war eine ­Meditation, ja eine Übung im konzentrierten Wahrnehmen von Düften und zugleich eine melancholisch-poetische Reflexion über das Verhältnis des Menschen zur Natur. Künstlerischer Gestaltungswille der Macher:innen war bei solchen Geruchsszenarien weniger zu spüren und nötig, als die Lust darauf, Angebote zu machen und anzunehmen, sich einzulassen, Erfahrungen zu sammeln und sensorisches Training zu betreiben. Politischer wurde es bei einer Installation der Münchnerin Sandra Chatterjee über den Zusammenhang von Rassismus und Geruch oder bei Varun Narain mit seinem Musical über Gewürze „The Spice Chronicles“. Schattenfiguren oder bunt glitzernde Puppen von Kardamom, Pfeffer, Ingwer oder Safran zeigte der indische Puppenspieler in seinem Erzähltheater mit Songs als fluide Wesen, jenseits eindeutiger Geschlechtszuweisungen als Inbegriffe der Grenzüberwindung. Kindlich, charmant, spielerisch. Im Hauptprogramm selbst mischten sich dann wie üblich bei Spielart die Eindrücke zwischen Fremdheit und Nähe der internationalen Performances. Mit ihrer Energie und tänzerischen Virtuosität begeisterten etwa die brasilianischen Tänzer:innen von Cia Suave, die das Leben in den Favelas von Rio kennen. Wie auf einem Laufsteg, oder auf der Straße, einzeln, zu zweit oder in Gruppen, ließen sie ihre Hüften kreisen, schüttelten Hintern und


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Brüste, schwangen ihr Haar. Ihr Stück „CRIA“ bestand aus einer Choreografie, die vom brasilianischen Dancinha, einer Verbindung von Funk und zeitgenössischem Tanz, inspiriert ist. Das Spiel zwischen den Geschlechtern als lustvolles, erotisches, ­amüsantes, Stereotype und Klischees nicht auslassendes Ritual. Anknüpfungspunkte fielen einem Publikum hier nicht schwer. Das war bei der japanischen Produktion „Madama Butterfly“ – trotz des bekannten Stoffs – anders. Die Regisseurin Satoko Ichihara interpretierte Puccinis Oper aus japanischer und feministischer Perspektive neu. Und zeigte dabei asiatische Weiblichkeit gefangen in der Fixierung auf westliche Schönheitsideale. Hier beschließt Cio-Cio-San selbst, den amerikanischen Offizier Pinkerton zu verführen, um schwanger zu werden. Der wiederum ist froh, sexuell überhaupt zum Zug zu kommen. Auf Sex und Körper sind sie alle fixiert in dieser Version des Stoffs. Dann wie-

Verängstigte gegen die Angst: Mit „Global Angst“ von Julian Warner kommt das Spielart Festival in der breiten Öffentlichkeit an. Foto Priscillia Grubo

der treten die Darstellenden, teils aus dem Ensemble des Münchner Residenztheaters, aus den Rollen und diskutieren über die Repräsentation kultureller Identität auf der Bühne. Wo japanischer Text und Übertitel oft vorbeirauschten, hielt einen die Ästhetik der Inszenierung am Ball, in der Interaktion mit Avataren, aufgezeichneten Stimmen und Videobildern. Im Rosenblätter-Regen nach traditioneller Kabuki-Theater-Manier starb Madame Butterfly auch hier. Und das war dann eines der Bilder, auf die man so gerne stößt bei Spielart. Weil sie nachwirken als Theater, das über Grenzen geht und über Grenzen hinweg wirkt. //


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festivals EURO-SCENE

Politische Spuren Die Leipziger euro-scene im ersten Jahr unter der neuen Leitung von Christian Watty von Lara Wenzel

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lles nicht wahr“ – das Motto der 30. euro-scene realisierte sich anders als erwartet. Auch eine Portion Ungläubigkeit muss für Ann-Elisabeth Wolff in der Absage des Leipziger Tanz- und Theaterfestivals gelegen haben, die 2020 unvermeidbar war. Die ehemalige Leiterin lud Künstlerinnen und Künstler ein, die sie besonders schätzte, um das Jubiläum und ihren Abschied zu ­feiern. Einige wenige Inszenierungen konnten im nächsten Jahr

nachgeholt werden, wie das Puppentheaterstück „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“ von Nikolaus Habjan. So konnte Wolff, die von 1993 bis 2020 die Plattform für zeitgenössische Bühnenkunst prägte und Impulse aus West- und Osteuropa in die sächsische Großstadt brachte, ihr Ende mit dem gern eingeladenen Grazer feiern.

Individuelles Glück oder „das gute Leben“? СЧАСТЬЕ (DAS GLÜCK) auf der Leipziger euro-scene. Foto Harvé Bellamy


festivals

Christian Watty gestaltete im letzten November die erste Ausgabe des Festivals nach der Ära Wolff. Dafür zog der neue Leiter aus der französischen Provinz nach Leipzig – im Gepäck ein erweitertes Verständnis von Europa. Weg vom Ost-West-Diskurs soll sich die euro-scene entwickeln, um den postkolonialen Blick auf die vergangenen und heutigen Verbindungen mit anderen Weltteilen zu schärfen. Verbunden mit dem neu gesetzten Anspruch, Inszenierungen verstärkt in Koproduktion zu erarbeiten, zeigt sich „Amores de Leste“ als Beginn einer Neuausrichtung. Für eine Rechercheresidenz begab sich die portugiesische Gruppe Hotel Europa nach Leipzig, um die Verstrickungen von Liebes- und Arbeitsverhältnissen zwischen den Ostblockstaaten, Portugal und seiner ehemaligen Kolonie Mosambik theatral aufzudröseln. Gehüllt in Retro-Charme erzählen der Portugiese André Amálio und die in Tschechien geborene Tereza Havlíčková von ­ihren Begegnungen. Bestimmt wird das Bühnengeschehen im Theater der Jungen Welt von Interviewfragmenten, die abgespielt und nachgesprochen werden. Auf den gestapelten Röhrenfern­ sehern im Hintergrund erscheinen verrauschte Gesichter aus der Vergangenheit. Dazwischen lockern kleinere performative oder tänzerische Einlagen die dokumentarische Spurensuche auf. Hoffend, in der DDR Sport studieren zu können, reiste ein Mosambikaner in den Osten. Unter dem Druck einer angedrohten Ausweisung begann er, in einer Schweinefleischfabrik zu ­arbeiten, obwohl er Moslem ist. Der Traum von einer guten Ausbildung war für den jungen Mann dahin. Als er sich während eines Boxkampfs eine Verletzung zuzog, verweigerte ein rassistischer Arzt die ­Behandlung. Eine Krankenschwester nahm sich seiner an. Sie verliebten sich und heirateten, obwohl über die gebotene Freundschaft der Völker hinaus keine romantischen Beziehungen eingegangen werden durften. Mit der Wiedervereinigung zerriss die Ausweisung vieler Gastarbeiter, die bis heute nicht ihren vollen Lohn ausgezahlt bekommen haben, die kleine Familie. ­ „Bleibt man Kommunist, wenn der ‚reale Sozialismus‘ enttäuscht?“ Diese Frage liegt den ausgebreiteten Biografien zugrunde. Die internationale Koproduktion ist eine der vier Theaterinszenierungen, die das transdisziplinäre Festival auf die Bühne brachte. Während die Tanzstücke von Klassikern wie Sasha Waltz’ „Allee der Kosmonauten“ bis zur Premiere von „Einblicke“, erarbeitet durch die Leipziger mixed-abled Forward Dance Company, ein Spektrum der zeitgenössischen Strömungen ausstellt, zeichnen sich die ausgewählten Theaterarbeiten durch ihre Ähnlichkeit aus. Dramatische Handlung oder gesponnene Illusionen lehnen die postdramatischen Produktionen ab. Auf der Bühne wird der Prozess ausgestellt, in dem die Performenden Material – Dokumente, Fundstücke und Metaphern – generieren und re-arrangieren. Wie der Essay, der „von etwas bereits Geformtem, oder bestenfalls von etwas schon einmal Dagewesenem“ spricht, erfinden und entfalten sie ihre formlose Form im Vollzug. Im Gegensatz zum Kunstwerk, das nach Geschlossenheit und Vollendung strebt, handelt es sich für Georg Lukács in diesem Zugriff auf die Wirklichkeit um einen Vorgang der Neuverknüpfung. Denn – so weiter zum Essay – „es gehört zu seinem Wesen, dass er nicht neue Dinge aus einem leeren Nichts heraushebt, sondern bloß solche, die schon irgendwann lebendig waren, aufs neue ordnet.“

Die Theaterarbeiten auf der euro-scene funktionieren implizit nach den Maßgaben des Essays und sind nach ihnen zu bewerten. Für den frühen Lukács hieße dies keine Faktenakkumulation, sondern ein Vordringen zum Wesen des betrachteten Gegenstands. In „СЧАСТЬЕ (Das Glück)“, eine Produktion des russischen KnAM Theaters, versucht das Ensemble, entlang ihrer ­Biografien das titelgebende Gefühl in (post-)sowjetischen Gegenwarten zu erkunden. Die Inszenierung von Tatiana Frolova stellt individuelles Glück und das staatlich festgesetzte ‚gute Leben‘ ­nebeneinander. In einer Collage von Nachrichten- und Interviewfetzen ver­ mischen sich die Schrecken der UdSSR mit denen des Putin-­ geführten Landes. Zu ausladend greift die Inszenierung in die historische Tiefe und vergisst dabei die Kontextualisierung, die ein Verständnis für Kontinuitäten und Brüche gewährleisten würde. Die Produktion positioniert sich gegen reaktionäre Tendenzen im heutigen Russland. Im Versuch, das Glück positiv zu bestimmen, rutschen sie ins Floskelhafte ab. Wie in der Arbeit „Grand Reporterre #4 Deadline“ formuliert sich hier zaghaft der Anspruch, über das Bestehende hinaus eine Aussage zu treffen. Die Zusammenarbeit von Citizen.KANE. Kollektiv, Julia Lauter und dem Théâtre du Point du Jour nimmt sich ebenfalls ausgehend von Interviews der Klimakrise an. Journalistin Lauter verliest im Verborgenen einen Essay, in den sich projizierte Interviewaufnahmen, von einer Band unterstützte ­Lieder und ein moderner Prometheus einfügen. Hier wendet sich der Menschen- zum Götterfreund, der mit dem Feuer das erste Übel über die Gesellschaft brachte. Darauf folgte Atomkraft, ­Kohleenergie und Individualverkehr, betrieben durch Benzin und Diesel. Vom gepriesenen Fortschritt erkannte man in diesen Industriezweigen schließlich Katastrophentreiber. Jene Diagnose dürfte die wenigsten im Publikum überraschen. Einen tieferen Einblick in die Verhältnisse, die der zerstörerischen Tendenz zugrunde liegen und Verantwortung auf das Individuum abwälzen, offenbaren weder ausgespielte Metaphern noch verlesener Text. Die Aufbereitung des Oberflächlichen prägt ebenfalls „Plea­ sant Island“. Auf zwei großen Bildschirmen visualisiert sich, welche Apps Silke Huysmans und Hannes Dereere auf ihren Handys anwählen. Schweigend stehen sie neben den übergroßen Displays und lassen gesammelte Dokumente für sich sprechen. Auf der ­Insel Nauru im Pazifik recherchierten sie zum Abbau der phosphathaltigen Erde, die den Landeskern in eine Wüste verwandelte. Später lieferte Australien Asylbewerberinnen und -bewerber gegen eine finanzielle Kompensation an den winzigen Staat. Betont reduziert zeigt sich die Inszenierung nicht nur in ihrer Anti-­ Haltung zum Theaterspiel. Sie versucht, eine Positionierung im Bericht zu umgehen, aber macht das vorgebrachte Beispiel, in dem das Zusammenspiel von Klimakrise und Kapitalismus sehr gut objektiviert werden könnte, zum beliebigen Fall. Die Auswahl des neuen Festivalleiters beansprucht, politisch zu sein, ohne einen Begriff davon zu haben. In den dokumenta­ rischen Arbeiten lernt das Publikum viel, aber das neue Wissen gibt wenig Aufschluss über die Zusammenhänge, in die es ein­ gebettet ist. Jenseits einer enzyklopädischen Wahrheit braucht es eine des Standpunkts, der bewiesenen Haltung. Erst aus dieser heraus ließe sich das Wissen um die Veränderbarkeit der Um­ stände, in denen die Krisen blühen, als wahr behaupten. //

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abschied

/ TdZ Januar 2022  /

Ich werde meinen Flug fortsetzen Zum Tod der Schriftstellerin, Theaterautorin, Malerin und Philosophin Etel Adnan von Klaudia Ruschkowski

G

eboren 1925 an der Kreuzung von Ländern, Sprachen, Kulturen. Wo sich alles mit allem verbindet. Die Ikonen der Mutter, der Koran des Vaters. Das brennende Smyrna, das Licht im Meer vor Beirut, die Teppiche von Damaskus. Armenier, Griechen, ­Osmanen. Kriege. Vor/Geschichte/n. Zukunft. Umm Kulthum, die singt: „Ich sage Ja zur Welt, ich sage Ja zur Liebe“. Und Farben. Etel wanderte durch ihr Elternhaus. Von Fenster zu Fenster. Sie schaute hinaus. „Ich ging wie selbstverständlich davon aus, dass die Welt ein kosmopolitischer Ort war.“ Strenge französische Nonnen unterrichteten sie in der Schule von Beirut in Französisch. Ein dogmatisches Gebäude, in das sie die Kinder eintreten ließen. Arabisch war verboten. Sie schlossen die Tür. Etel stand am Fenster. Sie sah Gedanken wie bunte Vögel an sich vorüberfliegen. Am Horizont zeichneten sich Menschen ab. Nerval. Baudelaire. Rimbaud … mon seul désir … Etel schrieb ein langes Gedicht über das Meer. Ihr erstes. Dann öffnete sie das Fenster und ging nach Paris. Das war Ende 1949. Sie erinnerte sich an Rilke. Die Passage, in der er „Die Dame mit dem Einhorn“ beschreibt: sechs große Bildteppiche. Fünf repräsentieren die Sinne, der sechste das Verlangen. Etel verbrachte viel Zeit im Musée de Cluny, vor diesen Teppichen. „Sie haben sich in den Stoff meines Lebens eingewoben.“ Ahnte sie, dass sie selbst Teppiche entwerfen würde? Die sie schließlich in den Ateliers Pinton realisieren sollte und dadurch im letzten Jahrzehnt ihres Lebens die Verbindung zwischen Damaskus und Paris wiederherstellte. Paris. Immer ein Zwiespalt. „Paris ist schön.“ „Paris ist das Herz einer dahinsiechenden Kolonialmacht.“ „Paris braucht mich nicht.“ Aus dem Fenster ihres Studentenwohnheims schaute Etel auf die Seine und träumte vom Meer. Dann riss sie sich los, bestieg die Île de France und fuhr im Januar 1955 nach Amerika. Etel, die Pionierin. Auch wider Willen. Etel, die ihr Leben aufs Spiel setzte. In der Dichtung. „Leben in der Dichtung ist ­Leben ohne ein Zurück.“ Etel, die sich aus Worten, Bildern, Gedanken ihr Haus baute. Und aus Farben. „Farben sind metaphy­

sische Wesen … Zeichen für das Vorhandensein von Liebe.“ Jedes Wort, jedes Bild, jeder Gedanke, jede Farbe ein Fenster zur Welt. Im kalifornischen San Rafael, am dortigen College, wo sie seit Anfang der sechziger Jahre unterrichtete, erfand Etel einen Studiengang: Philosophy of the Arts. Sie verliebte sich in Paul Klee. Beide führten lange Gespräche. Im Himmel, auf der Leinwand, auf einem Blatt Papier. Sie saß am Tisch vor ihrem Fenster in Sausalito, bedeckte lange Papierbahnen, Makimonos, gefaltet, mit Aquarell und Tinte. Zog Linien. Fügte Scribbles hinzu, setzte Zeichen. Und schaute auf den Mount Tamalpais. Sie betrachtete seine Farben. War er samtig grün, verließ sie das Haus und betrat die Hänge. War er milchig weiß, ging sie bis zum Gipfel. Zum Sitz der indianischen Göttin, die er einst war. Während ihrer letzten Jahre, die sie wieder in Paris verbrachte, neben den Glocken von Saint-Sulpice, „Paris, im Auge eines Sturms“, als sie ihr Werk in die Welt schickte, aber selbst nicht mehr reisen konnte, vermisste sie den Berg am meisten. Zeichnungen unterzeichnete sie mit „Tamalpais forever.“ Am Berg, in Kalifornien, begegnete sie zum ersten Mal ­arabischen Studenten, aus verschiedenen Ländern. Zum ersten Mal hörte sie von Palästina. Kämpfe, Streiks, Enteignungen, Widerstand. „In Amerika entdeckte ich die Dimensionen der ­ ­arabischen Welt, das änderte mein Leben.“ Etel wurde „militant“. Schrieb sie zu jener Zeit selbst. Wohin führte sie das? „Zunächst zu meiner ‚Ballade vom einsamen Ritter im heutigen Amerika‘. Ein Gedicht gegen den Krieg. Den in Alge­ rien. Den in Vietnam. Ein langer Titel, um meiner Verbitterung Ausdruck zu geben und dem Widersinn, der in allem steckte.“ Die Santa Barbara Gazette druckte den Text. Wodurch Etel über Nacht der Bewegung der Dichter gegen den Vietnamkrieg angehörte. „Der amerikanischen Dichter. You see?“ Sie fragte: „Wie können wir die arabische Sache in den amerikanischen Aufruhr hineintragen?“ Sie ging zum Fenster und betrachtete die Sonnenuntergänge über Golden Gate. Dann ließ sie sich vom ­College beurlauben, fuhr durch Nordafrika und weiter nach Jordanien, in den Libanon. Geplant waren fünf Dokumentarfilme über die arabische Welt. Etel schrieb die Texte. Der Sechstagekrieg zerstörte die Hoffnung auf Frieden. Und die Friedensbewegung in den USA. Etel schickte Adonis „Manifest Juni 1967“ in die Welt


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und brachte die Dichter der Levante und des Maghreb zusammen. Doch der arabische Raum fiel immer mehr auseinander. Die Lage im Libanon spitzte sich zu. Etel spürte die drohende Katastrophe. Sie setzte sich an ihr Fenster, vor ihr der Berg. „Ich schaute stundenlang hinauf in den Himmel. Der Weltraum war ohne jede Orientierung. Eine Wildnis.“ Sie schloss die Augen, nahm die pazifische Route, nach Osten, und schrieb „Der Express Beirut-Hölle“ … „wir alle sind Folterer / an einem schattenlosen Morgen“ … „das Verbrechen bellt lauter / als die Hyänen“. Sturm brach los. „Etwas stürzte herab, brach in Stücke.“ Etel ergriff die Klänge von Ali Akbar Khan. Wie Vogelflügel. So kehrte sie 1972 nach Beirut zurück. Sie schrieb Kolumnen für ­Al-Safa und L’Orient-Le Jour. Gegen den aufziehenden Bürgerkrieg. Die Folge: Anfeindung. Morddrohungen. Entlassung. Flucht aus dem Libanon. Die Konsequenz: das gewaltige Poem „Die ­Arabische Apokalypse“. Es erschien 1980 in Paris. Nicht sie, die Geschichte habe dieses Gedicht geschrieben, sagte Etel. 59 Kapitel für die 59 Tage der Belagerung des Lagers Tel al-Zaatar, im Osten von Beirut. „Ich sah, wohin wir gingen. Es war eine Apokalypse, nicht nur für den Libanon, sondern für die gesamte arabische Welt. Wir entfachten einen Wirbelsturm, einen Taifun, der sich selbst verzehrte, eine Kultur der blinden Gewalt.“ Im Frühjahr 1996 saß ich am Küchentisch und weinte über den Tod von Sitt Marie-Rose. Etels Buch hatte mich aufgestört wie Pasolinis „Salò“. Kurz darauf begegneten wir uns in Weimar. Sie saß an einem Fenster und zog mir einen Stuhl heran. Ich las ihre Texte, einen nach dem anderen, überwältigt. Ihr Schreiben nahm

Eine Pionierin wider Willen – die Dichterin, Theaterautorin und Malerin Etel Adnan. Foto Antonio Maria Storch

mich mit wie eine Woge. Es brachte mich zu neuen Ufern. Wir saßen an vielen Orten vor vielen Fenstern, lachten, aßen, sprachen über Poesie, Bilder, Wahrnehmung, Leben. 2012 wurde Etels Leben erneut umgewälzt. dOCUMENTA (13). Ein Glück und Paukenschlag. In Folge Ausstellungen weltweit. „Du hast einen so wichtigen Einfluss auf die zeitgenössische Kunst“, sagte ihre Galeristin Andrée Sfeir-Semler. „Ja“, sagte Etel, „mein Werk hat Freiheit.“ Für die documenta schrieb Etel, die Liebende, einen Essay über die Liebe. Die Liebe ein Erdbeben … das Leben selbst. Eine Offen­ barung … die Macht der Kunst. Und politisches Handeln … explosiv, großer Aufruhr, Risiko. „Wir müssen Risiken eingehen, um unseren nomadischen Planeten zu retten.“ Wann haben wir begonnen, die Erde hinter uns zu lassen? In einem ihrer letzten Texte schrieb Etel: „Aber der Weltraum ist ein Element deiner Seele. Wo immer du auch hingehst, du wirst deiner eigenen Seele begegnen.“ Im letzten Jahrzehnt ihres Lebens, vor ihrem Tod am 14. November 2021 in Paris, kam alles zusammen. Und alle kamen zu ihr. Etel wurde zum Berg. Sie ist unser Mount Tamalpais. Unser Raumschiff. „Die Überschreitung jeder herkömmlichen Vor­ stellung von Zeit.“ Mit ihr betreten wir das Labyrinth, das wir sind. Voller Dankbarkeit. Und Liebe. „Love doesn’t die when we die. It is our resurrection.“ //


Look Out

Von diesen Künstler:innen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern.

Die unbändige Lust am Bühnenabenteuer Schauspielerin und Regisseurin Swana Rode vom Badischen Staatstheater Karlsruhe

K

lettern ist die große Leidenschaft von Swana Rode. Am Felsen oder im Winter auch in der Halle bekommt die Schauspielerin den Kopf frei. Sich immer neue Ziele zu setzen, das prägt die Lebensphilosophie der 30-Jährigen. Wenn sie sich eine neue Klettertour vornimmt, weckt das ihre Lust am Abenteuer. Dabei tankt sie auch Energie. Auch auf der Bühne steckt sie sich immer wieder neue Ziele. „Neben dem Schauspiel hat mich immer die Regie gereizt“, sagt Rode, die seit ihrer Jugend im English Theatre und am Jungen Schauspiel Frankfurt auf der Bühne steht. Den Traum erfüllt sie sich nun mit ihrer ersten Solo-Regie mit der Stückentwicklung „Antarktika – White out“. Nach dem Reisebericht „Die Reise zum Südpol“ von Roald Amundsen und den Tagebüchern von Robert Falcon Scott hat sie eine Fassung entwickelt, die das Narrativ der heldenhaften Eroberer und Entdecker in Zeiten des Klimawandels kritisch liest. Am privaten Schauspiel-Studio Frese in Hamburg hat Swana Rode studiert. „Auf der Bühne zu stehen, das war immer mein Wunsch“, gibt die temperamentvolle Sportlerin unumwunden zu. In der Hansestadt tauchte sie schon während der Ausbildung in die spannende Szene ein. Sie spielte nebenbei am Thalia Theater, auf Kampnagel und am St. Pauli Theater. Zur Spielzeit 2016/17 engagierte sie die damalige Leiterin Ulrike Stöck ans Junge Staatstheater in Karlsruhe. „Die Kinder und Jugendlichen haben mir viel gegeben, denn die sind ein extrem kritisches Publikum“, findet die Künstlerin. Da huscht ein Grinsen über ihr Gesicht. Die Jungen und Mädchen mit ihrem Spiel zu erreichen, sie zum Lachen und zum Nachdenken zu bringen, das hat sie gereizt. Dabei stets auf Augenhöhe zu bleiben, war ihr besonders wichtig. Dennoch wollte sie weiter. Auf der Bühne peitscht sich die dynamische Spielerin gerne selbst an Grenzen. Kein Berg scheint ihr da zu hoch. Ihr Ziel war jedoch immer das Erwach-

senentheater. Deshalb wechselte sie 2018/19 ans Karlsruher Schauspiel. Dass ihr die Direktorin Anna Bergmann und das Leitungsteam da so viele Möglichkeiten bieten, sich künstlerisch zu entwickeln, macht die junge Spielerin glücklich. Mit ihrer Weggefährtin Saskia Kaufmann brachte sie 2020 in Karlsruhe die Solo-Performance „Das kalte Herz“ nach Wilhelm Hauff auf die Studiobühne. Die Geschichte vom Kohlenmunk Peter, der sein Herz an die Mächte des Teufels verkauft, hat die Künstlerin gereizt. Wie leben die Menschen in der kalten, neoliberalen Welt? Mit starken Körperbildern und einem Text, der das Märchen aus dem 19. Jahrhundert ganz nah in die heutige Zeit holt, begeisterte Rode da das Publikum. Ihr ebenso körperbetontes wie kraftvolles Spiel trifft ins Herz. Sich perspektivisch ganz auf die Regie zu konzentrieren, das käme für Swana Rode nicht infrage. Dass sie in Karlsruhe ihre beiden Talente entfalten darf, macht sie glücklich. In Anna Bergmanns Inszenierung von Christa Wolfs feministischer Lesart des Mythos „Medea. Stimmen“ spielte sie Medeas ehemalige Schülerin Agameda, die für ihren eigenen sozialen Aufstieg nicht nur ihre Ziele, sondern auch die ehemalige Lehrerin verrät. Frostig und scharf zeichnet die Schauspielerin da die Konturen ihrer Figur, die in Wolfs Text eher schemenhaft bleibt. Klug kehrt sie die Psyche dieser egomanischen Figur da nach außen. Aber auch die kleineren Rollen reizen die Schauspielerin. In Lily Sykes’ Inszenierung von Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ spielte sie Heros Zofe Margaret. „Das ist eine ganz ­kleine Rolle, viel zu sagen, hatte ich nicht“, erinnert sie sich an die Probenarbeit mit der englischen Regisseurin, die sie sehr inspiriert hat. Da habe sie viel über das Regiehandwerk gelernt, sagt Swana Rode. Denn ein Ensemble zu führen, hat für sie vor ­allem mit Motivation zu tun. „Die Kunst besteht darin, gerade in den kleinen Rollen die große Bedeutung zu finden.“ Diese Philosophie möchte sie auch ihren Spielerinnen und Spielern in ihrem Regiedebüt mit auf den Weg geben. // Swana Rode. Foto Felix Grünschloss

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Elisabeth Maier


/ TdZ  Oktober 2021  /

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Theodoros Terzopoulos. Foto Johanna Weber

Exklusiver Vorabdruck

TERZOPOULOS TRIBUTE DELPHI


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Es gibt nichts Schönes ohne Regeln und Neues nur, wenn man sie nicht befolgt von Eugenio Barba

Auf dem Weg zu dieser Konferenz traf ich auf einen Schwarm Vögel, der mich fragte: „Du gehst nach Delphi, Stadt der Orakel? Vorsicht, hör’ nicht auf sie, denn sie bringen kein Glück. Und, bitte, gib diese Botschaft an Theodoros Terzopoulos.“ (Julia Varley singt die Botschaft in Vogelstimmen.) Ich übersetze das. Es gibt einen merkwürdigen Aspekt im Werk von Theodoros Terzopoulos. Der hat gar nichts mit ihm als Theatermacher zu tun, sondern damit, wie er einen bestimmten Raum für Kultur organisiert. Ich meine ­damit sein Bedürfnis, einen Schutzraum zu schaffen. Den erschafft und organisiert er innerhalb von Instituti­ onen und findet dafür prächtig klingende Namen wie die International Meetings of Ancient Theatre in Delphi oder das International Institute of Mediterranean Theatre oder die Theatre Olympics oder das International Meeting of Ancient Theatre in Sykion. Aber was tatsächlich macht er da? Er stellt eine wesentliche Dimension unserer Arbeit damit heraus, nämlich den Prozess. Wenn wir von Theater reden, beziehen wir uns immer auf das Publikum, die Zuschauer, das Außen, den sicht­ baren Teil unseres Schaffens – das Ergebnis. Aber das Schwierigste für die meisten von uns ist der Prozess: Wie man es schafft, eine Idee umzusetzen, einer Tradi­ tion zu folgen, einen Text – Symbolen auf Papier – in wahrzunehmende Zeichen zu verwandeln, mit Intona­ tion, Schweigen, Gesten, Stillstand, um eine Reaktion in den Zuschauern zu erzeugen, in deren Gedächtnis, Sinne und Nervensystem. Diese Zusammenkünfte, den kreativen Prozess der Schauspieler zu untersuchen, die sich Terzopoulos zur Aufgabe macht, sind in der The­ aterwelt ganz besondere Ereignisse. Er ist eine Aus­ nahme, und dafür bin ich ihm dankbar.

Terzopoulos gehört zu denjenigen in unserem Gewer­ be, die sich fragen: „Was ist Theater?“ Seine Definition kenne ich nicht, aber eine mögliche Antwort könnte sein: „Theater ist Männer und Frauen, die es machen.“ Was kann das praktisch bedeuten? Das bedeutet, dass man mit jedem einzelnen Schauspieler so arbeitet, dass er zu einer Attraktion/Reflexion für jeden einzelnen Zuschau­ er wird. Wenn wir auf die Anfänge der systematischen Arbeit mit dem Schauspieler zurückgehen, am Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit den damals führen­ den Theatererneuerern, dann finden wir zwei Ansätze, den Schauspieler zu entwickeln: den eines Schöpfers der sinnlichen Dramaturgie, der zugleich eine neue Verbin­ dung mit den Zuschauern herstellt. Grob gesagt geht es entweder um Richtung Ost oder West. Die Inspiration kommt entweder vom asiatischen Theater, anthropologischen Zeremonien oder reli­giö­ sen Ritualen. Oder von der intellektuellen Analyse für die Technik des Schauspielers in der europäischen Tra­ dition. Da gestaltet der Schauspieler seine Figur aus konkreten Umständen heraus, auf der Grundlage der Psychologie, wie sie als neue Wissenschaft am Anfang des letzten Jahrhunderts entstand. Diese neue Methode wurde zum Teil von Stanislawski entwickelt. Auch weil Stanislawski Meyerholds Biomechanik kannte, seine Methode, den ganzen Körper einzubeziehen, von sei­ nem Organismus bis zu den noch kaum untersuchten Möglichkeiten seiner Anatomie. Wenn ich von dieser Anatomie spreche, meine ich den body-mind, denn die zwei kann man nicht voneinander trennen. Wir sind zwar von den autonomen, zigfachen Aktivitäten un­ seres Gehirns geprägt. Aber wir sollten doch dabei nicht den Umstand vergessen, dass wir fast noch ein Reptil-­Gehirn haben, das uns nur um zwei Prozent von manchen Tieren unterscheidet. Dann sah ich gestern diese Vorführung. Terzopoulos konnte die verborgene Kraft der Schauspieler freilegen,


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malische Vergangenheit, die Intelligenz unserer ganzen Anatomie. Und das ist das, was unserem Theater heute verloren gegangen ist. Unser „Klassiker“ ist Beckett, ein außerordentlicher Autor, der den Schauspieler be­ graben hat und nur noch den Kopf und Mund sprechen lässt. Zweifellos interessant. Aber wenn ich hier in Delphi bin, im Omphalos, im Zentrum des Kos­ mos, an diesem Ort, wo die antiken Götter durch die Schau­spieler sprachen, dann merke ich, wie begrenzt Der italienische Schauspieler Paolo Musio fragte: „Wo ­unsere Kunst geworden ist. Unsere Möglichkeiten bin ich, wenn ich hier auf und ­Zu­kunft liegen in uns, in der Bühne stehe?“ Stimmt, unserer animalischen (diony­ denn Schauspieler stehen sischen) Identität, die danach auf einer Bühne und zuglei­ verlangt, mit der animalischen ch woanders. Stefan Zweig Dimension in den Zuschau­ TERZOPOULOS  meinte, Schauspieler sind da, ern zu kommunizieren. wo sie spielen, ein Schriftstel­ TRIBUTE Die griechische Kultur war ler im Schreiben und ein Ma­ DELPHI dazu in der Lage, die Ein­ ler da, wo er auf der Leinwand heit der zwei Seiten von uns malt. Aber es gibt natürlich zu zeigen – halb Tier, halb einen Grund, warum es für Mensch. Einige von dieser Schauspieler ganz anders ist. Art waren intelligent, wie der Weil, wie Stefan Zweig sagt, Kentaur Chiron, halb Pferd, der Schauspieler anderswo halb Mensch, der Lehrer ist. Der Schauspieler ist buch­ von Achill. Man denke an stäblich in Ekstase, was nicht die ­Sirenen, an die Sphinx, automatisch bedeutet, er hätte an den unschuldigen Mino­ seinen Verstand verloren. Er tauros, gefangen in seinem ist „dort“ im Vorgang einer Labyrinth. Entwicklung, dem Prozess, aber auch „hier“ vor den Zu­ TERZOPOULOS TRIBUTE DELPHI In Namen meiner Kollegen schauern. und unseres Standes danke Herausgegeben vom Attis Theatre ich Terzopoulos, denn er Ein anderer Aspekt der In englischer Sprache schafft Schutzräume, wo wir schauspielerischen Vorfüh­ 248 S., mit Fotos, 24 Euro uns treffen können und den r­ ung erinnert daran, wie ISBN 978-3-95749- 400-9 verborgenen, geheimen Teil stark Terzopoulos eine Tradi­ Verlag Theater der Zeit unserer Kunst erblicken. Ich tion vom Anfang der 1960er möchte ihm für seine Kunst fortführt. Es geht um das danken, für sein Streben, für Bedürfnis und das Verlangen seine Ausdauer. Es gibt keine danach, den Urgrund eines ­ erantwortung, Selbstachtung kreativen Prozesses zu finden. Der mag manchmal lebendige Methode ohne V sehr einfach sein, fast langweilig, und manchmal eine und Disziplin – und all das haben wir gestern bei der blitzartige Erhellung. Aber dessen Energie wird zur Vorführung erlebt. Nabelschnur für die Beziehung zwischen Schauspieler Julia, wir enden mit einem alten Danklied als Lied für und Zuschauer. ­Theodoros, den Mentor. Der kolumbianische Schauspieler Juan Echeverry Arran­ go schildert, wie er in der Arbeit mit Terzopoulos in der Zeit zurückgeht, das Archaische entdeckt, das Antike, das Animalische, das für unsere Tätigkeit grundlegend Übersetzung Thomas Irmer ist. und für eine und eine dreiviertel Stunde erlebten wir, wie sie alles aus sich bis zum Maximum herausholten, sehr kontrolliert, wie ein Chirurg oder ein jeden nächs­ ten Schritt bedenkender Bergsteiger im Hochgebirge. Höchst interessant, wie diese Terzopoulos-Schauspieler über ihre Erfahrungen mit ihm sprachen: Wie sie diese Energie in sich entdeckten, die sie vorher gar nicht kannten, und wie sie diese nun für sich nutzen konnten.

Warum fasziniert uns der Tanz? Warum gehen wir in die Oper, auch wenn wir kein Deutsch können, falls es Wagner ist, oder Italienisch, bei Verdi? Weil Tanz und Lieder die nicht-konzeptuellen Bereiche unseres Gehirns und Nervensystems ansprechen, unsere ani­

Auszug aus dem soeben erschienenen Buch „Terzopoulos Tribute Delphi“, herausgegeben vom Attis Theatre in Athen


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Auftritt Berlin

„Starker Wind“ von Jon Fosse

Cottbus

„Feinstoff. Vier Versuche mit Seide“ (UA) von Lars Werner

Frankfurt / Main „In letzter Zeit Wut“ von Gerhild Steinbuch  Neustrelitz Stanislaw Lem  Rostock „Das Wunder von Mailand“ nach dem Film von Vittorio Peter Zadek

Stuttgart

„Am Ende Licht“ von Simon Stephens

„Solaris“ nach dem Roman von De Sica in der Bearbeitung von


auftritt

/ TdZ  Januar 2022  /

BERLIN

Spielweise, leicht entrückt, indirekt zwischen den Figuren.

COTTBUS

Sehr viel deutlicher wird es, wenn die

Ein Gedicht als Raum

Zuschauer auf der Drehscheibe zur Rückwand der Bühne gedreht werden, wo das Paar Eg-

Seidenstraße Lausitz

gert / Simonischek an einer Art Kletterwand um

DEUTSCHES THEATER: „Starker Wind“ von Jon Fosse Regie Jossi Wieler Bühne & Kostüm Teresa Vergho

körperliche Nähe ringt, während die mikroportverstärkte Stimme von Moss von hinten zu hören ist. Die Projektion des Mannes ist in Szene gesetzt, und die Zuschauer sitzen mittendrin. Das ist der Clou der nur 70-minütigen Insze-

STAATSTHEATER: „Feinstoff. Vier Versuche mit Seide“ (UA) von Lars Werner Regie Raffael Ossami Saidy Bühne & Kostüm Susanne Brendel

nierung, für die man die Bereitschaft mitbrinDieses neue Stück des norwegischen Minima-

gen sollte, an dieser Dreiecksgeschichte nicht

listen, uraufgeführt beim Fosse-Festival im

allzu viel psychologisch herumzudeuteln.

Die vier Versuche mit Seide gehen zunächst

September in Oslo, ist mit der Bezeichnung

Zwar gilt Jossi Wieler als Spezialist für

einmal auf die historische Tatsache zurück,

„ein szenisches Gedicht“ versehen. Ein Mann

besonders fein gesponnene Dramatik (zuletzt

dass Friedrich II. in Preußen eine Seidenpro-

sinniert, wie er sagt, nach langer Abwesen-

Peter Handkes „Zdeněk Adamec“ an diesem

duktion aufbauen ließ, mit der das ausländi-

heit, an einem Fenster im 13. Stock eines

Haus), und seine Zutaten wie die kaum hör­

sche Monopol in Frankreich und Italien ge-

Hochhauses. Ein höchst ungewöhnlicher Ort

bare Musik des fernen Rauschens von Michael

brochen werden sollte. Maulbeerbäume zur

für Fosse, dessen Figuren zumeist in einsam

Verhovec lassen die Inszenierung noch subtiler

Fütterung der Seidenraupenlarven wurden

stehenden Häusern an dunklen Fjorden sie-

tastend erscheinen, aber ein Tauchgang in die

gepflanzt, auch in Cottbus und überhaupt al-

deln, und auch für Norwegen überhaupt, was

Tiefe des Textes ist diese deutschsprachige

ler Witterung zum Trotz. Ein Vulkanausbruch

also heißen könnte, das Stück hat keinen

Erstaufführung von Fosses „Starker Wind“

auf Island 1783 bereitete dem Ganzen mehr

konkreten Ort. Der Monolog des Rückkehrers

trotzdem nicht. Am Ende, die Bühne hat sich

oder weniger ein Ende, aber die Anbautradi­

bewegt sich, nach vielem über Sein und Zeit,

ein zweites Mal zur Rückwand gedreht,

tion starb nicht ganz ab. Bis im Zweiten Welt-

auf ein Ehedrama zu: Die Frau hat ihn ver­

schmiert sich das Paar mit grüner Farbe ein,

krieg auf diese Weise hergestellte Seide

lassen für einen Jüngeren – und was jetzt

als Schlusspunkt im fortlaufenden Farbspek­

­wieder sehr gefragt war – für Fallschirme –

kommt, ist für alle unklar. Und eben auch

trum, und der Mann liegt nach dem Absprung

und sogar Schüler in die nun kriegswichtige

nicht erklärbar. Oder sehr schwer.

aus dem 13. Stock tot hoch oben auf einem

Produktion einbezogen wurden.

Man kann sich das als einen Monolog

Gitter im Bühnenturm, was gewissermaßen die

Auf dieser Ebene setzt das Stück am

vorstellen, der noch zwei weitere Figuren aus-

Raumkonzeption auf den Höhepunkt bringt.

sorbischen Gymnasium in Cottbus ein. Petr

stülpt. Das von Fosse häufig genutzte

Das szenische Gedicht, alles andere als ein

Szczepanski, Lehrer sorbischer Schüler in der

Grundmodell von Drama – zwei sind da, eine

psychologisches Stück und doch voller Fosse-

NS-Zeit, muss sich in seiner Schule verste-

dritte Figur kommt und zerstört alles – wird

Psychologie, wird sich in anderen Inszenierun-

cken, aber eine seiner in die Behinderung der

hier ein weiteres Mal gleich doppelt variiert.

gen noch weiter als Herausforderung erweisen.

Seidenproduktion verstrickten Schülerinnen

Jossi Wieler hat dafür zusammen mit Teresa

Jossi Wieler hat auf jeden Fall dessen Sound

kennt auch das von ihm geschätzte Werk

Vergho ein ungewöhnliches Raumkonzept in

vertraut (in der schon lange die deutschen

„Morus Alba“ der Charlotte Neuber aus Fried-

den Kammerspielen des Deutschen Theaters

Fosse-Stimmen schaffenden Übersetzung von

richs Zeiten. Diese fiktive Dichtung über den

entwickelt, das den Text buchstäblich öffnet.

Hinrich Schmidt-Henkel), und auch darin

asiatischen Maulbeerbaum und dessen An-

Denn zunächst sitzt Bernd Moss in den

kann man die Kunst dieser Inszenierung ver-

pflanzung in Preußen führt in den zweiten

Thomas Irmer

‚Versuch‘, in dem jene Charlotte Neuber im

leeren Stuhlreihen dem Publikum auf der

nehmen. //

Bühne gegenüber: kein Hochhaus, kein Fens-

Waisenhaus ihrem Seidenraupen-König be-

ter, kein Interieur, gar nichts für diesen lang-

gegnet. „Morus Alba“ wiederum ist im dritten

sam sich umschauenden Eröffnungsmonolog,

‚Versuch‘ der Name einer von der Stasi ver-

in dessen weiteren Verlauf Maren Eggert und Max Simonischek als das wohl imaginierte Paar eintreten. Sie in einem petrolfarbenen Kleid, er in einem scharlachroten Pulli – zusammen mit dem Purpur an Moss ergibt das eine merkwürdige farbpsychologische Palette zwischen Hitze und Kälte. Und so ist auch die

Stay at home and read a book! w w w. m e r l i n - v e r l a g . c o m

folgten Gruppe von Cottbuser Umweltaktivisten, die 1983 auf die Folgen des massiven Abbaus von Braunkohle und deren umweltschädlicher Verfeuerung für Elektrizität aufmerksam machen will. Im vierten ‚Versuch‘ springt das Stück in die Zukunft des Jahres 2154, in der die Niederlausitz, wo aktuell mit Deutschlands größtem künstlichen Gewässer gerade an einer zweiten Ostsee gebastelt

„Ein szenisches Gedicht“: Jon Fosses „Starker Wind“ als Inszenierung von Jossi Wieler am Deutschen Theater Berlin. Foto Arno Declair

MERLIN VERLAG

21397 Gifkendorf 38

wird, eine tropische Landschaft geworden ist.

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Kinder erforschen dieses neue Biotop, in dem

info@merlin-verlag.de

Maulbeerbäume zwar prächtig gedeihen

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auftritt

/ TdZ Januar 2022  /

Wider die Gegenwartsfixiertheit: Lars Werners „Feinstoff. Vier Versuche mit Seide“ als Inszenierung von Raffael Ossami Saidy am Staatstheater Cottbus. Foto Marlies Kross

FRANKFURT/ MAIN All die verdammten Horsts dieser Welt SCHAUSPIEL FRANKFURT: „In letzter Zeit Wut“ von Gerhild Steinbuch Regie Christina Tscharyiski Bühne Sarah Sassen Kostüme Svenja Gassen

würden, aber wohl niemand mehr Seide als

Preußentum und Kunst noch einmal grund-

„Ich bin die Rose am Weltfrauentag, nur als

Kleidung oder für Kriegsausrüstung braucht.

sätzlich (nach Peter Hacks und Heiner Müller)

tägliches Geschenk“ – spätestens bei diesem

Wenn man so will, wird mit der Seide (und

behandelt wird. Seide ist hier eher das Me­

Satz

jenem fiktiven poetischen Werk darüber) ein

dium zwischen Macht und Machbarkeit mit

Denn wie ernst kann man einen vermeintlich

diskontinuierliches Geschichtsbild gespon-

Untertanen. Die intensivste Szene ist Saidy

emanzipierten Mann nehmen, der sich mit

nen, das drei quasi-dokumentarische Ebenen

zweifellos mit dem Stasi-Verhör der Pauline

solchen Sprüchen verkauft und überdies Müt-

der Vergangenheit in die katastrophische

Schmitz aus der Umweltgruppe von 1983

zen mit der Aufschrift „Nice“ verteilt? Die

­Zukunft führt.

gelungen. Susann Thiede spielt diese durch

vier Damen in Gerhild Steinbuchs „In letzter

Für den Zusammenhang von politi-

Schlafentzug und endlose Befragungen ge-

Zeit Wut“, das nun gemäß seinem Titel mit

schem Willen, Wirtschaft und Umwelt hat

quälte Figur bis zum kleinen Verrat, der aber

reichlich bissiger Komik am Schauspiel

Lars Werner noch die Figur eines Stadt­­

nun in dem großen Panorama um Seide in

Frankfurt Premiere hatte, haben das Spiel ih-

planers erfunden, der praktisch wie ein

Cottbus zwar erschüttert, aber wohl doch

res smarten Chefs Horst jedenfalls durch-

Moderator in die jeweilige Szene einführt. ­

nicht mehr alles bedeuten kann. Am Ende

schaut. Während er täglich den Kämpfer für

Außerdem gibt es in der Inszenierung auch

tasten drei Kinder durch die mit nur wenigen

Frauenrechte mimt, muss sich eine von ihnen

Schrift-Projektionen zur historischen Orien-

Elementen wie Sitzkuben bestückte Bühne

ständig vor Zorn übergeben. Ihre Erregung

tierung. Der Stadtplaner, der wechselnd von

von Susanne Brendel, während die vier

scheint berechtigt. Noch einmal rekapitulie-

den vier Schauspieler:innen gespielt wird, ist

Schauspieler:innen unter einer erleuchteten

ren sie ihre tatsächlich wenig erbaulichen

die leitende Idee des jungen Regisseurs

Seidenplane zurück in die Zukunft und ins

Bewerbungsgespräche und die sich daran an-

­Rafael Ossami Saidy für den Zusammenhang

Publikum schauen.

schließende Ausbeutung im ach so ‚nicen‘

sollten

Feminist:innen

aufhorchen.

der so unterschiedlichen Szenen. Wie in ei-

Das Stück des 1988 in Dresden gebo-

und hierarchielosen Betrieb. Bald schon

nem Arrangement für eine Begleitband steht

renen Lars Werner ist ein Auftragswerk des

schmettern die Rebellinnen und Empörten

diese Figur auf der Bühne links an einem

Staatstheaters im Süden Brandenburgs. Oft

chauvinistische Sprüche von Männern à la

Keyboard mit Mikro, manchmal auch mit Ge-

werden in solchen Fällen regionale Themen

„Bist du immer so hysterisch oder nur unter-

sang in der Komposition von Simon Kluth.

bearbeitet und für die Bühne aufbereitet, als

fickt?“ auf die Bühne. Es muss sich also et-

In der Struktur somit ein Anklang von

angewandte Heimatkunde. In diesem Fall

was ändern. Die ersehnte Abhilfe schafft

Revue, wirken die einzelnen Szenen doch

muss jedoch von einem großen Wurf die Rede

glücklicherweise eine Zauberuhr, mit der sich

weitaus schwerer. Thomas Harms spielt den

sein, der auf geradezu neuartige Weise ver-

alle Verhältnisse zurück auf null führen las-

sich versteckenden Lehrer als einen Wider-

schiedene Zeitschichten so aneinander stellt,

sen sollen.

standsvisionär, der Sorben und der Seide

dass nicht nur ein fast vergessenes Phänomen

Bevor die vier Frauen (Sarah Grunert,

­wegen. Dass das Buch „Morus Alba“ ihm so

wieder zum Vorschein kommt, sondern dies

Tanja Merlin Graf, Katharina Linder, Melanie

wichtig ist, begreift man erst in der folgen-

auch in neuen Zusammenhängen behandelt

Straub) nun den Umsturz der Verhältnisse

den, zeitlich zurückspringenden Szene, in der

wird. Die zwanghafte Gegenwartsfixiertheit

versuchen, nimmt zu Beginn schon das Büh-

Harms als Friedrich II. auf dessen Verfasserin

der neuen deutschen Dramatik überwindet

nenbild die hehre Ambition vorweg. Wir

Charlotte Neuber (Sophie Bock) in einem

der Autor mühelos – mit hohem Anspruch. //

schauen auf ein halbrundes Plenum. An den

Waisenhaus trifft und das Verhältnis von

Thomas Irmer

Wänden befinden sich hier und da kleinere


auftritt

/ TdZ  Januar 2022  /

Schmierereien, ein Gummibaum fristet ein

menen männlichen Subjekten zu befreien.

glücklicherweise die Differenziertheit ein. Es

trauriges Dasein. Obwohl die Kulisse ab­

Um die Botschaft auch noch den letzteren

zeigt sich, dass guter Protest eben stets auch

gewirtschaftet wirkt, rekurriert sie auf eine

Pseudo-Emanzipierten näher zu bringen,

mit einer kritischen Selbstreflexion einher-

große utopische Idee, nämlich ein Parlament

stimmt das Quartett sodann noch das letzt-

geht. //

der Frauen. Erstmals dramatisch umgesetzt

lich gegen Rassismus wetternde Pocahontas-

wurde die Idee in Aristophanesʼ satirischer

Lied „Das Farbenspiel des Winds“ an.

und aus heutiger Sicht misogyner Komödie

Dass sich dieser Abend trotz seines

„Die Weibervolksversammlung“, in der die

streckenweisen Leerlaufs in der unentwegten

Protagonistinnen ihre Ehemänner erst be­

Anklage der binären Geschlechterordnung

täuben und sie dann – im Ornat maskuliner

lohnt, verdankt sich dem durch seinen

Abgeordnete – ihrer Macht berauben. Als wei-

schwarzen Humor, seine zynische Verve und

tere Vorlage ließe sich übrigens auch an den

überhaupt den mit pointierten Wortspielen

nicht minder galligen Roman „Die Insel der

brillierenden Text. Er entlarvt nicht nur das

großen Mutter oder Das Wunder von Île des

inhaltsarme Gerede jener Männer, die sich

Dames“ von Gerhart Hauptmann denken,

wie Horst selbstbeweihräuchernd als „Tempel

einer galligen Farce über einen letzthin ­

der Fürsorge“ präsentieren, sondern gleich-

heuchlerischen Amazonenstaat.

sam sämtliche Codes und Mythen, die Frauen

Björn Hayer

NEUSTRELITZ Großes Warnstück THEATER ORCHESTER NEUBRANDENBURG NEUSTRELITZ „Solaris“ nach dem Roman von Stanislaw Lem Regie Tatjana Rese Ausstattung Norbert Bellen Choreografie Lars Scheibner

Diesen wollen auch die Heldinnen im

über Jahrhunderte aus dem Zentrum der

zweiten Teil der unter der Regie der 1988 in

Macht hinausbeförderten. Zum Gelingen trägt

Wien geborenen Christina Tscharyiski reali-

übrigens auch die weise Schlussszene des

sierten Inszenierung errichten. Nachdem sie

Stücks bei. Horst hat sich und seine Phrasen –

ihre verzauberte Uhr nutzen, lassen sich hin-

nun am Bühnenrand liegend – selbst dekons-

ter den Holztüren des Plenums Urwaldpflan-

truiert und gleichsam den Damen die An-

„Requiem für einen Planeten“ lautet der Un-

zen finden. Auch Rüstungen und ein Speer

griffsfläche genommen. Ferner müssen diese

tertitel für diese spartenübergreifende Insze-

sind zur Hand, um die Welt von den verkom-

einsehen, dass eine Welt ohne Macht und

nierung nach dem Roman von Stanislaw Lem

Konstruktionen in der Sprache genauso wenig

zu dessen 100. Geburtstag letztes Jahr. Gregor

bestehen kann wie ein Amazonenstaat. Ge-

Edelmann hat dieses Buch der philosophi-

gennarrative verfallen eben auch Klischees

schen Science-Fiction, das seit seinem Er-

und Stereotypen. Was bleibt, ist einzig der

scheinen 1961 immer wieder neue Interpre-

versehrte Körper – als sichtbares und unmiss-

tationen herausfordert, für unsere Gegenwart

verständliches Symbol des Widerstandes. Mit

adaptiert, in der „die Zeit für Antworten ab-

dieser Aussage bringt das Diskursdrama

läuft“.

Schwarzer Humor, zynische Verse und pointierte Wortspiele: Christina Tscharyiski inszeniert „In letzter Zeit Wut“ von Gerhild Steinbuch in Frankfurt. Foto Felix Grünschloß

Die Arbeit auf der Raumstation zur Erforschung des Planeten Solaris stagniert seit Jahrzehnten. Ob sein Ozean unter der Oberfläche eine fremde Zivilisation verbirgt oder das Ganze selbst eine Art denkender Organi­s­ mus ist, mit dem alle Kommunikationsver­ suche scheitern, das war stets der Dreh- und Angelpunkt aller Deutungen. Hier schwebt der Psychologe Kelvin (Jonas Münchgesang) zur Verstärkung der erschöpften Kräfte auf der Forschungsstation ein und erläutert seine Mission. Die Bühne von Norbert Bellen ist eine eher industriell anmutende (Kommando-) Brücke über einer breiten Schräge ohne jeg­ liche Weltraum-Fantasterei. Stattdessen bietet sie Raum für einen Chor, der in Regenmänteln zwischen den Szenen tatsächlich Gesang in Requiem-Tonalität bietet, und für Tänzer mit hautfarbenen Kostümen als eine Art zweiter Chor der bewegten Körper, auf die Beamer in einigen Momenten Nullen und Einsen wie in unendlichen Algorithmen bis in den Zuschauerraum hinein projizieren. Alles einfach, aber sehr effektvoll.

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auftritt

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Die Krisensituation auf der Raumstation ist

die Rampe getreten, der mit Maori-haften

wie bei den zivilisationskritischen Setzungen.

für Edelmanns Bearbeitung vor allem die Ba-

Tattoos markierte und von Daniel Adolf spre-

Immerhin drängen aber äußerst anregend all

sis für Aussagen zur Krise der Menschheit –

cherisch wie motorisch überzeugend gespiel-

diese wichtigen Fragen aus dem von Tatjana

gegenüber der anderen Zivilisation, die damit

te Chatbot Mong, und hatte beim Zurecht­

Rese mit dem Aufgebot von drei Sparten in

vielleicht das Eigene hervortreten und erken-

drehen eines Rubik-Würfels ohne Hinzusehen

nur 75 Minuten opulent inszeniertem Warn-

nen lässt. Ressourcenkriege haben die Erde

dem Publikum komplizenhaft anvertraut,

Requiem. //

unbewohnbar gemacht und zum Zusammen-

dass er sich gern bessere Gesellschaft wün-

bruch der Biosphäre bis zur Not für die Luft

sche. Aufklärung mal anders.

Thomas Irmer

zum Atmen geführt, so die Versetzung von

Der große Rahmen aus solchen Anspra-

Lems Roman in die Gegenwart unter dem auf

chen mit Chor, Tanz und Musik (Thomas

der Bühne zitierten Heiner-Müller-Motto „für

­Wolter) für ein somit entstehendes Zivilisa­

alle reicht es nicht“ als Requiem für den Pla-

tionswarnstück ist beeindruckend. Etwas höl-

neten Erde. Erläutert wird das mit einem die

zern fällt dagegen die psychologisch angeleg-

menschliche Zivilisation gefährdenden Be-

te Handlung um Kelvin und die Besatzung

harren auf dem Ego von einer eigens dafür

des Kommandanten Gibarian (Momo Böhnke)

erfundenen Figur, der Retrochronie (Angelika

aus mit der düsteren Pointe, dass man den

Hofstetter). Wenn sie bilanziert, wir hätten

Planeten beschossen habe, um ihn zu erfor-

Emotionen aus der Steinzeit, Institutionen

schen. Solaris bringt ja – bei Lem wie auch in

aus dem Mittelalter und einen Gott der Tech-

der späteren Verfilmung durch Andrej Tarkow-

nologie, geht tatsächlich ein Raunen durchs

ski thematisiert – verdrängte Erinnerungen in

Publikum. Dass der Android die post-biolo­

Gestalt hervor, insbesondere Kelvins Geliebte

gische Zukunft darstelle, bliebe daraus die

Harey (Lisa Scheibner), mit der Frage, ob die-

Konsequenz. Nicht ohne Humor war ein sol-

ser Planet nicht auch eine Art Medium der

Filmklassiker erobern weiter die Bühne. Im

cher als Mitglied der Raumstation zuvor an

Selbsterforschung sein könnte. Oder eben mit

Schweriner Theater hatte gerade „Die Kinder

den unendlichen Weiten der Algorithmen aus

des Olymp“ in einer Bühnenversion Premiere.

den Bühnen-Beamern für heute nicht viel-

Das Volkstheater Rostock zieht nach mit

Tatjana Reses „Solaris“-Inszenierung in Neustrelitz: ein opulent inszeniertes Warn-Requiem mit drei Sparten.

leicht auch eine Darstellung des Internets als

­italienischem Arthouse-Kino von 1951: „Das

wesenloses Gehirn der Spezies Mensch – als

Wunder von Mailand“, Vittorio De Sicas Film

Foto Christian Brachwitz

unser eigentliches Gegenüber. Hier laufen die

nach dem Buch von Cesare Zavattini. Die

Fäden nicht mehr so eindrucksvoll zusammen

Geschichte von dem guten Totó mit der ­

ROSTOCK Zauberbesen der Botschaft VOLKSTHEATER ROSTOCK: „Das Wunder von Mailand“ nach dem Film von Vittorio De Sica in der Bearbeitung von Peter Zadek Regie Konstanze Lauterbach Bühne Ariane Salzbrunn


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Mit „Das Wunder von Mailand“ kommt in Rostock ein Klassiker des Arthouse-Kinos auf die Bühne. Foto Dorit Gaetjen

­Wundertaube war einer der letzten Filme des

und gut und da oben der Mond und die

italienischen Neorealismus. Nach dem Zwei-

­Sterne sind. Mehr weiß das frühere Waisen-

ten Weltkrieg und dem Tod von Mussolini hat-

kind auch nicht, aber das reicht ja auch

te Italien für kurze Zeit eine kommunistische

schon. Zu wissen, dass Bamba nicht das

Regierung. Die Filme, die damals gedreht

Ende der Welt ist. Spalla (Ulrich K. Müller)

wurden, erzählten didaktisch von einer sozia-

schwebt denn auch bald fröhlich zappelnd

muss er der wahllosen Wohlstandsanhäufung

listischen Gesellschaftsordnung, oft an Ori­

an einer großen himmelblauen Luftballonwol-

seiner Freunde zusehen.

ginalschauplätzen mit Statisten aus dem

ke, symbolisch für die Euphorie des neuen

Regisseurin

­Milieu. Es war eine kurze Phase, die Filme

schönen Lebens. Alfredo (Bernd Färber) ver-

klebt in hundert Minuten die Szenen wie Ab-

waren preisgekrönt und werden bis heute

liebt sich – wir sind in Italien! – in eine antike

ziehbilder aneinander, die mit Stopps und

­zitiert. „Das Wunder von Mailand“ war aber

Statue, 90 Minuten standfest verkörpert von

Umbaupausen die Geschichte erzählen, aber

schon der Abgesang dieser Ära.

Linda Kuhn. Gianni (Antonio Spatuzzi) spielt

nicht in sie hineinziehen. Das war auch, was

Auch auf der Rostocker Bühne hat ge-

Luft-Akkordeon und träumt von einem echten

der ansonsten preisgekrönten und bald welt-

rade eine Krise die Menschen erschüttert.

Instrument, mit dem er die Bühnen der Welt

berühmten Filmvorlage zuweilen vorgeworfen

Venedig sei zu spät abgeriegelt worden. Tote

erobern will. Jeder rückt mit seiner Geschich-

wurde: Es fehle an einem plausiblen Unter-

habe man wie Lasagne gestapelt. Das weckt

te kurz wie unter einer großen Lupe in den

grund und an Figurenentwicklung, alles ordne

unbehagliche Erinnerungen an die Situation

Mittelpunkt des Geschehens. In dem mit Lat-

sich der großen Idee unter.

in Norditalien im vergangenen Jahr. Am

ten und Leitern und mit Kunstrasen gepols-

Insofern geht es bei diesem Stück eher

Rande von Mailand treffen sich nun die ­

terten Budenzauber auf der Bühne spielt sich

um die Frage: Wann spielt man „Das Wunder

Obdachlosen, schlottern unter Plastiktüten ­

das soziale Leben der knapp 20 Protagonis-

von Mailand“? In welcher Zeit ist es wichtig, es

und drehen sich im Schwarm in die wärmen-

ten in Episoden ab. Mit den üblichen Konflik-

auf die Bühne zu bringen? Offensichtlich jetzt.

den Sonnenstrahlen, die sich mittels diffuser

ten einer zu großen WG. Was in dem Ambien-

„Das Wunder von Mailand“ ist eine fantasti-

Bühnenbeleuchtung auf sie richten.

te nicht untergebracht werden kann, wird als

sche Geschichte mit schlichter politischer Bot-

Totó, gespielt von Luis Quintana, ist

Animation oder Film-Sequenz projiziert. „Ma-

schaft. Als Ensemblestück zur Spielzeiteröff-

der Einzige, der dabei gute Laune hat. Das

dame Butterfly“ in der Mailänder Scala oder

nung ein politisches Signal aus dem Norden.

färbt ab auf seine Umgebung. Wie das poli-

der Verrat von Rapp (Frank Buchwald) an den

Totó nimmt die Utopie vom schönen Leben mit

tisch linke Rot seiner zu großen Hosen. Er

Spekulanten Mobbi. Das schöne Leben endet

in eine Zeit nach der nächsten großen Krise,

stiftet zur Besetzung des Areals an, gründet

nämlich, als sich herausstellt, dass Bamba

wenn solche Ideen wieder gefragt sind, und

„Bamba“, eine Bretterbuden-Siedlung, stellt

auf einer Ölquelle gebaut wurde. Totó kann

reitet am Ende auf einem Zauberbesen in den

Regeln auf, verteilt den Mangel, vermittelt

die Räumung zunächst mittels einer himmli-

Himmel. Im Rostocker Volkstheater enthusias-

Bildung und imponiert mit schlichten Wahr-

schen Wundertaube verhindern, das Übel

tisch beklatscht von vielen, vor allem jungen

heiten. Zum Beispiel, dass die Welt groß sei

aber nicht an der Wurzel packen. Am Ende

Zuschauern. //

Konstanze

Lauterbach

Juliane Voigt


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STUTTGART

nun die deutschsprachige Erstaufführung in Stuttgart – unter dem Titel „Am Ende Licht“. Allerdings ohne Cockers „Hymn of the

Kurzes Glück und langes Scheitern

North“, ohne Zeilen wie „Factories lie empty / Manufacturing Emptiness“. Denn Goerden

Verstörend und tröstlich zugleich: In der Stuttgarter Inszenierung von Simon Stephens „Am Ende Licht“ greifen Schauspielertheater, Sozialporträt und Traumspiel ineinander. Foto Kathrin Ribbe

reduziert Stephensʼ Lokalfolkloristik auf ein Minimum und erzählt eher die universell les-

SCHAUSPIEL STUTTGART: „Am Ende Licht“ von Simon Stephens Regie Elmar Goerden Bühne Silvia Merlo & Ulf Stengl Kostüme Lydia Kirchleitner

bare Story einer gebeutelten Familie. Düster

gewordene Ashe (Nina Siewert) demütigt ihren

das erste Bild: ein menschenleerer, seltsam

Freund, und der überspannte Jurastudent

unwirklicher, aschfahl grauer Supermarkt.

Steven (Jannik Mühlenweg) ringt mit quälen-

Christine tritt auf, eine Frau im Wollmantel,

den Ängsten.

und erzählt von sich. Auch über sich in der

Zugegeben, ein bisschen Family-Soap

dritten Person. Schildert ihr alkoholgeprägtes

samt Broadway-Boulevard schwingt mit, auch

Leben als steten Wechsel von kurzem Glück

sozialrealistischer Kitschverdacht. Goerden

Das alles passiert am 6. Februar 2017, fern

und langem Scheitern. Und beschreibt auch,

aber setzt weniger aufs Laute, Exaltierte als

der Metropole London in fünf nordenglischen

wie sie an einer Hirnblutung stirbt – am 6.

vielmehr auf leise, vielsagende Details. Auf

Städten: Die alkoholkranke Christine stirbt in

Februar 2017, nachmittags im Supermarkt.

Tragikomik und auf einen, typisch für Ste-

Stockport beim Wodkakauf, ihr Mann geht

Sylvana Krappatsch spielt diese Chris-

phens, subkutanen Trotz-Alledem-Optimis-

derweil in Doncaster fremd. Auch die drei er-

tine, Mitte 40, als Wesen zwischen Leben und

mus. Vor allem betont die Regie die surrealen

wachsenen Kinder kämpfen mit Problemen:

Tod, als Geist. Als eine Frau, die hinter unauf-

Ebenen des Stücks, wenn Krappatschs Chris-

Tochter Jess wacht in Blackpool nach durch-

fälliger Fassade eine schlimme Fami­ lien­

tine wie ein leibhaftiger Geist posthum im

zechter Nacht neben einem Fremden auf,

geschichte verbirgt. Krappatsch orches­ triert

Alltag ihrer Lieben auftaucht. Oder wenn sie

ihre Schwester Ashe jagt in Ulverston ihren

diesen stockenden, dann wieder aufbrausen-

sich zu Björks Version von „It’s oh so quiet“

Junkie-Freund zum Teufel, und ihr Bruder

den Pseudomonolog in vielen Stimmfarben –

freitanzt. Momentweise scheinen gar imagi-

Steven nervt in Durham seinen Lover mit na-

zwischen Verletztheit, Trauer und Wut, als

nierte Utopien eines anderen Lebens auf.

genden Zweifeln. So lässt der britische Autor

Collage aus Krankenbericht, Leidensprotokoll,

Ein Gesellschaftsporträt mit zuver-

Simon Stephens, geboren 1971 in Stockport,

Lebensbilanz und Geständnis. So entsteht

sichtlichem Grundton? Vielleicht. Doch durch

sein neues Stück beginnen – als Gleichzeitig-

ein Text, der von innen kommt und doch auch

Stephensʼ Familiendrama zieht sich ein poli-

keit der Ereignisse, die er als sukzessives

wie aus dem All aufs eigene winzige Ich her-

tisch-sozialer Subtext, der auf die ökonomi-

Szenenpuzzle auffächert. Sein Text ist eine

abschaut. Eher lakonisch, unterspielt, unsen-

schen Wurzeln des Elends hinweist. Denn die

Hommage an die vielen in prekären Verhält-

timental. Umso beklemmender. Schauspiele-

Hauptfigur Christine stirbt im Februar 2017,

nissen lebenden Menschen im Norden Eng-

risch sensationell.

als sie nach längerer Trockenheit Wodka be-

lands, der manchen als öde Provinz gilt. Eine

Was folgt, ist all das, was die übrige

sorgt und rückfällig zu werden droht – just ein

Liebeserklärung sogar, denn trotz des Elends

Familie zum Todeszeitpunkt der Mutter so

paar Wochen, bevor London den Brexit voll-

sendet der Text noch ein tröstliches Leuchten

treibt. Der Vater ist bei Klaus Rodewald ein

zieht und in Brüssel den Austritt beantragt.

aus. „Light Falls“, so der Originaltitel, wurde

Heulgespenst, das ständig Chips futtert und

Auch eine Art Rückfall? Kurzum: Bei Goerden

2019 am Royal Exchange Theatre Manches-

Nähe bei anderen Frauen sucht. In den Kin-

greifen

ter uraufgeführt – mit einer eigens dafür kom-

dern brodelt das erfahrene Elend weiter. Die

und Traumspiel subtil ineinander. Verstörend

ponierten Hymne des Pop-Melancholikers

lebenshungrige Jess (Katharina Hauter) hatte

und tröstlich zugleich. //

Jarvis Cocker. Elmar Goerden inszenierte

besoffenen Sex auf dem Friedhof, die herb

Schauspielertheater,

Sozialporträt

Otto Paul Burkhardt


oliver bukowski_warten auf 'n bus

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Dramödie der Enttäuschten

Oliver Bukowski. Foto Karoline Bofinger

Die Bielefelder Dramaturgin Franziska Eisele über ihre Bearbeitung von Oliver Bukowskis „Warten auf’n Bus“ im Gespräch mit Thomas Irmer

Was ist das Besondere, eine Serie fürs Theater

Erst mal hat uns der Stoff interessiert, und

von unterschiedlichen Positionen aus, gera-

zu adaptieren?

man interessiert sich ja auch für Menschen

ten in Streit darüber.

Es gibt eine größere Länge, viel mehr Text,

anderswo. Dass der Bergbau untergegangen

sodass man auch am Theater einen Mehr­

ist und es Menschen an den Rand der Gesell-

Das Fernsehen spricht schon allein aus ver-

teiler machen könnte. Aber wir haben uns bei

schaft gespült hat, das gibt es ja auch hier in

marktungstechnischen Gründen von einer Co-

„Warten auf’n Bus“ für eine Bearbeitung für

der Nähe. Aber wir wollten das gar nicht für

medy-Serie. Wie würden Sie denn Ihre Bearbei-

einen Abend entschieden. Daraus ergab sich

Ostwestfalen umschreiben, was wegen der

tung bezeichnen?

für uns, also für mich und meine Kollegin

Erfahrung von Ralle und Hannes mit dem ­

Vielleicht Dramödie. Es gibt ja darin einen

­Irene Wildberger, die Aufgabe einer Auswahl

Hintergrund von DDR und Mauerfall gar nicht

ganz besonderen Humor, nur ist der eben

aus den Episoden der ersten Staffel.

geht. Wir wollten vielmehr, dass man sie in

nicht alles. Was das fürs Theater ja auch inte-

ihrer Spezifik erkennt. Dazu gehört eben auch

ressant macht, ist, wie die beiden immer wie-

der Dialekt.

der ins Philosophieren kommen, in Welt­

Es gibt eine lange Exposition, um Ralle und Hannes in ihrem Dasein an der Endhaltestelle zu

betrachtungen, für die man nicht vorher im

etablieren, und dann vier Szenen.

Oliver Bukowski ist in seinen Stücken auch

Philosophie-Seminar gesessen haben muss,

Scherzhaft gesagt: eine Fünf-Akt-Struktur.

­Soziologe, und in „Warten auf’n Bus“ gibt es

obwohl es auch einige Anspielungen gibt.

Die Exposition entspricht der Pilotfolge für

­einen ernsthaften Diskurs über Rechts bzw. die

Diese Mischung aus Komödie, Diskurstheater

eine Serie, wo ja die Figuren und Erzählfäden

Gründe dafür. Diese geraten in den Diskussionen

und Sozialdrama lässt sich vielleicht als

angelegt werden, das Setting. Hier Ralle und

über Ostdeutschland häufig in eine Vorurteils-

Dramödie fassen.

Hannes, wie sie sich in ihrer Verfasstheit über

schieflage.

ihr Leben und die Welt unterhalten. Bis dann

Uns hat gefallen, wie differenziert das behan-

Didi und Gogo in „Warten auf Godot“, gewisser-

andere an ihrer Haltestelle vorbeischneien.

delt wird. Auf der einen Seite gibt es diese

maßen das Grundmodell für „Warten auf’n Bus“,

Schlägernazis, die ja auch nicht alle total

warten eigentlich auf ihren Fluchthelfer. Das

Jetzt stellt Ihre Version ja auch eine Art Ost-

dumm sind, sondern sehr gefährlich. Auf der

herauszufinden, hat allerdings fünfzig Jahre

West-Transfer dar. Was hat Sie bewogen, einen

anderen Seite fühlen auch Ralle und Hannes

­gebraucht. Werden wir schneller erfahren, ob

Stoff, der auch sprachlich so stark in der bran-

die Enttäuschung und das Verlassensein, das

Ralle und Hannes nicht vielleicht doch auf

denburgischen Provinz mit allen ihren sozialen

nicht mehr Gesehenwerden von einer Gesell-

­etwas Größeres warten?

Problemen verwurzelt ist, nach Bielefeld ins

schaft, die Aussichtslosigkeit, die in Protest

Inzwischen läuft ja beim rbb die zweite Staf-

Theater zu bringen?

führt. Und die beiden besprechen das ja auch

fel. Mal sehen. //


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stück

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Oliver Bukowski

Warten auf'n Bus Fassung Theater Bielefeld

v

AKT 1: GEFÄLLE MAIK stemmt die Pfoten in den Dreck und bellt wütend eine voll erblühte Blume an. RALF  MAIK, MANN!!! BESCHEUERT?! (Zu Johannes:) Was hatter denn? JOHANNES Bellt. RALF  Ach wat. JOHANNES  Wat willste, er schlägt an. Sonst schlägt er nie an, und du nölst’n voll. RALF  Mann, das is ne Blume! Er kläfft ne scheiß Blume an! JOHANNES  Vielleicht nervt ihn der Jeruch. RALF  Dann sollerse anpissen und fertig. JOHANNES  Oder die Schönheit. RALF  Die Schönheit? JOHANNES  Er verbellt die, na ja, Schönheit, weil, se ihm uffe Nüsse jeht. Ick meine, sieh ihn dir an. Er sieht aus wie’n Uffahrunfall und denn kommt diese Blume und … Ick meine: det Jefälle … RALF  „Und dann kommt diese Blume“ – du hastse ja nich alle. (Zum Hund:) MAIK!!! MAIK, HER HIER! BEIFUSS! JOHANNES  Als wenn er uff so wat hören tut. Tatsächlich dreht Maik sich nicht einmal um. Eine ­volle Bierdose schlägt neben ihm in den Sand, dass es stiebt – ihn stört es nicht. Er riecht kurz dran, pinkelt auf die Dose, bellt weiter. JOHANNES  War die noch voll? RALF (mürrisch) Ja, Mann. JOHANNES Hm. Ralf hat Maik auf dem Schoß. Johannes werkelt noch irgendwas am Hund. Als Maik wieder zu sehen ist, hat er die Blume „im Haar“ und hechelt vergnügt. RALF  Nich dein Ernst, mach das weg! JOHANNES  Watn?! Er wirkt doch sehr zufrieden. Vielleicht war dit ja sein Plan. Überleg mal: warum hat er die Blume nich einfach zerbissen? Nee, der Hundi bellte, weil er wollte, dass wir sie ihm holen und ihn, na ja, schmücken. Er kann sich det Ding ja nich selber anstecken. Also, hat er

sich jedacht, ick bell’ jetzt mal, bis … RALF  … Vorhin hatter dit Schönheitsjefälle auskalkuliert, jetzt machter in Kopfschmuck, allet klar. Hannes, dit is Maik, der Hundi, Wau-Wau, remember?! Der frisst, scheißt und wedelt mit’m Schwanz, aber der denkt sich nüscht. Null! JOHANNES  Hunde können denken. RALF  Der hier nich. JOHANNES  Und wenn doch? RALF  Bitte, er kann sich nicht mal ’n Kommando merken. Nich eens! MAIKI, FASS! KEHLE! Maik sieht ihn begeistert an und leckt ihm das Gesicht. JOHANNES  Vielleicht will er sich ja keene Kommandos merken. Oder sein Jehör ignoriert allet, wat wie Kasernenhof klingt. Wäre doch ooch für uns nich so übel. Jetz ma so menschheitsmäßich. (Schnarrt wie Hitler:) WOLLT IHRRRR DEN ­TOTALEN KRRRIEK?! und allet leckt sich freundlich den Anus. Ralf hebt Maik von der Bank, kniet sich vor ihn hin und nestelt einen Taschenspiegel aus der Jeans. JOHANNES  Wat nu? RALF Test. JOHANNES  Du hast n Taschenspiegel? RALF Hm. JOHANNES  Ick kenne keenen Mann mit Taschenspiegel. RALF Hmhm. JOHANNES  Nich eenen. RALF Hm. Ralf hält den Spiegel Maik vor die Schnauze. Der wendet sich ab. JOHANNES  Haste ooch Abdeckstift und so? RALF  Isjut jetzt! Versucht, Maiks Schnauze wieder in den Spiegel zu drehen. JOHANNES  Is wegen dem 17er, nich? RALF  Wegen dem Bus? Ick hab Taschenspiegel, weil der Bus kommt? JOHANNES  Nicht wegen dem Bus. Wegen der

SINFONIE DES FORTSCHRITTS

PERFORMANCE VON TEATRU-SP L TORIE UND HAU HEBBEL AM UFER 21. + 22.01.22

THEATERRAMPE.DE

Busfahrerin! Tu nich so dusslich. Du hast … RALF  … NEIN!!! JOHANNES  Frag ja nur. Schweigen. Ralf arbeitet an Maik: drapiert die Blume neu auf Maiks Kopf, hält ihm wieder den Spiegel vor. Johannes sieht zu. Ralf gibt auf. JOHANNES  Also wenn ick jetzma deinen Tierversuch hier richtig interpretiere, dann, na ja, dann dürfte für die Fachwelt nu endlich zweifelsfrei erwiesen sein, dass Hunde mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit keene Taschenspiegel benötigen. Heureka! RALF Idiot. JOHANNES  Dann erklärs mir. Du bist hier das Ingenieurswesen. RALF  Pardonk, ick war das Ingenieurswesen, ick bin seit zwanzig Jahre in Verjangenheitsform. JOHANNES  Ja, ja, jeschenkt, keene Klagelieder; wir sind allet arme Mäuse. Also? RALF  Also, wir wollten rausfinden, ob Maiki denken kann, richtig? JOHANNES Richtig. RALF  Und dit hier ist fürs erste so ’n Test, um rauszufinden, ob der Hundi wenigstens so wat wie Selbstbewusstsein hat. JOHANNES Und? RALF  Hatter nich. JOHANNES  Na scheiß druff! Ick ooch nich. RALF  Nich so’n Selbstbewusstein, nich wie „ickbin-so-geil-mein-Arsch-bläst-Sonnenschirme-uff“ sondern so mehr eins drunter noch, so Ick-­ Bewusstsein. Elementar. Also ob der Hundi überhaupt weeß, det es ihn persönlich jibt, vastehsse? JOHANNES (verständnislos) Aha. RALF  Du vastehst keen Wort, wa? JOHANNES  Sieht man dit? RALF  Ick kann durch deine Oogen bis zur hinteren Schädelwand durchkuckn. Mann, hier!!! Hält ihm den Taschenspiegel vors Gesicht. RALF  Wat siehste?!


oliver bukowski_warten auf 'n bus

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JOHANNES (schüchtern) Mich? RALF Jenauer! JOHANNES  Ick bin alt und krieg Hänge­ backen. RALF Nee! JOHANNES Doch! RALF  Ja, du hast Schweinebacken … JOHANNES  … Hängebacken … RALF  … Hängebacken, aber darum jehts nich. Meine Fresse, ist doch nicht so schwer. Du siehst nicht dich, sondern …??? JOHANNES Jelebtet Leben? Innere Werte? Hackfresse? RALF (genervt) MAAAAANNN!!! Er holt seinen Kaugummi aus dem Mund, pappt ihn Johannes an die Stirn und hält ihm den Spiegel vor. RALF  Und wat jetzt? JOHANNES  Dit jetzt! Seine Faust trifft Ralf und fegt ihn von der Bank. Johannes entfernt angewidert den Kaugummi von ­seiner Stirn. RALF Siehste! JOHANNES (mürrisch) Wat? RALF  Test bestanden. Hättest du keen Ick-­ Bewusstsein, würdeste vielleicht versuchen, den Kaugummi von deinem Spiegelbild abzukratzen. Aber du weeßt: Hier bin ick, und das da is nur mein Spiegelbild. JOHANNES  Ick bin eine Koryphäe, ein Genie. RALF  Jedenfalls schlauer als der Hundi. Glückwunsch! War knapp. Setzt sich wieder auf die Bank, sie öffnen sich ein Bier. Ralf versucht, mit dem Taschenspiegel unauffällig zu prüfen, ob Ackermanns Schlag Spuren hinterlassen hat. JOHANNES  Halt die kalte Büchse ran und se sieht nüscht. RALF  Zum letzten Mal: Ick mach das nicht ­wegen der! JOHANNES Nee. RALF  Wirklich nich! JOHANNES  Weeß ick doch. Wäre ja ooch lächerlich. RALF Jenau. Schweigen. RALF  Wieso wär’ det lächerlich? JOHANNES (ausweichend) Na ja … RALF Ja? JOHANNES  Ach, jeht mich nüscht an. Wie heeßtet: Einjeder hat seine Art, unglücklich zu sein, man soll ihn nicht dabei stören. RALF  Du feiget Aas, verkriechsta wieder hinter deine Sinnsprüche?! Det is Ausweichbewegung und Eskapade!

JOHANNES  Eskapismus. Und wat is mit dir und dein Handy, du Google-Frettchen?!? Denkst, det is weniger Weltflucht? RALF  Information is Realität, du Arsch. JOHANNES  Und nüscht weiter? RALF  Und nüscht weiter. JOHANNES  Is dann aber ’n armet, armet Hascherl, deine Realität, hm? RALF  Ackermann, lock mir nich ins schlammich Philosophische! Wir hatten per Handschlag und Blick inne Oogen vereinbart, det du mit Bandenwerbung, Sprichwörtern, Zitaten und sonstawat für klugscheißendet … JOHANNES  … is ja jut! Sind wir ssweebeede eben Dichtung und Wahrheit. Du die Info, ick der Spruch dazu, quasi die Penny-Tüte für die schicken Daten. RALF  Zum letzten Mal: Meine Daten jehörn nich in deine Glückskeksscheiße! JOHANNES  Glückskeks? Dit war Aristoteles! RALF  Wurscht, ick krieg ’n Zehner. JOHANNES  Wat?! War nie abjemacht! RALF  Dann antworte! Von Mann zu Mann und direkt direkte Rede: Warum isset lächerlich, det die Frau vom Bus und ick … JOHANNES  … Hier haste! Drückt Ralf zehn Euro in die Hand. Ralf starrt auf den Schein und kann es nicht fassen. JOHANNES  Wat glotzte? Du hast jesagt, mit zehn Euken bin ick raus ausse Nummer. Det sind zehn Euken. RALF  Kost’ jetzt ’n Fuffi. JOHANNES WAT?! RALF  Musst ja nich, kannst ja reden. Johannes kramt sein Geld aus der Hosentasche und besieht es auf der Handfläche. JOHANNES  Hm, muss ick erst zum Automaten. RALF  Det gibts doch nich! Det is jetzt einfach nicht wahr! Du kriegst 350 Stütze, hast keen blanken Knopp inne Tasche und willstn FUFFI löhnen, nur weil du mir nicht sagen willst, det ick – ja, wat? – det ick zu jeringfügig für die Dame bin, einfach zu niedrige Liga??? JOHANNES  Wer hört so wat denn schon jerne. RALF  Ackermann, sie is Busfahrerin! Bus­ fahrerin, und nich der PAPST ODER DIE SHAKIRA! JOHANNES  JA UND? UND WAT BIST DU? Ralf will kräftig was erwidern und hat schon angeatmet – stockt dann aber, hält inne und sackt in sich zusammen: Johannes hat recht. RALF  Hast recht. JOHANNES (beschwichtigend) Nu, nu. RALF Hm.

JOHANNES  Du hast ooch deinen Charme. … Irgendwie. RALF  Leck mich. JOHANNES  Doch. Also ick würd dir nehmen. Ralf sieht ihn an, Johannes beeilt sich: JOHANNES  Also wenn ick ne Frau wäre Etwas später. Ralf zeigt gerade die selbstgebastelte Website auf dem Handy. JOHANNES  … Echt? Und das stellste da allet rein? Bist jetzt so ne Art Entblößer oder wat? RALF  Wieso? Is ooch nüscht andret als’n Fami­ lienalbum. JOHANNES  Im Familienalbum is keene Arschbacke mit Tattoo. RALF  In meinem schon. Meine Website, meine Arschbacke, mein Leben. JOHANNES  Ralle, du fotografierst dir selber! RALF  Mein Leben. Nur hier kann ick mein Leben jenau so erzählen, wie ick will. JOHANNES  Ja. Traurig. RALF  Janz normale Selfies. JOHANNES  Du bist nicht mehr jung, du musst det nich. RALF  Is nich nur für Junge. Im Jegenteil: Im Netz bleiben die Dinge. Ick hau da meine ­Bilder rein und hinterlass damit eben mehr von mir als nur’n Fleck uffm Sofa. Die Welt weeß ab jetzt imma: Ralle war da, hat dies und das jemacht und is in Würde abjetreten. Ewigkeit, ick komme! JOHANNES  Du denkst aber janz schön bestatterhaft. Is irjendwat? Haste ne blöde Diagnose bekomm’? RALF  Willste nu Fotos kuckn oder nich?! JOHANNES  Sind welche von deim Stuhlgang mit bei? RALF (verärgert) Ok, dann nich. Will das Handy wieder einstecken. JOHANNES (beeilt sich) Schon gut, schon gut, ick will! RALF  Ohne blöde Sprüche? JOHANNES  Ohne Sprüche, blitzernst und janz flache Atmung. Ick kann das, ick hatte ne schwere Kindheit mit Lichtbildvorträge. RALF  Jut. Zweete Schangs. Holt das Handy wieder vor. RALF  Sind ooch nicht allet Selfies. Ick hab die Bilder ausm Schuhkarton ooch mit eingescannt. Hier kuck! (Zeigt.) JOHANNES  Nich schlecht. Wer is die Frau? RALF  Gleich gibts Fresse. JOHANNES  Wieso? Is doch hammergeil. RALF  Det bin ick, Mann!

STEFANIE SARGNAGEL & EUROTEURO Dicht - Lesung mit Musik OLIVIA WENZEL »1000 Serpentinen Angst« Performative Lesung WOCHE DES GEDENKENS Unvergessen: 1700 Jahre jüdisches Leben ERNA ÓMARSDÓTTIR

Orpheus + Eurydike – Die orphischen Zyklen

GEHT EIN MANN ZUM ARZT...

Kritische und künstlerische Stippvisiten in die Gender-Medizin 27.–30.01.2022 u.a. mit LIZ ROSENFELD, RODRIGO GARÇIA ALVES, CATHERINE HOFFMANN, MARIA ZIMPEL, SARA KAŁUŻNA, WACŁAW ZIMPEL, BRIAN LOBEL, JOON-LYNN GOSH

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EL HAM AMPN AG

BURG

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JOHANNES  Ach du Scheiße! Rückt ängstlich von ihm ab. RALF  Wat jetzt? So schlümm? JOHANNES (fassungslos) Du warst mal ne Frau? RALF  Mann, ick war schlank, hatte lange Haare, Clogs, Jeans und … Dit war die Mode, Mann! Glamrock, Glitter, Bowie und so Scheiß. Außerdem is det hier’n Kostüm. JOHANNES Kostüm. RALF  Turniertanz. Lateinamerikanische Tänze. JOHANNES  Turnier …? Richtig mit jeputzte Schuhe, Schulterhaltung und so arrogant blödem Blick? RALF  Platz 4 Bezirksmeestaschaften. JOHANNES Nee! RALF Doch! JOHANNES  Du kannst unmöglich im Tagebau gewesen sein und gleichzeitig ne Hupfdohle! RALF  Wieso nicht? JOHANNES  Weil die Kumpels dir dann die Fresse verbeult hätten. Spätestens vorm Duschen. RALF  Habense. Vollet Rohr. (Lacht.) Anfangs bin ick mit’n Schlagring unter die Dusche. JOHANNES  Anfangs. Und dann? RALF (leicht genervt) Dann, dann … dann musst ick eben ooch noch Boxen studiern. JOHANNES  Ick weeß. Boxen weeß ick wieder. RALF  BSG Dynamo. Platz 3 Bezirksmeestaschaften. JOHANNES  Du warst dauernd am Trainieren, zwee Mal hamse dir die Nase jebrochen und du hattest ne Anzeige wegen jefährliche Körperverletzung. Allet nur, um in Ruhe duschen zu können? RALF  Ick wollte tanzen, Ackermann. Tanzen. Klar? JOHANNES (unsicher) Klar. Johannes betrachtet den Freund aus den Augenwinkeln. Er ist ihm jetzt ein wenig unheimlich, andererseits bewundert er ihn auch. JOHANNES  Und wieso weeß ick bis heute nüscht davon? RALF  Du wusstet det. Ick wollter sogar mal uff’n Tanzturnier mitnehmen. Nur zukuckn, bissel klatschen und so. JOHANNES  Und ick? RALF  Du hast jesagt, det du janz jerne mein Kumpel bist, aber wenn det weiter klappen soll, denn willste von meine schwuchtelige Seite nüscht wissen. JOHANNES (stöhnt, peinlich verlegen) Schwuchtlige Seite? Ralf nickt. JOHANNES  Ick war’n ziemlichet Arschloch.

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RALF (zuckt mit den Schultern) Ooch nich mehr als die andern. Ick hab dir dafür jede Olle vor der Nase wegjetanzt. Und wenn im janzen Schuppen nur drei Grazien warn: wurden die Stühle hoch­ jestellt, hatte Herr Paschke eene am Wickel. JOHANNES  Und ick saß alleene im Bus. RALF  Wie es sich für Arschlöcher jehört. Johannes sieht sich das Bild genauer an. JOHANNES Hm. RALF Erkennstma? JOHANNES  Ja. Jetzt schon, nur … RALF  … Soll icks rausnehmen? Meinst, sie könnt das Foto seltsam finden? JOHANNES  Sie? Du willst ihr das zeigen? RALF  Nicht direkt. Ick hab ne Visitenkarte mit dem Link uff meine Seite. Die wollt ick ihr verpassen. JOHANNES  Du hast ne eigene Seite, ne richtige eigene Website??? RALF  Du nich? Johannes lacht auf. RALF  Also wat is jetzt mit dem Foto? Raus oder rin. JOHANNES  Na ja … hm … RALF  „Naja, naja, hömhöm“ – wat stöpselste denn heute so rum?! Einfache Frage, einfache Antwort! JOHANNES  Kannst ruhig drinstehen lassen. RALF Aber? JOHANNES  Nüscht aber. Schönet Foto. RALF  Aber du grinst doch! JOHANNES (grinst) Keene Spur! RALF  Dit is ne Falle, du lässtma ins Messer loofn! Sie klickt uff mein Bild, lacht sich scheckich und du jehst innerlich uff Polonese. JOHANNES  Nee Mann, ick grins nur weil … also … RALF  … weil??? JOHANNES  Wie soll ick sagn … Janz ehrlich, Ralle, du hättest besser dabei bleiben sollen. RALF (versteht nicht) Dabei bleiben? JOHANNES  Frau, mein ick. Du hättest Frau bleiben sollen. Ick mein, hässliche Kerle jibts ja schon jenuch und … Ralf starrt ihn an – Johannes hebt abwehrend die Hände. JOHANNES (beschwichtigt eilig) Schon jut, schon jut, mach weiter! Zeig mir, wat du ihr zeigen willst. Ick coach dir, ick bin dein Trainer! Johannes nimmt das Handy von Ralf und wischt Foto für Foto über den Screen. JOHANNES  Ralf beim Kegeln. Ralf beim Grillen. Ralf hat ein Bier in der Hand. Wir in einem Faltboot. Mit Bier.

RALF  Weeßte noch? JOHANNES (brummt) Hm. Weiter. RALF  Hier warn wir nu… JOHANNES (würgt ihn hart ab) … bei den ägyptischen Pyramiden, ick weeß. Weiter! RALF Pyramiden? JOHANNES  Mann, ja doch, wir warn kurz nache Wende in Paris. Weiter! RALF  Wat biste denn mit een Mal so kotz­ brockich? JOHANNES Weiter!! 5. FOTO: der junge Ralf mit Helm im Tagebau. Er zeigt gerade in die Ferne (oder auf eine Förderbrücke) und sieht dabei sehr selbstbewusst und imposant aus. – Ralf wischt das Foto weg. JOHANNES  Halt! … Zurück! Ralfs Finger wischt das Foto wieder auf den Schirm. JOHANNES  DAS musste nehmen! Nimm det als Startbild! RALF (skeptisch) Ick weeß nich. JOHANNES  Nimm das Foto hier! Du, als das nüchterne, ausstudierte Ingenieurswesen im Tagebau. RALF  Is aber ewig her. Und nüchtern bin ick da ooch nich. JOHANNES  Zumindest wirkste so, als könnteste den Blick halten. Mensch, kiek doch mal hin! JOHANNES  Kuck! Du siehst da aus wie’n scheiß Feldherr, wie der blanke, richtungsblinkende Visionär siehste aus! Du bist ’n richtiges Rolemodel, Ralle. Dit nächste Aphrodisiakum trägt deinen Namen! (Lacht knapp.) Depression is psychische Volkskrankheit Nummero Uno. Gerade bei den Jungen. Und da, Bamm!, is plötzlich eener mit Helm uffe Omme und ohne Babyface hinterm Bart. Und dieser junge Mann – Kreisch! Sprechchöre! Rhythmischet Stampfen! – und jener herrliche, gutrasierte junge Mann zeigt – Bengalische Feuer! La Ola, erste Schlüpper fliegen! – und dieser enorme Typ zeigt ooch noch INNE ZUKUNFT! Halleluja! RALF  Die Zukunft is aber jetzt ’n Baggersee. JOHANNES (entnervt und resignierend) Ja, mimimi, dann zeig doch deiner Fee die nackigte Plautze und paar Schwimmflügel! Mach ihr den Bademeesta! Kurze Stille. Ralf mustert den beleidigten Freund. RALF Sachma. JOHANNES (mürrisch) Hm. RALF  Warum machstn det? JOHANNES Wat? RALF  Warum gibstn dir sone Mühe, mir zu verhökern?

HAUEN UND STECHEN

SALOMÉ MUSIKTHEATER JANUAR 27 28 29 30

TICKETS SOPHIENSAELE.COM FON 030 283 52 66 SOPHIENSTR. 18 10178 BERLIN


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JOHANNES  Mach ick nich. RALF  Machste doch! Du schraubst an mir rum, als wennste mich schnell noch verscheuern willst, bevor ick nich mehr durchn TÜV komme. Stinke ick? Geh ick dir so dermaßen uffe Ketten? JOHANNES Nee. RALF  Wat dann? JOHANNES Nüscht. RALF  WAT! DANN! JOHANNES  Na ja, ick denk ja, det eena von uns sweebeede mal Glück haben sollte. Det is jetzt mal dranne, denk ick. Wenigstens bei eem. Det würd mir irgendwie uffbaun, vastehsse? Ick tät ’n Bild von deine Hochzeit an’ Kühlschrank pappn und immer, wenn ick mir ne Wurscht oder ’n Monte raushole, kuck ick druff und sag mir: Kuck,’s jeht doch. RALF  Du frisst Monte??? JOHANNES  Mann, is doch wumpe! Ick will, det eena von uns ’n Treffer landet im alljemeinen Schiffeversenken. Darum jehts! RALF  Is ja ooch ’n schöner Jedanke. Aber warum sollst du nu keen Glück ham? Warum ick und nich du? Ick meine, du bist doch, wie sacht man: stattlich. Een Kerl wie ne Mischung aus Zement­ mischer und Schlachteplatte. JOHANNES  Wat bin ich, ne Mischung aus Zementmischer und Schlachteplatte? – schönen Dank ooch. Da strömen die Damen und wolln sich drin wälzen. RALF  Mann, sorry, weeßt schon, wat ick meine. Trotzdem: Warum nich du? Wenn du mal – jetzt nur mal beispielshalber – wenn du dir mal nur unsre Busfahrerin … JOHANNES  … se heeßt Kathrin. Ralf stutzt verblüfft. RALF Kathrin. JOHANNES Ja. RALF HA! JOHANNES  Wat „ha“? RALF (leise durch die Zähne) Du kleene, dreckige Arschkrampe du! JOHANNES („erstaunt“) Wat’n nu los? RALF  Woher weeßte denn, wie se heeßt? Hä? Woher?! Kuck mir in die Oogen! JOHANNES (eiert) Ick weeß es, weil … Ick hab se jefragt. Tach, Kathrin, wie heeßen Sie denn so, hab ick se mitten ins Jesichte jefragt. Also …, jetzt mal ohne „Kathrin“. Konnt ick ja da noch nicht wissen, nich wahr. (Lacht dünn.) Jedenfalls: ick hab jefragt und sie hat jeantwortet: Kathrin Stoklosa, gebürtig in Poznan. RALF  Gebürtig in Poznan. JOHANNES  Ja, aber lebt schon lange hier.

oliver bukowski_warten auf 'n bus

RALF  Du hast jefragt und sie hat jeantwortet: ­Kathrin Stoklosa, gebürtig in Poznan? JOHANNES Jenau. RALF „Gebürtig“. JOHANNES  Gebürtig in Poznan. RALF  Und dann hat se mit den Hacken jeknallt und dein Formular ausjefüllt. JOHANNES  Wat denn für Formular? RALF  „Gebürtig“, du Eimer, so redet keen Mensch, so redet das Amt! Du hast keen Wort mit ihr jesprochen! JOHANNES  Hab ick doch! RALF  Haste nich! JOHANNES Doch! RALF Nä! Maik kläfft vergnügt. (aus dem Off) RALF  Schnauze, Maik, nimm ihn nich ooch noch in Schutz! Dit Aas lügt. JOHANNES  Tu ich nich! RALF Schwöre! JOHANNES  Ick schwöre. RALF  Wenn du also wirklich und tatsächlich ­jefragt hast, und die Frau ... JOHANNES  … Kathrin. RALF  Und diese Kathrin wirklich und tatsächlich in jenau diesem Wortlaut jeantwortet hat ­(jebürtig und so) denn, also denn is nu alles klar. JOHANNES  Klar? Wat denn? RALF  Se is komplett verblödet, se hat nicht nicht alle Latten am Zaun. Johannes springt sofort auf und hebt die Faust. Ralf hat das erwartet, steht ebenso schnell in Kampfposition. Dabei: JOHANNES + RALF  PASS UFF, DU!!!! Beide frontal mit schlagbereiten Fäusten. Kurze, angespannte Pause. Dann, endlich, hellt Ralfs Gesicht auf, er grinst. RALF  Erwischt, hä? Sauber erwischt! Du liebstse. Du liebstse wie blöde! Stellst dich vor se, machst den Ritter und willst für olle Kathrin sogar deinem ältesten und besten Freund die Fresse poliern. Johannes ist überführt und sackt auf die Bank. RALF  Wie hastes jemacht? JOHANNES  Führerschein. Flog ihr vonne Sichtblende und da hab ick’n uffjehoben und schnell jelesen. RALF  Hm. … Ooch schon egal. Sieht verschärft so aus, als obwa se beede wollen. Eben noch lost in Brandenburch, schon mitten in scheiß Hollywood. JOHANNES (nickt betrübt) Kann man so sagen. Zwee Hunde und een Knochen – dit is nu wirklich dit letzte, abjefuckte Filmprinzip am Markt. RALF  Wie jehts aus?

THEATER MARIE

JOHANNES  Die Frau guckt traurig, gibt jedem seine Arschkarte und nimmt sich’n Dritten. RALF Scheiße. JOHANNES  Keene Sorge. Ick komm dir nich in die Quere. Ick bin hier mehr so die Brautjungfer. RALF  Jenau det is ja meine Frage! Warum coacht du mich wie blöde, und willst nich selber mit’n Bus innen Sonnenunterjang brettern? JOHANNES  Weil ick mich nich so für Paarbeziehungen eigne, Mann! Zwee Ehen vermasselt, da is Ende der Versuchreihe. Ick verstumme in Jefangenschaft. („Lacht“) Im Ernst, ick wusste nach zwee, drei Jahren immer nich mehr, wat ick sagen soll. In meine Not hab ick dann Rollende Woche Schichten jekloppt. Immer uff Arbeit, immerzu Maloche, damit Herzdame nüscht merkt. Als dann aber ooch noch der Job weg war, bin ick prächtig uffjeflogen. Du bist da janz anderer Schlach. Wenn dir bei den Frauen nüscht mehr einfällt, kannste wenigstens lateinamerikanisch tanzen. Ick nich. Ick kann nich tanzen. Nich mal deutsch. Ralf mustert ihn von der Seite. RALF  Steh uff! JOHANNES Wat? RALF  … HOCH, DU SACK! Ralf zerrt ihn hoch. RALF  Du bist tief im Osten jeboren, da kann jeder bissel tanzen. Tipp-Tanz, Diskofox, AnnemariePolka. So Säbelschieber wirste wohl noch hinjekriegt haben. JOHANNES  Du warst die große Abschlepp­ maschine, ick die Pfeife im Bus. RALF  Schon. Aber du hast Rhythmusjefühl. JOHANNES  Nee. Hab ick nich, werde ick nich, will ick nich! RALF  Is keene Ermessensfrage, is ne Frage des Fairplays. Wenns um Frau Kathrin Stoklosa geht, sollten wir beede die gleichen Ausjangsbedingungen haben. Los! Fasst ihn und zwingt ihn energisch in Tanzhaltung. RALF  Eens zwee Tipp, Eens zwee Tipp. Janz einfach. JOHANNES  Eens zwee Tipp. RALF Jenau. Sie tanzen und zählen und singen bald. RALF  Eins zwei Tipp, eins zwei Tipp, ein zwei Tipp. (Singt:) Ein weißer Schwan/ ziehet den Kahn/ mit der schönen Fischerin/ auf dem blauen See dahin … (usw.) JOHANNES (zählt verbissen mit) Eins zwei Tipp, eins zwei Tipp. Eins zwei Tipp. (Fällt schüchtern in den Gesang ein:) … mit der schönen Fischerin/ auf dem blauen See dahin … (usw.)

Herkules und der Stall des Augias Dürrenmatt Vorarlberger Landestheater, Bregenz 26./27./29.1.2022 1./4./6.2.2022

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stück

Es klappt, sie werden mutiger und lauter. Schließlich hopacken sie wie die Teufel vor der Haltestelle und grölen das dümmliche Volkslied. Maik kläfft wie besessen. RALF  MAIK, IS JA JUT, MANN! … Mit der schönen Fischerin, auf dem blauen See dahin … (Maik kläfft) MAIK! Echt, ick lass das Vieh einschläfern! MAIK, DAS IS NUR NE BLUME! JOHANNES  Isset nich. Macht sich energisch los. RALF  Wat denn, wat denn?! Lief doch bestens! Hannes starrt in die Richtung, in die auch Maik kläfft. Endlich folgt auch Ralfs Blick dahin: der Linienbus. Letzte FAHRGÄSTE glotzen durch die Fenster, manche filmen mit dem Handy. Schlimmer für Hannes und Ralf ist aber, dass KATHRIN sie (wie lange schon?) bei ihrem peinlichen Tänzchen beobachten konnte. RALF (flüstert) Wir sind erledigt. JOHANNES (ebenso) Für immer und alle Zeit. RALF (flüstert) Gib ihr fünf Sekunden. Kann sein, dass se es jut fand und lächelt. JOHANNES (ebenso) Vergiss es! Sie hält uns für besoffene Penner, bestenfalls für schwul und durchgeknallt. RALF (flüstert) Abwarten. Maik will nicht aufhören, zu kläffen – da trifft ihn Kathrins Blick. Er quiekt auf, verstummt und versteckt sich hinter seinen Herrchen. Kathrin hebt die Augen und nimmt die beiden Männer wieder ins Fadenkreuz. JOHANNES (leise und gepresst) Scheiße. Atmest du? RALF  Nee. Du? JOHANNES  Ooch nich. Drei Sekunden angespannte Stille, dann lächelt sie. Kaum merklich, aber sie lächelt.

AKT 2: INNERE UNRUHE Johannes und Ralf an der Bushaltestelle, trinken Bier. Ralf steht auf, stolpert, fällt hin und bleibt am Boden liegen. JOHANNES (besorgt) Ralle? Allet klar? RALF  Allet klar. Mir jehts jut. Ralf liegt aber noch immer. Er birgt nur das Gesicht in der Armbeuge. JOHANNES  Na dann. RALF Ja. JOHANNES  Liegst einfach bisschen im Dreck. RALF Hm. JOHANNES  Muss ja ooch mal sein. Schweigen. JOHANNES (explodiert) Mann, wat is denn

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HEUTE MIT DIR LOS, MANN! Haste wieder scheiß Post jekriegt? Absagen? RALF Nee. JOHANNES Nee? RALF  Doch. Aber ick komm schon klar. Mittlerweile krieg ich det janz jut uffe Reihe. JOHANNES  Is nich zu übersehn. RALF  Bin gleich wieder Kopp oben. Momentchen noch. Momentchen. Man schweigt ein paar Sekunden, dann bricht es aus Ralf heraus: ein stummer Weinkrampf schüttelt ihn durch. Johannes sitzt auf der Bank und beobachtet den liegenden Ralf. Maik auch. Er leckt ihm Hals, ­Gesicht und Hände und fiept besorgt. RALF (mühsam) Mann, wenigstens eene! Wenigs­ tens eene Einladung, EEN scheiß lumpiget Vorstellungsjespräch! Ick meine, dit warn knapp zweehundert Schreiben, da kann man doch … Ihm bricht wieder die Stimme weg, es schüttelt ihn ­wieder durch. Johannes wartet geduldig. Dann steht er auf, geht zu Ralf und sieht auf ihn herab. JOHANNES Hoch! RALF  Gleichdoch. Nur mal noch kurz bissi durchschnaufen und … JOHANNES  … HOCH, sach ick!!! RALF  Sekunde, bin gleich … JOHANNES  … Maik, scheiß auf ihn! Piss ihn an! RALF Wat?! JOHANNES  Ick bitte deinen Hund, auf dich flennendes, wimmerndes, selbstmitleidiges Stück Opfer … Ach, egal. Maik, los! Scheiß ihn einfach zu! Maik fiept und legt überfordert den Kopf schief, hebt aber immerhin schon das Bein. RALF  Maik! (Tritt ihn weg.) Hastese noch alle?! JOHANNES  Maik schon, du nich. Ralf steht auf, klopft sich ab, setzt sich mürrisch auf die Bank der Haltestelle, zündet sich eine Zigarette an und inhaliert tief. RALF  Weeßte, ick bin vielleicht keene Zwanzig mehr, aber dafür hör ick ’n falsch justierten Zylinder uff hundert Meter. Ick kann schrauben, Baupläne lesen, Fliesen legen, Dach decken, Heizungen abdichten und allet, allet, wat die mir anbieten is … JOHANNES Security. RALF  Security, Security – wat denn bloß los! Dit janze Land will nur noch Personenschutz und Nachtwächter und Streifen und Posten und Bullen und Politessen und … Wat soll det?! Ick meine, so viel Schiss kann doch gar keen Aas haben, wie wir hier an Security uffstelln. Jedenfalls … Ja, meine Fresse, war ’n schwacher Moment. Vorübergehende Unpässlichkeit. Sorry. Aber

NICOLETA ESINENCU

keen Grund, gleich den Hundi uff mich kacken zu lassen. JOHANNES  Als ick heute früh um Viere uffjewacht bin … RALF  … Moment, du wachst um viere frühs uff? Immer noch? JOHANNES  Immer noch. Als wenn ick uff Schicht muss. RALF  Ick ooch, Mann, ick ooch! JOHANNES  Na knorke, bratenwa uns ’n Ei druff. Als ick also um Viere hoch bin, saß ick uffe Bettkante – ick mein, ick musst ja nirjendwo hin – und denn sah ick mit eenmal wieder allet, wie es nu mal is und – noch schlimmer – wie’s wird. RALF Dit Frühstücksfernsehn quakt, Mund­ jeruch, außen grau/innen grau und überall is nur … JOHANNES  … dit blanke, vernieselte Nüscht. Jenau. Nüscht gegen dich und det hier. (zeigt rundum auf die Haltestelle). Aber jenau von hier aus sindwa mal jeden Morgen jestartet, Ralle. Dit war unser persönlichet Baikonur. Von hier aus sind wa uffjebrochen, um neue Welten zu erkunden. RALF  Halblang, Kirk. Wir sind janz simpel uff Arbeit. Thermoskanne und Stullenbüchse. JOHANNES  Oder so. Jedenfalls allet besser als dit jetzt. Ick wüsst ja nichmal wohin, wenn ick ne Fahrkarte hätte. Ralle, ick komm nur noch hierher, weil … weil ick hierher komme. RALF  Nu, nu, det is hier zwar nich Baikonur, det Sternenstädtchen, aber ooch nich irjendwat! Det, mein Freund, is die letzte, verdammte Schnittstelle zwischen der Zivilisation und der absoluten Pampa. Von hier ab in die Richtung (zeigt) hört jedes intelljente Leben uff. Wir sind der letzte Außenposten, die Gralshüter quasi. JOHANNES (lacht) Ach du Scheiße! Und dit hilft? Dit redste dir jeden Morgen ein? RALF  Manchmal hole ick mir auch einfach een’ runter. JOHANNES  Hilft ooch nur mäßich. Die innere Unruhe is für zwanzig Sekunden weg aber danach fühlste dir doppelt leer. Vorher biste ’n Penner mit Masturbationsfantasie, danach biste immer noch Penner, nur eben ohne Fantasie. Nüscht mehr im Kopp und nu ooch nüscht mehr inne Hose. RALF  Nee, im Kopp is dauernd wat. Andauernd! Det ist es ja!: in der Birne hört es nich uff zu plappern. Immer und immer. Mach dies, mach das, reiß dich zusammen, bring dich um, rasier dir ­wenigstens. JOHANNES  Dämliche Jedankenschleifen. Tritt sich dit fest, isset der direkte Weg in die klinische Depression. Ick habs mit Dauer-TeVau versucht.

SINFONIE DES FORTSCHRITTS

28. + 29.1. fft-duesseldorf.de


oliver bukowski_warten auf 'n bus

/ TdZ  Januar 2022  /

Kaserne

Eene Serie nache andere. Oder einfach denselben Film nochmal. Und nochmal. Und nochmal – und det beruhigt. Jedenfalls hörn die Fingerspitzen uff zu jucken. Wenn ick aber morgens annen Brief­ asten jehe … RALF  … scheißte dir ein, weilste nich weeß, wat drin is. Mahnungen, Inkasso, wat vom Amt oder Vermieter, Krebsdiagnose. JOHANNES Siehste. RALF  Aber dein Filmekieken is nüscht andret als Weltflucht. Du lebst denn nich mehr inne Realität. JOHANNES  Na, dit hoff ick doch sehr, hoff ick det. RALF  Haste nur noch Film im Koppe, unterscheideste dir keen bisschen von eem mit Hallus und Wahnvorstellungen. JOHANNES  Mal so, mal so. Wenn ick zum Beispiel Arielle (gesprochen wie geschrieben) jekiekt hab … RALF  … Arielle? (ebenso) Die Meerjungfrau, dit Märchen? JOHANNES  Ja. Wat jegen? RALF  Nö, nö, frag ja nur. JOHANNES  Doch scheißegal, Mann! Haupt­ sache, es hilft. Richtig? RALF Richtig. JOHANNES  Und dit half. Weil da – also die Stelle, wo se uffn Stein hockt und singt – da musste ick immer heulen. Ralf brüllt laut lachend auf. Johannes straft ihn mit einem Blick. RALF (mühsam beherrscht) Tschuldigung, Tschuldigung. JOHANNES  Mann, ick wusste selber, dasset bescheuert war, bei so’m Schinken zu flennen, aber da ick sowieso immerzu heulte, konnte ick mir einreden, dass ick deswegen heule. Klar? Für den Moment war ick also NICH IRRE, sondern janz normal. Ick heulte ja nich mehr einfach so. Ick heulte und hatte dafür ooch ’n klar benennbaren Grund: nämlich Arielle. Der Bus kommt. KATHRIN steigt aus und lehnt sich, in Jeans, Lederjacke und schweren Stiefeln gekleidet, an den Kühlergrill ihres Linien-Busses. Sie hat die ­Augen geschlossen, hält ihr Gesicht in die Sonne und raucht. Ein schönes Bild. Die Männer bemerken sie. Maik kommt und leckt Kathrin ab. Sie findet ihn süß. KATHRIN  Wie heeßter denn? JOHANNES Maik. KATHRIN  Ach du Scheiße. RALF  Oder einfach „der Hundi“. KATHRIN  Noch schlimmer. Seid ihr fünf? RALF  Nich unsre Schuld. Der hieß schon so, als ick’n ausm Heim holte. Und der Sack ließ sich nicht umtaufen.

JOHANNES  Und wir ham allet probiert. Torsten, Manfred, Lothar – die janzen Hundenamen durch, aber führt keen Weg rin. Er hört sowieso schon uff so jut wie nüscht, aber sachste nich Maik oder Hundi, frisster nich mal. RALF  Oder kackt nich. JOHANNES  Oder kackt, wann und wo er nich soll. Guerilla-Kacken sozusagen. RALF  Manchmal hälter sogar die Luft an und fällt um. KATHRIN  Weil ihr ihn falsch anquatscht? RALF  Wer weeß, kann sein. JOHANNES  Wir dringen nicht allzu weit zu ihm vor. Er macht sein Ding, wir unsret. Sie. RALF  Andererseits, wollen Sie falsch anjesprochen werden? KATHRIN  Ick? Wie denn? RALF  Na, keene Ahnung, Wiebke oder so. JOHANNES  Wie kommstn jetz uff Wiebke?! RALF  Wat is denn jegen Wiebke zu sagen? KATHRIN (zu Johannes) Fällt dir wat andret zu mir ein? JOHANNES  Kathrin reichtma völlig. KATHRIN  Richtige Antwort, Schwein jehabt. Richtige Antwort, aber ooch bissel feige. Hättst dir ruhig wat einfalln lassen könn’. Oder besser nich. Nachher bin ick Arielle oder Angela oder so wat und komm da nich mehr raus. Ick denk ja, dass Name und Mensch mitte Zeit identisch werden. Stückchen jedenfalls. Du zum Beispiel (sieht Johannes an), ick rate jetzt mal, bist für mich ’n typischer Ralf. Und du (sieht zu Ralf) bist – na ja, na ja … geh mal paar Schritte! Ralf geht ein paar Schritte. KATHRIN  Hände einstützen und leichten Ausfallschritt nach links! Ralf tut es. KATHRIN (ruft) Deine Lieblingsdrohjebärde. RALF (ruft zurück) Lieblings-wat? KATHRIN  Drohjebärde. Mach, wat anzeigt, det de höllisch uffe Palme bist. Und bitte nich Mittelfinger, dit würde mich irjendwie von dir enttäuschen. Ralf ist ratlos. Probiert dann aber irgendwas. Kathrin lacht. KATHRIN  So kommwa nich weiter. Mach mal paar Hockstrecksprünge! Wir müssen dich lockern und neu uffsetzen. Ralf tut es. JOHANNES  Und det brauchense allet, um sein’ Namen zu erraten? KATHRIN  Quack, aber der macht so wunderbar blöde mit. (Zu Maik:) Herrchen pariert, wa? Herrchen haste jut dressiert!

KATHRIN (Ruft zu Ralf:) Ok, kannst uffhörn. Ick denke, du bis ’n schwerer Fall von Heintje oder Hans. Lieg ick richtich? Ralf und Johannes sehen sich verblüfft an. JOHANNES  Ja, schon. Is nur … nur jenau umjedreht. KATHRIN (lacht) Jenau, umje … (Lacht.) Herrchen & Hundchen oder Paare. Sind die lange jenuch zusammen, sieht der eene aus, wie der andere heeßt. Na, nüscht für unjut, nur so Jedanken. Am Lenker hat man viel zu vülle Zeit. (Sieht auf ihre klobige Taschenuhr) Ick muss jetzt, Leute. Bin schon wieder späte dran. Allewidätschi, ihr Beeden Hannes-Ralleoder-Umjedreht, bis Morgen! Ist schon im Bus, startet, fährt los und winkt noch einmal. Johannes sieht Ralf an, Ralf sieht Johannes prüfend ins Gesicht. JOHANNES (unbehaglich) Wie der eene aussieht … RALF Pff.

AKT 3: IRGENDWO DAZWISCHEN RALF und JOHANNES kommen gerade von einem ihrer zahlreichen Nebenjobs aus dem Wald. Für 10 Euro/h wilderten sie ein Bienenvolk aus. Die beiden Männer sind noch immer in der geborgten Imkerkluft samt Imkerhelm und Schleier, selbst MAIK ist provisorisch verschleiert. Das Auswildern ist eine sehr umstrittene Methode, um Bienen besser überleben zu lassen, und die Männer sind in einer schrulligen Debatte über das Für und Wider des Verfahrens und Etliches mehr. Immer wieder bleiben sie stehen, um zu streiten. JOHANNES  .… kapierste nich: stirbt die Biene, hat der Mensch noch fünf Jahre zu leben! Noch fünf, Ralle! RALF  Aber det sind jetzt schon Haustiere. Ne Kuh wilderste ja ooch nich aus. JOHANNES  In Zahlen FÜMPF, mein Freund! Nur noch fünf Jahre! Dit lasst dir mal uffn Stirnlappen zerjehn. RALF  Schon verstanden. Wir schaffens nich bis zur Rente. JOHANNES Jenau. RALF  Scheißdruff, eene Peinlichkeit weniger. JOHANNES (schnaubt) Pff, wie dit nervt! Kannste ma uffhörn, immer nur an dich zu denken? RALF  Und du höre uff, bei jede Jelejenheit dein Ego uffzublasen. JADOCH, wir ham paar Bienen ausjewildert, aber deshalb sind wir nich gleich det Penicillin. Für zehn Euken die Stunde wildere ick selbst Maiki aus.

Fr 14.1. & Sa 15.1. Manaka Empowerment Prod./ Ntando Cele Go Go Othello

Do 27.1. Konzert: Ozan Ata Canani & Karaba

Fr 28.1. Konzert: Limpe Fuchs + So 30.1. Kinderworkshop

Mo 17.1. bis Sa 22.1. Sebastian Nübling, Ives Thuwis und junges theater basel born to shine

Sa 29.1. & So 30.1. Premiere: Tabea Martin Geh nicht in den Wald, im Wald ist der Wald

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stück

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Maik bellt froh (weil er seinen Namen hört). Plötzlich bleibt Hannes abrupt stehen. Ralf läuft hart auf ihn auf. RALF  Wat is?! An der Haltestelle prallt Hannes auf eine Burka-verhüllte Frau (INES). Sein Aufzug als Imker (ähnlich verhüllt) lässt die Begegnung grotesk werden. Ralf lacht auf. Hannes und die Burka- Frau schrecken voreinander zurück und gehen auf Distanz. JOHANNES (erschrocken und unsicher) Tachchen, äh Bonjour, äh Simsala … Tut mir leid, ick wollte Sie nicht … RALF  Simsalabim? (Lacht.) Echt, Hannes? Simsalabim??? JOHANNES  Mann, ick … Uff die Schnelle … Ick … RALF  … As-salam alaykom, wollte mein Freund sagen, As-salam alaykom. Ick entschuldige mich in aller Form für ihn. Wenner uffjeregt is, mutiert er schnell mal zum Pfosten. Und er is uffjeregt, weil … na ja, wir haben hier nur sehr selten internationalen Besuch. Darf man fragen, was Sie hierher an diesen … diesen … (sucht) JOHANNES  … Arsch der Welt … RALF  … was Sie an dieset schöne Fleckchen unserer deutscher Heimat verschlagen hat? Die Burka-Frau „starrt“ sie reaktionslos an. JOHANNES (flüstert) Vielleicht spricht sie ja keen Deutsch oder se kann uns unter ihre Burka nich richtig hören … HEL-LO? Wedelt idiotisch mit der Hand vor der Frau herum. JOHANNES  Can you hear me da drinne? Mit einem Satz ist Burka-Frau INES bei Hannes und stößt ihn vor die Brust, sodass er gegen die Haltestelle kracht. INES  Und wie ick dir hörn kann, Schweine-Nazi, jedet scheiß Wort! JOHANNES (überrumpelt) He! INES  Wat soll das?! Wollt ihr braunen Arschlöcher euch jetzt auch noch über uns lustig machen, ja? Uns verhöhnen, ja?! JOHANNES  Verhöhnen? Wat denn verhöhnen? INES  Appropriation, oder wat? Kulturelle Aneignung? Wat soll dieser Uffzuch! RALF  Der is jegen Bienen! Und deiner? Johannes nimmt den Imkerhelm ab. JOHANNES (beschwichtigend) Nu, nu, mal schön Ruhepuls. Ick gloobe, hier liegt einfach ’n Missverständnis vor. INES (schnaubt) Fascho bleibt Fascho. Da jibts keene Missverständnisse. RALF  Wer immer du da drinne bist, WIR sind keene Nazis! Kapiert?! INES  Ach ja?

www.hellerau.org

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JOHANNES  Ach ja! INES  Ihr hängt hier einfach nur so ab, Tach für Tach? RALF  Jeht dich ’n Scheißdreck an, aber kann man so sagen. INES  Na dann ist doch alles klar, mein Ralle. Heil Hitlerchen! RALF  Wat is klar? Und wieso weeßte, wie ick heeße? (Ihm geht ein Licht auf.) Die Stimme! Ick kenn dir. Du bist Null-Muslima, du bist dit blanke Jegenteil. Du bist, warte, bist … JOHANNES  … Ines! Ines Katschkowski! Wir waren alle anner Juri Gagarin. Du warst die scheiß Freundschaftsratsvorsitzende, dit Glühendrote-Ines. Ines nimmt die Kopfbedeckung der Burka ab und schüttelt die Haare. RALF  Aber warum trägste nu Burka? Biste konvertiert, so von Arbeiterfahne zu Jebetsteppich, oder wat? Ines holt ein Walky-Talky raus. (In den Funklöchern der Region kein schlechter Behelf.) INES  Tja, wie soll icks nennen: Köder? Trüffel für euch Nazi-Schweine? Uff nüscht reagiert ihr Arschgeigen deutlicher als uff Frauen in Burkas. RALF  Hä? Versteh keen Wort. INES  Aber gleich, kleener Ralle, aber gleich. Ines hebt das Walky-Talky hoch, lächelt kalt und drückt eine Taste als würde sie eine Bombe zünden. Am Waldrand explodieren MOTORENGERÄUSCHE von Crossmaschinen. Die Motorräder schießen aus ihrem Versteck, steigen auf die Hinterräder und sind in der nächsten Sekunde an der Bushaltestelle. Drei BULLIGE TYPEN IN LEDERKLUFT und schwarzen, blickdichten Vollvisierhelmen (gewissermaßen auch „vermummt“) steigen ab und klatschen sich die Fäuste oder Baseballschläger in die Handflächen. Ines neigt neckisch den Kopf: INES (WEITER) (grinst) Simsalabim. SPÄTER Ralf und Johannes sind die Hände mit Kabelbindern gefesselt. Sie knien hinter der Bushaltestelle in einer Art Tribunal und wissen endlich, was Ines meint: Die gesamte Rückfront der Wartehaus-Bude ist mit NaziParolen, Reconquista und einem riesigen Hakenkreuz beschmiert. Auf jeden Fall: „GENDERWAHN“ Ines telefoniert Ralf und Johannes’ „Alibi“ hinterher: INES (in den Hörer) … Bienen? Wirklich Bienen? Und dit is jetzt nicht ’n scheiß völkischet CodeWort für irgendwat? Ick meine, wir überprüfen det und wir wissen, wo Se wohnen. Dit is Ihnen hoffentlich klar, ja? … JOHANNES (stöhnt) Mann, Ines! Dit einzig Völkische hier is dit scheiß Bienenvolk.

11./12.01.2022

Isadora Duncan Jérôme Bel

RALF  Wir könn’ dich mit’n Arsch rinsetzen, damittes kapierst! Für die Frechheit gibts von einem der Typen in Lederkluft eine schnelle Backpfeife. INES (weiter in den Hörer) … Drohung? Ja selbstverständlich is dit ne Drohung. Denkense ick lad Se hier uff Kaffe & Kuchen?! ICK FLIRTE NICH, ICK DROHE, JUTER MANN! Ick … Hallo? (man hat aufgelegt) Idiot. Ines legt ebenfalls auf und blickt nachdenklich auf ­Johannes und Ralf herab. JOHANNES  Ines, Mann, wie oft noch!: wir haben den Scheiß da nicht ranjeschmiert! Wir nich! INES (nachdenklich) Wer sonst? Ihr hängt hier jeden Tach ab, nur ihr. Weeß jeder: die beeden schrägen Kloppies anne Haltestelle. Ihr seid hier Inventar. RALF  Gerade deshalb werden wir nich so blöde sein, jenau hier ’n Hakenkreuz anzumalen. JOHANNES  Man scheißt nicht, wo man frisst. INES (lacht) Ihr scheißt Hakenkreuze? RALF  Mann, Metapher! Dit war jetzt mal Metapher und Volksmund 1.0 und so. Hannes is der Experte vonne Volksmünder. Er wollte nur sagen … Äh, wat wolltste nur sagen? JOHANNES  Wir warns nich. RALF Jenau. Ines überlegt. Maik hechelt und wackelt mit dem Schwanz. Dann geht alles schnell. INES  Okay. (Seufzt) Machtse los. Die Beeden sind so blöd und harmlos wie ihre Töle. Die Ledertypen machen Hannes und Ralf los, Ines geht schon zu den Motorrädern. Johannes steht auf, reibt sich die Handgelenke und ruft ihr wütend nach. JOHANNES  Und dit wars, ja? Kurz mal jefesselt und jefoltert und dit wars denn einfach? Guanta­ namo fürn kleenen Hunger, oder wie? Ines steigt schon auf ein Motorrad. INES (ruft zurück) Sorry, blöd jelaufen, aber wir sind nu mal im Krieg. JOHANNES Krieg? INES Krieg! Sie lässt das Motorrad an. Johannes brüllt drüber: JOHANNES (ruft) SCHEISSE, INES, NOCH’N SPRUCH UFF’N WEG: WÄHLE DEINE FEINDE JENAU, DENN DU WIRST WIE SIE! INES (brüllt zurück) WAT? JOHANNES  WÄHLE DEINE FEINDE JENAU, DENN … RALF (würgt ihn ab) … ALLET IN ORDNUNG! TSCHÜSS, INES! INES  KRIEGTER WIEDER SEINE JEDICHTE?

16.01.2022

Im Umbruch

Barbara Lubich

14./15.01.2022

28./29.01.2022

Arila Siegert nach Wassily Kandinsky

Miet Warlop

Über die Mauer

Filmpremiere

Ghost Writer and the Broken Hand Break


/ TdZ  Januar 2022  /

RALF  JA. WIRD OOCH NICH MEHR BESSER. INES (lacht) WAR SCHON INNE SCHULE ­UNSER ABREISSKALENDER. (lacht) TSCHÜSS, SUPPENLUTSCHE, UND IMMER SCHÖN VORSICHTIG. WIR (zeigt mit zwei Fingern) BEHALTEN EUCH IM OOGE! Sie reißt die Maschine hoch und rast los. Ihre Leute tun es ihr nach und folgen ihr mit schleudernden Rädern. Johannes und Ralf bleiben im Staub zurück. JOHANNES (beleidigt) „Abreißkalender“? „Wird ooch nich mehr besser“? RALF  Wat willste, du warst schon wieder druff und dran, Glühend-Rotet-Ines zu provoziern. Johannes schweigt mürrisch ein paar Sekunden. JOHANNES  Und jetzt? Ralf sieht auf die Nazi-Schmierereien. RALF Hm. Johannes und Ralf haben tatsächlich Farbe und Pinsel geholt, um „ihr“ Wartehaus vom Nazi-Müll zu reinigen. Die beiden streichen die Haltestelle und dabei ist nicht zu verhindern, dass sie das Geschmiere lesen. ­Johannes ist gerade bei „Sicherheit braucht Grenzen“. JOHANNES (reagiert auf das Schild) Die Idioten. Und damals plärrten se „Die Mauer muss weg“, „Die Mauer muss weg“. RALF  Will keena mehr wissen, dass wa selber Flüchtlinge warn. Und nich mal politische. Ick meine, keene, wo die heeme mits Erschießungskommando warten. Die unterste Sorte Wirtschaftsflüchtlinge warn wa. RALF  KOMMT DIE D-MARK BLEIMWA (hdt: „bleiben wir“) HIER/… JOHANNES  KOMMTSE NICH/ GEHN WIR ZU IHR!!! RALF  KOMMTSE NICH/ GEHN WIR ZU IHR!!! Erinnerndes Gelächter. JOHANNES  Und kaum hattenwa bissi Westkohle, denn zammraffen und buddelflink zu Loche schleppen. ALLET MEINS! RALF (Sächsisch:) Und MAUER WIEDER HOCH! (Lacht.) „Dit Deutsche, dit Deutsche, dit Deutsche jeht in Eimer“ flenn’ die immerzu. Und fragste nach: Ohjemineh, dit Deutsche jeht flötn, aber wat is denn nu dit Deutsche gleichma? Und wieso isset so schlimm, wenns weg is? JOHANNES  Denn kommt erstma der Scheiß mitte Qualitätsarbeit und die deutsche Ingenieurskunst. RALF  Und ick sag VW-Diesel und frag, wo die deutsche Ingenieurskunst denn da war. JOHANNES  Denn ziehnse sofort mit Joethe nach. Der Mann is nich tot zu kriegen.

oliver bukowski_warten auf 'n bus

RALF  Echt, die können kaum ’n Küchenzettel lesen, aber hupen immer noch mit „Land der Dichter und Denker“ und olle Goethe rum. JOHANNES  Aber ick sag Okay. RALF  Du sagst okay? JOHANNES  Man muss ooch mal ok sagen. Ick zitiere dann gleich immer wat, und stöhne und verdreh vor lauter Kunstjenuss die Oogen. RALF  Und die? JOHANNES  Stöhnen und verdrehn kräftich mit. Bleibt ihnen ja nüscht andret übrich. RALF Fies. JOHANNES  Doppelt fies. Denn ick zitier’ nich mal Joethe, ick zitiere wat von mir! RALF  Wat?! Glatter Betruch also. Du bist ne Fake-News uff zwee Beene. JOHANNES (zuckt mit den Schultern) Wat solls, für den Moment bin ick Joethe. RALF  Muss ooch mal sein. Beide lachen. RALF (vorsichtig) Also du schreibst, sagste. Ick meine, so richtich richtich? Und wieso weeß ick’n det nich? JOHANNES (energisch) Keene weiteren Fragen! RALF  Wieso denn?! Also ick würde jerne, sehr jerne mal wat von dir … JOHANNES  … Lass sein, okay? RALF (leicht beleidigt) Hmhm. JOHANNES  Ralle, bitte, ick zick’jetz hier nich uff Jeheimnisträger und Wundertüte. Is nur … Also dit Jeschreibsel is nur so für mich, und, na ja, dit solls ooch bleiben. Ick brauch irjendwat, wat nicht vakoofbar is, vastehste? Also dit heeßt jetz nich, dass ick denke, dassde mein Zeug koofen sollst oder dasset überhaupt vakoofbar is. Ick will nur … RALF  … Irjendwat, wat janz deine is und von dir kommt und wat nich anjegrabscht und befingert und verglichen und bewertet und ausjepreist werden kann. Johannes sieht ihn verblüfft an. RALF  Jetzt glotz nich so! JOHANNES  Wie glotz ick denn? RALF  Als wennde „Ei der Daus“ oder „Donnerwetter“ sagen willst. JOHANNES  Will ick ja ooch. RALF  Lasset. Schon dassde so verblüfft jekiekt hast, isn Fall von benevolenter Diskriminierung. JOHANNES Benewo-wat? RALF  Positive Diskriminierung: Komplimente in Jestalt von Backpfeifen. Ick lob so von oben herab uff dir runter. In etwa wenn du machst: Ei der Daus, der kleene Ralle hat ooch mal wat jeschnallt. Is meist so’n Sexismusding zwischen Männern

und Frauen: Die Frau macht oder sacht irjendwat und der Kerl macht „Möönsch, gar nich mal schlecht für ne Püppi“. JOHANNES  Ja, scheiß die Wand an, woher weeßt denn du so wat? RALF  Da gleich wieder: benevolente Diskriminierung. Oder halt, dit war jetzt sogar ne offene. JOHANNES  Und jetzt? RALF  Wirste zermalmt und kommst uffn Sondermüll vonne Weltjeschichte. Irjendwelche letzten Worte? JOHANNES  Nur nochmal die Frage: Woher weeßte dit allet? Internet? RALF  Falsche Tür. JOHANNES  Falsche Tür. RALF  Also dit war so: Ick war inne Kreisstadt uffs Amt und musste schiffen. Ick hatte schon mächtig Druck uffe Pumpe und … JOHANNES  … Ok, könnwa die Schifferei überspringen? RALF  Diesmal nich, fürchte ick. Trotzdem weiter? JOHANNES (widerwillig) Weiter! RALF  Ick also rumjetigert, schon Schweiß uffe Stirn, und denn endlich: Da! Die Klos! Blöde nur: die haben da jetzt nichmehr so Ampelmann und Ampelfrau uffe Tür, sondern diese Geschlechterzeichen. Also die Kullern mit oben so’n Pfeil, oder eben unten so’n Kreuz. Und jenau dit war dit Problem. Ick weeß immer nicht: is nu der Pfeil für die Kerle oder dit Kreuz? Oder janz andersrum? (Dramatisch:) Und der Druck und die Pumpe und der Schweiß uffe Stirn und Roter Draht/ Blauer Draht …! JOHANNES (ungeduldig) … Mann, Kreuz für Frau, Pfeil für Mann! RALF Ooooder? JOHANNES  Wat „oooooder“? Nüscht oder. RALF  Doch! („Pastoral“:) Denn siehe, da war eine dritte Tür. Und jene trug eine Kuller mit Kreuz UND Pfeil, und es war gut. Jedenfalls für mich. Ick ruff und aaahhh und schon entspannte sich det janze Amt. Aber wie ick wieder rauskam, sprichtma eener an und sagt, dit das jetzt aber mutig war. Ick sach, dass ick mir nich anders kenne, aber trotzdem jerne mal wissen würde, wat denn am Pissen nu so mutig is. Und er sagt, dit ick uff „Divers“ war, und dass es – leider, leider – noch immer so sei, det alleene der Gang zu diesem Klo den Klogehenden stigmatisiert. Und jerne, sehr jerne, würd er mich in Raum 219 mitnehmen. Sie hätten da gerade einen Workshop am loofn und könnten unmöglich uff meine Erfahrungen verzichtn.

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stück

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JOHANNES (grinst) Und du bist mit? RALF  Wann wollte schon ma jemand wat von meine Erfahrungen hörn! (Außerdem jabs kostenlos Blechkuchen und Handmaterial). JOHANNES  Und dann Raum 219. RALF  Könnwa überspringen. JOHANNES  Nüscht! Ick will Details. Wann hastes jemerkt? RALF  Is doch scheiß egal. Ick hab mir die Powerpoints anjesehn und zujehört. Allet sehr interessant. Weeßte, wieviele Jeschlechter momentan im Anjebot sind? JOHANNES (beharrlich) Wann. du. es. jemerkt hast?! RALF  Also jut, der Klassiker: die Seminarleiterin wurde mir als Monique vorjestellt, aber überall stoppelte und haarte noch ’n Manfred durch. Und am Tisch jing dit so weiter: überall Leutchen im Umbau. JOHANNES  Und du? RALF  Ick … also … Klar, ick musste ja nu ooch zeigen, dass ick hier nich so janz grundfalsch bin, in Zimmer zweehundertneunzn. JOHANNES  Klar. Hättst aber – „Sorry, Missverständnis“ – ooch einfach jehn könn’. RALF  Hab ick tatsächlich kurz überlegt, aber da wäre ick dann entweder a) ’n Perverser, der sich aus perversen Gründen uffm falschen Klo rumtreibt oder b) ’n Idiot, der nichmal Schilder lesen kann oder c) ’n Idiot, der von anjesagten Jeschlechterfragen keene Ahnung hat, oder d) ’n Fascho, der uff Genderhass is und dit Klo sabotieren will. JOHANNES  Een mal pervers, een mal Idiot, een mal Nazi. RALF  Ja, schlechte Karten. Und da hab ick ma in meine Not einfach an dir erinnert. JOHANNES  An mir??? RALF  Ja. Weeßte noch, wie wa mein Fotoalbum uffm Handy durchjeblättert haben? JOHANNES  Ja und? RALF  Die 80er? JOHANNES (versteht nicht, worauf Ralf hinauswill) Jaaaa? … AH NEE, NE?! RALF Doch! JOHANNES  Dit hast nich jemacht, dit nich! Sag, dassde dit nich jemacht hast! RALF  Mann, watten sonst?! Der Typ hielt mir für mutig und dit ick den Arsch voll schicke Erfahrungen hab, und ick wollte ihmchen nich blöde dastehn lass, und mir selber ooch nich. JOHANNES  Und denn haste tief Luft jeholt und mal einfach so jesagt, dassde … (Kann den Lachan-

fall kaum noch zurückhalten.) … dassde ne Frau werden willst, oder wat? RALF Nee. JOHANNES Nee? RALF Nee. JOHANNES (erholt sich kurz) Jottseidank, ick dacht schon, dassde nu völlich … RALF  … Dass ick eene war, hab ick jesagt. Dass ick mal eene war. JOHANNES (schnappt nach Luft) WAT?! Fällt auf die Knie, wälzt sich in einem Lachkrampf. RALF  Wat hätt ick denn sagen sollen! Johannes kämpft sich ruhig, beherrscht sich nur mühsam. Ralf lächelt gutmütig und wartet ab. JOHANNES  Und denn? RALF  Nüscht und denn. Da wird nich blöde nachjehakt, die lassen dir in Ruhe. Aber inne WorkshopPause hatma eener jefragt, wo ick hab machen lassen. – Er frage nur, weil ick so jut jelungen wär’! JOHANNES (atemlos) Und du? RALF  Na wat! Hab ma jefreut. Hört man ja ooch nich alle Tage. Johannes starrt den Freund mit offenem Mund an. RALF  Wat nu? Musste niesen oder gackerste gleich wieder los. Johannes steht auf und umarmt den Freund. RALF  Ö ö ö ö ö! JOHANNES  Allet jut. Is nur … Also … Biste wirklich. Irjendwie. RALF  Wat denn? JOHANNES  Jut jelungen. RALF (misstrauisch) Benevolent? Freundliche Diskriminierung, oder wat? JOHANNES  Teils, teils. RALF  Kann ick mit leben. Ick dachte schon, du hältstma für völlig bescheuert. JOHANNES  Wie jesagt: Teils, teils. Lässt ihn wieder los. Sie grinsen sich an. RALF  Ick hab nämlich ne Idee. JOHANNES (stöhnt resigniert) Und gerade war die Welt in Ordnung. RALF (unbekümmert) Hier, kucke (Holt sein Smartphone raus)! Du gloobst nich, wieviele Jeschlechter es jibt! Und wat für welche! (Liest ab): „Alexigender:“ dit heeeßt: „zwischen mehr als einem Geschlecht wechselnde Genderidentität“ Und hier: „Cadensgender: ein Geschlecht, das sich leicht von Musik beeinflussen lässt.“ Von Musik, Mann, von Musike! Oder hier: „Daimogender: ein Dämonen und dem Übernatürlichen stark verbundenes Geschlecht“ … JOHANNES  … Wat soll das? Machst dich lustig? Bist vielleicht die Nazi-Sau, die hier det „Gender-

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wahn“ ranjeschmiert hat? Hat Glühend-Rotet-Ines am Ende recht? RALF  WAT?! Komm und kuck, wat ick hier ranjeschmiert hab! Komm kuckn! Johannes folgt Ralf auf die Seite, wo Ralf malerte. Eine leidenschaftliche, aber talentfreie Zeichnung, offenbar ein Porträt. RALF (stolz) Da bitte! Von wegen Nazi-Sau! JOHANNES (ratlos) Merkel mit Mütze? RALF  Mann, dit is Che! Che Guevara! JOHANNES (vorsichtig) Okeee. RALF  Ja jenau. JOHANNES  Wat hattste denn nu für ne Idee? RALF  Besser nich. Am Ende hock ick alleene hier. Johannes denkt zwei, drei Sekunden nach. JOHANNES  Hm, ick sagma … du wolltest ’n Ostjeschlecht finden oder erfinden, stimms? Eastgender oder Gender-Ost oder so. RALF (verblüfft) Eastgender. Verdammich, bin ick wirklich so berechenbar? Johannes grinst. RALF  Ick dachte, wenn die die Genders schon aus Musik und Dämonen jebacken kriegen, dann kann ick ooch … Ick meine, is doch allet mit bei. Ick konnte die janzen großkopferten Wörter vom Workshop anwenden. Besondere Individuation und Sozialisation unter ick sachma „hermetisch isolierten“ Laborbedingungen, später sogar ne Transidentität vom Ossi zum Wessi und so weiter. Keen so üblet Gender, wat sachste?! JOHANNES  Ralle, Mann, ’n sozialet Jeschlecht is doch keen Rabattmarken-Club oder ne App. Wat sagen denn die Typen von dei’m Workshop zu. RALF  Nüscht, dürfen die irgendwie nich. Die ham jekuckt, als ob ick nich alle uffn Christboom hätte, aber jesagt hamse: „Ralf, wenn du so em­p­ findest, dann ist das so.“ JOHANNES (lacht) Obwohl … Na ja, hm. Ne ­Nebenwirkung wäre immerhin, det wir es damit zu so ner Art jeschützten Minderheit schaffen würden. Wer den Ossi anpöbelt, wäre sofort ’n Rassist oder Sexist. Shitstorm inklusive. RALF  Meine Rede. Wir Ossis hätten endlich dit, wonachwa immerzu flennen: Anerkennung und Respekt für lau. Du sagst einfach „mein Gender, mein sozialet Jeschlecht is ostdeutsch“ und, Bamm, allet hat ’n Hofknicks zu machen. JOHANNES  Und die Kuller trägt Hammer und Sichel. RALF  Wat für Kuller? JOHANNES  Die uffe Klo-Tür. RALF (lacht) Jenau, Hammer und Sichel.

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Ein Mann brüllt und lässt Ralf und Johannes herumschrecken. NAZI 1  HEEE!!! Drei Nazis haben sich an der Bushaltestelle martialisch aufgebaut. RALF (leise) Oder doch einfach ’n Hakenkreuz an die Kuller. NAZI 1  He, Schwuchteln! Wart ihr das? Zeigt auf die frisch überstrichenen Wände. JOHANNES  Wau, wau, zünftiger Zeitjenosse, wat is dein Begehr? NAZI 1  Begehr? Dir paar uffe Fresse is mein Begehr. Eure Pinsel, eure Eimer? Stößt einen Eimer mit einem Stiefeltritt um. Er inspiziert die Haltestelle, sein Blick fällt auf Ralfs Zeichnung. NAZI 1  (nun doch erstaunt) Merkel mit Hut? Wie krank seid ihr Penner eigentlich?! RALF  Dit is Goebbels. NAZI 1  Goebbels? RALF  Ja, späte Phase. Die Drogen, die Drogen … NAZI 1  (ihm reichts) Okay, Leute … Alle drei machen sich schlagbereit und nähern sich Ralf und Johannes. RALF  Würd ick nich machen, ick lass den Hund los! NAZI 1  Hmhm. Den „Hund“. Lässt den Baseballschläger in die Hand klatschen und nähert sich weiter. RALF (leise durch die Zähne) Komm, Maik, nur een Mal! Nur ein eeziges scheiß Mal in deinem ­Leben! KOMM, KEHLE!!! FRISS’N UFF! Aber Maik sieht sich die Situation an, fiept noch einmal und haut ab. Feistes Gelächter bei den Nazis. RALF (seufzt enttäuscht) Oh, Maiki … Johannes fängt sich den ersten Schlag. Die beiden werden verprügelt und gefesselt. Die Gesichter und Haare sind voll Farbe, ihre Oberkörper sind über und über mit Farbe beschmiert. Beiden, Johannes und Ralf, wurde ein Hakenkreuz auf die Brust (über das Herz) gezeichnet. Die Nazis sind bester Laune. Sie saufen Bier, johlen und demütigen Ralf und Johannes weiter mit Pinsel und Farbe. Sie malen ihnen gerade Hitlerbärtchen an. NAZI 1  Und ihr Sackfressen meint also, unser Zeug so einfach mal überpinseln und wegwischen zu können, ja? So „Schöner unsere Dörfer und ­Jemeinden“ oder so? RALF (wie Hitler) Jawoll, mein Dorrrfgruppenführer, Teutschland muss wieder niedlich werden! JOHANNES  Mein Freund meint es nicht so. NAZI 1  Wie meinters denn?

oliver bukowski_warten auf 'n bus

JOHANNES  Er liebt Sie, er kann es nur nicht so richtig zeigen. RALF  Sie mögen Fesselspiele, mögen Sie es auch rektal? JOHANNES  Er würde Ihnen gern mit dem Baseballschläger aushelfen. Nazi 2 will wieder mit einem Schlag abstrafen, Nazi 1 hält ihn mit einer royalen Geste zurück. Nazi 2 und Nazi 3 gehen, um unter infantilem Gegacker, das Wartehäuschen wieder mit ihren ekelhaften Sprüchen und Zeichnungen zu versehen. NAZI 1  Ihr haltet euch für überlegen, ja? Geistig, rhetorisch, moralisch janz andere Liga, stimms? Und, warum oooch nich, kann ja durchaus sein. Die Beeden hier (zeigt mit einer Kopfbewegung auf seine Nazi-Kumpels) sind nich unbedingt die schlausten. (Ruft nach hinten:) NICH, LEUTE, IHR HABTS DRUFF! IHR SEID KNALLHART MENTAL RETARDIERT, DA MACHT EUCH KEENA WAT VOR! Die beiden Nazis grüßen und grölen zustimmend ­zurück. NAZI 1  Dit sind eben janz normale Jungs von hier. Und wir kennen die, und wir wissen, wie se reden, und wir können ooch so reden – und deshalb, tarah!, sind die nich bei euch, sondern bei uns. Klar soweit? Aber, nu kommts!, wir sammeln nich nur die Hirnis uff, NEE, wir kassiern ooch solche Wichser wie euch. Tatsache! Und warum? Weilwa nich nur wissen, wie die Dorfbengels quatschen, sondern ooch, wie ihr quatscht – und dit problemlos jenau so können. Wir fordern „Ethnopluralismus“ und „biokulturelle Diversität“, und wir sind wie ihr jegen die bösen „Eliten“ und die scheiß „neoliberale Globalisierung“, und wir reden wie dazumal eure 68er von Widerstand, Zensur und „Lügenpresse“. Ja, wir sagen sogar „Kultur­ revolution“! (Lacht ausgelassen.) Und deshalb, Kinder, hamwa nich nur die Kloppis, sondern eben ooch die Profs und Doktoren. Jeden Tach mehr. Und irjendwann, ihr kleenen, sarkastischen Arschgeigen, dit is nur noch ne Frage der Zeit, irjendwann sindwa janz oben dranne. Und dann? Ja wat schon, die Pläne sind samt und sonders ausjearbeitet und fertig, aber damit ihr schon mal bisschen Bescheid wisst (Zerrt sich Johannes und Ralf an den Haaren vors Gesicht.): Solche wie euch, stelln wa als erstet an die Wand. Klar? (Stößt sie wieder von sich.) Aber nu mal Schluss mits Jequatsche. (Steht auf. Reckt, dehnt und rekelt sich.) Jetzt muss ick mal wieder wat für meine Jungs tun. Er tritt auf Johannes und Ralf zu, öffnet die Hose – und pisst sie genüsslich an. Nazi 2 und Nazi 3 sind

sofort da, johlen begeistert und öffnen ebenfalls die ­Hosen … KATHRIN  SIEG HEIL, KOLLEGEN. BITTE ALLE MAL HERSEHN! Die Nazis schrecken herum und sehen eine Frau in Jeans und schweren Schuhen auf dem Bushäuschen: KATHRIN. Sie hat eine Kippe im Mundwinkel und filmt lässig per Handy. NAZI 1  Du kleene Votze filmst uns? KATHRIN  Tut mir selba leid und mein Handy kotzt ooch gleich, aber ick brauch bissel Material fürs Netz und die Bullen. NAZI 1  Und du denkst, dit kriegste so einfach. KATHRIN (zuckt die Schultern) Sehe hier keenen, der mir hindern könnte. Sachma, dürfen Nazis ­eijentlich beschnitten sein? Die Nazis nähern sich ihr langsam, Kathrin filmt ­gelassen weiter. KATHRIN (WEITER) Ja, komm, komma, immer schön ran hier, immer schön uffs Vögelchen kuckn. Mein Jott, Kleena, mit deine Fresse kannste ooch Eier abschrecken. Soll Mutti bissel mit Photoshop drüber? Mach ick, mach ick alles … Der erste Nazi hat sie erreicht und grabscht nach ihr, sie weicht aus, verpackt in Ruhe ihr Handy und schnippt die Kippe weg. Dann geht alles sehr schnell. Kathrin springt vom Dach. Die Nazis grinsen siegesgewiss und nähern sich ihr – sie kommen nur zwei Schritte, dann sind sie blind und wälzen sich am Boden. Zwei Dosen Reizgas, beidhändig gesprüht. ­ Während die Faschos stöhnen und sich blind winden, ist Kathrin schon bei Hannes und Ralf. Sie macht ­Johannes und Ralf die Kabelbinder los. KATHRIN  Wenn die Herren mir mal zur Hand gehen würden? Die Nazis lehnen gefesselt (Kabelbinder und eigene Gürtel) und geknebelt (Klebeband) an der Wand der Haltestelle. Kathrin setzt sich zwischen die hilflosen Nazi 1 und Nazi 2. Sie legt kumpelhaft die Arme um die beiden und kippt sich ihre Köpfe an die Schulter: ein seltsames „Freundschaftsbild“, ein Selfie. KATHRIN (zu Ralf) Los, drück druff! So, liebe faschistische Mitbürgerinnen und Mitbürger, heute is Freitag, der 17. 06. 2019. Ick bin Busfahrerin, wiege bissel über 65 Kilo und habe mir heute ’n paar von euern Kollegen jeschnappt, verkloppt und sauber verpackt. Nich wahr, ihr süßen Racker? (Schmatzt den beiden Nazis einen Kuss auf die Wange und wuschelt ihnen das Haar.) Allet keen Problem, wie ihr seht. Wie jesagt, ick wiege nur 65 Kilo, aber anderthalb davon sind Jehirn. Mindestens. Det isset wohl, wat mich hier von den Herren an meiner Seite unterscheidet. Fröhlich je-

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S OL BIL B AO L UCUIX & FA BR I ZIO DI S A LVO F. W IE SEL ULTR A & ENSEMBL E F L ASHB ACK T YR A W IGG T HE AT E R- R OX Y. C H

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gen Führer, Volk und Vaterland, eure Kathrin. Und nu ab inne Sonne! Kathrin nimmt das Handy und hält es Nazi 1 vors Gesicht. KATHRIN  Kapiert? Egal, wie es bei den Bullen ausjeht: taucht ihr hier wieder uff und macht een uff Rache oder so, stell ick das Ding ins Netz und ihr seid die Luschen der Nation. Is det klar? Nazi 1 starrt wütend und reaktionslos vor sich hin. KATHRIN  Okay. Ralle, gib mir ’n Kuli. Ick mal dem Herrn noch Spongebob und paar lustige Herzchen uffe Stirn. Nazi 1 windet sich und wütet. KATHRIN  Jetzt klar? Nazi 1 nickt mürrisch. KATHRIN  Na bitte. Kathrin führt die Nazis ab. JOHANNES  Sie ist … einfach großartig! RALF  Der Hammer! Ein BELLEN: Maik. Der Hundi zeigt sich wieder. Er setzt sich in sicherer Entfernung auf den Hintern und kuckt erst mal. RALF (ruft) Ja, du geierfeige Lusche, kannst kommen! Die Luft is rein! Maik bellt kurz und fröhlich und kommt mit fliegenden Ohren angerannt. RALF  Manchmal könnt ick die Töle einfach schnappen und durchdreschen. JOHANNES  Könnteste nich. RALF  Na gut.

AKT 4: EINFACHE FÄLLE RALF und JOHANNES zeigen BRITZKE das Video auf Kathrins Handy. BRITZKE (lachend) Geil! Einsam Rasseklasse die Lady: Vermöbelt drei ausjewachsene Kerle und ­liefertse mir per Bus frei Haus! Ick fasset nich, der ab-so-lu-te Knaller! (Lacht.) RALF  Ist dit ihr Handy? BRITZKE Jetzt isset meins. Beweismaterial. Aber frag nich, sind keene Nackigtselfies druff. RALF (angeekelt) Britzke, du bist ’n derart wider… widerlichet … BRITZKE  … Wat denn, wat denn! Euer Sheriff is ooch nur’n Mann. JOHANNES  Dit is allet in janz großer Gaudi für dich, wa? ’n riesen Fez! Erneuter Lachanfall des Mannes. BRITZKE (lachend) JA! (Lacht brüllend.) JA!, JA!, JA! Und für euch nich, ick weeß! Is mir nich entjangen, Baby. (Lacht.) Aber die Jungs hatten viel Spaß mit euch. Wo warn eigentlich eure Eier? Habter se Maiki unter die Frolics jemischt? JOHANNES  Die „Jungs“? Die „Jungs“??? Britzke, du wirst nie ’n Ami-Cop. Da kannste noch so breitbeenig labern und die Faust inne Handschuhe p ­ atschen. BRITZKE  Wenigstens muss mir keene Frau den Arsch retten. Obwohl, von der würde ick ja nu … RALF  … Is jut, ick kotz gleich. JOHANNES  Stell einfach deine Fragen und verpiss dich. BRITZKE  Mein lieber, lieber Loser Hannes, ick bleib, wie und wo und solange ick will. Ihr zweebeede seid nich inne Position, mir oooch nur irjendwat zu sagen. Wir sind nich mehr uffn Schulhof. JOHANNES  In welche Position sindwa denn? BRITZKE  Hm, lass überlegen: … Penner? Sozialschmarotzer? Schwanzlose Opfer? Johannes will auf ihn los, Ralf hält ihn zurück. Britzke grinst.

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BRITZKE (entspannt) Seht ihr beede das irgjendwie anders, oder wat? Ick meine, – helft mir uff, wenn ickma irre –, ist der jute alte Sheriff nicht hier, weil es mal wieder darum jeht, dass man euch jefickt … sorry, bleiben wir jenau im Detail und Tathergang: dass man euch ins Gesicht jepisst hat, und ihr nu janz klassisch und juristisch dit seid, wat man Opfer nennt? Opfer, Opfer, Opfer? Johannes und Ralf schweigen. Britzke mustert sie halb verächtlich, halb mitleidig. BRITZKE  Und dit is nur der aktuelle Fall. Aber, naja, wenn ick euch so ansehe … wahrscheinlich besteht euer aktuellet Leben nur aus solche Sorte aktuelle Fälle. (Lacht.) Wisster, dass ick euch mal bewundert hab? Doch, Tatsache! Ihr wart die dunklen Lords der Raucherecke, die coolsten Säue der Polytechnischen Oberschule Juri Gagarin. Wat is passiert, ihr Pfeifen, wo habter die Kurve nicht jekriegt? JOHANNES  Und du hast die Kurve jekriegt, Britzke. Du ja? BRITZKE  Ah, ick habs jeahnt: jetzt kommt wieder dit Ding, dit „Vakoofs“-Argument! Jeder verkrachte Idiot guckt uff meine Bullen-Uniform und sagt mir, dass er „sich wenigstens nicht vakooft“ hat. RALF  Und dit is natürlich janz, janz anders. BRITZKE Ja. Ralf und Johannes genießen sich in ihrem Pingpong: JOHANNES  Sag uns, wie, großer Sensei! Kläre uff, wasche, salbe und erleuchte uns: wie jelingt es Mark Britzke tagein tagaus, Mark Britzke zu sein? RALF  Wie beherrscht man rund um die Uhr den Würgereflex? JOHANNES  Arbeitest du morgens mit weichem Licht und besonderen Spiegeln oder rasierst du dich blind? RALF  Jibt es noch mehr von dir? JOHANNES Nimmst du Schluckimpfungen oder verhindert die Dienstwaffe, dass du dich versehentlich vermehrst? RALF  Kann man noch aussteigen, wenn es einen erwischt hat? Britzke grinst gelassen. Er kennt das Spiel der beiden. JOHANNES  Du grinst. Verstehst du unsere Sprache? RALF  Verstehste überhaupt eine Sprache? BRITZKE (lacht) Schon jut, schon jut Leute! Allet wieder klar: Ihr seid noch dieselben arroganten Arschgeigen wie damals. Keene Ahnung, woher ihr dit Selbstbewusstsein nehmt. Wahrscheinlich gloobt ihr sogar, det sich diesmal euer Opfer jelohnt hat und ihr nu endjültig so „Märtyrer der juten Sache“ seid. JOHANNES (zuckt mit den Schultern) Immerhin sitzen drei Nazis im Loch. BRITZKE (lacht knapp) Längst wieder raus. JOHANNES WAT?! RALF WAT?! BRITZKE (genüsslich) Kuckter, wa?! Ja, ja, Rechtsstaat kommt von „rechts“, sonst hießer ja Linksstaat, meine Herren. Besser, ihr jewöhnt euch dran. (Lacht hohl über seinen Kalauer.) Aber wird noch geiler: die sojenannten Nazis werden euch fett verklagen. Jawoll! Schwere Körperverletzung. Ihr habt jeknebelt und jefesselt und jenötigt und Reizgas benutzt. Allet nich unter zwee ’n halb Jahre Bautzen. JOHANNES  Wat? Die haben uns jeknebelt und jefesselt, uns! Und dit weeßte!

BRITZKE  Ach, na ja, die eenen sagen so, die anderen so. Habter Beweise? Wenigstens paar ärzt­liche Jutachten? Die andern wurden sofort untersucht, als eure hammergeile Busfahrerin se abjeliefert hat. ­Fotos, Röntjen, Pipapo. Wir sind da sehr jenau. RALF  Wir ham das Video! BRITZKE  Welchet Video? RALF  Dit VIDEO! DEN BEWEIS! BRITZKE  Ah ja, dit Video. Schaltet Kathrins Handy an, guckt versonnen auf die Bilder und spielt mit dem Gerät. Johannes ahnt, was er vorhat. JOHANNES  Wehe, du Arschloch! Trau dich! WEHE! Britzke löscht das Video. BRITZKE  Hups! Jelöscht. („Infantil“:) Wech, einfach putt. Sorry, Leute, ick muss da irjendwo ranjekommen sein. Ihr hattet recht, ick bin einfach zu blöd. Er grinst. Ralf will auf ihn losstürzen, jetzt hält Johannes ihn zurück. JOHANNES  Komm, lass! Lass! RALF  DU SAU! ICK SCHLAG DIR DIE DÄMLICHE BULLEN-SCHWEINE-NAZI-FRESSE EIN. ICK … BRITZKE  … Doch nich. Guckma! Zeigt Ralfs Wutanfall auf Kathrins Handy. Britzke hat mitgefilmt, Ralf und Johannes sind ihm in die Falle gegangen. BRITZKE  Also ick gloobe, dass ick Ralle janz jut jetroffen hab. Findeter nich? Schweigen. Ralf und Johannes beherrschen sich mit letzter Kraft. Britzke filmt genießerisch weiter: BRITZKE (schwelgt) Ohhja! Uohhja, bleibt so! Dieser Blick, diese jeduckte Haltung! Schwer empört, aber hilflos wie Osterküken: der Ossi wie er leibt und lebt. Mann, dit Bild hätt ick euch damals inne Raucher-Ecke zeigen müssen. (Lacht.) Da, hätte ick sagen müssen, da gehts mal hin mit euch. Dit is euer Vollbild! Zwee Penner anne Bushaltestelle, die nüscht, rein gar nüscht, gegen den kleenen Marki Mark Britzke machen können. (Schnutig:) Na, wollter mir nicht doch noch eene rinhauen? Los, Kinder, gebt mir ’n Grund, so wat wie euch einzulochen oder, wat weeß ick, zu … zu … JOHANNES  … zu deportieren, zu vergasen, abzuknallen, „so wat“ wie uns? Britzke packt das Handy ein. BRITZKE (seufzt) Määänsch, nu hört doch mal uff mit de olle Scheiße! Gloobt ihr wirklich, dass ick ’n Nazi bin? JOHANNES Ja. RALF  Vollet Rohr! BRITZKE  Aber ick hab zuhause ’n Wurf Kätzchen. RALF  Nazi bleibt Nazi. BRITZKE  Jut, passt uff: Vorschlag zur Jüte. Ihr wollt keenen Ärger und ick ooch nicht. Und der Sheriff is cool und kommt euch ’n Schritt entjegen. Also Deal: Ick sorg dafür, dass die Anzeige gegen euch fallenjelassen wird, und dafür is ab sofort Ruhe, Vorgang abjeschlossen, Akte zu. Ihr macht mir keenen Ärger, und ick mach euch keenen. JOHANNES  Aber wat is, wenn wir bei deinem Deal nich mitdealen? BRITZKE  Hab ick det Video. Angriff uff eenen Beamten im Dienst. Boing! JOHANNES  Wieso machste dit? Wieso willste plötzlich verhandeln? RALF  Kapierste nich? Er hat ooch noch das andere Video irgendwo wegjespeichert. Der Sack erpresst in alle Richtungen. BRITZKE  Na ja, „erpressen“. Als Bulle bin ick eigentlich immer der Arsch. Entweder für die


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Rechten oder für die Linken oder für die Mitte oder die Ökos oder einfach so. Mir wurscht, ick kenns nicht anders, aber will ick keenen Infarkt und noch wat vonne Rente, muss ick bissel deeskaliern. Kapiert? Bissel die Spannungsspitzen runterpe­ geln. Und, Leute, echt mal: eijentlich jibts hier so richtig richtich gar keen rechts oder links. RALF Wat?! BRITZKE  Allet nur paar querliegende Fürze oder bisschen überschüssiget Testosteron oder Östrogen oder wie dat heeßt. Allet nur Ego-Scheiße. Kuckt euch an. Und, come on!: isset nich ooch schön, wenn die Leutchen sich artikulieren und ihre Wut bissi Luft machen dürfen? Hä? War früher nicht möglich, jetzt aber schon. RALF  Britzke, die haben uns mit Kabelbindern festjemacht und uffs Maul jehauen! BRITZKE  Demokratie, Ralle! DEMOKRATIE! Da muss man schon paar inne Fresse aushalten. Er setzt sich in den Wagen und startet ihn. Letzte Worte durch die offene Tür: BRITZKE  Hamwa uns verstanden, Jungs? JOHANNES  Sicher nich. Aber wir ham DICH verstanden. BRITZKE  Und daruff kommts an, Jungs. Nur daruff. Sagt Hauptwachmeister Britzke und fährt gutgelaunt los. RALF (äfft wütend Britzke nach) „Demokratie, Ralle. Da muss man schon paar inne Fresse aushalten.“ JOHANNES (lacht) Weil „Ärger macht nüscht wie Ärger“. RALF  Ick könnt ihm mit Anlauf eine rinfenstern. JOHANNES  Könntest du, aber würdest du nich. RALF  Weil du ma festjehalten hast. JOHANNES  Ralle, bitte! Verarsch dich nich selber. RALF  Du hast ma aber festjehalten! Schweigen und Grübeln. RALF  Hat bei dir mal wat jeklappt? JOHANNES Wat? RALF  Ob mal irjendwat jeklappt hat, wasde dir vorjenommen hast. Irjendwat. JOHANNES  Du fragst dit jetzt nur, weilste denkst, det Britzke nu gleich in allen Fragen recht hat. Ooch, wat uns anjeht. RALF  Hatter nich? JOHANNES Nee. RALF  Ick denke schon. Die „dunklen Lords der Raucherecke“. Dit wars. Dit war unsere beste Zeit, danach kam nüscht mehr. JOHANNES  Wat wird das? Ne Generalabrechnung? Biste wieder im Selbstzerstörungsmodus? RALF  Also haste, oder haste nicht? JOHANNES (schon leicht genervt) Wat denn, Mann? RALF  Irjendwat fertigjebracht. JOHANNES  Hab ick. RALF  Schnitzelfressen und Onanieren zähln nich. JOHANNES  Ja, pff, gloob schon. Irjendwat wird schon mal jeklappt ham. Nur bin ick mir nicht sicher, ob icks mir vorher ooch vorjenommen habe. RALF  Wie bei mir! Wie bei mir! Keen Plan, keen Ziel aber immer vollet Rohr. Stand schon in mein Zeugnis: „Ralf ist hoch motiviert, nur weiß er nicht, wozu.“ JOHANNES  Und wat sagt uns dit jetzt über uns? RALF  Dit Britzke falsch liegt. Wir sind keene Loser mit Antriebsstörung, uns fehlen nur die Pläne. Selbstermächtigung. JOHANNES Selbstermächtigung? RALF  Dit isset, mein Freund. Dit is, watwa nie lernen konnten, watwa noch nich druff haben und wat uns bitterlich fehlt. Selbstermächtigung. JOHANNES  Im Ernst? Dit is allet?

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RALF  Allet, wat uns darin hindert, inne ChefEtagen uffzusteigen oder für unsere eigenen Anjelegenheiten zu fighten. Jenau. Selbstermächtigung is die Lösung! Ooch mal in zu große Latschen steigen und zu sich selba sagen „Ick. kann. det!“ JOHANNES  Ick kann det? RALF Ja! JOHANNES  Oder vielleicht „Yes, we can“ oder „Wir schaffen dit“ oder „Icke first“? RALF  Wat willste mir sagen? JOHANNES  Das de druff und dran bist, ne Hülsenfrucht zu werden. So leer wie deine Slogans. Irjendwann sitzte flennend innem jeleasten Kleenwagen und hörst Motivationskassetten auf ’m Weg zum nächsten Kunden. Ralle, allet, was so kurz ist, dasset als Werbe-Spruch taugt oder uff’n Protestschild passt, ist DRECK! Dit Leben hat keen Spielzeit-Motto und du bist hier ooch nich im Theater, du bist uff Butterfahrt in dein Unglück. Kehr um, mein Junge! Wer sich solche Sprüche ausdenkt, will dir betrügen, Ralle, von Hacke bis Nacke bescheißen! RALF  Nee, Hannes, wollnse nich. JOHANNES  Konsument und Wähler. Die Wirtschaft braucht uns immer noch als Käufer und die Politik als Stimmvieh. RALF  Nich mal dit. Die brauchen uns überhaupt nicht mehr. Die müssen sich nicht mal mehr Mühe geben, uns zu bescheißen. Wir sind ihnen wurscht. Der janze Osten, Hannes, der janze Osten war drei, vier Jahre zu wat nütze. Man hat mit ihm ne Mark jemacht, paar Autos vakooft, ne Wahl jewonnen, dann wars det. Jetz isser ausjeplündert. Sondermüll, schwierig zu entsorgen. Vielleicht solltenwa uff Kompost umschuln und uns als Dünger bewerbn. JOHANNES (erstaunt) Mann Ralle, watten los? Du klingst ja plötzlich wie … RALF  … wie kling ick denn?! Wie SCHNAUZE VOLL kling ick! Wie ICK BIN NICH DER HÜGELWILLIE DER NATION kling ick! JOHANNES  Nee, wie die Braunen selber klingste. So halb Wahrheit, halb Verschwörung: „Die da oben“, „Die da oben“! Und immer mit diesem Quengeln drunter, so ner Mischung aus dauerköchelnder Wut und Kullerträne. RALF  Dit war klar. Kleene Kritik, bissel andere Sicht, und gleich bin ick’n Nazi. JOHANNES  Da! Schon wieder! „ZENSUR, ZENSUR“ Fast OTon! Du müsstest jetzt nur noch „Dit wird man doch wohl noch sagen dürfen“ plärrn und dit janze Fascho-Tourette wär’ komplett. RALF  Arschloch. Wegen jenau so ne herablassende Art ziehnwa uns immer weiter zurück und scheißen uff euch. JOHANNES  Hoppla, wer is „wir“? Wer scheißt hier uff wen? Bitte mal Richtungsanjabe! RALF (übergeht die Frage) Weeßte, ick habs einfach satt, für ne undankbare, inkompetente, selbstmitleidige Lusche jehalten zu werden. Und ick bin ooch keene Altlast oder ne zu vernachlässigende Größe. Wenn man mir nich mal mehr wahrnehmen will, denn … Verstummt. JOHANNES  Denn? Wat denn? RALF (übergeht die Frage) Dit kannste ooch janz einfach nachgoogeln kannste det. Soziologie für Kloppies: Werden Leute uff Dauer anjepöbelt und ausjepfiffen, schließen die sich unternander zusammen und kloppen nach außen. Is ja klar, wer dich die janze Zeit scheiße behandelt, zu dem

wirste nu nich unbedingt freundlich sein. Da roochts dann ooch mal, da jibts keen Pardon. Johannes wird immer misstrauischer. JOHANNES  „keen Pardon“. RALF  Jenau. Die übergehen und übersehen uns, die machen sich lustig? Aha, ok. Keen Problem, wir können ooch anders. JOHANNES (fast schon ängstlich) Wer ist „wir“, Ralle? Wer zum Geier ist „wir“??? RALF (stur weiter) Biste jefährlich, wirste wahrjenommen. Bescheuerte Lösung, klar, aber wollten wir, dit es so läuft? Nee, wolltenwa nich. Wir wurden dahin jedrängt, Hannes, jedrängt! Ossi-Witz für Ossi-Witz wurden wir inne Ring-Ecke jedroschen, bis wir nicht mehr wussten, ob Adolf nicht doch recht hatte und es wirklich so wat wie „unwertet Leben“ jibt – nämlich uns. Uns, die scheiß doofen Ossis. Mann, dit is Notwehr, Hannes! ­Kapierste nich?! Einfach Notwehr! Johannes reicht es. Er schnappt sich Ralf und stemmt ihn krachend gegen die frischgestrichene Wand. JOHANNES  WER IST „WIR“!!! Ralf schweigt. Er wehrt sich nicht, weicht nur dem Blick aus – Johannes weiß Bescheid. Er lässt den Freund los, wischt sich angewidert die Hände und ­tigert aufgebracht auf und ab. JOHANNES  Junge, Mann …! Wat soll dit? Is dit’n Trick? So’n altchinesischer Scheiß „Wüllst du oinen Feind vernüchten, so mach ühn dür zum Freunde“, so wat? Ralf schweigt. JOHANNES  Jestern haben die Arschlöcher dir die Socken ins Maul jestoppt, dich abknien lassen und anjepisst … RALF  … War ja ooch nich gestern. Johannes hält inne und fixiert den Freund frontal. JOHANNES Wann? RALF  Wat weeß ick, is schon bissel her. Und ooch nur eens, zwee Mal. Montachsdemos. JOHANNES Montachsdemos? Dresden also. (Sächsisch:) „Wir sind das Volk“, ja? „Touristen willkommen – Ausländer raus“, ja? RALF  … JA DOCH! ES WAR SCHEISSE!!! ICK WAR SCHEISSE! Ick habs dir jesagt, und ick hab versucht, es dir zu erklärn. Mehr kann ick nich tun. Nu mach, watte willst. JOHANNES Ja? RALF Ja. Johannes und Ralf prügeln sich. Kathrin kommt mit dem Bus angefahren, schaut sich die prügelnden Jungs eine Weile mitleidig an. KATHRIN  Is ja nicht mitanzusehn. Seid ihr ­sicher, dass det der Stil is, wie ihr den Scheiß zwischen euch klärn wollt? JOHANNES (unschlüssig) Ja, na ja – Er sieht fragend zu Ralf hinüber. RALF  Allet korrekt. Hat allet seine Richtigkeit. KATHRIN  Also wieder Frieden in Brandenburch? Keine Reaktion. KATHRIN  HEY! Frage nich verstanden?! Isset wieder jut zwischen euch zwee Arschkrampen? Zögernd zustimmendes Gemurmel der Männer. JOHANNES  Hm, kloar, nu ja, von mir aus … RALF  Klar, ja, warum ooch nich … Kathrin schnippt die Kippe in den Sand. KATHRIN Ok. RALF Ok. JOHANNES Ok. KATHRIN  Ick muss dann ooch mal wieder. Schönen Tach noch, die Herren.

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JOHANNES  Dir ooch, Kathrin. Schönen Tach. Sie löst sich von der Haltestelle, wirft den Kaffeebecher in den Papierkorb und schlendert zu ihrem Bus. Die Blicke der Männer folgen ihr. In der Tür des Busses dreht sie sich doch noch mal um. KATHRIN (ruft grinsend) Na immerhin machter schon wieder wat jemeinsam. RALF  Wat denn? KATHRIN  Mir uffn Hintern kuckn. Sie lacht, setzt sich auf den Fahrersitz und fährt los.

AKT 5: #LOVELYLOSERS Große Einkaufstaschen (Ikea, Aldi usw.), randvoll mit Klamotten. JOHANNES dreht sich vor RALF unter der breiten Krempe eines Hutes, er trägt das volle Ornat eines Zimmermanns. Ralf hat sich mit Helm und Blaumann als Kohlekumpel hergerichtet. Er ist gerade dabei, sich das Gesicht zünftig zu verdrecken. RALF  Da, fertig: Kohlekumpel, orijnal Tagebau Kittlitz. Mit Helm und dreckiger Visage sprech ick deiner Nichte gleich mal ’n zünftijet Jedicht in die Kamera. (Stellt sich auf:) Für Mandy … JOHANNES  … se heeßt Meike. Und det weeßte. RALF  Für Meike, ein berufsinternes Kurzjedicht für coole Berliner Nichten von Onkel Ralle. Springt Großhelden-theatralisch auf. Räuspert sich. Posed Vortrags-Pathos.: RALF  „Das Grubenunglück: … Rumpeldipumpel Und tot sind die Kumpel“ … … Danke, vielen Dank. Ick liebe euch, ick sauf euer Badewasser. Danke, Danke … Verneigt und feiert sich theatralisch mit Kusshänden vor imaginärem Publikum. Springt von der Bühne und ist wieder bei Johannes. RALF (stolz) Naha? JOHANNES  Du bist klinisch talentfrei und det war’n uraltet Untertage-Jedicht. Außerdem warst du Übertage. Tagebau. Da „rumpeldipumpelt“ dir nüscht tot. RALF  Watte nich sagst! Bei uns sind jenuch im Abraum verschütt jegangen oder untern Bagger jerutscht … JOHANNES  … besoffen untern Bagger jerutscht. Wenns bei euch jemanden erwischt hat, denn durch’n Blauen Würger, den drecks Deputat-Fusel. Meine Fresse, 80 Promille, achtzig! Jeder Staat, der zulässt, det 80prozentiger Fusel unter eensfuffzig vakooft wird, betreibt Völkermord. Wer daran nich gleich druffging, wurde mindestens blind. RALF  Wat jabs im Osten schon zu sehn? JOHANNES (schnauft) Geht det jetzt so weiter? Willste mit deine abjehalfterten Sprüche unsere janze biografische Herkunft in Grund und Boden witzeln? Det Mädel will uns filmen und interviewen, weilse die Wahrheit wissen will, die Wahrheit! RALF  Weil ja Instagram-Kiddies von nem Charlottenburger Privatgymnasium ooch unbedingt anne Wahrheit interessiert sind. Und wieso trägste eijentlich Zimmermann, du warst ’n jauchestinkender Bauer uffe LPG? JOHANNES  Ick hab Zimmermann jelernt, mein Freund. RALF  Drei Wochen, ja. Und warum hat Herr Ackermann diesen schönen Beruf so arg früh hinschmeißen müssen? Weil Herr Ackermann ­ HÖHENKRANK war. Und is. Darum. JOHANNES  Det muss Meike nich unbedingt wissen. Mann, Ralle: Die hat an ihre Charlottenburger Penne so, na, so Dingens … Projekttage und da willse …

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RALF  … Wat?! Keen richtiger Film, ick bin Wasserträger für ne Schulnote? JOHANNES  Du hastet versprochen. Außerdem isset fürn juten Zweck. RALF  „Zweck“, klar. Neuerdings benutzt jeder den Osten für seine juten Zwecke. Wir sind det ­Papiertaschentuch der Nation: Zweckmäßig im Jebrauch, aber gleich danach keenen Jedanken mehr wert. Nur noch: wo is die nächste Tonne, wie werd’ ick den klebrigen Scheiß wieder los. JOHANNES  Und jenau da kommt Meike ins Spiel. Die Charlottenburger Hipster kennen nur die eene, die hipstermedial jepuschte Seite. Für die is Osten komische Frisuren, Dunkeldeutschland und Wir-sind-det-Volk-WauWau. Damit det Bild nu endlich wieder komplett und richtich wird, will meine kleene Meike jetzt eben die andere, die schöne Seite, na ja … betonen. RALF Betonen. JOHANNES  Ja. Paschke, Mensch, wir sind Zeitzeugen! RALF Holla. JOHANNES  Tu nich so, als wenn sich dauernd wer für uns interessiert. Wir kriegen nich mal mehr Werbung innen Briefkasten. RALF  Und so’n propperer ZEITZEUGE kann natürlich keen Schweinebauer sein, der mit Gummistiefel und Gülle am Hacken durchs frisch komplettierte Bild latscht. Zimmermann muss schon sein, mindestens. RALF  Schön mit Trapperhut uff, bisschen Old Shatterhand, hä? JOHANNES (weicht aus) Ja. Na ja. RALF  Du schämst dich, Hannes. Du schämst dich. JOHANNES Wat?! RALF  Du schämst dich vor deiner erfolgreichen Charlottenburger Schwester, du schämst dich vor deiner kleenen Nichte, du schämst dich für dir selba. JOHANNES  Ick schäme mich nich! RALF  Schämste wohl! JOHANNES Nee! RALF  Doch! Deine Schwester hat einfach bissel mehr Glück jehabt. Hätte dich die Wende paar Jahre jünger erwischt, wären deine Zeugnisse und Abschlüsse ooch wat wert. JOHANNES  Sie hat nich „Glück“ gehabt, sie hats einfach druff! RALF  Und du nich, oder wat? Klappt ihm auf die Hutkrempe. Johannes schweigt und stiert vor sich hin. JOHANNES  Meike is siebzn, Mann. Kannste dich erinnern, wie wir mit siebzn waren? RALF Idiotn. JOHANNES  Haben wir uns für „innere Werte“ und so wat interessiert? RALF  Einen Scheiß. JOHANNES  Also bitte. Sie kommt, und sie sieht, watse sieht – und keen bisschen mehr. Und nu kiek dir um. Wat siehtse? RALF  Ne Bushaltestelle. Wir holense vom Bus ab. Und? JOHANNES  Wir leben hier, du Kloppi! Dit is quasi unser Zuhause! RALF  Na, na! Det würd ick nu nich sagen. Ick hab ooch noch meine Bude. JOHANNES  Und wie oft biste da? Die Zeit, woste pennst, mal abjerechnet? RALF  Nu ja … (Überlegt/rechnet an den Fingern ab/ kommt zum Ergebnis:) Scheiße, ick bin ’n Assi. JOHANNES  Und nur dit siehtse. Wir sind wat,

wat man nur noch mitm Stock anstößt, damit man nich irjendwo drannekommt und sich wat wegholt. Aber du hast Recht: Wennschon, dennschon. Steht energisch auf und beginnt, sich das Zimmermanns-Outfit herunterzureißen. JOHANNES  Schluss mit Fasching und Jeschwindel. Hat Meike eben keenen Onkel zum vorzeigen, sondern eenen zum gruseln. Is vielleicht sogar ­pädagogisch wertvoll, so’n abschreckendet Beispiel inne Familie. Weeß Meike immer: Uffjepasst!: so nich, so uff gar keenen Fall. Ick geh nich mehr als Zimmermann, ick geh als lebende Warnung! Zieht sich weiter aus. RALF  Wat soll dit werden? Willste ihr jetzt so entjegentreten: Hallo Meike, ick bin zwar nackig und hab Haare uffm Rücken, aber ick bin verdammt pädagogisch wertvoll? JOHANNES  Und wenn! Wahrheit is selten schön. RALF  Denn biste janz furchtbar wahr. JOHANNES  Ralle, es geht hier um Realität. Und is die für dich zu hart, denn biste … biste zu schwach. RALF  Du pumpst dir deine Argumente jetzt ausse Werbung? JOHANNES Und? RALF  Nüscht. Du baust ab. JOHANNES  Deshalb stimmts nicht weniger. RALF  Dass ick zu schwach bin? Det stimmt? JOHANNES Ja. RALF  Det sagst mir nich nochmal! JOHANNES  Schwachmat. Pfeife. Lusche. Pussy. RALF  Ok. Ick zeig dir, wie schwach ick bin. Ick zeig dir, wer hier die Pfeife is! Springt auf und beginnt, sich ebenfalls auszuziehen. Der Bus kommt. Die Türen zischen auseinander und KATHRIN (die Busfahrerin) schmeißt eigenhändig zwei Jugendliche raus. Der eine, JAN (16), filmt mit seiner Kamera sogar noch weiter, als sie wütend nach ihm tatzt. Er lacht, er scheint die Busfahrerin zu mögen. Die andere Hälfte des Filmteams ist Nichte MEIKE – und Meike ist nicht weniger von Kathrin begeistert. Während Kathrin schon wieder abdreht und schnell von diesen Nervensägen wegwill, reckt Meike die Faust und ruft ihr nach: KATHRIN  Verpiss dir, Mädel, ick bin keene Feministin! Die Zukunft wird noch lange nich besser, nur weilse Titten trägt. MEIKE  Girlpower, Schwester! It takes balls to be a woman! Kathrin steigt ein und zeigt ihr über die Schulter hinweg den Mittelfinger. MEIKE (raunt) Genial! Diese souveräne Gelassenheit, die naturbelassene Coolness – das ist typisch ostdeutsche Frauen-Emanzipation. Haste den Finger? JAN (während er weiter den Bus filmt) Hab ich. Kathrin legt den Gang ein und donnert los, es wirkt wie eine Flucht. MEIKE  Und das Halbprofil? Die Tattoos? Die Fäuste am Lenkrad – ich brauch unbedingt die Fäuste am Lenker! JAN  Hab ich. Und ich hab auch den Satz, dass se nüscht mit dir zu tun haben will. (Ahmt Kathrin nach:) „Verpiss dir, Mädel, ick bin keene Feministin! Die Zukunft wird noch lange nich besser, nur weilse Titten trägt.“ (Lacht.) MEIKE  Ideologische Altlasten. Eins, zwei Worte von Frau zu Frau und wir sind im selben Lager. JAN  Oder du fängst dir eine. MEIKE (schnaubt) Mein lieber Jan, damit wir uns richtig verstehen: Du filmst, ich führe Regie. Sollte


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ich Kommentare zu meiner Arbeit wünschen, sag ich es dir. Ein Ruf weht dünn und schüchtern vom Bushäuschen her. JOHANNES (dünn) Hal-lo. Hallo, Meike. Meike dreht sich um und erschrickt: MEIKE (ruft zurück) Bah, meine Fresse! Onkel Jo, wie siehst du’n aus! Is was mit Oma? HANNES UND RALF SITZEN NEBENEINANDER IN IHREM WARTEHÄUSCHEN. Sie tragen „Präsent 20“-Anzüge. Sie stehen auf, um Meike und Jan entgegenzugehen. JOHANNES (lacht, ruft zurück) Oma jehts jut. Dit is keen Trauerfall, det is PRÄSENT 20. Der beste Stoff des Ostens, eigene Produktion! (Also, na ja, vielleicht doch ’n Trauerfall.) RALF (leise) Seit wann nennt sie dich „Onkel Jo“?! Sind wa jetze Huckleberry-Finn oder wat? Johannes reagiert nicht darauf, denn Meike kommt ihm entgegen und fällt ihm um den Hals. JOHANNES  Tach, Meike. Möönsch, groß biste jeworden und schwer. … (Bemerkt seinen Lapsus.) Oh! Ick meine, du bist natürlich nich … JAN  Den Satz hab ich. MEIKE  Das ist Jan „the asshole“ Schneider, unser Kameramann. JAN (winkt filmend) Tachchen. MEIKE  Jan, das ist mein Onkel Johannes und sein ewig ewig ewiglicher Freund Ralf. RALF  Im Osten nannte man det „unverbrüchlich“. Aber keen Aas wusste so jenau, wat das eigentlich heeßen soll. „Unverbrüchliche Klassenbrüderschaft“. JOHANNES  Kommt „unverbrüchlich“ nu von „unzerbrechlich“ oder von „Verbrechen“. Dit war die Frage. MEIKE  Oder auch nicht. RALF  Aha, da hat wohl eene schon alle Antworten. Na, hatte ick in deinem Alter ooch. Tach, Meike. Umarmt sie. MEIKE  Ich habe keine Antworten, ich bin hier, um euch zu entlarven. Tach, Onkel Ralli. JOHANNES Entlarven? MEIKE  Als sanfte, kluge, witzige und liebevolle Männer. Als die stillen Macher der friedlichen Revolution. Als Menschen, die man verraten und verhöhnt hat und die trotzdem nicht verbitterten. Als Helden, meine Helden. Johannes und Ralf lachen laut auf, Meike nicht. Sie blickt sehr ernst – was schließlich auch den beiden auffällt. JOHANNES (fragend zu Jan) Sie meintet doch nich ernst, oder? JAN  Jedes Wort. JOHANNES (besorgt) Mann, Kleene … Sie starren Meike an. Ralf fängt sich als Erster. RALF  Det letzte Mal, als ick dich jesehn hab, warste im Sandkasten und hast den kleenen Thorben mitte Schippe verdroschen. Ick hab dir jetröstet. MEIKE  Weil er zurückgehaun hat? RALF  Weiler abjehauen is. Er war schon bissel älter und konnte besser rennen. Du hast vor Wut jeweent. JAN  Heute erwischt sie jeden Thorben. Sie hat massenhaft Kreuze im Sandkasten. MEIKE  Halt die Klappe. JOHANNES (händereibend) Wie isset? Wollen wir nich erst mal wat essen, Kinda? Ick hab die blaue Kühlbox mitbei. JAN JA!

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MEIKE  Nee. Später vielleicht. Ich möchte erstmal anfangen. Das Licht – Meike ist schon unterwegs und sucht Perspektiven. JOHANNES (ehrfürchtig) Det Licht. Sieht zu Ralf. Der nickt ebenso ehrfürchtig zurück. RALF  Det Licht. JAN  Halblang, Genossen, das wird hier nicht der Golden Globe, sondern mehr so deutscher Problemfilm, Berliner Schule. RALF  Und dit heeßt? JAN  Zunächst mal raus aus’m schnieken Präsent-Anzug und was anderes an. RALF  Wir hatten ooch wat anderet an. (Mehr oder weniger an.) JOHANNES  Ick gloobe aber, dit will der Herr Jan lieber nicht kennenlernen. JAN  Wie auch immer. Ich persönlich hab ja nix gegen den Vertreter-Look, aber die Herrin Regisseurin wills irgendwie prekärer. JOHANNES  Und dit heeßt? JAN  Oi, hier draußen ist der Traffic aber langsam. Sprechen wir dieselbe Sprache? DU MICH VERSTEHEN? JOHANNES  Gleich knallts. JAN  Nice, ganz die Nichte. Die Gewalt liegt in der Familie. Also ich erklär mal: Arbeitstitel „Krisengebiet Ost“. (Obwohl „Osten“ und „Krise“ für mich dasselbe bedeuten.) Ich sage „Kamera läuft/Ton läuft“, dann fragt Meike so was wie „Haben Sie noch alle Zähne?“, und Sie schütteln traurig den Kopf. Dann machen Sie den Mund ganz weit auf und ich filme Ihren schlimmen, schlimmen Zahnstand. Alles klar? Johannes und Ralf starren ihn stumm an und können nicht glauben, was sie hörten. Aber Meike kommt ge­rade von ihrer Motivsuche zurück, blickt von einem zum anderen und weiß die Situation zu lesen. MEIKE (energisch zu Jan) Hast du was gesagt?! JAN („unschuldig“) Üüch? MEIKE (zu Johannes und Ralf) Wenn er was gesagt hat, vergesst es! Einfach innere Löschtaste. Er kann was an der Kamera, aber er ist ’n zynisches Arschloch. Nicht selten bei Nerds. JAN  Richtig, ich bin hier nur der Sherpa. (Ironischer Hofknicks.) Regie-Massa meint, dass Sie zwar Ossis und Opfer sind (was ich wiederum für dasselbe halte), aber Sie Beide sollen niedlich rüberkommen. So Hashtag „Lovely Losers“. Was zum Mitweinen eben. Meike blickt ihn an, fassungslos über den Verrat. JOHANNES (nun doch misstrauisch) Stimmt das, Meike? RALF  Wenn das stimmt, bin ick raus. MEIKE  NEI-HEIN!!! Ich will einen anderen Außeneindruck von uns Ostlern zeigen. RALF  „Uns Ostlern“? Mädel, als du jeborn wurdest, hatte es sich schon lange ausjeostet. MEIKE  Wurscht, ich fühle ost. Und ich will rehabilitieren, nicht denunzieren! JAN (kräht fröhlich) Genau! Der Ossi, denken alle, ist außen Nazi aber innen kuschlig. Wir sind da anders, wir denken genau andersrum. Ralf reicht es, er schnappt Jan und zieht ihn sich vor das Gesicht. RALF  Vorsicht, mein Junge. Janz vorsichtig! JAN (erschrocken) Sie … Sie haben das Bonmot verstanden? RALF (drohend) Und dit überrascht dich? JOHANNES  Er hält uns für bescheuert. JAN (Angststottern) Nene … Nein.

MEIKE (schnauft resigniert) Ok, Licht ist überschätzt. Vielleicht doch erstmal die blaue Kühlbox. RALF  Erst essen? MEIKE Ja. RALF  Schwein jehabt. Und wie sagt man? JAN (weiß nicht) Guten Appetit? RALF  Danke, liebe Meike, dass du mir den Arsch jerettet hast. Klar? Setzt Jan ab. JAN (kläglich) Klar. Meike und Johannes sitzen auf der Milchrampe (oder sonstwo) und essen. Johannes hat auf einem Tuch seinen Imbiss ausgebreitet. Sie essen und reden nebenher, während Jan mit Ralf – jetzt in gewöhnlicher Alltagskleidung – im Hintergrund Schwenkfutter für den Film dreht. MEIKE  Biste nicht sehr allein hier draußen? Ist das nicht alles, naja, bisschen deprimierend? (Schreit unvermittelt in Richtung Jan und Ralf:) Ganz normal, Onkel Ralf! Geh einfach ganz normal und entspannt! RALF (ruft zurück) Mach ick doch! Jan filmt und Ralf „schlendert“ total verkrampft im Passgang. JOHANNES  Ja. Manchmal. MEIKE  (hat ihre Frage schon wieder vergessen) Was? JOHANNES  Schon gut. RALF (brüllt Jan an) Hüftschaden?! Ick hab nüscht anne Hüfte! Jan hebt entschuldigend/abwehrend die Hände. RALF (ruft zu Meike) Wat soll das? Ick weeß, für euch sind wir nich janz dichte, aber müssen wir nu ooch noch hinken? JAN (ruft ebenso zu Meike) Ich habs nicht so gemeint. War doch nur ne Frage. Ich wollte ihm entgegenkommen. JOHANNES  Ralle, echtma, selbst besoffen bewegste dir elejanter. RALF  Ja dann gebt mir wat zu saufen! JAN  Soll ich? Ich hab aber nur bisschen Gras. MEIKE  Wehe! Der Ostler wird dauernd als matt, undankbar und faul dargestellt. Ich will Power in der Pampa. Ich will die Kraft zeigen, auf die der Westen so blöde verzichtet. Also bitte mal klarer Blick, aufrechter Gang, Würde. Kriegt ihr das hin? JAN  Kein Problem, Frau Riefenstahl. Ralf schnappt schon wieder nach Jan. RALF  Wat sagste da?! JAN  Schon gut, schon gut. MEIKE (zu Johannes) Pause vorbei, fürchte ich. JOHANNES  Sehe ick ooch so. Meike moderiert in die Kamera an. MEIKE  … Zwei von vielen, die ihr halbes Leben in einem tyrannisches System verbrachten, dann mutig rebellierten und das Unrechtssystem kippten, um danach in unserer bundesdeutschen Wirklichkeit ignoriert, denunziert und betrogen zu werden. Johannes Ackermann, mein Onkel, und sein Freund Ralf Paschke. Zwei Revolutionäre, zwei tragische Helden. Blick frei auf die beiden in ihrer Bushaltestelle. Sie sitzen schüchtern nebeneinander. Ralf grinst verlegen in die Kamera und winkt. JOHANNES (hüstelt verlegen) Na ja, „Revolutionäre“ … der Schabowski hat einfach den falschen Zettel vorjelesen. MEIKE  Cut. Onkel Ralf, könntest du bitte das Winken lassen? RALF  Nicht winken. Geht klar.

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MEIKE  Noch mal von vorn. Die Anmoderation machen wir später. Jetzt erstmal das Interview. JAN  Aye, aye, Sir. Die Kamera steht auf einem Stativ und Jan filmt. Meike setzt sich auf die blaue Kühlbox, hat ihre Notizen vor sich und führt das Interview. MEIKE  Also der Plan war (Liest von ihren Notizen:) „Eine Gesellschaft, in der die Entwicklung des Einzelnen die Bedingung für die Entwicklung aller“ sein soll. Ralf ging das zu schnell. RALF Hä? JOHANNES  Marx, nicht wahr? MEIKE  Ja. Also, Onkel Ralf: (Übertrieben langsam:) Eine Gesellschaft … in der die Entwicklung der Einzelnen … RALF  Bissel schneller kannste schon. Du wirst es nich glooben, ick wohne in Brandenburch, hab trotzdem mehr Grips als ne Salatschüssel. MEIKE  Entschuldige. Also eine Gesellschaft, wo der Einzelne sich frei in alle Richtungen ent­ wickeln kann und genau deshalb die anderen auch. RALF  Und? Was ist damit? MEIKE  Na, klingt doch. RALF  Det will ick meinen. MEIKE  Warum habt ihr dann hingeschmissen und wolltet den Westen? JOHANNES  So, wie dus vorjelesen hast, hat sich Marx aber den Kommunismus gedacht, det Paradies janz am Ende. Und wir krepelten ja noch im Sozialismus. RALF  Oder noch schlimmer. Im „Real existierender Sozialismus“. MEIKE  Und das dauerte euch zu lange? Ich meine, ist doch immerhin eine, wenn auch schwierige Stufe hin zum Kommunismus, einem lohnenden Ziel, wie wir ja vorhin gehört haben. Also warum habt ihr aufgegeben? RALF  Na ja, es jab da so ne Bande alter Männer in der Führung … MEIKE  … die gibts überall. Weshalb habt ihr nicht die alten Patriarchen zum Teufel gejagt, sondern gleich den ganzen Staat? Wegen der D-Mark? Weil ihr reisen wolltet? Johannes und Ralf schweigen verlegen. MEIKE  Reist ihr denn? RALF  Anfangs schon. Jetzt, na ja … Die Kohle, dit Jeld – MEIKE  Also keine Reisen und kein Geld. Oder genauer: keine Reisen weil kein Geld. RALF  Kann man so sagen, ja. MEIKE Hm. JOHANNES  Woruff willste hinaus, Meike? MEIKE  Vorher hattet ihr die Mauer und konntet nicht reisen. Jetzt habt ihr kein Geld, und könnt nicht reisen. Erst sperrte die Mauer euch ein, jetzt die fehlende Kohle. JOHANNES Ja? MEIKE  Wo ist der Unterschied? RALF  Det Leben besteht ja nich alleene aus Reisen. MEIKE Sondern? RALF  Nu ja, dies und das. MEIKE  Und „dies und das“ ist jetzt besser? Johannes und Ralf schweigen wieder. MEIKE  Die DDR war eine Diktatur, eine paternalistische Tyrannei. Keine freie Meinungsäußerung, ständige Bespitzelung. RALF  Och, na ja. Muss man sich nich so vorstellen, dass nu immer und immer wer im Trenchcoat oder mitn Loch inne Zeitung an dir rumjespitzelt hat.

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MEIKE  Euer Leben war grau, karg und ärmlich. Eine bürokratische, spaßfreie Mangelgesellschaft. Ihr hattet es satt. RALF (lacht) Wat?! Ick hatte meinen Spaß! Und du ooch! (Knufft Johannes.) Wir hatten unsern Spaß, aber frage nich nach Sonnenschein! JOHANNES  Meike, wennste willst, dass wir bestimmte Sätze uffsagen, denn bewegen wa einfach die Schnauzen und machen Lölö, und du synchronisierst später rin, wat dir passt. RALF  Oder Maiki bewegt die Schnauze. Johannes und Ralf lachen. Meike nicht. Sie muss schlucken, weil sie spürt, wie ihr die Wut Tränen in die Augen treibt. MEIKE  Tut mir leid, ich wollte nur … Onkel Hannes, weeßte noch: Oma Käthe – also deine Mutter – sagte immer (Ahmt sie nach:) „Mach, Kindchen, mach. Wennste dir verbessern kannst, mach!“ Weißte das noch? RALF  Als wenn der ’n Spruch verjessen könnte. JOHANNES  Klar weeß ick dit noch. Und? MEIKE  Na ja, was würde Oma sagen? Würde sie sagen „Ja, Hannes, wennste dir verbessern kannst, dann mach! Dann kipp die Mauer um, pfeif uffn Kommunismus und ab in’ Westen.“ Würde sie das sagen? Nach kleiner, nachdenklicher Pause: JOHANNES  Nee, würde se nich. MEIKE  War doch gut, war doch ne geile Idee. Die beste vielleicht, die die Menschheit je hatte. Sieht man doch, wie gerade alles gegen den Baum läuft. Man sieht doch, wie sehr man genau so was braucht. JETZT braucht. Und was zum Geier kann der Kommunismus denn dafür, dass paar alte, weiße, hetero-normative Cis-Säcke ihn nicht kapiert und vermasselt haben, WAS KANN DER DENN DAFÜR, HÄ?!?! Schweigen. Meike schnieft. JOHANNES  Watten los, Kleene? Weenste? Wat denn los? JAN  Keine Sorge, ist jetzt wieder nur die Wut, glaub ich. Sie ist bei Friday for Future, Attac und sonstwo, sie hats gern revolutionär. MEIKE  „HATS GERN REVOLUTIONÄR“ – du Wichser!!! HATS GERN REVOLUTIONÄR, ja? Ja, ick habs gern revolutionär. Und ihr, wollt ihr das alles so lassen? Soll das jetzt einfach so weitergehn, ja? Na dann lasst doch den Planeten verrecken und die Glatzen kommen, NA DANN GEHT DOCH ZU NETTO! Meike weint und schluchzt, Johannes nimmt sie in den Arm. JOHANNES (tröstend) Nu, nu … „Der Weg ist noch nicht zu Ende, wenn das Ziel explodiert.“ MEIKE (verheult in seinem Schoß) Deine scheiß Sprüche. JOHANNES  Na ja. MEIKE  Von wem ist der jetzt? Lenin? Mao? Günther Jauch? Und was soll das Geschwurbel heißen? RALF  Wer abrutscht, darf noch mal, heeßtet. MEIKE  Wer abrutscht … Echt? Ihr wollt noch mal ran? Sie richtet sich wie neu belebt auf. Johannes und Ralf winden sich. JOHANNES  Na ja … JAN  Pfff, wird doch nüscht. MEIKE  Aber was dann? Was dann??? Habt ihr keene Angst? Bin ich hier echt die Einzige, die so ne scheißende Angst hat, dass se unbedingt wat tun will, wat tun muss?

Sieht in die Runde, sieht sich die Männer an. Allen wird unwohl, sie senken den Blick. MEIKE (verächtlich) „Männer“ – ich wollts nicht glauben, aber scheint wirklich so. JOHANNES  Wat denn, meine Kleene? MEIKE  Its over, Jungs. Eure Zeit ist rum. RALF  Na na! MEIKE  ,Natürlich tut ihr mir leid. Aber die letzten paar Tausend Jahre habt ihrs doch wirklich ganz schön gehabt.‘ Jan lacht auf. JOHANNES  Nich schlecht, det ist die freche Schnauze deiner Mutter. MEIKE  Leider nich. Det ist die freche Schnauze Jodie Fosters, Onkel Hannes. ’n Zitat für deine Sammlung. Mein erstes und letztes, ab jetzt wird nur noch selber gesprochen. (Zu Jan:) Und du brauchst gar nicht so blöde zu wiehern. Du bist kein bisschen besser, nur jünger. Kathrins Bus ist zu hören, Kathrin HUPT. Meike horcht auf. MEIKE  Geil. Wie auf Stichwort. Sie springt auf und herrscht Jan an. MEIKE  Komm mit! Schnell! Sie schnappt die Kamera samt Stativ und stürmt dem Bus entgegen. JAN  Was denn los? MEIKE  KOMM MIT, SAG ICH! RALF  Sollte der Film nich von uns handeln? JOHANNES  Du hast sowieso keen Leinwandjesicht. RALF  Aber dich liebt die Kamera, oder wat?! JOHANNES  Nee. … Die ooch nich. Leises Gelächter. Sie spucken die Schalen der Sonnenblumenkerne in den Sand und sehen weiter zu.

AKT 6: PHILOSOFM JOHANNES und RALF am Abend eines Jahrhundertereignisses: eine Mondfinsternis steht an. Sie haben ein Sofa auf das Dach des Bushäuschens geschleppt. Johannes baut unten schon den Grill, Schwedische Fackeln usw. auf. Ralf schraubt noch an einem PlasteFernrohr aus einem Optik-Baukasten für Kinder (noch aus der DDR), in der Hauptsache verfolgt er auf dem Handy aber ein Spiel von Energie Cottbus, seiner Leib- und Magenmannschaft. JOHANNES  … ’s Blödsinn, det Sofa uffs Dach zu schleppen. Die zwee Meter höher bringen uns der Sache ooch nich näher. RALF  Is unsere Sternwarte. Bisschen Stil muss sein. JOHANNES  „Stil“. Ne Sternwarte mitm Fernrohr aus’m Optikbaukasten, allet klar. Du bist da oben, weilste besseren Empfang hast. Du willst nur deine Schweinemannschaft sehn, det Universum is dir wurscht. RALF (nebenher) Ick liebe det Universum, ick könntes ständig ablecken. (Reagiert auf den HandyFußball:) SCHEISSE, DU DÄMLICHET …! MANN, WAT’N ARSCHKREBS! AH, NEE!! JOHANNES  Ralle, dit kann jetzt nich sein: det is Kreisklasse! Danach kommt nur noch det Bolzen mit leeren Bierbüchsen. RALF  Wir steigen schon wieder uff. Hinten hat der Fuchs die Eier. JOHANNES  Idiotischer Spruch. Wat soll das heeßn? RALF  Weeß ick jetzt ooch nich. Stand uff der Vereinsseite. JOHANNES  Paschke, ne Mondfinsternis! Ne fast totale Mondfinsternis, ein planetarischet Großer-


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eignis! Nur alle hundert – in Zahlen: hundert! – nur alle hundert Jahre stelln sich Sonne, Planeten und Mond jenau so hinternander inne Schlange und zeigen stramm in eene Richtung. Und uff wen zeigense? Uff uns, Ralle, uff uns! Für diesen eenen kleenen Moment duzt uns die Schöpfung quasi. Und du? RALF  Wat „ick“? JOHANNES  Kuckst untere Kreisklasse. RALF  Man gibt seine Mannschaft nicht uff, nur weilse mal ’n Formtief hat. Samma, wat tustn mir hier schon wieder vollphilosophiern, haste nüscht zu tun? JOHANNES  Philosophie is nüscht für wenns mal nüscht zu tun jibt. Philosophie is keen Pausensnack. RALF  Aber jenau isse det! Philosophie is voll wat für die Halbzeitpause. Wahrscheinlich wurde se sogar da erfunden. Die alten Griechen kucktn gerade, wie sich der Löwe zwee, drei Gladiatoren reinzieht, dann Bong, Pausengong. Viertelstündchen, bevor die Bären kommen und Hanneskrates zu Ralfkrates: Na, Alter, und sonst so? Philosophie erfunden. JOHANNES  Himmel, is dit noch Fantasie oder haste schon vorgeglüht?! Und wennet schon so abjeloofen is, dann ham die nich schlaff „und sonst so“ jefragt, sondern Warum. RALF Warum. JOHANNES  Warum. Fragste stur Warum, Warum, Warum – und permanent so weiter, wirste irjendwann automatisch philosophisch. RALF  Oder fängst dir eene ein. JOHANNES  Dein Vadder? RALF  Stiefvadder. Die Erziehung des Herrn hatte noch Hand und Fuß: Backpfeifen und Arschtritte. (Lacht.) JOHANNES  Hat Muttern nüscht jesagt? RALF  Na, kennstse doch. (Brüllt auf:) JA, JA, JA, YESSSS!! Beckerfaust und Freudentanz. JOHANNES  Wat jetzt? Habter jewonnen? RALF  Quatsch. Wir ham Ecke. JOHANNES  Du feierst, weil …??? Okay, ick jebs uff. Ralf starrt gebannt auf den Schirm und begleitet den Anlauf des Spielers mit anschwellenden Lauten, als wenn eine Rakete starten würde. RALF (immer lauter) HoooOOOOOOH JAPP!!! Fällt enttäuscht in sich zusammen. JOHANNES  Mach dir nüscht draus. Wenn ihr janz, janz dolle trainiert und euch zusammenreißt und du immer feste die Daumen drückst, denn passierts, denn kriegt ihr det nächste Mal vielleicht sogar … (rollt bedeutsam die Augen, raunt:) Einwurf. RALF Schnauze. JOHANNES (grinst) Oder der Schieri lässt euch mal pfeifen. RALF  Noch een Wort und ick … JOHANNES  … oder ihr dürft den Rasen mähen und die Striche mitm kleenen Haushaltspinsel … RALF  … HANNES, ’S REICHT! ECHT!!! Dit is für mich keen Spaß, dit is für mich … JOHANNES  Ja wat denn? RALF (verlegen und vernuschelt) Zuhause. Heimat, irjendwie. JOHANNES  Elf talentfreie Kloppies in kurzen Hosen? RALF  Ja. Ooch. Von allem wat. Det Stadion, der Jeruch, die Stimmung …

oliver bukowski_warten auf 'n bus

JOHANNES  … die Nazis im Publikum und inner Security. Ralf schweigt düster und bedrückt. JOHANNES  Tut mir leid. Fußball is für mich wat, wo sich der Mensch, na ja … irjendwie enttarnt. So, wie am Eimer Sangria uff Malle oder bei Heidi Klum. Ick denk dann immer: Also doch! Egal, wat wir tun und machen, wir sind unten drunter doch nur jemeine, fiese Viecher. RALF  Hm. Jeht mir neuerdings mitm Netz so. JOHANNES  Holla! Dein jeliebtet Internet macht Zicken? RALF  Für die Warum-Fragerei isset schon noch geil. Die Bälger müssen keen mehr umständlich fragen. Die drücken ’n Knopp und sind im Bilde, Know-it-all-Kiddies. Wenn ick damals Netz jehabt hätte, wäre ooch manchet anders jeloofen. JOHANNES  Zum Beispiel? RALF  Was waren denn deine schärfsten Fragen? Womit haste dir und deine Alten am meisten jenervt? JOHANNES  Ja, pff, det Übliche, denk ick mal: Wat is der Tod und wat kommt danach, wie unendlich is die Unendlichkeit, schläft meine Seele ooch, wenn ick schlafe, wat is dit überhaupt: Seele. So Zeugs eben. Bis du zwölf bist, haste ja die janz großen Fragen. Bis zwölf biste quasi naturbedingt Philosoph. RALF  Und dann? JOHANNES  Kommt die Jeschlechtsreife und mit ihr die Verblödung. Im Hintergrund (Straßenseite der Haltestelle) unbemerkt und leise: Geräusche eines ankommenden Fahrzeugs, Türenklappen. RALF  … Warte! JOHANNES  Wat haste denn plötzlich? Ralf steht auf, breitet die Arme aus, singt das obligatorische Fußball-Na-Na und wiegt sich dabei, als würde er inmitten einer La-Ola-Welle stecken: RALF (singt mit Fan-Inbrunst) NaneNaNa, NaneNana, He Hehe, Wir ham verlorn./NaneNaNa, NaneNana, He Hehe, Wir ham verlorn./ In der nächsten Wiederholung stimmt plötzlich eine begeisterte Frauenstimme mit ein. RALF  NaneNaNa, NaneNana, He Hehe, Wir ham verlorn. KATHRIN  NaneNaNa, NaneNana, He Hehe, Wir ham verlorn. (lacht) Geil! Ick hab ja schon viele Schlachtjesänge jehört, aber so cool jeht keena mit ner Niederlage um. JOHANNES  Die kennen nüscht andret. Nabend, Kathrin. Schön, dass Se kommen konnten. KATHRIN  Moinmoin. Ick hab ooch Kiste Bier und bissel Grillzeugs mit bei. Bin gleich wieder da. (Zu Ralf:) Tach, Ralf. Wirklich lässig abjesungen. RALF  Tach, Frau, äh, Kathrin. Schön, dass Sie … Kathrin ist schon halb unterwegs, um das Zeug aus ihrem ramponierte B 1000 (eine Art Ost-Van) zu holen. RALF (leise zu Johannes) Du wusstest, dass se kommt? JOHANNES  Nich sicher. KATHRIN  (kräht von hinten) Er hat mich einjeladen: Bier und Wurscht und Weltuntergang. Und ick hab sofort zujesagt. JOHANNES  Sie ham jesagt Nein, auf keinen Fall. KATHRIN  Oder so. Jedenfalls bin ick nu da. Passts dem Herrn nich? RALF  Doch, doch, sehr! Ick freu mich. Kathrin, Bierkasten und Grillzeug schleppend wieder auf – Johannes nimmt es ihr ab. KATHRIN  Dein Glück. RALF Jenau.

Party! MUSIK (80er/frühe 90er?) Drei Bierflaschen krachen prostend ineinander Ralf zeigt auf der Bushaltestelle ein Luftgitarren-Solo. Die anderen jubeln ihm von unten zu. Alle drei tanzen auf dem Dach des Bushäuschens. Kathrin tanzt in Country-Squaredancefiguren von einem zum anderen. Sie verfehlt einen Fangarm und stürzt vom Dach. Ralf und Johannes knien sofort panisch besorgt am Rand des Daches. Kathrin liegt unten auf dem Rücken und lacht. Johannes trommelt mit zwei Grillzangen auf dem (nun leeren) Grill, dass die Funken wie bei der Blue-Man-Group stieben. Kathrin führt gutgelaunt eine Mini-Polonaise an. Sie liegen mit den Köpfen nah aneinander (ein Dreistern) auf dem Rücken, trinken, reichen das Plaste-Fernrohr rum, reden miteinander und sehen ab und zu in den Nachthimmel. KATHRIN (kichert vergnügt) … Nee, Hannes, will ick nich. Echt nich. RALF  Aber Hannes is’n schlauer Hund. Hat zehntausend coole Sprüche druff und grillen kanner ooch. JOHANNES  Lass jut sein, ick hab ma schon so wat jedacht. (Halb zu Kathrin:) Außerdem: Wenn eener mit Frauen kann, denn Ralle. Der kann lateinamerikanisch tanzen wie die schärfste Turniertanz-Hupfdohle und biste mit dem, wirste immer … immer, na ja, … KATHRIN  Na, wat werd ick denn immer? JOHANNES  Immer jut schlafen. So viel is sicher. KATHRIN (lacht) Spinn ick oder preist ihr euch jetzt jegenseitig an?! RALF  Det täuscht. Selbstverständlich geh ick, Ralf Paschke, selber und im vollen Vollbesitz meiner jeistigen Kräfte vor dir uffs Knie und frage dich hiermit … Richtet sich halb auf. KATHRIN  … nee, dich ooch nich, Ralle, leg dir wieder hin! Ein für alle Mal: ick will nich heiraten! RALF Nich? Sinkt wieder zurück in die Rückenlage. KATHRIN  Nee. Keenen von euch. RALF Hm. KATHRIN  Sind wa jetze durch? Sonst noch wer? JOHANNES Durch. RALF  War nich böse jemeint. KATHRIN  Ick weeß. Und ick fühl ma ja ooch schwer jeschmeichelt, aber ick habs jerade mal wieder hinter mir. (Lacht bitter.) Ick wurde verlassen, det es nur so jescheppert hat. JOHANNES  Wat?! Du? KATHRIN  Nach Strich und Faden. RALF  Wat für’n Idiot macht denn so wat! KATHRIN  IdiotIN, wennschon. RALF Tin? KATHRIN Tin. JOHANNES  Da hätten wir also sowieso nich … KATHRIN  … Quatsch, ick bin nich lesbisch. Det heeßt, manchmal schon. Kommt immer druff an, wen ick gerade liebe. JOHANNES  Und dit funktioniert? KATHRIN  Bei dir nich? Ah, klar, det Herz det Hannes folgt seinem Johannes. Aber vielleicht liegste falsch? Vielleicht biste heimlich komplett in Ralle verknallt? RALF (schreit angewidert auf) Huaaah! JOHANNES (schreit angewidert auf) Huaaah! Kathrin lacht. KATHRIN (amüsiert) Ihr Kerle seid echt zum Piepen. JOHANNES  Und nu? KATHRIN  Wat und nu? Und nu bin ick hier. Ooch schön. Ick liege anjesoffen und voll Grill-

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KATHRIN  Garagen sind nämlich det Oberletzte Hunger. FLEESCH, FLEESCH, FLEESCH! (Affekwurscht mit zwee Kerle im Dreck und warte, det für den zeitjenössischen Mann. Ob Band, Startup, tiert:) Garçon, ist noch Fleisch vorhanden? dem Mond das Licht ausjeht. Werkstatt, „Atelier“ oder sonstwat für Scheiß: ­Muttis JOHANNES (wie ein britischer Butler) Bis zur al­ RALF  Ick liege anjesoffen und voll Grillwurscht Nissan-SUV wird rausjekarrt und los jehts. Ick steh lergischen Reaktion, Mylady. mit’m Kerl und ner Frau im Dreck und warte, det da und kann nur hinterhergröln: „Finn-Ole, bitte! RALF  Wenn nüscht im Osten sicher is: dit ja. dem Mond das Licht ausjeht und … fühle mich Wer ne Garage hat, is noch lange nich Bill Gates!“ KATHRIN  Und dafür liebe ick euch – also in Majanz wohl. Aber keen Rinkommen. Die Garage is ihr Terrarißen. Sehr in Maßen. JOHANNES (lacht leise) Ick liege anjesoffen und um für den Amerikanischen Traum. RALF  Schon kapiert. voll Grillwurscht mit’m Kerl und ner Frau im RALF  Tja, naja. Hier is Brandenburg. Schwedische Fackeln und glühender Grill, alles im weiDreck und warte, det dem Mond das Licht ausjeht, KATHRIN (immer schneller) Ick quatsch zu viel, chen Licht der Flammen. und fühle mich janz wohl, weil ick kapiere, det der tut mir leid. Wenns mir jut geht, krieg ich die KATHRIN (mit vollem Mund) Also du die Zahlen Mann uffm Mond … ­Logorrhoe, also ick kann die Wörter nich bei mir und Hannes den Klugscheiß – so läuftet bei euch? KATHRIN (vergnügt) Ick liege anjesoffen und halten, meint dit. Ick wollte gerade nur mal mit’m JOHANNES (während er grillt) Im Prinzip schon. voll Grillwurscht mit zwee Kerlen im Dreck und Fremdwort anjeben. Wie gesagt: ich quatsch zu KATHRIN  Und wozu? warte, det dem Mond das Licht ausjeht, und fühle viel, wenns mir jut jeht. Oder … wenns mir überRALF  Wat wozu? mich janz wohl, weil ick kapiere, det der Mann haupt nich … jut geht. KATHRIN  Na, soll dit irjendwat werden, sich iruffm Mond … ooch nur anjesoffen mit zwei Kerlen jendwohin entwickeln? So erst so kleenet Eremi- Weinkrampf. Sie verbirgt ihr Gesicht unter der Decke. uffm Rücken liegt und wartet. Ralf und Johannes haben den Zusammenbruch nicht ten-Mini-Ding nur zwischen euch, und denn RALF (lacht) Jewonnen. Aber woruff wartet der? kommen sehen, sie sind überfordert. wächst sich das aus zur Sekte oder Loge und KATHRIN  Keene Ahnung, uffn Zeichen. Woruff JOHANNES (ratlos) Ja … Also … Na ja … schließlich zur Weltherrschaft mit vorne und hinwartet ihr denn hier draußen? RALF  Vielleicht den Goldi? ten viral und so. JOHANNES  Uffn Bus. JOHANNES  Nicht doch gleich dit letzte Mittel! Ralf und Johannes sehen sich unschlüssig an. KATHRIN  Erzähl keinen Scheiß. Wir sollten vielleicht erstma … RALF Nö. RALF  Uff dich. DIE 30 30 WICHTIGSTEN WICHTIG STEN ARBEITEN Einerberührendes Er nähert sich Kathrin, und obwohl sie nichts sieht, JOHANNES  Muss nüscht werden, is schon wat. KATHRIN  Ick sagte, du sollst keen’ Scheiß Dokument deutschAUS 30 IM GROSSFORMAT A USVermäh30 JAHREN Mzur GROSSFORM T unter der schießt ihre Abwehr aufgestellteA Hand KATHRIN  Echt? Vielleicht sollt ick unsre zähln! deutscher Trennung Decke T hervor. lung doch nich storniern. Bisher kannte ick nämlich RALF  Also wenn de dich so umkiekst, unsere BEBILDERT KOMMENTIERT REICH BEBILDER U UND K OMMENTIERT KATHRIN  … Keen Mitleid, keen Trost: KÜCHENnur Männer, wo’s immer wat (bellt zu ­Gorilla-Moves:) erste gemeinsame Nacht. Und was sachste so? Buchpremiere ROLLE! WERDN!“ musste. Eener wollte KATHRIN  Det ick komplett im Arsch bin, keene mit Lea „WERDN! Draeger WERDN! und JOHANNES Wat? sogar für seine StreichholzhäuschenBUCHPREMIERE ’n Pokal und ’n Frau und keen’ Wohnungsschlüssel hab. AM AM 1 19.6.2011, 9.6.2011, 11 11 UHR Thomas Thieme Hans-Ulrich Müller-Schwefe KATHRIN KÜCHENROLLE! Lehrstuhl. Oder Garagen – is die Bushaltestelle für JOHANNES  Oh, finstre Nacht! PRAG QUADRIENNALE, GOETHE-INSTITUT PR AG QU ADRIENNAL LE , GOE THE-INSTITUT Schloss Neuhardenberg und Susan Todd (Hg.) Johannes gibt ihr eilig die Rolle Küchenpapier. euch nich so wat wie ne Garage? KATHRIN ISBN Du978-3-942449-02-1 sagstet. 26. Juni JOHANNES (verständnislos) 2011, 17 Uhr 346auf Seiten 25,00 € und / 41,90 KATHRIN  Ohren zu! Dit wird jetzt hässlich. Nee? Kathrin steht (Johannes RalfCHF mit ihr) und 48 8 EURO 8 82 2 CHF 9 978-3-942449-03-8 78-3zu -94und 244umdrehn! 9-03-8 THEA THEATER AT TER DER ZEIT ­Ohren Habter? Kathrin redet immer eindringlicher4 und schneller. Ralf ISBN reckt sich. IM BUCHHANDEL / / PORTOFREI POR TOFRE EI UNTER THEATERDERZEIT.DE THEA AT TERDERZEIT.DE RALF Ja. und Johannes werden unruhig, lächeln aber tapfer. KATHRIN  Und jetzt hab ick ooch gleich wieder

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TdZ · Juni 2011


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KATHRIN  Wie kannst du Pfeife die Ohrn zu­ haben, wennde mich hörst?! RALF Tschuldigung. Steckt sich die Finger in die Ohren. KATHRIN Fertig? Johannes hat wie Ralf beide Finger in den Ohren. Kathrin richtet sich unter der Decke auf. KATHRIN (brüllt) MANN, KATJA, DU BLÖDE KUH, MACH DOCH SO WAT NICH MIT MIR, DAS HÄLT DOCH KEEN AAS AUS, DAS KANNSTE DOCH NICH, DET IS DOCH NICH … AAAAAAAAAAA Sie brüllt sich laut und ausdauernd den Trennungsschmerz aus dem Leib. KATHRIN (leise und traurig) Okay, na dann … Na dann hau eben ab. Ick wünscht dir viel Glück, wirklich. Wo immer du bist … (Lacht ein bisschen.) Wie heeßtet: Bye, bye, Junimond, meine Kleene. Bye, Bye. Kathrin holt tief Luft und schnäuzt sich trompeten­ artig. Dann trocknet sie sich die Tränen und testet ein erstes Lächeln. KATHRIN Danke. Keine Reaktion. Kathrin versteht: sie bedeutet den Männern, dass sie nun wieder die Finger aus den Ohren nehmen können. KATHRIN  Danke. War jewissermaßen ne Not-OP am offenen Herzen. Und ihr, OP-Schwester Hannes und OP-Schwester Ralle, habt mir janz wunderbar assistiert. Und jetzt, jetzt brauch ick wat Süßet! JOHANNES  Ick hab Torte da, aber ick fürchte, die is noch nich janz uffjetaut. KATHRIN  Eistorte! Janz hervorragend. Und dazu bitte ick um deinen schärfsten Spruch. JOHANNES  Wat denn für Spruch? KATHRIN  Dein bester, dein liebster. JOHANNES  Na ja, da jibtet viele. Da kann man nich so … RALF  … Ja, jibts det! Dauernd fällt dir so Klugscheiß ausse Birne, andauernd nervste, und nu bittet dich eener mal und du zierst dich wie ne Kreisstadt-Bibliothekarin? JOHANNES  Mann, ick weeß nich, wat mein „schärfster“ Spruch sein soll. Ick hab da keen inneret DSDS. KATHRIN (zu Ralf) Sag du! Wat is sein bester, wat quatschter am liebsten? RALF  Also, hm … KATHRIN  … überlege jut! Ick will nur feinste Ware. Ick bin een frischblutendet Trennungsopfer und gerade erst wieder anjekommen. Niegelnagelneu im Leben, da will man keen Quatsch hörn, da braucht der Mensch wat Handfestet zur Orientierung. Klar? RALF  Klar. Also, na ja, ick finde den mit de Freiheit am besten. Den von dem Russen. JOHANNES Rousseau. KATHRIN  Kenn ick. Französischer Philosoph, siebznzwölf bis siebznachtundsiebzig, Autor von „Der Jesesellschaftsvertrach“, acht Buchstaben, vorne fies mit „o u“ jeschrieben und hinten gleich noch fieser mit „e a u“. Herrgott, ick rede schon wieder! RALF  Egal. Der Spruch is, – jetzt weeß ick wieder – JOHANNES  Du hast jegoogelt! RALF  Na und! Jeder, wie er kann. Also der Spruch geht (liest vom Handy ab:) „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern darin, dass er nicht tun muss, was er nicht will.“ Schweigen. KATHRIN (nachdenklich) Hm. RALF (erklärend) Nicht, dasser machen kann, wat er will, sondern dasser nicht machen muss, wat er … KATHRIN  … NICHT will, schon verstanden.

oliver bukowski_warten auf 'n bus

(Denkt noch einmal kurz nach, dann entschlossen:) KATHRIN  … … Is jekooft. Brauch ick. Brauch ick jetzt allet. Weiter! RALF  Wat weiter? Nüscht weiter. Reicht doch. JOHANNES  Also mein liebster … KATHRIN  … Ha! Also doch! … JOHANNES  … Also mein liebster is eigentlich keen Spruch, sondern ’n Fluch. KATHRIN  Fluch! Geil! Munitionier’ mich uff! Ick kann jetzt jede Sorte Fluch jebrauchen. JOHANNES  ’n chinesischer Fluch, und der geht: MÖGEST DU IN GROSSEN ZEITEN LEBEN! Stille. Kathrin und Ralf starren ihn an. KATHRIN Hä? JOHANNES  Ne Verwünschung. Mögest du in großen Zeiten … RALF  … nich schlecht! Wenn allet immer von „großen Zeiten“ plärrt, denn is meistens Dreck und schlimmer Scheiß. So wat wie Dschingis Kahn, Mao, Hitler und so. KATHRIN  Katja, du Bitch!: MÖGEST DU IN GROSSEN ZEITEN LEBEN! Ah, nee, zieh ick zurück. Det hatse nich verdient. Die nich. JOHANNES  Aber die Arschlöcher schon. Alle drei springen begeistert auf und recken die Faust hoch. KATHRIN/ JOHANNES/ RALF  MÖGET IHR IN GROSSEN ZEITEN LEBEN! Gelächter, gute Laune RALF  Und? Wat is nu, sind wa schon Stücke weiter? JOHANNES  Womit denn, lieber Ralf? RALF  Mitm Mond, Mann! Wir sind wegen de Mondfinsternis hier. JOHANNES  Tja, eigentlich is jetze jenau die Zeit aber … Er sieht zum NACHTHIMMEL hoch: alles dicht bewölkt. KATHRIN  Jenau so kenn ick meinen Osten. Is mal wat zu sehen, schieben wa ne Mauer oder Wolken oder sonstwat vor. JOHANNES  Aber es heeßt ja ooch, det wir furchtbar clever mit so Mangelzuständen umjehn können. Kreativ geradezu. KATHRIN  Ja? Heeßtet dit? Dann gröhlen unsere Nazis wohl aus lauter Kreativität. JOHANNES  Mann, nu mal nich schon wieder so depri, die Party jeht inne Zieljerade! KATHRIN  Dann mach die scheiß Wolken weg. JOHANNES  Kann ick nich. KATHRIN (steht auf) Tja, also … Meine Herren, es war mir eine Ehre, aber nu muss ick paar Stündchen uffn Rücksitz und pennen, denn ick bin ja nu zwar eene alleinstehende, aber dennoch hoch berufstätige junge Dame. JOHANNES  Du bleibst! KATHRIN (befremdet) Wat? RALF  Spinnste? Warum sollse bleiben, wennse … JOHANNES  … Weilse nüscht verpassen will. KATHRIN  Wat denn? Wat verpass’ ick denn? RALF  Ja, wat, Hannes? Mondfinsternis vorbei. Probiern wirs in hundert Jahren noch mal. KATHRIN (lacht) Ok. Gleiche Stelle, gleiche Zeit. Wir sind verabredet. JOHANNES  Also ick fänds sehr schade, wenn ihr jetzt schon abhaut. KATHRIN  Aber warum? JOHANNES Deswegen. Johannes drückt einen Knopf auf einer Fernbedienung und ein Silvesterfeuerwerk bricht los. Kathrin schreit begeistert auf, Maik bellt panisch, selbst Ralf glotzt verblüfft. Raketen, Feuerräder, Funkenfontänen. Kathrin

tanzt begeistert mit hoch erhobenen Armen. Dann die letzte Rakete. Kathrin und Ralf „begleiten“ sie mit ihren Stimmen, bis sie explodiert. KATHRIN  UaaaAP! NE BLAUE!!!! RALF  UaaaAP! NE BLAUE!!!! Johannes grinst zufrieden. RALF (begeistert) Aller, wann haste denn dit inschtalliert? Hab jar nüscht mitjekriegt. JOHANNES (zuckt mit den Schultern) War ja ooch bloß Notfall. KATHRIN  Geil, ab jetzt nur noch Notfälle! Isset schon vorbei? Johannes sieht auf seine Fernbedienung, drückt ein bisschen. JOHANNES  Ja. Gloob ja. Kathrin reißt ihm die Fernbedienung aus der Hand. KATHRIN  Gib her! Sie drückt wahllos darauf herum. RALF  Det wird nich helfen. Wenns aus is, is aus. KATHRIN  Nich mit mir! Kaum hat sie ausgesprochen, kommt in Hannes’ Gerät Bewegung. Es schnieft, sprotzt, pufft und kämpft mit sich. KATHRIN (feuert an) Komm, komm! Mach, du Aas! Du packstet! Endlich doch noch: ein paar letzte Raketen schießen in den Nachthimmel und lassen Sterne regnen. KATHRIN (brüllt) Na jeht doch! © Kiepenheuer Bühnenvertrieb

Die kommenden Bücher bei Theater der Zeit

Verlagsvorschau Januar bis Juni 2022

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Magazin Statt Corona-Stillstand wieder „Fast Forward“ Die Hybridausgabe des Dresdner Festivals für junge europäische Regie  Was macht eigentlich die Helferei? Das Kulturhaus in Zürich begeht erkennbar andere und zukunftsweisende Wege

Auferstanden aus der Pankower Heide Das NaturTheaterKollektiv erinnerte in einer Raum-Klang-Performance an einen vergessenen Fundort Berliner Theater­ geschichte

Trouble um das Bundesverdienstkreuz für Tobias Morgenstern

Bücher Hannah Speicher, Aphra Behn


magazin

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Statt Corona-Stillstand wieder „Fast Forward“ Die Hybridausgabe des Dresdner Festivals für junge europäische Regie Es ging zumindest wieder vorwärts bei „Fast

der Finsternis“, eine erschütternde Kolonial-

tes Milieu übertragen, zielte das erstaunlich

Forward“ in Dresden. Nicht so „fast“, wie

erzählung von Joseph Conrad aus dem Jahr

selbstironische türkische Stück „Ama“ in

man es bei einigen Beiträgen in den elf

1899. Autor und Regisseur Wiktor Bagiński

eine ähnliche Richtung. Eine Parodie auf die

Braunschweiger und Dresdner Jahrgängen

ist ein polnischer Schwarzer oder ein schwar-

dortige Bohème.

schon erlebte und wie man es bei noch

zer Pole, spricht also authentisch und über-

Kämpferischer gab sich der belgische

­wenig vom kommerziellen Druck beeinfluss-

zeugend. Die Suche nach dem Vater, mithin

Beitrag über den 1892 hingerichteten franzö-

ten frischen Ensembles erwarten kann. Denn

nach einem Teil der Identität, die polnische

sischen Anarchisten Ravachol. Wann schlägt

eine faszinierende, im Gedächtnis haftende

Debatte um Abtreibungen und traditionell ego­

das Arrangement mit dem eigentlich nicht

Inszenierung war 2021 nicht dabei. Aber

istisch-patriarchalische Männerrollen durch­

Hinnehmbaren in offene Empörung, ja Gewalt

nach der behelfsmäßigen Onlinevariante

dringen und überlagern das Hauptthema von

um? Gibt es ein moralisches „Recht auf Ver-

infolge des Lockdowns ein Jahr zuvor war ­

Herkunft und Hautfarbe.

brechen“, wie es Dostojewskis Raskolnikow

zumindest die Hälfte der acht Wertungs­ ­ stücke wieder live zu sehen.

Auf den zweiten Blick wirft die Insze-

postuliert, wenn dadurch Tausende, ja Millio-

nierung Bagińskis sogar die provokante Frage

nen verschont werden? In seiner Apologie

Trotz der 2G-Bedingungen wurde das

unserer Idealisierung aus Afrika stammender

empfindet Ravachol „keine Reue in einer

reduzierte Platzangebot im Kleinen Haus des

Flüchtlinge und Mitbürger auf. Denn auch sie

­Gesellschaft, die den Kampf zwischen Men-

Staatsschauspiels

Festspielhaus

sind in kulturell geprägten Rollen gefangen,

schen organisiert“.

Hellerau gut angenommen. Die Kommuni­ ­

können wie Vater und Sohn im Stück schuldig

Für eine dramatische Reflexion der

kation aber blieb eingeschränkt, auf einen

an Frauen werden. Das Rassismusthema griff

­Coronafolgen war es wohl noch zu früh. Die

Publikumspreis musste verzichtet werden.

auch Ayşe Güvendiren in 30 Interviews mit

preisgewürdigte Inszenierung „Civilisation“

Rückblickend erscheint aber das Schicksal

farbigen Kulturschaffenden auf, ein Online-

ließe sich auch als Darstellung einer isolier-

überaus gnädig, denn nur eine Woche nach

beitrag.

ten Sphäre interpretieren. Etwas an vermiss-

und

im

Festivalende am 14. November mussten in

Einem zweiten Themenstrang folgten

ter Geselligkeit bot immerhin die kommuni-

Sachsen schon wieder alle Kultureinrichtun-

Festivalbeiträge zu inneren Erosionserscheinun­

kative Schnitzeljagd des deutschen Studios

gen schließen.

gen westlicher Gesellschaften. Die britische

Beisel hinaus in die Dresdner Heide. Es liegt

Regie-Preisträgerin

Woodcock-Stewart

nahe, dass sich die teilnehmenden Bühnen

valgestaltung beauftragte Charlotte Orti von

zählt mit ihrer Tanz-Kombination „Civilisa­

keine opulente Ausstattung leisten können.

Havranek konnte bei ihrer Europa-Umschau

tion“ zu diesen Kritikerinnen. Es geht auf den

Erneut fiel aber die naturalistische Konventi-

deshalb auch nur passende Formate berück-

ersten Blick um Reaktionen einer jungen Frau

onalität der wenigen Bühnenbilder auf, kaum

sichtigen. Es habe nichts mit einer Vorab-

auf einen Schicksalsschlag, auf einen tragi-

Abstraktionen unter der jungen Avantgarde.

Auswahl zu tun, dass 2021 nur ein Beitrag

schen Verlust. Titel und Inszenierung legen

Aber es ging zumindest wieder vorwärts. //

aus den sonst meist gesellschaftskritisch auf-

aber auch nahe, dass es um Kulturkritik einer

regenden Theatern der mittel- und osteuropä-

Lebensart, um den Verlust des Tradierten

ischen Transformationsstaaten zu sehen war,

überhaupt geht. In den Mikrokosmos eines

stellte sie klar.

spießig eingerichteten Zimmers dringt nur

Die im Staatsschauspiel mit der Festi-

Jaz

Dieses polnische Gastspiel des 1945

sporadisch über die üblichen Kommunikati-

gegründeten TR-Theaters Warschau bestritt

onskanäle die Außenwelt ein und beherrscht

den Auftakt und erschien spontan preisver-

dennoch das konsumabhängige Verhalten der

dächtig. „Serce“ geht zurück auf das „Herz

hier lebenden Solistin. Dem verwandt erscheint der Online­ beitrag „Fuck you, Eu.Ro.Pa!“ von Nicoleta

Mit ihrer Tanz-Kombination „Civilisation“ kritisiert Jaz Woodcock-Stewart auf dem Festival „Fast Forward“ die inneren Erosionserscheinungen westlicher Zivilisationen. Foto Alex Brenner

Esinencu. Auch in diesem Monolog über die versuchte osteuropäische Adaption westlicher Segnungen steht am Ende der ratlose Blick auf all das Wohlstandsgerümpel auf dem Teppich-Spielfeld. Auf ein dem Theater verwand-

Michael Bartsch

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Was macht eigentlich die Helferei? Das Kulturhaus in Zürich begeht erkennbar andere und zukunftsweisende Wege Wie eine Trutzburg erhebt sich die Helferei inmitten der Altstadt von Zürich, in der Querachse von Theater Neumarkt und Schauspielhaus Zürich. Zentraler könnte dieses Haus mit seinem eigentümlichen Namen wohl nicht liegen. Dass es ein Kulturhaus ist, hat sich überregional herumgesprochen. Und dass es aufgrund seiner Geschichte ein besonderes Kulturhaus ist, mit großer Affinität zum Theater, hat sich in der letzten Zeit ebenfalls sehr bemerkbar gemacht. Seit sechs Jahren leitet Martin Wigger die Helferei. Er ist von Haus aus Dramaturg, mit Stationen in Tübingen, Dresden und Jena. Als Chefdramaturg kam er in die Schweiz an das Theater Basel, wo er mit dem jetzigen Wiener Schauspielhaus-Chef Tomas Schweigen die Sparte Schauspiel übernahm. Doch anstatt den Weg durch die Institutionen des Stadttheaters fortzusetzen, begann er in Zürich ein Studium der Theologie und bewarb sich auf die Leitung der Helferei. Die Zusam-

weit in das Mittelalter der Stadt Zürich zu-

menhänge lagen nahe: vom Theater zur Theo-

rück. Der Name „Helferei“ stammt aus dieser

logie und zu einer Kulturarbeit, die sich be-

Zeit und ist bis heute wörtlich zu verstehen:

wusst von den großen Auftritten entfernt und

An diesem Haus wird geholfen, seit der Grün-

nach anderen Bodenhaftungen sucht.

dung des Hauses im 13. Jahrhundert, kurze

Beim Theater soll’s nicht bleiben: Die Helferei Zürich bietet ein kulturelles Angebot, das nachhaltig den künstlerischen Austausch fördert. Foto John Patrick Walder

In Zeiten wie diesen, in denen eine Kul-

Zeit sogar als „Schuley“, als früheste Schule

turarbeit in repräsentativen Zusammenhängen

Zürichs, dann als diakonische Stätte mit ih-

sance-Bibliotheken Europas), hier wird in

allein medizinisch immer schwieriger wird,

rem berühmtesten Bewohner Ulrich Zwingli,

­einer Küche im Keller gekocht – und hierhin

war dies kein ungeschickter Weg. Und vieles

der zeitgleich mit seinem deutschen Pendant

geht man, wenn man tatsächlich Hilfe

von dem, was unter Martin Wigger und seinem

Martin Luther die Reformation einläutete.

braucht. Wir wären nicht in der beständigen

Team in der Helferei stattfindet, hat von län-

Seit dieser Zeit ist die Helferei eine der

Schweiz, wenn sich nicht all diese Eigen-

gerer Hand genau das vorbereitet, was heute

ersten offenen multifunktionalen Einrichtun-

schaften bis heute erhalten hätten. Noch im-

unter Begriffen wie „Social Art Work“ oder

gen Europas: Hier wird gewohnt (im 16. Jahr-

mer gibt es im Haus begehrte Wohnungen,

besser: „Social Critical Work“ geradezu ange-

hundert wohnten an diesem Ort über 100

noch immer wird gekocht, und noch immer

sagt ist. Die soziale Einschreibung der Helfe-

Menschen) und gearbeitet (im ersten Stock

gibt es Menschen, die selbst in Zürich in Not

rei ist jedoch keine Neuerfindung, sie geht

befand sich eine der bedeutenden Renais-

sind und dem Namen des Hauses folgen.


magazin

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Was macht eigentlich die Helferei? – diese

über das ganze Haus und im Sinne der eins­

die Zürcher Hochschule der Künste reiht sich

Frage steht bis heute über dem monatlich

tigen Bibliothek, angewandte Erfahrungen

mit ihren Studierenden gern ein, bedingt

wechselnden Programm. Das Kulturangebot

weitergeben; der „Dienstleistertag“, an dem

durch die Suche nach neuen Anbindungen in

ist die jüngste Zutat und soll dem sozialen

Schauspielstudierende auf Anfrage Hilfe aller

der Lehre. Zurzeit ist es die Abteilung Drama-

Regelwerk entsprechen. Das ist alles andere

Art leisten, vom Einkaufen bis zum Umgraben

turgie, die unter der Leitung von Jochen Kie-

als einfach, aber eines hat die Helferei ande-

des Gartens. Im Fokus liegt bei diesen und

fer im Workspace, dem offen von der Straße

ren Kultureinrichtungen voraus: ein Publi-

noch vielen weiteren Angeboten immer das,

einsehbaren Arbeitsraum, eine „Schweizer

kum, das unterschiedlicher nicht sein könnte

was über die Kunst hinausgeht. Und im besten

Generalintendanz“ ausgerufen hat, auf der

und in keine feste Zielgruppe passt. Genau

Fall nachhaltig bleibt, weil man miteinander in

Suche nach zeitgemäßen Kulturbetrieben.

das hat eines der wichtigsten Hausformate

Kontakt kommt und weiterhin bleibt. Über

Die Pandemie hat das Haus nicht wirk-

begründet, die sogenannte Schule des Han-

dem Foyer der Helferei strahlt neonblau und

lich erschüttert. Die Helferei ist an dieser

delns, in der Schriftsteller wie Thomas Meyer

nicht übersehbar der Appell „Handeln“. Hier

Stelle erprobt, war sie doch schon zur Zeit der

aus Zürich oder Performancekünstlerinnen

gibt es ganztägig eine Lounge zum Verweilen,

Pest erste Anlaufstelle der Stadt. Zwingli hat

wie Mad Kate aus Rotterdam nicht nur auftre-

mittags das Buffet Kullt, und hier beginnen

hier seine eigene Pesterkrankung überlebt.

ten, sondern eher ihre Ideen eines sinnvollen

und enden alle Veranstaltungen

Kein schlechtes Zeichen also. Die Helferei

Handelns kundtun. Wie Thomas Meyer bei-

Diese andere Art der Ausrichtung hat

setzt in ihren vielen Räumen auf kleinere

spielsweise über seine Arbeit mit Geflüchte-

gemeinsam mit dem ungewöhnlichen histori-

­Formate und noch mehr unmittelbaren Aus-

ten. Oder Mad Kate über die richtige sexuelle

schen Charme des Hauses, in dem sich übri-

tausch mit dem Publikum. „Die Zukunft kura-

Aufklärung in diversen Zeiten.

gens bis heute die originale Wohnung der

tieren“ heißt ihr jüngstes Format, in dem

Viele weitere Reihen gehen in ähnliche

Zwinglis befindet, schnell das Interesse von

unter anderen die Malerin Valérie Favre eine

Richtung: der „Practical Wednesday“, an dem

außen auf das Programm gezogen. Das Thea-

Woche lang am Stück gemalt hat, mit linker

Kulturschaffende nach Formen einer neuen

ter Neumarkt und die Winkelwiese sind im-

Hand, die rechte auf den Rücken gebunden.

praktischen Arbeit beispielsweise im Hand-

mer wieder Gäste. Schauspielerinnen wie

Herausgekommen ist etwas ganz anderes als

werk suchen; die „Human Library“, eine Per-

Alicia Aumüller oder Regisseurinnen wie

das, was sie sonst malt. Und auch das könnte

sonifizierung von Wissen über unterschiedli-

­Barbara Weber und Antje Schupp haben in

zukunftsweisend sein. //

che Expertinnen und Experten, die, verteilt

diesem Jahr eigene Projekte entwickelt. Auch

Vincent Huber

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Auferstanden aus der Pankower Heide Das NaturTheaterKollektiv erinnerte in einer Raum-Klang-Performance an einen vergessenen Fundort Berliner Theatergeschichte Unbekannt und versunken in der Schön­ holzer Heide: Zum 60. Jahrestags des Mauerbaus erinnert das NaturTheater­ Kollektiv an einen vergessenen Ort Theater­geschichte. Foto Andrea Koschwitz

Wer kennt noch das „Heidetheater“ in Berlin-

peares „Maß für Maß“, gespielt vom Hans-

Pankow? Selbst von den Ureinwohnern Pan-

Otto-Theater Potsdam. Daneben gab es wohl

kows dürfte das nur noch bei ganz wenigen

alles im Heidetheater, was gefällt: Shakes-

der Fall sein. Zum 60. Jahrestag des Mauer-

peare, Goethe, Amateurtheater und Operetten,

baus ist es Anfang September 2021 wieder

Estradenprogramme und Tanz nach Amiga-

auferstanden aus Ruinen, zumindest in seiner

Schallplatten; es trat auch das Kabarett Die

imaginären Gestalt. Andrea Koschwitz und

Distel auf. Es sollten noch weitere Berliner

das NaturTheaterKollektiv NordOst (es be-

Theater auftreten; Wolfgang Langhoff hatte

durch Interviews mit Zeitzeugen; Ausschnitte

steht neben Koschwitz aus Christine Boyde,

seine Schirmherrschaft zugesagt, viele Theater

aus Operetten, wie sie hier gespielt wurden;

Klaus Dobbrick, Wolf Koschwitz, Wolfgang

der DDR waren zu Kooperationen bereit. Ulli

historischen Tondokumente und Musiktiteln

Rindfleisch und Laura-Sophia Schulz) haben

Zelle in seiner rbb-Sendereihe „Geheimnisvol-

der Zeit präsentierte und ein wenig auch die

es wieder zum Leben erweckt. Und das ge-

le Orte“ kommt neben dem Verein Chronik

Stimmung der Zeit, den Enthusiasmus der

schah mit so einfachen wie genialen Mitteln.

Pankow e. V. das Verdienst zu, als Erster wie-

Aufbauaktion und die Depression danach er-

Das Freilichttheater in Pankow existier-

der eine breitere Öffentlichkeit an diesen Bau

innerte. Dann konnte man in den drei Vorstel-

te von 1957 bis – im Grunde – 1961, es wur-

erinnert zu haben. Nun ist er also in einer fan-

lungen jeweils ein Hörspiel in der Regie von

de durch den Mauerbau und die Nähe zur

tastischen Gestalt wiederbelebt worden.

Wolfgang Rindfleisch erleben: Heiner Müllers

Grenze nach Westberlin zu Fall gebracht, al-

Das NaturTheaterKollektiv hat das

„Hamletmaschine“ mit Blixa Bargeld und

lerdings erst 1963 offiziell geschlossen. Auf-

Areal des ehemaligen Theaters mit Flatter­

den Einstürzenden Neubauten aus dem Jahr

gebaut wurde es durch die unbezahlte ge-

band gekennzeichnet, die Besucherinnen

1990 (toll); zur Vorstellung um 15 Uhr das

meinnützige

und

und Besucher mit Kopfhörern ausgestattet,

Kinderhörspiel „Bogumil, Riese sucht“ von

Bürgerinnen Pankows selbst im Rahmen des

und so spazierte man über die Hügel der

Melanie Peter und schließlich „Ein Dolch

„Nationalen Aufbauwerks“ (NAW); für das

Schönholzer Heide, die noch Zeugnis ablegen

ohne Stiel auf dem die Klinge fehlt. Die Hüh-

Sandschippen gab es für die Beteiligten stun-

vom einstigen Freilufttheater. Im September

ner des Fürsten Alexandrowitsch Potemkin“

denweise Klebemarken, die man sammelte,

2021 begannen drei Vorstellungen zunächst

von J. W. Walther. Alle drei waren sehr gut

um dann eine Anstecknadel zu bekommen

mit Livemusik von Schülerinnen und Schü-

anzuhören, während man so bei gutem Wetter

oder eine gute Beurteilung auf dem Schul-

lern der Pankower Musikschule Béla Bartòk,

durch den schattigen Wald wanderte – ein

zeugnis. Auf der Freilichtbühne fanden ur-

die man als Kooperationspartner gewonnen

ganz besonderes und wunderschönes Erleb-

sprünglich 2500 Zuschauer und Zuschauerin-

hatte. Hier erstaunte übrigens noch immer

nis. Schade, dass so wenige davon wussten.

nen Platz, heute stehen davon nur noch ein

die ausgezeichnete Akustik. Über Kopfhörer

Hoffentlich kann die Arbeit des NaturThea-

paar Treppenstufen und einige Säulen für die

gab es dann ein großartig gemachtes Feature

terKollektivs in diesem Jahr fortgesetzt wer-

technische Versorgung der einstigen Vorstel-

von Andrea Koschwitz und Klaus Dobbrick zu

den. //

lungen. Eröffnet wurde damals mit Shakes-

hören, das die Geschichte des Heidetheaters

Arbeit

der

Bürger

Marianne Streisand


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Trouble um das Bundesverdienstkreuz für Tobias Morgenstern Eigentlich sollten Tobias Morgenstern und Thomas Rühmann, Gründer und Organisatoren des Theaters am Rand in Zollbrücke, in diesem Herbst mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt werden. Kurz vor der Zeremonie wurde die ­Ehrung aber zurückgezogen. Offizielle Begründung: Die Ordenswürdigkeit von Morgenstern sei nicht mehr gewährleistet. Das wirft Fragen auf: Danach, wie ordenswürdig künstlerisches Tun überhaupt zu sein hat und wie viele Kontroversen eine Gesellschaft aushalten kann und sollte. Dem Theater selbst sieht man die Affäre nicht an. Der alte Oderkahn, der manchmal als Theaterkulisse dient, rostet gelassen weiter vor sich hin. Das Publikum strömte wie gewohnt zur Aufführung der allerersten Operette des konstruierten Theaterbau. In „Das heißbegehr-

Querdenkern sowie den kritischen Ärzten, Wis-

dass es selbst jenen, die solche Beiträge

te Haus“, Libretto vom Lieder­ macher Hans-

senschaftlern, PolitikerInnen des Landes an.“

­weiterverlinken, zum Vorwurf gemacht werden

Eckardt Wenzel, Komposition von Morgen-

Das Bundespräsidialamt leitete daraus ab:

kann. Und alles ohne Bewertung des I­nhalts.

stern, stand Morgenstern auch auf der Bühne.

„Wer seine Zugehörigkeit zu einer Bewegung

Das ist eine Art argumentative Infek­

Die Finger glitten wie gewohnt über die Tasten

erklärt, die vom Ver­fas­sungsschutz beobachtet

tionskette – nur dass hier eben nicht das V ­ irus

des Klaviers und die Tasten und Knöpfe des

wird und wer Postings von Antisemiten verbrei-

selbst übertragen wird, sondern dem­jenigen,

Akkordeons. Rühmann saß im Zuschauerraum.

tet, kann nicht mit dem höchsten deutschen

der Inhalte weiterverbreitet, gleich die ge­

Dennoch ist nicht alles wie immer. Die

Orden aus­ gezeichnet werden.“ Auf seinem

samte Ideologie eines Plattformbetreibers

Bundesverdienstkreuzdebatte hat zu einem

­Facebook-Account hatte Morgenstern tatsäch-

­angeheftet wird. Das ist dann doch zu viel der

Riss zwischen den Partnern geführt. „Wir ha-

lich einen Beitrag der Plattform KenFM verlinkt.

Ansteckung. Für Anfang 2022 ist ein klären-

ben uns entschieden, nicht mehr gemeinsam

Auf Betreiber Ken Jebsen bezog sich die Ein-

des

auf der Bühne zu stehen. Das bedeutet auch,

schätzung des Antisemitismus. Der Beitrag, den

Steinmeier und den Künstlern geplant. Das

wir spielen vorerst unser Repertoire nicht

Morgenstern geteilt hatte, stammte ­allerdings

bestätigten eine Sprecherin Steinmeiers wie

mehr“, erzählt Morgenstern Theater der Zeit.

nicht von Jebsen, sondern von Dirk C. Fleck –

auch Morgenstern. Rühmann war für Theater

Die Ursache der Entfremdung kann

einem preisgekrönten Science-Fiction-Autor, der

der Zeit nicht zu erreichen. Er soll die Ehrung

man auf Ende September datieren. „Ein paar

in seiner Vita angibt, 1943 als Sohn eines

zu einem späteren Zeitpunkt erhalten.

Tage vor der Preisverleihung bekam ich einen

„Halbjuden“ geboren worden zu sein und dass

Morgenstern zeigt sich von dem Vorfall

Anruf vom Bundespräsidialamt, dass ich das

sich dessen Eltern mit ihm bis Kriegsende we-

nicht allzu betrübt. „Mir ist es sogar ganz

Bundesverdienstkreuz doch nicht bekommen

gen der sogenannten T ­ rennungsauflage der NS-

recht so“, sagte er Theater der Zeit. „Ich habe

sollte, weil sie plötzlich festgestellt hätten,

Justiz verstecken muss­ten. (https://www.dirk-

vor der Verleihung überlegt, ob ich die Aus-

dass ich auf meiner Website verschiedene

c-fleck.de/de/vita). Der Beitrag selbst ist eine

zeichnung überhaupt annehmen soll. Gesprä-

Initiativen, die sich kritisch mit dem Zeit­ ­

Kritik an der Impfkampagne, ohne jede Form

che mit Freunden haben mich dann dazu ge-

geschehen beschäftigen, geliked hatte. Darun-

von Antisemitismus.

bracht, dass ja nicht meine jetzige kritische

Gespräch

zwischen

Bundespräsident

Die Kritik am Impfen kann man teilen

Sicht auf die Pandemiemaßnahmen im Mit-

oder nicht. Aushaltbar sollte sie sein. Als

telpunkt stehen, sondern das gesamte Projekt

Vom Bundespräsidialamt erfuhr Theater

Zeichen der allgemeinen Erregungsunkultur ­

des Theaters am Rand gewürdigt werden soll.

der Zeit, dass dieses Bekenntnis die Ordens-

darf man werten, dass der Vorwurf des Anti­

Ich hatte es geschätzt, dass man mir trotz

würdigkeit herabgesetzt habe. Auf Morgen-

semitismus, der einem Plattformbetreiber – in

meiner Haltung den Preis geben will und dass

sterns Website stand die persönliche Erklärung:

diesem Falle Ken Jebsen – gemacht wird, au-

es ja auch darum geht, Brücken zu bauen“,

„Zu meiner politischen Einordnung: Freiheit ist

tomatisch jedem und jeder, die auf dieser

meinte Morgenstern. Genau diese Brücken

das höchste Gut, ich schließe mich den neuen

Plattform publizieren, angeheftet wird, ja,

sind nun brüchig geworden. // Tom Mustroph

ter war auch die Querdenkerbewegung“, blickt Morgenstern zurück.

Tobias Morgenstern Foto Wolfgang Rakitin

Theaters in den unter Nachhaltigkeits­aspekten


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Das Deutsche Theater nach der DDR

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Langhoff unterwerfen. Dieser Re-Kapita­

Sie selbst beschreibt (anhand der Videos)

lisierung will die Autorin anhand dreier

nur eine einzige Szene aus der „Galotti“-

­Inszenierungen („Hamlet/Maschine“,1990;

Aufführung. Das mag hingehen, aber wenn

„Im Inneren wird Wissenschaft zu einer

„Shoppen und Ficken“, 1998; und „Emilia

sie über keine einzige Inszenierung von

­Sache ohne Wahrheit, im Außen zu einer Sa-

Galotti“, 2001) in ihren ästhetischen Aus-

­Thomas Langhoff, zehn Jahre lang Intendant

che ohne Aufklärung.“ (Ulrich Beck) Ich weiß

wirkungen nachforschen.

und Regisseur des Hauses, zu berichten

nicht recht, wem ich das Buch empfehlen

Sie wählt leider einen fehlleitenden

weiß, ihm nur das ideologisierte Stereotyp

könnte, da ich nicht herausfand, welchem

Weg, indem sie aktuelle Theoreme/Ideolo­

eines „ostdeutsch markierten Führungsstils“

­Leser die Schrift zugedacht ist. Die abschlie-

geme und Wertbegriffe auf das Deutsche

überstülpt, dann verlässt sie den Boden seri-

ßende Schlussfolgerung des Textes, „Resi­

­Theater und seine Geschichte projiziert und

öser Geschichtsschreibung. Sie hält Lang-

lienz, so soll deutlich geworden sein, wird

sich so den Blick auf die Akteure, ihre Mo­

hoff aber die „organisatorische Stasis des

nach 1989 von ost- wie westdeutschen Thea-

tive, Entscheidungen und Zwänge verstellt.

Deutschen Theaters mit der hohen Konstanz

terschaffenden (und natürlich auch in vielen

Da nützt auch ihre Versicherung, sich der

der Ensemblestruktur“ vor. Sie irrt. Denn in

anderen Berufsfeldern) gefordert. Wer auf

ethnografischen Methode der „dichten Be­

vielen Fällen waren Kündigungen gänzlich ­

den Resilienz-Imperativ nicht mit den richti-

schreibung“ zu befleißigen, wenig, da sie

ausgeschlossen, da der NV Solo nach einer

gen Bewältigungsstrategien reagieren konnte,

nicht willens ist, die Grundregel dieser Me-

fünfzehnjährigen Vertragsdauer die Unkünd-

musste das Feld verlassen“, ist trivial. Keiner

thode einzuhalten: „Gesellschaften bergen

barkeit des Mitglieds besiegelte. Da bei

wird ihr widersprechen. Und die Antwort auf

wie Menschenleben ihre eigene Interpretation

Nichtverlängerungen aufgrund eines Inten-

die entscheidende Frage: Wer oder was be-

in sich; man muß nur lernen, den Zugang zu

dantenwechsels je nach Vertragsdauer ge-

stimmt das Feld? weiß inzwischen auch ein

ihnen zu gewinnen.“ (Clifford Geertz)

staffelte Abfindungen bis zu einer halben Jahresgage fällig sind, wäre das dem DT teu-

jeder: die Kapitallogik. Schon 1977 hat Jürgen Hofmann die

er zu stehen gekommen. Die Autorin ist er-

künftige Entwicklung des „kleinbürgerlichen

staunt darüber, dass dennoch „die ersten

Theaters in Westdeutschland“ klar beschrie-

Hannah Speicher: Das Deutsche Theater nach 1989. Eine Theater­ geschichte zwischen Resilienz und Vulnera­ bilität, transcript-Verlag, Bielefeld 2021, 285 Seiten, Preis 49 Euro.

ben: „Die innerbetriebliche Entwicklung ist vor allem durch Versuche zur Rationalisierung und durch die Einführung moderner Management- und Marketing-Methoden zu kennzeichnen. Die ökonomischen Vorgänge sind widersprüchlich verknüpft mit politischen – insbesondere organisationspolitischen – Be-

Jahre der Intendanz von Langhoff als durchaus erfolgreich zu bewerten“ sind. Wie das? Die Autorin erklärt es nicht, da sie auf die simplen

theaterwissenschaftlichen

Stan-

dards verzichtet: Analyse der Spielpläne, der Aufführungs­ zahlen und des Zuschauerzuspruchs zu den einzelnen Inszenierungen in ihrer Abfolge. Sie streicht die Arbeit der

wegungen im Bühnenbereich und pflanzen

Künstler aus dem Geschichtsbuch des DT,

sich bis die konzeptionellen Neuorientierun-

denn erst „mit der ‚Emilia Galotti‘ wird ein relevantes Theater für die neue pluralisti-

gen des Theaters fort.“ Ab Ende 1990 traf das mit Wucht für die Theater in den fünf

Sie greift ungenügend auf dokumentarische

sche Gesellschaft eingeläutet“. Dieses Dik-

neuen Bundesländern zu.

Quellen zurück, und ihre Experteninterviews

tum, vom DT-Dramaturgen Roland Koberg

Dass sich dieser Prozess auch – unter

sind verwirrend einseitig ausgewählt: Ein

2008 kreiert, wird von Hannah Speicher ad-

anderem – in manchen Inszenierungen jener

Schauspieler steht drei Dramaturgen gegen-

aptiert und gleichsam zum theaterhistori-

Tage widerspiegelte, ist naheliegend, denn

über. Und genau dieser eine Schauspieler,

schen Schlussstein eines nebulösen „DDR-

„soziologisch betrachtet besteht Reiz und

Bernd Stempel, spricht den Gedanken aus,

Repräsentationstheaters“ und zugleich zum

Wert des Theaters darin, dass es in seinem

um den sich die Geschichte des Deutschen

Grundstein des gewohnten bürgerlichen

Betriebscharakter, in seinem Organisations-

Theaters nach 1990 für die Schau­spie­ler:in­

Stadttheaters verklärt: „Thalheimers ‚Emilia

problem genau so gut und gar nicht anders

nen vorzüglich dreht: „Früher ging es um

Galotti‘ ist das Gegenbild zur Ära Langhoff

wie in seinen künstlerischen Inhalten ein

die Sache. Und heute ist die ganz schwer

und zur DDR-Tradition des Deutschen Thea-

Mikrokosmos; eine Spiegelung, Abkürzung, ­

zu finden.“ (S. 250) So scheint es auch der

ters. Inhaltlich tilgt seine Inszenierung alle

Zusammendrängung, auch wohl Steigerung,

Autorin ergangen zu sein, wenngleich sie

Bezüge zu einer sozialis­ tischen ‚Galotti‘-

keineswegs aber eine Veränderung oder

unter der Sache etwas gänzlich anderes ver-

Lektüre und durch die ­materielle Reduktion

Entstellung der wirklichen Welt bedeutet.“ ­

steht als ihr Interviewpartner. Ihr geht es

auf der Bühne erhält Wilms’ Austeritäts-

(Julius Bab, 1919)

um eine altbackene Delegitimierung des-

(Spar-)Politik ein popu­läres Bild.“ (S. 244

Das bürgerliche Theater ist eine In­

sen, was sie unter DDR, DDR-Theater und

f.) Der siegreiche Held der Geschichte betritt

stitution, die stark vom Konkurrenzkampf

anderen DDR-Schrecklichkeiten und deren

das Feld:„der Manager-Intendant“ Bernd

auf dem künstlerischen Arbeitsmarkt be-

heillosem Weiterwirken nach 1990 versteht

Wilms, dessen Wirken „den arbeitsweltli-

stimmt wird, und dieser Abhängigkeit

und vermutet.

chen Normalfall im öffentlichen Theater

musste sich auch das Deutsche Theater

Dafür hat sie sich viel Sekundäres

spätestens nach 1991/92 mit dem Inten-

angelesen, und ihre Hauptsorge gilt der ­

arbeitsorganisatorische

dantenwechsel von Dieter Mann zu Thomas

Repetition der ihr genehmen Fremdtexte. ­

und die vehemente künstlerische Re-Privati-

markiert“. Anders gesagt: Die ökonomisch Re-­Kapitalisierung


magazin

/ TdZ  Januar 2022  /

sierung depravierte das Theater in seiner ge-

Theaterdirektors und Dramatikers Thomas

sellschaftlichen Wirksamkeit, machte die

Killigrew konnte sie sich ihren Lebensunter-

Arbeit des Schauspielers nebensächlich.

halt mit Komödien wie „Der Freibeuter“ und

Diesen Schluss lassen die Ausführungen von

„Der Herrscher des Mondes“ sowie der Tra-

Hannah Speicher zu, hier liegt der Gewinn

gödie „Abdelazar“ verdienen, für die später

einer Lektüre des Buchs, und hier müsste

Henry Purcell eine Bühnenmusik schrieb.

eine künftige Arbeit ansetzen, um die tat-

Aphra Behn. Ich lehne es ab, meine Zunge im Zaum zu halten. Gedichte, Dra­men, Romane und Erzäh­lungen in zwei Bänden. Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt vom Tobias Schwartz. AvivA Verlag, Berlin 2021 620 Seiten, 49 Euro.

sächliche Geschichte des Deutschen Theaters von 1989 bis 2008 zu schreiben, was hieße, die ideologisch ausgetretenen, wenn auch von neuen Begrifflichkeiten markierten Forschungswege einmal zu verlassen und verstärkt empirisch-soziologische Untersuchungen der Theaterarbeit zu nutzen, um der tatsächlichen ­theatralen Theorie-PraxisDialektik in ihrer Gegenständlichkeit auf die Schliche zu ­kommen. // Thomas Wieck

Ihr Roman „Oroonoko“ erschien 1688 als das erste kritische Prosastück über die ­Folgen von Kolonialisierung und Sklaverei. Auf den Bühnen der Restaurationszeit gehörten ihre Komödien neben denen von John Dryden und William Wycherley zu den meistgespielten. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1689 schrieb sie zwanzig weitere Stücke, die in England noch im 18. Jahrhundert nach­ gespielt wurden. Dann empfand man ihren Humor als zu freizügig und ihre Kritik an ­politischer Heuchelei und sexueller Doppelmoral als zu gewagt und ließ sie und ihr Werk in der Versenkung verschwinden.

Anne Finch, Margaret Cavendish und Anne

Shakespeares Schwester

Der

Übersetzer

und

Schriftsteller

Wharton. Woolf selber war auf Leben und

­Tobias Schwartz hat in einer zweibändigen

„Alle Frauen zusammen sollten Blumen auf

Werk der Dramatikerin durch Vita Sackville-

Ausgabe ihre beiden bekanntesten Stücke,

das Grabmal von Aphra Behn streuen, das

West aufmerksam geworden, die 1927 mit

den Roman „Oroonoko“ sowie einige Erzäh-

sich skandalöserweise, aber aus guten Grün-

ihrer Biografie: „Aphra Behn. Die unver-

lungen und Gedichte neu übersetzt und her-

den in Westminster Abbey befindet“, schrieb

gleichliche Astraea“ wesentlich zu deren Wie-

ausgegeben. Das ist schon deswegen ver-

Virginia Woolf in ihrem berühmten Essay

derentdeckung beigetragen hatte.

dienstvoll, weil diese Ausgabe einen Einblick

„Ein eigenes Zimmer“ von 1929 und fügte

Aphra Behn wurde 1640 in der Graf-

in das umfangreiche Werk Aphra Behns er-

hinzu: „Sie war es, die ihnen das Recht

schaft Kent geboren, hatte als Tochter eines

möglicht, das in Großbritannien und den

­erwarb, ihre Gedanken auszusprechen. Sie

Arztes und einer Amme einige Jahre in der

USA seit den 1980er Jahren erforscht und

war es (…), die mich nicht abwegig erschei-

britischen Kolonie Surinam gelebt und nach

kritisch ediert wird. Ob sie jedoch, wie der

nen läßt, wenn ich Ihnen heute Abend sage:

ihrer Rückkehr einen deutschen Kaufmann

Herausgeber sich wünscht, in dieser Form

Verdienen Sie fünfhundert im Jahr mit Ihren

geheiratet. Nach dessen Tod weigerte sie

die Spielpläne der deutschsprachigen Thea-

Geistesgaben.“

sich, eine neue Ehe zu schließen, und ging

ter erobern wird, darf bezweifelt werden.

Genau das hatte Aphra Behn fast drei-

stattdessen unter dem Decknamen „Ast-

Vielleicht finden sich aber jetzt Dramatike-

hundert Jahre früher als erste englische Be-

raea“ als Agentin für den Geheimdienst

rinnen, die Aphra Behns Stücke zu neuen

rufsschriftstellerin mit ihren Theaterstücken

Charlesʼ II. in die spanischen Niederlande.

Bearbeitungen inspirieren. Oder ihr wildes

und Romanen erfolgreich getan, weswegen

Als sie von dort 1667 nach England zurück-

und selbstbestimmtes Leben auf die Bühne

Woolf sie auch neben ihre imaginäre Schwes-

kehrte, bekam sie weder Anerkennung noch

zu bringen. Das wäre schöner als alle Blu-

ter Shakespeares und jene Frauen ihrer Zeit

Geld, sondern wurde wegen ihrer für die

men auf ihrem Grab. //

stellte, deren Namen und Werke Anfang des

­Krone aufgelaufenen Schulden ins Gefäng-

20. Jahrhunderts ebenso vergessen waren:

nis gesteckt. Erst durch Vermittlung des

Bewerben und Studieren Schauspiel Zeitgenössisches Theater, Film, Performancepraktiken Abschluss Bachelor of Arts Bewerbungsfrist 31.01.2022

Regie Abschluss Bachelor of Arts Bewerbungsfrist 31.03.2022

Holger Teschke

Demnächst Dramaturgie Abschluss Master of Arts Bewerbungsfrist 31.03.2022

14.| 15. Januar 2022 | Theater Aachen 21. – 23. Januar 2022 | Landungsbrücken Frankfurt »RIP REFRAIN. Eine Fabel in G-Moll« von Labande Dordur | Regie: Anaïs Durand-Mauptit Freies Projekt 17. Januar 2022 »Montags an der ADK« Aussichten. Einsichten. Gespräche. »Von der Notwendigkeit, sich der Geschichte zu stellen: Die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen« Thomas Will (Oberstaatsanwalt, Leiter der Zentralstelle)

Weitere Informationen unter www.adk-bw.de

Änderungen vorbehalten

08. Februar 2022 (Premiere) | Schauspiel Stuttgart »Nathanael« nach Motiven aus »Der Sandmann« von E.T.A. Hoffmann | Buch und Regie: Jannik Graf Bachelorinszenierung

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aktuell

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Claudia Roth. Foto Stefan Kaminski

Meldungen

/ TdZ Januar 2022  /

■ Die Deutsch-Schweizerische Unterneh-

derer die Leitung des Theaters Regensburg

mensberaterin Kristina Hammer wurde vom

übernehmen. Ein Hauptanliegen der neuen

Kuratorium der Salzburger Festspiele ein­

Theaterleitung ist „der Ausbau und die Inten­

stimmig als neue Präsidentin der Salzburger

sivierung partizipativer und inklusiver For­

Festspiele bestellt. Beim Kandidatinnen-

mate“, wie in der Presseaussendung des

und Kandidaten-Hearing zur Bewerbung als

Theaters angegeben. Darüber hinaus wird die

­Prä­sident:in habe Hammer mit ihrer „beein­

Sparte Junges Theater/Community Theater

druckenden beruflichen Karriere, dem vor­ge­

zukünftig alle am Theater Regensburg ver­

stellten Konzept sowie ihrer hohen inter­ na­

tretenen Kunstgattungen (Schauspiel, Musik­

tionalen Expertise und Vernetzung“ über­zeugt.

theater, Tanztheater, Figurentheater und Kon­

Kristina Hammer folgt am 1. Januar 2022

zert) im Programm anbieten. Die neue Leitung

Helga Rabl-Stadler nach, ihr Vertrag läuft auf

des Jungen Theaters/ Community Theater wird

fünf Jahre bis zum 31. Dezember 2026.

zu einem späteren Zeitpunkt vorgestellt; die

Hammer ist seit zehn Jahren Unternehmens-

Verhandlungen hierzu laufen noch.

■ Die Grünen-Politikerin Claudia Roth MdB

beraterin in Zürich und war zuvor 15 Jahre

wird neue Kulturstaatsministerin. Damit folgt

operativ in Managementpositionen in Deutsch­

■ Zwei Sparten des Badischen Staatstheaters

Roth auf Monika Grütters (CDU). Claudia Roth

land, England und Österreich tätig. Sie lehrt

Karlsruhe sind ab der Spielzeit 2022/23 in

(66) studierte Theaterwissenschaften und ma-

als Gastdozentin an der Universität St. Gallen

neuen Händen: Nele Kathlen Tippelmann über-

nagte die Band Ton Steine Scherben. 1985

sowie der ETH Zürich. Seit 2019 engagiert

nimmt die Leitung des Jungen Staats­theaters.

wurde sie Pressesprecherin der ersten Grünen-

sie sich im Vorstand der Freunde der Oper

Die Bürgerbühne, das „Volkstheater“, leitet

Fraktion im Bundestag. Seit 1998 gehört sie

­Zürich und ist dort für die Themen Marketing

ab September 2022 Nike-Marie Steinbach.

dem Deutschen Bundestag an. Neun Jahre war

und Kommunikation zuständig.

Kunstministerin Theresia Bauer, Vorsitzende

sie Mitglied des Europäischen Parlaments.

des Verwaltungsrats des Staatstheaters, be-

Von 2001 bis 2002 sowie von 2004 bis 2013

■ Ab der Spielzeit 2023/24 soll Irene ­Girkinger

tont: „Ich freue mich, dass mit Nele Kathlen

war sie eine von zwei Bundesvorsitzenden von

die Leitung des Tiroler Landestheaters von

Tippelmann und Nike- Marie Steinbach zwei

Bündnis 90/Die Grünen. Seit Oktober 2013 ist

Johannes Reitmeier übernehmen. Girkinger ist

Persönlichkeiten gefunden wurden, die neue

sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundesta-

derzeit Intendantin der Vereinigten Bühnen

Impulse für das Kinder- und Jugendtheater

ges. Roth wird mit der im Kanzleramt angesie-

Bozen. Sie wolle das Landes­theater laut Pres-

und für das Volkstheater geben werden und

delten Posi­ tion, die 1999 vom damaligen

seaussendung „in manchen Bereichen neu

so die künstlerische Entwicklung dieser Spar-

SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingerichtet

definieren“ und die „Zusammenarbeit der ver-

ten bereichern.“

wurde, für die Kultur- und Medienpolitik auf

schiedenen Sparten auf und hinter der Bühne

Bundesebene zuständig sein. Der Geschäfts-

verstärken“. Das Landes­theater solle sich ver-

■ Das Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen

führer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zim-

stärkt der Zeitgenossenschaft, Nachwuchsför-

beteiligt sich an einem Aufruf der Initiative

mermann, plädiert deshalb auf die Zusam-

derung, Diversität, Nach-­haltigkeit sowie ge-

„Bautzen gemeinsam“. Die Bautzener Erklä-

menarbeit ­ zwischen Scholz und Roth: „Als

sellschaftspolitisch relevanten thematischen

rung positioniert sich gegen Rechts­extremismus

Kulturstaatsministerin im Kanzleramt unter-

Schwerpunkten widmen. Girkinger wurde

sowie Coronaleug­ner:in­nen und fordert ein soli-

steht sie direkt dem zukünftigen Bundeskanz-

1976 geboren und studierte Romanistik und

darisches Miteinander. So heißt es in der Erklä-

ler Olaf Scholz (SPD). Für eine erfolgreiche

Kulturmanagement. Von 2007 bis 2011 arbei-

rung: „Wir sind in Sorge. Seit Wochen, fast

Kultur­ politik ist eine gute Zusammenarbeit

tete sie als Dramaturgin am Volkstheater Wien,

schon Monaten, dominieren die Corona-­

zwischen Scholz und Roth essenziell.“

davor war sie am ­Theater Phönix Linz, Schau-

Spaziergänger die deutschlandweite Bericht­

spielhaus Salzburg sowie bei den Salzburger

erstattung aus und über Bautzen. Gleichzeitig

■ Bettina Hering, seit 2017 Leiterin der

Festspielen tätig. Ihre T ­ ätigkeit an der Tiroler

arbeiten in den Krankenhäusern der Region

Schauspielsparte der Salzburger Festspiele,

Landesbühne wird sie zum 1. September

Mediziner und Pflegepersonal am Limit.“ Lutz

ver­längert ihren ursprünglich auf fünf Jahre

2023 aufnehmen. Bis dahin wird noch Johan-

Hillmann, der Intendant des Deutsch-Sorbi-

angelegten Vertrag bis September 2023. Die

nes Reitmeier die Intendanz innehaben, der

schen Volkstheaters Bautzen, gehört zu den

1960 in Zürich geborene Germanistin und

sich aus privaten Gründen zurückzieht.

Erstunterzeichner:innen der Erklärung. Die Be-

Psychologin arbeitete zuvor als freischaffende

teiligten kommen aus Wirtschaft, Kirche, Wis-

Regisseurin und Dramaturgin. Von 2012/13

■ Ab der Spielzeit 2022/2023 werden Antje

senschaft, Kultur, Kommunalpolitik und der

bis 2017 leitete sie das Landestheater

Thoms als neue Schauspieldirektorin, Wagner

Stadtgesellschaft. Die vollständige Erklärung

­Niederösterreich. „Ich freue mich sehr, auf

Moreira als neuer künstlerischer Leiter der

sowie die Liste der Erstunterzeichner:innen ist

der Basis der vergangenen, künstlerisch wie

Tanzcompany und Chefchoreograf, Ronny

auf der Website einsehbar.

wirtschaftlich äußerst ertragreichen Jahre des

Scholz als neuer Chefdramaturg und leitender

Schauspiels der Salzburger Festspiele, auch

Musiktheaterdramaturg und der designierte

die kommenden zwei Festspielsommer zu

Intendant Sebastian Ritschel als neuer Opern-

Euro dotierten Boy-Gobert-Preis an die Schau-

planen“, wird Bettina Hering in der Presse-

direktor zusammen mit dem amtierenden

spielerin Maike Knirsch verliehen, die seit der

aussendung zitiert.

Kaufmännischen Direktor Dr. Matthias Schlo-

Spielzeit 2020/21 zum Ensemble des Thalia

■ Die Körber-Stiftung hat den mit 10.000


aktuell

/ TdZ  Januar 2022  /

Theaters gehört. Der Preis wird jährlich für

seit mindestens zwei ­Jahren Szenisches oder

Hamburg sowie beim Schauspielstudio Frese.

herausragende junge Schauspielpersönlich-

Kreatives Schreiben studieren und professio-

Nach Engagements an Theatern in Hannover,

keiten an Hamburger Bühnen verliehen. Die

nelle Drehbuch­ autor:in­ nen. Der/Die Autor:in

Köln, Berlin, München und Hamburg folgten

Jury unter Vorsitz von Burghart Klaußner be-

des Gewinner-Konzepts erhält ein Stipendium

Fernsehauftritte („Derrick“, „Ein Fall für

gründet ihre Wahl wie folgt: „Maike Knirsch

der Heinz-und-Heide-Dürr-Stiftung von 6000

zwei“). Bekannt war er zudem als Synchron­

erobert sich den Bühnenraum wie eine Pio-

Euro, welches ihm/ihr die Möglichkeit geben

sprecher (unter anderem als deutsche Stim-

nierin: unerschrocken, wagemutig und hell-

soll, in den darauffolgenden fünf Monaten eine

me von Kris Kristofferson und Burt Reynolds)

wach. Ihr Spiel ist von einer unbedingten

erste Fassung zu erstellen. Das fertige Stück

und als Hörbuchsprecher. 2007 erhielt er den

Freiheit, voller Energie und zugleich von gro-

wird als Produktion in den Spielplan der

Deutschen Hörbuchpreis. Ab 1995 war Volker

ßer Selbstverständlichkeit. Sie bringt das

Komödie am Kurfürstendamm im Schiller The-

Lechtenbrink Intendant der Bad Hersfelder

Kunststück fertig, ganz im Moment zu spielen

ater aufgenommen sowie in der Komödie

Festspiele. 2004 bis 2006 war er Intendant

und ihrer Figur zugleich mit einem wohl­

Winter­huder Fährhaus in Hamburg aufgeführt

am Hamburger Ernst-Deutsch-Theater.

wollenden Lächeln beim Spielen zuzusehen.“

und auch auf Tournee gehen. Weitere Informatio­

Vorherige Preisträger:innen waren Ulrich

nen zum Umfang sowie den formalen Vor­gaben

■ Die Schauspielerin Marianne Hamre ist ver-

­Tukur, Martin Wuttke, Susanne Wolff, Hans

sind auf der Website der Komödie am Kurfürs-

storben. Hamre wurde am Max Reinhardt Se-

Löw, Merlin Sandmeyer und Josefine Israel.

tendamm zu finden. Einsendungen sind bis

minar in Wien ausgebildet. Ihre Karriere als

zum 30.01.2022 möglich.

Schauspielerin führte sie ans Landestheater

■ Der Gertrud-Eysoldt-Ring 2021 geht an die

Linz, zu den Salzburger Festspielen, ans

Schauspielerin Lina Beckmann. Beckmann

■ Das DRAMAFORUM von uniT lädt inte­

­Neumarkt Theater in Zürich, ans Schauspiel-

erhält die Auszeichnung für ihre Rolle als ­

ressierte junge Autor:innen ein, sich für den

haus Zürich, an die Sophiensaele in Berlin,

­Richard in „Richard the Kid & the King” nach

biennal verliehenen Retzhofer Dramapreis zu

ans KKL Luzern und nach Bern. Unter der

William Shakespeare, eine Koproduktion der

bewerben. Der Retzhofer Dramapreis ist ein

Schauspieldirektion von Erich Siedler war sie

Salzburger Festspiele und des Deutschen

Nachwuchspreis für szenisches Schreiben,

von 2008 bis 2012 im Schauspielensemble

Schauspielhauses Hamburg. Die Jury, be­

der sich als Kombination aus Stückentwick-

des Berner Stadttheaters engagiert und unter

stehend aus Jossi Wieler (Vorsitz), Karin

lung und Wettbewerb zusammensetzt. In drei

anderem in Inszenierungen von „Hamlet“,

Henkel und André Jung, schreibt in ihrer ­

Kategorien werden Stücke gesucht: Für

„Der Gott des Gemetzels“, „Woyzeck“ und

­Begründung: „Getrieben von einer geradezu

Erwachsene und für junges Publikum (für ­

„Tartuffe“ zu sehen. Hamre spielte außerdem

anarchischen Energie, erspielt Lina Beckmann

Kinder zwischen 4 und 8 sowie für Jugend­

im Kurzfilm „Tanz ins Glück“ mit.

ihren abgründig schillernden Richard. In

liche von 9 bis 13 Jahren). Die Siegerstücke

atemberaubenden vier Stunden entwickelt sie

werden bei den jeweiligen Partner-Theatern

■ Der Theaterkritiker und ehemalige Frankfur-

das wahnwitzige Psychogramm einer Figur,

Burgtheater

ter Schauspiel-Intendant Günther Rühle ist tot.

die fähig ist, jegliche moralischen Grenzen zu

Theater am Ortweinplatz, das Next Liberty ­

Er starb am 10. Dezember im Alter von 97 Jah-

überschreiten.“ Der Kurt-Hübner-Regiepreis,

Jugendtheater und das Theater an der Park­

ren zu Hause in Bad Soden. Rühle, geboren am

der ebenfalls in Bensheim verliehen wird, geht

aue – Junges Staatstheater Berlin (Stücke für

3. Juni 1924, studierte in Frankfurt / M. Ger-

an Leonie Böhm für ihre am Schau­spielhaus

Kinder und Jugendliche) uraufgeführt. Zu

manistik, Geschichte und Volkskunde. Zwi-

Zürich entstandene Inszenierung „Medea“.

den bisherigen Gewinner:innen gehören: Ger-

schen 1960 und 1985 war er Feuilleton-Re-

Der Gertrud-Eysoldt-Ring gilt als einer der

hild Steinbuch, Johannes Schrettle, Ewald

dakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,

bedeutendsten Theaterpreise im deutsch­

Palmetshofer, Christian Winkler, Henriette

ab 1974 leitete er das Ressort. Zwischen 1985

sprachigen Raum und wird seit 1986 jährlich

Dushe, Susanna Mewe, Ferdinand Schmalz,

und 1990 war Rühle Intendant des Schau-

in Bensheim vergeben. Mit der Vergabe des

Miroslava Svolikova, Liat Fassberg, Thomas

spiels Frankfurt. Als Autor schrieb Rühle um-

Rings, dotiert mit 10.000 Euro, würdigt

Perle und Lisa Wentz. Bewerbungen sind bis

fangreiche Dokumenta­tionen über das Theater,

die Stadt Bensheim eine schauspielerische

zum 28.02.2022 möglich. Weitere Informa­

wie „Theater für die Republik 1917-1933“,

­Leistung an einer deutschsprachigen Bühne.

tionen zu den Formalitäten sind auf der Web-

„Zeit und Theater 1913–1945“ und „Theater

Frühere

site des Dramaforums abrufbar.

in Deutschland 1887–1945“, die beim S. Fi-

Preisträger:innen

waren

Klaus

(Erwachsenenstück),

TaO!

Maria Brandauer, Cornelia Froboess, Corinna ­Harfouch und Ulrich Matthes.

scher Verlag erschienen sind. Für seine Arbeit

■ Der Schauspieler, Sänger, Regisseur und

wurde Rühle unter anderem mit dem Theodor-

Intendant Volker Lechtenbrink ist tot. Er ver-

Wolff-Preis (1962) und dem Binding-Kultur-

■ Die Komödie am Kurfürstendamm im

starb am 22. November 2021 mit 77 Jahren

preis (2010) ausgezeichnet. Günther Rühle

Schillertheater sucht mit einer Ausschreibung

an den Folgen einer schweren Erkrankung in

war auch für Theater der Zeit als Autor und

„junge, frische Komödien, zu heutigen Themen

Hamburg. Lechtenbrink, geboren am 18. Au-

Herausgeber tätig (siehe auch TdZ 11/2021).

mit Relevanz, die emotional berühren, die Zu-

gust 1944 in Cranz, wuchs in Bremen und

schauer zum Lachen bringen und zum Nach-

Hamburg auf. Seine erste Filmrolle hatte er in

denken und Diskutieren einladen“. Bewerben

Bernhard Wickis Antikriegsfilm „Die Brücke“

können sich Autor:innen, von denen bereits

(1959) mit gerade einmal 14 Jahren. Seine

mindestens ein Stück an einem p ­ rofessionellen

Schauspielausbildung erhielt er an der Staat-

Theater produziert wurde, Student:innen, die

lichen Hochschule für Bildende Künste in

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auftritt

/ TdZ  März   Januar  2018 2020 / /

CHANGES

Berliner Festspiele 2012–2021

Herausgegeben von Thomas Oberender

Formate Digitalkultur Identitätspolitik Immersion Nachhaltigkeit

Buchverlag Neuerscheinungen

Dieser Reader ist die Selbstanalyse einer Institution und ihres Pro­ gramms, und er ist gleichzeitig der Versuch, ästhetische und poli­tische Ereignisse, wie Botho Strauß es nannte, zusammenzudenken. Im Brennglas eines Jahrzehnts werden wesentliche Wandlungen in der Organisation von Festivals, Ausstellungen, Aufführungen und Diskursveranstaltungen entlang von fünf Leitbegriffen reflektiert: Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion und Nachhaltigkeit.

CHANGES Berliner Festspiele 2012 – 2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit Herausgegeben von Thomas Oberender

Paperback mit 520 Seiten ISBN 978-3-95749-­398-­9 (deutschsprachige Ausgabe) ISBN 978-3-95749-411-5 (English edition) EUR 24,00 (print) / EUR 19,99 (digital)

„Kultur macht stark!“ ist die Behauptung hinter Programmen wie Wege ins Theater, Zur Bühne, tanz + theater machen stark, ChanceTanz und anderen, die für bisher nicht erreichte junge Zielgruppen Zugänge zu den Darstellenden Künsten schaffen wollen. Wie verändert sich dadurch das Selbstverständnis der Macherinnen und Macher? Wie sieht die Zukunft aus? In der Praxis zeigt sich immer wieder, wie sehr strukturelle Veränderungen, neue, visionäre Wege und zukunfts­weisende Projekte von Menschen ausgehen. Jetzt im neuen Design IXYPSILONZETT Jahrbuch 2022 We Want YOU to Change the System Herausgegeben von Meike Fechner und Birte Werner Paperback mit 76 Seiten Mit zahlreichen farbigen Abbildungen ISBN 978-3-95749-409-2 EUR 9,50 (print) / EUR 9,50 (digital)

Hybrides Theater basiert auf digitalen Technologien, die physische und virtuelle Räume zeitgleich adressieren. Wie ein Ethnologe sammelt und studiert der Performer Arne Vogelgesang die unterschiedlichsten Netz-Communitys und -Phänomene und erschafft aus diesem theatralischen und politischen Material hybride Theaterformate. In drei Gesprächen mit Thomas Oberender, dessen experimentelle Arbeit als Kurator und Vordenker neuer Formate sich stark mit neuen Raumkonzepten verbindet, diskutieren beide die Auswirkungen des Platt­ formkapitalismus auf die Kunstproduktion sowie alternative Konzepte von Authentizität, Skript, Figur und politischer Aktion. Thomas Oberender, Arne Vogelgesang Hybridtheater Neue Bühnen für Körper, Politik und virtuelle Gemeinschaften – Drei Gespräche Paperback mit 204 Seiten, EUR 20,00 (print) / EUR 16.99 (digital) ISBN 978-3-95749-403-0

Die Grand Opéra des 19. Jahrhunderts stellt sich als ein Vexierbild dar. Auf den ersten Blick zeigt sie sich als Vergnügungsapparat zur Erzeugung visueller und emotionaler Sensationen. In dieses Bild aber schreiben sich die Züge eines Seismografen ein, der die gesellschaftlichen Erschütterungen im Zeitalter der Revolutionen präzise verzeichnet. Das Buch untersucht die Szene der Grand Opéra und geht den Spuren ihres Nachlebens in Inszenierungen und Werken des zeitgenössischen Musiktheaters nach. Mit Gastbeiträgen von Merle Fahrholz, Anselm Gerhard und Klaus Zehelein. RECHERCHEN 161 Günther Heeg Fremde Leidenschaften Oper Das Theater der Wiederholung I Paperback mit 218 Seiten ISBN 978-3-95749-369-9 EUR 18,00 (print) / EUR 14,99 (digital)

Erhältlich in der Einar & Bert Theaterbuchhandlung oder portofrei unter www.theaterderzeit.de

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aktuell

/ TdZ Januar 2022  /

Premieren

Januar 2022

Aalen Theater Lutz Hübner, Sarah Ne-

Dessau Anhaltisches Theater R. M.

Kiel Theater R. Cooney: Außer Kontrolle

Werther (M. N. Koch, 25.01.); J. W. v.

mitz: Furor (T. Kleinknecht, 08.01.); A.

Schernikau: der himmel ist ja da. der him-

(S. Bühr, 21.01.); M. A. Yasur: Gott wartet

Goethe: Urfaust (M. Paulovics, 29.01.)

Durand-Mauptit/L. Dordoigne: RIP Ref-

mel fängt hier unten an.* *ein ronald m.

an der Haltestelle (K. Trosits, 23.01.)

Rostock Volkstheater Frivole Lieder (D.

rain (A. Durand-Mauptit/L. Dordoigne,

schernikauabend (C. Franke, 11.01., UA)

Klagenfurt Stadttheater Ö. v. Horváth:

Pfluger, 08.01.); E. Labiche: Die Affäre

14.01.); T. Mann: Bekenntnisse des

Dinslaken Burghofbühne M. Spaan: Die

Figaro lässt sich scheiden (M. Gredler,

Rue de Lourcine (E. Finkel, 15.01.); B.

Hochstaplers Felix Krull (T. Kleinknecht,

Nibelungen (D. Schnaegelberger, 07.01.,

13.01.)

Schroeder/E. Heidenreich: Alte Liebe (S.

26.01.)

UA)

Köln Comedia Theater R. J. Benrath: Im

J. Fischer, 22.01.)

Baden-Baden Theater Machina e.: SE-

Dresden Theater Junge Generation O.

wald (da sind) (M. Moser, 15.01.,

Rudolstadt Theater Von Fischen und

TUP.SCHOOL(). DIE LERNMASCHINE (A.

Schmaering/n. F. Salten: Bambi (L. Seib,

UA) Orangerie P. Löhle: Feuerschlange

Wünschen (T. Voigt, 04.01.); J. Murray-

K. Krause, 28.01.)

22.01.)

(T. Mrosek, 11.01.); C. L. Fechner: The

Smith: Die Katze im Käfig (P. Bernhardt,

Bamberg E. T. A.-Hoffmann-Theater M.

Esslingen Württembergische Landes-

One Next Door (A. Erlen, 22.01.) Schau-

28.01.); F. Zeller: Die Kehrseite der Me-

Svolikova: Gi3F (Gott ist drei Frauen) (J.

bühne A. Miller: Tod eines Handlungsrei-

spiel F. Castorf: Molière - Ich bin ein Dä-

daille (H. Olschok, 29.01.)

Weiss, 21.01., UA); M. Svolikova: Gi3F (J.

senden (C. Küster, 15.01.)

mon, Fleisch geworden und als Mensch

Saarbrücken Überzwerg - Theater am

Weiss/E. Gaus, 21.01., UA); O. Grjasno-

Frankfurt am Main Künstlerhaus Mou-

verkleidet (F. Castorf, 21.01.)

Kästnerplatz F. Schiller: Kabale und Liebe

wa: Gott ist nicht Schüchtern (S. Brot-Pa-

sonturm H. Seidl/A. Neft: Die Flexibilität

Konstanz Theater E. Jelinek: Das Licht

(M. Schneider-Bast, 22.01.)

pe, 28.01.)

der Fische – zwei Balladen (H. Seidl/A.

im Kasten (S. Schmelcher, 21.01.); N.

St. Gallen Theater A. Steinhöfel: Die Mit-

Bayreuth studiobühne E. Wagner: Die

Neft, 28.01., UA) Schauspiel A. Hilling:

Abdel-Maksoud: Jeeps (S. Geyer, 29.01.)

te der Welt (M. Pfaff, 26.01.)

Quizkönigin oder Nix Quiz waaßma net (U.

Liberté oh no no no (S. Schug, 14.01.,

Krefeld Theater G. E. Lessing: Nathan

Stendal Theater der Altmark M. Präkels:

Hoppe, 08.01., UA); S. Beckett: Glückli-

UA);

der Weise (M. Gehrt, 29.01.)

Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß (J.

che Tage (J. Skambraks, 29.01.)

Koležnik, 15.01.); W. Mouawad: Im Her-

Landshut Landestheater Niederbayern J.

Gehle, 22.01.); R. Lappert: Pampa Blues

Berlin Deutsches Theater K. Köhler: Mi-

zen tickt eine Bombe (M. Kottwitz,

v. Düffel/n. O. Preußler: Die kleine Hexe

(K. Kusch, 28.01.)

roloi (L. Coltof, 13.01., UA); R. Pollesch:

22.01.); See you. (M. Droste, 28.01.)

(W. M. Bauer, 09.01.); A. Akhtar: Die

Stuttgart Schauspielbühnen in D. G.

So billige Träume. Und so gut (R. Pol-

Göttingen Deutsches Theater G. Brant:

unsichtbare Hand (H. O. Karbus, 21.01.)

Boy­mann/T. Kahry: Spatz und Engel (F.

lesch, 28.01.) Grips Theater C. Quintana:

Am Boden (J. Schwung, 27.01.); T. Köck:

Linz Landestheater D. Kehlmann: Der

Engel/M. Herzer, 21.01.); D. G. Boymann/

Selfie (M. L. Umbach, 14.01., DSE) Ram-

»wagner — der ring des nibelungen« (a

Mentor (A. Jemc, 22.01.); F. Mitterer: Die

T. Kahry: Spatz und Engel (F. Engel/M.

baZamba Theater M. Mosbach/S. Sünkel:

piece like fresh chopped eschenwood) (E.

Geierwally (S. Ostertag, 28.01.)

Herzer, 21.01.) Theater tri-bühne e. V. F.

Cold Case: Antike (M. Mosbach, 28.01.,

Sidler, 28.01.)

Lübeck Theater F. Stahmer/A. Kock: Her

Dehmel: Frida – Viva la Vida! (F. Dehmel,

UA) Volksbühne K. Wéber: MINIME (K.

Graz Schauspielhaus M. Schrefel: was

Home (F. Stahmer, 26.01.)

21.01.)

Mundruczó, 15.01.)

zündet, was brennt (M. Bues, 13.01.,

Magdeburg Puppentheater C. Duda: Alle

Tübingen

Bern Bühnen W. Shakespeare/K. d. l.: Ein

UA); W. Shakespeare: Macbeth (S. Rott-

seine Entlein (H. Menzel, 22.01.) Theater

Schimpf & Schande (H. Zufall, 15.01.,

Sommernachtstraum (S. Auf d. Heyden,

kamp, 14.01.)

Magdeburg A. Schnitzler: Der einsame

UA)

13.01.); V. Schindler: Gigiwonder. Die Ge-

Halle Thalia Theater Halliax Thaliax – Die

Weg (T. Kramer, 14.01.)

Weimar Deutsches Nationaltheater &

schichte eines Beins (R. Mensah, 19.01.,

Zauberschule Thalia Fasching 2022 (R.

Mainz Staatstheater D. Gieselmann: Villa

Staatskapelle T. Freyer: Treuhandkriegs-

UA)

Meyer, 18.01.)

Alfons (C. Brey, 14.01., UA)

panorama (J. Gehler, 20.01., UA); J. Rä-

Biel / Solothurn TOBS J. W. v. Goethe:

Hamburg Deutsches Schauspielhaus n.

Mönchengladbach Theater H. Müller:

ber: Paarlaufen II (S. L. Kleff, 26.01., UA)

FAUST 1 (N. Sogaard, 14.01.)

D. Kummer/F. Stuhr/T. Wieber: Alles nur

Anatomie Titus Fall of Rome. Ein Shakes-

Wien brut N. Mazic/n. ï m. c.: PoLy-Mir-

Bochum Schauspielhaus W. Shakes-

aus Zuckersand (F. Stuhr, 15.01., UA); C.

peare Kommentar (M. Zbib, 28.01.)

rors /a re-performance of feminine diago-

peare: Macbeth (J. Simons, 21.01.); K.

Sienknecht/B. Bürk: Günther Gründgens

München Kammerspiele H. Block/M.

nals/ (N. Mazic/n. ï m. c., 13.01., ÖEA); T.

Tempest: Verbundensein (R. Lehniger,

– ein Leben, zu wahr, um schön zu sein

Riesewieck/C. Terrasse: Wo du mich fin-

Erhart/K. Senk: j_e_n_g_a (20.01.); H.

22.01.)

(C. Sienknecht/B. Bürk, 21.01., UA) Tha-

dest (Laokoon, 22.01., UA) Residenzthe-

Sharks: BÉTON BRUT (27.01., UA) Kos-

Bonn Theater A. Miller: Ein Blick von der

lia Theater T. Mann: Der Tod in Venedig

ater M. Lopez: Das Vermächtnis (The In-

mos Theater L. Naumann: Mit freund­

Brücke (M. Nimz, 14.01.); F. Schiller/

(B. Kraft, 08.01.); Um alles in der Welt –

heritance) (P. Stölzl, 22.01., DEA); R.

lichen Grüßen eure Pandora (P. Spittler,

PeterLicht: Maria Stuart (M. Köhler,

Lessingtage

Schimmelpfennig: Die Biene im Kopf (H.

11.01., ÖEA)

20.01.)

Tschechow/K.

Müller, 26.01.)

Wilhelmshaven Landesbühne Nieder-

Bremen Theater O. Moshfegh: Eileen (E.

schwarze

Münster Theater V. Despentes: Apoca-

sachsen Nord F. Zeller: Der Fiskus (M.

Jach, 21.01.)

20.01.); T. Okada: Doughnuts (T. Okada,

lypse Baby (T. Dömer, 09.01.)

Dudzic, 08.01.); N. Segal: Nachts (Bevor

Bremerhaven Stadttheater T. Müller/S.

21.01., UA)

Nürnberg Staatstheater W. Shakespeare:

die Sonne aufgeht) (L. Thies, 15.01.)

Misiorny: Twee as Bonnie un Clyde... Nie-

Hannover Schauspiel T. Dopler: Monte

Was ihr wollt (R. Sanchez, 21.01.)

Zürich Theater P. Skinner: Linda (R. Bur-

derdeutsche Bühne Waterkant (U. Geor-

Rosa (M. Rippert, 14.01.); H. Ibsen:

Osnabrück Theater H. Bah: Auf dem Ra-

bach, 20.01.)

ges, 15.01.); T. Müller/S. Misiorny: Twee as

Volksfeind (S. Kimmig, 21.01.)

sen (T. Egloff, 29.01.)

Zwickau Theater P. Wüllenweber: Auf Eis

Bonnie un Clyde... (U. Georges, 15.01.)

Ingolstadt Stadttheater D. Macmillan:

Paderborn Theater – Westfälische Kam-

(F. Ritter, 20.01.)

Bruchsal Badische Landesbühne O. Ga-

All das Schöne (J. Landsberg, 22.01.); J.

merspiele I. M. Martins: Hier kommt

rofalo: Warte nicht auf den Marlboro-

Räber: Paarlaufen II (N. Eleftheriadis,

keiner durch! (C. Sachs, 22.01.)

Mann (C. Ramm, 08.01.); E. Becker: Das

26.01.)

Potsdam Hans Otto Theater F. Abt/N.

Leben ist ein Wunschkonzert (R. Neu-

Innsbruck Tiroler Landestheater P.

Driemeyer: Good. Better. Greta. (F. Abt,

mann, 20.01.); D. v. Klaveren: Mozarts

Handke/O.

15.01.)

Schwester (J. Nahas, 28.01.)

Weissagung (J. G. Goller, 09.01., UA); A.

Regensburg Theater M. Schrefel: Kein-

Cottbus Staatstheater G. Hauptmann:

Akhtar: The Who and the What (A. Zacek,

land – 135 Bilder einer Ausstellung (P.

Der Biberpelz (A. Petras, 22.01.)

15.01.); E. Albee: Wer hat Angst vor Virgi-

Richter, 15.01., UA)

Darmstadt Staatstheater E. Jelinek/O.

nia Woolf? (S. Maurer, 22.01.)

Rendsburg

Wilde: Ernst ist das Leben (Bunbury) (A.

Kaiserslautern Pfalztheater C. Jeß: Der

Landestheater und Sinfonieorchester J.

Merz-Raykov, 29.01.)

Popper (I. Putz, 20.01., UA)

W. v. Goethe: Die Leiden des jungen

H.

Ibsen:

Hedda

2022

Gabler

(20.01.);

Serebrennikov:

Mönch

(K.

n.

(M.

A. Der

Serebrennikov,

Grünmandl:

Grufttheater:

Schleswig-Holsteinisches

Zimmertheater H.

Zufall:

Angaben ohne Gewähr. Theaterspielpläne und Premierendaten können sich aktuell kurzfristig ändern. Premierendaten bitte an redaktion@tdz.de.

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Täglich aktuelle Premieren finden Sie unter www.theaterderzeit.de


AUTORINNEN UND AUTOREN Januar 2022 Eugenio Barba, Theaterdirektor, Holstebro, Dänemark Michael Bartsch, Theaterkritiker, Dresden Carsten Brosda, Präsident Deutscher Bühnenverein, Kultursenator, Hamburg Otto Paul Burkhardt, Theaterkritiker, Stuttgart Björn Hayer, Kritiker, Lemberg Michael Helbing, Kritiker und Redakteur, Weimar Vincent Huber, Journalist, Zürich Kirill Maksudov, Autor, Witebsk, Belarus Stephanie Metzger, Kritikerin, München Daniele Muscionico, Kritikerin, Zürich, Schweiz Tom Mustroph, freier Autor und Journalist, Berlin Klaudia Ruschkowski, Autorin, Volterra, Italien Marianne Streisand, Theaterwissenschaftlerin, Berlin Stephan Suschke, Regisseur und Autor, Berlin Holger Teschke, Schriftsteller und Regisseur, Berlin Juliane Voigt, Journalistin, Stralsund Hasko Weber, Regisseur und Intendant, Weimar Lara Wenzel, freie Autorin, Leipzig Thomas Wieck, Theaterwissenschaftler und Dramaturg, Berlin Erich Wonder, Bühnenbildner, Österreich

impressum/vorschau

/ 79 /

Vorschau Volksbühne am Rosa-Luvemburg-Platz. „Die Gewehre der Kathrin Angerer“ von René Pollesch. Foto Luna Zscharnt

/ TdZ  Januar 2022  /

IMPRESSUM Theater der Zeit – Die Zeitschrift für Theater und Politik 1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer, Harald Müller und Frank Raddatz Herausgeber Harald Müller Redaktion Thomas Irmer (V.i.S.d.P.), Elisabeth Maier Mitarbeit Lina Wölfel (Assistenz), Sybill Schulte (Korrektur) Verlagsbeirat Kathrin Tiedemann, Prof. Dr. Matthias Warstat Gestaltung Gudrun Hommers Verlag und Redaktion Theater der Zeit GmbH, Winsstraße 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-17 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44 redaktion@tdz.de / www.theaterderzeit.de Geschäftsführender Gesellschafter Paul Tischler, Berliner Allee 179, 13088 Berlin Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@tdz.de, Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@tdz.de Anzeigen Harald Müller, +49 (0) 30.44 35 28 5-20, anzeigen@tdz.de Lizenzen lizenzen@tdz.de Bildbearbeitung Holger Herschel Druck PIEREG Druckcenter Berlin, Benzstraße 12, D-12277 Berlin 77. Jahrgang. Heft Nr. 1, Januar 2022. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft: 02.12.2021 © an der Textsammlung in dieser Ausgabe: Theater der Zeit, © am Einzeltext: Autorinnen und Autoren und Theater der Zeit. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. © Fotos: Fotografinnen und Fotografen

Künstlerinsert Der Filmemacher und Kamerakünstler Jan Speckenbach hat vor mehr als zwanzig Jahren das Live-Film-­ ­ Theater von Frank Castorf miterfunden. Später arbeitete er mit Sebastian Hartmann und zuletzt René Pollesch an der Weiter­ entwicklung des Mediums auf der Bühne – und drehte eigene ­Filme. Stückabdruck Neue Texte aus dem „Stück Labor“, dem Förder­ programm für neue Schweizer Dramatik am Theater Basel. Mit Stücken von Maria Ursprung und Anne Haug sowie begleitendem Material. Das Theater an der Parkaue, Berlins Junges Staatstheater, ist mit Alexander Riemenschneider und Christina Schulz als neue ­Leitung gestartet. Im Programm dort der inzwischen etwas bedächtigere, aber deshalb nicht weniger bedeutende Aufruhr, den Schorsch Kamerun für sein erstes Kinder-Musical mit dem Titel „Was?“ anstimmt. Ob die antikapitalistische Pädagogik für junge Zuschauer zündet und was sonst noch dort blüht, darüber ein ­ausführlicher Bericht.

LESERSERVICE Bestellung abo-vertrieb@theaterderzeit.de / +49 (0) 30.44 35 28 5-12 Einzelverkaufspreis € 9,50 (Print) / € 8,50 (Digital) Jahresabonnement € 95,– (Print) / € 84,– (Digital) / € 105,00 (Digital + Print) 10 Ausgaben + 1 Arbeitsbuch 20 % Rabatt für Studierende, Rentner, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises. Preise gültig innerhalb Deutschlands und inkl. Porto und Versand. Lieferungen außerhalb Deutschlands zzgl. € 25,77. Jahrgang. Heft Nr. 1, Januar 2022. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft: 02.12.2021

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Die nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. Februar 2022.


Was macht das Theater, Salomon Bausch? Salomon Bausch, welchen Umfang hat

zierten Zugang zum Archiv verstellen.

das gerade eröffnete Pina Bausch Ar-

Auch die Bedienung der Website ist

chiv?

sehr intuitiv. Man kann nach speziellen

Es handelt sich um ungefähr 300.000

Dingen suchen, sich aber auch einfach

fotografische Objekte und etwa 9000

nur treiben lassen.

Videos.

Hinzu

kommen

Kostüme,

Bühnenbilder und Regiebücher mei­

Sie sind von Hause aus Jurist. Wie haben

ner Mutter. Das Online-Archiv umfasst

Sie die Rechtefragen gelöst – in Bezug auf

etwa 1,5 Petabyte Daten, das sind

die Urheber, aber auch, was die Benut-

1500 Terabyte.

zung der Materialien angeht und auch eine Nachnutzung im Sinne von choreo-

Beeindruckend. Im Online-Archiv sind

grafischen Rekonstruktionen der Stücke

aktuell aber lediglich 31 Videos und

auf der Bühne?

1330 Fotos zugänglich. Ist es jetzt ein

Wir haben von allen Urhebern und

Zwischenstand der Digitalisierung oder

­allen, die abgebildet sind, die Rechte

Resultat einer Auswahl?

eingeholt. Das gilt auch für die Musik.

Es handelt sich um eine Mischung aus

Aber die Rechte sind beschränkt auf

verschiedenen Faktoren. Die Digitali-

die Nutzung auf der Website. Down-

sierung der Videobänder ist fast voll-

loads sind nicht möglich, aber wir haben

ständig abgeschlossen. Das ist eine

alle Kontaktdaten der Fotografen hin-

Frage des Substanzerhalts. Aber es ist

terlegt. Einzelne Stücke haben wir mit

bei Weitem nicht alles bewertet und

anderen Compagnien einstudiert. Be-

erschlossen. Wir arbeiten mit jetzigen

reits meine Mutter hatte damit begon-

und ehemaligen Tänzer:innen zusam-

nen. Unser Hauptziel ist es, die Stücke

men und suchen aus, welche wirklich

lebendig zu halten, einerseits für das Publikum, andererseits für die Tänze-

die guten Bänder sind, die es sich zu

rinnen und Tänzer. Für sie hat es eine

lungen und technisch gute Aufzeich-

Salomon Bausch, 40, ist Sohn der Choreografin Pina Bausch und gründete 2009 die Pina Bausch Foun­ dation. Deren Hauptaufgabe ist die Erschließung des Archivs. Das ist seit Kurzem online zugänglich: www.pinabausch.org/archives Es soll vor allem dazu inspirieren, die Stücke neu auf die Bühne zu bringen.

nungen. Es ging uns auch darum, eine

Foto Andreas Fischer

Welches ist Ihr Lieblingsobjekt im Archiv?

zeigen lohnt. Nach welchen Kriterien gehen Sie da vor? Es ging um künstlerisch gute Vorstel-

große Bedeutung, diese Stücke zu tanzen, und mit den Menschen, die sie mit entwickelt haben, zusammenzuarbeiten. Da bekommen wir viel tolles Feedback.

gewisse Bandbreite an Vorstellungen

Das ändert sich immer wieder. Manch-

zu zeigen, die über die vielen Jahre

mal habe ich eine ganz tolle Erinnerung

hinweg an verschiedenen Orten mit

an etwas, aber dann ist das gar nicht

verschiedenen Besetzungen entstan-

mehr so, wie ich dachte, und ein ande-

den sind. Als Ausgangspunkt haben wir uns

Kostüme sind verlinkt. Bei den Videos werden

res Mal entdecke ich Sachen ganz neu für

drei Stücke vorgenommen: „Fritz“, das aller-

die Personen, die im Video zu sehen sind, da-

mich. Was mir immer in Erinnerung bleibt, ist

erste Stück in Wuppertal, dann „Café Müller“,

neben eingeblendet. Das Gleiche gilt für die

das Stück „1980“. Da hat der Bühnenbildner

eines der wenigen Stücke, in dem auch mei-

Szenen und teilweise auch die Musik. All das

Peter Pabst die gesamte Bühne mit Rasen

ne Mutter tanzt, und dann „Palermo, Paler-

ist verlinkt und anklickbar.

bedeckt. Dieser Geruch, wenn man in den Zuschauerraum kommt – das ist sehr beson-

mo“ von 1989. Das soll sich natürlich er­ weitern.

Für wen ist das Archiv gedacht?

ders für mich.

Es soll wirklich allen Interessierten zugängWie ist die Verlinkung der einzelnen Objekte

lich sein. Wir haben uns entschieden, auf

Jetzt nennen Sie ausgerechnet etwas, was

­untereinander?

eine gut verständliche Sprache zu setzen, um

schwer zu archivieren ist!

Darauf haben wir großen Wert gelegt. Wir be-

keine Barriere aufzubauen. Ich glaube, die

Ja, man darf sich nicht vertun! Das Archiv ist

nutzen eine recht junge, aber auch sehr ef-

Stücke meiner Mutter lassen sich sehr gut

toll. Aber es ersetzt nicht das Liveerlebnis auf

fektive Technologie: linked data. Bei Fotos

ohne Vorkenntnisse und besondere Seherfah-

der Bühne. Deshalb ist es für uns auch so

zum Beispiel sind alle abgebildeten Personen

rungen erschließen. Das ist auch ein Grund

wichtig, dieses Bühnenerlebnis immer wieder

getaggt. Man kann sich die Namen anzeigen

für den internationalen Erfolg. Die Leute

zu ermöglichen. //

lassen, daraufklicken und kommt zur Bio­

konnten etwas mitnehmen auch mit ganz un-

grafie. Das funktioniert noch nicht bei allen

terschiedlichem

Personen, aber es ist im Aufbau. Auch die

Und das wollen wir nicht durch einen kompli-

kulturellem

Hintergrund. Die Fragen stellte Tom Mustroph


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Fotos: Holger Herschel

Einar & Bert Theaterbuchhandlung Winsstraße 72 / Heinrich-Roller-Str. 21 / D-10405 Berlin Öffnungszeiten Mo – Fr 12.30 Uhr – 18.30 Uhr / Sa 11.00 – 18.00 Uhr Tram 02 – Prenzlauer Allee/Metzer Straße (250 m) Tram 04 – Am Friedrichshain (250 m) S+U Alexanderplatz (1,3 km) Unsere Onlineshops Theaterbücher: www.stagebooks.shop Allgemeines Sortiment: http://t1p.de/eundb Modernes Antiquariat: www.booklooker.de/stagebooks/Bücher/Angebote/ Danke, dass Sie in einer unabhängigen Buchhandlung einkaufen!


DIE SINNE SPIELEN


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