Theater der Zeit 06/2019

Page 1

Die Stärke der Schwachen: Gabriela Maria Schmeide / Flämischer Meister: Milo Rau am NTGent / Kunstinsert: Lars Ø Ramberg / Kolumne Ralph Hammerthaler / Was macht das Theater, Tobias Rehberger?

EUR 8,50 / CHF 10 / www.theaterderzeit.de

Juni 2019 • Heft Nr. 6

Abgründe des Alltäglichen Das Staatstheater Braunschweig


prääsentiert das pr

Foottit und Chocolat

Ab 29.06.2019 Seiltänzerstück von Carl Zuckmayer Regie Martina Eitner-Acheampong

Sagt der Walfisch zum Thunfisch Ab 23.06.2019 Kinderstück von Carsten Brandau Regie Nora Bussenius

Foto Ilja Mess

Ab 15.06.2019 Uraufführung Nach einer wahren Geschichte Zirkusspiel von Christoph Nix Regie Mark Zurmühle, Olli Hauenstein und Christoph Nix

Katharina Knie

Intendanz: Prof. Dr. Dr. Christoph Nix


editorial

/ TdZ  Juni 2019  /

M

itte Mai trat Thomas Meinecke an der Technischen Universität Braunschweig die Ricarda Huch Poetikdozentur für Gender in der literarischen Welt an. Der Münchner Schriftsteller, Theoretiker und DJ arbeitet seit seinem 1998 erschienenen Roman „Tomboy“ daran, wie er kürzlich wieder in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung erläuterte, die Position des schreibenden Mannes zu unterlaufen. Als männlich definiert Meinecke, in Anlehnung an Hélène Cixous’ in den siebziger Jahren entstandenen Begriff der écriture feminine, ein Schreiben, welches immer gleich einen Herrschaftsanspruch mit „abspritzt“. Die zum diesjährigen Theatertreffen eingeladene Inszenierung „Tartuffe oder das Schwein der Weisen“ von Claudia Bauer spritzte in diesem Sinne gewaltig mit Dominanzgebaren um sich. Eine giftige Farce auf das männlich-dominante Prinzip, dem das Berliner Festival auf realpolitischer Ebene mit „Burning Issues“, einer Konferenz zu Gender(un)gleichheit, beikommen wollte, sowie mit der teils umstrittenen Entscheidung, der Jury für zwei Jahre bei ihrer Auswahl der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen eine Regisseurinnen-Quote von fünfzig Prozent zu verordnen. Der diesjährige Alleinjuror des Martin Linzer Theaterpreises hingegen hatte keine Quote nötig: Mit dem Staatstheater Braunschweig geht der von unserer Zeitschrift traditionell im Juni verliehene Preis für herausragende künstlerische Leistung an ein Haus, das zu hundert Prozent von einer Frau geleitet wird. Dagmar Schlingmann ist seit der Spielzeit 2017/18 Generalintendantin des Fünfspartentheaters – und gewann prompt das Herz von TdZ-Redakteur Gunnar Decker. „Dagmar Schlingmann hat … eine eigene Handschrift im Umgang mit klassischen Texten der Moderne geprägt: einerseits eine Form präzis gehandhabter analytischer Skelettierung tradierter Aufführungsmuster, andererseits das Schaffen von immer vorläufigen Freiräumen für Eigenes, das im Spiel erst entsteht“, so Decker in seiner Laudatio. Wie schwer ein solches Theater zu erschaffen ist und zu welcher Leichtigkeit es z­ ugleich fähig ist, beschreibt Braunschweigs Hausregisseur Christoph Diem. Während mit Milo Rau am NTGent und Stephanie Gräve am Vorarlberger Landestheater zwei hochspannende Intendanzen ihr erstes Jahr mit großem Erfolg bestritten haben, wie Jakob Hayner und Bodo Blitz berichten, gehen zeitgleich im Sommer Intendanzen zu Ende. Mit Lars-Ole Walburg am Schauspiel Hannover, Reinhard Simon an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt, Peter Kastenmüller und Ralf Fiedler am Theater Neumarkt in Zürich und Joachim Kümmritz in Neubrandenburg / Neustrelitz und Rostock verabschieden wir fünf Intendanten, auf deren Posten im Falle von Hannover und Zürich Intendantinnen folgen. Hat die Männerdämmerung bereits begonnen? Keinesfalls. Dorte Lena Eilers, Tom Mustroph und Gunnar Decker erinnern an große künstlerische und auch politische Momente, die diese Häuser entscheidend geprägt haben. In Hannover etwa war zum Abschluss der Ära Walburg der norwegische Künstlers Lars Ø Ramberg zu Gast, der sich 2005 mit seinem riesigen Schriftzug ZWEIFEL auf dem Berliner Palast der Republik nachhaltig in die Geschichte der Stadt eingeschrieben hat. Wir haben Lars Ø Ramberg unser Künstlerinsert gewidmet, für das Hannovers Chefdramaturgin Judith Gerstenberg einen Text über das Ramberg’sche Prinzip des Zweifels verfasst hat. Oder ist der Zweifel gar ein weibliches Prinzip? Laut Thomas Meineckes Poetiktheorie könnte man es so sehen. Das weibliche Schreiben, sagt er, sei ein ozeanisches Schreiben. Es bringe nicht abgeschlossene Texte hervor, die nicht von Anfang an mit Definitionsmacht auftreten, sondern einen stattdessen im Nachdenken über die Sprache und die Person, die da gerade schreibt, mitnehmen. So ließe sich auch, auf das Spiel übertragen, die Bühnenpräsenz von Gabriela Maria Schmeide ­beschreiben. Gerade weil sie stark sei, schreibt Gunnar Decker in seinem Porträt, habe sie es nicht nötig, Härte zu zeigen. Der Opernkomponist Detlev Glanert brachte kürzlich mit seiner Oper „Oceane“ eine ähnlich faszinierende Figur auf die Bühne der Deutschen Oper Berlin. Angelehnt an eine Geschichte ­Theodor Fontanes, zeichnet er eine mystische Meerfrau, die für unseren Kolumnisten Ralph Hammerthaler jenseits der Geschlechter liegt. Mit dem Wissen einer Schamanin, schreibt er, verkörpere sie das ­Leben an sich. „Sie selbst ist das Flackern, das Verlöschen, das Flackern, immer so fort.“ // Die Redaktion

/ 1 /


/ 2 /

/ TdZ Juni 2019  /

Inhalt Juni 2019 thema martin linzer theaterpreis 2019

künstlerinsert

protagonisten

11

Gunnar Decker Laudatio zum Martin Linzer Theaterpreis 2019

14

Christoph Diem Die ungenaue Aufgabe Über die schwere Leichtigkeit des Theaters und all die Gründe zur Freude und zum Ärger, die es am Staatstheater Braunschweig gibt

10

4

Arbeiten von Lars Ø Ramberg

8

Judith Gerstenberg Im Zweifel für den Zweifel Der Künstler Lars Ø Ramberg stellt mit seinen installativen Werken Gewissheiten infrage – und öffnet so neue Denkräume

16

Jakob Hayner Flämischer Meister Milo Rau verwirklicht in seiner ersten Spielzeit als Leiter des NTGent seine Idee eines globalen Realismus

19

Bodo Blitz Radikal aufgeklärt Das Vorarlberger Landestheater im idyllischen Bregenz befindet sich unter Intendantin Stephanie Gräve im Aufbruch

22

Gunnar Decker Die Stärke der Schwachen Die Schauspielerin Gabriela Maria Schmeide zeigt auf eine unnachahmliche Weise Figuren, die ihr Schicksal annehmen, ohne zu resignieren – ein Porträt

kolumne

25

Ralph Hammerthaler Oceane Eleven Rudern hilft – der Opernkomponist Detlev Glanert

protagonisten

26

Dorte Lena Eilers Die Unbestechlichen Lars-Ole Walburg hat während seiner Intendanz am Schauspiel Hannover bewiesen, wie man eine Stadt gewinnt, ohne sich künstlerisch zu verbiegen. Ein Rückblick

29

Tom Mustroph Der Ritter der Tafelrunde Nach 29 Jahren tritt Reinhard Simon als Intendant der Uckermärkischen Bühnen Schwedt ab

30

Wir lagen mit der Stadt auf der Couch Peter Kastenmüller und Ralf Fiedler über ihre Intendanz am Theater Neumarkt in Zürich im Gespräch mit Dorte Lena Eilers

33

Gunnar Decker Bauen und Spielen Joachim Kümmritz rettete einst das Staatstheater in Schwerin – nun enden seine Intendanzen in Neubrandenburg / Neustrelitz und Rostock

34

Irma Dohn Von Afrika lernen Frank Heuel inszeniert mit „Brillante Saleté – Glänzender Dreck“ ein Rechercheprojekt über unkontrollierten Goldabbau in Burkina Faso

17

26


inhalt

/ TdZ  Juni 2019  /

look out

auftritt

36

Jakob Hayner Empfinden mit dem Auge Die Kostümbildnerin Nuria Heyck erzählt mit einer Begeisterung für Materialien und Oberflächen eigene Geschichten

37

Natalie Fingerhut Textsezierer und Schauspielerlauscher Der Regisseur Alek Niemiro zeigt am Thalia Theater Hamburg, dass Grenzgänge das Risiko wert sind

38

Bautzen „Die Orestie“ von Aischylos in der Regie von Mario Holetzeck (Michael Bartsch) Berlin „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn in der Regie von Jacob Höhne (Gunnar Decker) Chemnitz „Einsame Menschen“ von Gerhart Hauptmann in der Regie von Nina Mattenklotz (Michael Bartsch) Dresden „Eine Straße in Moskau“ (UA) nach dem Roman von Michail Ossorgin in der Regie von Sebastian Baumgarten (Michael Bartsch) Ingolstadt „Wege des Helden. Siegfried“ von Donald Berkenhoff (UA) in der Regie von Donald Berkenhoff (Sabine Leucht) Mainz „Ljod − Das Eis − Die Trilogie“ nach den Romanen von Vladimir Sorokin in der Regie von Jan-Christoph Gockel (Marcus Hladek) München „Drei Schwestern“ von Susanne Kennedy nach Anton Tschechow in der Regie von Susanne Kennedy (Sabine Leucht) Pforzheim „Fahrenheit 451“ nach dem Roman von Ray Bradbury in der Regie von Hannes Hametner (Elisabeth Maier) Vitte „Robinson Crusoe“ nach dem Roman von Daniel Defoe in der Regie von Holger Teschke (Markus Metke) Zürich „Justiz“ nach dem Roman von Friedrich Dürrenmatt in der Regie von Frank Castorf (Dominique Spirgi)

50

Waffen gegen die Idiotie Dietmar Dath über sein neues Stück „Die nötige Folter“ im Gespräch mit Jakob Hayner

52

Dietmar Dath Die nötige Folter

64

Der Repression trotzen Türkische Theatermacher überzeugen beim Heidelberger Stückemarkt mit politischen Stoffen – die neue Dramatik spiegelt die Brüchigkeit der Demokratie Theater mit Aussicht Das LOFFT bezieht neue Räume in der Leipziger Baumwollspinnerei – und feiert den langersehnten Umzug mit einem großen Eröffnungsfestival Geschichten vom Herrn H. Eine Bühne für Volksfeinde Widerständiges aus Niederbayern Juden, Muslime, Frauen: Die 2. Landshuter Sperr-Tage denken das Thema Ausgrenzung komplex weiter Wie jetzt, neu? Schreiben für eine offene Gesellschaft – Die Reihe „Gäste, Gäste – Neue deutsche Dramatik“ am Teatr Współczesny in Szczecin Die Seele im Wald Der Hörspielpreis der Kriegsblinden geht an Susann Maria Hempel Netzwerker des Welttheaters Zum Tod des Leipziger Theaterwissenschaftlers Rolf Rohmer Bücher edition schlingensief, Norbert Kentrup, Günther Weisenborn

74

Meldungen

76

Premieren im Juni 2019

78

TdZ on Tour in Stade, Berlin und Zürich

79

Autoren, Impressum, Vorschau

80

Tobias Rehberger im Gespräch mit Otto Paul Burkhardt

38

stück

magazin 64

aktuell

was macht das theater?

Titelfoto: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ in der Regie von Dagmar Schlingmann am Staatstheater Braunschweig (hier mit Cino Djavids). Foto Birgit Hupfeld / Gestaltung Gudrun Hommers

/ 3 /



Installation von Lars Ø Ramberg: „Palast des Zweifels“, Palast der Republik, Berlin 2005. Foto Studio Ramberg



Fotos Studio Ramberg / Karl-Bernd Karwasz (untere Reihe, zweites Foto von links)

Raumkonzept von Lars Ø Ramberg und Ditteke Waidelich zu „Einer von uns. Spurensuche nach dem 22. Juli 2011“ (Regie Erik Ulfsby) am Schauspiel Hannover 2019.


/ 8 /

Im Zweifel für den Zweifel Der Künstler Lars Ø Ramberg stellt mit seinen installativen Werken Gewissheiten infrage – und öffnet so neue Denkräume von Judith Gerstenberg

S

elten hat ein Kunstwerk so wirkmächtig den öffentlichen Raum verändert. 2005 hatte es für fünf Monate die Skyline Berlins neu definiert. Die Rede ist von dem drei Stockwerke hohen Schriftzug ZWEIFEL – bestehend aus einer zehn Tonnen schweren Aluminiumkonstruktion, 900 Meter handgefertigten Neonröhren, gespeist von 99 Transformatoren –, den der norwegische Künstler Lars Ø Ramberg auf den ehemaligen Palast der Republik hatte montieren lassen, auf das Aushängeschild eines Staates, der nicht mehr existierte. Das Gebäude befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Rückbau – eine Sprengung war wegen Asbests nicht möglich. Es sollte Platz schaffen für die Rekonstruktion des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Berliner Stadtschlosses. Symbolträchtiger hätte sich der Kampf um die Erinnerung, die Deutungshoheit der Geschichte und mit ihr um die Identität Deutschlands nicht zeigen können. Ramberg erkannte diese Symbolkraft, nachdem er, 1998 einer Einladung als Artist in Residence ans Künstlerhaus Bethanien folgend, seinen Wohnsitz von Oslo nach Berlin verlegt hatte.

Die erregten Debatten über den Umgang mit der jüngsten ­Geschichte, denen Ramberg auf seinen Streifzügen durch Berlin begegnete, die Diskussionen über Straßenumbenennungen, die Plädoyers für oder gegen die Beseitigung von Monumenten einer erloschenen Macht, elektrisierten ihn. Ihm wurde allmählich bewusst, dass die Streitigkeiten um den Umgang mit dem Palast der Republik, der zu diesem Zeitpunkt bereits länger leer stand, als er in Nutzung war, deutlich mehr waren als eine Debatte über ein Gebäude. Die Ruine dieses einst so visionären Baus wurde ihm Symbol der Leerstelle, die es zu füllen galt. Und das, was zu dieser Zeit vorherrschend die Diskussionen antrieb, von beiden Seiten, war der Zweifel. Der Zweifel war das vielleicht wirklich vereinigende Moment dieser beiden Deutschlands, die nach einer neuen gemeinsamen Identität suchten. Und so ist der „Palast des Zweifels“ als Tribut an ein Land entstanden, das es geschafft hat, den Zweifel als Basis seiner Demokratie zu begreifen, das aus der Selbstkritik beider Systeme ein neues Selbstbewusstsein entwickelte – und Eine Gedankenkathedrale, die nach Kiefernholz duftet – Für „Einer von uns“, ein Recherchestück über die Folgen des Amoklaufs von Anders Breivik auf Utøya, entwarf Lars Ø Ramberg zusammen mit Ditteke Waidelich das Raumkonzept. Foto Karl-Bernd Karwasz


/ TdZ  Juni 2019  /

dieses nach zwei Diktaturen. Eine Demutsgeste, die Ramberg beeindruckte. ZWEIFEL – dieses zur Skulptur gewordene Wort, das in den Berliner Nachthimmel strahlte, las sich fortan als neuer Name dieses umkämpften Baus. Er gab dem Ort eine neue Identität, die der Debatte selbst, der demokratischen Prozesse. Ramberg hatte diesem historischen Moment, in dem die Geschichte wie angehalten schien, in dem eine Bevölkerung darüber diskutierte, wie ihr Weg in die Zukunft aussehen könnte, eine Gestalt geben wollen. Der „Palast des Zweifels“ war nicht gedacht, wie von manchen missverstanden, als ein sentimentales Statement zum Verlust der DDR, sondern als Denkmal, das der Übergangszeit einen Ort gibt, an den sich Erzählungen heften können, als Denkmal, das die vertikale Schichtung der sich immer wieder neu überschreibenden historischen Wahrheiten sichtbar macht. Und so setzte der Künstler das konzeptionelle Spiel mit Namen, das er vorfand, einfach fort. Schon der „Palast der Republik“ war ein etymologisches Echo auf jenes Schloss, das an diesem Platz einst stand. Ein ironisches womöglich, war es doch ein Zusammenzwingen von Begriffen aus sich widersprechenden Welten. Der „Palast des Zweifels“ hat dieses Spiel weitergedacht. Nun ist auch er abgebaut. Das neue alte Schloss steht an seiner Stelle. Doch der Zweifel bleibt. Im Kopf, aber tatsächlich auch im physischen Sinne. Zur Eröffnung des Humboldt Forums im neu errichteten Berliner Schloss erbat man sich den ZWEIFEL-Schriftzug zurück, um den Gegenwind gegen so manche umstrittene Entscheidung wie das Kreuz auf der Kuppel abzuschwächen. Dieser neue Kontext hätte die Bedeutung jenes ZWEIFELs jedoch verschoben, eingemeindet in einen problematischen Horizont. Ramberg hat dennoch diesen Wunsch als Herausforderung angenommen. Er versteht sich in Analogie zum Konzeptkünstler als Kontextkünstler, als einer, dessen Ideen sich aus den Fragestellungen ergeben, die ihm die Gesellschaft bereitstellt. So erbat er sich auch Bedenkzeit, um seinen ZWEIFEL einem Zweifel unterziehen zu können. Auf den veränderten Kontext würde er am liebsten mit einem weiteren Sprachspiel reagieren und die Adresse des Humboldt Forums von Schlossplatz 1 in Platz der Zweifel ändern. Eingefangen wäre in dieser Namensgebung eine weitere Zeit- und Bedeutungsschicht, die die Vergangenheit und Komplexität der Auseinandersetzungen nicht verleugnet, sondern präsent hält. Noch ist das Projekt in der Entwicklungsphase. Doch Ramberg ist dafür bekannt, dass er seine Ideen obsessiv verfolgt. Auch der „Palast des Zweifels“ hatte eine sechsjährige, von vielen Rückschlägen geprägte Entstehungszeit. Dabei ist der Zweifel nicht nur Titel von Rambergs vielleicht bekanntestem Kunstwerk, sondern seine künstlerische Strategie. Ihn nutzt er, um sich vorurteilsfreie Denkräume zu öffnen, eine ganze Gedankenkathedrale um sich herum zu bauen, Distanzen zu schaffen zu den sich reflexhaft einstellenden Meinungen. Er schätzt den Zweifel als antiautoritäres Prinzip. Denn der Zweifel zieht sich stets auch selbst in Zweifel. Der Zweifel stand auch am Anfang von Rambergs Laufbahn, als er als Student der bildenden Künste einsam in seinem Atelier stand und ihn die Frage bedrängte: Was kann die Kunst? Was ist Kunst? Kunst – so darf man seine Antwort vermuten – ist für ihn zuallererst ein Angebot zur Kommunikation, ein Werkzeug, vermeintliche Gewissheiten infrage zu stellen, die Aufforderung, durch eine Irritation innezuhalten, sich dem Nicht-Verstehen zu überlassen und – zu zweifeln. Ram-

lars ø ramberg

bergs Kunst braucht daher den öffentlichen Raum, erst in der Interaktion mit dem Betrachter vollendet sie sich, sie ist zeit- und ortsgebunden, spielt mit dem kollektiven Gedächtnis und stört es. Es sind Inszenierungen und Provokationen von Denkprozessen, nie etwas Abgeschlossenes. Dass Lars Ø Ramberg neuerdings auch im Theaterzusammenhang auftaucht, ist folgerichtig, sind seine Installationen doch immer auch Inszenierungen des öffentlichen Raums, einer spezifischen historischen Situation, von eindrücklicher, optischer Klarheit, kondensiert in klaren Zeichen. Gemeinsam mit Ditteke Waidelich entwarf er jüngst das Raumkonzept zu Erik Ulfsbys ­Inszenierung „Einer von uns. Spurensuche nach dem 22. Juli 2011“, einer Koproduktion des Schauspiels Hannover mit Det Norske Teatret Oslo. Der Abend versucht sich den Folgen jener monströsen Tat des Norwegers Anders Behring Breivik anzu­ nähern, der in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen ermordete, vornehmlich Jugendliche, die sich in einem Jugendlager in der demokratischen Debatte übten. Seine Tat hatte er mit einem 1500 Seiten langen Internetmanifest flankiert, das alle emanzipatorischen Werte liberaler Gesellschaften verteufelte. Die beiden Künstler entwarfen für dieses Rechercheprojekt die interaktive Skulptur „469 Loudspeakers“. 469 Kinder überlebten dieses Attentat. 469 Kisten, herrlich nach Kiefernholz duftend, ver­ mischt mit dem Geruch von frisch gebackenen Waffeln. 469 kleine Bühnen, 469 Speakers’ Corners. Last Dying Speeches auch, denn dieser Anlass stand einst hinter der Speakers’-Corner-Idee: die letzte Rede zum Tode Verurteilter. Für die vielen Fragen, die der Stoff aufwirft – ob man diesen Terrorakt zum Gegenstand eines Theaterabends machen darf, ob es möglich ist, zu gedenken, ohne dem Täter zu huldigen, ob man nach Erklärungen suchen darf, die diese Tat rational nachvollziehbar machen, oder ob es sich bei ihr nicht letztlich um die grausame Zurschaustellung der gegenwärtigen Krise Europas handelt –, schafft die begehbare und zur Aktion provozierende Installation Raum und leistet zugleich Widerstand gegen den totalitären Akt dieses Attentats, das die öffentliche Rede unterbrechen, ja abbrechen wollte, das das Terrain der gesellschaftlichen Auseinandersetzung von jeder verhandelbaren Ebene hatte ablösen wollen. Das Umwuchten der Kisten erfordert körperlichen Einsatz. Es ist schweißtreibend. Und doch liegt in dieser provozierten Aktion ein großer Ernst, offenbart diese Anstrengung uns Anwesenden doch die temporäre, fragile Sinnkonstruktion unserer Lebens­ zusammenhänge als sich stetig neu formulierende Inszenierung. //

Lars Ø Ramberg wurde 1964 in Oslo geboren. 1998 kam er als Stipendiat des Künstlerhauses Bethanien nach Berlin, wo er seitdem lebt. Als ­bildender Künstler wurde er mit seinen Werken zu zahlreichen Biennalen weltweit eingeladen. Seine Installationen sorgen oftmals für öffentliche Kon­ troversen – wie 2005 beim „Palast des Zweifels“ in Berlin. In dieser Spielzeit arbeitete er am Schauspiel Hannover. Für die Inszenierung „Einer von uns. Spurensuche nach dem 22. Juli 2011“ (Regie Erik Ulfsby) entwarf er gemeinsam mit Ditteke Waidelich Kostüme und Bühne. Foto Tom A. Kolstad

/ 9 /


/ 10 /

/ TdZ Juni 2019  /

Martin Linzer Theaterpreis 2019 T

heater der Zeit vergibt jedes Jahr im Juni einen Theaterpreis. Er ist Martin Linzer gewidmet, der gemeinsam mit Herbert Ihering, als dessen Schüler er sich begriff, einer dezidiert linken Theaterkritik im 20. Jahrhundert den Weg ebnete und bis ins beginnende 21. Jahrhundert unverwechselbar ausschritt: haltungsstark, beobachtungsscharf und stil­ sicher. Martin Linzer, der 2014 verstarb, hinter­ ließ eine noch heute klaffende Lücke, für uns wie für das Theater, das er liebte, ohne sich ihm aufzudrängen. Präsent ohne Attitüde, schrieb er mit intellektueller Wachheit und Noblesse seine Theaterkritiken, oft an den Hauptstraßen des Theaterbetriebs vorbei im vermeintlich Kleinen das Große entdeckend. Er tat das 57 Jahre lang für unsere Zeitschrift. So ehren wir ihn und danken ihm, indem wir uns auf seine Spur begeben. Mit Vernunft und ohne Besserwisserei, aber mit deut­ lichem Bezug aufs Wirkliche. Dieses zu ­suchen soll der Anspruch des Preises sein, den wir, gemäß dem Votum eines jährlich wechselnden Alleinjurors von Theater der Zeit, jeweils einem Ensemble beziehungs­ weise einer freien Gruppe zuerkennen wollen, dabei einen weiten Theaterbegriff ausschreitend. //


/ TdZ  Juni 2019  /

/ 11 /

ie Kapriolen, die die Geschichte vor unseren Augen schlägt, in ein Verstand und Gefühl des Zuschauers erhellendes Spiel zu bringen, ohne vergessen zu machen, dass es sich um Kapriolen handelt, darin besteht die Kunst. Eine Kunst, die das Staatstheater Braunschweig auf eine so besondere Weise beherrscht, dass es ­dafür den von der Zeitschrift Theater der Zeit vergebenen Martin Linzer Theaterpreis erhält! Es gab Zeiten, da kam man wegen Wilhelm Raabe nach Braunschweig – sogar Hermann Hesse kam wegen ihm im Jahre 1909 hierher, den bewunderten Greis zu treffen. Darüber hat er 1933 den überaus lesenswerten Text „Besuch bei Wilhelm Raabe“ geschrieben. Hesse hatte ein drängendes Anliegen: Er wollte vor allem über den von ihm hochverehrten Eduard Mörike mit dem fast achtzigjährigen Raabe sprechen – und dieser schildert ihm dann auch den Dichter aus seinen Begegnungen heraus in allen Farben als überaus unangenehmen Menschen, dessen pfäffische Natur ihm zutiefst unsympathisch gewesen sei. Hesse schreibt das treulich auf. In einem verspäteten Nachtrag zu seinem Bericht allerdings notiert er dann irritiert, es stünde zweifelsfrei fest, dass Raabe Mörike nie getroffen habe. Da ist der Autor mit seiner ­Bewunderung am falschen Platz dem Eulenspiegel Raabe auf den Leim gegangen – und braucht mehr als ein Vierteljahrhundert, es überhaupt zu bemerken. Also, Vorsicht mit Schwärmereien, ­deren Adressat nicht das direkte Gegenüber ist! Dabei hätte der Raabe-Leser durchaus gewarnt sein können. In seinem Erstling, der „Chronik der Sperlingsgasse“ von 1856, maskiert sich der 25-jährige Jungdichter als weiser Greis, der konstatiert: „Verkehrt auf dem grauen Esel ‚Zeit‘ sitzend, reitet die Menschheit ihrem Ziele zu.“ Wahrlich ein geradezu Brecht’scher Gedanke – und da vollziehen wir, ohne den Braunschweiger Genius Raabe darum zurücklassen zu wollen, den Sprung in die Gegenwart des Staatstheaters Braunschweig unter seiner Intendantin Dagmar Schlingmann. Hier entstehen Räume mit lauter Handicaps. Das ist erkenntnisfördernd, denn es vermindert die Illusionen über die Wägbarkeiten dessen, was wir Fortschritt nennen. Theater der Zeit, seit 1946 erscheinend, das darf man bei dieser Gelegenheit vielleicht einmal erwähnen, war jahrzehntelang die prägende ostdeutsche Theaterzeitschrift. In den Turbulenzen der Nachwendezeit drohte sie zu verschwinden, wurde dann 1993 in der heutigen Form neu gegründet, eben unter maßgeblicher Beteiligung von Martin Linzer, der sein ganzes Berufsleben bis zu seinem Tod 2014 als Chefredakteur, Kritiker und Kolumnist ausschließlich für diese Zeitschrift geschrieben hat – ein beharrender Geist, dem es darum nicht an Beweglichkeit und Witz fehlte. Auch er war eine jener glücklichen Wilhelm-Raabe-Figuren, zu denen die Deutschen immer wieder fähig sind. Ich selbst kam 1991 das erste Mal nach Braunschweig, über Wolfenbüttel, wohin ich, damals Doktorand des Instituts für Philosophie der Berliner Humboldt-Universität, an die dortige Bibliothek, die mit Lessing so eng verbunden ist, geradezu emigrierte. Denn an den ostdeutschen Universitäten begann gerade die Invasion jener verspäteten westelbischen Privatdozenten, die sich nun, ohne falsche Rücksichten zu nehmen, auf die von ihnen handstreichartig eroberten Professu­ ren stürzten – ich war jung, fühlte mich soeben noch revolutionär

„Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ in der Regie von Dagmar Schlingmann. Foto Birgit Hupfeld

D


/ 12 /

thema

/ TdZ Juni 2019  /

Theater verirrte Krähe und fand in letzter Sekunde einen Weg ins selbstbefreit und sah mich plötzlich wieder rückwärts auf dem Freie. Ich hätte es wissen können, denn auf dem offenbar ausran„grauen Esel ‚Zeit‘“ sitzend. Da bekam ich rettenderweise das gierten Rettungswagen entdeckte ich nun beim genaueren Hin­ Günther-Findel-Stipendium für die Lessing-Bibliothek, dessen sehen seine neue Bestimmung: „Tierrettung“. Das Absurde, in Stifter mit der Wolfenbütteler Jägermeister-Likörfabrik verbandelt dem der Ernst der Geschichte überwintert, blieb anwesend, als wir war – und fühlte mich nun wie ein Felix Krull, gerettet und leicht uns in Schlingmanns Büro zum Gespräch setzten: Ein Glas Wasser benebelt. fiel zu Boden, die Scherben flogen ziemlich weit. „Ach“, sagte die Braunschweig mochte ich gleich, eben weil hier nichts so Intendantin, „darum kümmern wir uns jetzt nicht, das hat Zeit heil war, wie das Klischee des siegreichen Westens vermuten ließ – bis morgen.“ Eigentlich wusste ich jetzt bereits alles über den Raabes winklige Gassen und windschiefe Häuser waren zerstört, ­neuen Geist, der hier am Hause umging: die Stadt war voller Brüche und Wunden, Scherben stören nicht, selber schuld, wer da die erst der Krieg und dann die überhasteten reintritt. Aber da ist wohl noch mehr: eine architektonischen Modernisierungsschübe Staatstheater echte Sympathie für Bruchstücke, auch der Wirtschaftswunderzeit hinterlassen hatscharfkantige. ten. Nur das Theater lag – und liegt – wie Braunschweig: Aus dem gleichen Geist entsprang eine Insel in einem unruhigen Meer der auch Dagmar Schlingmanns zweite bemerZeit da, sich seiner eigenen WirkmächtigOszillierender Klarblick keit jederzeit bewusst, ein stolzer Bau inmitkenswerte Braunschweiger Inszenierung, zwischen Traum und Bertolt Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg ten all der eilfertigen Funktionalitäten. Als ich vor anderthalb Jahren wieder hierherdes Arturo Ui“, in der eine ganze VerbreRealität kam, um über den Beginn der Intendanz cherbande sich fatal erfolgreich bemüht, von Dagmar Schlingmann am Staatstheater seriös zu wirken. Eine medial konditionierte Braunschweig zu schreiben, und mir die Konstellation, in der das Verbrechen sich ersten neuen Inszenierungen hier anschauansehnlich und unterhaltsam gibt: Cino te, darunter „Haus der gebrochenen Herzen“ (ich ziehe allerdings Djavids Arturo Ui braucht das Reden nicht erst zu lernen – wie es den Titel „Haus Herzenstod“ vor) von Bernard Shaw, da traf der Martin Wuttke in Heiner Müllers gelegentlich immer noch absurde Grundgestus der Inszenierung einen Nerv in mir, die ­laufender Inszenierung von 1995 am Berliner Ensemble lallend, Sicht auf Geschichte betreffend. kreischend, schreiend tat. Nein, dieser Ui redet schnell und rou­ Schlingmanns Inszenierung vom „Haus der gebrochenen tiniert wie ein Verkäufer, der keinen Widerspruch duldet. Dieser Herzen“, das Shaw eine „Fantasie englischer Themen nach russiÜberfall kommt auf samtenen Pfoten. Und die letzten renitenten Nein-Sager werden liquidiert in der schönen neuen Warenwelt scher Manier“ nannte, bezauberte sofort durch das endzeitliche Bühnenbild von Sabine Mader: ein Schiffswrack, längst auf dem des unaufhaltsam verfaulenden Karfiols. Dagmar Schlingmann hat in den beiden Spielzeiten, die sie Meeresgrund liegend. In seinem Bauch aber sind die Gespenster höchst lebendig. Ein Totentanz des alten Europa am Vorabend des dieses Haus leitet, bereits eine eigene Handschrift im Umgang mit klassischen Texten der Moderne geprägt: einerseits eine Form präzis Ersten Weltkriegs. In diesem von der Zeit zum Torso zernagten englischen Oberschichtensalon treffen sich Leute, die nicht mehr gehandhabter analytischer Skelettierung tradierter Aufführungsmuster, andererseits das Schaffen von immer vorläufigen Freiräuals die Tatsache verbindet, dass sie sich gegenseitig ungeheuer auf die Nerven gehen. Eine „zornige Komödie“, so Shaw, eine, die men für Eigenes, das im Spiel erst entsteht. Ein überaus anspruchsvolles Konzept, das das Theater für den Zuschauer zu einem man mit der dazugehörigen Bitterkeit spielen können muss – und Abenteuer macht, seine geschärften Sinne wie seinen Verstand siehe, sie konnten es, von Saskia Taeger als Kellnerin mit Machtkomplexen bis zu Larissa Semke, die in höchster Quietschtonlage gleichermaßen fordert. Ein differenzierender Blick auf Hintergrünihr virtuoses Talent als Nervensäge unter Beweis stellte. So erde von Geschichte wie in Christoph Diems Inszenierung von Iwan Wyrypajews „Iran-Konferenz“ oder der ebenso kritische wie visioforscht das Staatstheater Braunschweig immer wieder die Gesetze und Gesetzlosigkeiten von Geschichte auf eine besondere Weise näre Ausblick auf die Grundfragen der Mobilität vor dem Hintergrund von Braunschweigs Nähe zu VW in Wolfsburg in Nina im Zusammenklang von dokumentarischen und grotesken SpielGühlstorffs Inszenierung von „Autoland“ oder auch die ­philo­sophische elementen. Dabei ersteht ein überraschendes Kaleidoskop der Wandlungen, dessen Ausdrucksstärke fasziniert. Annäherung an Walter Benjamin in Christian Frankes Projekt „Ein Engel der Geschichte“ gehören zu diesem Kaleidoskop. Ebenso Doch die Groteske begann schon, als ich das Haus über den Bühneneingang zum verabredeten Treffen mit Dagmar SchlingKlaus Gehres Rückübersetzungen von Filmklassikern wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder „Dirty Dancing“ in unmittelbare Spielmann betrat. Man hatte gerade keine Augen und Ohren für mich, denn soeben war hier ein Rettungseinsatz beendet worden. Vor situationen, teils wieder durch Puppenspiel- und selbstgefertigte Filmelemente verfremdet. Idole der Massenkultur werden hierbei dem Bühneneingang stand eine Ambulanz. Mir entgegen kam ein Sanitäter mit Apathie im Gesicht und seltsamerweise einer Art auf unerwartete Weise bis zur Kenntlichkeit bloßgestellt. Wahrlich ein Blick ins Aquarium, so der beziehungsreiche Schmetterlingsnetz in der Hand. Wieder jemand nicht gerettet? Eine Szenerie wie bei Tschechow. Da kommen die Landärzte zuName der kleinsten Spielstätte des Hauses! Bewegung in Zeitlupe macht die Funktionsweise von Bildern in der Mediengesellschaft erst verlässig zu spät, aber retten kann man bekanntlich ohnehin niemanden. Oder doch? Rette dich selbst, dachte offenbar eine im transparent. Aber ebenso ihre plötzlich auftauchende – oft hoch­


/ 13 /

beschleunigte – Traumdimension (das schließt die Albträume immer mit ein), auf jenes Unabgegoltene in der Geschichte zielend, das wir nie endgültig hinter uns lassen können. Dazu gehört auch ein utopisches Element oder wie bei Walter Benjamin intendiert: die Befreiung des an Zukunft in der Vergangenheit voreilig Begrabenen. Woher kommt bei Dagmar Schlingmann dieser ebenso klug analytische wie fantastisch überformende Spielwitz? Natürlich ist es vor allem ihr eigener, aber es ist wohl nicht falsch, auf ihre Regieanfänge in Bochum zu verweisen, wo das einst von Benno Besson an der Ostberliner Volksbühne geförderte Regie-Duo Manfred Karge und Matthias Langhoff den Theaterbegriff des Ostens im Westen etablierte. Das waren vor allem aufklärend verfremdete Spektakel! Auch der großartige Dimiter Gotscheff, als Sohn eines bulgarischen Tierarztes in der DDR aufgewachsen, fand sich dort ein, etwa um Heiner Müllers „Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten“ zu inszenieren. Was um Himmels willen ist eine Landschaft mit Argonauten?, fragte sich die Jungregisseurin ebenso ängstlich wie zunehmend begeistert von dieser Art Sicht auf die Geschichte. Inzwischen kennt sie die Besatzung der Argo auf der Jagd nach dem Goldenen Vlies natürlich, die Urszene aller Gier – aber eben immer nur vorläufig, bis zur nächsten Inszenierung, die so etwas von einer Expedition ins Ungewisse, ins Herz jener Finsternis hat, die die Geschichte ist: Schlachthaus, Wartesaal, Verheißung, Jahrmarkt und Sackgasse zugleich. Und zu lernen wäre nur aus den Zeugnissen derer, die wieder nicht das große Los gezogen haben. Womit wir wieder bei Wilhelm Raabe in Braunschweig angelangt sind. Ein guter Gefährte im Geist für das Braunschweiger Theater von heute, über die wechselnden Zeiten hinweg, einer mit

Das Leitungsteam des Staatstheaters Braunschweig – v.l.n.r. Claudia Lowin, Christoph Diem, Jörg Wesemüller, Stefan Mehrens, Dagmar Schlingmann, Srba Dinić, Isabel Ostermann, Gregor Zöllig und Martin Weller. Foto Thomas M. Jauk

Sinn für die Abgründe im Alltäglichen, die sich gern als Idyllen maskieren. Welch ein mutiges Unterfangen, das seinen bitteren Ernst immer wieder in Spiel verwandelt. Das ist nur machbar mit einem hoch motivierten, zu virtuosen Höhenflügen wie ironischem Understatement gleichermaßen fähigen Ensemble, von erfahrenen Spielern wie Gertrud Kohl bis zu jungen vielversprechenden wie Johannes Kienast. Eine Art magischer Realismus entsteht hier, der ebenso gewichtig wie federleicht auftritt. An einen guten Schluss gehört ein Zitat von Wilhelm Raabe: „Ich bin in meinem Leben da angelangt, wo, wie in jedem Übergang von Wachen zum Schlaf, die Erlebnisse des Tages sich noch dumpf im Gehirn des Müden kreuzen, wo aber bereits die dunkle, traum- und geistervolle Nacht über alles, Gutes und Böses, ihren Schleier breitet.“ So ist es zweifellos – und dabei dennoch einen zwischen Tag und Nacht, Traum und Realität oszillierenden Klarblick zu behalten, das wünsche ich dem Staatstheater Braunschweig auch künftig. // Laudatio von Gunnar Decker Juror Martin Linzer Theaterpreis 2019

Die Preisverleihung findet am 4. Juni im Staatstheater Braunschweig statt. Den Preis gestaltet in diesem Jahr der Bühnenbildner, Installationskünstler und Performer Joachim Hamster Damm.


/ 14 /

/ TdZ Juni 2019  /

von Christoph Diem

I

Die ungenaue Aufgabe Über die schwere Leichtigkeit des Theaters und all die Gründe zur Freude und zum Ärger, die es am Staatstheater Braunschweig gibt

ch freue mich. Wir freuen uns. Über den Martin Linzer Thea­ terpreis. Über unsere Arbeit freuen wir uns. Wir freuen uns am Privileg. Über eine Aufgabe. Über eine Aufgabe, die so schön ungenau gestellt ist. Wir freuen uns darüber, dass wir glauben sollen, scheitern zu dürfen. Und über unser Programm freuen wir uns. Wir freuen uns, dass das Programm am Staatstheater Braun­ schweig funktioniert und von Theater der Zeit bepreist wird. Und über unser Ensemble. Wir freuen uns darüber, dass wir eines haben, und darüber, dass wir ganz genau dieses haben. Dass diese fabelhaften schauspielenden Menschen unsere Besetzungsfantasien beanspruchen, unterlaufen und dehnen. Wir freuen uns an uns. Und wir freuen uns, dass wir die meisten Fehler nicht zu oft machen. Wir erfreuen uns daran, dass unser Publikum wandelt. Wir freuen uns, dass unser Publikum sich wandelt. Wir freuen uns, dass es noch da ist. Und dass es wiederkommt. Wir freuen uns, dass es unbestechlich hinsieht. Und dass es manchmal doch sehr berechenbar ist. Wir freuen uns, dass unser Publikum immer öfter „wir“ sagt, und „unser“. Wir freuen uns an unseren dramaturgischen programmatischen Schnittmengen, an gemeinsamen NoGos. Dass wir über manche theatrale Erscheinungsformen erst gar nicht reden müssen. Und wir freuen uns an den Überraschungen, die außerhalb der Schnittmengen und weit diesseits der No-Gos lauern. Wir freuen uns an unserem Gemischtwarenladen. Wir vermissen keine sicheren Nummern. Vor allem, weil keine Produktion das wird, was wir von ihr erwartet, was wir uns versprochen, was wir befürchtet hatten. So sind wir nicht, und das wollen wir nicht. Wir freuen uns, wenn es doch einmal klappt. Und wir freuen uns, wenn es einmal nicht ganz so verheerend umständlich und zerrüttend war. Wir freuen uns, wenn wir dieses eine Mal den Diskurs auf der Höhe des Diskurses geführt haben. Und wir freuen uns, wenn es zwar Schulstoff war, aber trotzdem super. Und wenn es kein Schulstoff war und trotzdem voll, dann freuen wir uns. Wir freuen uns, wenn die Schauspieler*innen rufen: Wir dürfen das Stück noch nicht absetzen, es ist wichtig! Und voll ist es auch! Aber dann wird es doch abgesetzt, weil so viel neue Kunst von so vielen Sparten auf so wenig Bühne drängt. Das freut uns, denn andersherum wäre es doch schrecklich. Und über den Genderstern fünf Zeilen weiter oben freue ich mich, und darüber, dass hier überall Frauen leiten: das Große & Ganze, das Schauspiel (zusammen mit mir), aber zum Beispiel auch die Oper, die Technik im Kleinen Haus, die Werkstätten. Und darüber, dass wir ab der nächsten Saison für zwei gehende Männer zwei kommende Frauen ins Ensemble gebeten haben. Wir freuen uns über den Einsatz von Musikinstrumenten, auch wenn das bezahlte Theater in all den Jahrhunderten noch niemanden ersonnen hat, der für Musikinstrumente im Schauspiel verantwortlich zu machen wäre.

Und wenn wir uns selber und uns gegenseitig die Haare vom Kopf gerupft haben, dann gehen wir auf die Probe – „Machtspiele“ (hier mit Saskia Petzold in „Der Tribun“) sowie „Die Nashörner“ (rechts) von Ionesco in der Regie von Christoph Diem. Fotos Thomas M. Jauk


martin linzer theaterpreis

/ TdZ  Juni 2019  /

Wir freuen uns, dass wir es auch ohne D/A-Interfaces und vernünftige Zuspielsoftware hinkriegen müssen, denn schließlich ist Theater eine analoge Kunst. Und wir freuen uns auf Vorsprechen. Und wir freuen uns auf die HP2. Immer. Und dass wir manche neue Stücke nicht zu Ende lesen müssen. Und wenn wir eines zunehmend fokussiert und bis zum Ende gelesen haben, dann freuen wir uns, weil wir dann wirklich etwas gefunden haben. Wir freuen uns, wenn wir trotz eigener Welten und dezentraler Budgetierung doch einmal mit den Freunden von der Oper oder vom Tanz kooperieren können, obwohl das wirklich sehr kompliziert ist, wofür aber keiner etwas kann. Wir freuen uns an den Schauspielerporträts im Jahresheft. Wir freuen uns an un­ serer eigenen Unzufriedenheit, und wir freuen uns, dass wir mit uns zufrieden sind. Was wir nicht sind. Aber trotzdem können wir uns doch mal freuen. Natürlich ärgern wir uns auch manchmal. Wenn die Kunden „Lauter!“ rufen, die Kritik „Seelenlos!“ und die Schauspieler: „Feige!“. Und dass oft so viel Bürokratie im Vorfeld und manch­ mal sogar auf der Bühne im Spiel ist. Dass wir jeden Euro ein Jahr vorher verteilen müssen, weg ist dann weg. Und Spielräume sind so etwas von 20. Jahrhundert. Und wir ärgern uns, dass die Hubpodienhydraulik leckt und dass die Zuluft kalt aus den Sitzen bläst. Dass die Kantine wieder geschlossen ist. Und dass die Schauspieler sich immer darüber ärgern, dass die Kantine zu ist, als ob es keine besseren Probleme gäbe. Immer nur Dispo und Gastro! Es ärgert uns, dass wir beharrlich und zuverlässig immer noch nicht wissen, warum es sich immer mal wieder gar nicht so fluffig und vorwärts windet durchs Organigramm. Das liegt doch nicht an der Landschaft. Wir ärgern uns darüber, dass manchmal die Demut nachlässt. Wenn wir Kennedy nachplappern: Frage dich einmal nicht, was das Theater für dich tun kann, frage dich, was du für das Theater tun kannst. Das ärgert uns. Und dass alles teurer wird – das Geld aber nicht mehr. Bloß der Brandschutz, der wird mehr. Alles mindestens B1. Die Stücke auch B1. Dass die Tarifsteigerungen mitgegangen werden, das freut uns natürlich, aber dass die Gagen für die Selbständigen seit einem Vierteljahrhundert die gleichen sind, weshalb Regie heute oft genug prekär ist, von Bühnenbild zu schweigen, das ärgert uns dann wieder. Und Kostüm. Ja, Kostüm. Wir ärgern uns darüber, dass der Beruf des Regisseurs außerhalb des Theaters vor allem verstanden wird als ein Leuteschinder und Textehasser. Und dass keiner wirklich weiß, was Dramaturgen alles tun. Wir ärgern uns, dass wir uns wirklich Mühe geben, ein moderner Arbeitsplatz zu werden, was wirklich viel Kraft kostet, und dass das wirklich fast niemanden da draußen interessiert. Und dass die Kunst auch im Theater nicht frei ist, sondern beargwöhnt (auch von den Guten). Uns ärgert, wenn wir uns rechtfertigen müssen. Und die ganze Humorlosigkeit und unser ewiges Gejammer, dass das Geld fehlt, und der Zynismus und die Bedenken und das Bescheidwissen ­allenthalben – und vor allem das süffisante Lächeln, das ärgert uns vor allem. Und dass wir immerzu warten müssen. Leichtfertigkeit ärgert uns, und der systemische und eklatante Mangel an Leichtfertigkeit. Denn schließlich geht es auch um Relevanz, ums Ikonische, ums Ganze. Um Wachsamkeit und Wirksamkeit. Thea­terdeutschland. Aber eben auch um Lässiges, Freihändiges. Dabei haben wir eben erst zu lesen bekommen, dass es nach der

Migration jetzt hauptsächlich um Media geht, um Immersion. Und um Kultur im ländlichen Raum. Und wenn wir uns mal wieder sehr geärgert haben, besonders händeringend über uns selber, wenn wir uns selber und uns gegenseitig die Haare vom Kopf gerupft haben, wenn wir uns selbst hinreichend leidgetan haben, dann gehen wir auf die Probe, auf Montage, und da freuen wir uns. Und ignorieren die ganzen Verhältnisse und Voraussetzungen und Vorgaben und Missverständ­ nisse und das Beleidigtsein und vor allem die Verpflichtungen und die Erwartungen und die ganze normative Kraft des Faktischen und die Angst vor allem Möglichen, und auch dass unsere Gäste Angst vor allem Möglichen haben, vor den Nackten und dem Durcheinandersprechen, vor allem vor der Elektromobilität, und die, die uns das schöne Geld zum Verspielen geben, die haben auch Angst vor der Zeitung und den Wählern, aber das ignorieren wir so sehr, wie wir eben können. Und darüber dürfen wir uns jetzt mal freuen, dass wir das können, dass wir das sollen, dass das sogar ein guter Teil der wunderbar unklar gestellten Aufgabe ist: Ignoriere es. Sei Ignorant. Und dafür haben wir jetzt den Martin Linzer Theaterpreis bekommen. Das freut uns. Das freut mich. // Christoph Diem ist Hausregisseur am Staatstheater Braunschweig.

gift 4 x jährlich

zeitschrift für freies theater

www.freietheater.at

/ 15 /


/ 16 /

Flämischer Meister Milo Rau verwirklicht in seiner ersten Spielzeit als Leiter des NTGent seine Idee eines globalen Realismus

von Jakob Hayner

A

uf dem zentralen Platz im flämischen Gent, dem SintBaafsplein, blickt man, den hochaufragenden Stadtturm mit dem Drachen auf der Spitze und der sich daran anschließenden Tuchhalle im Rücken, auf die Sint-Baafskathedraal. In dieser prächtigen Kirche, ein sich gen Himmel reckender gotischer Bau mit barockem Chor und einer verspielten Rokoko-Kanzel, befindet sich der Genter Altar, geschaffen von den Gebrüdern van Eyck, vollendet im Jahre 1432. Im Mittelteil des Flügelaltars sieht man ein Lamm, auf einem Altar stehend, das Symbol des Opfers des Gottessohns, das Gläubige aus allen Himmelsrichtungen anzieht.

Rechts und links sind auf dunklem Grund und unbekleidet Adam und Eva zu sehen. Der Realismus der Darstellung verweist auf eine Säkularisierung des Heilsgeschehens, eine Ansicht, die das aufgeklärte und wohlhabende Handelsbürgertum der Stadt zu befördern gedachte. Gent war im Mittelalter eine der größten und reichsten Städte Europas. Das durch Wollhandel reich gewordene Bürgertum lehnte sich einst gegen den Adel Flanderns auf und suchte Anschluss an Frankreich, weswegen man noch heute in den höheren Kreisen der Stadt bevorzugt Französisch statt Niederländisch spricht. Später war Gent ein Zentrum der Industrialisierung und der Arbeiterbewegung, während es heute vor allem Wissenschaft und Künste beheimatet, über 70 000 Studenten sind an der Universität eingeschrieben. In Sachen Kultur kann Gent noch immer beanspruchen, eine Metropole zu sein.


/ TdZ  Juni 2019  /

Auf dem Platz befindet sich neben der Kathedrale das Nederlands Toneel Gent, 1968 zum Nationaltheater ernannt. Der wie ein gesprühtes Graffito aussehende Schriftzug NTGent auf goldenem Grund schmückt die vor dem Portal wehenden Fahnen. Am Geländer der Terrasse informiert ein Transparent in arabischen Lettern über die Vorstellung des heutigen Abends – „Orest in Mossul“. Rechts und links prangen die Bilder zweier Entblößter vor schwarzem Hintergrund, in der Pose wie Adam und Eva auf dem benachbarten Altar. Es ist das Plakat zur Inszenierung „Lamm Gottes (Der Genter Altar)“ von Milo Rau, die im vergangenen September die Spielzeit eröffnet hat. Der Schweizer Regisseur und Autor leitet seit dieser Spielzeit das NTGent. Die Möglichkeiten, in Gent ein eigenes Programm zu verfolgen, schätzte Rau besser ein als beispielsweise am Schauspielhaus Zürich, wo er als Kandidat für die Intendanz ebenfalls im Gespräch war. Im Foyer des Hauses am Sint-Baafsplein ist Raus Genter Manifest an der Wand angebracht. Dort wird als erster Punkt proklamiert: „Es geht nicht mehr nur darum, die Welt darzustellen. Es geht darum, sie zu verändern.“ Wie beim Genter Altar unterhält die Kunst noch eine Beziehung zum Heilsgeschehen, selbstver-

Die Welt nicht bloß darstellen, sondern verändern – darum geht es Milo Rau; hier seine Inszenierungen „Lamm Gottes (Der Genter Altar)“ (links) und „Orest in Mossul“. Fotos Michiel Devijver (links) / Stefan Bläske

nederlands toneel gent

ständlich in dessen säkularisierter Form. Es geht um Aufklärung, um eingreifendes Denken, um weltveränderndes Handeln. Wege zu einem globalen Realismus nennt es Rau in seinen kürzlich unter dem Titel „Das geschichtliche Gefühl“ erschienenen Vorlesungen im Rahmen der Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik. Es geht Rau darum, neue Realitäten zu schaffen. Romantisches Leiden an der Welt oder Betroffenheitskunst bezeichnet Rau als „aristokratische Seelenzucht“, als Erscheinungsformen eines zynischen Humanismus, der nicht bereit ist, die Grundlagen eines wirklichen Universalismus zu schaffen. Rau hält den europäischen Bürgern und Kleinbürgern diesen Widerspruch zwischen ihrem Sprechen und ihrem Handeln vor – Ideologiekritik mit den Mitteln des Theaters. Rau ist mit seinen Arbeiten in Belgien schon vor seiner Berufung nach Gent bekannt gewesen. Im Kunstzentrum CAMPO Gent hatte er 2016 „Five Easy Pieces“ zur Uraufführung gebracht, in dem Kinder die Geschichte des berüchtigten belgischen Kindermörders Marc Dutroux spielen. „Five Easy Pieces“ ist eine sowohl berührende wie verstörende als auch kluge und überlegte Reflexion über die Mittel und Möglichkeiten des Theaters. Am Brüsseler Nationaltheater griff Rau mit „Die Wieder­ holung – Histoire(s) du théâtre (I)“ im Mai vergangenen Jahres die Ermordung von Ihsane Jarfi im belgischen Liège (Lüttich) auf, die als Hassverbrechen geahndet wurde. Die Region war bis in die 1970er Jahre ein Zentrum der Stahlindustrie, inzwischen

/ 17 /


/ 18 /

protagonisten

herrschen ähnlich wie in manchen Regionen des Ruhrpotts hohe Arbeitslosigkeit und Armut. Zusammen mit Schauspielern und Laien erkundet Rau die Voraussetzungen des Verbrechens, bevor es minutiös nachgestellt wird. Zwar wird zuvor mit einer Casting-Situation sogar verdeutlicht, dass alles nur gespielt ist, der Schock stellt sich trotzdem ein, wenn Sprühregen und das trübe Licht der Scheinwerfer eines Autos die düstere Kulisse eines brutalen Mordes real erscheinen lassen. Das aber führt ins Herz der Theaterarbeit von Milo Rau: die Beschäftigung mit der Gewalt – und die Frage, ob sie ­sich bannen lässt oder ob sie sich nur endlos wiederholt.

Milo Rau wurde 1977 in Bern geboren. Nach einem Studium der Soziologie, Germanistik und Romanistik und der Tätigkeit als Journalist arbeitet er als Theaterregisseur und -autor. 2007 gründete er seine Produktionsfirma International Institute of Political Murder (IIPM). Seine Stücke touren weltweit, er wurde mit zahl­ reichen Preisen ausgezeichnet und mehrfach zum Berliner Theatertreffen eingeladen, zuletzt 2017 mit „Five Easy Pieces“. 2018 erhielt er den Europäischen Theaterpreis. Seit dieser Spielzeit leitet er das Nederlands Toneel Gent (Belgien). Foto Phile Deprez

Kann es gelingen, den Zyklus der Gewalt zu durchbrechen? Das ist die Frage in „Orest in Mossul“. Mit mehreren Schauspielern des NTGent ist Rau in die Millionenmetropole im Nordirak gereist, die vom „Islamischen Staat“ (IS) beherrscht und in monatelangen verheerenden Kämpfen von dessen grausamer Herrschaft befreit wurde. Dort studierte man gemeinsam mit Darstellern und Musikern vor Ort die „Orestie“ von Aischylos ein, die antike Tragödientrilogie, an deren Ende die Überführung der Blutrache in Recht steht. Ende März war die Premiere in Mossul, Mitte April wurde das Stück mit Filmaufnahmen aus der zerstörten Stadt erstmals in Gent gezeigt. Ein Fotograf erzählt, wie er mit einem Teleobjektiv die Hinrichtungen des IS dokumentiert hat. Ein Schauspieler berichtet, er habe von einem Journalisten eine ganze Festplatte voll mit Videoaufnahmen von Exekutionen bekommen. Iphigenie wird minutenlang erwürgt, Klytaimnestra per Genick-

/ TdZ Juni 2019  /

schuss getötet. Die Darsteller stehen auf dem Dach eines ehemaligen Supermarkts, von dem Schwule und Frauen in den Tod gestürzt wurden. Kann man das verzeihen? Die Darsteller aus Mossul sind sich einig: niemals. Sollte man sich rächen, die ISKämpfer töten? Zu Beginn der Proben, berichtet Rau, hätten sie sich noch für die Todesstrafe ausgesprochen. Zu wenig vertraute man den irakischen Gerichten. Doch am Ende gibt es noch einmal die Abstimmung. Niemand hebt die Hand für die Hinrichtung. Alle wissen, man muss den Kreislauf der Gewalt durchbrechen, auch wenn es schwerfällt, weil es die Mörder vergleichsweise milde davonkommen lässt. Doch wie lange hält der Frieden? Nur ein paar Tage vor der Genter Premiere explodiert in Mossul eine Autobombe, es gibt zahlreiche Tote. Der IS ist noch nicht am Ende, er ist nur dort, wo er herkam – im Untergrund. Der Dschihad war schon in „Lamm Gottes (Der Genter Altar)“ Thema, Eva wurde von einer Muslimin gespielt, deren Sohn sich dem IS angeschlossen hat. In Gent wird Raus Theater geschätzt. Es ist auf der Höhe der Zeit, es hat globale Konflikte im Blick, es richtet sich mit standardmäßiger englischer Übertitelung an ein internationales Publikum, die Produktionen touren weltweit. Das passt zu der aufklärerischen Bürgerschaft in Flandern, die auch einen kritischen Blick auf die belgische Nation durchaus goutiert. Außerdem holt Rau weitere interessante Künstler ans Haus am Sint-Baafsplein. So inszeniert der aus Belgien stammende Luk Perceval eine Trilogie unter dem ­Titel „The Sorrows of Belgium“ – mit den Nationalfarben im Titel. Der erste Teil heißt dementsprechend „Black – Congo“ und handelt vor düsterem Bühnenbild von Annette Kurz von der kolonialen Ausbeutung des zentralafrikanischen Landes unter Leopold II., es folgen noch „Yellow“ über die Kollaboration mit Nazideutschland und „Red“ über die islamistischen ­Attentate in Brüssel. Mitte Mai zeigte außerdem Ersan Mondtag seine erste belgische Arbeit „De Living“ am NTGent. Rau dreht gleichzeitig noch unter dem Titel „Das neue Evangelium“ einen Film in Italien, es geht um ausgebeutete illegale Migranten, die Mafia und Jesus als Sozialrevolutionär. Am Genter Sint-Baafsplein sitzt man nach den Vorstellungen noch bis in die Abendstunden, die Bar schenkt belgisches Bier aus, die Gespräche sind angeregt, auch die Schauspieler der Vorführung mischen sich unter die Gäste. Es scheint, als hätte Milo Rau einen Ort gefunden, der für sein Vorhaben eines globalen Realismus der passende ist. //

Künstlerhaus Mousonturm Juni 2019 „Solidarity does not assume that our struggles are the same struggles, or that our pain is the same pain, or that our hope is for the same future. Solidarity involves commitment, and work, as well as the recognition that even if we do not have the same feelings, or the same lives, or the same bodies, we do live on common ground.“ Sara Ahmed: „The Cultural Politics of Emotion“ (2004) Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main GmbH, Waldschmidtstr. 4, 60316 Frankfurt/Main


/ 19 /

Radikal aufgeklärt Das Vorarlberger Landestheater im idyllischen Bregenz befindet sich unter Intendantin Stephanie Gräve im Aufbruch von Bodo Blitz

E

in ehemaliger Kornspeicher am Ostufer des Bodensees: das Vorarlberger Landestheater. Prominent platziert in Bregenz, direkt gegenüber der Uferpromenade. Eingerahmt von zwei weiteren Kultureinrichtungen, mit denen zusammen es eine GmbH bildet, mit einem Geschäftsführer und gemeinsamen Werkstätten. Zur Rechten: das vorarlberg museum. Zur Linken: das Kunsthaus Bregenz. Unter seinem Kürzel KUB steht letzteres nicht nur für berühmte Zumthor-Architektur. Wer hier ausstellt, darf als Künstler das gesamte Haus bespielen. Von Anish Kapoor bis Ai Weiwei ein Magnet für die Großen der bildenden Kunst. Dieser Magnet wirkt. Der überregionale Ehrgeiz hat sich wie ein Virus vom KUB auch im benachbarten Landestheater aus­

gebreitet. Das Programm der Erneuerung trägt einen Namen: ­Stephanie Gräve. Sie wurde mit Beginn der laufenden Spielzeit als neue Intendantin verpflichtet. Ihre Herkulesaufgabe: zwischen den renommierten Museen nicht nur bestehen, sondern Glanz verbreiten. Und das mit einem Budget von circa fünf Millionen Euro, einem Ensemble von nur acht Schauspielerinnen und Schauspielern, junges Ensemble mit eingerechnet. Weitsichtiger könnte die Wahl kaum ausfallen: Gräve ist nach Stationen in Moers, Bonn und Bern bestens vernetzt, um mit innovativen Künstlern die gewollte Modernisierung in Angriff zu nehmen. Die Abkehr von Formen des klassischen Repertoire- und versteckten Gastspielbetriebs ist radikal. Stephanie Gräve ist eine Auf­

Kurswechsel – Mit Stücken wie „König Ottokars Glück und Ende“ (Regie Johannes Lepper, hier mit Jürgen Sarkiss) denkt Stephanie Gräve das Theater politisch. Foto Anja Köhler


/ 20 /

klärerin, höchst reflektiert, fordernd in ihrer Art. Sie hat den ­Anspruch, Theater mit Resonanz im öffentlichen Raum zu gestalten. Was sie tut, meint sie ernst. Dafür ist Akzeptanz unabdingbar. Um diese zu erreichen, sucht Gräve die Nähe zur Region und ­ihrer Geschichte. Die Produktion „Der 27. Kanton“ zeigt das paradigmatisch. Patricia Benecke inszeniert einen Doppelabend mit gleich zwei Auftragswerken. Der österreichische Autor Thomas Arzt verfasste mit „Die Verunsicherung“ eine sprachgewitzte Farce über das Vorarlberg der Gegenwart. Das Land soll neu vermessen werden. Nur warum? Hinter der Metapher der Landvermessung verbirgt sich aktuelle Wien-Kritik: Unberechenbar und unmenschlich erscheint die Bundespolitik. Aber Vorarlberg wehrt sich. Im Mikrokosmos eines tradierten Gasthauses leisten Vorarlberger Bürger Widerstand gegen die anonym auftretenden Landvermesser, ähnlich wie sich viele Vorarlberger gegen die Asylpolitik der FPÖ engagieren. Kärnten ist von Bregenz regional weit entfernt und doch ganz nah, was die Auswirkungen einer verschärften Asylpraxis anbelangt. Das bleibt im Stück auf metaphorische Weise nicht ausgespart. Im zweiten Teil des Abends wandelt sich dann das Bild der Vorarlberger. Der Schweizer Autor Gerhard Meister hat mit „Lauter vernünftige Leute“ eine bitterböse Satire geschrieben. Ausgangspunkt: Die Volksabstimmung Vorarlbergs nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Über achtzig Prozent der Vorarlberger wollten damals der Schweiz beitreten. Doch das Beitrittsgesuch wurde abgelehnt. Meister spielt dieses Ereignis auf surreale Weise jenseits der Wirklichkeit durch. In vier kurzen Schlaglichtern ­beleuchtet er die Zäsuren 1919, 1938, 1945 und 2019. Der Auftakt: 1919 nimmt die Schweiz wider jegliche historische Fakten Vor­ arlberg auf. Und 1938? Da will Vorarlberg heim ins Reich und kehrt zurück. Was sich 1945 im dritten Teil natürlich als nicht ­opportun erweist. Ganz klar: Vorarlberg steuert erneut die Schweiz als Heimat an. Über die Pendelschläge des direkten Volkswillens

Irgendetwas geht vor sich im Ländle – nur was? „Der 27. Kanton“ von Thomas Arzt und Gerhard Meister in der Regie von Patricia Benecke. Foto Anja Köhler

konturiert Meister charakterliche Traditionen. Sie liegen im ­Opportunismus der Bevölkerung begründet. Kritik an Politikern aus Wien ist ebenso wiederkehrend wie Antisemitismus. Zur gegenwärtigen Wut im Bürgerchor des vierten Teils ist es da nicht mehr weit: Willkommen in der aggressiven Affektgesellschaft der Gegenwart. Das Bregenzer Publikum nimmt dieses scharfzün­ gige, klug konstruierte und bitterböse Auftragswerk mit Humor. Eine sehr mutige Spielplanposition. Gesellschaftliches Erinnern ist im Bregenzer Spielplan beileibe kein Einzelfall. Ende Mai inszenierte Bérénice Hebenstreit mit „Der Flüchtling“ ein Stück von Fritz Hochwälder. Wie verhalten sich Menschen im Grenzgebiet, wenn es um Flucht, Ungehorsam und Grenzschutz geht? Hier bietet die Biografie des Autors die Brücke zur Region. Hochwälder floh 1938 von Vorarlberg aus schwimmend in die Schweiz. Und für die kommende Spielzeit ist ein weiteres Auftragswerk von Thomas Arzt vorgesehen. Der ­Arbeitstitel „Hollenstein, ein Heimatbild“ verrät, um was es geht: Die umstrittene Lebensgeschichte der Vorarlberger Malerin ­Stephanie Hollenstein zu Zeiten des Nationalsozialismus bildet die Grundlage. Moderne und rückwärtsgewandte Tendenzen verschränken sich in ihrer Biografie. Hollenstein lebte in einer weib­ lichen Partnerschaft und war vom faschistischen Männlichkeitskult fasziniert. Es geht Gräve prinzipiell darum, „sich gesellschaftspolitisch zu verhalten“. Dem stellt sich das Landestheater. Stephanie Gräve begreift diese Intendanz als kostbares Geschenk. Sie arbeitet auf allen Ebenen gleichzeitig. Geduld scheint weniger ihre Sache zu sein, Vertrauen hingegen schon. Sie spricht begeistert von der Identifikation ihres Teams auf und hinter der


vorarlberger landestheater

/ TdZ  Juni 2019  /

Bühne mit dem Theater. Als geborene Selbstausbeuterin agiert Gräve in ihrer Leitungsposition mit dem klaren Anspruch, andere nicht ausbeuten zu dürfen. Vertragstreue kennzeichnet ihren Umgang mit ihren Künstlerinnen und Künstlern; ihr Engagement für art but fair verpflichtet. Auch vonseiten des Publikums braucht Gräve Vertrauen, denn ihr umfassender Erneuerungsanspruch greift weiter, als das Landestheater politisch wie künstlerisch im Dreiländereck zu positionieren. Er betrifft über die Spielplangestaltung hinaus die Öffnung im Bereich des künstlerischen Ausdrucks. Das mag dem einen oder anderen Zuschauer im Abo-Publikum viel abverlangen, nicht nur bezüglich des Verzichts auf allzu konkrete Ausstattung. Fantasie ist gefragt, zudem Köpfchen. Der Gewinn ist umso höher einzuschätzen. Becketts „Spiel“ wird im nonverbalen, rein tänzerischen Theater Silvia Costas zum emotionalen Erlebnis. Die italienische Künstlerin inszeniert als Grenzgängerin zwischen Theater und bildender Kunst auch in der kommenden Spielzeit in Bregenz. Ebenfalls regelmäßig zu Gast ist das Künstlerduo Bernhard ­Mikeska und Lothar Kittstein. Auch performatives Theater findet also Raum. Und auf der großen Bühne, die fast 460 Zuschauern Platz bietet? Da räumt Johannes Lepper auf. Er inszeniert Franz Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“. Das passt politisch, insofern im Traditionsstück Österreichs das Schlachtfeld der kriegerischen Nationalismen innerhalb Europas sichtbar wird. Die berühmteste Passage, Grillparzers sprichwörtliches Loblied auf Österreich, gerinnt in Leppers Regie zur musikalischen Para-

Stephanie Gräve wurde 1968 in Duisburg geboren. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie arbeitete sie als Dramaturgin an den Theatern in Oberhausen, Moers und Bonn. Als stellvertretende Künstlerische Direk­ torin war sie 2012 bis 2015 am Theater Basel tätig, anschließend war sie Schauspiel­ direktorin in Bern. Sie ist im Vorstand von art but fair. Seit dieser Spielzeit leitet sie das Vorarlberger Landes­ theater in Bregenz. Foto Anja Köhler

bel auf aktuelle Europamüdigkeit. Wieder und wieder werden die Schauspieler durch Beethovens „Ode an die Freude“ in der Rezitation der Nationalverse unterbrochen, bis es gelingt, der Europa­ hymne den Saft abzudrehen. Künstlerisch dominiert die Bühne als Bühne, grell ausgeleuchtet, idealer Raum für die Selbstbespiegelungen Ottokars. Jürgen Sarkiss verkörpert diesen auf der kurzzeitigen Höhe seiner Macht mit viel Lust sowie radikalen Wechseln zwischen Understatement und Dominanz. Seine Spielfreude versinnbildlicht die willkürlichen Haltungswechsel eines unbe­ rechenbaren Herrschers. Wuchtig und ungeschminkt kommt Leppers Inszenierung daher. Laut im Ton, mit der Tendenz des Ensembles, sich zu verausgaben. Dieses Bregenzer Theater will gehört werden. Hoffentlich behält es einen langen Atem. //­

14.–17.06.

Ringlokschuppen Ruhr Infos und Anmeldung: impulsefestival.de

KUNST UNTER DRUCK – Freies Theater zwischen Rechtsruck, Identitätspolitiken und Selbstverantwortung mit: Agata Adamiecka, Rachida Aziz, Rose Gibbs, Jakob Hayner, Goran Injac, Johanna-Yasirra Kluhs, Gin Müller, Azadeh Sharifi , Franziska Werner, Julia Wissert, Salam Yousry, Nelisiwe Xaba u. a. / Performative Beiträge von dorisdean, EsRAP und Roman Osminkin Leitung: Katalin Erdődi Gefördert durch:

/ 21 /


/ 22 /

Die Stärke der Schwachen

Die Schauspielerin Gabriela Maria Schmeide zeigt auf eine unnachahmliche Weise Figuren, die ihr Schicksal annehmen, ohne zu resignieren – ein Porträt von Gunnar Decker

A

m Anfang war sie schon etwas beleidigt. Ich als Groß­ mutter? Und dann auch noch mit viel weniger Text als die anderen! Den Beginn der freudig erwarteten Zusammenarbeit mit ­Dimiter Gotscheff hatte sie sich schon etwas anders vorgestellt. Großmutterrollen mit gerade einmal Mitte vierzig, eine Unverschämtheit! Das war 2011 bei Probenbeginn zu Peter Handkes „Immer noch Sturm“ am Thalia Theater in Hamburg. Und nun soll es tatsächlich die letzte Vorstellung sein, nach acht Jahren, ein ausverkauftes Gastspiel an der Berliner Volksbühne. Wir treffen

uns in einem der neu eröffneten Cafés am Rosa-Luxemburg-Platz, wo die Tasse Kakao fast vier Euro kostet. Preislich gesehen ist das schon der halbe Weg zum Markusplatz in Venedig. Der Berliner Osten ist inzwischen eine teuer feilgebotene Hülle. Gabriela Maria Schmeide hat nicht viel Zeit. Der Großvater zur Großmutter musste für das Berliner Abschiedsgastspiel kurzfristig umbesetzt werden. Andreas Leupold hat die Rolle übernommen, bis eben haben sie geprobt. In einer Stunde muss sie schon wieder in der Maske sein für die Abendvorstellung. Aber an Großmüttern, wie sie eine ist, prallt so was ab. Mit der Zeit hat sie die Rolle lieben gelernt. Was gibt es Schöneres, als die Urmutter einer Familiensaga zu sein, deren Weisheit wohldosiert in geradezu homöopathischen Dosen in den Nachkommen nachwirkt?


/ TdZ  Juni 2019  /

Was für Sätze sie sagt, angesichts der Katastrophen, die die Familie im 20. Jahrhundert treffen: „Eine Seite ist ausgerissen aus dem Buch unseres Lebens, ratsch.“ Sie wirkt so weich und fraulich, mütterlich und großmütterlich zugleich, aber den Sätzen, die sie spricht, vermag sie eine plötzliche Schärfe zu geben, die jeden Panzer durchdringen. Die Großmutterebene im Stück verkörpere ein anderes, ein mythisches Zeitmaß. „Ich liebe es, in Worte zu schauen“, sagt sie lapidar und nimmt einen Schluck Kakao. Der Wind der Geschichte weht immer noch von wo er will, manchmal wird er sogar zum Sturm, der alles Bisherige zerstört. Denn, so Schmeide, die Großmutter sei ja keineswegs nur versöhnlich, nein, sie heize die Situation mitunter auch an. Vor allem aber: Sie nimmt, was kommt, wie es kommt. Am Abend zuvor hatte ich sie noch einmal in dem Stück gesehen, es wirkte auf mich ganz anders als bei der Premiere. Damals kam es mir nur als ein überaus untypischer Gotscheff-Abend vor, der sich in weiten epischen Bögen verlief. Gestern sah ich ein anderes Stück, geradezu vibrierend vor Intensität, in dem sich die Frage nach dem, was Heimat ist, stellte. Habe bloß ich mich inzwischen verändert oder auch die Inszenierung?

Bautzener Besonderheiten Gabriela Maria Schmeide ist ein zurückhaltender Mensch, mit dem man den ganzen Tag lang Kakao trinken könnte. Aber gestern auf der Bühne brach es aus ihr hervor und sie sprang so ­wütend immer wieder auf der Stelle in die Höhe, dass die Bühne bebte. Welch’ Fähigkeit zur plötzlichen Ekstase! Ein gewichtiger Ausbruch aus dem ewig mythischen Kreislauf der Generationen, eine Erschütterung, die sich bis in den Zuschauerraum fortsetzte. Seit sie 2009 für Doris Dörries Filmkomödie „Die Friseuse“ erheblich zunehmen musste, schleppt sie die Pfunde mit sich. Aber keine Klagen. Niemals wird Gabriela Maria Schmeide klagen. Im Gegenteil, sie trägt, was das Leben ihr an Beschwernissen auf­ bürdet, mit einer verblüffenden Leichtigkeit. Da ist sie wie die Großmutter bei Handke. Dessen Saga erinnert mich an Erwin Strittmatters „Der ­Laden“, eine Familiengeschichte aus der Lausitz über mehrere Generationen. Das Thema Heimat lässt sich durch keine herein­ brechende Katastrophe vom Tisch wischen. Schmeides Schwester arbeitet für den sorbischen Kulturrat, ihr Bruder beim sorbischen Radio. In der Familie sprechen sie sorbisch miteinander – aber kaum kommt ein Nichtsorbe hinzu, wechseln sie ins Deutsche. Einerseits verständlich, andererseits wird die Sprache so zu etwas Künstlichem, verschwindet nach und nach aus dem Alltag. Das macht sie traurig. Wer wie sie in Bautzen geboren wurde, der kann das Sorbische, egal wo er später lebt, nicht einfach zurücklassen. Seit Langem wohnt sie in Bremen und Hamburg – aber wenn sie nach Bautzen zu ihrer Familie fährt, weiß sie, dass sie nach Hause fährt. Ihre Großmutter trug die sorbische Tracht noch täglich, heute ist sie Feiertagen vorbehalten.

Eine hartherzige Mutter, unerwartet weich im Ausdruck – Gabriela Maria Schmeide in „Mutter Courage und ihre Kinder“ in der Regie von Philipp Becker am Thalia Theater Hamburg 2017. Foto Krafft Angerer

gabriela maria schmeide

Reden wir also über Bautzen. Keine Idylle, gewiss nicht, aber ­etwas, das sie geprägt hat. Man spürt es, spricht man mit ihr, und erst recht, wenn man sie auf der Bühne oder im Film sieht. Was das ist? Eine gewisse beharrliche Weichheit, die nicht so schnell zurückweicht, wenn der Sturm aufzieht. Es gibt Schlimmeres. Immer gibt es Schlimmeres, das ist schon mal ein Grund, dem Leben gegenüber dankbar zu sein. Die Sorben sind ein slawisches Volk. Um Bautzen herum ­leben die katholischen Obersorben, deren Sprache und Kultur sich besser erhalten hat als die der protestantischen Niedersorben. Auch dadurch, dass sich diese Milieus – oft auf den Dörfern – eher nach außen abschotten und ihre Kinder untereinander verheiraten. Aber das wird weniger, die sorbischen Gemeinschaften lösen sich auf. Wie kommt man aus einer sorbischen Familie aus Bautzen überhaupt zum Theater? Ursprünglich wollte sie da gar nicht hin. Sie war eine notorische Einser-Schülerin, und es war klar, dass sie Medizin studieren würde. Doch kurz vor ihrem Abitur nutzte ihr Vater, ein Zahnarzt, einen Familienbesuch im Westen, um dort zu bleiben. Die Folgen für die Zurückgebliebenen waren drastisch: Der Studienplatz für Medizin löste sich in Luft auf, sie solle Krankenschwester werden, beschied man Schmeide. War das nicht rücksichtslos vom Vater der Familie gegenüber? Hart war es, aber sie hätten gewusst, dass er immer schon wegwollte. Und als die Chance kam, hat er sie eben genutzt. Nein, sie nahm es ihrem Vater nicht übel – denn so wurde sie gezwungen, sich schnell darüber klar zu werden, wie sie leben wollte. Sie musste nun selbst entscheiden, sich auf eigene Füße stellen. „Sonst säße ich heute, wie mir damals vorbestimmt, als Allgemeinärztin in Bautzen“, lacht sie. Übrigens ist ihr Vater nach der Wende in den Osten ­zurückgekehrt. Sie verstehen sich gut. Aber damals war es der familiäre Ausnahmezustand. Krankenschwester zur Strafe? Auf keinen Fall! Eher suchte sie sich selbst irgendetwas. So ging sie zum Intendanten des DeutschSorbischen Volkstheaters in Bautzen. Ob er nicht etwas für sie habe, egal was? Was sie sich denn vorstelle, wehrte dieser ab. Sie könne auch Sorbisch, ergänzte Gabriela Maria Schmeide. Oh, das sei was anderes, da könne sie sofort anfangen – als Souffleuse und auch gleich mit Spielverpflichtung, denn an jungen, sorbisch sprechenden Schauspielern herrsche Mangel. Das war 1984. Die DDR zerfiel in lauter kleine Nischen. Theater war eine davon. Sie habe sich gleich sehr wohl gefühlt unter lauter Quasi-Aussteigern, die vor allem im Technikbereich des Theaters arbeiteten. Ein ­Beleuchter gefiel ihr besonders. Zur gleichen Zeit sah zufällig ein Schauspieldozent aus Berlin die Souffleuse mit Spielverpflichtung in „Ein musikalisches Himmelbett“, wo die Debütantin, mit einem alle überraschenden Furor, sorbische Lieder sang. Er organisierte ein Vorsprechen an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Da waren sie anfangs mäßig von der jungen Sorbin begeistert, die ihnen zu folkloristisch vorkam. Doch genommen wurde sie. Ach, und da war noch was: „Ich bin schwanger.“ Dann solle sie doch nach Hause gehen und ihr Kind zur Welt bringen, beschied ihr eine Dozentin verärgert. Solche Ratschläge vergisst man nicht. Sie blieb, bekam ihr Kind – und dieses war schwerbehindert. Ein Schlag, aber schon damals steckte etwas von der Großmutter aus „Immer noch Sturm“ in ihr. Man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen.

/ 23 /


/ 24 /

protagonisten

/ TdZ Juni 2019  /

Wahrheit und Lüge über den abwesenden Vater – Gabriela Maria Schmeide in Tracy Lett's „Eine Familie“ in der Regie von Antú Romero Nunes am Thalia Theater Hamburg. Foto Armin Smailovic

Ihr Mann kündigte damals am Bautzner Theater, blieb zu Hause und versorgte das Kind – das macht er heute, fünfunddreißig Jahre später, immer noch. Und er macht es gern. „Meine Tochter wusste schon, was für einen Papa sie sich aussucht“, erklärt Schmeide und lächelt. Nach Details der Behinderung, das spüre ich, mag sie nicht gern gefragt werden. Leider könne die Tochter nicht sprechen, aber ansonsten seien sie eine ganz normale Familie mit einigen Besonderheiten. Dazu gehört, dass sie in der Probenzeit in Hamburg wohnt und nicht bei Mann und Tochter in Bremen.

Unter Stahlarbeitern Pünktlich zur Wende war sie fertig mit dem Studium und bekam ein Engagement am Berliner Ensemble. Ein Jahr noch war sie Teil des alten Ensembles, dann kamen die Neuen, dann das FünferDirektorium. Sie habe die Traurigkeit des Ausverkaufs miterlebt, und der Wunsch wuchs, wegzugehen, dahin, wo wirklich etwas Neues beginnt. Aber mit einem schwerstbehinderten Kind ist man nicht allzu flexibel, da überlegt man etwas länger, ob man sich verändern soll. 1994 ging sie zu Klaus Pierwoß nach Bremen, der dort neuer Intendant geworden war. Ohne die vielen Ost-Kollegen, die mitgingen, hätte sie aber den Schritt kaum gewagt. „Ich dachte, ich ziehe direkt an die Nordsee“, erinnert sie sich. Das ist ungefähr das Gegenteil der Lausitz. Und dann hat sie 2000 in Bremen wieder gekündigt, trotz aller Bedenken, als einzige Verdienerin der Familie. Aber die Routine, der Betrieb nahmen überhand – und Pierwoß hatte das Haus im Streit verlassen. Genau in diesem Moment rief Andreas Dresen an, der sie für die Hauptrolle in seinem Film „Die Polizistin“ haben wollte. Dresen hatte sie bereits am Berliner Ensemble gesehen, wo sie bei seinem Stiefvater Christoph Schroth in mehreren Inszenierungen gespielt hatte. Was für eine Rolle für die 35-Jährige, diese 27-jährige Polizeianfängerin Anne in einem Revier in Rostock Lütten Klein! Ihr Durchbruch im Film, ebenso wie der von Axel Prahl als ihr Streifenkollege. Mädchenhaft jung sieht sie aus, auf der Suche nach der großen Liebe, über die sie nachsinnt. Gibt es sie wirklich

oder ist „alles nur ein blödes Roulette-Spiel“? ­Plattenbauten, leere Straßen, Prügeln und Saufen. Die große Liebe kann man hier eher vergessen. Aber mit bloßen Ersatzstoffen will sich die junge Polizistin nicht zufriedengeben, wo es doch so viele Männer in ihrem Job gebe „wie sonst nur bei den Stahlarbeitern“. Eine Industriezeit­alter­ analogie von Drehbuchautorin Laila Stieler, die sie wohl heute so nicht mehr benutzen würde. Annes großer Lebenshunger trifft auf verödete Stadtlandschaften und beschädigte Menschen. Aber auch darauf stellt sie sich ein, wirkt immer etwas zu mitfühlend und zu mitleidig der üblichen Klientel gegenüber. Mehr Härte!, fordern ihre männlichen Kollegen. Aber sie ist nicht schwach, sie ist stark – und hat es gerade darum gar nicht nötig, Härte zu zeigen. Es ist ein solidarisches Grundgefühl gegenüber denen, die sie als „Gesetzesbrecher“ (oft sind es Bagatellen) vor sich hat, was ihr das Leben schwer macht. Weil Gabriela Maria Schmeide diese Selbstgewissheit in sich trägt, hat Dresen sie wohl unbedingt für den Film haben wollen. In den Rollen, die sie spielt, erkundet sie die Stärke der Schwachen, die mehr sind als bloße Dulder. Da ist 2002 die Ehefrau Katrin in Dresens „Halbe Treppe“, die sich entscheiden muss, wie sie weiterleben will, wenn ein „Weiter so“ ausgeschlossen ist. Oder die alleinerziehende, stark übergewichtige Kathi König in Dörries „Die Friseuse“, das Drehbuch stammt auch von Laila Stieler. Sie sei als Friseuse „nicht ästhetisch“ genug, sagt man der Arbeitslosen bei Bewerbungen unverblümt ins Gesicht. Aber davon lässt sie sich in ihrem ebenso grundlosen wie unverwüstlichen Optimismus nicht erschüttern, auch nicht von einer bei ihr diagnostizierten Multiplen Sklerose. Faszinierend, wie es Schmeide gelingt, in einer Komödie unaufdringlich die Tragödie mitzuspielen. Und immer sind es Mütter, seit einiger Zeit auch Großmütter, die sie auf besondere Weise darzustellen vermag. Seit zehn Jahren ist sie Ensemblemitglied am Thalia Theater in Hamburg. Im Februar hatte sie dort in Tracy Letts’ „Eine Familie“ (Regie Antú ­Romero Nunes) Premiere, wo es um Wahrheit und Lüge über den plötzlich abwesenden Vater geht. Auch spielt sie die ­Titelrolle in Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ (Regie Philipp Becker). Unerwartet weich im Ausdruck wirkt sie da, bei gleichzeitiger sturer Beharrlichkeit in dem, was ihre Existenz ausmacht. Dieses „Immer weiter“, ohne dabei je zu verzweifeln, habe sie fasziniert und befremdet zugleich. Da sei jemand, der immer nur nimmt, ohne je zu geben. Für Gabriela Maria Schmeide ein furchtbarer Gedanke: „Sie liebt ihre Kinder, glaubt, das Beste für sie zu tun – aber dann sind sie alle tot.“ Jetzt muss sie schnell in die Maske zur letzten Vorstellung von „Immer noch Sturm“. Sie könnte das Stück immer weiterspielen. //


kolumne

/ TdZ  Juni 2019  /

Ralph Hammerthaler

Oceane Eleven Rudern hilft – der Opernkomponist Detlev Glanert

E

inmal gestand ich ihm, dass es nur eine Sache gibt, die ich für größer halte als die Literatur, ich sagte: Ich wäre gerne Komponist. Bei mir ist es umgekehrt, gab Detlev zur Antwort, ich wäre gerne Schriftsteller. Letztens, als ich in der Deutschen Oper in Berlin die Uraufführung von „Oceane“ sah, der schon elften Oper von Detlev Glanert, kurz, Oceane Eleven, fiel mir dieses Gespräch wieder ein, und zwar in dem Moment, als gegen Ende das Orchester zu toben anfing, mit Windmaschine und allem, es tobte, weil der hassgeile Pastor seine Leidenschaften nicht zügeln konnte, weil er die schöne unnahbare Meerfrau ebenso hasste, wie er sie begehrte, also geil fand. Die ganze preußische Gesellschaft wurde von dieser ungebundenen, wild, aber wie privat tanzenden Oceane in Verwirrung gestürzt, sodass ihr, um sich vor der Fremden zu retten, nichts anderes übrig blieb, als sie zu verstoßen, weg mit ihr und der Ahnung, dass es jenseits der Etikette etwas unkalkulierbar Lebendiges gab, das sich nicht mal, was bei Frauen sonst immer klappt, von den glühendsten Liebesschwüren einfangen ließ. Das tobende Orchester im Ohr, dachte ich an den Kopf des Komponisten, der dieses Toben ja ganz für sich gehört haben musste, ehe er es notieren konnte. Und ich fragte mich, wie es Detlev dabei gegangen war. Um in diese Welt vorzudringen, darum wäre ich gerne Komponist. Vielleicht ist Oceane gar kein Mensch, sag ich zu ihm, als wir ein paar Tage nach der Premiere zusammentreffen. Doch, sie ist ein Mensch, behauptet er. Und obwohl er sie geschaffen hat, nach einem Fragment von Theodor Fontane und dem Libretto von Hans-Ulrich Treichel, sag ich Nein, weil Oceane für mich das Leben an sich verkörpert, das ewige Werden und Vergehen, weshalb sie auch für den toten Fischer am Strand kein Mitleid aufbringt, der Tod ziehe nur vorüber, singt sie mit dem Wissen einer Schamanin. Für das unentwegt aufflackernde und verlöschende Herzglück der Menschen, für die Liebe, ist sie, selbst wenn sie darunter leidet, nicht zu haben. Denn sie selbst ist das Flackern, das Verlöschen, das Flackern, immer so fort. Die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson sang die Titelrolle. Detlevs Quintolen hatten ihr beim Einstudieren ein bisschen zugesetzt. Na ja, sagt Detlev, die Töne folgen schnell einer auf den anderen, und sie liegen auch noch weit auseinander. Und das Metrum ist ungewöhnlich. Zwei Grundmetren sind uns vertraut, eins, zwei

wie beim Gehen, oder eins, zwei, drei wie beim Herzschlag. Aber auch Quintolen, eins, zwei, drei, vier, fünf, kennen wir aus dem Alltag. Hm, woher denn? Vom Rudern. Dass dieses Rudern gut zur Meerfrau passt, geht mir erst hinterher auf, aber sogleich fallen mir die Ruderclubs in Rheinsberg ein, wo Detlev seit Langem ein Häuschen hat, um ungestört von Berlin komponieren zu können. Im Winter heizt er mit Kohlen, und wenn der Winter sehr kalt ist, steht er nachts auf, um nachzulegen. In Rheinsberg, als ich dort Stadtschreiber war, haben wir uns kennengelernt, in einer langen Nacht im Ratskeller. Irgendwann sperrte Martin, der junge Wirt, die Wirtschaft zu, damit keiner mehr hereinkam (und wir nicht mehr hinaus). Endlich durften wir rauchen, und Martin stellte eine Flasche bayerischen Wodka auf den Tisch. Berühmt geworden ist Detlev mit Literaturopern, „Solaris“, „Das Holzschiff“ oder „Caligula“. Er nimmt die älteren Stoffe, weil er in ihnen etwas Exemplarisches wittert, das uns heute noch angeht. Anders als zeitgenössische Werke, die, wie er findet, daran kranken, sich in gerade angesagten Einzelheiten zu verlieren, lassen die älteren den Blick aufs Ganze zu. Er sagt: Dadurch sehe ich den Wald, statt vor dem einzelnen Baum zu verharren. Hast du, außer Musik, noch andere Obsessionen? Ja, die Literatur, sagt er. Seine Berliner Wohnung könnte auch die Wohnung eines Schriftstellers sein, so viele Bücher stehen dort. Die ungelesenen wandern, wenn er für sie Zeit gefunden hat, von einem Zimmer ins andere, zu den gelesenen. Es fallen die Namen von Dostojewski, Heinrich Mann, Émile Zola und Louis Aragon. Ganze Plots erzählt er aus dem Gedächtnis. Ich denke: Er will beim Lesen den Wald sehen. Nichts Zeitgenössisches? Klar doch, ich lese die Bücher meiner Freunde, Werner Fritsch, Treichel, Hammerthaler. Nett gesagt. Aber das kann ich nicht verwenden. Dann nimm Terézia Mora oder T. C. Boyle. Sein Arbeitsrhythmus ist, nach elf Jahren in Italien, italienisch geprägt, von neun bis eins die erste Schicht, von vier bis acht die zweite. Die Noten schreibt er mit der Hand, gut zwanzig Bleistifte liegen gespitzt bereit, dazu Radiergummis, Lineale, Papier, seine Zigarillos und der Aschenbecher, Werkzeug für die Tintenreparatur, Scheren, Kleber, Mappen, Fotos … Hat er fünf bis sechs Versionen einer Partitur mit Bleistift geschrieben, atmet er durch und nimmt sich die letzte vor: mit Tinte. //

/ 25 /


/ 26 /

x

Am Anfang war das Spiel. Und am Ende? Der Spaß. Wir blicken zum Abschluss der Spielzeit 2018/19 auf die Theater in Hannover, Schwedt, Zürich, Rostock und Neubrandenburg / Neustrelitz, an denen sich mit den jeweiligen Intendanten ganze Teams verabschieden. Wie haben sich die Theater entwickelt? Welche Inszenierungen bleiben in Erinnerung? Eine Bilanz.


/ TdZ  Juni 2019  /

schauspiel hannover

Die Unbestechlichen Lars-Ole Walburg hat während seiner Intendanz am Schauspiel Hannover bewiesen, wie man eine Stadt gewinnt, ohne sich künstlerisch zu verbiegen. Ein Rückblick

von Dorte Lena Eilers

D

as Theater ist ein flüchtiges Medium. Um es festzusetzen, bedarf es drastischer Mittel. Selbst die Staatsmacht ist mitunter machtlos. Die Polizeidirektion Niedersachsen verfolgt seit einigen Jahren eine Charmeoffensive in Sachen Überwachung. Auf ihrer Internetseite sind per Foto die Standorte polizeilicher Überwachungskameras in verschiedenen niedersächsischen Städten verzeichnet. 2010 war in Hannover auf dem Bild vom Thielenplatz, unweit des Theaters, ein Plakat mit einem Slogan zu sehen. „Wer an seine Zukunft glaubt, gehört zu uns!“, stand darauf geschrieben. Wolfgang Stieler, Autor auf heise.de und normalerweise Kritiker von Big Data, zeigte sich begeistert: Sah das nicht fast wie die Aktion eines situationistischen Künstlers aus?! Das Schauspiel Hannover unter der Leitung von Lars-Ole Walburg hat sich in den vergangenen zehn Jahren immer wieder in diesem irisierenden Bereich zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Kunst und Agitprop, Bildungsauftrag und politischem Ungehorsam aufgehalten. Es war ein eingreifendes Theater, sperrig, niemals anbiedernd, das sich, so Walburg, immer den Vorteil erarbeiten wollte, den gesellschaftlichen Entwicklungen einen halben Schritt voraus zu sein. Fast gespenstisch, wie oft das auch gelang. Wer das vom Schauspiel Hannover herausgegebene fast siebenhundert Seiten starke Heft zum Abschluss der Intendanz von Lars-Ole Walburg durchblättert, blättert in einem großen Bogen durch zehn politisch brisante Jahre – vom Finanzkollaps über ­Islamismus, Wutbürger-Bewegung, Flüchtlingskrise bis hin zum Rechtsruck. Bereits die Eröffnungsinszenierungen 2009 waren diesem Zerfallsprozess auf der Spur. In seinem Doppelabend aus Heiner Müllers „Wolokolamsker Chaussee“ und Ilja Ehrenburgs „Das Leben der Autos“ zeigte ­Walburg, wie der Mensch unter dem Druck politischer und wirt-

Der Himmel über Hannover – bevölkert von nordischen Göttern: „Die Edda“ von Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael Torfason am Schauspiel Hannover 2018. Foto Katrin Ribbe

schaftlicher Systeme geistig und auch sprachlich degeneriert. Am Ende standen nur noch Witzfiguren auf der Bühne, die keine ­Reflexion mehr kannten, sondern nur noch Reflexe, konditioniert auf das reine Haben-Wollen, Jammern-Wollen, Hetzen-Wollen. Ein schrill-bunter Totentanz ohne Chance auf einen Austausch von Argumenten. Wohin das führt? Zu einem Kampf jeder gegen jeden. Florian Fiedlers und Soeren Voimas Adaption von Grimmelshausens „Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ (2009), ebenfalls eine der Eröffnungsinszenierungen, war Schlacht­ feld und Ideologiemüllhalde zugleich: Das Ensemble, von Kostümbildnerin Dorothee Curio mit Che-Guevara-Mützen, Bin-LadenBärten und Andreas-Baader-Lederjacken versehen, verknäuelte sich zu einem grausigen Panoptikum von Revolutionären, Aufständischen und Terroristen. Der Mensch, eingeklemmt zwischen Vergangenheitsschutt und gestauter Zukunft, ganz so, wie es ­Heiner Müller, dessen „Glückloser Engel“ durch die erste Spielzeit geisterte, beschwor. Und so stand er plötzlich da, der erste Wutbürger Sachsens: Rainer Frank in Lars-Ole Walburgs Inszenierung von István Tasnádis „Staatsfeind Kohlhaas“ (2011). Ein fiebriger Händler, der statt der Gesetzestexte bald nur noch eine Axt in den Händen hielt. „Empört euch!“, zitierte die Inszenierung hoffnungsfroh Stéphane Hessel. Bis die Empörung, wie heute geschehen, in Aggression und Hetze umschlug. Auf der Bühne herrschte eine Stimmung wie im Wilden Westen. Es wurde also scharf geschossen am Schauspiel Hannover, mit Thesen, Zeitdiagnosen, Gesellschaftsanalysen, sodass das Publikum erst mal reflexartig in Deckung ging. „Wer an seine Zukunft glaubt, gehört zu uns!“ Dieser Bande, die mit einem solchen Slogan die Stadt überzog, traute man nicht. Im Vergleich zu Walburgs Vorgänger Wilfried Schulz gingen die Auslastungszahlen rapide zurück. „Volkshochschule mit Pausenbewirtung“, zitierte der Theaterkritiker der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, Ronald Meyer-Arlt, das gängigste Schimpfwort. Das Publikum fühlte sich gegängelt, belehrt, genervt. Auch in der dritten Spielzeit wurde es nicht besser. Doch wer mit Müller startet und mit Müller endet – Anfang des Jahres inszenierte Hausregisseur Alexander Eisenach eine Collage aus Müllers „Schlacht“, Schillers „Räubern“ und Hauptmanns „Ratten“ –, der kennt, ganz lässig, nur eine Antwort auf den Konflikt: „Ich glaube an den Konflikt. Sonst glaube ich an nichts.“

/ 27 /


/ 28 /

protagonisten

/ TdZ Juni 2019  /

So hat sich das Haus über die Jahre zu einem Meister des provo„Schauspielschule XXL“. „Damit du schon spielst, während die anderen noch auftreten.“ kanten Konterspiels entwickelt. Erst nannte es sich „Deine moralische Anstalt“, dann schwatzte Henning Hartmann in Soeren So bunt, schräg und wild die Inszenierungen in Hannover Voimas „Römischer Octavia“ (2014) als vermeintlicher Dramaturg auch waren, so existenziell brüchig und schwarz war der Hintergrund, vor dem sie spielten. „Leute, genießt die Nachkriegszeit, seine Zuschauer samt Lister Lehrer, diesem auf „erschreckende denn bald wird sie wieder zur Vorkriegszeit.“ Dieser Satz aus Weise Wissenden“, in die fröhliche Erschöpfung. „Der gesamte Milan Peschels Inszenierung von „Das Mädchen Rosemarie“ ­ deutsche Stadt- und Staatstheaterapparat wurde unter unseren (2014) hing drohend im Raum. Dem Theater war es, bei aller Augen längst in einen gesamtdeutschen Fragenbeantwortungs­ ­Albernheit, sehr ernst. Das zeigte auch die groapparat umfunktioniert.“ Ja, so sah das aus. Als bei dem Projekt „Freie Republik Wendße Remarque-Trilogie, die Walburg zwischen 2014 und 2018 auf die Bühne brachte. „Der land“, einem Reenactment der Anti-AtomkraftProvokantes Proteste von 1980 unter der Leitung von Florian schwarze Obelisk“, letzter Teil der Trilogie, angesiedelt im Jahr 1923, spielte in einer schneeFiedler, Jürgen Trittin mit einer Torte beworfen Konterspiel und wurde und Teilnehmer in Workshops lernten, weißen Konzertmuschel, deren Boden weich schauspielerischer wie Gummi war. Eine Inszenierung, die zeigte, sich möglichst effektiv an Gleise zu ketten, platzte selbst der Politik der Kragen. Das sei was mit einer Gesellschaft passiert, deren Ungehorsam ­Untergrund wacklig geworden ist, die Bewekein Theater mehr, sondern politische Agita­ tion, ließ CDU-Landtagsabgeordneter Dirk gungen unsicher. Kein Wunder, dass der ­Toepffer verlauten. Das Schauspiel Hannover Gleichschritt, die Formation, gegen die dieses reagierte ­ sofort: „Wem gehört die Politik?“, fragte es in einer Ensemble unermüdlich anspielt, für einige wieder attraktiv wird. Podiums­diskussion, als ahnte es bereits, dass sich derartige KonEs gab, natürlich, auch langweilige Abende, Projekte, die flikte in AfD-Zeiten mehren sollten. scheiterten, Inszenierungen, die floppten. Das „Ruhrepos“ etwa Immer wieder zog das Team um Lars-Ole Walburg aus verfehlte sein Hauptthema, die Auswirkungen des Kohleausstiegs dem Spiel von Schuss und Gegenschuss, aus der Reibung von auf die Menschen im Ruhrgebiet, total. Doch das Publikum in Theater und Stadt seine Energien. Zähmen oder gar festsetzen Hannover war längst zu einem Komplizen geworden: durchläs­ ließ es sich nicht. Besonders deutlich wurde dies auf der Ebene siger, ohne seinerseits seine Aufmüpfigkeit zu verlieren, sodass des Schauspiels. Sei es im Chor oder als Solist, auf der Bühne die Kunst Raum bekam, sich auszutoben. In Nis-Momme Stockmanns Mammut-Stück „Tod und Wiederauferstehung der Welt oder im Internet, das Ensemble kannte in den besten Momenmeiner Eltern in mir“ (2012) durchmaß Walburg fünf Stunden ten, etwa in den Arbeiten von Milan Peschel, keine Disziplin. In Thorleifur Örn Arnarssons und Albert Ostermaiers „Die verlorelang die wütende Raserei eines Ex-Bankers, in der „Edda“ (2018) erschufen und zerstörten Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael ne Oper. Ruhrepos“ (2018), einer vierstündigen Recherche nach einem Fragment von Brecht und Weill, brauchte es ewig, um mit Torfason vier Stunden lang die Welt. Arnarsson wird in der komeingeschalteter Leselampe, aufgeschlagenem Textbuch, korrekt menden Spielzeit als Schauspielchef an die Berliner Volksbühne eingestelltem Bürostuhl am langen Tisch Platz zu nehmen. Imgehen. Auch andere Regisseure wie Alexander Eisenach, Mina mer wieder sprintete jemand nach hinten, rannte raus aus der ­Salehpour und Florian Fiedler, der seit 2017 Intendant in OberSzene, rein in die Szene, durchbrach Formationen und Abläufe, hausen ist, haben hier entscheidende Jahre verbracht, Thom Luz verhalf dem Haus mit seiner somnambulen Treppenhaus-Séance setzte zu spät ein oder zu früh aus, vergaß Requisiten oder den Text. Ein derart inszeniertes Chaos könnte schnell öde werden. „Atlas der abgelegenen Inseln“ von Judith Schalansky 2014 zu ­einer Einladung zum Berliner Theatertreffen. Doch diesem Ensemble folgte man durch das Gestrüpp dieser Inszenierung gern. Die Kunst dieses schauspielerischen Unge„Theater ist ein flüchtiges Medium“, schreibt Chefdramahorsams lehrt Henning Hartmann, der bereits seit der „Römiturgin Judith Gerstenberg im Abschlussheft. Auch dieses wird abschen Octavia“ als Dramaturg der Herzen zum brancheninterheben und weiterziehen. Denn sein Flug, so ließe sich Müller ein letztes Mal für dieses Haus adaptieren, ist der Aufstand. // nen Internetstar avancierte, derzeit in seiner YouTube-Serie

HAU

Z N TA

t

tier

sen

prä

T S U G AU

IM

31. I N BERL TERNATIO IN N TICK | 9 .— A L E S F ETS U 3 E NTER 1 . 8 . 2 0 ST IVA L WWW 1 9 .T ANZI

MAUG

UST.D

E


/ TdZ  Juni 2019  /

uckermärkische bühnen schwedt

Der Ritter der Tafelrunde Nach 29 Jahren tritt Reinhard Simon als Intendant der Uckermärkischen Bühnen Schwedt ab

E

ine Ära geht zu Ende, eine Ära, die manch einer gar nicht mitbekommen haben mag. Denn der Ort, an dem sich diese Ära abspielte, liegt sehr fern, in Schwedt, am äußersten östlichen Rand Deutschlands, fast schon in Polen. Dort verabschiedet sich im Sommer mit Reinhard Simon der wohl letzte Intendant eines Theaters in Deutschland, der basisdemokratisch gewählt wurde. „Ja, ich wurde damals vom Runden Tisch bestimmt“, erinnert sich Simon. Im August 2019 tritt er ab, begleitet von einem großen Event auf der Freilichtbühne. Die ist unter seiner Ägide ent­ standen, wie so vieles in Schwedt. In den 29 Jahren seiner Intendanz haben Simon und seine Mitstreiter das Theater nicht nur vor der Schließung bewahrt. Sie haben es ausgebaut, die einst kleine Sprechtheaterabteilung und das gewaltige Kulturhaus zu den Uckermärkischen Bühnen Schwedt zusammengefügt, die große Freilichtbühne errichtet und das Sprechtheater mit seinen vielen Musical-Produktionen zu einem de facto Zweispartenhaus erweitert. Dieses Theater wuchs, während woanders Theater schrumpften oder gar geschlossen wurden. Es ist also eine Erfolgsgeschichte. Zum Gespräch darüber lud Simon in die Reha-Klinik Bad Freienwalde ein. Nachdem der Übergang geregelt ist, kümmert sich der 68-Jährige endlich um seine Gesundheit. Natürlich nicht ausschließlich. Das Kurtheater und das Hoftheater in Bad Freienwalde hat er als weitere Spielorte für die Uckermärkischen Bühnen klargemacht. „Wir wollen hier unseren Aufgaben als Landestheater nachkommen. Kurtheater und Hoftheater werden gerade saniert. Aber nach Abschluss der Baumaßnahmen werden wir hier gastieren. Das fällt dann in den Aufgabenbereich meines Nachfolgers“, sagt Simon. Nachfolger ist André Nicke, einst Gründer des Stadttheaters Cöpenick in Berlin, und seit anderthalb Spielzeiten Schauspiel­ direktor in Schwedt. Simon verspricht, Nicke machen zu lassen. Ganz die Taue kappt er aber nicht. Zwei Musical-Inszenierungen

wird er 2020 und 2021 machen und auch als Berater zur Ver­ fügung stehen. Parallel verfolgt er ein großes Projekt: eine Weiterbildungsakademie für Theaterhandwerksberufe, gemeinsam mit dem Uckermärkischen Berufsbildungsverein. „Es gibt zu wenig ausgebildete Schneider, Bühnenmaler und Bühnenschlosser“, begründet er. Praktikumsplätze an verschiedenen Bühnen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt hat er schon vermittelt. Der Mann kann nicht anders als organisieren. Er hat seinem Theater zuvor das Musical-Standbein verpasst. „Es hat uns gerettet Anfang der 1990er Jahre. Das Abo-System war weggebrochen. Und wir haben gemerkt, dass die Musik es ist, die die Herzen der Menschen öffnet und sie zurück ins Theater bringt.“ Auch baute Simon den Kontakt nach Polen aus – mit zweisprachigen Kindermärchen etwa. Mehr als ein Drittel der ­Besucher dieser Stücke (etwa 7000 von 16  000 Besuchern pro Inszenierung) kommt aus Polen. Es blüht auch der Austausch mit Musical-Studenten aus dem Nachbarland. Sie machen ihr Praktikum am Theater in Schwedt, das Theater hat auf diese Weise gut ausgebildete Künstler, und der eine oder andere von ihnen bleibt dauerhaft im Ensemble. Zwei größere Niederlagen musste Simon in den 29 Jahren dennoch verkraften: Die Einrichtung einer Musical-Akademie, erst geplant mit der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg, dann mit der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), erhielt keine Finanzierung vom Land. Und dann ist da noch die Geschichte mit den vermeintlichen 1,4 Millionen Euro Schulden. „Es waren keine Schulden, sondern ein Defizit aus verschiedenen Quellen. Wir mussten zum Beispiel unsere Abgänge in die Frührente selber bezahlen, konnten dies aus den Einnahmen aber nicht leisten“, erklärt Simon. Ihm wurde sogar unterstellt, in die Kasse gegriffen zu haben. „Es war eine schwierige Zeit. Ich wollte damals aber nicht abtreten und das Theater mit roten Zahlen übergeben“, sagt er. Das Defizit ist jetzt ausgeglichen. Und für die schon beerdigt geglaubte Musical-­Akademie interessiert sich die Stadt nun wieder, hat Simon bemerkt. Richtig zur Ruhe kommen wird er also auch in Zukunft wohl kaum. // Reinhard Simon. Foto Udo Krause

von Tom Mustroph

/ 29 /


/ 30 /

protagonisten

/ TdZ Juni 2019  /

Wir lagen mit der Stadt auf der Couch Peter Kastenmüller und Ralf Fiedler über ihre Intendanz am Theater Neumarkt in Zürich im Gespräch mit Dorte Lena Eilers

P

eter Kastenmüller, Ralf Fiedler, das Theater Neumarkt in Zürich, das Sie in den vergangenen sechs Jahren geleitet haben, liegt historisch gesehen an einem spannenden Ort. Unweit des Theaters, in der Spiegelgasse Nr. 12, brütete Lenin über seinen Thesen, im Cabaret Voltaire vollzogen die Dadaisten die künstleri­ sche Revolution. Welche Theaterrevolution haben Sie initiiert? Peter Kastenmüller: Na ja, die Schweiz ist ja dafür bekannt, dass sie keine Revolution hervorgebracht hat. Hier herrscht eine andere politische Gemengelage. Ralf Fiedler: Es existieren starke Instrumente, die dafür sorgen, dass der Volkswille in jede Richtung in Politik umgesetzt wird. Das macht Revolutionen praktisch fast überflüssig ... Der Begriff Revolution ist jedenfalls sehr hoch gegriffen, bezogen auf die Wirkmöglichkeiten von Theater. Kastenmüller: Auch wir mussten das lernen: Mit welcher Lautstärke, mit welchen Mitteln bringen wir Themen hervor? Wir haben das Theater Neumarkt neu konfiguriert: Aus einem En-suite­haben wir ein Repertoire-Theater gemacht. Thematisch haben wir uns in den vergangenen sechs Jahren stark auf europäische Politik und deren Phänomene konzentriert. Eine aufregende Zeit. Die Welt von 2019 ist wirklich eine andere als die von 2013. Wir waren ein sehr schnelles Theater und haben versucht, mit Texten wie Robert Menasses „Die Hauptstadt“, Virginie Despentes' „Das ­Leben des Vernon Subutex“ oder Jennifer Clements „Gun Love“ auf der Bühne eine Sprache und eine Stofflichkeit für die Entwicklungen zu finden. Wir sind ein sehr politischer Ort geworden. In dem 2016 in unserem Verlag erschienenen Buch zum 50. Jubi­ läum des Theaters Neumarkt, Herr Fiedler, zitieren Sie das „Dada Manifesto“ von Richard Huelsenbeck: „Die höchste Kunst wird diejenige sein, … der man anmerkt, daß sie sich von den Explosio­ nen der letzten Woche werfen ließ, die ihre Glieder immer wieder unter dem Stoß des letzten Tages zusammensucht … Dadaist sein, heißt, sich von den Dingen werfen lassen ...“ Sind Sie in diesem Sinne Dadaist? Fiedler: Wir haben damals ein Programm zum Dadaismus gemacht, da verliebt man sich natürlich in solche Sätze. Man darf aber nicht vergessen, dass die Dadaisten das Manifest während des Ersten Weltkriegs geschrieben haben, die Explosionen also konkret waren. Wahr ist, auch wir sind von Anfang an nicht auf Nummer sicher gegangen. Wir haben Projekte gemacht, die etwas

lostreten sollten und zunächst zögerlich aufgenommen wurden. Das fing an mit „Offene Stadt“, ein paar Monate bevor in der Schweiz die SVP-Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ angenommen wurde. Später hat es durchaus Explosionen gegeben, die uns alle weitergebracht haben, weil wir uns dessen, was da passierte, stellen mussten und so definitiv aus dem Elfenbeinturm herauskamen. Kastenmüller: Dadaist bin ich persönlich eigentlich nicht. Aber diese Sehnsucht, eine künstlerische Verletzung zu provozieren und Dinge neu zusammenzusetzen, habe ich. Das Neumarkt ist ein kleines Theater mit einem kleinen Ensemble und begrenzten Möglichkeiten im Theatersaal. Jeden Stoff, den wir behandeln, müssen wir durch unsere Spieler denken. Wir müssen morphen, wir müssen sprengen und neu zusammensetzen. Peter Kastenmüller wurde 1970 in München geboren. Er arbeitete an zahlreichen Theatern als Regisseur. Unter anderem mit Björn Bicker verbindet ihn eine jahrelange Zusammenarbeit. Seit der Spielzeit 2013/14 leitet er das Theater Neumarkt in Zürich gemeinsam mit Ralf Fiedler. Fiedler, geboren 1961 im Allgäu, arbeitete nach einem Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie seit 1998 als Dramaturg an verschiedenen Theatern. Die Intendanz von Kastenmüller und Fiedler am Theater Neumarkt endet mit dieser Spielzeit. Fotos Tom Haller

Als großen Dadaisten haben Sie 2016 Philipp Ruch bezeichnet, dessen Aktion „Schweiz entköppeln!“, gerichtet gegen SVP-Politiker Roger Köppel, nach Protesten zu einer einmaligen Kürzung Ihres Theateretats von 50 000 Franken führte. Sie haben die Aktion im SRF „Dada-Schwachsinn“ genannt. Vordergründig könnte man das als Zugeständnis an die SVP sehen, dessen Mitglied D ­ aniel Regli Ihr Theater als „linkes, destruktives Unterhosentheater“ be­ zeichnete. Wer das Dada-Manifest kennt, liest Ihren Kommentar indes als Auszeichnung. Kastenmüller: Da bedanke ich mich, dass Sie das dechiffrieren konnten! Der Begriff „Dada-Schwachsinn“ war keine Negierung. Ich habe Philipp Ruch zwar nie einen Dadaisten genannt, er ist Aktivist, wohl aber habe ich damals darauf verwiesen, dass wir uns im Dada-Jahr 2016 befinden. Und in diesem Kontext würde ich es auch gerne so stehen lassen.


/ 31 /

Fiedler: Im Rückblick war es enttäuschend, aber auch verblüffend, wie wenig über den eigentlichen Gegenstand dieser Aktion geredet wurde, also über die Texte von Roger Köppel und das Kokettieren mit Nazi-Content. Es ging um seltsam grundsätzliche Fragen: Wie darf man in der Schweiz politische Repräsentanten behandeln? Wie hat man als politischer Mensch mit der SVP umzugehen? Sollte man als Theater überhaupt Politik machen? Sie haben in dem Interview zugestanden, dass die von Ruchs ZPS entwickelte Internetseite deutlicher als Satire hätte gekennzeich­ net werden müssen. Das ZPS zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass es sich nicht erklärt. Kunst generell braucht keine Ge­ brauchsanweisung. Was sie braucht, sind Freiräume, die aber von Rechtspopulisten, das zeigte auch kürzlich die bekannt gewordene Überwachung Ruchs durch den thüringischen Verfassungsschutz, zunehmend attackiert werden. Sind Sie zu schnell eingeknickt? Kastenmüller: Gegenfrage: Ist Frau Merkel eingeknickt vor Erdoğan, als das berühmte Böhmermann-Gedicht rauskam? Oder ist Böhmermann eingeknickt, weil er das Gedicht nicht mehr ­zitiert? Diese einfachen Wahrheiten funktionieren nicht mehr. Fiedler: Für manche Aktionen ist es sinnvoll, dass sie in einer Grauzone bleiben. Es wurde aber behauptet, dass durch das Spiel mit den Flüchen ein Mensch bedroht würde. Wenn sich jemand ernsthaft von uns bedroht fühlt, geht das natürlich nicht. Da muss dann Satire draufstehen. Kastenmüller: Sie beschreiben die Aktion jetzt auch aus der Perspektive von 2019. Man könnte natürlich sagen, dass Philipp Ruch schon damals erkannt hat, was heute passiert. Freiräume zu schützen ist die große Aufgabe. Dennoch, ja, wir lagen mit der Stadt auf der Couch. Aus heutiger Sicht würde ich mir nicht noch einmal eine Diskussion so wegnehmen lassen wie damals. Aber auch Böhmermann sagte: Irgendwann gibt es einen Punkt, da muss man sich ausklinken und die Diskussion einfach weiterlaufen lassen. Sowieso: Die Aktion fand im Kontext eines Festivals zu Krieg und Frieden statt, da gab es auch noch 29 weitere Positionen.

Erzählungen aus dem Präkariat – Lucy Wirth in „Gun Love“. Foto Maurice Korbel

Im November 2018 inszenierten Sie, Herr Kastenmüller, „Das An­ schwellen der Bocksgesänge“ zum Thema Populismus. Warum taucht da, außer indirekt über die Rede Steve Bannons auf einer Veranstaltung von Roger Köppels Weltwoche, kein Schweizer Rechtspopulist auf? Hat Sie der Mut verlassen? Kastenmüller: Ach Gott! Na ja. Ich finde, die Situation hier konnte man nicht besser treffen, als die Einladung von Steve Bannon durch Roger Köppel zu thematisieren. Fiedler: Weil Bannon in seiner Rede so konkret auf die Schweiz im europäischen Kontext eingegangen ist, wie es ein Schweizer niemals tun würde. Er hat die Schweiz sehr dezidiert als Vorläufer des europäischen Rechtspopulismus beschrieben. Da fallen Sätze wie: „Blocher was Trump before Trump.“ Insofern war das genau der richtige Text. Kastenmüller: Der Rechtspopulismus ist einfach nicht mehr durch nationale Phänomene zu erklären. Der Regisseur Wojtek Klemm hat auf Polnisch einen Text von Viktor Orbán vorgelesen. Diese Verschiebungen sind uns extrem wichtig gewesen, damit wir die Komplexität des Phänomens zu fassen bekommen. In der Schweiz ist die SVP völlig anders integriert. Um das zu verstehen, muss man ein paar Jährchen hier gelebt haben. Fiedler: Wir gehen jetzt hier raus mit der Parole „Stay unsafe“. Das ist ein Gruß aus unserer Inszenierung „I Love Dick“ von Chris Krauss, der unsere Theaterarbeit der vergangenen Jahre ganz gut auf den Punkt bringt. Heute scheint die Welt voller Ungewissheit und Bedrohung, mit falschen Gewissheiten wird hausieren gegangen. Deswegen wollen wir den Begriff der Unsicherheit wieder produktiv machen. Was Mitteleuropa braucht, ist ein bisschen unsafes Theater. // TdZ ONLINE EXTRA Eine Langfassung dieses Interviews finden Sie unter www.theaterderzeit.de/2019/06

www


/ 32 /

/ TdZ Juni 2019  /

Nurkan Erpulat: »Reichstags-Reenactment« THEATER

Mi 21.8.

Do 22.8.

17:00 AUFNAHME DES HISTORISCHEN FOTOS 18:00 »EINZUG« INS DNT UND SZENISCHER TEIL I 21:30 FREILUFTBALL

15:00 SZENISCHER TEIL II

Projektideen gesucht

ORT: THEATERPLATZ + DEUTSCHES NATIONALTHEATER, GROßvES HAUS

Katie Mitchell: Zauberland Eine Begegnung mit Robert Schumanns »Dichterliebe« Sa 24.8. 19:30 So 25.8. 16:00

Was ist NOperas?

TANZ

DEUTSCHES NATIONALTHEATER, GROßvES HAUS

Falk Richter: I am Europe THEATER

Do 29.8. 19:30

DEUTSCHES NATIONALTHEATER, GROßvES HAUS

Benjamin Verdonck: Kurzstücke

PERFORMANCE

Do 29.8. Fr 30.8.

18:00 18:45 19:30 20:15

GILLE LEARNS TO READ ONE MORE THING SAG MIR WO DIE BLUMEN SIND WALDEINSAMKEIT

Sa 31.8. So 1.9.

15:00 15:45 16:30 17:15

GILLE LEARNS TO READ ONE MORE THING SAG MIR WO DIE BLUMEN SIND WALDEINSAMKEIT

ORTE: GILLE LEARNS TO READ / ONE MORE THING – PROJEKT EINS WALDEINSAMKEIT / SAG MIR WO DIE BLUMEN SIND – KASSETURM

CocoonDance Rafaële Giovanola, Vera Sander, Nelisiwe Xaba, Kettly Noël: Signifying Ghosts TANZ Sa 31.8. 19:30 So 1.9. 16:00

DEUTSCHES NATIONALTHEATER, GROßvES HAUS

Im Rahmen der 2019 vom Fonds Experimentelles Musiktheater gestarteten Förderinitiative NOperas! schließen sich für jeweils drei Spielzeiten drei Theater zu einem Verbund zusammen. Gemeinsam realisieren sie in jeder Saison ein Projekt, das an allen drei Häusern gezeigt wird. Jenseits der von den Häusern selbst eingebrachten Ressourcen stellt der feXm für jede Produktion Fördermittel von bis 200.000 Euro zur Verfügung. Innerhalb der vereinbarten drei Jahre stellen die beteiligten Häuser abwechselnd die Produktionsstätte. Beteiligt sind innerhalb des laufenden Turnus die Oper Halle, die Oper Wuppertal und das Theater Bremen.

Ausschreibung 2019 Mit der laufenden Ausschreibung für die Spielzeit 2020/21 geht die Zusammenarbeit dieser Häuser in die zweite Runde. Erstproduzierendes Haus für das ausgeschriebene Projekt ist die Oper Halle.

Wer kann sich bewerben? Als Förderinitiative orientiert sich der feXm an einem erweiterten, nicht auf Formen der zeitgenössischen Oper fixierten Musiktheaterverständnis. Im Fokus steht ein prozessuales Arbeiten in mehreren Probenphasen. Bewerben können sich europaweit Teams, die gemeinsam das Zusammenspiel der Theaterebenen (Komposition, Text, Regie, Bühne) verantworten. Eine Jury ausgewiesener Fachleute im Bereich des zeitgenössischen Musiktheaters entscheidet gemeinsam mit den beteiligten Theatern über die Auswahl des zu realisierenden Projekts. Die Ausschreibungsfrist endet am 20. Juni 2019. Ausführliche Informationen zu Ausschreibung und Bewerbung finden Sie auf www.noperas.de »NOperas!« – eine Initiative des Fonds Experimentelles Musiktheater (feXm). In gemeinsamer Trägerschaft von NRW KULTURsekretariat und Kunststiftung NRW, in Kooperation mit Oper Halle, Oper Wuppertal und Theater Bremen.

www.kunstfest-weimar.de Karten unter 03643 / 755 334

G E F Ö R D E RT D U R C H


/ TdZ  Juni 2019  /

neubrandenburg /neustrelitz und rostock

Bauen und Spielen Joachim Kümmritz rettete einst das Staatstheater in Schwerin – nun enden seine Intendanzen in Neubrandenburg / Neustrelitz und Rostock

E

in guter Intendant muss unerschrocken sein – oder zumindest so wirken. Weder vor lokalen Politikern, Regisseuren oder Schauspielern noch vor dem Publikum darf er Angst zeigen (darin einem Dompteur ähnlich). Ich vermute, Joachim Kümmritz hatte tatsächlich nie Angst vor irgendwem im eigenen Theater. Ohne Angst sein, das ist ein anderer Ausdruck für jene Freiheit, an der alle anderen teilhaben dürfen. Gewiss liegt es an seinem besonderen Naturell als Berliner mit Wahl­ heimat Mecklenburg und als gelernter Ökonom und Verwaltungsfachmann. Als solcher ist man nicht anfällig für Profilneurosen und auch erst einmal keine Konkurrenz für an Profilneurosen Leidende, von denen es an jedem Theater bekanntlich nicht wenige gibt. Das wurde zur Basis von nunmehr über vierzig J­ahren ununterbrochener Tätigkeit am Theater, seit 1990 als ­Intendant – bis 2016 am Mecklenburgischen Staatstheater S ­ chwerin, seit 2014 am Theater und Orchester Neubrandenburg/Neustrelitz und seit 2016 zusätzlich am Volkstheater Rostock. Das Geheimnis dieser langen Leitungsdauer ist wohl, dass er ein sicheres Gespür dafür entwickelte, wo er sich zeigen und wo er sich besser verbergen sollte. Offensive bedarf der Defensive, um erfolgreich zu sein, so lehrt das Beispiel Kümmritz. Sein Credo im Umgang mit Provinzgrößen erklärte er mir einmal in allgemeinverständlichen Worten wie folgt: „Als Erstes wollte ich die Politiker von der Backe haben!“ Daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht – was ihm wiederum das Vertrauen seiner Mitarbeiter unterschiedlichster Couleur garantierte. Er gehörte zu ihnen, sprach und handelte für sie, ließ es nicht zu, dass jemand von außen hineinregierte. Das ist der kleine Unterschied, zum Beispiel zwischen dem Mecklenburgischen Staatstheater gestern und heute. Der bekennende FC-Union-Fan machte aus seiner Berliner Herkunft nie einen Hehl, diese Offenheit kam auch bei eher verschlossenen Mecklenburgern gut an. Sein erster Auftritt am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin datiert auf den 1. Januar 1979, da wurde er Mitarbeiter

der sogenannten Investbauleitung. Seine in den kommenden Jahrzehnten gepflegte Leidenschaft begann: Bauen, und zwar bei laufendem Spielbetrieb. Er ist kein Künstler, aber er liebt die Künstler. Das ist wohl entscheidend, wenn man als Chef eines Vierspartenhauses akzeptiert werden will. Dass da auch immer jemand mitrechnet, die Zahlen im Kopf hat, akzeptiert dann auch der Schauspieler, Tänzer oder Sänger leise seufzend. Aber Kümmritz war immer mehr als ein Verwalter, er hatte Ideen. Die verbanden – das war nach 1990 überlebenswichtig – Kunst und Kommerz auf wohldosierte Weise. Er erfand die Schlossfestspiele Schwerin, nicht nur, weil er so mehr fi ­ nanziellen Spielraum für das immer unterfinanzierte Haus gewann, sondern auch, weil das Freilufttheater ihm sichtlich Spaß machte. In der Rolle des Zirkusdirektors auf Zeit fühlte er sich wohl – und die Beteiligten auch. Später erfand er auch die Thekentouren, spät­abendliche Minivorstellungen in Knei­ pen. Alles, um das Theater in der Stadt zu verwurzeln. Der erklärte Nichtkünstler Kümmritz schaffte es, sich mit seinen Schweriner Spartenleitern für Oper und Schauspiel, Werner Saladin und Ingo Waszerka (ausgeprägten Künstlerpersönlichkeiten), in den für den Fortbestand des Theaters entscheidenden neunziger Jahren nicht zu zerstreiten – und rettete es damit vor der drohenden Schließung. Wer ein Theater leiten will, der muss vor allem die Menschen schützen, die ihr Herzblut dafür geben, dass auf der Bühne eben nicht bloß Mittelmaß stattfindet, sondern immer etwas ­Besonderes. Kümmritz kann das auf eine eher lässige Weise. Wer Altes abschafft, muss auch Neues schaffen – sonst hat alles keinen Sinn. Inzwischen hat das auch die Landesregierung in Schwerin begriffen, der „Theaterpakt“ ist die Folge langer, mühsamer Überredung zur Vernunft, nicht zuletzt durch Joachim Kümmritz. Als er 2016 in Schwerin aufhörte, war er in Neustrelitz/Neubrandenburg noch mitten beim „Bauen und Spielen“, dann kam, nach dem abrupten und unfairen Ende der Intendanz von Sewan Latchinian am Volkstheater Rostock, noch eine neue Intendanz auf Zeit dazu. Hauptaufgabe in Rostock: nach dem Eklat um ­Latchinian die Gemüter be­ruhigen und die Politiker vom Theater fernhalten. Das ist ihm recht gut gelungen. Und nun? Rente – oder doch noch einmal ein neues Theater? // Joachim Kümmritz. Foto Jörg Metzner

von Gunnar Decker

/ 33 /


/ 34 /

Von Afrika lernen Frank Heuel inszeniert mit „Brillante Saleté – Glänzender Dreck“ ein Rechercheprojekt über unkontrollierten Goldabbau in Burkina Faso von Irma Dohn

D

as Espace Culturel Gambidi ist ein selbstverwaltetes Kulturzentrum in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Das Binnenland in Westafrika zeichnet sich durch eine kreative und innovative Kulturszene aus, die international ausstrahlt. Um ­einen weiträumigen, staubigen Hof gruppieren sich verschiedene Probenräume, eine Schauspielschule, eine kleine Radiowerkstatt, ein Open-Air-Theater mit bis zu 500 Plätzen, das wegen der gleißenden Hitze nur nach der Dämmerung zu bespielen ist, sowie eine Garküche und eine Trinkbude, in der es kaltes Wasser und das gute Brakina, das einheimische Bier des Landes, gibt. Überall herrscht eine intensive Arbeitsatmosphäre, laute Gesprächs­ fetzen, Gesänge und fremde Klänge dringen herüber auf die ­Probebühne, wo unter sirrenden Ventilatoren (wenn es Strom gibt) der Bonner Regisseur Frank Heuel mit seinem internatio­ nalen Ensemble aus Burkinabe-Künstlern und deutschsprachigen Schauspielerinnen und Schauspielern vom Bonner fringe ensem-

ble, dessen Künstlerischer Leiter er ist, über unkontrollierten Goldabbau in Burkina Faso arbeitet. „Brillante Saleté – Glänzender Dreck“ ist bereits sein drittes Theaterprojekt dieser Art in Westafrika. 2016 hat er in Cape Coast (Ghana) ein Stück über eine verseuchte Lagune inszeniert („Black Water“), ein Jahr später in Burkina Faso eine Theaterproduktion zum Thema Boden und ­Klima („La Terre, Ton Amie / Die Erde, deine Freundin“). „Bei einem der Besuche in der Region standen wir gänzlich unerwartet in einer gerade entstandenen Plastikzeltstadt“, erzählt Heuel, „mitten auf einem Feld, wo ein erst kürzlich errichteter Erosionsschutzwall nur noch zu erahnen war. Hier hatte jemand Gold gefunden, im Nu hatte sich der Fund herumgesprochen und eine wilde Mine war in Windeseile aus dem Boden geschossen.“ Als er seinem burkinischen Ensemble davon berichtete, war die Idee geboren: „Über Gold in Burkina müssten wir mal ein Stück machen!“ Mit dem Theater Bonn und dem Espace Culturel Gambidi gab es

Gestohlener Reichtum – Die Uraufführung von „Brillante Saleté“ in Burkina Faso. Foto Amina Yanogo


burkina faso

/ TdZ  Juni 2019  /

Kooperationspartner, ein Antrag bei der Kulturstiftung des ­Bundes im Rahmen des Fonds Doppelpass bekam den Zuschlag, und so konnte die ­Arbeit losgehen. Als Heuel mir vorschlug, ihn in das kleine Land in der ­Sahel-Zone, 1983 von dem damaligen Präsidenten und charismatischen Politiker Thomas Sankara (er regierte von 1983 bis 1987) von Obervolta umbenannt in Burkina Faso, „das Land der Aufrechten“, zu ­begleiten und als kritische Beobachterin sein Theaterprojekt zu dokumentieren, habe ich spontan zugesagt. Die ­Ausgangsbedingungen waren ideal, kannte er doch bereits die Schauspieler und Slammer Tony, B-Rangé und Térence vom Collectif Qu’on sonne & Voix-ailes, die in einem sehr eigenen, poetisch verdichteten Stil texten und performen, sowie den Schauspieler Lazare, einen begnadeten Komiker und Geschichtenerzähler. Im Sommer 2017, zur heftigsten Regenzeit, hat Frank Heuel die wilden Minen besucht – mehr als 600 soll es davon in Burkina Faso geben. Seine burkinische Projektkoordinatorin Amina Yanogo, die mehrere Lokalsprachen der über 63 verschiedenen Ethnien und Kulturen beherrscht, hat ihm den Weg geebnet für Gespräche mit den Goldsuchern, mit den Frauen, die dort arbeiten, mit den Händlerinnen und Händlern, den Clan-Chiefs und den Ärmsten der Armen, die das aussortierte Gesteinsmaterial noch einmal bearbeiten, um noch ein Quäntchen Goldstaub zu ergattern – meistens Frauen mit ihren Kindern. Dieses dokumentarische Material war Inspira­ tionsquelle und Ausgangspunkt für die teamorientierte Probenarbeit. Mit angehaltenem Atem saß ich in der ersten Durchlaufprobe. Das Ensemble arbeitete bereits seit zwei Wochen zusammen, es war drückend heiß, obwohl Dezember – die kälteste Jahreszeit in Burkina Faso. Nach dem musikalischen Opening der Slammer und e­ inem furiosen Maskentanz des deutschen Schauspielers David Fischer mischen sich die Darsteller. Tony vom Collectif und die deutsche Schauspielerin Philine Bührer wirbeln spielerisch ihre Identitäten durcheinander. Wer ist wer? Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, alles ist Zuschreibung. Vertauschbar. Das ist die Vorgabe des ganzen Abends. Ein gesellschaftlicher Zukunftsentwurf. Die Inszenierung ist ein virtuos verfremdetes Stück Dokumentartheater, das mit Leichtigkeit zwischen mehreren Sprachen – Deutsch, Französisch, Mòoré und Schwyzerdütsch – hin und her wechselt. Eine bildstarke Szenencollage, kurzweilig und unterhaltsam, die die Balance hält zwischen Komik, Selbstironie und Problembewusstsein und die sich ganz ohne moralischen Zeigefinger spielerisch und fragend mit dem komplexen und ambivalenten Thema auseinandersetzt. So wird versucht, in einer vor Spielfreude überbordenden Szene telefonisch den Staatspräsidenten von Burkina Faso zu erreichen, um eine Lösung zu finden für das illegal außer Landes gebrachte Gold, das über Togo steuerfrei in die Schweiz, den größten Goldaufkäufer des Burkina-Goldes, vertrieben wird. Mehrere Millionen Franken gehen dem burkinischen Staat dadurch verloren, die dringend für Krankenhäuser und Schulen gebraucht würden. Hier wird die Frage der neokolonialen Ausbeutung mit Europa in Verbindung gebracht. „Schmutziges Gold“, sagen die drei Slam-Poeten. „Es gibt keine Trans­ parenz, woher das Gold kommt, wie es abgebaut wird, keiner fragt, unter welchen Bedingungen.“ Die Ausstatterin und Videokünstlerin Annika Ley hat für das Projekt eine offene Bühne entworfen, die dem theatralen Zu-

griff des Abends entspricht. In ihrer minimalistischen Bühnen­ ästhetik zitiert sie die Materialien und Werkzeuge der Gruben: Lehm, Steine, Eimer, Hämmer, Grubenlampen, Goldwäscherschalen. Sie verwendet immer wieder die goldglänzenden Schutzfolien, die weltweit in Katastrophenfällen eingesetzt werden. Sie sitzt an ihrem Pult am rechten hinteren Rand der Bühne – gut sichtbar für das Publikum – und bespielt die Videoleinwand im Hintergrund mit Projektionen, Standbildern, Computeranimationen und Filmen. Zu den eindringlichsten Momenten der Inszenierung zählt eine Szene, die auf einem Interview mit einer jungen Burkinabe beruht, die offen über ihre Sexualität und die Praxis der Genitalverstümmelung spricht, die in Westafrika in allen gesellschaftlichen Schichten und Religionen – trotz Verbot – weit verbreitet ist. Die Figur ist aufgeteilt auf die beiden weißen Schauspielerinnen Philine Bührer und Laila Nielsen, die ihre Geschichte leise, fast flüsternd und emotionslos erzählen, während ihre Gesichter in Großformat auf die Leinwand projiziert werden. In der zweiten Vorstellung in Ouagadougou verließ eine Reihe junger schwarzer Frauen das Theater, weil dieses Thema noch heute an gesellschaftlichen Tabus rührt. „Voilà, c’est ça. So ist es“, sind die letzten Worte des Abends, bevor das Licht ausgeht. Gesprochen von dem burkinischen Schauspieler Lazare, es sind, bis auf ein „Danke“, seine einzigen deutschen Worte. Ansonsten spielt und spricht er – außer ein paar französischen Einsprengseln – Mòoré, die Regionalsprache der Mossi. Er spielt als Einziger eine durchgehende Rolle, die Figur des Bauern Brahima, der aufgrund seiner sozialen Not gezwungen ist, seinen erst 16 Jahre alten Sohn in die Goldminen zu schicken. Lazare hat sich die Geschichte zu eigen gemacht. Umwerfend komisch wie tieftraurig erzählt er sie mit einer Zartheit und emotionalen Tiefe, die berührt. „Ich bin nur ein einfacher Storyteller, der die Menschen unterhalten und sie zum Lachen bringen möchte.“ Ich bin mit vielen Fragen nach Ouagadougou gereist, von denen sich viele im Laufe der Arbeit aufgelöst haben. Frank Heuel ist es gelungen, mit Neugierde und Unvoreingenommenheit einen interkulturellen Diskurs auf Augenhöhe zu initiieren, der den afri­kanisch-burkinischen Erfahrungsraum mit dem europäischdeutschen verknüpft. Von Anfang an, von der gemeinsamen Themenfindung, über die Organisation und Struktur der Arbeit, die Verteilung der Mittel bis hinein in die kreative Phase, hat er die afrikanischen Partnerinnen und Partner gleichberechtigt in das Projekt eingebunden und die Kulturszene vor Ort gestärkt. Am 31. Mai feierte die Inszenierung „Brillante Saleté – Glänzender Dreck“ Deutschlandpremiere in Bonn. Statt sich von Afrika abzuschotten, sollte es darum gehen, „die Bedingungen zu unter­ suchen, unter denen wir uns einander authentisch begegnen können“, schreibt der afrikanische Philosoph und Historiker Achille Mbembe, ein Vordenker des radikalen postkolonialen Humanismus. Oder wie Christoph Schlingensief es für sein Operndorf in Afrika formulierte: „Von Afrika lernen“. //

Im Verlag Theater der Zeit ist soeben in der Reihe Recherchen, Band 144 erschienen: „Gold. Ein Theaterprojekt in Burkina Faso“, herausgegeben von Irma Dohn, Claudia Grönemeyer und Frank Heuel.

/ 35 /


Look Out

/ TdZ Juni 2019  /

Von diesen KünstlerInnen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern.

Empfinden mit dem Auge Die Kostümbildnerin Nuria Heyck erzählt mit einer Begeisterung für Materialien und Oberflächen eigene Geschichten

M

anchmal geschieht es, dass einen Kostüme im Theater in den Bann ziehen, weil sie eine eigene Geschichte erzählen. So war es bei „The One“, das im März an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin zu sehen war. In der Stückentwicklung von Charlotte Lorenz geht es um die ­romantische Liebe. Das Eigenartige bei der „Sprache der Liebe“ sei, schrieb einst Roland Barthes, dass sie zwar das Intimste des Subjekts ausdrücken soll, aber zugleich nur aus Vorlagen zitiert. Ein Widerspruch, der auch in „The One“ verhandelt wird. Die Vorstellungswelten der Liebe werden von Literatur, Musik und Film geprägt und geraten gelegentlich gar mit dem Alltag in Kollision. ­Erstaunlicherweise erzählte sich die Geschichte vor allem über die Kostüme von Nuria Heyck. Sie hatte die Stückentwicklung von Beginn an begleitet, hatte die Schauspieler, ihre Körper und Bewegungen beobachtet und ihnen Kostüme entworfen und gestaltet, die auf beeindruckende Art von dem Spiel zwischen liebebedürftigen Körpern und einer symbolischen Ordnung des Begehrens erzählen. Jeder Schauspieler wurde durch die Kleidung zu einer begehrenswerten Version seiner oder ihrer selbst – von den Blumen im Haar über die Brosche am Kragen und den Gürtel mit der auffälligen Schnalle bis zu den Stiefeln und hochhackigen ­ Schuhen, immer in einem perfekt abgestimmten Farbensemble. Inspirieren ließ sich Heyck von Ikonen des Begehrens wie ­Marlene Dietrich und James Dean. Körper mit Kostümen zu umhüllen, verhüllen und enthüllen, das fasziniere sie, erzählt Heyck. Die Berlinerin wurde 1987 geboren. Nach einem Studium der Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft entschied sie sich, Kostümbild an der Universität der Künste (UdK) in Berlin bei Florence von Gerkan zu studieren. Für die Rossini-Oper „Il viaggio a Reims“ an der UdK

g­ estaltete sie 2017 mit Anna Philippa Müller gemeinsam die Kostüme. Deren Hotelszenerie kippte ins Düstere, die Kostüme verwiesen auf die Formen des Massentourismus, die sich vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierten: Menschen ziehen ihre Rollkoffer hinter sich her und hüllen sich in Funktionskleidung, die aus dem Militärischen kommt und ihren Trägern etwas Uniformes verleiht, während zugleich noch Anklänge an die bürgerliche Mode des 19. Jahrhunderts zu s­ ehen sind. Es sind Kostüme, die in ihrer Gestalt die ge­ sellschaftsgeschichtlichen Erfahrungen und modischen Entwicklungen bis in die Gegenwart reflektieren. „Die Qualität von Theater ist die Abstraktion in der Form“, sagt Heyck. Heyck interessiert sich für Bilder, für das Erzeugen von Gefühlen und für Oberflächen und Materialien. Ohne Sinnlichkeit geht es im Kos­ tümbild nicht. Die Erinnerung, wie sich etwas anfühlt, kann durch den Anblick von Materialoberflächen hervorgerufen werden. „Taktiles Empfinden mit dem Auge“ nennt Heyck das. Indem man Oberflächen in den Fokus nimmt, kann man Figuren näherbringen. Neben der Abstraktion der Bühne zieht es Heyck deswegen auch zum Filmbild, zum ­ Detail und zum Ausschnitt. Der Einsatz von Kameras auf der Bühne – wie auch in „The One“ – kommt dieser Neigung entgegen. In ihrer Master­arbeit geht es um die sinnliche Wahrnehmung von Oberflächen, die Vorlage liefert Daniela Hodrovás „Das Wolschaner Reich“. Diesen Sommer arbeitet Heyck im Kostümteam für den Film „Blutsauger“ von Julian Radlmaier, dem größten Talent des deutschen Autorenfilms, der für das Drehbuch bei der diesjährigen Berlinale mit einem Preis aus­ gezeichnet wurde. Der junge Filmemacher kommt mit seiner Arbeitsweise der von Heyck entgegen, bei der es darum geht, mittels der Kostüme die Figuren zu entwickeln, einzelne ­Momente hervorzuheben, Haltungen zu verstärken und charakteristische Züge zu akzentuieren. // Nuria Heyck. Foto Jonas Friedrich

/ 36 /

Jakob Hayner


Look Out

/ TdZ  Juni 2019  /

Textsezierer und Schauspielerlauscher Der Regisseur Alek Niemiro zeigt am Thalia Theater Hamburg, dass Grenzgänge das Risiko wert sind

teffen Siegmund tastet, ja, schmeckt sich in den Text hinein. Fast ist es, als müsse er die Sprache für seine Situation erst erschaffen. Er bekommt 2017 den Boy-Gobert-Preis für Nachwuchsschauspieler an Hamburger Bühnen verliehen – unter anderem für dieses Solo. Es ist ein düsterer Roman, den Alek Niemiro zu einem beklemmenden Abend verdichtet hat: Édouard Louis’ „Das Ende von Eddy“ handelt von einem Jungen, der nicht nur eine hohe Stimme, sondern auch noch die Sehnsucht nach dem „falschen“ Geschlecht hat. Ein dörf­ liches Horrorszenario: homosexuell, anders, dem Hass ausgesetzt. Niemiro hat sich den Text genau vorgenommen. Mit Tom Gatza an der Gitarre und am Klavier schafft die Musik weit mehr als nur eine kommentierende Ebene, sie tritt in Dialog, treibt an, erzählt mit. Spielort ist die Garage des Thalia Theaters. Kein einfacher Raum, ein bisschen zu breit, mit schwierigen Sichtachsen wegen zweier sehr prominenter Säulen, dazu weiße Wände, vor denen die Scheinwerfer hängen wie ein Statement. Und doch scheint dieser Ort wie gemacht für den Abend, thematisiert er das Theatrale an sich, unterstrichen noch durch den roten Samtvorhang, der über der Podesterie drapiert ist. „Die Szene, als Eddy auf die Theaterschule geht, ist für mich ein Schlüsselmoment“, erklärt Niemiro. „Mit ihr entstand der Wunsch, den Roman für die Bühne zu adaptieren.“ Theater als der Ort, an dem sich der Protagonist neu erfindet: Siegmund zieht in einem Kraftakt den roten Vorhang weg, danach steht die nackte Podesterie im Raum. Alles darf jetzt sein, nun ist Platz für das, was kommt. „Das Theatrale war mir auch deshalb wichtig, weil wir keine Coming-out-Geschichte erzählen wollten. Es ging uns darum, das Prinzip der Ausgrenzung zu archetypisieren“, so Niemiro. Ein Prinzip, das er kennt. Als Kind polnischer Eltern wuchs er in einer Kleinstadt in der Nähe Hamburgs auf. „Wenn du an einer Kleinstadtschule nicht nur Ausländer bist,

Alek Niemiro. Foto Caro Hellwig

S

sondern auch noch beginnst, anders zu denken, wirst du unweigerlich ein Fremdkörper bleiben.“ Auch Niemiro erlebte seinen Schlüsselmoment: Es war ein Jahr in den USA, in dem er sich neu aufstellen konnte. Später, als Assistent am Thalia Theater, arbeitete er unter anderem mit Luk Perceval zusammen: „Luk hat einen unglaublichen Instinkt. Dieses Sich-Einlassen auf den Moment, in dem ein Schauspieler auf der Bühne steht und einen Text spricht, daraus die eigene Kreativität entstehen zu lassen: Das kommt der Art und Weise, wie ich Theater sehe, sehr nah.“ Ein Jahr nach „Das Ende von Eddy“ steckt er in den Proben zu „In der Schwebe“ von Maya Arad Yasur. Auch diesmal hat Niemiro den Text nahezu seziert. „Das ist wie ein moderner ,Godot‘, gemischt mit einem Sarah-­ Kane-Text. Den muss man machen“, erzählt er von seinem ersten Lese­ eindruck. Und tatsächlich oszilliert „In der Schwebe“ zwischen Beckett’scher Absurdität und der konkreten Geschichte zweier Geflüchteter. Niemiro hat diese Ambivalenz akribisch herausgearbeitet. Es ist der erste Durchlauf auf der Bühne. Eine Art überdimensionierter, schräg gestellter Schwe­ be­ balken durchzieht die gesamte Breite der Garage. „Ich mag es, an Grenzen zu gehen, sei es körperlich oder sprachlich. Die Schauspieler aus der Komfort­ zone zu l­ocken war das Ziel des Bühnenbilds“, erklärt Niemiro. Er wirkt ruhig auf der Probe und fokussiert. Es ist eine vertrauensvolle, hoch konzentrierte Atmosphäre. „Meine große Schwäche auf Proben ist, dass ich mich verplaudere. Ich erzähle Anekdoten von all den Regisseuren, denen ich begegnet bin“, grinst er. Wer sich so intensiv an einem Text abarbeitet und mit so viel Zuneigung auf Schauspieler guckt, darf das aber auch. Und wird wahrscheinlich später selbst mal in den Anekdoten junger Regisseure vorkommen. Vermuten wir. // Natalie Fingerhut „In der Schwebe“ wird das nächste Mal am 29. Juni am Thalia Theater Hamburg gezeigt.

/ 37 /


Alexander Scheer (l.) und Jan Bülow in Frank Castorfs Inszenierung von „Justiz“ nach dem Roman von Friedrich Dürrenmatt am Schauspielhaus Zürich. Foto Matthias Horn

/ 38 /

Auftritt Bautzen „Die Orestie“ von Aischylos  Berlin „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn  Chemnitz „Einsame Menschen“ von Gerhart Hauptmann  Dresden „Eine Straße in Moskau“ (UA) nach dem Roman von Michail Ossorgin  Ingolstadt „Wege des Helden. Siegfried“ (UA) von Donald Berkenhoff  Mainz „Ljod − Das Eis − Die Trilogie“ nach Vladimir Sorokinin  München „Drei Schwestern“ nach Anton Tschechow  Pforzheim „Fahrenheit 451“ nach Ray Bradbury  Vitte „Robinson Crusoe“ nach Daniel Defoe  Zürich „Justiz“ nach Friedrich Dürrenmatt


auftritt

/ TdZ  Juni 2019  /

BAUTZEN Großes Welttheater auf kleiner Bühne DEUTSCH-SORBISCHES VOLKSTHEATER BAUTZEN: „Die Orestie“ von Aischylos Regie Mario Holetzeck Ausstattung Linda Kowsky Choreografie Gundula Peuthert

Von wegen Provinztheater! Wenn zur ersten Repertoirevorstellung schon Fans aus Leipzig Königliches Format – Regisseur Mario Holetzeck begeistert in Bautzen mit seiner Inszenierung von Aischylos‘ „Orestie“ und das Ensemble mit einer Schauspielleistung von königlichem Format. Foto Uwe Soeder

anreisen, wenn das eher biedere Bautzener

markiert, entsteht der Eindruck von Weite und

Publikum am Schluss trampelt, ruft und ste-

Erhabenheit. Die eigentliche Hauptbühne

hend applaudiert, muss sich wohl auf der klei-

bleibt den Folgen der Abschlachtungen inner-

nen Bautzener Bühne Großes ereignet haben.

halb der Königsfamilie und dem abschließen-

Großstädtische Arroganz ließ die berühmte

den Gericht über Sohn Orestes vorbehalten.

antike „Orestie“ zuvor eher als Zumutung für

Die Kostüme orientieren sich an antiken Vor-

das Deutsch-Sorbische Volkstheater erschei-

bildern, ohne albern zu wirken. Waffenträger

„gesunde Volksempfinden“. „Tun, leiden, ler-

nen. Der Dresdner hatte noch die mit dem Bür-

wie Agamemnon, Orestes oder Elektra zitieren

nen“, skandiert er immer wieder. Zur über­

gerchor aufgepeppte spektakuläre Inszenie-

zugleich moderne Fantasy­spektakel wie „Die

höhenden Gesamtwirkung tragen enorm die

rung von Volker Lösch aus dem Jahr 2003 in

Tribute von Panem“.

Choreografien von Gundula Peuthert bei −

Erinnerung, wie in Bautzen ebenfalls auf der Basis der Prosaübersetzung von Peter Stein.

Nüchtern betrachtet, sind die sechs Hauptfiguren von niederen Rachegelüsten ge-

leitmotivische Gesten als synchrones Körpertheater.

Aber der im Osten vor allem aus seiner

triebene Schlächter oder zynische Dandys wie

Ambivalent schließt das zweieinhalb-

Cottbuser Ära bekannte Regisseur Mario

Marian Bulang als Klytaimnestras Lover Aigis-

tausend Jahre alte Drama. Das Bild mit dem

Holetzeck kann auf zusätzliche Befrachtungen

thos. Dass er penetrant Selfies mit dem Handy

Perücken tragenden Gerichtshof und den

vollständig verzichten. Er lässt die beiden

schießt, ist eine der wenigen und nicht ganz

Geistern der ermordeten „Nebenkläger“ lohnt

Hauptkonflikte der Trilogie in starken Bildern

passenden Konzessionen an die Gegenwart.

schon den Theaterbesuch! Doch der Urteils-

und in einem sinnvoll auf knapp zweieinhalb

Und doch behalten sie unter der Regie

spruch über Orestes bleibt im Ansatz stecken,

Spielstunden komprimierten Text für sich

Hole­tzecks als Distanzfiguren königliches For-

Wendungen wie „Demokratisches Recht statt

sprechen. Ob nun Iphigenie tatsächlich für das

mat. Das gilt in erster Linie für die beein­

Blutrache“ fallen. Das begeisterte Urteil des

Gelingen des Militärunternehmens Troja ge­

druckende Katja Reimann als Klytaimnestra.

Publikums über die Aufführung, wie erwähnt,

opfert oder nur in den Artemistempel verbannt

Stolz spricht sie ihre großen Monologe, durch

stand hingegen fest. //

wurde: König und Feldherr Agamemnon setzte

eine endlose Schleppe symbolisch an das

Staatsräson vor Familie und ignorierte die

­Königshaus gefesselt. Ralph Hensel als der von

Muttergefühle seiner Frau Klytaimnestra. Bei

Troja heimkehrende Agamemnon ist nicht das

dem danach einsetzenden interfamiliären

brutale Schwein, wohl aber ein Machtmensch.

Rachegemetzel geht es schließlich um die

Zwischen Herrschaft und Begehren schwankt ein

Frage, ob ein Ausbruch aus dem Automatis-

subtil aus­ gespielter Pas de deux bei ihrem

mus der Vergeltung möglich ist.

Wiedersehen nach einem Jahrzehnt Kriegs-

Dieses Spiel mit Macht, Leidenschaft

trennung. Ungestüm, aber ob ihres tiefen

und ursprünglichsten Empfindungen driftet

Ernstes nicht wirklich jugendlich erscheinen

in Bautzen nie ins Banale ab, sondern behält

Cordula Hanns als Elektra und Richard Kop-

in seiner Furchtbarkeit stets majestätisches

permann als Orestes. Elektra sägt ihren Hass

Format. Ausstatterin Linda Kowsky gelingt

geradezu in ein Stahlcello hinein.

schon mit zwei einfachen schrägen Rampen

Die Brücke zum Volk, zum Zuschauer

eine scheinbare Vergrößerung des beschränk-

schlägt der sechsköpfige Chor, von hoher

ten

Michael Bartsch

BERLIN Die große Sardinenfrage RAMBAZAMBA THEATER: „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn Regie und Bühne Jacob Höhne Kostüme und Maske Beatrix Brandler

das

Sprechkultur wie das gesamte Ensemble. Sel-

­Geschehen meist vor dem eisernen Vorhang

ten kommentiert er im hohen Ton, verkörpert

Am Anfang tanzen farbige Türen ein bizarres

abspielt, der die Grenze zum Königshaus

eher Geschwätzigkeit und das wetterwendige

Ballett. Das ist dann wie bei Oskar Schlem-

Bühnenraumes.

Obschon

sich

/ 39 /


/ 40 /

auftritt

/ TdZ Juni 2019  /

Regietheater- und Boulevard-Persiflage – das RambaZamba Theater entwickelt einen neuen spielerischen Ehrgeiz in Jacob Höhnes Inszenierung von „Der Nackte Wahnsinn“.

mer und seinen Figurinen: überaus ambitio-

lungssprünge, wie Aaron Smith, der ein aus-

niert, zugleich komisch und auch irgendwie

drucksstarker Schnellsprecher ist und in „Der

bedrohlich. Regisseur Jacob Höhne unter-

nackte Wahnsinn“ in der Rolle der Frau

nimmt es, den grell-bunten, übertourt-boule-

Schmidt brilliert, die gerade einen besonders

vardesken Handlungsbogen von Michael Frayns

geistlosen Monolog probt (Theater auf dem

„Der nackte Wahnsinn“ immer wieder mit for-

Theater!), sich dabei ein rasantes Duell mit

malen Elementen zu brechen. Der Bühnen­

dem sadistisch-erotomanen Regisseur (Se-

Zusammenspiel des Ensembles etwa mit

betrieb soll ganz nackt dastehen. Willkommen

bastian

diesem

dem allzu dominant auftrumpfenden Matthias

im Haifischbecken! Mit diesem Ansatz zeigt er

Schmachtfetzen, der im Stück inszeniert

­Mos­bach (ein nichtbehinderter Schauspieler)

sich als Schüler von Herbert Fritsch.

wird, geht es um Macht und Sex hinter der

­offenbart, welch ein schwieriger Weg es ist,

Die Türen erzählen bereits das, was in

Bühne – und um Sardinen, die eine allen un-

den Anspruch der „Inklusion“ im alltäglichen

immerhin drei Stunden noch folgen wird: Ihr

erklärliche Hauptrolle spielen. So registriert

Spielbetrieb zu realisieren.

Tanz ist in Wirklichkeit ein rituelles Ab­stecken

Frau Schmidt, die Haushälterin, die eigent-

Manche Besonderheiten lassen sich

von Geltungsräumen. Dies ist mein Revier –

lich freihat und un­eigentlich doch immer da

nicht einfach wegspielen, es brächte auch um

und das auch. Eine verspätete Tür in Grell-

ist, mit wachsendem Groll: „Sardinen hier,

das, was das RambaZamba immer auszeich-

grün kommt herangestürzt – bleibt aber chan-

Sardinen da, wie bei den Seelöwen im Zoo.“

nete: die Persönlichkeit seiner vielen Mitspie-

Urbanski)

liefert.

In

cenlos; kein Platz mehr für sie in der ersten

Es gibt glücklicherweise auch Ruhe­

Reihe, dafür sorgen die anderen, die wie beim

pole, etwa das innige, wie aus aller Zeit gefal-

Handball sofort die Lücke schließen, in die

lene Pas de deux zweier Schauspieler. Das

ein gegnerischer Spieler stoßen könnte.

Spiel altgedienter RambaZamba-Größen wie

Immer bleibt hier jemand von fremden Türen

Hans-Harald Janke, Nele Winkler oder Moritz

ausgesperrt. Denn, so die Aussage, Theater

Höhne (der Bruder des Regisseurs) ist ohne-

ist ein brutaler Krieg, jeder gegen jeden.

hin ein für jede schnelle und zielgerichtete

Man mag sich darüber verwundern, warum Jacob Höhne, der Regisseur und Intendant

Foto Andi Weiland

ler, die nun mal anders sind als andere, dabei ebenso stark wie verletzlich. // Gunnar Decker

CHEMNITZ

Funktionalität schier unüberwindbares Bollwerk aus Eigensinn (gut so!).

des RambaZamba Theaters, diese hochbe-

Der Abend pendelt derweil zwischen

schleunigte Show über das Theater als Krieg

Boulevard-Persiflage und Regietheater-Persi­

zum Thema gewählt hat. Dem gemischten En-

flage. Sogar Manifeste werden verlesen, in

semble, das vorrangig aus behinderten Schau-

dem Stil: Wo ein Schauspieler sei, da sei ein

Im Familiengetto

Theater stellt sich dem Leistungsprinzip in ei-

SCHAUSPIEL CHEMNITZ: „Einsame Menschen“ ganzes Theater. Das sieht der Regisseur-­ von Gerhart Hauptmann Darsteller, der sich am Ende selbstverständRegie Nina Mattenklotz lich von seiner Arbeit distanziert („Das habe Ausstattung Johanna Pfau

nem rasanten Spiel mit Tempo und Pointe.

ich nicht inszeniert!“), natürlich anders. Be-

­Bislang ging es an dieser Bühne eher um die

trieb kämpft mit Betrieb, das hat, wenn

Artikulation der eigenen – häufig durch das Le-

die Pointe getroffen wird, seine hinreißend

Einsam wirkt in dieser Chemnitzer Inszenie-

ben mit Downsyndrom geprägten – Weltsicht,

komischen Seiten. Aber etwas von der Seele

rung von Hauptmanns „Einsame Menschen“

„Mongopolis“ etwa oder das selbstironische

des alten RambaZamba Theaters droht bei

nur die Zentralfigur Johannes Vockerat: von

Spiel mit „Downtown“ prägten den Spielplan.

solchen den Theaterbetrieb vom Kopf her

seinen philosophischen Arbeiten zerfurcht,

Manch einem kommt der neue Ehrgeiz

dekons­truierenden Inszenierungen auch wie-

an der Enge seiner häuslichen Umgebung

entgegen und er zeigt unerwartete Entwick-

der verloren zu gehen. Das nicht reibungslose

verzweifelnd, noch mehr aber an sich selbst

spielern besteht, lag dieser Gedanke bislang vermutlich fern. Aber das neue RambaZamba


auftritt

/ TdZ  Juni 2019  /

und seiner autistischen Anlage scheiternd.

wenn er zu Konzessionen an den verhassten

Gerne möchte er sein Ich überschreiten, Fa-

„bürger­ lichen Kram“ imstande wäre. Seine

milienvater bleiben, seine einfach gestrickte

Frau Käthe kann sich mit ihm zwar nicht auf

Frau Käthe lieben. Aber er kann von seiner

eine gelehrte Disputation einlassen. Aber die-

Himmelsleiter kaum mehr herabsteigen und

se Magda Decker ist doch eine ansehnliche

Bodenhaftung gewinnen. Ein genau gezeich-

Frau von erotischem Reiz, mit einem Hang zur

neter, nahegehender Auftritt von Jan Gerrit

Melancholie zwar, aber doch nicht der Depres-

Brüggemann am Schauspiel Chemnitz.

sion erliegend. Die stille Zigarette nach Kon-

Die Ausstattung von Johanna Pfau un-

fliktsituationen ist ihr emanzipatorisches Ritu-

terstreicht die Hermetik des Schauplatzes im

al in der Nische. „Ich genüge dir nicht“, klagt

Hauptmann’schen Familiendrama. Weite und

sie zwar. Aber sie hat Johannes auch die

Offenheit des Berliner Sees, an dem das ge-

Fähigkeit zu einfacher Anhänglichkeit und ­

mietete Haus der Vockerats steht, sind auf

Hingabe voraus.

ein gefliestes Freibad, auf einen Pool redu-

Die traditionelle Ordnung repräsentie-

ziert worden. An der Wand hinter dem flachen

ren Susanne Stein als Mutter und Andreas

Becken, in dem fröhlich oder deprimiert her-

Manz-Kozár als Vater Vockerat. Letzterer

umgeplanscht wird, endet der Horizont. Zwei

­verliert am Ende alle Contenance und zeigt

Rampen führen hinauf. Oben sitzt der Akkor-

den Gehorsam fordernden Patriarchen, als er

deonspieler Steffan Claußner und impro­ vi­

Johannes seine vermeintliche Affäre mit der

siert Elegien in Moll. Der Sprungturm im

jungen Anna vorhält. Das tut die Mutter zwar

­Vordergrund dient ebenfalls eher als Med­ita­

auch, aber in archaischer Weise dominiert

tionspunkt denn als Sprungbrett ins Neue und

dann doch die bedingungslose Mutterliebe.

vielleicht befreiende Ungewisse. Später senkt

Selbst der zum Hauskreis zählende Maler

sich aus dem Schnürboden ein e­ r­drückender

Braun alias Christian Ruth zählt zu den Mah-

Himmel aus überladenen Wäsche­­leinen herab

nern an die Pflicht zur Familiendisziplin, wirft

und erstickt alle Ausbruchs­versuche. Die gibt

Johannes „Bildungshochmut“ vor.

es auch, wenn in Badesachen eine Art Sommer-

In dieses mühsam stabilisierte System

frische zele­ briert wird. Die Menschen wirken

bricht eben jene Anna ein, die eigentlich nur

überwiegend nicht so gequält wie die lastenden

ihren flüchtigen Malerfreund Braun besuchen

Verhältnisse.

will. Kein Einbruch einer Femme fatale, son-

bleibt Johannes letztlich nur in sich selbst. Er

Johannes müsste sich eigentlich nicht

dern der Natürlichkeit und Unbefangenheit,

registriert nicht einmal, wie Anna unschuldig

in akademischer Weltfremdheit und in Selbst-

wie sich Seraina Leuenberger auf das Sympa-

nackt wie ein Kind durch das Planschbecken

hass isolieren, denn die Familie Vockerat be-

thischste gibt. Johannes wittert Affinität, die

hüpft, doziert währenddessen weiter.

steht nicht nur aus egomanischen Sonder­

Chance zum Austausch auf Augenhöhe und

Diese ausgesprochen feinfühlige Insze-

lingen. Die fröhliche Taufe seines Sohnes zu

bittet sie zu bleiben. Man fährt zum Kummer

nierung von Nina Mattenklotz vermittelt das

Beginn böte eine Chance zur Integration,

von Käthe gemeinsam Kahn, aber verliebt

Gefühl einer vermeidbaren Katastrophe, badet nicht im Schlamm der Aussichtslosigkeit. Annas Schlusssatz, „dass man so glücklich sein kann in einer Familie …“, klingt nicht sarkastisch, obschon sich Johannes zu diesem Zeitpunkt bereits ertränkt hat. Tatsächlich gibt es in den knapp zwei Spielstunden ungeachtet der Widersprüche viele Momente der Akzeptanz, ja, Zärtlichkeit zwischen allen Akteuren. Anna zerstört auch nichts leicht­ sinnig, folgt gerade nicht der ihr unterstellten Rolle, geht schließlich ihren eigenen Weg. Sie verkörpert die Hoffnung auf eine neue Geschlechter- und Rollenbalance, wie sie angesichts der Entstehungszeit des Werkes

Die Freiheit des Lebensentwurfs auf Pool­größe begrenzt – Nina Mattenklotz zeigt Hauptmanns „Einsame Menschen“ als feinfühliges Familiendrama. Foto Dieter Wuschanski

/ 41 /


/ 42 /

auftritt

/ TdZ Juni 2019  /

1890 plausibel erscheint. Diesen Weg selbst zu beschreiten, ermuntert das nuancierte Spiel den Zuschauer, geführt von einer sensiblen Regie, die alle platten Polari­ sierungen meidet. //

Michael Bartsch

DRESDEN Missglückter Versuch eines Theatrum Mundi STAATSSCHAUSPIEL DRESDEN: „Eine Straße in Moskau“ (UA) nach dem Roman von Michail Ossorgin, in einer Fassung von Jörg Bochow und Sebastian Baumgarten Regie Sebastian Baumgarten Ausstattung Christina Schmitt In dieser Exposition bedient Baumgarten sich

Verheißungsvolle Anfangsbilder bevor der Abend zerfasert − Sebastian Baumgartens Inszenierung von Michail Ossorgins „Eine Straße in Moskau“ am Staatsschauspiel Dresden. Foto Sebastian Hoppe

Ein erst 2015 wiederentdeckter russischer

der Stummfilmästhetik. Einer seiner bemer-

Roman aus der Zeit vor hundert Jahren, für

kenswerten Einfälle. Schweigend agiert das

dessen Bühnenumsetzung Sebastian Baum-

Personarium, während Originaltext eingespro-

garten ans Dresdner Staatsschauspiel kommt,

chen oder als Spruchband eingeblendet wird.

bei der Spielfassung unterstützt vom Chef-

Der Erste Weltkrieg schleicht sich ein und

dramaturgen und Osteuropa-Kenner Jörg

zerstört die bildungsbürgerliche Scheinidylle.

Drache, flankiert von sechs wie Leuchter an-

Bochow; dazu eine angekündigte, nicht ange-

Die Wohnungswände weiten sich und geben

geordneten Sowjetsternen, davor der majestä-

drohte Aufführungsdauer von vier Stunden –

den Blick auf einen Turm aus Holzlatten auf

tische Schreibtisch des zum Bolschewiken

das alles weckte Erwartungen an einen gro-

der Drehbühne frei. Mit diesem aufwendigen

mutierten Andrej. Eine einzige Anklage, man

ßen Theaterabend. Doch schon vor der Pause

Universalbau von Christina Schmitt geht

weiß noch, was gemeint ist.

häufen sich die Blicke auf die Armbanduhr.

wirklich alles. Unten befinden sich je nach

Das fällt bei den dann plötzlich einset-

Und nach den abgesessenen Stunden geht

Szene eine russische Banja, ein Schweine-

zenden Zeitsprüngen in die 1960er Jahre, zu

man achselzuckend zur Garderobe und fragt

stall oder ein Erschießungskeller. Darüber

Gorbatschows Wodka-Verbot Ende der 1980er,

wie einst im Zeichen von Hammer und Si-

eine angedeutete Wohnung, ganz oben eine

ja bis in die Gegenwart hinein immer schwe-

chel: „Was lernt uns das, Genossen?“

Redner-Plattform. Darüber schwebt die be-

rer. Verzichtbarer Tiefpunkt ist eine Show im

Anfangs eine ganze Menge. Die erste

rühmte Moskauer Plastik „Arbeiter und Kol-

Juri-Gagarin-Arbeiterklub, Konzession an das

Stunde möchte man nochmals ansehen. Der

chosbäuerin“, die der russischen Filmgesell-

endlich einmal lachwillige Publikum. Zu­

1928 im französischen Exil erschienene

schaft Mosfilm als Logo dient. Vor allem aber

nehmend zerfasert das Bühnengeschehen in

Roman mit dem Moskauer Straßennamen ­

lauert an einer Turmseite ein riesiger, rot an-

­Episoden und Episödchen, die teils indes in

Siwzew Wrashek im Titel stammt von dem ­

gestrahlter dreiköpfiger Drache, Symbol der

Welttheatermanier gespickt sind mit philoso-

1922 aus Russland zwangsausgesiedelten

roten Herrschaft ab 2017.

phistischen Ex- und Diskursen. Die bieten

Schriftsteller Michail Ossorgin. Familie und

In der ersten Stunde gibt es wirklich

zwar mit Thesen über die Todesangst als Ursa-

Freunde eines an dieser Straße wohnenden

großes Theater zu sehen. Makaber der Dialog

che von Egoismus oder über ausgediente Fort-

Ornithologieprofessors durchleben die Um-

der beiden versehrten Kriegsheimkehrer, des

schrittserzählungen prima Denkstoff, lassen

brüche der Jahre 1914 bis 1920. Das erste

blinden Onkels Borja und des arm- und bein-

aber immer weniger ein Stück erkennen. Der

Bild steigt in die traditionelle Moskauer

amputierten Stolnikow. Dessen Verzweif-

„rote Terror“ entschärft sich überdies in einer

Salonkultur ein. Vor der schwarzen Leder­ ­

lungsrede an die heil Gebliebenen, seine For-

karikierten oder persiflierten Darstellung selbst.

bespannung der Wände kommt aber besten-

derung, im Sinne der Gleichheit auch ihnen

Baumgartens Affinität zur Oper be-

falls schwarzer ­Humor auf, sosehr sich der

die Gliedmaßen abzuschlagen, ist dank des

kommt eine lästige Dimension, wenn ständig

Pianist Lwowitsch auch müht. Musiker Thomas

herausragenden Moritz Kienemann der er-

Klänge aus dem Lautsprecher dudeln oder

Mahn, der diese Romanfigur verkörpert, hat

schütternde Höhepunkt der Inszenierung.

auf Tasten angeklimpert werden. Das Äquiva-

den gesamten Abend an den Tasten zu tun

Unvergesslich auch das geradezu sakral wir-

lent bildet die unausgesetzte Berieselung mit

und ist auch verbal als Mitspieler gefragt.

kende Bild der Sowjetmacht, der blutrote

mehr oder weniger stimmigen historischen


auftritt

/ TdZ  Juni 2019  /

klingt wie der Auftakt einer Serie, spielt sich

Xanten hochlügt und dann zwischen Walhalla

am Stadttheater Ingolstadt auf einem breiten

und Worms, Brunhild und Kriemhild im We-

überdachten „Weg“ ab, der sich zu Stufen

sentlichen das erlebt, was in den Büchern

und Wänden aufbäumen und wieder absen-

vorgezeichnet ist.

ken kann – und als Projektionsfläche für

Der langjährige Chefdramaturg des

­Stefano di Buduos spektakuläre Videos dient.

Theaters Ingolstadt vermengt in seinem Debüt

Die lassen den Rheinfall, das wilde Eismeer,

als Dramatiker Edda und Nibelungensage mit

Nebelschwaden, Feuersbrünste oder Tapeten-

flapsiger Gegenwartssprache. Als Regisseur

muster über das Weiß ziehen, je nachdem, wo

verwandelt er diesen Mix zu einem Zwitter

den Recken Siegfried sein Schicksal hinweht.

aus großer Oper und greller Familien-Soap,

Zu Beginn fällt Schnee auf Fabian Lü-

der mit kabarettistischen und Puppenspiel-

dickes Bühne. Jakob Dinkelacker hat gerade

Szenen aufwartet und seines eigenen Ideen-

den Platz an seinem prominent platzierten

reichtums kaum Herr wird. Enrico Spohns

Schlagzeug eingenommen, der schwedische

Siegfried teilt sich die Seele mit dem Dra-

Komponist und Klangkünstler Anders Ehlin

chen. Der spricht ihm fortan mit elektronisch

den seinen am Klavier. Musikalisch stehen

verzerrter Stimme ins Gewissen, was den Dra-

die Zeichen auf Jazz, Chaos und Aufruhr.

chentöter wie auf Knopfdruck zucken und

Dazu singt eine Frau in Weiß (Renate Knoll-

sich winden lässt. Und weil die Burgunden in

mann) kehlig, fremd und wunderschön. Ein

Worms aus ökonomischen und Zeitgeist-

lichtes, pathetisches und zugleich schauer­

Gründen jüngst zum Christentum konvertiert

atmosphärisch aufgeladenes erstes Bild, das

sind, tragen die Frauen eine Art Christen-

die Erwartungen an einen Abend hoch-

Burka, auch wenn sie aufgrund der grenzen­

Videos von Philipp Haupt. Uneingeschränktes

schraubt, der den Helden der Nibelungen­

losen Tumbheit von Gunter und dessen Man-

Lob aber verdient die Ensembleleistung,

sage mit den nordischen Göttinnen Freya und

nen praktisch allein den Laden schmeißen.

nicht nur der Ausdauer wegen. Herauszu­

Hel kurzschließt, auch die Raben Hugin und

Berkenhoffs Geschlechterrollen- und

heben ist Luise Aschenbrenner als jugend­

Munin als galgenvogelhafte Marionetten über

Religionskritik zielt auf die großen #MeToo-

liche Tochter Tanja, die wärmste und alle ver-

die Szene huschen lässt – aber zuallererst ein

und Anti-Islam-Debatten unserer Zeit, wenn

bindende Figur. Die treffendste Rezension

Opfer von Siegfried fordert. Es ist ein Kind in

auch eher halbherzig. Denn nur weil man

verfasste spontan eine Besucherin: „Es war ja

ihm, das hier als kleinere Siegfried-Kopie

Brunhilds Vergewaltigung durch den Tarnkap-

nicht schlecht, aber die hätten einfach ein-

dem Erwachsenen vertrauensvoll die Hand

penträger Siegfried beim Namen nennt und

einhalb Stunden streichen sollen!“ //

gibt, der es ohne ein Wimpernzucken auf der

Michael Bartsch

„Straße der Killer“ zurücklässt. Dieses innere Kind hat sich den Hunger auf Abenteuer aus dicken Büchern geholt. Als es tot ist, bleibt

INGOLSTADT Aktualisierung mit dem Holzhammer STADTTHEATER INGOLSTADT: „Wege des Helden. Siegfried“ von Donald Berkenhoff (UA) Regie Donald Berkenhoff Bühne Fabian Lüdicke Kostüme Andrea Fisser

Die Premiere sollte ursprünglich 14 Tage früher sein. Doch die elektronische Steuerung des dreißig Tonnen schweren Hubpodiums streikte. Und die hat viel zu tun in Donald Berkenhoffs Inszenierung, mit der er sein eigenes Stück „Wege des Helden. Siegfried“ auf eine reinweiße Bühne gebracht hat. Was

ein eitler Karrierist zurück, der sich vom verträumten Sohn eines Köhlers zum König von

Zwitter aus großer Oper und greller FamilienSoap – Donald Berkenhoff verschneidet in seinem Stück „Wege des Helden. Siegfried“ Edda und Nibelungen. Foto Jochen Klenk

/ 43 /


/ 44 /

auftritt

/ TdZ Juni 2019  /

den Männern ein paar Samenraub- und Kas­ trationsängste unterschiebt, ergibt das noch kein feministisches Stück. Dafür bleiben die Burgunderinnen zu trutschig, werden zu viele Stereotypen zwar um ein paar Ecken herum, aber dann doch wieder bedient. Und Brunhild, die die strahlende Andrea Frohn als wunderbar bodenständig-zupackende Natur spielt, ist schließlich auch im Original schon eine, die ihre Geschicke selbst in die Hand nimmt. Weshalb man auch zweimal blinzeln muss, wenn sie sich am Ende zu ihrem Vergewaltiger in den Sarg legt. Dramaturgisch rumpelt es ohnehin öfter an diesem bildgewaltigen Abend, bei dem nicht nur die aus gutem Grund karikierten Charaktere, sondern auch viele Pointen eher mit dem Holzhammer modelliert sind als mit der Feile. Viel zu denken und zu assoziieren, viel Unbequemes bleibt am Ende nicht. Und um mit vordergründigen Aktualisierungen einen klaren Kontrapunkt zum nationalistischen Missbrauch des Stoffes zu setzen, hätte es

mologische Welteis-Lehre als Tatsachen-

kein neues Stück gebraucht. // Sabine Leucht

wahrheit in einen blinden Fleck unserer Gegenwart einspeist. Es geht naturgemäß um die Apoka­

MAINZ Ausstattungsapokalypse? STAATSTHEATER MAINZ: „Ljod − Das Eis − Die Trilogie“ nach den Romanen von Vladimir Sorokin, in einer Fassung von Jan-Christoph Gockel, Rebecca Reuter und Bernd Ritter Regie Jan-Christoph Gockel Bühne Julia Kurzweg Kostüme Dorothee Joisten

lypse. Sie tritt ein, wenn alle 23 000 mensch-

Eine sektiererische Antwort auf das verlorene Paradies − Vincent Doddema in Jan-Christoph Gockels wildem Bilderritt durch drei Romane Vladimir Sorokins: „Ljod – Das Eis – Die Trilo­gie“ am Staatstheater Mainz. Foto Andreas Etter

lichen Träger der „Splitter“ eines „Ursprünglichen Lichts“ erkannt sind, das sich einst

hält er sich entsprechend eng an die Romandra-

auf die Erde verirrte und abscheulicherweise

maturgie, schafft aber auch Zeit und Raum für

das Leben zeugte: eine echt gnostische Ent-

schwierige Details, auf die andere Regisseure,

wertung des Daseins. Solange diese 23 000

wie 2005 Alvis Hermanis, verzichteten. Bei-

in menschlichen „Fleischmaschinen“ gefan-

spielsweise wird die Flaschenvergewaltigung der

gen sind, gilt es, ihren Trägern mit Tungus-

Hure Alla alias DIAR (Leoni Schulz) durch ihren

ka-Eishämmern das Herz aufzuklopfen und

Zuhälter (Vincent Doddema: auch als Snegirjew

die „Splitter“-Namen zu ermitteln, eine blu-

alias BRO) bloß dezent angedeutet, bleibt aber

tige Prozedur, die viele „Nieten“, also uns,

wortmächtig genug, um einige Mainzer Zuschau-

das Leben kostet. Im Finale stehen sie alle

er früh zu vertreiben (zweite Vorstellung).

nackt auf einer Insel: Das Universum löst

Wie im Roman geht es mit mafiosen Ent-

sich in Licht auf. Ein Effekt, den Julia Kurz-

führungen und blutigen Aufklopf-Orgien im

wegs Bühne plus Licht und Video als Lich-

Heute los, welche der Student Juri alias URAL

tershow vermittelt.

(Mark Ortel), Alla und der Geschäftsmann

Für die Wissenschaft ist der sibirische Tun-

Sorokin diente die schräge Geschich-

Borenboim alias MOHO (Johannes Schmidt) ­

guska-Komet von 1908 nur einer von vielen.

te als Vehikel, um im trashigen Stil von

durchleiden. Es sind gewalterfüllte Episoden

Nicht so in Vladimir Sorokins Romantrilogie,

Science-Fiction und Futurismus, Groteske

mit Horror-Appeal zu lauter Musik und Videos

bestehend aus „Ljod – Das Eis“, „Bro“ und

und Politsatire auf verschwörungstheore­

der aktiven On-stage-Kamera (Vanessa Dahl),

„23 000“. Hier figuriert der Kometenein-

tische Hirngespinste und mystische Spinne-

die uns von einer distanzierenden Gaze ins Ge-

schlag als Angelpunkt der kosmischen Ge-

reien zu reagieren. Regisseur Jan-Christoph

sicht springen. Erst langsam, in pantomimi-

schichte. Sorokins Personal besteht aus rus-

Gockels Bühnenfassung universalisiert das

scher Verfremdung und beim Treffen des Trios

sischen Normalos von heute, die sich im

Ganze in Richtung der Frage, was die sektie-

bei der „Ljod“-Veteranin CHRAM in der Klinik

postsowjetischen Chaos rasant in Sektenspin-

rerische Antwort auf das verlorene Paradies

(Monika Dortschy als Sekten-Muttergottheit mit

ner und Mystiker wandeln, oder reicht tiefer

über den entfremdeten Menschen der

jungen Alter Egos), wird alles lesbarer. Trotz-

in die Sowjetgeschichte zurück (die Trilogie

­Moderne erzählt. Noch größer scheint aller-

dem möchte man den harschen Einstieg nicht

erschien 2002 bis 2005, also: früher Putin).

dings Gockels Faszination für die schräge

missen. Mit Lagerleben, KZ wie Gulag samt SS-

Der Witz ist, dass die Romanfiktion diese

Story in ihrer epischen Breite. Im Mainzer

Ballett im Blitzlicht geht es zeitraffend weiter.

­Sektierer und ihre links-rechte, mystisch-kos-

„Theatermarathon“ von vier Stunden vierzig

Julia Kurzwegs Bühne zeigt anfangs drei beweg-


auftritt

/ TdZ  Juni 2019  /

liche, teils aufgetürmte Container, die Stim-

chial geht die Regisseurin auch mit dem

Frauengesichter entgegen, die mit nichts wei-

mungen von Baustelle und Übergang erzeugen

Tschechow-Text um, aus dem sie wenige

ter maskiert sind als einer gutmütigen, gerade-

oder auch als Wohnung für Juris Verschwö-

­Filetstücke herausgelöst hat, die sie wieder

zu enervierenden Gelassenheit.

rungstheoretiker-Freund Kela herhalten (Sebas-

und wieder präsentiert. Darunter ist fast nichts

Neun Schauspieler und 19 Stimmen

tian Brandes: auch als tumber Offizier, Casting-

von der ohnehin nicht üppigen Handlung; es

stehen auf dem Besetzungszettel, wichtiger

Direktor und so fort). Den zweiten R ­ oman „Bro“

sind eher verbale Marker des Stillstands wie

aber sind andere Namen: Lena Newton zeich-

illustriert ein schön auf Tuch gemaltes Tungus-

„How time does fly“ oder „Gott sei Dank bin

net für die Bühne, Teresa Vergho für die Kostü-

ka-Waldprospekt: Student Snegirjew entdeckt

ich heute den ganzen Tag zu Hause“, die sie in

me verantwortlich, Richard Janssen für Sound-

1928 das Eis (russ. ljod) des Meteoriten, die

den besten Momenten des Abends zu herrlichen

design und Voice-Montage, Rodrik Biersteker

Kostüme nebst Klampfe atmen Tschechow-

zweisprachigen Nonsens-Dialogen gruppiert.

für Video und Rainer Casper für das Licht. Sie

Luft, bis sich im Nachglühen des Kometen der

In einem Schaukasten, der anfangs nur

alle gemeinsam sorgen für die flirrende, bei­

Himmel rötet. Wie viel Mühe sich Gockel gibt,

ein weißer Rahmen zwischen brodelnden

nahe hypnotische Wirkung des Abends, an

zeigen neben der Bühne und den oft natura­

bunten Wolken ist, stellt sie zu Figurinen

dem Kennedys Figurensetzkasten wie ein

listischen, auch grellen Kostümen (Dorothee

­stilisierte Figuren aus, die – wie immer bei

Raumschiff im Wolkensturm, in einem mit

Joisten) sein Einsatz einer Live-Zeichnerin,

Kennedy – nicht selbst sprechen, sondern zu

Parkettboden belegten Raum mit extremer

hörspielhafte Abschnitte im Off oder so ver-

eingespielten, elektronisch verfremdeten Stimm-

Flucht­perspektive oder in einem gigantischen

spielte Einfälle wie eine projizierte EKG-Linie.

spuren die Lippen bewegen. Zu Beginn sind

Spinnennetz zu schweben scheint. Und neben

Wie die Romane verfällt auch Gockels

Mascha, Irina und Olga gesichtslose Wesen

ihm zuweilen eine dreidimensionale, aber ga-

Bühnenfassung nach dem ersten Buch in ein

mit Häubchen und steifen Reifröcken in

rantiert virtuelle sphinxartige Maske.

gewisses Holterdiepolter. Wohl darum gibt

Schwarz und Weiß. Eine eckige Armbewe-

Thematisch ist das Ganze eingepfercht

er Sorokins Aufgalopp der Figuren quasi ei-

gung, eine Drehung, ein Ausfallschritt oder

zwischen der ewigen Wiederkehr des Immer-

nen „Casting“-Rahmen, der die stalinistisch-­

der Griff zum an der Wand hängenden Tele-

gleichen und der frohen Erwartung. Und es

blutige Aufklopferei durch das softe Wellness-

fon: Viel mehr Spielraum haben die Akteure

ist nicht ganz klar, was uns rund einhundert

Paket

einer

hier nicht, die oft in wechselnden Konstellatio­

Jahre nach Tschechow trostloser stimmt: sein

Dauerwerbesendung ersetzt. In „23 000“ zer-

nen und Kostümierungen um einen Tisch

­be­ziehungsweise Werschinins Versprechen:

fasert die Regie immer mehr, zerstrahlt gleich-

­herum sitzen, wobei immer einer auf eine Art

„in zwei-, dreihundert Jahren wird das Leben

sam im puren Licht − bis die Konzentration

Tablet starrt. Das Schauspielerfest, die psy-

auf der Erde unvorstellbar schön sein“? Oder

flöten geht. Oder liegt es einfach nur am stra-

chologische Tiefenschärfe wird ihnen und dem

Nietzsches Prophezeiung: „Die ewige Sanduhr

pazierten Sitzfleisch? //

dafür eigentlich prädestinierten Stoff durch

des Daseins wird immer wieder umgedreht –

die Regisseurin erwartungsgemäß verweigert.

und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!“?

„System

Ljod“

im

Sinne

Marcus Hladek

Die Schwestern tauschen nur gelegentlich die schwarzen

MÜNCHNER KAMMERSPIELE: „Drei Schwestern“ von Susanne Kennedy nach Anton Tschechow Regie Susanne Kennedy Bühne Lena Newton Kostüme Teresa Vergho

Das Stöhnen, Grunzen und Summen ist penetrant und klingt, als würde jemand die Lebenszeichen der Kreaturen aller Zeiten und Welten durch einen sehr leistungsstarken Fleischwolf drehen. Zwischen den brutalen Susanne

Latex­

der gut drei Dutzend durch Blacks getrennten

Entpsychologisierter Setzkasten – darin in Endlosschleife gefangen: Tschechows „Drei Schwestern“ in Susanne Kennedys Insze­ nierung an den Münchner Kammerspielen.

Tableaux vivants schauen uns drei ältliche ­

Foto Judith Buss

Besuchern ähneln – und in einigen wenigen

Meditation über die Nichtigkeit der Zeit

die

gegen

glatzköpfe ein, womit sie ihren männlichen

MÜNCHEN

Blacks,

Strumpfmasken

Kennedys

„Drei

Schwestern“-Meditation in Bilder zerhacken, kocht der Geräuschebrei blubbernd auf und fällt abrupt in sich zusammen. Ähnlich bra-

/ 45 /


/ 46 /

auftritt

/ TdZ Juni 2019  /

Es gibt keinen Ausweg aus diesem schweben-

Bradburys dunkle Vision von den Feuerwehr-

Konsequent setzt Hametner, Oberspielleiter

den Raum; die Szenen wie die eben zitierten

leuten, die durch die Stadt ziehen und im

am Haus, sein visuell starkes R ­ egiekonzept

Sätze wiederholen sich in End­ losschleife.

Auftrag des Staates verbotene Bücher ver-

um. Mit Projektionen von F ­ lammen und bren-

Und wie ein böses Echo auf die Sehnsucht

brennen, hat nichts von ihrer Aktualität

nenden Schattenfiguren erschafft der Video-

der Schwestern bellt eine der s­ynthetischen

eingebüßt. „Fahrenheit 451“ steht für die

künstler Philippe Mainz jene Hölle, aus der

Stimmen unzählige Male ­monoton: „Moskau,

Temperatur, bei der Papier verbrennt. Der

sich Guy Montag befreit. Die vernichtende

Moskau, Moskau …“ Kennedy wirft sie und

amerikanische Autor hatte damals die Denk-

Macht der Gleichschaltung erscheint ihm als

mit ihnen alle Sich-weg-und-in-die-Zukunft-

verbote im Blick, die es seit den späten

überlebensgroßer Gruselclown. Den zeigt

Träumenden auf die Gegenwart zurück. Es

1940er Jahren bei den Verhören des Aus-

Markus Löchner mit weiß geschminkter Frat-

gibt nur sie in dieser achtzigminütigen Medi-

schusses für unamerikanische Umtriebe der

ze hervorragend hintersinnig. Lutz Nitzsches

tation über die Nichtigkeit der Zeit, was ein

McCarthy-Ära in den Vereinigten Staaten gab.

Sound hämmert, bebt, reißt die Akteure in

schönes Bekenntnis zum Theater sein könn-

In Ländern wie Russland, China oder

einen Sog. Die Atmosphäre ist beklemmend.

te. Doch die selbst ernannte „Schamanin“

der Türkei wird freies Denken noch heute un-

Militärischen Größenwahn und trendige Uni-

hat eine spirituelle Message im Gepäck und

terdrückt. In Europa lässt sich die Generation

formität vermitteln die Kostüme von Mareile

verspricht innere Befreiung durch die fröhli-

Instagram vom Reiz der Bilder und Schlagzei-

von Stritzky und Luisa Pflüger. Sie zitieren

che Bejahung all dessen, was einem wider-

len einlullen, nicht unähnlich der oberflächli-

Modetrends der 1950er Jahre, wie man sie

fährt: „Was, wenn wir gar nichts tun müssen?

chen medialen Dauerbeschallung der Gesell-

vom Kino kennt.

Einfach tiefer gehen und warten?“, heißt es

schaft in Bradburys Roman, die das Denken

gegen Ende. Von der Heilung der „Krise der

anästhesiert und gleichschaltet. Die Worte des

Bradburys

Welt“ war schon zuvor die Rede. Nun gut!

Feuerwehrhauptmanns Beatty sind da eine

Hoffnung durchschimmern lassen, macht

­Einige albtraumhafte Bilder jedenfalls wirken

Mahnung: „Weniger Schule, weniger Lern-

den Reiz des Abends aus. Eine Schlüsselfigur

Sabine Leucht

zwang, keine Philosophie mehr, keine Ge-

ist da Montags neue Nachbarin Clarisse. An-

schichte, keine Sprachen. Wozu etwas lernen,

mutig gleitet Steffi Baur über die Bühne,

wenn es genügt, auf den Knopf zu drücken.“

tanzt sich in eine glückliche Traumwelt hin-

fort. //

PFORZHEIM Keine papierenen Gedanken THEATER PFORZHEIM: „Fahrenheit 451“ nach dem gleich­ namigen Roman von Ray Bradbury in einer Fassung von Hannes Hametner Regie Hannes Hametner Bühne Jörg Brombacher Kostüme Mareile von Stritzky und Luisa Pflüger

Der Schatten der verbrannten Frau verfolgt den Feuerwehrmann Guy Montag. Er und seine Kollegen haben den Brand gelegt, der sie tötete und ihre Bücher vernichtete. Glühend rotes Licht taucht die Bühne in eine beängstigende Atmosphäre. Die Worte der gespenstischen Gestalt stürzen den Protagonisten in Zweifel. Regisseur Hannes Hametner bewegt sich in seiner Bühnenfassung von Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ am Theater Pforzheim weg von der düsteren Dystopie eines Überwachungsstaates, als die der Roman aus dem Jahr 1953 gilt. Seine Figuren schöpfen Hoffnung in einer Zeit, da die geistige Substanz in der Gesellschaft zu zerfallen droht.

Dass Hametner und sein Ensemble in erschreckender

Zukunftsvision

Den Vorgesetzten lässt Hametner von

ein. Bis sie von den Schergen der Feuerwehr

drei Akteuren spielen. Markus Löchner, Lars

inhaftiert und getötet wird. Durchbrochen

Fabian und Bernhard Meindl kesseln Clemens

wird das bemerkenswerte Regiekonzept von

Ansorg alias Guy Montag ein, als er beginnt,

unpassend komischen Momenten, die Hamet­

das Verbrennen der Bücher infrage zu stellen.

ner ausgerechnet der tablettensüchtigen Ehe-

Ihre brutale Körpersprache spiegelt Macht

frau Montags zuschreibt. Konstanze Fischer

und Grausamkeit. Anfangs fügt sich Ansorg in

befreit sich immer wieder aus dieser Karika-

den militärischen Drill. Schön zeigt der

tur. Den Freundinnen, gespielt von Mira

Schauspieler dann aber, wie Montag sein ­eigenständiges Denken mit Kraft und Klugheit verteidigt. Diesen Weg weist ihm Anne-

schön. Virtuos jongliert Lipps da mit Wirklich-

Von jeglicher Geschichte bereinigt – Die bücher­verbrennenden Feuerwehrleute in Ray Bradburys „Fahrenheit 451“, bearbeitet und auf die Bühne gebracht von Hannes Hametner am Theater Pforzheim.

keitsebenen.

Foto Sabine Haymann

Kathrin Lipps als verbrannte Frau. Wie in einem Fiebertraum bewegt sie sich durch die Feuerhölle, quälend langsam und doch


auftritt

/ TdZ  Juni 2019  /

­Huber und Katja Thiele, gelingt das nicht. Sie verheddern sich in bösem Gezicke. Ohne den Roman übertrieben zu aktualisieren, schaffen der Schauspielchef und das Ensemble es dennoch, Bradburys kluge Philosophie aus dem Science-Fiction-Kultbuch zu extrahieren. Wenn Guy Montag seine Bücher wiederfindet, darf er wieder Mensch sein. Den Schluss mag sich das Publikum in Pforzheim selbst denken. In den knappen Posts sozialer Medien findet man Antworten auf existenzielle Lebensfragen jedenfalls nicht. // Elisabeth Maier

VITTE Läuterungsinsel SEEBÜHNE HIDDENSEE: „Robinson Crusoe“ nach dem Roman von Daniel Defoe Regie Holger Teschke Bühnenmalerei Jens Steinberg Kostüme Katharina Schimmel

scher Querkopf, Dichter und erfolgloser, von seinen Gläubigern getriebener Geschäftsmann gerade dabei ist, einen neuen Roman zu beginnen. Ein gelungener Einstieg. Kapitel für Kapitel wird die Chronolo-

Das Ein-Mann-Ensemble Karl Huck – als Crusoe und Defoe in „Robinson Crusoe“ auf der Seebühne Hiddensee, bearbeitet und in Szene gesetzt von Holger Teschke. Foto Wiebke Volksdorf

gie der Ereignisse durch die Erzählung des Autors zusammengehalten. Crusoe ist in Te-

keln untersetzt, sehr amüsant und unterhalt-

Wer Hiddensee besucht, kommt an der See-

schkes Bühnenfassung ein mit allen Wassern

sam ist. Eingeschobenes Textmaterial, etwa

bühne nicht vorbei. Führen doch alle Wege auf

gewaschener sklavenhandelnder Geschäfts-

von Brecht oder Lasker-Schüler, bereichert das

dieser vom Kraftverkehr verschonten Insel über

mann, ein Mensch, der weniger Defoes sozial-

Stück und lässt dieses am Ende, als das Para-

den Hauptort Vitte, wo neben viel Natur und

romantischem „Sennor Inglese“ ähnelt als

dies durch Robinsons „Retter“ zerstört wird,

Urlaubsinfrastruktur die Seebühne Sehens­

Alexander Selkirk, der, bekannt als streit-

auch poetisch ausklingen. Wie ein roter Faden

wertes produziert: Theaterklassiker, Roman­

süchtiger Raufbold und für vier Jahre auf ei-

durchdringen diese Elemente das Spiel der mit

vorlagen, Mythen der Moderne, aber auch

ner Insel ausgesetzt, Defoe als Romanvorlage

viel Liebe und Können von ­Barbara und Gün-

­Märchen und maritime Geschichten. Das Be-

diente. Crusoes Läuterung beginnt mit dem

ter Weinhold angefertigten Puppen, von denen

sondere daran: Alle Stücke sind auf das

Schiffbruch. Er ist einer, der sich durch das

die ranzig, gänzlich zerzauste und zum Publi-

Ein-Mann-Ensemble des Schauspielers Karl ­

selbstbestimmte Leben auf der Insel erst zum

kumsliebling erkorene Schiffskatze Moll einen

Huck ausgerichtet, der es trefflich versteht, die

Robinson entwickeln muss. Am Ende aber

ganz besonderen A ­uftritt hat. Theatralische

von ihm geführten Puppen und Alltagsgegen-

verlässt er den von Defoe vorgeschriebenen

Höhepunkte aber sind die Huckʼschen Tanzein-

stände lebendig werden zu lassen. So auch in

Text, indem er gegen den Willen des Autors

lagen: Getragen von den rußig rauen Gesängen

„Robinson Crusoe“, das in der Regie von H ­ olger

darauf besteht, in seinem Paradies zu blei-

Tom Waitsʼ, schwebt der Hauptakteur (nicht

Teschke anlässlich des 300. Jubiläums von

ben. Sein Freund Freitag spielt dabei eine

ganz) federleicht über die Bühne. Beim Entde-

Defoes Roman hier neu inszeniert wurde.

ganz eigene Rolle. Anders als bei Defoe kann

cken der Insel oder auf der Jagd nach Kanni-

Die schönste Insel ist die unentdeckte

dieser hier lesen und schreiben. Als Crusoes

balen s­ehenswerte Komik in Wort, Takt und

Insel. Strand, Kokospalmen, blaue Lagunen

kluger und poetisch begabter Gegenpart

Schrittfolge.

in einer von schroffen Felsen umrahmten

­werden wir durch ihn an den so vortrefflich

Der von Wiebke Volksdorf geführten

Bucht. So in etwa muss das Paradies ausge-

William Blake zitierenden Indianer Nobody

Seebühne ist mit diesem Kurzschluss aus

sehen haben, das Daniel Defoe seinem Prota-

aus Jim Jarmuschs „Dead Man“ erinnert.

Defoe und Crusoe ein unterhaltsames und ­

gonisten Robinson schuf. So in etwa sind

„Gott steh uns bei, dass sie uns hier

sehr ansehenswertes Stück gelungen. Ein

auch die Vorstellungen der Besucher, wenn

nicht finden.“ Damit wäre die Geschichte

Inselthema, das zu Hiddensee passt. Denn ­

sie auf der vom Berliner Maler Jens Steinberg

schon erzählt, die, von vielen theatralischen

erstens sind Inseln Rückzugsorte, und zwei-

gestalteten Juan-Fernández-Insel einkehren,

Kabinettstücken

grundsätzliche

tens, freiwillig oder unfreiwillig: Wer auf einer

um dort von niemand anderem begrüßt zu

Menschheitsfragen aufwirft und, mit zum Teil

Insel lebt, muss sich arrangieren mit ihren

werden als von Daniel Defoe, der als politi-

bitterbösen, politisch völlig unkorrekten Flos-

Eigen- und Besonderheiten, aber auch mit der

begleitet,

/ 47 /


/ 48 /

auftritt

Tatsache, nicht so einfach von dort wegzukönnen. Karl Huck, der einst aus Berlin nach Hiddensee kam, hat gut daran getan, auf der Insel zu bleiben. Anstelle der Angst, am großen Ganzen nicht mehr teilzuhaben, besteht hier die Chance auf eine ganz eigene Kreativität und Selbstständigkeit. // Markus Metke

ZÜRICH Blitzgescheit ausund abgeschweift

die Kombination funktioniert am Schluss. So wie es zu Beginn des Abends der Fall war. Überhaupt bleibt der Regie-Berserker aus

SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH: „Justiz“ nach dem gleichnamigen Roman von Friedrich Dürrenmatt, in der Bearbeitung von Frank Castorf und Amely Joana Haag Regie Frank Castorf Bühne Aleksandar Denić Kostüme Adriana Braga Peretzki

Berlin erstaunlich nahe am Text und der Ge-

Mit vollem Einsatz für die Wahrheit geht Alexander Scheer als Advokat Spät am Fake zugrunde – Frank Castorfs „Justiz“ am Schauspielhaus Zürich. Foto Matthias Horn

schichte des großen sarkastischen, aber auch bedächtigen Weltbetrachters aus der Schweiz. Nun gut: Ganz freiwillig tat er das

manövriert, säuft, herumhurt und auch mal

nicht. Der Diogenes Verlag verbat ihm das

sechs Zigaretten hintereinander pafft. Auf der

Einflechten von Texten anderer Autoren. Dür-

anderen Seite steht Ueli Jäggi, der aus meh-

renmatt kam mit seiner Geschichte, die sel-

reren Nebenrollen so etwas wie das Alter Ego

ber wilde zeitliche und inhaltliche Haken

von Dürrenmatt herausschält und hinreißend

schlägt, Castorfs Lust am chaotischen Aus-

skurril-professoral die ausschweifenden, aber

ufern offensichtlich aber schon recht nahe.

blitzgescheiten Weltbetrachtungen des Autors einfließen lässt.

Wer viereinhalb Stunden durchgehalten hat –

„Justiz“ hat als Grundgerüst einen

der ganze Abend dauert noch eine Stunde

Krimiplot, der schnell erzählt ist: Dr. h. c. ­

Die beiden sind so fesselnd präsent,

länger –, kommt in den Genuss eines Finales,

Kohler, ein höchst angesehener Zürcher Poli-

dass es die anderen Darsteller schwer haben.

bei dem Friedrich Dürrenmatt und Frank

tiker, betritt ein Nobellokal, wo ihn jeder

Obschon zum Beispiel Nicolas Rosat als ver-

Castorf ganz zueinanderfinden. Im Zürcher ­

kennt, zückt die Pistole und erschießt vor vie-

fetteter Immobilienhai und als nackter Star-

Schauspielhaus haben das einige Zuschauer

len Zeugen einen Germanistikprofessor. Dann

anwalt Paradenummern hinlegt. Warum aber

nicht geschafft und das Theater in der Pause

verschwindet er, lässt sich am selben Abend

Robert Hunger-Bühler als Dr. h. c. Kohler wie

verlassen.

aber widerstandslos verhaften. Kohler beauf-

ein Mafiaboss daherkommen muss, erschließt

Nicht ganz drei Stunden haben sie bis

tragt nun den jungen Advokaten Felix Spät,

sich nicht. Das klischiert die Figur und ver-

dahin aushalten müssen. Haben erlebt, wie

eine These aufzustellen, wonach er nicht der

harmlost sie. Ebenso wenig nachvollziehbar

Castorf immer mehr an Dürrenmatts Romanvor-

Mörder gewesen sei. Die These entwickelt

ist, warum Jan Bülow als Privatdetektiv, als

lage „Justiz“ herumzuzerren und zu reißen be-

sich nach und nach zur Fake-Wahrheit, Koh-

Polizeikommandant, als Zuhälter (und und

gann, wie die Schauspieler mehr und mehr vom

ler kommt frei, Recht und Gerechtigkeit ste-

und) im Travestie-Stricher-Outfit auftritt. An

direkten Blickfeld auf der Bühne verschwanden

hen im krassen Widerspruch, Gerechtigkeits-

den Frauenfiguren scheint Castorf schließlich

und fast nur noch über Live-Videosequenzen zu

fanatiker Spät geht daran zugrunde.

wenig Interesse gehabt zu haben. Sie wirken mit Ausnahme von Irina Kastrinidis als Koh-

sehen waren. Die Drehbühne von Aleksandar

Für Dürrenmatt ist das aber nur Staffa-

Denić ist ein wunderbares Panoptikum von

ge für einen philosophischen Diskurs über

Nachbauten bekannter Zürcher Szenerien,

eine Welt, die „entweder untergehen oder ver-

Aber in „Justiz“ haben sich mit Castorf

lässt aber nur sehr bedingt Einblicke in die In-

schweizern“ wird. Der Autor offenbart darüber

und Dürrenmatt zwei Künstlerpersönlichkei-

nen- und Spielräume zu. Manch ein Zuschauer

hinaus ein Faible fürs Groteske, für eine Welt

ten gefunden, die letztlich zueinander pas-

wird dann nach immer mehr überbordenden

mit Monstern der guten Gesellschaft und

sen: in der Lust am bösen Sarkasmus, am

und zerdehnten Chaos-Einlagen Dürrenmatts

Menschen aus der vergleichsweise ehrlichen

Grotesken, am Malen eines düsteren Welt-

Devise, dass eine Geschichte erst dann zu Ende

Halbwelt.

bilds. Wenn der Regisseur nur etwas weniger

lers Tochter ziemlich blass.

gedacht sei, wenn sie ihre schlimmstmögliche

Der Abend lebt und erbebt in erster

Aus- und Abschweifungen einbauen würde.

Wendung genommen habe, auf Castorfs Insze-

Linie durch zwei Figuren beziehungsweise

Der Abend wäre nicht nur der Länge wegen er-

nierung umgemünzt haben.

Schauspieler: Alexander Scheer als Advokat

träglicher. Aber dann wäre es vielleicht letzt-

Ihnen kann man aber zurufen: Es ist

Spät, der sich mit Wahnsinnseinsatz mehr

lich doch ein bisschen zu wenig Castorf. //

nicht so gekommen. Castorf und Dürrenmatt,

und mehr in den verzweifelten Abgrund

Dominique Spirgi


Zeitschrift für Theater und Politik

Abo-Vorteile

Die Stärke der Schwachen: Gabriela Maria Schmeide / Flämischer Meister: Milo Rau am NTGent / Kunstinsert: Lars Ø Ramberg / Kolumne Ralph Hammerthaler / Was macht das Theater, Tobias Rehberger?

Als Abonnent von Theater der Zeit kommen Sie in den Genuss zahlreicher Vorteile. Sie erhalten:

EUR 8,50 / CHF 10 / www.theaterderzeit.de

Juni 2019 • Heft Nr. 6

jährlich 10 Ausgaben von TdZ das Arbeitsbuch als Doppelausgabe im Sommer IXYPSILONZETT – Das Magazin für Kinder- und Jugendtheater (3 Ausgaben / Jahr) double – Das Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater (2 Ausgaben / Jahr) Sonderbeilagen wie TdZ Spezial und weitere Inserts nur EUR 85,00 / Jahr (Deutschland)

kostenfreien Eintritt bei TdZ-Veranstaltungen, siehe theaterderzeit.de/tour (bei rechtzeitiger Anmeldung unter vertrieb@theaterderzeit.de)

www.theaterderzeit.de/abo

Theater der Zeit Juni 2019

Digitalupgrade für nur EUR 10,00 jährlich

Abgründe des Alltäglichen Das Staatstheater Braunschweig

Archiv Sie haben eine Ausgabe verpasst? Alle Einzelhefte (seit 1946!) sind als PDF erhältlich.

www.theaterderzeit.de/archiv

Digitalabo & App Mit dem Digitalabo lesen Sie Theater der Zeit auf all Ihren Geräten – Smartphone, Tablet, Mac und PC. Zugang zum Online-Textarchiv App (iOS, Android, Amazon) Download als eMagazin (PDF) nur 75,00 EUR  / Jahr

www.theaterderzeit.de/digitalabo

Digital-Upgrade nur 10 € für Abonnenten


/ 50 /

stück

/ TdZ Juni 2019  /

Waffen gegen die Idiotie Dietmar Dath über sein neues Stück „Die nötige Folter“ im Gespräch mit Jakob Hayner Dietmar Dath, nachdem Ihre Romane „Waffen-

Ursachen ihrer Lage zu erfahren. Ist das eine

fend und spöttisch), die sich um Vergiftung

wetter“, „Sie schläft“ und „Die Abschaffung

neue Form der ältesten Geschichte des Theaters,

durch Reizüberflutung Gedanken macht. Der

der Arten“ für die Bühne adaptiert wurden, Sie

die qualvolle Selbsterkenntnis wie bei Ö ­ dipus?

satirische Dreh bei mir ist: Gut, nehmen wir

außerdem Überarbeitungen von Henrik Ibsens

Leider nein. Sie lernen und erkennen ja

das wörtlich. Das ganze Geschwätz über Filter-

„Ein Volksfeind“ und kürzlich von Mary Shelleys

nichts, die Griechen hätten sie nicht ernst ge-

blasen, Framing von Propaganda und so wei-

„Frankenstein“ erstellt haben, folgt nun nach

nommen. Das Stück nimmt sie auch nicht

ter behandle ich nicht als Stoff oder Thema,

„Annika oder Wir sind nichts“ und „Regina oder

ernst, aber es nimmt den Umstand ernst,

sondern als Formfrage: Wie wirtschaftet man

Die Eichhörnchenküsse“ mit „Die nötige Folter“

dass man von Leuten gequält wird, die man

mit Signalen, Ideen, wenn das wirklich Nah-

ihr drittes Theaterstück, ein Auftragswerk des

nicht ernst nehmen kann. Dass sie sich über

rung wird, wenn davon wirklich gelebt werden

Staatstheaters Augsburg. Im Untertitel heißt es

das Woher und Wie ihrer Lage unterhalten

muss? Mein Modell ist die Kunstwelt, weil die

„Spiel für sechs Unschuldige und ein Bild“. Gibt

statt darüber, wie man rauskommt oder was

ja leicht daran glauben kann, man lebe in ihr

es überhaupt Unschuldige in einer Welt mit Aus-

man als Nächstes tun kann, kennzeichnet

von Ideen. Dann zeigt sich: Fressen und Ge-

beutung und Krieg?

ihre ganze unschuldige Verdorbenheit. Ich

fressenwerden ist ein lustiges Spiel, haut

Schuld heißt: Eine Person kann was dafür.

habe Mitgefühl, aber Gefühl ist ja immer erst

man an einer passenden Stelle in die Nah-

Die Abhängigkeits- und komplementär dazu

der Anfang beim Malen. Es wird nicht leicht,

rungskette, dann bebt das ganze Ökosystem.

Verwahrlosungsdynamiken der Gegenwart sor-

diese Leute zu spielen, aber wir alle, wie ge-

Ich nehme es bewusst als was Tech­ nisch-­

gen ja leider dafür, dass es tatsächlich fast

sagt, sind ja leider sehr oft diese Leute, und

Wissenschaftliches, weil das Technisch-Wis-

nur noch Unschuldige gibt. Wer könnte nicht

da es auch nicht leicht ist, diese Leute zu

senschaftliche im gegenwärtigen Kreativ- und

mit Recht sagen: Ich selbst hätte es anders

sein, halte ich’s für gerecht, dass jemand sie

Kunstideologiemüll immer unterbelichtet bleibt,

gewollt, aber was soll ich machen? Das gilt

spielen muss.

weil man immer nur über Stoffe und Themen

für die Aufsichtsrätin so gut wie für den

redet statt über die Techniken dabei (ich

­Obdachlosen. Mein Stück stellt sich auf die

Über die gefangenen Protagonisten erfahren

meine nicht nur Maschinen, auch Genres, ­

Seite der einzig Schuldigen darin, der Künst-

wir, dass sie aus der Kunstwelt und der Wissen-

Gleichungen …). Als gäbe es ein Wesen von

lerin. Sie kann was dafür, sie hat es gewollt

schaft stammen. Eine eigentümliche Neuro­

Ideen ohne Erscheinung, als hätte jemals ir-

(wenn auch nicht genau so, aber das ist die

performance scheint außer Kontrolle geraten zu

gendwer einen Inhalt ohne Form gesehen.

List der Vernunft dabei).

sein. Ihr Titel lautet „Trophische Kaskade“, ein

Das Stück handelt davon, wie Inhaltsverblen-

Begriff aus der Biologie, der die Veränderung

dete von Formfragen eingeholt und bestraft

In „Die nötige Folter“ befinden sich Sven, Baqil,

eines Ökosystems durch Veränderungen einer

werden. Die Wahrheit der Kreativitätslüge ist

Eva und Hark in einer misslichen Lage. Fixiert

Nahrungskette beschreibt. Doch hier wird er für

die Menschenschinderei. Da dachte ich,

auf ihren Stühlen, sind sie in einem Raum gefan-

soziale Systeme verwendet. Warum?

wenn es doch in Augsburg stattfindet, kann

gen, der als eine Mischung aus Medizinlabor,

Das ist der satirische Zugriff des Stücks.

man ja die „Maßnahme“ noch mal ein wenig

Supermarkt und Folterkammer beschrieben

Dauernd wird uns im Datenkapitalismus er-

durchrütteln, Brecht ehren und so weiter. Es

wird. Sie rätseln, wie sie wohl dorthin gekom-

zählt, Signale hätten mehr Gebrauchswert als

geht um den Extremfall des Mittels, das den

men sind. Es scheint, als müssten sich die Men-

Sachen, „Ideen sind das neue Geld“, Info sei

Zweck verändert und umgekehrt: das richtig

schen anhand des Resultats ihre vorhergegan-

Nahrung wie in der Biologie, oder es entsteht

hässliche Mittel im Ringen mit dem richtig

genen Handlungen vergegenwärtigen, um die

eine „Medienökologie“ (Agentur Bilwet, tref-

schönen Zweck, dem der Kunst nämlich.

DIE LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN SUCHT FÜR DIE MÜNCHNER KAMMERSPIELE AB 01.09.2020 EINE/EINEN

LEITER*IN FÜR DIE KOSTÜMABTEILUNG (W/M/D) Sie sind kreativ, energiegeladen und begeistern sich für den Theaterbetrieb? Sie wollen ebenfalls dazu beitragen, dass die Stadt München dem Ruf einer Kulturhauptstadt gerecht wird? Dann sind Sie bei uns genau richtig! Bewerben Sie sich jetzt beim größten kommunalen Theater Bayerns. Bei uns erwartet Sie ein vielfältiges und interessantes Aufgabenfeld. Als wertvolles Mitglied bei einer verlässlichen Arbeitgeberin arbeiten Sie in einem starken Team.

Weitere Details zu der ausgeschriebenen Stelle mit der Verfahrens-Nr. 9342 finden Sie im Internet unter: www.muenchen.de/stellen oder www.kammerspiele.de/jobs


dietmar dath_die nötige folter

/ TdZ  Juni 2019  /

Als weitere Figuren treten Stier und Widder auf und vor allem die rätselhafte Figur Bild, die wiederum auch etwas mit einer Doro aus der Vergangenheit zu tun hat. Sie ist die eigentliche Hauptfigur, Leiterin eines riskanten Experiments und gigantomanische Künstlerin zugleich. Ganz im Stile der neuesten immersiven Performanceprojekte will sie mit ihrer Kunst nichts zeigen, sondern soziale Welten zerstören und rekons­ truieren. Das klingt wie die dystopische Er­ füllung des Programms der Avantgarden des 20. Jahrhunderts, Unterwerfung statt Befreiung. Oder wie würden Sie die Funktion der Kunst beschreiben? Kunst teilt nicht Daten mit, sondern Haltungen zu Daten (und nur deshalb auch Daten, sonst weiß man ja nicht, wozu die Haltung eine Haltung ist). Realistische Kunst teilt Haltungen mit, die man aushält und die sich in Handlungen übersetzen lassen. Deswegen gibt es so wenig realistische Kunst heute, weil man das alles ja kaum aushält und weil sich so wenig dagegen machen lässt. Man muss es trotzdem versuchen. Welche Mittel dabei die beste Wirkung machen, wenn wirklich Leute auf einer Bühne stehen, das lerne ich langsam – weil ich ja aus der Stille der reinen Textarbeit komme, neige ich zum Textund daher Sprechtheater, aber bei der Arbeit mit F. Wiesel, einem Performance-, Figurenund Raumtheaterduo, an dessen Projekt ­„Superquadra“ ich so ein bisschen am Rand beteiligt war, konnte ich einen Einblick in andere Formen und Techniken theateradäquater Kunst riskieren, dessen Resultate nicht aufhören, mich zu beschäftigen. Ich hoffe, in diese Richtung weiterarbeiten zu dürfen, Gespräche finden schon statt; ein Teil der Figurenführung in „Die nötige Folter“ hat jedenfalls mit Puppenperspektivischem zu tun. Im Laufe der Handlung stellt sich heraus, dass

Der Übersetzer und Autor Dietmar Dath wurde 1970 in Rheinfelden geboren. Er verfasst Romane, Hörspiele, Theaterstücke, Sachbücher und Gedichte. Zudem arbeitet er als Journalist, einst als Chefredakteur der Spex, heute im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen „Für immer in Honig“ (2005), „Waffenwetter“ (2007), „Die Abschaffung der Arten“ (2008), „Sie schläft“ (2009), „Der Implex“ (2012, mit Barbara Kirchner), „Venus siegt“ (2015) und „Der Schnitt durch die Sonne“ (2017). Für die Theaterbühne hat er Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ (Schauspielhaus Zürich, 2015) und Mary Shelleys „Frankenstein“ (Schauspielhaus Zürich, 2019) überarbeitet. Nach „Annika oder Wir sind nichts“ (UA Schauspiel Frankfurt, 2011) und „Regina oder Die Eichhörnchenküsse“ (UA ­Nationaltheater Mannheim, 2011) hat Dath mit „Die nötige Folter“ sein drittes Theaterstück vorgelegt, das am 11. Mai am Staatstheater Augsburg in der Regie des Intendanten André Bücker zur Uraufführung kam. Foto Udoweier – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wiki­ media.org/w/index.php?curid=63609791

die Beziehungen der Menschen einigermaßen zerrüttet sind, vor allem ihre eigene Wahrnehmung, „Erlebnisraten“ genannt. Und ob die Welt

wirklich was Neues ein: Sie macht aus den

für den Tod, einem anderen ist schlicht egal, was

nicht eigentlich schon untergegangen ist, ist

Idioten ihre Waffe gegen die Idiotie. Es klappt –

passiert. Begreifen, um einzugreifen, sagte Ber-

zumindest nicht sicher. „Zerstörung als Team-

ganz anders, als sie will, aber es klappt, auf

tolt Brecht einmal. Gilt das hier noch? Welche

work“, heißt es an einer Stelle. Beschreibt das

dem Umweg über einen der Idioten, den For-

Optionen haben denn die Menschen am Ende?

die Dynamik einer Gesellschaft, in der die sozi-

scher, der denkt, er manipuliere sie. Puste­

Dieselbe wie immer: Das, was an ihnen

ale Umwelt so massiv gestört ist, dass sich die

kuchen. Das Stück ist sehr optimistisch.

schlecht ist, nicht auch noch gut finden. Das

Menschen in einer destruktiven Kaskade nach

geht noch in der übelsten Not und demorali-

unten hin anpassen?

Und das, obwohl das Stück eine fatale Situation

sierten Scheußlichkeit. Selbst wenn ich

Das beschreibt zuerst Idioten, die eine Frau

zeigt. Alles schreit geradezu nach einer Unter-

schon ganz unrettbar abscheulich bin, muss

schlecht behandeln, weil ihr noch was einfällt

brechung. Zugleich sind die Personen gefesselt,

ich nicht glauben, ich wäre toll. Wahrhaftig-

und den Idioten nicht. Die Jungs sind nei-

müssen zunächst ihre Lage analysieren. Doch sie

keit ist das Minimum, das geht, solange noch

disch und daher eklig. Der Frau fällt aber dann

kommen nicht zusammen, einer entscheidet sich

Hirn ist. //

/ 51 /


/ 52 /

stück

/ TdZ Juni 2019  /

Dietmar Dath

Die nötige Folter Spiel für sechs Unschuldige und ein Bild Don’t underestimate the things that I would do Adele 2010

Rollen Menschen SVEN Mitte 30, Künstler BAQIL Ende 30, Künstler EVA Anfang 40, Kuratorin HARK Anfang 30, Forscher Andere BILD Anfang 30, weiblich, zu klug STIER WIDDER Das BILD ist dem Augenschein nach menschlich; STIER und WIDDER sind menschenähnlich, sie dürfen für Verkleidungen gehalten werden. 1. (In der Mitte der Anlage steht ein Laufband mit einem Laserscanner am Ende, dahinter ein beweglicher Stuhl und eine digitale Kasse, wie im Lebensmitteldiscounter. Etwas rechts davon ein Bock mit Fesseln. Andere Geräte hier und da; ein OP-Tisch, Kamera, Schirme. Die Menschen sitzen fixiert in ihren vier Möbeln. Sie schlafen. Das Bild ist mehrfach vorhanden, teils schläft es auch. Stier und Widder arbeiten am Ablauf.) STIER: Ich weiß, du ekelst dich. Hast fast gekotzt, als wir dem mit dem Bunsenbrenner die Fußsohlen verbrannt haben. Wie er geschrien hat. Große Effekte. Hier geht’s aber um kleine Wellen. Nicht um Waves, sondern um Wavelets. Nicht um Rahmen, sondern um Rähmchen, Framelets statt Frames. Ich weiß, du darfst nicht sprechen. Als der hier durch den Trichter das Rizinusöl hat trinken müssen, habe ich gehört, wie du die Luft durch den Hals gepresst hast, dieses Geräusch … Als er alles vollgeschissen hat und drin sitzen musste, drei Tage lang,

und als er sich so geschämt hat dabei, dass er heulen musste, da ist dir das nahegegangen, das war zu merken. Halt das, bitte. So. Gib mir das andere. Nein, hier. Da muss es rein. Jetzt du. Eins höher. Ja. Ich will auch gern raus, wie du. Ich weiß, dass es nur zwei Auswege gibt: Das schnelle Gift und das langsame Gift. Herz oder Hirn. Ich werde eins davon nehmen müssen. Hier, du musst … Nein, lass. Die Uhr sagt, wir müssen zurück in die Beobachtung. Die Frau wacht gleich auf. Jetzt komm. 2. BILD: Gibt es einen Moment, in dem ein galoppierendes Pferd mit keinem einzigen Bein auf dem Boden steht? Auf alter Malerei kann man das sehen. Wie haben die Maler das mitgekriegt, es gab doch keine Fotos? Ich bin mal einem Professor aus Illinois begegnet, Eriksen hieß der, den hat das beschäftigt. Der war auf einer Ausstellung von mir, der zweiten in New York. Wir kamen ins Plaudern, weil ich da diese Videos gezeigt habe, die falschen Schnitte der Sequenzen von Computerspielen. Da sagt der Professor: Der menschliche Gesichtssinn integriert das. Wie viele Aufnahmen pro Sekunde macht das System? Es gibt Experimente. Kürzeste Stimuli, hundert Millisekunden und dergleichen. Aber das Interessantere ist: Wie sieht es mit dem Erleben sonst aus? Sind Gefühlswahrnehmungen, Wünsche, Ängste auch in Päckchen unterteilt? Da haben wir dann dieses Programm ausgeknobelt, der Hark, mein Neurowissenschaftler, und ich. Ein fieses kleines Ding, das immer schneller immer schlimmer wird, eine Kaskade. Superwerkzeug, um eine Funktion mit Richtungen und Längen und Größen für Veränderungen in einem Sobolew­ raum zu verfolgen. Das brauchst du zum Beispiel für Statistik, also für das Verhalten von großen Menschengruppen. Und für Minimalwerte, kür-

LIVE ART FESTIVAL #9

u.a. mit Jose Vidal / CÍA, Trajal Harrell, La Fleur, Mohammad Abbasi, Gintersdorfer/Klaßen, Hanane Hajj Ali, God’s Entertainment / Supernase und Co.

JOSE VIDAL / CÍA EMERGENZ (UA) TRAJAL HARRELL O MEDEA LA FLEUR KÖRPER ALS UNTERNEHMEN (UA) INSTITUTIONELLER RASSISMUS

zester Weg, kleinster Energieaufwand. Ich habe dann nach den Berechnungen der Kaskade programmierte Musik in Clubs spielen lassen. Ich habe Bilder generieren lassen, mit gestörten Werten, und sie mit Schablonen auf Brücken und Hauswände sprayen lassen. Störung der Rahmen und Rähmchen überall. Störung der Wellen und Wellchen überall. Wellen der Anti-Wellness. Ich habe Werbeleute bestochen. Ich habe Theaterstücke und Performances schreiben und aufführen lassen. In Hongkong, in Kiew, in Augsburg. Die Kunstleute, Musikleute, Theaterleute haben gern mitgemacht. Ich habe die Welt zerstört, und die Erinnerung daran gelöscht, wie sie war. Jetzt denken alle, das, was ist, sei schon immer so gewesen. Zerstörung als Zuhause. Die Leute werden von meinem Scheiß gefressen und lassen es zu. Lustig. 3. HARK: Sind Sie wach? Hallo? EVA: Hnnff… sehr gu… seine, er hat … eine sehr gute Arbeit … HARK: Hier. Hier drüben. Langsam. Atmen Sie durch. Legen Sie den Kopf nach hinten. EVA: Wie … soll … HARK: Nein, hören Sie mir zu, bitte. Ich kann Ihnen helfen. Augen zu. Die müssen sich beruhigen. Sie suchen was. Sie rollen in ihren Höhlen, die ersten drei Minuten lang. Deshalb dreht sich das alles. Wenn sie die Augen zumachen, so, dann beruhigt sich das. Kopf in den Nacken. Nicht die Arme bewegen. EVA: Wieso? Ich … HARK: Gleich. Atmen. So. Konzentrieren Sie … versuchen Sie, die verschiedenen Teile ihres Körpers zu spüren, von unten nach oben. Spüren Sie Ihre Füße? Sie können sie auch ein bisschen bewegen. Die Zehen. EVA: Ja. Ich spüre die … Füße. HARK: Sehr gut. Langsam hoch: Unterschenkel, Oberschenkel. Den Hintern, der auf dem Stuhl sitzt. Rücken, Bauch. Spüren Sie das? Den Hals? Innen, können Sie schlucken? Jetzt im Mund. Zunge. Zähne. So. Jetzt bewegen Sie mal … machen Sie mal eine Grimasse, dass die Kopfhaut sich verschiebt, dass Sie das spüren, die Haare. So. Ist Ihnen noch schlecht? EVA: Nein. HARK: Schwindlig? EVA: Nein. Ist viel besser jetzt. HARK: Sie können die Augen öffnen. Hier. Ich bin hier drüben. EVA: Ah. Ja, sehr gute … sehr gute … Arbeit … HARK: Das haben Sie vorhin beim Aufwachen schon gesagt, was meinen Sie damit?

9 1 0 2 JUN K A MP

VORTRAGSREIHE, TEIL 3: THEATER

BUR M A H L E NAG

G


dietmar dath_die nötige folter

/ TdZ  Juni 2019  /

EVA: Was? HARK: Sehr gute Arbeit. EVA: Ich weiß nicht, hab ich das gesagt? Was ist das hier? Wer hat uns gefesselt? HARK: Langsam. Zu viele Fragen auf einmal. EVA: Ich bin, muss mich … Nein, anders. Von vorne. Ich bin Eva Mar… HARK: Nicht! Sagen Sie das nicht. EVA: Was? HARK: Ihren vollen Namen. Nachnamen. Ich weiß, wer Sie sind. Eva. Leiterin der Galerie, richtig? EVA: Sie … HARK: Ich heiße Hark. EVA: Ich kenne diese beiden … Männer da. Das ist … Sven … HARK: Keine Nachnamen! EVA: Sven und … Baqil. Beides Künstler, die wir vertreten, mein Partner und ich, nein, Sven vertreten wir ja nicht mehr. Der hat sich so … aber Sie, Sie kenne ich doch auch. Hark Reini… HARK: Nicht! EVA: Hark. Entschuldigen Sie. Hark. Wieso sollen wir Nachnamen nicht … HARK: Man hört uns zu. Die beiden, die uns hier festhalten. Stier und Widder. Der Stier redet, der Widder nicht. Ich glaube, der Widder ist eine Frau. Die beobachten uns und belauschen uns. Sie ­gehen oft weg, lassen uns allein. Es gibt Kameras hier, da und da und dort drüben, sehen Sie? Und Mikrofone wohl auch überall. Außerdem haben wir alle hinterm Ohr, im Schädel, diese schwarzen … EVA: Was? HARK: Es gehört zum Ganzen hier. Das nennt der Stier den Ablauf. Da muss ein anderer Raum sein, ich glaube, über oder unter diesem hier. Der Stier nennt diesen andern Raum die Beobachtung. Er redet auch von abstrakten Räumen, mathematischen, wie von wirklichen – er erwähnt Banachräume und Sobolewräume. Es ist ein Experiment, denke ich. Es geht um Ereignisverteilungen, um das, was Leute tun und erleiden. Eine Kaskade von Taten und Folgen, Ursachen und Wirkungen, Voraussetzungen und Schlüssen. Er redet von Funktionen, also Veränderungen, von Wavelets und Framelets. Und vom Filmprinzip der Frame Rates, deshalb denke ich … EVA: Ich verstehe diese Wörter nicht. Sie haben meine Frage ignoriert: Wieso nur die Vornamen? HARK: Baqil und Sven und ich, der Stier duzt uns. Und wenn er uns allein lässt, wenn er und der Widder nicht hier sind, dann sind wir mal gleichzeitig wach, mal nur zwei von uns, dann können wir reden, aber er hat uns gesagt: nur Vornamen.

EVA: Sie sind … Hark, sagen Sie. Ich habe Sie mit Dorothee Coppe gesehen. Mit Doro. Darf ich da auch den Nachnamen nicht …? HARK: Doch. Den sagt er selbst manchmal. Er zeigt uns Videos von ihr. EVA: Ja, sie sind doch der Wissenschaftler, der ihr geholfen hat bei diesen schlimmen Sachen. Das, was die Leute verrückt macht. Der Neurodingsbums. Sie hat mal gesagt, erst seit sie mit Ihnen arbeitet, ist ihr Zeug wirklich Kunst. HARK: Na, so war sie, stimmt’s? Überschwenglich, Dank und Streit, Liebe und Abneigung und … Hass. Ich verdanke ihr viel. Als sie diese Ausstellung in Köln gemacht hat, samt Aktion und Skandal, als diese Leute einander verprügelt haben … EVA: Der Saal mit den Blitzen? Wo diese schrecklichen Filme gleichzeitig … HARK: Ja, ich habe … EVA: Da konnte ich nicht drinbleiben. Das habe ich nicht ausgehalten. Und dann die Polizei und der Prozess und alles, die Kunstfreiheit … HARK: Ich weiß. Hart. Beim Interview im WDR hat sie auf mich hingewiesen, und da haben die Leute vom MPI … diese bescheuerte Max-PlanckBande, die waren ja kurz davor, mir den Geldhahn abzudrehen. Der Vertrag lief aus. Aber nach dem WDR-Ding hat mich der feine Herr Professor Goltz dann zu sich rufen lassen: Stimmt das, dass Sie diese Frau da beraten haben, technisch, mit den Hirnfunktionen, mit den Erlebnisraten, mit dem Rhythmus der Wahrnehmung? Da war er hellhörig geworden … ich habe gesagt: Es ist eben keine Spinnerei. Und er so: Aha, dann können wir das ja weiterverfolgen, aber unter einer Bedingung. Ich: Welche? Er: Die Frau muss aufhören, darüber zu reden, wo sie das her hat, wir wollen nicht ins Gerede kommen als Institution, die für Schlägereien verantwortlich ist da in diesem Museum Ludwig, bitte. Das habe ich Doro gesagt, und sie hat sofort aufgehört, mich … Die nächsten drei Jahre konnte ich weitermachen, der Goltz wollte wohl nur, dass das Institut am Ende den Ruhm einfährt, Veröffentlichung, er wusste, ich wäre sonst in die freie Wirtschaft damit oder zur Bundeswehr oder … Bald hatte ich es raus, drei Jahre dauerte das nur. Doro hat sich stillschweigend bedient, absprachegemäß. Dann die Kettenreaktion, Lawine … der Kaskadenalgorithmus in Aktion. EVA: Die Frage war für mich, ist das noch Kunst, wenn Leute sich und andere verletzen? Aber das sind ja Kleinigkeiten, gemessen an der Scheiße draußen. HARK: Was haben Sie denn … draußen … erlebt? Was ist das Letzte, was Sie noch wissen, was Sie

05. – 10.06.2019 Tanzkongress 2019 A Long Lasting Affair 08.06. Öffentlicher Tag/ DOWN BY THE WATER 21./22./23.06.2019 MASSE Tanzklassen und Dresdner Jugend­ sinfonieorchester des Heinrich­Schütz­Konservatoriums www.hellerau.org

getan haben, bevor Sie meine Stimme gehört haben, gerade eben? EVA: Schwierig. Ich habe nur verschwommene … Ich war in der … ich war nochmal in der Galerie, aber ich bin erst noch, ich bin zur Bank, und … HARK: Scheiße. EVA: Was? Hören Sie mal, also … HARK: Nein, nicht wegen Ihnen, aber schauen Sie, sehen Sie das? Baqil. Der bewegt sich. Wacht auf. Das heißt, ich hab es falsch gemacht. Ich habe Sie falsch geweckt und befragt und … Scheiße, Scheißescheiße … EVA: Was? Ich verstehe nicht, was denn? HARK: Es ist eine Prüfung. Sie müssen sich das merken, es ist eine Prüfung. Die wollen wissen, ob Menschen was lernen können, besseres Verhalten, und wenn … EVA: Was? HARK: Sehen Sie das am Ohr, hinter seinem Ohr? Und hinter meinem? Sie spüren das nicht, aber Sie haben das auch. Das geht direkt ins Hirn, ins akustische Zentrum, damit wir keine Kopfhörer … weil, Kopfhörer kann man rausreißen, oder jemand kann mithören, der ein feines Gehör hat … der Stier sagt uns manchmal, was wir tun sollen, mir hat er gesagt, ich soll … aber wenn Baqil jetzt aufwacht, dann werde ich abgeschaltet … passen Sie auf, was Sie sagen, und sagen Sie nichts laut, wenn der Stier … hören Sie? EVA: Um Gotteswillen … HARK: Baqil ist okay, aber nehmen Sie sich in Acht vor Sven, das ist der Schlimmste, der ist ge… der kann … kann … EVA: Herr … Hark, was ist, was haben Sie? Hark? Hallo? HARK: Und eb… ebenemmenn das isssesas jetzt … bei Ihnsens auch … die induzier… indinzinz… die Angst, und je mehr Sie sich … hhh… hhh… EVA: Hark? Ich verstehe das alles nicht! Hallo? Hark? Baqil? Sven? (Dunkel) 4. BILD: Im normalen Film ist es, wie bei Mulvey so schön steht, eine Rate von „vierundzwanzigmal Tod pro Sekunde“. Und beim Videospiel haben sich die Hirn-Auge-Systeme an eine Rate von dreißig Bildern pro Sekunde gewöhnt, was einen ziemlichen Rechenaufwand bedeutet. Daher der Frust bei meinen zwei Programmiererinnen, dass sie einige ihrer schönsten Ideen fürs Rendering nicht umsetzen konnten, weil die Frame Rate davon gedrückt wird, weil das Spiel dann nicht mehr schnell genug auf die Entscheidungen der Leute

27./28./29.06.2019 Junge Choreograf*innen Arbeiten von und mit Tänzer*innen der Dresden Frankfurt Dance Company (DE)

/ 53 /


stück

reagiert, die es spielen. Die hätten am Liebsten hingeschmissen, schon vor der Schau in Köln. Aber ich wollte, dass es nicht abgehackt aussieht. Dann ging das Aussuchen los. Welche Sorten von Funktionen im Hirn und in der sozialen Kommunikation eignen sich als initiale Wahlfunktionen für einen iterativen Kaskadenalgorithmus? Von welcher Klippe springt das Pferd ins Meer aus Blut? EVA: Hallo? Wer ist, hallo? Hört mich wer? BILD: Und als Hark mir sein Lemma gezeigt hat, da dachte ich, jetzt verstehe ich, warum das nicht hinhaut, was da passiert ist, mit den Leuten und ihrem Erlebnistempo und ihrer Kommunikation. Nur ein Lemma, also ein Hilfssatz, nicht mal ein richtiger Lehrsatz, nur ein Nebenergebnis, und das Nebenergebnis sagt: Bei der Geschwindigkeit, mit der wir heute Signale verarbeiten müssen, kommt unser Affenhirn zwar noch mit, aber es fängt an zu vernachlässigen, wie wir unsere vielen Affenhirne noch aufeinader abstimmen. Das gilt im Intimsten, in den Liebesgeschichten, genau wie im Parlament oder im Krieg. Kann ja gar nicht so klappen. EVA: Hallo? BILD: Die Menschheit ist verpasst. Wir sind dran vorbeigerutscht. Die ungleichzeitige Entwicklung hat uns gefickt. EVA: Hallo? BAQIL: Mwhoo… rrgharrghh… Wa… Hallo, was, hallo? EVA: Baqil? Bist du das? BAQIL Mo… Moment noch mal, ich … Eva? EVA: Baqil? Gott sei Dank. Baqil? BILD: Da dachte ich, wenn das so ist, mit den Erlebnisraten, wenn das Pferd nie alle Beine gleichzeitig in der Luft hat, dann kann man es nur noch von seinem Leiden erlösen. Dann muss man es abknallen. EVA: Baqil? Was sagt sie? Was ist das hier alles? BAQIL: Moment jetzt doch mal. Fuck. Menschenskind. Ich muss nur gerade … es gibt gleich Licht, okay? Sie haben mich aufgeweckt, da machen sie dann gleich Licht. Sei still und lass das Video einfach laufen. EVA: Was, Video? BAQIL: Doro halt. Still bitte, ich muss … mir ist schwindlig noch… BILD: Ich habe mir sofort eine Liste gemacht, auf Papier, ganz altmodisch, wen ich da kenne und wer helfen kann, Kulturszene, dann Youtube, Facebook, Twitter … Größenwahn, okay? Drei Tage fast nichts zu Essen, alte Pizza und Knäckebrot, Cola Zero, kaum Schlaf, nicht aus dem Studio raus. So ein Zustand weckt ja die absurdesten Launen … ir-

/ TdZ Juni 2019  /

gendwann musste es dringend süßes Zeug sein, so ein Wiener Mandelhörnchen oder Pralinen. Also raus, und auf der Hauptwache … gegen neun Uhr morgens, an einem Samstag, völlig unwirklich, wie wenn man einen siebenstündigen Film im Kino gesehen hat oder eine Nacht beim Gaming weggediddelt, was ist denn das, Sonne, frische Luft? Kaum Menschen allerdings. Dann dieses Gefühl: Ich bin die geheime Königin der Apokalypse, ich werde diese Welt zerstören. Da kam plötzlich um die Ecke bei den E-Kinos eine Mutter mit einem Kind, einem Jungen, an der Hand, der war vielleicht sieben, höchstens acht. Das Kind hatte einen Roller dabei, hat den am Lenker mitgezogen, lustlos, und die Mutter sagt: „Nein, Skateboard, das ist noch viiiel schwieriger als Rollerfahren. Du musst erst mal richtig Rollerfahren, dann kannst du vielleicht, vielleeeeicht auch mal ein Skateboard haben.“ Das war wie ein Zeichen von oben: Doro, nicht gleich die Menschheit ausrotten, nicht gleich Skateboard. Fang mal kleiner an. Erstmal muss ich mich selbst umbringen, dann sehen wir weiter. (Licht) 5. EVA: Baqil? BAQIL: Ja doch. Hier. Hinter dir. Warte, ich komm rum. EVA: Machst du mich auch los hier? Baqil? Hör mal, der Mann, der Wissenschaftler, der Hark … BAQIL: Keine Nachnamen! EVA: Was? Ja. Hat er auch … Hör mal, du bist frei, kannst du … BAQIL: Ich bin nicht frei. Niemand ist frei. EVA: Was? Ich … du, der hat, er ist plötzlich, er ist bewusstlos, siehst du das? BAQIL: Dann hat er es verkackt. EVA: Was? BAQIL: Seinen Job. Seine Arbeit, wie du immer sagst. EVA: Was sag ich immer? BAQIL: Eine sehr gute Arbeit. Sagst du immer. Wenn ihr beide wach wart, dann warst du sein Job. So wie du jetzt meiner bist. Wenn der Stier spricht, in deinem oder meinem Kopf, oder im Kopf von Sven oder Hark, sollen wir zuhören. EVA: Was redest du denn, was soll … (Schock) BAQIL: Eva? Ah. Er spricht. Mach … mach die Augen zu am besten. Ich höre ihn nicht. Aber wenn du die Augen und den Mund zumachst, hörst du klarer. Ich halte deine Hand, spürst du das? Drück, wenn du … gut. Hör ihm jetzt zu. Gut. (Erlebnis)

BAQIL: Eva? Bist du … blinzel mal. So. Ja. EVA: Was … was … was hat … was… BAQIL: Ruhig. Beruhig dich. EVA: Beruhig, beruhigen ist gut … soll ich … Hark hat gesagt … atmen … Was war das? BAQIL: Hast du was gehört? Eine männliche Stimme? EVA: Ich hab gedacht, ich sterbe. Keine Stimme. Nicht wie wenn jemand spricht, jedenfalls keine Wörter. BAQIL: Zuerst hört man es nicht wie Sprache, man wird nur überwältigt. Mit der Zeit stellt es schärfer, dann ist es fast wie am Telefon. EVA: Mit der Zeit? Ich will das nie, nie wieder haben. Ich halte das nicht aus. Nicht nochmal. Diese Angst … Ich hatte noch nie so eine Angst! Als ob ich verrückt werde. Wie diese Leute, die sagen, die Dämonen oder Engel reden mit ihnen. BAQIL: Die Übertragung passiert über das Ding hier hinterm Ohr. Der Effekt, diese Angst, das ist eine Ausschüttung von drei Depots, du hast die im Körper. Das haben der Stier und der Widder dir eingesetzt. Er ist Neurochirurg gewesen, bevor er der Stier wurde. Hark kennt ihn vom Max-Planck-Institut. EVA: Depots? BAQIL: Das noradrenerge System wird aktiviert, dann wird Noradrenalin und Adrenalin freigesetzt, dann Vasopressin und noch was, ich hab’s vergessen. Das Resultat ist Panik, aber gesteuert, ich glaube, das Herz und die Atmung werden extra auch noch gereizt. Am besten, du stellst dich deiner Schuld. EVA: Was hab ich denn getan? BAQIL: Getan oder unterlassen. Deshalb sind wir hier, du, ich, Sven, Hark. Wir haben ihr was getan, oder wir haben ihr nicht geholfen. Doro. EVA: Doro, was soll ich der getan haben? BAQIL: Du warst ihre Galeristin und unsere. Das bedeutet … EVA: Das bedeutet, dass ihr mich terrorisiert habt. Die ganze Zeit. Diese Eifersüchteleien, und jedes Projekt, immer, wenn ich mehrere von euch zu was kriegen wollte, Gruppenausstellung, immer habt ihr alles zerredet. Dann war der Ort nicht gut, dann war der Neid zu groß auf die andern. Ich hatte so oft keine Lust mehr. Ich hatte auf nichts mehr Lust. Ihr könnt euch alle nicht beschweren. BAQIL: Du hast uns hauptsächlich inhaltslos gelobt. Immer der Spruch: Eine sehr gute Arbeit. Über jeden Dreck hast du … EVA: Spinnst du jetzt? BAQIL: Nicht so schnell, nicht aufstehen, du fällst hin …

WAS FÜR EIN THEATER WOLLT IHR?! MACHT MIT, MISCHT EUCH EIN! FÜR EIN NEUES

SCHREIBT UNS ODER KOMMT VORBEI!

PRODUKTION@THEATERRAMPE.DE

T H E AT E R R AM P E . D E

/ 54 /


/ TdZ  Juni 2019  /

EVA: Was, ich, Scheiße … Ach verdammt, ich … BAQIL: Tut mir leid, warte, he, pass auf. So. Setz dich erst mal hin. EVA: Nein, ich … Ich will nicht. Ich habe … oh Gott, warst du draußen? Die ganze Stadt ist ja … die Welt … draußen … BAQIL: Schhhh. Ich weiß. Ruhig. Schhh. Komm. Versuch mal … Mensch, Eva, so … Ich helf dir. Schh. Ja? EVA: Ja. Okay. BAQIL: So. Besser? (Mundwischen) EVA: Ja. Danke. Ja. Wo hast du denn das, wo hast du das Taschentuch her? BAQIL: Ist meins. Kannst du behalten. Ich zeig‘ dir mal … Ich hab das schon ein paarmal gemacht, dieses Aufstehen nach der Betäubung. Wenn das alles, die ganze Chemie und Elektronik im Körper… EVA: Geh nicht weg. BAQIL: Es geht um die Balance, verstehst du? Stell dich mal so hin wie ich. EVA: O…kay. BAQIL: So. Arm, rechts… EVA: Das? Das ist … es ist … komisch. BAQIL: Ich weiß. Fühlt sich fremd an, nicht? Und links. EVA: Zu lang. Als ob der Arm zu lang … seltsam, echt. BAQIL: Jetzt gehen wir ein Stück. EVA: Geht besser. Viel besser. BAQIL: Gut. Ich komm jetzt wieder zu dir, komm du doch einfach mal auf mich zu. Genau. Sehr … machst du gut. EVA: Danke. Baqil, wirklich … dank dir, ich bin noch … wo … wo gehen wir eigentlich hin? BAQIL: Hier. Noch ein Stück, so, schau? Hier, zum Band. Zur Kasse. EVA: Wieso … was machen wir … da … BAQIL: Du kannst dich hinlegen jetzt, du wirst sehen, das ist das Bequemste, entspannt total. Leg dich, leg dich auf den Bauch so, hier, ich zieh … dich … bisschen höher, schau mal, so, Gesicht da … da ist was wie eine Mulde. Das ist der Scanner. Die beiden Kissen hier, das kleine fürs Kinn und … genau, merkst du das, das ist … EVA: Bequem. Du, ja … Was machst du? BAQIL: Nicht den Kopf drehen. Bleib so. Gut, oder? EVA: Ja. Gut. Bequem. BAQIL: Wir unterhalten uns jetzt, okay? Dabei guck ich auf die Kasse, da gibt es eine Anzeige. Gleich wird es mal eben hell von unten, dann solltest du die Augen … EVA: Ein rotes Licht? BAQIL: Ja, das. Mach da mal die Augen zu.

dietmar dath_die nötige folter

EVA: Diese Maschine … was wird da gescannt? BAQIL: Das geht ins affektive Rechnen, sentic computing, da werden dein Gesicht und deine Stimme … ich sehe eine Scheibe auf dem Schirm, einen Kreis von Emotionen, es gibt immer zwei einander entgegengesetzte Emotionen, zum Beispiel Hoffnung und Angst, oder Glück und Elend, das ist dann der Durchmesser von dem Kreis, und der Mittelpunkt ist einfach das neutrale, das Ruhegesicht. Das interpoliert und rechnet die Maschine alles, darunter liegt eine algebraische Struktur von Gesichtstransformationen mit beliebig gewählten Operatoren. Nicht leicht zu programmieren, es wird ja selten ein emotionaler Zustand alleine und isoliert ausgedrückt … EVA: Klingt kompliziert. BAQIL: Das ist einer von den fiesen Witzen hier, dass der Stier dieses facial-recognition-performanceDing von mir übernommen hat. Aus meiner Computerkunst. Und Hark und … Sven … Und … (Schock) EVA: Baqil? Alles okay? BAQIL: Nein, ja, doch, hey … geht schon. Er hat mich nur … erinnert, dass es hier … wir sollten reden. EVA: Worüber? BAQIL: Deine Arbeit im Laden. EVA: Die Galerie? BAQIL: Ja. Und Doro, und ich und Sven. Ich stelle ein paar Fragen. Für den Ablauf. Erstens: Hast du was gemerkt? Mit Doro? EVA: Wie, mit Doro? BAQIL: Zum Beispiel … das war ja länger, das mit Sven. Wie hast du das gesehen? EVA: Ich fand es furchtbar. BAQIL: Inwiefern? EVA: Na, sie hat mir leid getan. Das war ganz sinnlos. Sven wollte ja immer eine Familie gründen, sein Dauerthema, auch in den Arbeiten: Familie, Monogamie, Werte, Spiel mit dem Spießigen, was seine Fans ja lieben. Deshalb hatte er zum Beispiel nie einfach ‘ne Freundin, es musste immer gleich eine Verlobte sein, erst diese in München und dann, als das kaputtging … BAQIL: Aber mit Doro war er nie verlobt? EVA: Doro war immer seine Geliebte, so neben den Weibern. Sie hat ja gern gebeichtet, ich wollte das aber nicht hören. Als Sven mit der ersten zusammen war, da sind sie ja dann miteinander ins Bett, Sven und Doro, und dann gab es ein paar Monate diesen Kleinkrieg, wie geht das nun aus, erfährt es die Verlobte von Sven, gibt es Krach, trennen die sich? Andererseits: Kannst du dir das vorstellen, Doro mit Kindern? BAQIL: Doro ist tot.

EVA: Schon, aber, entschuldige. Doro und Sven und Reihenhaus, nein. Am Ende hat er Doro wohl eine Mail geschrieben: Es tut mir leid, wenn es die andere nicht gäbe, wär‘ ich bei dir, aber ich bin süchtig nach ihrer Liebe. BAQIL: Was? EVA: Süchtig. Sven ist süchtig nach der Liebe von dieser … von seiner Verlobten da. BAQIL: Ach du dicke Scheiße. EVA: So war er immer. Dieses Getue. Sprüche, süchtig nach der Liebe, oder einmal hat er zu mir gesagt: Ich mache nicht nur Kunstwerke, ich bin auch ein Kunstwerk. BAQIL: Ich muss gleich kotzen. EVA: Du kannst ihn eh nicht leiden. BAQIL: Zur Sache zurück. EVA: Oh, touchy. BAQIL: Eva. Bitte. Und dann? EVA: Dann ist Doro erstmal verschwunden, zwei Jahre. Nach dieser Trennung. BAQIL: Weiß ich, weil ich der einzige aus unserm Kreis war, zu dem sie noch Kontakt hatte. EVA: Da fing das an mit euch, oder? BAQIL: Ja. Aber da sind wir noch nicht. Wir sind bei Sven. Was ist dann passiert? EVA: Na, da haben sich kurz danach Sven und seine Braut auch getrennt. BAQIL: Die, nach deren Liebe er süchtig war? EVA: Es lief halt nicht. BAQIL: Hmhmmhm. EVA: Du, was weiß ich? Sie hatte vielleicht keinen Bock auf das Projekt, Märchenhochzeit und Vorgarten. BAQIL: Und Doro? Wann, glaubst du, hat sie von der Trennung erfahren? EVA: Ich glaube, erst, als Sven dann die nächste Verlobte hatte. Die er dann ja auch wirklich geheiratet hat. BAQIL: Aber Doro hat das dann trotzdem wieder angefangen, mit Sven? Obwohl es eine neue Verlobte gab? EVA: Als sie das erfahren hat, also, sie hat mir das später erzählt, da dachte sie: Interessant, angeblich wäre ich ja jetzt dran, aber Sven meldet sich nicht, und … Vielleicht weiß er gar nicht, was er will. Vielleicht kann ich ihm das zeigen, dass er mich eben doch will. BAQIL: Das ist ja schlimmer als Masochismus. EVA: Ich fand das auch grauenhaft. BAQIL: Hast du ihr das mal gesagt? EVA: Baqil, so geht doch das Leben nicht. BAQIL: Wie geht es denn? EVA: Woher soll ich das wissen? Die Welt ist zusammengebrochen und ich wurde entführt und

/ 55 /


/ 56 /

stück

/ TdZ Juni 2019  /

Janosch

Löwenzahn & seidenpfote dramatisierung & Regie: frances van Boeckel westfälisches Landestheater premiere: 16. Juni 2019

MERLIN VERLAG

21397 Gifkendorf 38 Tel. 04137 - 810529 info@merlin-verlag.de www.merlin-verlag.de

operiert und werde jetzt ferngesteuert und von dir befragt und … BAQIL: Bleib liegen, ja? Ich wollte nur wissen: Deine Meinung von der Sache mit Sven und Doro war schlecht und wurde immer schlechter? EVA: Das kannst du aber singen. BAQIL: Und das hast du weder ihr noch ihm gesagt? EVA: Ihr was sagen, was sie nicht hören will … wollte … du warst doch mit ihr zusammen. BAQIL: Ja. Ich weiß, was du meinst. Sie lädt einen zum Tanzen ein, aber man tanzt dann in einen Sturm. Und der Sturm ist sie. EVA: Poetisch … aber, ja, so ist das. So war das. BAQIL: Ist nicht von mir. Ist von Lorde, ihrer Lieblings… (Schock) EVA: Baqil? Alles okay? BAQIL: Ja, ich … ja, ich hatte nur gerade einen … einen Stich in … der Stier findet wohl, wir driften zu weit vom Thema ab. Also, Sven … EVA: Der hat sich ständig überschätzt – als ob ein Chaot wie er das könnte, Familie. Der hat Flüge verpennt und Aufträge und Einladungen und Verpflichtungen, sich aber immer alles draufgepackt, groteske Selbstüberschätzung … als der Alte krank wurde, mein teuerstes Pferd im Stall ... BAQIL: Mertens. EVA: Mein Weltstar. Wir hatten was vereinbart mit dem Guggenheim in New York, da wurde er krank, da sagt Sven ernsthaft zu mir: Wenn das ausfällt, vielleicht kann ich ja da was machen. BAQIL: Wie, was machen? EVA: Nein, der dachte, die können sich ja dann im Guggenheim auch Sven statt Mertens angucken,

macht ja keinen Unterschied. Das ist, wie wenn irgendwo Robert De Niro ausfällt, dann nehmen wir halt Till Schweiger. BAQIL: Es gab doch auch Ärger mit einem Sammler, oder? Meurer? EVA: Ärger? Meurer hat den Sven gehasst! Es gab diesen Vorfall auf der Vernissage … BAQIL: Das … ah, fuck … (Schock) EVA: Baqil? Was ist los? BAQIL: Er ist ungeduldig heute. Der … ah … Also. Eva. Hier die … es geht nicht um die Vorfälle, es geht nicht um den Meurer und den Orangensaft. Es geht darum: Wieso hast du als Chefin nicht deine Macht … EVA: Was? Macht, ich? BAQIL: Ja Herrgott, jetzt stell dich nicht … so … Scheiße … (Schock) EVA: Baqil? Du machst mir Angst … BAQIL: Wo sind hier … hier die … Scheiß… die Scheiß… Spucktücher … ahh … EVA: Baqil? BAQIL: Nicht aufrichten. Fuck, bleib liegen. Ich muss mir nur den Mund wischen gerade, ich hab … bisschen Blut … EVA: Blut, oh Gott, Blut, Baqil … BAQIL: Fuck. Ja, verdammt! EVA: Was, ja?! BAQIL: Nicht du. Der Stier … der ver… ihm gefällt nicht, wie ich … wie wir hier um den … um den heißen Brei … Hast du nicht … sagen wir mal, die Sache in Basel, als du mit … Doro ausgemacht hast … EVA: Was? Du kannst doch diese Geschichte nicht … BAQIL: Erzähl sie mal. Erzähl sie einfach mal. EVA: Ja ja, schon gut, ich will doch … ich will doch auch nicht, dass … dass du Blut spuckst und Krämpfe kriegst oder was die mit dir machen. Ich kooperiere. Okay, was, Basel? BAQIL: Basel. EVA: Wir hatten diese Gruppensache, und Doro war nicht … Bitte, die Gastgeber hatten die Idee, dass man im Foyer eine Videoarbeit machen könnte, die haben dann halt gefragt, relativ spät allerdings, ob man das bis zur Eröffnung hinkriegt, und das war aber um 14 Uhr am Sonntag, da habe ich selbstverständlich Doro gefragt. Da hätte sie das Ding fertigmachen können, das mit dem Sex … BAQIL: Die junge Frau und der Hund und Doro. EVA: Ja, das Ding. Tropisch… nee … BAQIL: Trophische Kaskade. EVA: Ja. So hieß das. Sehr gute Arbeit. Wir hatten noch eine Woche, das Foyer war leer, ich habe ge-

sagt, mach mal … wenn du was brauchst, ich unterstütze das voll, aber sie hat … sie hat mich dann fast eine Woche später … Samstagnachmittag angerufen, da sagte sie, nein, sie ist erst am Montag früh fertig, oder aber sie macht es schlechter, sagt sie, das geht auch, irgendwas mit der letzten Bearbeitung, digital. Da sage ich, ja, schade, nein, okay, dann machen wir es ohne Video. Nur, die Basler … die waren dann so wild auf diese Videowand, was hätte ich denn bitte machen sollen? BAQIL: Was hast du denn gemacht? EVA: Du weißt es doch. Der Sven. BAQIL: Tja. EVA: Sven hatte halt was fertig. Der hatte immer was fertig. Chaotisch wie er war, aber er war immer bereit … BAQIL: Er springt immer gern ein. Für Mertens, zur Not für Picasso, Einstein und Hitler. EVA: Er hatte was, ja, und ich habe es zeigen lassen, und? Der Film … trophische Kaskade, das Ding von Doro, ich habe das nie verstanden, dass sie da so beleidigt war. Sie hatte doch dann einen Riesenerfolg damit in Venedig, okay? Jahrelang hat sie mir das … sie konnte extrem nachtragend sein. BAQIL: So, wie du sie erzählst, ist die Geschichte natürlich glatter, als sie war. EVA: Wieso? BAQIL: Der Samstag. Die Telefonate. Sie hat es mir erzählt, Eva. Erzähl‘ es mir genau. EVA: Ich lüg‘ dich doch nicht an, was soll das? BAQIL: Wie war das? EVA: Na ja, die Basler sagen also, es muss aber pünktlich sein, da rufe ich Doro an, und sie ziert sich und sagt … warte, genau, so war es: Kann man es später machen? Sie hat gesagt, ich soll den Baslern sagen, wir installieren es am Sonntag nach der Vernissage. BAQIL: Und wie hast du auf diese Idee reagiert? EVA: Ich habe die Frau Möhringer … so hieß die … ich habe da angerufen, das fand die gar nicht gut, und … Also, Sven, der war schon in Basel, der hat wegen seiner Sache … der hatte mit der Möhringer schon geredet, und der wusste wohl auch von Doro, dass sie nicht rechtzeitig … der war praktisch schon mit der Möhringer einig. Die waren schon am Montieren, als Doro mich angerufen hat. Aber das wusste ich ja nicht, oder? BAQIL: Ich weiß, du hast Doro eine SMS geschrieben. Da stand drin: Hetz dich nicht, es wird schon. Aber am Ende hing das Ding von Sven da. EVA: Ja, okay. Nicht schön. Aber wieso wirft sie das mir vor und nicht Sven? BAQIL: Vielleicht, weil du es immer so gemacht hast. Allen alles versprechen und dann den Weg


dietmar dath_die nötige folter

/ TdZ  Juni 2019  /

des geringsten Widerstandes. Dann tauchst du ab und kannst nichts dafür. EVA: Mir braucht ein Künstler nichts von Verantwortung zu erzählen.Wenn ich nicht immer alles machen würde … Baqil, was ist? Baqil? BAQIL: (rutscht vom Stuhl) EVA: Baqil? Scheiße … Ba… was is, was … was macht … (klettert vom Laufband, wankt, tastet, will ihm helfen, wird aber schnell träger, schwach, schwindlig, müde, sinkt neben ihm in die Bewusstlosigkeit, zu Boden.). 6. BILD: Ein Vortrag von jemandem, der sich nicht vorbereitet hat, und denkt, das wäre so schön antiautoritär, wie er da ganz uneitel und bescheiden nach seinen Gedanken sucht vor Publikum: das ist das Allerletzte, weil er ja trotzdem der Vortragende ist, da ja nicht alle gleichzeitig reden können, und sein unvorbereitetes Gestammel dann einfach Terror bedeutet, Geiselnahme, alle sind jetzt seiner Hilflosigkeit ausgeliefert. Das Publikum quälen durch Chaos. Meine Frage war: Kann man das optimieren? Kann man das maximale Störpotential finden, um das Publikum so richtig zu foltern und zu zerbrechen? Welche Funktionen im Sobolew­ raum dieser ganzen Sender-und-Empfänger-Scheiße muss ich knacken, wie kann ich die kleinsten Signaleinheiten finden und absetzen, um eine bereits gestörte Abstimmung von Rahmenraten aufeinander nur immer schneller immer weiter zu stören? Die Leute aufzuhetzen, das war ein kindischer Einfall. Sie dazu zu bringen, einander aus den wechselseitigen Zeitfenstern fürs Verstehen zu schütteln und zu schubsen, das ist viel zerstörerischer. Das kann man in sehr kurzer Zeit machen – in dem Moment, den es braucht, ein Bild anzuschauen, einen Song zu hören oder sich ein Urteil über eine Figur in einem Theaterstück zu bilden. Es ist Folter, aber sehr kurze Folter. Die ist nötig, wenn man das Geflecht dieser bescheuerten Gesellschaft auflösen will. Die Leute denken, sie verstünden einander. Ich wollte sie zwingen, zu kapieren, dass sie das nicht tun. Wie man ein schlecht verheiltes gebrochenes Bein absichtlich nochmal bricht. Sadomoralismus. Herzlich Willkommen! 7. (Stier/Widder) STIER: (hat einen Kasten dabei mit Geräten, stellt ihn neben den Bock, dann gehen beide zur Kasse) Nimm ihn mal unten. Das Bein da, nimm’s höher. Ich schwöre dir, das ist Absicht, dass er so schwer ist, dieser Mensch. Die ganze Masse ist nichts als

Trotz. (Beide arbeiten, bringen Baqil und Eva zurück zu ihren Sitzen, fixieren sie dort) Ja, schau nicht so. Ist mir alles klar, du findest es abscheulich, inklusive die Auswege, das schnelle Gift, das langsame Gift, Herz und Hirn. Am Allerabscheulichsten findest du die Sache mit Sven. Die Stufe der Angst, und eigentlich findest du jede Stufe im Ablauf zum Kotzen. Aber wenn du wirklich nicht mehr kannst, es gibt die zwei Röhrchen, nicht? Das schnelle Gift und das langsame Gift, für dich in Röhrchen, für die andern im Depot. Ich hab’s dir gezeigt, in der Beobachtung, und das Fach ist nicht abgeschlossen. Du kannst es nehmen, ich kann es nehmen. Absolute Freiheit zum Ausstieg, an jedem Moment im Ablauf. Nimmst du das langsame, dann gehst du sie durch, die Geschwindigkeiten. Du würdest sehen können, wie eine Fliege sich von der Fensterscheibe abstößt, wenn sie losfliegt. Nach einer Weile bist du dann allerdings auch tot, es sei denn, jemand ernährt dich künstlich, denn um deinen Stoffwechsel wirst du dich nicht mehr kümmern können, wenn du das langsame Gift erst mal im Leib hast. Du verhungerst und verdurstest, merkst es aber nicht, weil du es nicht mehr sortiert kriegst. Mir wäre das schnelle Gift lieber. Da bist du einfach futsch. Herztod. Was meinst du? Es wäre mir wirklich lieber, du könntest sprechen. (Als sie mit Baqil und Eva fertig sind, befreien sie den bewusstlosen Sven aus seinem Sitz und bringen ihn zum Bock, dort wird er bäuchlings festgemacht). Ja, schon gut, ich seh’s ja. Geh halt. Geh in die Beobachtung, oder in die Koje. Ich komme klar. Er wacht schon auf, siehst du? Willst du nicht erleben, gut. Bis nachher. (Widder ab) 8. STIER: (klatscht Sven die Flanke) Hey, Aufwachen! Hü, Pferdchen! Wir haben nicht ewig Zeit hier. SVEN: Wa… ver… ah, was denn? Hör auf, du … hör auf! Was will… willst … Hilfe! Hallo? Hilfe! STIER: Here we go again. Ja, schrei dich aus. SVEN: Hilfe! Fass mich nicht an! Ich warne dich! STIER: Ich bin immer wieder beeindruckt. SVEN: Weg! Weg mit den Fingern! Ich bring dich um! STIER: Zweifellos. SVEN: Schwein! Das ist … das ist! Du … STIER: Und jetzt das Geheule und Geblubber. Jedesmal dasselbe. SVEN: Das kann doch nicht sein … das kann doch nicht sein … das kannst du nicht … Das könnt ihr nicht machen … ich bin ein Mensch … das geht doch nicht …

»Sitting Circles« Ana Alenso, Ada Van Hoorebeke, Okka-Esther Hungerbühler, Cosima zu Knyphausen, kate-hers RHEE

GW_AZ_Theater der Zeit_Gruppenausstellung_MCL_01.indd 1

STIER: In Ordnung. Ist gut. Lass es raus. Gut. Jetzt. So. Fertig? SVEN: Schwein … Sch… Schwein. STIER: Ja. Schwein. Okay. So. Jetzt ich. SVEN: Was? STIER: Ruhig, es ist alles wie immer. Fragen. SVEN: Was soll der Scheißdreck? STIER: Ruhig und vernünftig, das magst du nicht. Klar, aber schade. SVEN: Ach, fick dich doch. STIER: Dazu später. Jetzt die Fragen. SVEN: Mach doch, was du willst. STIER: Schön wär’s. Erstens: Was hast du in Frankfurt am Bahnsteig zu ihr gesagt, bevor du in den Zug gestiegen bist? SVEN: Was? Das ist doch alles … Ich erinnere mich doch jetzt nicht … STIER: Solltest du aber. Ich helfe dir. SVEN: Au! Aua! Du dreckiger … STIER: Still jetzt. Sonst kommt die Angst. Nicht weinen. Konzentrier dich. Es war kurz vor deiner Hochzeit. Du hast Doro besucht, in Frankfurt. Auf dem Weg in die Schweiz. Weißt du das noch? SVEN: Ja. STIER: Was, ja? SVEN: Im Sommer. STIER: Richtig, im Sommer 2016. Deine Verlobte war in Berlin, aber Doro durfte dich am Bahnhof nicht umarmen, richtig? SVEN: Man kennt uns beide in Frankfurt. Ich wollte keine Missverständnisse. STIER: Also erst in der Wohnung, in ihrer Wohnung hast du dich … sagen wir: entspannt. SVEN: Ich habe nichts getan, ich habe nicht … es kam zu keinem … STIER: Ja, schon gut, Mr. President. You did not have sex with that woman. SVEN: Nicht an diesem Abend. STIER: Du hast da übernachtet. Bei Doro Coppe. SVEN: Ja, na und? Ich habe … wir haben dann in separaten Zimmern geschlafen. STIER: So, wie ich es weiß, hast du morgens aus deinem separaten Bett nach ihr gerufen, „ich bin waaach“, als Kuscheleinladung. Bestreitest du das? SVEN: Wieso sollte ich bestreiten, was … he, was machst du? STIER: Ich zieh dir die Hosen runter. Gehört zum Ablauf. SVEN: Was soll das sein, eine, was ist das, filmt ihr das? STIER: Hier, schau mal. Weißt du, was das ist? SVEN: Wie bitte? Also … Das ist ein Riesen…dildo, soll ich jetzt ohnmächtig werden?

14.06. bis 10.08.2019 Eröffnung am 13.06.2019 um 19 Uhr Kuratiert von Marie-Christin Lender im Rahmen des Ausstellungsprogramms »SoS« (Soft Solidarity)

10.05.19 15:37

/ 57 /


stück

schlimmer! Zweimal hat er sie sitzenlassen, zweimal aus heiterem Himmel, und sie wollten in dieses Land fahren! In das Land, wo er herkommt, dieses … zu diesen Arabern! Der, der hat sie fertig gemacht! STIER: Ja, der hat fertiggemacht, was du angefangen hast. SVEN: Aufhören! Auf-! STIER: Mir gefällt’s auch nicht, kannst du mir glauben. Na schön. So. Was bist du bloß für ein Typ. Weinst, aber bereust nichts. Hör auf zu winseln. Nichts ist passiert. Ich habe nur gedroht und dir die Hose ausgezogen und dir das Ding an den Oberschenkel gelegt, da bist du schon fast gestorben. Lassen wir’s. Du bist frei. SVEN: Was? STIER: Steig runter, und zieh die Hose an. Geh. Schau sie dir an, diese Welt, von der du glaubst, sie wäre nicht untergegangen. Geh da rechts runter, da kommt eine Tür, der Code ist „trophische Kaskade“, das gibst du ein im Buchstabenfeld, dann geht die erste Schleusentür auf, da rein, Bewegungsmelder, dann geht sie zu, dann die andere auf, dann bist du draußen. SVEN: Aber ich … aber … STIER: Zur Tür bringen werd‘ ich dich nicht. Sieh zu, dass du Land gewinnst. Depp. (Dunkel) 9. BILD: Wenn zum Beispiel so ein Zerstreuter dann sagt: Wo war ich?, weil er den Faden verloren hat, da stimmt ja nun gar nichts, die Frage muss natürlich lauten: Wann war ich?, und nur dann kann man die richtige Antwort geben, die nämlich lautet: Bis jetzt noch nicht, du stehst dir immer erst bevor, das ist der Trick beim viel zu großen menschlichen Hirn. (Licht) 10. EVA: Baqil? Wach auf! Du musst mir helfen! BAQIL: Was was … Was reißt du denn an mir rum? EVA: Ich glaube, denen ist ein Fehler passiert. Das Zeug funktioniert nicht. Das Zeug im Körper, was uns müde macht und bewusstlos. Vielleicht hat der Stier vergessen, irgendeinen Knopf zu drücken oder sowas. BAQIL: Was für einen Knopf? Wieso läufst du frei rum? Wo … ist Sven? EVA: Ich hab das alles mitgekriegt! Ich konnte mich nicht bewegen, aber ich war auf einmal wach, ich habe alles gehört, die Gesichtsmuskeln waren wie, also, wenn man beim Zahnarzt eine örtliche

Betäubung kriegt, und die Lider schwer, aber ich konnte zwischen … ich konnte sehen … er hat Sven gehen lassen. Erst hat er ihm Angst gemacht da auf dem Bock mit einem Dildo … BAQIL: Mit … was hat er? EVA: Der Stier hat so getan, als ob er Sven vergewaltigen wollen würde. Es war ein blödes Gleichnis wegen Doro, weil Sven so mit ihr gespielt hat über Jahre, aber dann hat er es doch nicht getan, der Stier, meine ich, sondern er hat ihn freigelassen, er hat ihm gesagt, wie der Code geht, nämlich wie der Titel von Doro, trophische Kas… trophische Kaskade, das ist die Tür, dann ging er weg und das Video hat wieder … da ging das Licht an … die Fesseln waren los, an den Händen, und die Beine habe ich selber … BAQIL: Warte, warte. Zurück. Welcher Code? EVA: Es gibt eine Schleuse, da kann man raus, wenn man die Buchstaben weiß, ich nehme an, es sind so Wählfelder wie beim Telefon. BAQIL: Und du willst abhauen? Raus? EVA: Ich … Ach, ich weiß doch gar nicht. BAQIL: Was weißt du nicht? EVA: Ob es draußen überhaupt … besser ist. BAQIL: Draußen ist es schlimm. War schon schlimm, als sie mich ins Hotel gelockt haben. Der Stier und der Widder haben mich in einem Hotel betäubt, das war eine Falle, da bin ich hin, weil es hieß, die Stromversorgung … EVA: Ja, das haben viele gemacht in der ersten Woche, als das Chaos losging, weil ja noch Notstrom … in den Hotels, die hatten ja eigene Generatoren zum Teil, die großen, und weil es ja hieß, in den Bekanntmachungen … Erst waren es die Amis, oder? Dann Westeuropa, dann Russland, erst hieß es, Cyberkrieg, russische Hacker, aber als die Russen dann auch … BAQIL: Dieser Typ von der NATO hat gesagt, das wäre Ablenkung, aber die vernünftigeren Menschen … EVA: Nee, das war anders. Oder … ich erinnere mich anders. Die … es war was Chinesisches. BAQIL: Ich habe das mit Sven schon besprochen. Der erinnert sich auch anders. Der weiß nichts von dem Chaos. Und noch … es ist noch seltsamer. Sie haben uns hier ja gefoltert, aber … ich dachte, mir hätten sie Rizinusöl eingeflößt und den Sven mit einem Bunsenbrenner … Aber er sagt, es wäre genau umgekehrt gewesen. Ich dachte, vielleicht verarscht er mich, aber Hark hier, der erinnert sich wieder anders, der sagt … und dann haben wir über unsere Sachen vorher geredet. Wie es war, bevor wir herkamen. Und es ist, als ob wir … völlig verschiedene Geschichten … Als ob du, ich weiß nicht,

THEATER MARIE

STIER: Klären wir gleich. Jetzt erst mal zurück: Sie kam dann, und du hast die Decke zurückgeschlagen und lagst da in deiner Unterhose … SVEN: Ich will über das nicht reden! Das sind meine privaten, persönlichen Sachen, und … Nimm das Ding weg! Nimm das weg, oder ich schwöre … STIER: Ich glaube, es ist dir lieber, wenn ich hier vorne damit herumwedle, als wenn ich nach hinten gehe und dir das erkläre. SVEN: Was willst du mir erklären? STIER: Erstmal du. Erklär mir, wie das gemeint war, mit dem Kuscheln, und ob das stimmt, was Doro Coppe sagt, dass du sie am Bahnhof auf die Stirn geküsst und zu ihr gesagt hast: Danke, dass du so lange wartest. SVEN: Ich habe, ja, was denn, meinetwegen habe ich das gesagt, es war eine komplizierte Beziehung. Ich wollte stabile Verhältnisse, eine Ehe, halt nicht mit Doro, die das ja eben auch nicht wollte, und die aber sagte, sie wolle dem dann andererseits auch nicht im Weg stehen. STIER: Wolle. SVEN: Was? STIER Sie wolle dem nicht im Weg stehen. Du redest von wolle. Dir ist nicht mal aufgefallen, dass die Welt draußen untergegangen ist. SVEN: Was? Pfff! Welt? Die Welt? Untergegangen? Lächerlich! Wegen dem bisschen Stau und Unfall und dem Durcheinander mit dem … Internet? STIER: Durcheinander mit dem Internet. Sagenhaft. Du sagst, es war kompliziert mit Doro, dabei war es einfach eine Vergewaltigung, und diesen Gummischwanz hier, denn habe ich dabei, um dir das klarzumachen. SVEN: Eine was, eine was? Eine Vergewaltigung? Was? STIER: Das wäre meine zweite Frage: Ist dir klar, dass das eine Vergewaltigung war, wenn man jemandem gegen dessen Willen das Herz aufbricht, sich darin vergnügt und dann abhaut? Du bist mit ihr ins Bett, und dann hast du diese Falle gebaut, von wegen, wir lieben uns, aber es ist so schwierig, weil ich der kompliziertere Mensch bin, liebe Doro, bitte spring, wenn ich mit der Peitsche knalle, und halte dich bereit für meine Launen. SVEN: Das ist eine absurde Karikatur. STIER: So, jetzt wollen wir doch mal sehen hier. SVEN: Geh weg! Geh da sofort weg! Ich warne dich! STIER: Man muss dich wirklich immer erst übersetzen. Ich warne dich, das heißt, du hast Angst. SVEN: Das kannst du nicht machen! Ich soll der Böse sein, ich soll schuld sein, dass sie tot ist? Aber den Baqil fragst du nicht! Das war viel

/ TdZ Juni 2019  /

Mundart-Schauspiel von Paul Haller Theater Winkelwiese Zürich: 19.-21.6.2019 Heitere Fahne Bern: 26.-28.6.2019

/ 58 /


dietmar dath_die nötige folter

/ TdZ  Juni 2019  /

Kaserne

du setzt ein Publikum hin und spielst ihm vor, was mit der Welt los ist, und sie denken, es ist ein Stück, ein Spiel, weil sie es nicht wiedererkennen. Wie war es denn bei dir? Vorher? EVA: Wir sind mit dem Auto los, der Thomas und ich. Wir wollten auf‘s Land. In Brandenburg haben wir dieses halb renovierte … BAQIL: Das ehemalige Bauernhaus? EVA: Na ja, Bauern waren da keine. Da war Bergbau. Bis zur Wende, und dann … BAQIL: Seid ihr durchgekommen? EVA: Dritte Woche. Sven war schon lange verschwunden. Von dir hatte ich auch nichts mehr gehört, und von … einigen anderen. Vielleicht gibt‘s mehr solche Orte wie hier. Kann das sein? BAQIL: Am Ende, bevor man dich hergebracht hat … EVA: Wir haben es nicht mal nach Brandenburg geschafft. Die Straßen, und erst recht die Bahn … HARK: Gebt euch keine … Gebt euch keine Mühe. EVA: Hark! BAQIL: Du bist wach? HARK: Der Stier hat keinen Fehler gemacht. Vergessen Sie den Ausweg, Eva. Es gibt nur einen. Na, einen doppelten. Er hat ihn uns erklärt, am Anfang. Schnelles Gift, langsames Gift, man sagt ein Sprüchlein, die Depots schütten es in den Leib. Sonst nichts. BAQIL: Wollte ich auch grad sagen. Es gibt nur diesen einen Ausweg. Und den will ich nicht. Keinen von beiden. Das ist alles abgekartet und ausgerechnet. Scheiße, ich bin so müde. Ich hab’s satt. EVA: Wovon redet ihr? HARK: Soll ich es ihr sagen oder … BAQIL: Wir können sterben. EVA: Was? HARK: Er meint, der Ausweg ist ein Gift. Oder besser, es gibt zwei Gifte. Doppelter Ausweg. Herz oder Hirn. BAQIL: Zwei Sätze. EVA: Sätze? HARK: Unsere Körper sind hier so eingerichtet, dass wir sie zerstören können, entweder vom Herzen oder vom Hirn her. Es gibt zwei Gifte in den Depots in uns, eines löst sofort einen Herzstillstand aus, das andere … macht mit unserem Hirn das, was die … Ereignisse, von denen wir gerade reden, die Ereignisse da … draußen mit der ... Das hält das Hirn dann nicht lange aus. Der Stier hat uns mitgeteilt, wir müssen nur laut und deutlich sagen … BAQIL: Vorsicht! HARK: Ja, ich weiß. Also, wir müssen sagen: das schnelle Gift, oder wir sagen: das langsame Gift, aber davor jeweils die beiden Wörter, die man auch bei der Hochzeit sagt.

EVA: Ich will? HARK: Nicht! EVA: Nein, ich will es ja nicht. Ich will nicht sterben. BAQIL Warum? EVA: Was? BAQIL: Warum willst du nicht sterben? Wenn du das draußen gesehen hast, wenn du das drinnen kennst? Jetzt schweigt der Stier. Er hat mir gesagt, dass ich dir das klarmachen soll, aber er weiß so gut wie alle außer dir, dass du es nie lernen wirst. EVA: Was soll ich lernen? BAQIL: Du wachst auf, und du weißt, man kann raus, du hast Sven gehört, er ist gegangen. Aber du gehst nicht, du weckst uns. Du versuchst, dir die Entscheidung abnehmen zu lassen. Wie immer. Wer soll das ändern? HARK: Rhetorische Fragen kann man auch ernst nehmen. Also. Es gibt in dem, was du tust und dem, was du drüber denkst, sozusagen eingebrannte, trainierte, gewohnheitsmäßige kleine Funktionen, teils kontinuierlich, teils in Päckchen, Dispositionen zum Handeln in Wavelets und Framelets. Gut, nur, was heißt eingebrannt, gewohnheitsmäßig? Das heisst, der Überprüfung entzogen. Für wen? Für dich, für andere? Für die Figuren im Stück, fürs Publikum, für die Dramaturgie, die Regie? Nehmen wir mal an, du glaubst, ich könnte es eh nicht lernen, was mich da durch meine Routinen jagt, aber du selbst hast es für dich jetzt nach deinem eigenen Zeugnis gerade doch durchschaut. Warum demonstrierst du das dann nicht einfach? Warum zeigst du es dem Stier und der Beobachtung nicht? Vielleicht gibt es ja eine Belohnung. Einen anderen Ausweg als den Tod. BAQIL: Ach, das ist so Bert Brecht, Lehrstück, was haben wir gelernt? Dieses beschissene Verhalten von Menschen gegenüber Menschen, und wie das schiefgeht, aber nicht mal politisch, sondern schon ganz klein, intim, ein paar Personen, Liebe und Karriere. Was ist denn passiert? Wie soll man daraus lernen? Soll ich mich in Doro neu verlieben, halt, nein, sie lebt ja nicht mehr, siehst du, geht nicht! HARK: Aber es gibt Muster. BAQIL: Allerdings. Jede Beziehung erzeugt und stabilisiert Muster. Nur, gerade da kommt es gar nicht drauf an, was einer von beiden gelernt hat aus dem letzten Desaster, weil er ja eben nicht alleine handelt. Es gehören immer zwei dazu. Mindestens. EVA: Jetzt machst du genau das, was du mir vorwirfst. Gibst anderen die Schuld und den Umständen. HARK: Es ist sowieso viel zu abstrakt gedacht. Es geht doch um unsere konkreten Geschichten mit Doro. Um deine auch, Baqil.

Do 6.6. bis Sa 8.6. Mats Staub Death and Birth in My Life

Mi 12.6. bis Sa 15.6. I Never Read, Art Book Fair Basel

BAQIL: Was willst du von mir? Eine Zusammenfassung? Mann mit libanesischem Vater und deutscher Mutter will Künstler werden. Studiert in Berlin, verdient erstes Geld als Kunstkritiker, interviewt die neue Sensation Doro Coppe, die ihn an ihre Galeristin vermittelt. Beziehung. Wir fahren in den Libanon, wo ich mit sechzehn das erste Mal war, Verwandte besuchen, und die Sprache nur so gerade kann, also, für Konversation reicht’s. Wir recherchieren da beide, wegen Kunst. Ich mache was, sie macht auch was, meins wird auf einer Gruppenausstellung gezeigt, ihrs, dieses politische Weltdiagrammtheater, wird eine mordsmäßige Show in Karlsruhe. Es ist unsere beste Zeit, die elf Tage im Libanon sind … sie sagt, ich wäre der Richtige für sie, und dass ich ihr noch Zeit geben soll mit dem Quatsch mit Sven. Sie zieht bei mir ein, das heißt, sie hat zwei Wohnungen, eine in Frankfurt, eine mit mir in Berlin. Und ich schlucke meine Eifersucht runter, ich meine, ich habe ihr nie ein Ultimatum gestellt … HARK: Vielleicht hättest du das tun sollen. BAQIL: Danke auch für den Hinweis, Herr neurowissenschaftlicher Menschenmanipulator. Es war wie in einem Dampfkessel, dieser Druck in mir … ich konnte es ihr nicht zeigen. Aus Stolz vielleicht. Und weil ich dieses Klischee so zum Kotzen finde, der unbeherrschte, der besitzergreifende arabische Mann. Ich habe gelitten wie ein Hund. Und dann, nach einem Wochenende in Frankfurt, hatte ich genug, und habe ihr ihren ganzen Kram aus meiner … aus unserer Berliner Wohnung nach Frankfurt geschickt, kommentarlos, in Kisten. Und war nicht mehr zu erreichen. Aus. EVA: Krass. Das wusste ich gar nicht. HARK: Aber damit war es nicht zu Ende, oder? BAQIL: Zuerst schon. Sie hat mir Mails geschrieben, SMSen, eine Flut von … ich konnte darauf nicht antworten. Sorry. Feige vielleicht. Bin dann ein halbes Jahr nach Los Angeles. Wiedergetroffen haben wir uns dann lustigerweise in Münster, weil die dort so ein Festival … wir haben geredet, und wir haben … ich würde sagen, wir haben festgestellt, dass da doch eine Verbindung war, die … vielleicht nichts Romantisches, aber was Tiefes, was … EVA: Ja, ehrlich gesagt, wenn man euch zusammen gesehen hat, das ergab schon Sinn. HARK: Sinn, das ist wirklich nicht romantisch. BAQIL: Red‘ doch mit dir selbst, Idiot. Wir haben da in Münster … es war die Zeit, in der die Flüchtlingssache losging, und sie sagte, sie müsste oft an den Libanon denken, an unsere Zeit, daran, dass sie vorher ganz starre Vorstellungen gehabt hätte

Do 13.6. Morena Leraba

www.kaserne-basel.ch

/ 59 /


/ 60 /

stück

von arabischen, von muslimischen Verhältnissen, und … Und spontan dachte ich, nein, das war doch wirklich sehr schön gewesen damals, da sagte ich auf einmal, vielleicht sollten wir nochmal hinfahren. Nicht als Liebespaar, aber vielleicht als Freunde und als Künstler. Sie sagte dann: Ja, aber wenn wir neue Partner haben, dann? Und ich … ich fühlte mich irgendwie gedrängt, zu sagen, das müssen die dann eben verstehen. Heute würde ich … na ja, könnte, wäre. Bla. Da hat sie gelacht, da haben wir die Hände geschüttelt wie zwei, die ein Geschäft abschließen, und es war so … ja, beschlossen. Zweite Libanonreise. EVA: Aber die Reise fand nicht statt. BAQIL: Nein. Ich habe … ich hatte kurz darauf … es gab eine Frau in Los Angeles, die dann nach Kassel gezogen ist, und da habe ich bei der Reise einen Rückzieher gemacht, weil sie das nicht wollte. EVA: Aber Doro hatte doch genau das gefragt: Was, wenn neue …? BAQIL: Ja, na, das war theoretisch gewesen, oder? Das mit Pat, also Patricia aus LA … das war dann doch nichts, und … da näherten wir uns einander wieder an, Doro und ich. HARK: So, so. Man näherte sich an. Magnetisch, oder wer hat da wen angenähert? BAQIL: Pfff, ich habe Doro halt irgendwann angerufen und … HARK: Und dich entschuldigt, nicht? Das hat sie mir erzählt. Die längste telefonische Entschuldigung aller Zeiten. BAQIL: Wegen der zweiten Libanonreise, die es nicht gab, ja. Ich habe ihr gesagt, dass ich das selbst das Schlimmste fand, was ich je gemacht habe. Erst versprechen, auch mit neuer Beziehung, und dann genau das nicht, weil … weil es so … Ich meine, falls du das wirklich hörst, hey, Stier! Meine Entschuldigung, die lässt du verspotten, von dem Witztypen hier, aber dass Sven sich nie entschuldigen würde, das ist offenbar auch Scheiße. Was gilt jetzt? HARK: Das kann sogar ich beantworten, als Witztyp. Da braucht es den Stier nicht. Sven denkt, er kann seine Vergehen ungeschehen machen, indem er sie ignoriert. Du denkst, du kannst sie ungeschehen machen, indem du sie bei dir selbst anklagst. Beides ist falsch, die Lektion ist: Man soll so was nicht machen. BAQIL: Doro hat mir bei dem Telefonat gesagt: Ich habe das nie verstanden, die Trennung. Wir waren gut zusammen. Hättest du halt gesagt – sie meinte mich – , hättest du halt gesagt: Das mit Sven muss aufhören, das hätte ich gemacht. Das beendet.

/ TdZ Juni 2019  /

EVA: Stimmt, irgendwann hat sie es ja auch wirklich beendet. HARK: Wobei man fragen kann, ob sie den Mut gehabt hätte, es zu beenden, wenn Baqil nicht gegangen wäre. BAQIL: Genau das hat sie zu mir gesagt: Ich konnte mich von dem losreißen, von Sven, als mir klar wurde, so wie mit Baqil wird es mit jedem laufen, solange ich auf Sven fixiert bin. Und dann sagt sie: Ich will dir da auf keinen Fall reinreden. Wenn Pat für dich richtig ist, mach das. Andererseits, wenn ich richtig bin, viel Zeit haben wir nicht mehr. EVA: Meinst du, sie hat es damit angekündigt? Dass sie vorhat … BAQIL: Das wär schlimm. Keine Ahnung. Ich hab mich dann von Pat getrennt. EVA: In Berlin, nicht? Wenige Stunden vor einem Treffen mit Doro … BAQIL: Du weißt ja wirklich alles. Oder der Stier weiß alles. Ich habe Doro … wir sind in ihr Hotel und … Na, wir waren wieder zusammen. EVA: Ja, ich erinnere mich, dass sie mir das erzählt hat, im Winter. Sie war total euphorisch. HARK: Das klingt, als wärst du skeptisch gewesen. BAQIL: Ah, Umschalten. Jetzt wechselt die Prüfung. Jetzt bis du wieder dran, Eva. HARK: Nein, Baqil, warte mal. Du hattest gleich sehr große Pläne mit ihr, sagte sie mir, Kinder, ein Haus in Frankfurt … BAQIL: Ja. HARK: Und sie? Wie hat sie reagiert? BAQIL: Sie hat gesagt, lass uns ein Jahr lang sehen, wie es geht. Und ich, das ist ja wahrscheinlich jetzt mein Hauptverbrechen, ich war davon, das war im November, so angestachelt in meinem Ehrgeiz, ihr zu beweisen, diesmal klappt es, ich habe gesagt, lass uns fliegen, Libanon, im Februar, sofort. Ich wollte dieses Probejahr … ich wollte das vollstopfen mit Erfolgserlebnissen für uns. Also, dritte Libanonreise sozusagen. Die zweite war ja ausgefallen. Also Pläne, Flugtickets und … Scheiße. EVA: Oh. Jetzt verstehe ich. Sie hat mir das … ach du lieber Gott. Du hast sie wieder abgeschossen, oder? Du hast sie … nachdem ihr das alles geplant hattet, nachdem ihr wieder … im November … anderthalb Wochen vorher, nachdem sie auch bei mir ihren ganzen Kalender freigeräumt hat und sogar eine Ausstellung gecancelt. Und dann bist du nach Frankfurt und hast alles beendet. Die Reise wieder abgesagt. Also bei der dritten genau dasselbe gemacht wie bei der zweiten, trotz Entschuldigung für die zweite. BAQIL: Ja. HARK: Warum?

BAQIL: Was, warum? HARK: Ganz einfach: Warum macht man sowas? BAQIL: Von dir hat sie mir auch erzählt, mein Lieber. Dass du geflirtet hast, und mit ihr ins Bett bist und dann doch nicht wolltest oder … EVA: Er hat nur gefragt, warum du das gemacht hast. Er sitzt auch hier. Er weiß, dass er Scheiße gebaut hat. BAQIL: Diese ganze Idee von Beichte und Strafe hier, das ist doch alles ganz genau so bescheuert wie meine Entschuldigung oder Svens Ignoranz. Ich dachte, ich liebe sie, aber ich wollte wohl einfach für mein Ego die Entschädigung, dass die Svenscheiße vorbei ist und ich gewonnen habe, und sie war ja auch fantastisch zu mir in diesen drei Monaten, aber … warum hab‘ ich es gemacht? Selbthass? Rache wegen Sven? Oder, na ja, vielleicht … hatte ich das Gefühl, sie will von mir gerettet werden. Nach der Sache mit Sven. Und das kann ich nicht. Bin kein Retter. Was macht’s für einen Unterschied, warum ich es so gemacht habe? HARK: Im Ablauf hängt die Frage dran, ob Menschen überhaupt … BAQIL: Ablauf! Scheiße! EVA: Baqil, bitte, jetzt reg‘ dich nicht so auf. Was willst du denn? BAQIL: Ich sag dir, was ich will: Ich will das schnelle Gift! Hört das wer? Ich sagte: Ich w… ich … ich wi… (Das schnelle Gift tötet Baqil) EVA: Nein, das … oh bitte, nein, bitte … oh nein … HARK: Fuck. EVA: Baqil … Baqil, bitte, oh Gott … HARK: Jetzt … jetzt haben wir wirklich richtig … Nein, nein, ich will nicht, ich, bitte nicht, bitte nicht, es ist in … es ist … (Flut in Hark) EVA: Was? Was ist los, was haben Sie, was machen … HARK: Die Angst … diese sie … meine … bitte … EVA: Hark! Hark! Hallo? Hallo! Stier, oder … hallo! Das geht nicht, hört auf! Hört auf! (Dunkel. Rufe) 11. BILD: (EXPOSITION) (Licht. Stille) 12. STIER: Du kannst ihm nicht helfen, Eva. EVA: Was ist mit ihm? Er guckt. Er blinzelt. Er schläft nicht, aber er reagiert auch nicht. STIER: Induzierte Angst. Er ist vor Angst gelähmt. EVA: Gehört das zur Prüfung, von der die beiden geredet haben, er und Baqil?


dietmar dath_die nötige folter

/ TdZ  Juni 2019  /

STIER: Du hast eine zu enge Vorstellung davon, was das ist, eine Prüfung. Du denkst dich nur als Geprüfte. Aber wenn irgendwelche Leute, Menschen oder Stiere, glauben, dass sie dich prüfen, kannst du sie zurückprüfen. Jede Prüferin, jeder Prüfer setzt sich durchs Prüfen einer Prüfung aus, weil mit dem Prüfungsakt die Behauptung erhoben wird, diese Prüferin oder dieser Prüfer eigne sich als Prüfungsinstanz. Und das kann man prüfen. Wenn jemand zum Beispiel Anspruch auf deine Liebe erhebt, kannst du sofort prüfen: Hat diese Person überhaupt Liebe zu bieten? Oder wenn du dich wo bewirbst, dann kannst du beim Bewerbungsgespräch checken: Wie läuft das hier, taugt der Laden was? Der Pferdefuß ist, sobald du prüfen kannst, musst du auch prüfen, sonst fällst du selbst durch. EVA: Ich kann das nicht. Ich hab‘ riesige Angst. STIER: Das ist keine künstliche. Nicht wie bei Hark. Du willst nicht raus? EVA: Um Gotteswillen, nein. STIER: Du willst nicht … dich oder Hark befreien? EVA: Nein, wie denn? STIER: Weißt du, was du hättest … anders machen können? EVA: Ich … nein. Wenn ich ehrlich bin: Alles, natürlich, hätte ich es anders machen können. Und wahrscheinlich sollen. Aber es kommt mir nicht so vor, als hätte ich wirklich eine Wahl gehabt. Sven, Doro, Baqil … es war ihr Leben, oder? Wieso soll ich sie vor sich selber retten? STIER: Du redest, als wäre ohne dich alles genauso gekommen. EVA: Das klingt … so fühlt es sich an. STIER: Ich verstehe. Gut. Dann schlaf, Eva. (Sie sinkt zusammen. Widder) STIER: Hilfst du mir? Hier. Die Beine. So. (Arbeit) STIER: Festmachen. Guck nicht immer zu ihm rüber. Wir müssen ihn nachher… ach so, der andere. Ja. Der interessiert dich? Na gut. Er wird gleich … er ist gleich durch, dann müssen wir den Rest entscheiden. Kannst du mir einen Gefallen tun? Hol‘ die Spritzen. Geh‘ in die Beobachtung. Wir sind ja eigentlich keine Beobachter mehr. Es geht los. Der Ablauf verschlingt sich. Bring beide. Schnelles Gift, langsames Gift. (Widder ab) HARK: Mhmmomm… oh … Oh Hölle … STIER: Ja. Angst ohne Zeitgefühl, nicht angenehm. HARK: Aber … gerecht … STIER: Ich weiß. Es wurde ausgelöst in dem Moment, in dem Baqil das schnelle Gift verlangt hat, nicht?

HARK: Ich hatte mir … ich hatte mir geschworen, wenn jemand stirbt hier drin … muss ich bestraft werden, sofort. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert … ich hatte nicht an Baqil gedacht. Ich dachte, Sven würde vielleicht aus Trotz … oder Eva, aus Überforderung … STIER: Ich habe Eva schlafen geschickt. Nach dem Ablauf wacht sie auf. Er müsste demnächst durch sein. HARK: Ich weiß gar nicht mehr, welche … wie ich das Szenario, das spezifische … STIER: Sie waren alle düster. Alle deine Entwürfe für den Ablauf. HARK: Sie waren realistisch. STIER: Ich verstehe es immer noch nicht. Was der Versuchsaufbau soll. Wieso du dich dem Ablauf mit ihnen zusammen ausgeliefert hast. HARK: Ich bin genauso schuldig wie sie. Der Ablauf hätte ein Loch ohne mich. STIER: Ist mir zu abstrakt. Du hast mich als Chirurgen engagiert. Als Klempner. Ich bin dir ­ dankbar, aber so hast du einen Metzger aus mir gemacht, schließlich einen Gefängniswärter, und ich möchte dafür doch konkretere Gründe hören als … HARK: Hörst du das? Hörst du’s? STIER: Was soll ich … da schreit einer. HARK: Und hämmert. STIER: Ja. Ich hör’s. An der Schleuse. Außen, an der Tür. Ist das Sven? HARK: Es klingt gar nicht wie ein Mensch. Es klingt wie ein verletztes und verrücktes Tier. STIER: Dann kann‘s Sven sein. Soll ich nach­ sehen? HARK: Gern. Kannst du mich noch losmachen? STIER: Ach, neue Regeln? HARK: Ich denke, über Regeln sind wir raus. Hier sitzt ein Toter. STIER: Stimmt. Hier. So. Jetzt bist du frei. Ich habe die Spritzen holen lassen. Ich will meinen Ausweg, wie versprochen. Ich habe genug gesehen. HARK: Schau nach für mich, bitte. An der Tür. (Stier ab) (Widder) HARK: Oh. Du bist … schon da. Nein, warte. Bleib hier. Nicht erschrecken. Ich bin … frei. Leg sie aufs Laufband. Die Giftröhrchen. Er hat drum gebeten. Der Stier. Mehr konnte ich ihm nicht zeigen. Ich nehme an, du denkst immer noch, ich will Leute quälen. Und dich am meisten, weil du nichts dazu sagen konntest, weil alle anderen sich wenigstens beschweren oder schreien konnten. Es wäre aber nicht gegangen ohne den Bann. So war der Ablauf. Die Neurochemie aus dem Depot ist an die Rechner … gekettet, und die Rechner haben die Instruk-

HENRIKE IGLESIAS OH MY

NELE STUHLER KEINE AHNUNG

PERFORMANCE MAI 29 30 19.30 UHR

PERFORMANCE JUNI 05 06 08 09 20 UHR

PERFORMING ARTS FESTIVAL

Mainzer Str. 5 · 80804 München Tel. +49 (0)89 36101947 info@theaterstueckverlag.de www.theaterstueckverlag.de

frei zur DSE

Yannis Tsiros

WILDKRAUT (1 D, 2 H)

Krimi, Sozialstudie, moderne Tragödie – und nicht zuletzt Spiegel für das vorurteilsbelastete deutsch-griechische Verhältnis

tion: solange sein Herz noch schlägt und meins, ist der Ablauf nicht vorbei. So lange sollst du nicht sprechen. Ich weiß, dass du es am Anfang versucht hast. Deine Körperhaltung hat mir verraten, dass du damit gekämpft hast, mit der Blockade im Kopf, der Unterbrechung im Sprachzentrum. Es muss schlimm gewesen sein: Zuhören und nicht sprechen. Ich habe jetzt gezeigt und herausgekriegt, was zu zeigen und herauszukriegen war. Jetzt kannst du auch die Maske einfach … (Sven, dann Stier) SVEN: Keine mehr! Nicht noch, weil nein von den mehr aber Menschen. Nur alle aber, alle aus den Grenzen Wänden Gründen falsch und rein in noch von den mehr. Wir haben jetzt nur noch langsame nur immer mehr ganz langsame Leute! Ich hab alles gesehen! Du! Ich habe dich überall gesehen, und drin! Und innen! HARK: Bleib da! Sven, bleib … komm nicht näher! STIER: Sven! Lass ihn! Hör auf mit … SVEN: Was denn du? Ihr habt doch nicht schon draußen, wart ich noch nicht draußen, schon dauernd nicht! Ich, na, ich? Du bist aber die, die alle nur du, ach was heißt hier Hark? Es gibt nur noch solche, du bist aber die! Ich habe alle und alles, alles gesehen und mich hat alles gesehn! Ich zeig’s dir, ich zeig dir noch das! Du Dreckschwein! Ich bin du Schuld! Ich! Warte nur! Alles … weil … weil nichts mehr Zeit hat … es gibt … es ist draußen, es ist … drinnen ist es … nur … ich schäme dich, du Pferd, jetzt flieg mit allen Beinen! So! HARK: Was? STIER: Jetzt. Halt ihn fest. Jetzt! (Widder greift Sven) HARK: Lass ihn nicht los. Er ist schwach. Er kann dir nichts tun.

TICKETS SOPHIENSAELE.COM FON 030 283 52 66 SOPHIENSTR.18 10178 BERLIN

/ 61 /


stück

Ein Laptop — und die Bühne gehorcht! Games, Programmieren und Elektronik für die Theaterarbeit Workshop mit Philip Steimel 22. bis 24.09.2019

/ TdZ Juni 2019  /

www.bundesakademie.de

/ 62 /

SVEN: Es gibt aber gibt keine! Ich habe sogar Kinder gesehen, und die sind jetzt immer tot! Eine Straße rauf geht ihr, vor mir her, es ist bloß nichts! Die Leute sterben alle, genau wie weil wie wenn aber wo es regnet! Als ob das gar nichts wäre, so ist das immer! Ihr seid gelogen! STIER: Hark! Wir müssen ihn ruhigstellen! Gibt’s was im Ablauf? Gibt es einen Befehl, irgendwas? Für die Rechner, die Depots? HARK: Nimm die Spritze. Nimm das schnelle Gift. STIER: Nein. Was? Nein! Ich brauche das selber! SVEN: Ach was! Arschlöcher! Ihr Idioten, was habt ihr denn gemacht, es gibt kein schnell und kein langsam mehr da jetzt! Da draußen nicht gibt es da nur keine, es gibt keine mehr! HARK: Was, keine mehr? SVEN: Keine Sachen. Von den von allen Leuten. Es gibt … es gibt keine … HARK: Nimm das. Nimm die Spritze. Er ist nicht zu retten. STIER: Was, und dann muss ich das langsame Gift nachher nehmen? Nein, Danke! HARK: Das langsame hat er schon abgekriegt, indem er draußen war. Das bringt es nicht mehr. Bei ihm nicht, vielleicht bei niemandem. Du hörst doch, was er sagt. Die Erlebnisrate … STIER: Scheiß auf Erlebnisrate! Das sind nur deine Theorien. Wavelet, Framelet, Omelett! HARK: Die offenbar stimmen. Gib ihm die Spritze jetzt, Mensch! Siehst du nicht, sie wird ihn gleich loslassen! Dann können wir ihn nur noch tot­ schlagen. STIER: Du hast mich angelogen. Wenn ich das mache, ihm die Spritze setze, gibt es keinen Ausweg mehr für mich. HARK: Es gab nie einen. (Stier verabreicht Sven die Spritze) SVEN: Ihr wollt mir … wir sind … gar nicht … möglich … (Sven stirbt) HARK: Ich nehm’, warte, ich helf’ dir, ich nehm’ ihn. STIER: Er ist … Es ist aus. Er ist tot. HARK: Auf den Stuhl. Auf den Stuhl, auf den freien … wo er … ja … STIER: Was für eine Sauerei. Was für ein … HARK: Wir verdienen es nicht besser. STIER: Aber sie. Doro verdient es besser. WIDDER: Du … nicht … Ich kann. Es geht. Ich kann wieder sprechen. HARK: Du brauchst die Maske nicht mehr, Doro. WIDDER/BILD/DORO: Ich weiß. (Blitze. Fehler. Hall)

STIER: Du hast uns reingelegt, Hark. Mich, sie. Wir hätten deinen Drohungen nicht nachgegeben, wenn wir gewusst hätten, dass uns das in eine Lage ohne Ausweg bringt. HARK: Du musst nicht für sie sprechen. Sie kann das jetzt. DORO: Er hat aber recht. Du hast mir die Sprache weggenommen, und du hast gesagt, wenn ich nicht mitmache bei deinem sogenannten … Ablauf … HARK: Ich habe dir das alles erklärt. Euch beiden. Als du rausgefunden hattest, dass die Erlebnisratenstörung das Mittel ist, die gesamte Gesellschaft anzugreifen, hattest du diesen … Machtrausch. Du hast es in Köln ausprobiert, mit dem Ausstellungspublikum. Dann wolltest du alle bezahlen lassen, für deine Probleme. Stimmt schon, die Pfeifen sind schuld. Aber du hast es ihnen leicht gemacht, oder? Hast du Eva je gesagt, wenn sie ihren Shit nicht zusammenkriegt, wechselst du die Galerie? Hast du Sven je gesagt, wenn er dir nichts gibt, kriegt er nix mehr? Hast du Baqil je gesagt, wenn er nicht den Mut zu dir hat, bist du weg? Du hast uns was vorgefoltert, an dir selbst. Ich habe dich gezwungen, dich zu entscheiden: Entweder man benutzt auch wirklich alle Waffen, die man hat, in diesem Krieg, oder nicht. DORO: Darauf bist du stolz, ja? HARK: Nein. Ich bin, was ich immer war: Neugierig, was man alles machen kann. STIER: Kürzer gesagt, er ist der Teufel. DORO: Nein. Der Teufel ist mächtiger als die Menschen. Hark nicht. HARK: Ich weiß, du bist wütend. Aber wir sind die letzten drei auf der Welt, die noch klar sind. DORO: Du bist nicht klar. Und ich weiß nicht, ob ich klar bin. STIER: Wenn’s schon keinen Ausweg mehr gibt, aber dass wir jetzt mit diesem … diesem Kerl hier auf derselben Erlebnisrate festsitzen, das ist unerträglich. HARK: Du hattest die Vision, Doro, und du, mein Freund, hattest die technischen … DORO: Vision, Quatsch. Halt ihn fest. STIER: Sehr gern. HARK: Das ist nicht dein Ernst. Was? Nein, bleib mir vom … STIER: Er klingt wie Sven jetzt. Lustig. DORO: Angst macht alle gleich jämmerlich, egal, in welcher Rate sie was mitkriegen. Immerhin, ein Ergebnis. So. HARK: Das machst du nicht! DORO: Den Arm. Drück den gerade. Ich seh sie. Ich seh die Vene. So. STIER: Halt still. Es hat überhaupt keinen Sinn, sich zu wehren. HARK: Keinen … Es hat … was soll denn … Aufhören, Auf! Aufhören. DORO: Zappel nicht so. HARK: Du bist verrückt geworden! STIER: Ich dachte, du bist neugierig? Wir sind auch neugierig. Wir wollen wissen, was man mit dir machen kann. (Hark bekommt die Spritze) DORO: Du kannst ihn loslassen. HARK: Ihr seid … völlig … das war einfach nur … destruktive … ihr … diese Idiotie … STIER: Wo willst du denn hin? Hallo? HARK: Ich … ich muss hier … mir ist übel, ich … ich muss hier raus … raus … STIER: Wo willst du hin?

HARK: Egal … nur … egal … (Hark ab) DORO: Er hat seinen Nachruf gefunden. Ein einziges Wort: Egal. STIER: Weißt du was? Ich glaube, ich geh‘ ihm nach. Das langsame Gift macht bei ihm chemisch, was ihr mit visuellen und anderen Signalen gemacht habt, nicht? Fragmentierung. Die Frames werden entkoppelt, entflochten. Auflösung. Und Hark, der ist der ideale Entdecker für das da draußen. Wenn ich ihm nachgehe, lerne ich was, vielleicht. Bisschen lernen, dann sterben. Das muss genügen. DORO: Ich erinnere mich an dich. Das wollte ich dir die ganze Zeit sagen. Du warst zu Besuch bei ihm. Bei Hark. Ihr habt Versuche gemacht, nicht? Mit Tieren. STIER: Mit Affen, ja. Ist mir jetzt peinlich. Die Begründung war, wir machen es mit Affen, damit wir es nicht mit Menschen machen. DORO: Klingt nach Ausrede. STIER: Allerdings. (Umarmung) DORO: Viel Glück. STIER: Danke. Dir auch. (Stier ab) DORO: So. Ein Dreieck. Stier, ihr, ich. Was sagst du, Baqil? Nichts. Leider. Dass du tot bist, heißt, ich kann dich nicht um Entschuldigung bitten. Bleibt nur Eva. Hallo? Eva? Ich hätte einen fragen sollen, wie man dich weckt. Hark oder den Stier. Alleine krieg‘ ich nicht mal den Toten zum Kühlfach. Zu schwer. Ich geh‘ nochmal in die Beobachtung, was meinst du? Vielleicht finde ich raus, wie ich dir helfen kann. (fast ab, dann:) Das ist es nämlich, weißt du: Wenn man nicht mehr helfen kann, dann war’s das. Warte mal eben.

© Dietmar Dath 2019


/ TdZ  Juni 2019  /

Buchverlag Neuerscheinungen

Vielfalt ist das Motto und zugleich die größte Herausforderung unserer Gegenwart: Die Gesellschaft wird bunt, die Lebensentwürfe ebenso. In diesen Zeiten von Auf- und Umbrüchen spielt Theater eine entschei­dende Rolle. Es vermag, Diversität auf ganz verschiedene Weise zu verhandeln. In seiner Habilitationsschrift betrachtet Julius Heinicke Festivals und Inszenierungen in Deutschland und dem südlichen Afrika und entwickelt eine Vorstellung von Ästhetik, die sich um das Offene sorgt, indem durch ihr Wirken Gleichheit im Verschiedensein erfahrbar wird.

„Theaterrecht“ von Christoph Nix ist ein praxisorientierter Ratgeber, der über die Rechtsgrundlagen von Bühnenkünstlern an staatlichen Theatern, als freie Künstler oder als Gruppe informiert. Aktuell und verständlich werden u. a. das Bühnenarbeitsrecht, das Vereins- und Gesellschaftsrecht, das Urheberrecht oder Fragen der Mitbestimmung erläutert. Darüber hinaus enthält der Band eine ausgewählte Textsamm­ lung der wichtigsten bühnenrechtlichen Gesetzestexte, den NV Bühne sowie Musterverträge.

RECHERCHEN 148 Julius Heinicke Sorge um das Offene Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater

Christoph Nix Theaterrecht. Handbuch für Theatermacher

Paperback mit 252 Seiten ISBN 978-3-95749-158-9 EUR 20,00 (print) / 16,99 (digital)

Paperback mit 260 Seiten ISBN 978-3-95749-196-1 EUR 20,00 (print) / 16,99 (digital)

Recherchen 144

Quo vadis Europa? Wohin die freie Szene? Welche Tragkraft haben in einem von Euroskepsis geprägten Klima die unabhängigen darstellenden Künste, deren Arbeitsbegriff sich auf Werte wie Toleranz und Offenheit stützt? Sind diese Werte konstituierend für Europa, wie können sie gestärkt werden? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Treffens des International Network for Contemporary Performing Arts (IETM) in München, das in diesem Buch mit Beiträgen von u. a. Ulrike Guérot, Robert Menasse und Kathrin Röggla dokumentiert wird.

Gold / L'Or Ein Theaterprojekt in Burkina Faso / Un projet de théâtre au Burkina Faso Herausgegeben von Irma Dohn, Claudia Grönemeyer und Frank Heuel

Recherchen 147 Res publica Europa. Networking the performing arts in a future Europe Herausgegeben von Christopher Balme und Axel Tangerding

Paperback mit 152 Seiten Zweisprachig deutsch / französisch ISBN 978-3-95749-202-9 EUR 16,00 (print) / 12,99 (digital)

Broschur mit 160 Seiten Zweisprachig deutsch / englisch ISBN 978-3-95749-201-2 EUR 16,00 (print) / 12,99 (digital)

Burkina Faso, eines der ärmsten Länder der Welt, ist heute der Hotspot der afrikanischen Goldproduktion. Was bedeutet der „Goldrausch“ für die Gesellschaft, Politik und Ökologie des Landes? Und zu welchen sozialen Verwerfungen und Konflikten führt er? Dieses Buch dokumen­ tiert den interkulturellen Arbeitsprozess der freien Theatergruppe fringe ensemble in Burkina Faso.

Erhältlich in der Theaterbuchhandlung Einar & Bert oder portofrei unter www.theaterderzeit.de


/ 64 /

Magazin Der Repression trotzen Türkische Theatermacher überzeugen beim Heidelberger Stückemarkt mit politischen Stoffen – die neue Dramatik spiegelt die Brüchigkeit der Demokratie  Theater mit Aussicht Das LOFFT bezieht neue Räume in der Leipziger Baumwollspinnerei – und feiert den langersehnten Umzug mit einem großen Eröffnungsfestival

Geschichten vom Herrn H. Eine Bühne für Volksfeinde  Widerständiges aus

Niederbayern Juden, Muslime, Frauen: Die 2. Landshuter Sperr-Tage denken das Thema Ausgrenzung komplex weiter  Wie jetzt, neu? Schreiben für eine offene Gesellschaft – Die Reihe „Gäste, Gäste – Neue deutsche Dramatik“ am Teatr Współczesny in Szczecin  Die Seele im Wald Der Hörspielpreis der Kriegsblinden geht an Susann Maria Hempel  Netzwerker des Welttheaters Zum Tod des Leipziger Theaterwissenschaftlers Rolf Rohmer  Bücher edition schlingensief, Norbert Kentrup, Günther Weisenborn


magazin

/ TdZ  Juni 2019  /

Der Repression trotzen Türkische Theatermacher überzeugen beim Heidelberger Stückemarkt mit politischen Stoffen – die neue Dramatik spiegelt die Brüchigkeit der Demokratie Eine Gratwanderung wagten die Organisatoren

Brennspiegel lässt Regisseur Emrah Eren die

gehend von Kelsens Schicksal, zeichnet das

des Heidelberger Stückemarkts dieses Jahr

politische Wirklichkeit in dem Spiel um die

Team den Weg von der brüchigen Demokratie

mit dem Gastland Türkei. Schon 2011 hatte

geistige Freiheit der Redakteure aufflammen.

in den Nationalsozialismus nach.

es diesen Schwerpunkt gegeben, diesmal fan-

Seine Inszenierung punktet mit starkem

Wie wichtig der Stückemarkt mit sei-

den die Gastspiele jedoch unter deutlich

Schauspielertheater. Bezüge zu den verfolg-

nen Preisgeldern für die Förderung neuer

­verschärften Vorzeichen statt. Gegen etliche

ten und inhaftierten Journalisten in heutiger

deutscher und europäischer Dramatik ist,

Theatermacher laufen in der Türkei Ermitt­

Zeit legt sein Erzähltheater nahe, ohne diese

zeigten die Wettbewerbe. Den Auftakt des

lungsverfahren, andere sitzen im Gefängnis.

offen zur Sprache zu bringen.

Festivals bildete Ulrike Syhas „Drift“, das

„Ein differenziertes Bild“ wollte Kuratorin

Von der „spannendsten Auflage“ des

Preisträgerstück des vergangenen Jahres.

Gülhan Kadim von dem Land zeichnen, des-

von ihm verantworteten Stückemarkts spricht

­Regisseur Gustav Rueb kostet das komische

sen Szene lebendiger sei denn je. Auch beob-

Holger Schultze, der Intendant des Theaters

Potenzial des Dramas aus, in dem die Bewoh-

achtet die Theaterleiterin aus Istanbul eine

und Orchesters Heidelberg. Das bedeutende

ner eines verschlafenen Dorfs an der Nordsee

verstärkte Vielfalt der Formen. „Zensur hat es

Festival neuer Dramatik fand zum 36. Mal

den Boden unter den Füßen verlieren. Klug

bei uns immer gegeben“, sagt sie. Damit

statt. Mit einer Platzausnutzung von 98 Pro-

höhlt Syha in den Dialogen die Gewissheiten

wüssten die Künstlerinnen und Künstler um-

zent bei den Gastspielen und Lesungen

aus, auf denen die Menschen ihre Lebenslü-

zugehen. Die Vielfältigkeit der Stimmen zei-

kommt der zehntägige Theatermarathon beim

gen bauen. In der Küstenidylle zeichnet sie

gen die fünf Gastensembles und die Autorin-

Publikum der Universitätsstadt gut an. Ein

das Bild einer Gesellschaft, die von Unsicher-

nen und Autoren des Wettbewerbs. Heftig

Bindeglied der formal wie auch inhaltlich ex-

heit zerfressen wird. Sonnenverbrannt sind

wehrt sich Kadim gegen Vor­urteile und Fra-

trem unterschiedlichen Produktionen wie

die Gesichter der Akteure, die da im Ausflugs-

gen mancher deutscher Kollegen: „Was dürft

auch der Autorenwettbewerbe ist der politi-

lokal ihr kaputtes Leben reflektieren. Existen-

ihr überhaupt noch spielen?“ Das gehe an der

sche Anspruch. Viele der Uraufführungen

zielle Fragen verhandelt Syha so spannend

Realität vorbei. Viele Künstler und Intellektu-

haben laut Schultze gezeigt, „dass unsere ­

wie in einem Krimi. Mit angstbewohnter Spra-

elle trotzen den Repressionen. „Inzwischen

Demokratien brüchiger sind, als wir glau-

che hält sie der zerfallenden Gesellschaft

sind es allerdings mehr Themen geworden,

ben“. Das manifestiert sich für ihn am Bei-

­einen Spiegel vor.

über die nicht gesprochen werden darf.“ Wie

spiel der Türkei. 49 Prozent der Menschen

Die Furcht vor dem Fremden unter-

intensiv die politische Wirklichkeit die Stücke

dort hätten gegen Erdoğans islamisch-konser-

sucht der türkische Autor Ömer Kaçar in „Der

und die Projekte durchdringt, ­skizziert Alican

vative Politik gestimmt. Und doch werden die

Gast“. Lustvoll spielt der virtuose Erzähler in

Yücesoy, der Direktor des städtischen Thea-

Errungenschaften der Demokratie unter sei-

dem Drama mit Stilmitteln des Absurden.

ters BBT in Istanbul. Gezeigt wurde „I love

nem Regime in der Türkei Schritt für Schritt

Hinter der humorvollen Fassade verbergen

you Turkey“ der Autorin Ceren Ercan.

beerdigt.

sich Fremdenhass und nationalistische Macht-

In der Performance treffen sich unter-

In Sicherheit wiegen dürfen sich auch

gier. Das stilistisch starke Drama siegte nicht

schiedliche Menschen in einem Waschsalon.

die Menschen in den westlichen Demokratien

nur beim Internationalen Autorenpreis, son-

Schmerzlich spüren sie, was es bedeutet,

keineswegs. Wie aus dem Traum von einer

dern gewann auch den Publikumspreis. Der

trotz der Widrigkeiten in der Türkei zu bleiben.

freien Gesellschaft eine Diktatur wird, zeigen

Nachspielpreis ging an „Diese Mauer fasst

Ein historisches Stück ist „Meçhul Paşa – Die

Regisseurin Christine Eder und Eva Jant-

sich selbst zusammen …“ von Miroslava Svo-

Geschichte einer verbotenen Zeitung“. Autor

schitsch mit ihrer Politshow „Verteidigung

likova in der Regie von Eva Lange. Und den

Ahmet Sami Özbudak hat die Historie einer

der Demokratie“. Das Gastspiel des Volks­

Jugendstückepreis bekam Kristo Šagor für

Satirezeitung recherchiert, die in den vier­

theaters Wien nimmt den jüdischen Juristen

„Iason“. Den Autorenpreis hat die Öster­

ziger und fünfziger Jahren mehrfach verboten

Hans Kelsen in den Blick, der vor einhundert

reicherin Teresa Dopler erhalten. In klirrend

wurde. Für den harten Stoff hat er die leichte

Jahren an der österreichischen Verfassung

kalten und doch schönen Bildern zeichnet

Form des Boulevardstücks gewählt. Wie im

mitgewirkt hat. Klug zeigt Eder in der dyna-

„Das weiße Dorf“ die Einsamkeit zweier Men-

mischen Show den Zerfall der Werte wie auch

schen nach, die sich im Kampf um die Karriere

der Wirtschaft. Jantschitschs elektronische

verloren haben. Ausgehend vom Privaten,

Musik und ihre mitreißende Stimme, die we-

lenkt die Autorin den Blick auf die Verletz-

gen Krankheit vom Band kam, unterfüttern

lichkeit der Menschen, die an ökonomischen

das dokumentarische Material mit einer äs-

Zwängen zerbrechen. //

Politshow über den Zerfall der Werte – Christine Eders Inszenierung „Verteidigung der Demokratie“ vom Volkstheater Wien. Foto Lupi Spuma

thetisch bemerkenswerten Performance. Aus-

Elisabeth Maier

/ 65 /


/ 66 /

magazin

/ TdZ Juni 2019  /

Theater mit Aussicht Das LOFFT bezieht neue Räume in der Leipziger Baumwollspinnerei – und feiert den langersehnten Umzug mit einem großen Eröffnungsfestival Was ist der Erhalt eines Theaters gegen den

mit nur einem einzigen Zugang für Darsteller

Jungen Welt den Auszug gefordert, um mit der

Bau eines neuen? Nach dem Auszug aus dem

wie Publikum, der es notwendig machte, über

Nutzung des gesamten Hauses dem eigenen

Theaterhaus im August 2018 und einem acht-

die Bühne zu laufen, um zu seinem Platz zu

Wachstum entsprechen zu können.

monatigen Interim, in dem es unterschiedliche

gelangen, konnte die Bühne den auch zuneh-

Dass das LOFFT bei Planung und Bau

Orte bespielte, eröffnete das Leipziger Off-

mend internationalen Gästen nicht gerecht

einbezogen wurde, machte es nun nicht nur

Theater (LOFFT) Ende März ­seine neuen Räu-

werden. Der Abschied von dem Haus am Lin-

endlich zum Herrn, sondern zuvor auch

me auf dem Gelände der ehemaligen Baum-

denauer Markt und dem Theater der Jungen

gleichsam zum Bauherrn des eigenen Hau-

wollspinnerei mit dem 22-­tägigen Tanz Theater

Welt, mit dem es sich die Räumlichkeiten seit

ses. Es ist deutlich, dass im Dachgeschoss

Festival OPEN! NOW!.

1999 teilte, hatte sich immer wieder heraus-

der Halle 7 auf die Bedürfnisse eines moder-

Ursprünglich nicht auf Dauer gedacht,

gezögert. Zwar gab es bereits 2003 erste Ideen

nen Theaters eingegangen worden ist: Nicht

war das Theaterhaus Leipzig, das ehemalige

für neue Räumlichkeiten, die ließen sich aber

nur ist das wegen einer langen Dachfenster-

Haus der Volkskunst, für beinahe zwanzig Jah-

wiederholt nicht realisieren. Auch nach dem

re zur Heimat des LOFFT geworden. Der kleine

Beschluss des Stadtrates im Jahre 2016, die

Saal des Hauses, den es nutzte, bot keines-

Halle 7 der Spinnerei auszubauen, wurde der

wegs gute Bedingungen für das sich zu­

Umzug immer wieder verschoben, weil der

sehends auf Performance und Tanztheater

Umbau nicht wie geplant abgeschlossen

spezialisierende LOFFT: Äußerst klein und

­werden konnte. Zuletzt hatte das Theater der

OPEN! NOW! – Das Leipziger Off-Theater LOFFT ist in seine neue Spielstätte auf dem Gelände der Baumwollspinnerei gezogen. Foto Tom Dachs


magazin

/ TdZ  Juni 2019  /

front lichtdurchflutete Foyer samt Bar ein angenehmer Ort, der „das Publikum zum Verweilen, Denken und Träumen einlädt“, wie Geschäftsführer Dirk Förster feststellt. Hinzu kommt ein „großer Theatersaal, der den An-

GESCHICHTEN VOM HERRN H. Eine Bühne für Volksfeinde

forderungen der Kunst, die wir hier am LOFFT machen und zeigen, gerecht wird“. Der also

Ein Jahr ist es her, dass die Akademie der

einer großen Idee. Oder wenn sie eine ha-

nicht nur mehrere Zugänge, sondern auch

Künste zu dem Kongress „Vorsicht Volks-

ben, haben sie keine Räumlichkeiten. Bei-

eine technisch angemessene Ausstattung und

bühne! Das Theater. Die Stadt. Das Publi-

spielsweise hatte sich der politisch und

eine Größe besitzt, die es erlaubt, „auch mal

kum“ geladen hatte. Kurz zuvor hatte der

künstlerisch ambitionierte Flügel der Volks-

Stücke mit mehr als zehn Tänzern auf der

linke Kultursenator Klaus Lederer die Zusam-

bühnenbesetzer vom September 2017 zwi-

Bühne einzuladen“, so Förster.

menarbeit mit dem Kurzzeitintendanten

schenzeitlich in einem Keller in Neukölln

Chris Dercon beendet. Der war schlicht am

verkrochen und Nie-Kollektiv genannt. Mit

Was das bedeutet, führt „Solidaritot“, eine Kooperation der Gruppe bodytalk und

falschen Platz gewesen. Das war

dem „Aufstand der Huren“ ka-

des Polski Teatr Tańca, eindrucksvoll vor

das Resultat einer mutwillig zer-

men sie im März dieses Jahres

­Augen. Farbe, Salat, Bierkästen, drückende

störerischen Kulturpolitik der

aus diesem wieder heraus und

Musik und 13 Tänzer: Mehr braucht es hier

Berliner Sozialdemokratie. Aber

versuchten, das ehemalige Ge-

nicht, um die Entwicklung Polens der vergan-

was ist die Volksbühne? Und

bäude

genen vierzig Jahre vor Augen zu führen –

wer könnte dort am richtigen

Schauspielkunst „Ernst Busch“

prismatisch ist die Gewerkschaftsbewegung

Platz sein? Diese Fragen be-

in Oberschöneweide in Be-

im ästhetischen Zentrum. Homophobie, Natio­

schäftigten alle, die sich im ver-

schlag zu nehmen. Als das von

nalismus, Xenophobie, Aktivismus – alles an-

gangenen Juni am Pariser Platz

der Polizei verhindert wurde,

gerissen, aber überzeugend dargestellt, weil

eingefunden hatten. Deutlich

wichen sie kurzfristig in das

es aus Erfahrungen der polnischen Akteure

wurde, dass das Haus am Rosa-

ehemalige „Haus der Offiziere“

entwickelt wurde. Häufig wird offen provo-

Luxemburg-Platz gegenüber dem Karl-Lieb-

in Karlshorst aus. Hier lebt der Geist der

ziert, wie bei der Aufforderung jener, die

knecht-Haus kein Theater wie jedes andere

Volksbühne als Bewegung von unten weiter.

überzeugt seien, das eigene Kind noch zu lie-

ist. Es existierte in enger Bindung an die

Und was geschieht mit der Volksbühne?

ben, wenn es homosexuell wäre, auf die Büh-

revolutionäre Arbeiterbewegung, wurde in

Lederer, der das Publikum schon auf dem

ne zu kommen, um dann dem verblei­ben­den

den zwanziger Jahren mit Erwin Piscators

Akademie-Kongress darauf eingeschworen

Rest eine reichlich typisierte Lektion über Ho-

politischem Theaterverständnis zur ästheti-

hatte, dass die Entscheidung lange brau-

moerotik zu erteilen. Könnte der ästhe­tische

schen Avantgarde, hier liefen Tollers „Mas-

chen könnte und alle Erwartungen enttäu-

Anspruch im schmerzenden Klischee verloren

se Mensch“ und Brechts „Mann ist Mann“.

schen würde, scheint zu zögern. Klaus Dörrs

gehen, wird die intendiert harsche Provokati-

Als Ostberlin die Hauptstadt eines

Vertrag wurde verlängert. Ein Schauspiel­

on hier künstlerisches Mittel, indem der Akti-

Arbeiter-und-Bauernstaates von Stalins Gna-

direktor installiert. Dramaturgen eingestellt.

onismus zum Gehalt der Kunst ver­ arbeitet

den war, wirkten an der Volksbühne Benno

Ein Schauspielensemble verpflichtet. Regis-

wird: direkte Ansprache als ästhetischer Kern

Besson und Heiner Müller, beides auf ihre

seure vorgestellt. Ein Spielzeitmotto ausge-

zur Belebung einer gesellschaftlich bedroh-

Weise linientreue Dissidenten des Sozialis-

rufen. Das ist für sich genommen alles wun-

ten Idee der Humanität.

mus. Als der sich abschaffte, kam Frank

derbar, wenn man nur wüsste, ob das die

Mit der Baumwollspinnerei ist das

Castorf. Der brachte noch mehr subkulturel-

Fundamente der neuen Volksbühne sein sol-

LOFFT nun in einer einzigartigen Umgebung,

len Charme in das Haus. Er folgte der Ein-

len oder nur ein interimistisches Provisori-

die mit einer Vielzahl an Ateliers wie Galerien

sicht von Ibsens „Volksfeind“: In Zeiten der

um. Wird die Entscheidung so lange aufge-

ein Zentrum der bildenden Kunst in Leipzig

Lüge wird die Treue zur Wahrheit asozial.

schoben, bis sich der jetzige Zustand einfach

ist. Das LOFFT werde „ab jetzt auch immer

Sie muss einen Affront gegen die Gesellschaft

verstetigt? Sollte das der Fall sein, stellt sich

ein wenig den Geist dieses Umfelds atmen“,

darstellen. Diese Asozialität auf höchstem

dann nicht mehr die Frage, warum Lederer

meint Anne-Cathrin Lessel, derzeitige Produk-

Niveau wurde kultiviert, bis Castorf sie

auf einen transparenten Berufungsprozess

tionsleiterin und zukünftig Geschäftsführerin.

schlussendlich auf dem Abschlussfest noch

mit einer Jury verzichtet hat? Oder auf ein

So wird ab dem 13. Juni eine Performance­

einmal in den Juliregen herausschrie. Die

öffentliches Beratungsgremium? Das waren

installation der Künstlerin Louise Walleneit

Volksbühne war zur Volksfeindbühne gewor-

alles Vorschläge, die vor einem Jahr in der

gezeigt, die in ihrem Projekt „Cloudmeeting“

den, daraus zog sie ihre Kraft.

AdK auf Interesse wie Zustimmung stießen.

der

Hochschule

für

Technologie, Textilkunst und Tanz verbinden

Und nun? Castorf inszeniert bekannt-

Weil es viele Menschen gibt, denen sehr da-

werde. Auch wenn es nach Lessel keinen

lich am Berliner Ensemble, wo er Jürgen

ran gelegen ist, dass die Volksbühne nicht

„Fünfjahresplan“ gebe, kann man also hoffen,

Holtz in Brechts „Galileo Galilei“ sagen lässt,

der nächste Berliner Theatergemischtwaren-

dass die Zukunft des LOFFT so aussichtsreich

was jetzt zu kommen droht: „ein Geschlecht

laden wird, wo die „kompakte Majorität“, wie

ist wie der Blick aus den Fenstern des neuen

erfinderischer Zwerge, die für alles gemie-

es bei Ibsen heißt, sich in ihrer Selbstzufrie-

Foyers über den Leipziger Westen. //

tet werden können“. Es fehlen Künstler mit

denheit selbst bespaßt. //

Maximilian Huschke

Jakob Hayner

/ 67 /


/ 68 /

Widerständiges aus Niederbayern Juden, Muslime, Frauen: Die 2. Landshuter Sperr-Tage denken das Thema Ausgrenzung komplex weiter Grantiges Werk bei den sperrigen SperrTagen in Landshut – Werner Waas in „Arkadia“ von Herbert Achternbusch. Foto Paolo Costantini

Sperrig, ausgesperrt, Martin Sperr: Die nach

filmischen und Bühnen-Dramen, Lesungen

Letzterem benannten Landshuter Sperr-Tage

und Diskussionen vielfach nur Spalier. Sperr-

lassen bewusst viele Assoziationen zu. Und es

Texte, die bis auf die „Jagdszenen in Nieder-

war nicht umsonst der selbst nicht unsperrige

bayern“ ohnehin kaum je auf einen Spielplan

Sepp Bierbichler, der zur Eröffnung der zwei-

finden, kamen gar nicht, Theater im engeren

dem 1972 bei einem Reifenwechsel zwei Adern

ten Ausgabe darauf hinwies, dass Martin

Sinne kam wenig vor. Das jüdisch-arabische

im Kopf geplatzt sind. Woraufhin Achternbusch

Sperr, bevor er am 6. April 2002 nur 57-jährig

Puppen-Musical „Isaak und der Elefant Abul-

mit bösem Blick und ohne ein Wort seine Arbeit

in Landshut starb, „schon lange innerlich ge-

Abbas“ eröffnete einen ganzen Tag zum Thema

hinschmeißt. Eine vergleichende Lesung aus

storben war“. Es ärgerte Bierbichler, dass kein

islamisch-jüdische Verständigung und Feind-

Bierbichlers Roman „Mittelreich“ und dessen

Eröffnungsredner erwähnte, wie dieselbe Stadt,

bilder. Und zum Abschluss gab es Herbert

Drehbuch-Adaption für den hier ebenfalls ge-

die Sperr jetzt, nachdem ihn die Zeit „ent-

Achternbuschs Spätwerk „Arkadia“: ein selbst

zeigten Film „Zwei Männer im Anzug“ eröffnete

schärfte“, feiere, ihn als „Widerling“ und

für Achternbusch-Verhältnisse grantiges Stück,

die Sperr-Tage – beides im Übrigen Paradebei-

„schwule Sau“ beschimpft, „hinausgetreten“

in dem es überall nach Tod riecht. Schwer sind

spiele für bodenständig saftige und doch ver-

und vernichtet habe. Dieser Ärger trifft in Sven

den Philosophen und passionierten Liebenden

dichtete Kunstsprache.

Grunert natürlich den Falschen. Der Intendant

Sokrates und Alkibiades ihre „Fleischmäntel“

Satte Sprach- und Reflexionskunst,

des Kleinen Theaters Landshut hat die Sperr-

geworden, das Scheißen zu einem so wich­

wenn auch weniger mundartlich gefärbt, gab

Tage 2016 auch deshalb ins Leben gerufen,

tigen Thema wie die sich verflüchtigenden

es auch von der jungen Autorin Enis Maci, die

um Zeichen zu setzen: für Vielfalt, Toleranz

Gedanken-„Dünste“ oder „Ziegenarschlöcher“

aus ihrem Essayband „Eiscafé Europa“ las und

und Reflexion, in einer Zeit, in der der wieder-

liebende Götter. Dieses halb bittere, halb kind-

mit Sperr immerhin gemein hat, dass ihr Stück

aufkeimende Hass auf vermeintlich Andere

lich-verspielte Alterswerk ist weniger denn je

„Mitwisser“ zu den diesjährigen Mülheimer

Sperrs Stücke über Schwulenhatz und hinter-

auf Verständlichkeit aus. Doch H ­ arald Wissler

Theatertagen geladen ist, die Sperr 1978 ge-

wäldlerische Mitläufer wieder grausig aktuell

­(Sokrates) und Werner Waas (Alkibiades) unter-

wann. Regie-Legende Alfred Kirchner brachte

wirken lässt.

spielen alles Drängende und Pathetische

ein Stück 68er-Rebellentum an die Isar, mit

Für Grunert ist Theater „eine Haltung“.

­darin. Teils mit Masken und in Bademänteln

seiner ganz eigenen divenhaften Sperrigkeit

Und das kleine Festival ist künftig ein fester

mit Gipsspuren, so als hätte man ihre Körper

und Episoden aus Gerlind Reinshagens Roman

Teil davon. Mit Unterstützung des Bayerischen

aus antiken Statuen herausgekratzt, kochen sie

„Die Frau und die Stadt“ über die jüdische

Kultusministeriums und der Gemeinde findet

Tee und lassen die ungeheuerlichsten Nonsens-

Dichterin Gertrud Kolmar. Mit Sarah Grunerts

es ab sofort alle zwei Jahre statt – als „Bienna-

Sätze ganz selbstverständlich wirken. Sie sin-

Lesung aus Feridun Zaimoglus „Die Ge-

le Niederbayern“ und mit einem Programm,

gen wüst, lassen eine Maultrommel zirpen und

schichte der Frau“ standen damit gleich

das disziplin- und themenübergreifend Wider-

all dies von jenseits der Zeit und der Schmerzen

dreimal sprachgewaltig und ungeschminkt ­

ständiges präsentiert. Das Motto vom 5. bis 7.

zu uns herüber wabern.

porträtierte, ungewöhnliche und auf denkbar

April 2019 war „offen, kritisch, horizontal“

Von Achternbusch erzählt auch Bierbich-

unterschiedlichste Weise selbstbestimmte

und „jetzt“; das kritische Volkstheater der

ler eine Anekdote: Achternbusch liegt unter sei-

Frauen im Zentrum des kleinen feinen Festi-

Fleißers, Fassbinders oder Sperrs stand den

nem Auto und das Gespräch kommt auf Sperr,

vals. //

Sabine Leucht


magazin

/ TdZ  Juni 2019  /

Wie jetzt, neu?

Sie sind aus einer Zeit vor unserer Zeit. Aus einer Zeit, in der man noch an den Teufel glaubte und, statt zu reden, die Fäuste sprechen ließ. Am 3. Februar 2018 stand in der Süddeut­schen Zeitung ein Artikel des Ost­ europakorrespondenten Florian Hassel. „Jagdszenen in der polnischen Provinz“ war dieser

bedingt, was auch gleich das erste Stück in der Reihe, Falk Richters „Je suis Fassbinder“

Schreiben für eine offene Gesellschaft – Die Reihe „Gäste, Gäste – Neue deutsche Dramatik“ am Teatr Współczesny in Szczecin

(Einrichtung

Magda

Streker),

zeigt: eine wütende Suada über den Rechtsruck in Deutschland, die aufgrund ihrer Hitzigkeit und Direktheit beim polnischen Publikum auf große Sympathien stieß.

übertitelt. Die Reportage drehte

Auch Bonn Parks „Das

sich um Salah Slama, einen

Knurren der Milchstraße“ (Ein-

Tunesier, der der Liebe wegen

richtung Wiktor Bagiński) ist

in die polnische Kleinstadt

eine Funken sprühende Schimpf­

Lubawa gezogen war. Doch mit

tirade, die indes ähnlich wie

der Gastfreundschaft war es

Juli Zehs „Der Kaktus“ (Einrich-

hier nicht weit her. Er erinnere

tung Tomasz Cymerman) ihre

sich nicht mehr an alle An­

Dringlichkeit vor allem aus dem

griffe, berichtet Salah Slama.

Absurden erlangt. Es treten un-

Es seien zu viele gewesen. Und

ter anderem auf: Der mahnende

sie zeugten von einer Gewalt,

Außerirdische, Der fassungslose

die direkt aus dem Mittelalter

Kim Jong-un, Der ernüchterte

zu stammen schien.

Donald

Trump.

Ebenso

wie

Sie sind aus einer Zeit

diese Figuren unterwanderten

nach unserer Zeit. Aus einer

auf der anschließenden Diskus-

Zeit, in der es interstellare Raum-

sion auch Regisseur Wiktor

schiffe gibt. Und winzige Aliens,

Bagiński, dessen Vater Nigeria­

von denen einer, aus der Zu­

ner ist, und Bonn Park, dessen

kunft herbeigeflogen, ­direkt in

Eltern aus Vietnam stammen,

einem polnischen Theater lan­

alle äußeren Zuschreibungen.

det. „Wir beobachten euch

„Wie jetzt, neu?“, antwortete

schon lange“, sagt dieser Alien.

Park irritiert, als er nach seinen

„Und ich muss euch ganz ehr­

Erfahrungen als „neuer Deut­ scher“ gefragt wurde. Beide

lich sagen … Ihr seid so dumm

sind in dem Land, in dem sie

keiner! … O Mann, ich kann

Wütende Suada gegen den Rechtsruck – Falk Richters „Je suis Fass­ binder“ (hier mit Michał Lewandowski) erfährt in Polen große Resonanz.

nur heulen.“ Maciej Litkowski,

Foto Iwona Nowacka

produktives Chaos entstand.

und so scheiße … Das packt

leben, geboren. Ein fröhlich-

der Kurator dieses Abends, ist

Was aber, wenn der Dia-

zwar nicht aus der Zukunft ins

log plötzlich abbricht wie in

Teatr Współczesny gekommen, sondern bloß

fanden hier die ersten freien Wahlen statt. Im

­Mehdi Moradpours „Türme des Schweigens“

aus seiner Szczeciner Wohnung, dennoch

Oktober ’92 wurde die „Kleine Verfassung“

(Einrichtung Romuald Krężel)? Der in Tehe-

teilt er mit diesem Mini-Alien den besorgten

verabschiedet, als Basis der Verfassung von

ran aufgewachsene und seit 18 Jahren in

und auch wütenden Blick auf den Zustand

’97, deren Grundsätze durch die heutige

Deutschland lebende Autor verhandelt darin

Europas. „Goście, goście“ (Gäste, Gäste)

polnische Regierung zunehmend attackiert ­

das Trauma einer Familie, deren Kommunika-

­nennt sich die Reihe neuer deutscher Drama-

werden.

tion durch das politische Engagement der

tik, die Litkowski gemeinsam mit der Über-

Gezielt hatten Maciej Litkowski und

Eltern und die Repressionen, die sie erlitten

setzerin und Kulturmanagerin Iwona Nowacka,

Iwona Nowacka in ihrer Reihe szenischer

haben, grundlegend gestört ist. Eine Ge-

unterstützt von der Stiftung für deutsch-­

Lesungen vier Stücke eingeladen, die sich

schichte, die auf die Situation in Iran an-

polnische Zusammenarbeit, ins Le­ ben g­ e­

mit den Themen Flucht und Migration be-

spielt, aber auch auf die bis ins Private hin-

rufen hat. Der Titel ist einem französischen

schäftigen. Die Erfahrung Deutschlands beim

einwirkenden

Film entlehnt, „Les Visiteurs“ von 1992. In

Aufbau einer offenen, multikulturellen Ge-

Regime im Allgemeinen.

dieser Komödie landen zwei Ritter nach ei-

sellschaft, heißt es im Programmtext, könne

„Irgendwann werden wir wiederkom-

nem falsch gemischten Zaubertrank plötzlich

für Polen eine große Lehre sein. Sätze, die

men und euch retten müssen“, sagt der Mini-

im Jahr 1992, und zwar am 27. Oktober. Ein

man angesichts der auch hierzulande zuneh­

Alien bei Bonn Park. Mit „Goście, goście“

Datum, das auch für Polen von Bedeutung

menden rassistischen Übergriffe fast mit

wurde bereits jetzt ein solcher Rettungs­

ist. Ein Jahr zuvor, am 27. Oktober 1991,

Scham liest. Ein Vorbild ist Deutschland nur

versuch gestartet. //

Machtstrukturen

autoritärer

Dorte Lena Eilers

/ 69 /


/ 70 /

magazin

/ TdZ Juni 2019  /

Die Seele im Wald Der Hörspielpreis der Kriegsblinden geht an Susann Maria Hempel Ein junger Mann glaubt, im Gefängnis,

zwei Produktionen der öffentlich-

in das er wegen angeblicher Absichten

rechtlichen Sender sowie dem Öster-

für eine Flucht aus der DDR gesteckt

reichischen

wurde, seine Seele verloren zu haben.

Schweizer Radio zum Finale der letz-

Ganz nach der Lehre des Lukrez wird

ten Drei, und Plamper hat einmal

diese als verflüchtigte Atome vorge-

mehr sein Können für die brennenden

stellt, die möglicherweise im Wald

Themen der Zeit bewiesen.

Rundfunk

und

dem

Hinaus in die weite Welt der

wiederzufinden sind, einem Ort der

Forschungsreisen

Geborgenheit für diesen Geschlagenen.

Charles

Darwins

Diese Geschichte stammt von

und hinein in die aktuellen Diskussio-

einem engen Freund der Autorin, der,

nen des Postkolonialismus segelte

als er im Sterben liegt, beginnt, ihr

­indes „Die Toten von Feuerland“, ein

von diesen Gedanken und Erfahrungen

„Hörspiel mit Handlung“, so der Un-

zu erzählen. Susann Maria Hempel, ge-

tertitel, von Ulrike Haage und Andreas

boren 1983 im thüringischen Greiz,

Ammer (Produktion NDR Kultur).

hat daraus ein so beeindruckendes wie

­Wobei ambivalent bleibt, ob hier die

beklemmendes Monolog-Hörspiel ge-

aktuelle Behandlung der postkolonia-

macht: „Auf der Suche nach den ver-

len Themen nicht auch schon mit ei-

lorenen Seelen­ atomen“, für das sie

nem Schuss Ironie vorgeführt wird.

am 7. Mai in Köln den Hörspielpreis

Denn auf Feuerland wird von der

der Kriegsblinden 2019 erhielt.

Mannschaft der Beagle der jugend­

Hempel, die auch schon mit ex-

liche Einheimische Orundellico im Tausch für einen Perlmuttknopf erwor-

perimentellen Kurzfilmen hervorgetreten ist, hat bei ihrem Hörspieldebüt (Produktion rbb Kultur mit Unterstüt-

Verschafft einem Stück DDR-Vergangenheit Gehör – Preis­trägerin Susann Maria Hempel. Foto Samuel Henne

zung der Akademie der Künste) prak-

ben, worauf er den Namen Jemmy Button erhält und nach England gebracht wird. Dieser Kaspar Hauser von Feuerland wird einem Experiment der

tisch alles selbst gemacht. Die intime Erzählung wird von ihr selbst gesprochen in

Plamper (WDR), nämlich in die fiktive Leer-

Umerziehung ausgesetzt; später wird er dann

dem ihrer Heimat eigentümlichen ostthürin-

stadt, die aber immerhin noch über ein klei-

Vorbild für Jim Knopf, Michael Endes bis

gischen Dialekt. Hinzu kommt ihre für ein

nes Stadttheater verfügt, wo ein afrikanischer

heute beliebte Kinderbuchfigur, was für Hörer

synthesizerartiges Subharchord komponierte

Migrant den Hauptmann von Köpenick spie-

indirekt die Frage aufwirft, ob man diesen

Musik voll weicher Disharmonien. Das für die

len soll. Wer da an den Altenburger „Haupt-

mehrfach transformierten Feuerländer also

Hörspielkunst überraschende Moment liegt

mann von Köpenick“ mit dem aus Burkina

auch restituieren könnte oder sollte. Das von

darin, wie Hempel mit geschickten Modi des

Faso stammenden Schauspieler Quelgo Téné

den b ­ eiden Soundexperten Haage und Ammer

Dialogischen mehrere Figuren zum Sprechen

im Februar 2017 denkt, hat die Wirklich-

komponierte Stück besticht in seiner so rei-

bringt. Inhaltlich verschafft sich mit dieser

keitsvorlage Plampers erfasst. Tatsächlich ist

chen wie raffinierten akustischen Gestaltung.

Darstellung einer unbewältigten Unrechts­

auch der Schloss- und Kulturbetrieb Alten-

­Sozusagen Hörspiel im Kinoformat – mit dem

erfahrung eines Häftlings ein Stück verges­

burg Koproduzent dieses Hörspiels. Dem vom

Gewinn, einmal anders in eine aktuelle

sene DDR-Vergangenheit Gehör, für die heute

Schauspieldirektor (Carl Hegemann) ange-

­Debatte zu schauen. Dass das Hörspiel nicht

mit dem verallgemeinernden Blick auf die

führten Theatervolk steht eine kompakte Ma-

nur in seiner formalen Gestaltung weiter ge-

abgehängten Provinzen im machtvollen Dis-

jorität vom Leerstädter Bürgerbund gegen-

deiht, sondern auch ein Ort der Verhandlung

kurs über den „rechten“ Osten kein Platz ist.

über. Fabian Hinrichs spielt dessen Sprecher

wichtiger Themen ist, das beweisen allein

Gerade in diesem Kontext erscheint die

so hinreißend, dass man das ganze Hörspiel

diese drei Finalisten. Zu den Preisträgern

Geschichte beunruhigend zerbrechlich und ­

wie auf einer Bühne sieht, wo das Stück in

­Haage und Ammer (1995) und Plamper (2009)

ihre Form der leisen Töne äußerst klug und

seiner Genauigkeit von Jargon und Redeweise

gesellt sich nun eine Debütantin, von der be-

sensibel entwickelt.

den Riss durch die Gegenwartsgesellschaft

stimmt noch einiges zu hören sein wird. //

Ebenfalls in die ostdeutsche Provinz

plastisch werden lässt. „Der Absprung“ ge-

Thomas Irmer

führte das Stück „Der Absprung“ von Paul

hörte im diesjährigen Wettbewerb von jeweils

Der Autor ist Mitglied der Jury.


magazin

/ TdZ  Juni 2019  /

Netzwerker des Welttheaters Zum Tod des Leipziger Theaterwissenschaftlers Rolf Rohmer

Rolf Rohmer (1930–2019). Foto Chinesisches Kulturzentrum Berlin

Wenige Wochen nach seinem 89. Geburtstag

der Dokumentationszentren der darstellenden

politischer Ebene wie auch innerbetriebliche

starb am 22. März in Leipzig Rolf Rohmer.

Künste, und vor allem auch als Präsident der

Querelen und Rivalitäten die größte Rolle spiel-

Noch Anfang des Monats hatten wir per Brief

IFTR, der Weltorganisation der Theaterfor-

ten. Und nicht viele können sich nach einem

und Mail eine Debatte weitergeführt, doch

scher. 1981 gelang es ihm, deren 9. Weltkon-

Scheitern so kraftvoll wieder aufrichten wie er.

dann schrieb er plötzlich: „Heute, Dienstag,

gress nach Leipzig zu holen. Er war einer der

Rolf Rohmers wissenschaftliches Le­­­bens­

haben mich die Ärzte außer Betrieb gesetzt.

Initiatoren und Herausgeber der mehrbändi-

werk gewann Rang und Bedeutung – außer

Ich sehe nicht ab, wohin das führt und wie

gen Enzyklopädie des zeitgenössischen Welt-

durch seine internationalen Aktivitäten – vor

lange es dauert. Ich melde mich zu gegebe-

theaters, stand in enger Verbindung zu Regis-

allem durch die Qualität seiner akademischen

ner Zeit wieder …“ Es war ihm nicht möglich.

seur Fritz Bennewitz, der mit zahlreichen

Lehre. Generationen von Studierenden der

Ein Freund, ein gütiger Mensch war gestorben.

Inszenierungen in Lateinamerika, Südostasi-

Leipziger Theaterhochschule „Hans Otto“,

Unser Dialog kreiste um die Themen­

en und Indien Erfolge feierte. So wurde Rolf

deren Rektor er von 1969 bis 1982 war, und

familie Heimat, Patriotismus, Internationalis-

Rohmer zu einem souveränen Netzwerker für

später der Dramaturgie-Fachrichtung an der

mus, Interkulturalismus. Der letztgenannte

die Theaterkunst des kleinen Landes DDR,

Leipziger Hochschule für Musik und Theater

Begriff kann als zentrale Kategorie seiner

zum Botschafter für ihre weltweite Geltung.

„Felix Mendelssohn Bartholdy“ können die

wissenschaftlichen und theaterpolitischen ­

Im Lande gehörte er zur Gründergeneration

Faszination bezeugen, die von seinen oft

Lebensleistung begriffen werden. Er verstand

des Theaterverbandes der DDR, dessen Vize-

assoziativ verlaufenden, ins Weite blickenden

darunter, wie er mir in einem 18-seitigen

präsident er wurde.

und scheinbar Disparates überzeugend mit­

­engzeiligen Brief schrieb, „eine multivalente

Es ist bedauerlich, dass die jüngere Ge-

einander verbindenden Vorlesungen ausging.

Strategie zur Gestaltung und Optimierung der

neration der Theaterschaffenden mit Rolf

Da verbanden sich umfassende Kenntnis der

Beziehung(en) zwischen Völkern, Ethnien,

Rohmer oft nur die wenig glücklich verlaufene

nationalen und internationalen Theaterpraxis

Gruppen“. Genau dazu hat er vielfältig beige-

Episode seiner zweijährigen Intendanz am

mit intellektueller Kühnheit, stupender humanis­

tragen durch seine Arbeit in den großen inter-

Deutschen Theater Berlin verbindet (1982–

tischer Bildung und wunderbarer Eloquenz

nationalen Theaterorganisationen, im ITI, in

1984). Meist wird dabei übersehen, dass

des Vortrags. //

der SIBMAS, der internationalen Vereinigung

dahinter heftige Machtkämpfe auf höchster

Gottfried Fischborn

Kathrin Spaniol und Morgan Nardi 27.6. (Premiere) – 29.6.

Das geheime Projekt

fft-duesseldorf.de

/ 71 /


/ 72 /

magazin

/ TdZ Juni 2019  /

Christoph Schlingensief als Polit-Dompteur – Gründung von Chance 2000, der Partei der letzten Chance 1998 im Prater in Berlin. Foto David Baltzer / bildbühne.de Einbeziehung von Talkshow-Auftritten und ­ sonstigem Promo-Material montierten Film und die Aufzeichnung aus dem Prater von Erhard Ertel im Auftrag der Volksbühne. ­ Elfriede Jelinek gibt einen Kommentar zu ­ dem Projekt, aber der raffinierteste Wahlslogan lässt sich in dem ansonsten wunderbar auf­ bereiteten Material leider nicht finden: „Das Einzige, was ich euch versprechen kann, ist: Ich werde euch bitter enttäuschen.“ Mit „Kunst und Gemüse, A. Hipler“ inszenierte Schlingensief 2004 seinen größten Spielplan-Hit an der Volksbühne samt Ein­ ladung zum Theatertreffen. Hier ist, wiederum in zweifacher Aufnahmeversion, schon zu sehen, wohin die Reise gehen wird: zu den großen, alle Gattungen überschreitenden

Unendlicher Spaß

den Bundestagswahlkampf handelte oder um

Produktionen der letzten Lebens- und Ar­

eine

Intervention.

beitsjahre. Wie „Eine Kirche der Angst vor

Mit „Chance 2000 – Partei der letzten Chan-

Fakt ist, die Partei wurde regulär zu den Wah-

dem Fremden in mir“ (2008), jenes „Fluxus-

ce“, „Kunst und Gemüse, A. Hipler“ und

len aufgestellt, produzierte Wahlspots („Wäh-

Oratorium“, das als flehende Bilanz der Ar-

„Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in

le dich selbst!“), der Parteigründer wurde in

beit des krebskranken Künstlers gesehen wer-

mir“ ist jetzt die Schlingensief-DVD-Edition

die einschlägigen Talkshows eingeladen.

den kann, opulent und auch als Film

künstlerisch-politische

von Frieder Schlaichs Berliner Filmgalerie

„Chance 2000“ war ein von Schlingen-

451 um drei weitere Boxen erweitert worden.

sief selbst so bezeichnetes „unbegrenztes

Insgesamt 13 solcher DVD-Boxen gibt es nun,

Theaterstück“, mit dem er nach den frühen

jeweils einem Film-, Theater- oder Kunstpro-

Filmen und den Arbeiten an der Volksbühne

jekt gewidmet, mit einer Laufzeit von 4285

ab 1993 endgültig im offenen Raum der Ge-

Minuten. Das sind drei ganze Tage, die selbst

sellschaft angekommen war. Eine Bühne, die

Netflix-Junkies an ihre Grenzen bringen dürf-

er von nun an in Deutschland, Österreich und

Norbert Kentrup, Schauspieler und Theater-

ten – dabei bilden sie noch lange nicht das

der Schweiz in immer wirksameren Formen

gründer, hat viel zu erzählen, denn er hat viel

Ende dieser möglicherweise weltweit größten

zu bespielen wusste, auch als eigene Aus­

unternommen und viel erlebt, was für Zeitge-

Dokumentation in den darstellenden Küns-

reifung seiner Strategien der aufklärerischen

nossen und Nachgeborene der Theaterwelt

ten. Etwas Ähnliches ist jedenfalls zum

Verunsicherung. Die DVD-Box zeigt den legen-

von Interesse sein könnte: Er war Schauspie-

Schaffen eines einzelnen Künstlers nicht be-

dären Abend der Parteigründung in zwei Vari-

ler am Frankfurter Theater am Turm und in

kannt. Das anhaltende Interesse an Schlin-

anten: einen von Frieder Schlaich unter

der Mitbestimmungszeit unter Peter Palitzsch

herausfordernd eindrücklich. Ein Seh-Sog ohne Ende … //

Thomas Irmer

Abgesang auf ein Theaterleben

gensiefs Werk schafft Verästelungen in immer

am Schauspiel Frankfurt, in Bremen bei Kurt

wieder neuen Kontexten, wie aktuell der von

Hübner, dem großen Innovationsintendanten,

Alexander ­Kluge mitgestaltete Raum in der

der das neue Regietheater von Zadek, Stein

Hamburger Ausstellung „Hyper!“ zu den Ver-

und Neuenfels in Westdeutschland durch-

bindungen von Kunst und Popmusik (noch

setzte, und in Bochum, wo er an dem legen-

bis 4. August in den Hamburger Deichtorhal-

dären Workshop Lee Strasbergs teilnahm. Kentrup, der mit anderen die Mobile

len) zeigt. Mit „Chance 2000“ kann man in eine der spektakulärsten Aktionen Schlingensiefs eintauchen: den Abend der Parteigründung von Chance 2000 im März 1998 in einem im Prater der Berliner Volksbühne aufgestellten Zirkuszelt. Es war damals schwer auszumachen, ob es sich um eine echte Parteigründung in dem die Ära Helmut Kohl beenden-

edition schlingensief: Chance 2000 – Die Partei der letzten Chance, 2 DVDs, 374 min, 17,90 EUR; Kunst und Gemüse, A. Hipler, 2 DVDs, 283 min, 27,90 EUR; Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir, 2 DVDs, 375 min, 27,90 EUR. Hrsg. durch Film­galerie 451 mit Unterstützung des Goethe-Instituts, 2018.

Rhein Main Theater GmbH und die bremer shakespeare company gründete, der die Wiederentdeckung des Globe Theatre als besondere ästhetische und dramaturgische Form verfolgte und damit in Deutschland und international große Erfolge feierte. Der dabei auch an der Modernisierung der Theaterkunst durch die Neuentdeckung der Zusammen-


bücher

/ TdZ  Juni 2019  /

ein Kneipen- oder Küchenmonolog, dem man, je länger er dauert, immer weniger interessiert Norbert Kentrup: Der süße Geschmack von Freiheit. Kellner Verlag, Bremen/ Boston 2018, 560 Seiten, 18,90 EUR.

hänge von Produktionsweise, Dramaturgie

beiwohnt und schließlich auch noch die Resthöflichkeit aufgibt, mit der man noch eine ganze Weile zugehört hatte, und das Buch schließlich einfach zuschlägt. Schade! // Henning Fülle

Memorial

und Ästhetik mitgewirkt hat, für die internatio­

Wer war Günther Weisenborn? Weisenborn,

nal nach dem Zweiten Weltkrieg Namen wie

1902 in Velbert geboren, starb 1969 im

Bertolt Brecht, Jerzy Grotowski, Peter Brook,

westlichen Berlin; er war Journalist und Dra-

Ariane Mnouchkine, Eugenio Barba und viele

matiker, Schauspieler und Dramaturg, eine

andere standen und die seit den 1960er Jah-

typische Figur des Kulturlebens der Weimarer

ren auch in der Bundesrepublik begann.

Republik und aufrichtiger Widerstandskämp-

höchst unterschiedliche Texte Weisenborns

Ein pralles Theaterleben also ist Ge-

fer gegen den Nationalsozialismus, Gründer

versammelt: Feuilletons, Erinnerungsnotate,

genstand und Thema des autobiografischen

und Intendant des Berliner Hebbel-Theaters,

Leserbriefe, Verse aus den verschiedenen

Buches, dessen Erzählung aber nachhaltig

Grenzgänger und scharfsinniger Kritiker zwi-

­Dekaden seines Lebens. Der Autor begegnet

darunter leidet, dass der Autor sich dabei

schen den Systemen. Wer mit dem Namen

uns hier als empfindsamer Mensch, der gegen

wie das personifizierte Theater-, wenn nicht

Weisenborn noch etwas anzufangen weiß, der

das Vergessen aufbegehrt und für Mensch-

gar Weltgewissen aufspielt. „Der süße Ge-

denkt wahrscheinlich nur an eine Facette:

lichkeit eintritt. Ein Mensch, der aber für die

schmack von Freiheit“ ist nicht nur ein etwas

Kunst – und sein Kunstverständnis – ebenso

verquaster Floskelversuch, sondern markiert

unerbittlich streitet: „Man nenne mir einen

das Selbstbewusstsein des Autors, der seine

Günther Weisenborn: Memorial. Hg. von Carsten Ramm, Verbrecher Verlag, Berlin 2019, 248 Seiten, 19 EUR.

gesammelten Theatererfahrungen als Lebensweisheiten für mitteilenswert hält. Dieses, je länger es dauert, zunehmend private Gedanken- und Lebensgemälde ist 550 Seiten lang und breit ausgewalzt und

Günther Weisenborn: Bist du ein Mensch, so bist du auch verletzlich. Hg. von Carsten Ramm, Verbrecher Verlag, Berlin 2019, 280 Seiten, 19 EUR.

vermittelt letztlich die Zufriedenheit des ­Autors, zwar nicht grundlegend das Theater oder die Welt verändert, aber eigentlich doch alles irgendwie richtig gemacht zu haben. Anekdotisch und präpotent breitet er so sein Lebenswerk als grandiose Inszenie-

Satz aus den großen Epochen des Thea­ters, dem antiken, dem elisabethanischen, den der Zeitgenosse nicht hätte verstehen können, während heute die Mystagogen narkotische Cocktails auf der Szene mixen und ihre faden Sätze mit Hilfe der Undeutlichkeit maskieren, ästhetisierende Schwächlinge des Absurden.“ Dass ein solcher Auswahlband immer angreifbar ist – zu fragen wäre etwa, ob Weisenborns Hauptwerk, die Dramatik, ausgespart werden kann und darf, ob die Lieder und Gedichte, ihrem Kontext innerhalb der Stücke enthoben, nicht sehr an Wirkung einbüßen –, kann nicht

rung aus, weitschweifig in sich wiederholenden Schleifen mäandernd zwischen drama-

entweder den Theatermann oder den Wider-

über die Notwendigkeit eines solchen Unter-

turgischen und ästhetischen Behauptungen,

standskämpfer. Und doch ist es diese Vielsei-

fangens hinwegtäuschen.

kulturpolitischen Kommentaren, Privatheiten,

tigkeit, die ihn ausmacht. Der politische Kopf

In einer Zeit, in der es an Geschichts­

die wir gar nicht wissen wollen, und mittei-

ist nicht von dem Künstler zu trennen – und

bewusstsein mangelt, in der eine sogenannte

lenswerten Einblicken, distanzlos in Stolz

so scheint sich beim Blick auf seine Biogra-

Gedenkkultur wohl vor allem von Moden ab-

oder auch Verletzungen schwelgend – und

fie, allen Brüchen und Rückwürfen zum Trotz,

hängt, ist die Herausgabe des zweiten Bandes,

auch der Kitsch der Idyllen des Sommerhaus-

jede Station ganz natürlich aus der vorherigen

„Memorial“ betitelt, nicht minder ehrenwert.

besitzers in Finnland wird uns nicht erspart.

zu ergeben.

In diesem Text, erstmals 1948 veröffentlicht,

Seine Gegner sind folgerichtig gleichsam Ket-

Die Vergänglichkeit des Theaters ge-

trägt Weisenborn seine Erinnerungen an die

zer oder Ungläubige, unfähige oder nur

hört zu seinen traurig-schönen Kennzeichen.

eigene Haftzeit im Gestapo-Gefängnis zusam-

schwach begabte „Kuckucke“, Schmarotzer,

Aber das darf noch lange nicht dazu führen,

men. Als Mitkämpfer der Gruppe um Harro

die nichts verstehen wollen oder können, die

dass auch die Menschen hinter der Bühnen-

Schulze-Boysen, noch heute in der Diktion der

fremde Nester besetzen und deren legitime

kunst dem Vergessen anheimfallen. Der Her-

NS-Schergen oft als „Rote Kapelle“ bezeich-

Bewohner verdrängen.

ausgeber Carsten Ramm erinnert mit zwei

net, entging er nur knapp der Hinrichtung. In

Wegen dieser privaten Präpotenz, der

schlichten, im Verbrecher Verlag erschiene-

vollem Bewusstsein, dass sein Überleben ein

selbstgewissen Unbedingtheit seiner Urteile

nen Bücher an Günther Weisenborn, holt

Glücksfall war, beschreibt er schonungslos, was

und der rhapsodischen Perspektive ist dieses

­Beachtliches zum Vorschein, fast Aktuelles,

ihm in fast drei Jahren Gefängnis angetan

Buch leider – ganz entgegen seiner Absicht –

weil Zeitloses. „Bist du ein Mensch, so bist

wurde. Eine schwierige und wichtige Lektüre. //

ein Abgesang auf ein Theaterleben, erzählt wie

du auch verletzlich“ ist ein Lesebuch, das

Erik Zielke

/ 73 /


aktuell

/ 74 /

/ TdZ Juni 2019  /

Julia Wissert. Foto Ingo Höhne

Meldungen

Schneider, Jahrgang 1983, absolvierte von

jährigen Preisträgern zählen: das Theater Thik-

2004 bis 2009 eine Schauspielausbildung

wa in Berlin, das Piccolo Theater Cottbus, das

an der von Wolfgang Bordel im Jahr 2000 ge-

Theater Erlangen, die Theaterwerkstatt Pilken-

gründeten Theaterakademie Vorpommern in

tafel in Flensburg, das Boat People Project in

Zinnowitz, der Theaterschule der Vorpommer-

Göttingen, die Oper Halle, das Helios Theater

schen Landesbühne. Anschließend übernahm

in Hamm, das Puppentheater Magdeburg, das

Schneider die Leitung der Barther Bodden-

Landestheater Schwaben in Memmingen, der

bühne, führte Regie und spielte.

Ringlokschuppen Ruhr in Mülheim und das Theater Rampe in Stuttgart. Neben der bun-

■ Die siebte Ausgabe des Festivals Schwin-

desweiten Aufmerksamkeit ist mit der Aus-

delfrei wird von der Kuratorin, Dramaturgin

zeichnung ein Preisgeld von 75 000 Euro für

und Theaterwissenschaftlerin Olivia Ebert ku-

künstlerische Vorhaben verbunden, die jedem

ratiert. Sie löst damit Sophia Stepf ab. Das

Theater zukommen. Die Preisverleihung er-

Festival für die freien darstellenden Künste

folgte am 27. Mai in Zusammenarbeit mit dem

Mannheims und der Metropolregion Rhein-

Internationalen Theaterinstitut – Zentrum

Neckar wird alle zwei Jahre vom Kulturamt

Deutschland im Theater Gera (Gewinner des Theaterpreises 2017).

■ Julia Wissert soll ab der Spielzeit 2020/21

der Stadt Mannheim ausgerichtet und findet

die Intendanz am Theater Dortmund als Nach-

erneut im Sommer 2020 statt. Olivia Ebert

folgerin von Kay Voges übernehmen. Die

arbeitet seit zehn Jahren dramaturgisch und ­

■ Der Theater-, Opern- und Filmregisseur

34-jährige Regisseurin würde damit eine der

kuratorisch im Kontext freier darstellender

­Peter Brook wurde mit dem spanischen Prin-

jüngsten Intendant*innen Deutschlands. Julia

Künste, aktuell in der Künstlerischen Leitung

zessin-von-Asturien-Preis in der Sparte Künste

Wissert, geboren 1984 in Freiburg, studierte

des Thea­terfestivals Favoriten in Dortmund.

ausgezeichnet. Der nach den spanischen Thronerben benannte Preis wird seit 1981 in

und Drama und Media Arts an der University

acht Kategorien zur Auszeichnung wissen-

of Surrey in London. Als Regisseurin arbeitete sie u. a. am Berliner Maxim Gorki Theater, am Theater Luzern, am Schauspielhaus Bochum und am Nationaltheater Brno (Tschechien). Wissert gehört außerdem zum deutsch-namibischen Künstler*innen Kollektiv Kaleni. Im Februar 2019 machte sie, gemeinsam mit Sonja Laaser (s. TdZ 04/19) mit einer Anti­

Stephan Märki. Foto Bernd Uhlig

Regie an der Universität Mozarteum Salzburg

schaftlicher, technischer, kultureller, sozialer und humanitärer Arbeiten vergeben und ist mit je 50 000 Euro dotiert. Die Stiftung des Prinzessin-von-Asturien-Preises würdigt Brook für seinen Beitrag „zum Kenntnisaustausch zwischen so verschiedenen Kulturen wie denjenigen in Europa, Asien und Afrika“ und lobt seine „Inszenierungen von großer Reinheit und

rassismusklausel in Künstler*in­nen­verträgen

Schlichtheit“ sowie seine „Treue zum Konzept

von sich reden.

des leeren Raums“.

■ Ina Karr wird ab Sommer 2021 neue Inten-

■ Der Stiftungsrat der Brandenburgischen

■ Der Kurt-Meisel-Preis der Freunde des Resi-

dantin am Luzerner Theater. 1968 in Stuttgart

Kulturstiftung Cottbus-Frankfurt (Oder) hat

denztheaters München ging in diesem Jahr

geboren, studierte sie Musik sowie Musik­

Stephan Märki zum neuen Intendanten und

an die Schauspielerin Juliane Köhler. Der Ver-

wissenschaft und Neuere Deutsche Literatur-

Operndirektor am Staatstheater Cottbus ge-

ein würdigt mit dem mit 5000 Euro dotierten

geschichte. Sie war Dramaturgin und Projekt-

wählt. Der Schweizer wird sein Amt zur Spiel-

Preis Juliane Köhlers herausragende künstle-

leiterin für zeitgenössische Musik und für

zeit 2020/21 als Nachfolger von Interims­

rische Leistung am Residenztheater, dessen

Musiktheater, arbeitete am Nationaltheater

direktor René Serge Mund antreten. Stephan

Ensemble sie bereits über zwanzig Jahre an-

Mannheim, bevor sie als Operndirektorin an

Märki leitete u. a. von 1993 bis 1997 das

gehört. Die mit jeweils 3000 Euro dotierten

das Oldenburgische Staatstheater wechselte

Hans Otto Theater in Potsdam, von 2000 bis

Förderpreise für junge Theatertalente gingen

und schließlich als Chefdramaturgin für die

2011 war er Generalintendant am Deutschen

in diesem Jahr an die Schauspielerin Lilith

Oper ans Staatstheater Mainz ging. Sie entwi-

Nationaltheater und Staatskapelle in Weimar.

Häßle und den Schauspieler Nils Strunk, die

ckelte im Bereich des Musiktheaters für jun-

In den Jahren 2011 und 2012 führte er das

beide

ges Publikum neue Werke, veröffentlichte in

Berner Symphonieorchester und das Stadt-

Residenz­theater engagiert sind.

Fachmagazinen und war immer wieder als

theater zu einem Vierspartenhaus zusammen.

Jurymitglied tätig.

Anschließend übernahm er 2012 die Direk­

■ Das Performancekollektiv Monster Truck wur-

tion des Konzert Theaters Bern, trat im Som-

de mit dem mit 20 000 Euro dotierten Tabori

■ Martin Schneider hat die Intendanz der Vor-

mer des letzten Jahres aber wegen personel-

Preis 2019 ausgezeichnet. Zwei weitere Aus-

pommerschen Landesbühne in Anklam in Meck-

ler Konflikte im Haus zurück.

zeichnungen gingen an die in Düsseldorf ansäs-

lenburg-Vorpommern übernommen. Schneider

seit

der

Spielzeit

2017/18

am

sige Ben J. Riepe Kompanie und das Theater-

löst damit Wolfgang Bordel ab, der 36 Jahre

■ Elf Theater wurden mit dem Theaterpreis

kollektiv machina eX. Diese beiden jeweils mit

lang dem Anklamer Theater vorstand. Martin

des Bundes 2019 ausgezeichnet. Zu den dies-

10 000 Euro dotierten Auszeichnungen wurden


aktuell

/ TdZ  Juni 2019  /

■ Der Dramatiker, Hörspielautor und Erzähler

zum zehnten Mal vergebene Tabori Preis ist die

Dieter Forte ist am 22. April im Alter von 83

bundesweit höchste Auszeichnung für die frei-

Jahren gestorben. Forte, 1935 in Düsseldorf

en darstellenden Künste und wird durch den

geboren, begann seine Theaterkarriere als

Fonds Darstellende Künste ausgelobt.

Hospitant am Düsseldorfer Schauspielhaus

■ Der Autor Wilke Weermann wurde für sei-

ziger Jahre schrieb Forte an einem mehrteili-

nen Stückentwurf unter dem Arbeitstitel

gen Romanprojekt: Zwischen 1992 und

„Angstbeißer“ mit dem Hans-Gratzer-Stipendi-

2004 erschienen so „Das Muster“, „Tagund-

um 2019 ausgezeichnet. Wilke Weermann,

nachtgleiche“ (ursprünglich „Der Junge mit

geboren 1992 in Emden, nimmt aktuell am

den blutigen Schuhen“), „In der Erinnerung“

Lehrgang Forum Text am Drama Forum von

und „Auf der anderen Seite der Welt“. Zu-

uniT Graz teil. Mit seinem Stück „Abraum“

sammen bilden sie die „Tetralogie der Erinne-

er an der Hamburger Schule für Schauspiel,

war er für den Retzhofer Dramapreis 2015

rung“. Unter anderem beschäftigte sich Die-

arbeitete anschließend am Badischen Staats-

nominiert und gewann 2016 den Münchner

ter Forte darin mit den Lebensverhältnissen

theater Karlsruhe, bei den Ruhrfestspielen

Förderpreis für deutschsprachige Dramatik an

der modernen Menschen unter der Herrschaft

Recklinghausen, am Theater am Neumarkt

den Kammerspielen.

von Technik und Kapital. Er wurde für seine

Zürich, am Schauspielhaus Bochum und bei

Theaterstücke, Romane sowie Hör- und Fern-

den Salzburger Festspielen. Auch in Film und

■ Die Jury des Berliner Theatertreffens hat

sehspiele mit verschiedenen Preisen ausge-

Fernsehen war Oest in großen Rollen zu er­

sich verpflichtet, für die Festivalausgaben

zeichnet.

leben, u. a. in Leander Haußmanns Filmen

unter Karl-Heinz Stroux. Seit Ende der acht-

„Herr Lehmann“ und „Robert Zimmermann

2020 und 2021 bei der Auswahl der zehn bemerkenswertesten

Inszenierungen

Johann Adam Oest. Foto Reinhard Werner

in diesem Jahr erstmals verliehen. Der bereits

eine

■ Am 30. April April verstarb der Schauspie-

Frauenquote von mindestens fünfzig Prozent

ler ­Johann Adam Oest nach langer Krankheit in

in der Regieposition umzusetzen. Regie­

Wien. Seit 33 Jahren gehörte er dem Schau-

kollektive, die sich mehrheitlich aus Frauen

spielensemble des Wiener Burgtheaters an.

zusammensetzen, werden in die fünfzig Pro-

Johann Adam Oest wurde 1946 in Baben­

zent der Frauen einbezogen.

hausen geboren. Seine Ausbildung absolvierte

wundert sich über die Liebe“. TdZ ONLINE EXTRA Täglich neue Meldungen finden Sie unter www.theaterderzeit.de

Sommer szene 2019

www

International Performing Arts Festival

T S ! A E L ANC H C szene-salzburg.net

17.–29. Juni

/ 75 /


/ 76 /

aktuell

/ TdZ Juni 2019  /

Premieren Baden-Baden Theater F. Schiller: Don Karlos. Infant von Spanien (M. v. Mayenburg, 22.06.) Bautzen Deutsch-Sorbisches Volkstheater So war das! Nein, so! Nein, so! (K. Stahl, 01.06.); n. T. Brussig/L. Hillmann: Am kürzeren Ende der Sonnenallee (L. Hillmann, 20.06.) Bayreuth studiobühne n. Brüder Grimm/ U. Hoppe: Rumpelstilzchen oder Die drei Spinnerinnen (U. Hoppe, 02.06.); Mo­ lière: Don Juan oder Der steinerne Gast (D. Kern, 15.06.) Berlin Deutsches Theater E. Khuen-Belasi: ruhig blut (C. Weyde, 08.06., UA); L. Danulat: Entschuldigung (P. Kastenmüller, 08.06., UA); S. Kutschke: zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verchwunden (A. Dömötör, 08.06., UA) Grips Thea­ter n. V. Ludwig/M. Moradpour/V. Kouka­lani: Die Lücke im Bauzaun (V. Koukalani, 06.06., UA) Schaubühne am Lehniner Platz Polyrealisten: Grand Hotel (P. Rost, 08.06., UA); B. Reiber: Prometheus (B. Reiber, 20.06.) Renaissance Theater D. G. Boy­mann/T. Kahry: Spatz und Engel – Die Geschichte der Freundschaft zwischen Edith Piaf und Marlene Dietrich (T. Fischer, 02.06.) Theater an der Parkaue R. Hillebrand: Die Unbehausten – Das Battle um die Stadt (R. Hillebrand, 04.06.) theaterdiscounter n. S. Lem/n. J. Leth: Kitty Hawk (J. Padel, 14.06.) Volksbühne S. Kamerun: Das Bauhaus – Ein rettendes Requiem (S. Kamerun, 20.06., UA) Bonn Junges Theater M. Seibert/O. Kafsack/F. M. d. l. Fuente/K. Junker: Das letzte Aufgebot (M. Seibert, 01.06., UA) Bregenz Theater KOSMOS M. Stauffer/M. Stauffer: Haus gebaut, Kind gezeugt, Baum gepflanzt (s., 14.06., UA) Bremen Theater A. E. Şipal/E. A. Şipal: Shirin & Leif (M. Talke, 06.06., UA); E. Jelinek: Das schweigende Mädchen (M. Štorman, 14.06.) Bremerhaven Stadttheater A. J. Schulte: Nach Amerika (A. Thoms/A. J. Schulte, 01.06., UA) Bruchsal Badische Landesbühne G. Theobalt/G. Guareschi: Don Camillo und Peppone (A. Retzlaff, 12.06.) Celle Schlosstheater C. Goldoni: Der Diener zweier Herren (H. Kallmeyer, 07.06.) Chemnitz Theater O. Preußler: Die kleine Hexe (S. J. Fischer, 22.06.) Dinslaken Burghofbühne L. Danulat: Kinder von Nothingtown (A. Scherer, 22.06., UA) Dresden Theater Junge Genera­tion B. v. d. Speulhof/H. Wilson: Ginpuin – Auf der Suche nach dem großen Glück (M. Sostmann, 02.06.) Düsseldorf Schauspielhaus J. V. Dormael: Mr. Nobody (J. Gehler, 01.06., UA) Eggenfelden Theater an der Rott B. Brecht: Die Dreigroschenoper (L. Gutmann, 27.06.) Esslingen Württembergische Landesbühne l. Softley & Stephen Jeffreys: Backbeat – Die Beatles in Hamburg (M. Keller, 06.06.); A. Steinhöfel: Rico, Oskar und das Herzgebreche (L. Tetzlaff, 22.06.); F. Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame (C. Küster, 22.06.) Frankfurt am Main Künstlerhaus Mousonturm Hamlet (Kuiperskaai/L. Houbrechts, 05.06., DEA); Odisseia (L. Moreira/C. Hiato, 15.06.) Schauspiel H. Hesse: Siddhartha (L. Nielebock, 06.06.) Freiburg Theater M. Kaiser/G. Joplin/ M. Gillette/E. Steinel: Grenzland (M. Kaiser/

Juni 2019

Stralsund 26.–29.9.2019

Save the date! www.theater-hanse.de

G. Joplin/M. Gillette/E. Steinel, 01.06.); G. Smith/R. Kuijpers: Yalla! (G. Smith/R. Kuijpers, 07.06.) Göttingen Deutsches Theater M. v. Mayenburg: Märtyrer (J. Rieder, 06.06.); Bowie / Walsh: Lazarus (M. Beichl, 15.06.) Graz Schauspielhaus Schöne neue Welt: Familie 2.0 (29.06., UA) Halberstadt Nordharzer Städtebundtheater A. Lindgren: Pippi Langstrumpf (R. Vogtenhuber, 13.06.) Heilbronn Theater W. Shakespeare: Viel Lärm um nichts (T. Wellemeyer, 22.06.); n. M. Ende: Das Traumfresserchen (G. Lukas, 23.06.) Ingolstadt Stadttheater C. Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick (A. v. Studnitz, 28.06.) Innsbruck Tiroler Landestheater J. Taschler: Die Deutschlehrerin (T. Krauß, 14.06., UA) Kaiserslautern Pfalztheater n. W. Lotz: Die lächerliche Finsternis (Y. Kespohl, 15.06.) Karlsruhe Badisches Staatstheater Sogwirkung (S. Heiner, 21.06., UA) Kiel Theater F. Wittenbrink: Hammer (F. Wittenbrink, 14.06., UA) Konstanz Theater C. Nix: Foottit und Chocolat (M. Zurmühle/O. Hauenstein, 15.06., UA); G. Zahner: 10 Plus. Kette und Schuss (W. Hagemann, 19.06.); Aristophanes: Die Vögel (I. Putz, 22.06.); C. Brandau: Sagt der Walfisch zum Thunfisch (N. Bussenius, 23.06.); C. Zuckmayer: Katharina Knie (M. Eitner-Acheampong, 29.06.)

Krefeld Theater I. Bergman: Szenen einer Ehe (M. Gehrt, 16.06.) Leipzig Schauspiel E. Palmetshofer: die unverheiratete (I. Raschèr, 12.06.); D. Peeters: Erscheinungen (D. Peeters, 14.06.); E. Walsh/D. Bowie: Lazarus (H. Wild, 15.06.) Linz Landestheater Aut of Control (N. Neitzke, 25.06., UA) Lübeck Theater Die Grenze in mir (F. Stahmer, 29.06.) Mainz Staatstheater Hörtheater: ­Abwrackprämiere (A. Dalferth, 16.06., UA) Marburg Hessisches Landestheater G. Büchner: Leonce und Lena (E. Lange, 01.06.) Meiningen Staatstheater G. E. Lessing: Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück (A. Haag, 21.06.) Memmingen Landestheater Schwaben J. Nestroy: Der Talisman (P. Kesten, 21.06.) Mönchengladbach Theater W. Herrndorf: Tschick (M. Delinic, 14.06.) Neuss Rheinisches Landestheater Reset – Alles auf Anfang (B. Reimer, 22.06., UA) Oldenburg Staatstheater M. Schlüter: De Lütte Herr Jemine (A. Yeginer, 13.06.); R. O´Brien: The Rocky Horror Show (R. Gerloff, 21.06.) Paderborn Theater – Westfälische Kammerspiele T. Letts: Mary Page Marlowe – Eine Frau (M. Schulze, 01.06.); H. Müller: Der Auftrag (A. Buddeberg, 07.06.); T. v. Blom­berg/B. Arenz: Wir sind mal kurz weg (E. Brunner, 08.06.)

Pforzheim Theater M. Pommerening: Cordiers Spuren (A. Hügli, 01.06.) Potsdam Hans Otto Theater P. Jordan: The Queen’s Men (B. Jahnke, 01.06.) Regensburg Theater V. Lagasse: Das verrückte Wohnzimmer (M. Hackbarth, 23.06.) Rendsburg Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester Like (K. Springborn, 13.06.) Rostock Volkstheater J. v. Düffel/n. M. Twain: Die Abenteuer des Huckleberry Finn (S. Thiel, 16.06.); Blues Brothers (S. Brauer, 29.06.) Rudolstadt Theater E. Rostand: Cyrano de Bergerac (H. Olschok, 21.06.) Saarbrücken Überzwerg – Theater am Kästnerplatz A. Frank: Fast Faust (D. Desgranges, 08.06.) Schwerin Mecklenburgisches Staats­ theater E. Rostand: Cyrano de Bergerac (A. Quintana, 27.06.) St. Gallen Theater T. Williams: Endstation Sehnsucht (J. Knecht, 07.06.) Stuttgart Altes Schauspielhaus und ­Komödie im Marquardt T. Williams: Die Katze auf dem heißen Blechdach (H. Weiler, 07.06.) Junges Ensemble Y. Y. Önder: Bu sözler bizim – Die Worte gehören uns (A. Wittmiß, 29.06., UA) Schauspiel R. Schimmelpfennig: 100 Songs (R. Schimmelpfennig, 21.06., DEA); F. Dürenmatt: Die Physiker (C. Drexel, 22.06.) Tübingen Landestheater futurzwei (L. Mell, 22.06.) Zimmertheater Überlebens­ kunst. Eine körperlich-klimatische Erfor­ schung (N. Schnei­derbauer, 22.06.) Wiesbaden Hessisches Staatstheater H. El Kurdi: Jenny Hübner greift ein (I. Ries, 16.06.); F. Schiller: Kabale und Liebe (J. Wehner, 16.06.) Zittau Gerhart-Hauptmann-Theater B. Brecht/ K. Weill: Die Dreigroschenoper (D. Szalma, 22.06.) FESTIVAL Baden-Baden Theater 24. Baden-Wüttembergische Theatertage (24.05.–02.06.) Bayreuth studiobühne Sommerspiele der Studiobühne Bayreuth (02.06.–24.08.) Berlin Deutsches Theater Autorentheatertage (24.05.–07.06.) Frankfurt am Main Künstlerhaus Mousonturm F°LAB – Festival for Performing Arts (12.06.–16.06.) Hamburg Thalia Theater Körber Studio Junge Regie (12.06.–16.06.) Lübeck Theater Crossing Border (26.06.– 30.06.) Mannheim Nationaltheater 20. Inter­natio­ nale Schillertage (20.06.–30.06.) Mulhouse Cedex La Filature Langenargener Festspiele (22.06.–04.08.) Wasserburg a. Inn Belacqua Theater 15. Wasserburger Theatertage – Treffen der bayerischen Privattheater (29.05.–09.06.)

TdZ ONLINE EXTRA

www

Täglich aktuelle Premieren finden Sie unter www.theaterderzeit.de


aktuell

/ TdZ  Juni 2019  /

An der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, Institut für Bühnengestaltung, gelangt ab dem Wintersemester 2020/21 eine

Universitätsprofessur für Bühnengestaltung gemäß § 98 des Universitätsgesetzes und § 25 des Kollektivvertrages für die Arbeitnehmer/-innen der Universitäten in Form eines vollbeschäftigten vertraglichen Dienstverhältnisses zur Besetzung. Eine Überzahlung des kollektivvertraglichen monatlichen Mindestentgelts von derzeit 5.130,20 € brutto (14 x jährlich) kann vereinbart werden. Aufgabenbereiche • Lehre insbesondere im zentralen künstlerischen Fach Bühnen- und Kostümgestaltung in der Studienrichtung Bühnengestaltung • verantwortliche Vertretung und Förderung des Fachs in seiner Gesamtheit, insbesondere in der Entwicklung und Erschließung der Künste • Mitarbeit an Organisations-, Verwaltungs- und Evaluierungsaufgaben Spezifische Anstellungserfordernisse • eine erfolgreiche Persönlichkeit, die internationale Erfahrung in allen Sparten des Theaters an führenden Häusern mitbringt und aktiv im künstlerischen Beruf tätig ist • höchste künstlerische Qualifikation für das zu besetzende Fach • eine hervorragende pädagogische sowie didaktische Eignung zu einer exzellenten universitären Lehre aufgrund mehrjähriger Lehrerfahrung im künstlerischen universitären Kontext • eine ausgeprägte Bereitschaft zur Teamarbeit sowie für die Interessen des Instituts und der Universität tätig zu sein Bewerbungen sind bis spätestens 18.07.2019 unter der GZ 20/19 per E-Mail in einem PDF-Dokument an bewerbung-uprof@kug.ac.at zu senden. Sofern erwünscht, können Tonträger bzw. DVDs per Post übermittelt werden. Detailinformation: www.csc-kug.at/jobinfo/kug.html Für das Rektorat Eike Straub

OHNE FEIND KEIN VOLK EIN VOLKSFEIND NACH HENRIK IBSEN

REGIE JO FABIAN AB 25.5.2019 | GROSSES HAUS www.staatstheater-cottbus.de

/ 77 /


/ 78 /

aktuell

/ TdZ Juni 2019  /

TdZ on Tour n 01.06. Lesung „Falk Richter: Ich bin Europa“, Theater Münster n 18.06. Buchvorstellung „Theaterstücke aus Brasilien“, Brasilianische Botschaft in Berlin n 20.09. Buchpremiere „Immer ein Fest für Geist und Sinne. 100 Jahre Landestheater Detmold“, Landestheater Detmold Die Herausgebenden Katharina Schröck, Silvia Stolz, Wolfgang Schneider sowie Stades Bürgermeisterin Silvia Nieber und INTHEGA-Präsident Christian Kreppel (v.l.n.r.) auf der Bühne des Stadeum in Stade. Foto INTHEGA

Wenn vom Theater die Rede ist, geht es meist um den urbanen Raum. Aber auch vorm Deich, auf dem Land und zwischen den

Metropolen

spielt

sich

Weitere Termine und Details unter www.theaterderzeit.de

Dramturgieprofessor Bernd Stegemann, Viola Schmidt und Studierende der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ (v.l.n.r.). Foto Theater der Zeit

Dramati-

sches ab – von Menschen für Menschen, in Bürgerhäusern und auf Dachböden, in Kirchengemeinden und auf Marktplätzen. Die Publikation „Theater in der Provinz – Künstlerische Vielfalt und kulturelle Teilhabe als Programm“ wirft einen konzen­trierten Blick auf den ländlichen Raum in unserer T ­ heaterlandschaft, lässt die Theatermachenden zu Wort kommen und fragt nach den Aufgaben, aber auch den Herausforderungen und Potenzialen. Die Herausgeber Wolfgang Schneider, Katharina M. Schröck und Silvia Stolz stellten das Buch am 6. Mai im Stadeum Kultur- und Tagungszentrum in Stade vor.

Am 7. Mai wurde in der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ das Buch „Mit den Ohren sehen“ prä­ sentiert. In ihrem Praxishandbuch diskutiert Viola Schmidt die theoretischen und praktischen Grundlagen des ­ gestischen Sprechens und veranschaulicht diese durch verschiedene Spiele und Übungen.

Die Intendantin des Schauspiel­ hauses Zürich Barbara Frey. Foto Theater der Zeit

Am 10. April fand in Zürich die Buchpremiere zu „Schauspielhaus Zürich“ statt. Das Buch führt mit Bildern und Texten durch zehn Jahre Theater am Schauspielhaus ­Zürich unter der Intendanz von Barbara Frey, die nun zu Ende geht, und lässt prägende Theaterschaffende und Weggefährten dieser Zeit zu Wort kommen.


impressum/vorschau

/ TdZ  Juni 2019  /

Vorschau

AUTOREN JUNI 2019 Michael Bartsch, freier Journalist und Autor, Dresden Bodo Blitz, Kritiker, Freiburg Otto Paul Burkhardt, Theater- und Musikkritiker, Tübingen Christoph Diem, Regisseur, Braunschweig Irma Dohn, Dramaturgin und Kuratorin, Bonn Natalie Fingerhut, freie Autorin, Hamburg Gottfried Fischborn, Theaterwissenschaftler, Leipzig Henning Fülle, Dramaturg und Kulturforscher, Berlin Judith Gerstenberg, Dramaturgin, Hannover Ralph Hammerthaler, Schriftsteller, Berlin Marcus Hladek, Kulturjournalist, Frankfurt Maximilian Huschke, freier Autor, Leipzig Thomas Irmer, freier Autor, Berlin Sabine Leucht, Journalistin und Theaterkritikerin, München Elisabeth Maier, Journalistin, Esslingen Markus Metke, freier Autor, Potsdam Tom Mustroph, freier Autor, Berlin Dominque Spirgi, Kulturjournalist, Basel Erik Zielke, Lektor, Berlin TdZ ONLINE EXTRA Viten, Porträtfotos und Bibliografien unserer Autorinnen und Autoren finden Sie unter www.theaterderzeit.de/2019/06

www

IMPRESSUM Theater der Zeit Die Zeitschrift für Theater und Politik 1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer und Harald Müller Redaktionsanschrift Winsstraße 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-0 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44 Redaktion Dorte Lena Eilers +49 (0) 30.44 35 28 5-17, Harald Müller (V.i.S.d.P.) +49 (0) 30.44 35 28 5-20, Anja Nioduschewski +49 (0) 30.44 35 28 5-18 redaktion@theaterderzeit.de Dr. Gunnar Decker, Jakob Hayner Mitarbeit Claudia Jürgens, Eva Merkel (Korrektur), Anastasia Klimovskaya (Hospitanz) Verlag: Theater der Zeit GmbH Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@theaterderzeit.de, Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@theaterderzeit.de Verlagsbeirat Dr. Friedrich Dieckmann, Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte, Prof. Heiner Goebbels, Dr. Johannes Odenthal, Kathrin Tiedemann Anzeigen +49 (0) 30.44 35 28 5-20, anzeigen@theaterderzeit.de Gestaltung Gudrun Hommers Bildbearbeitung Holger Herschel Abo / Vertrieb Yann Bachmann, Paula Perschke +49 (0) 30.44 35 28 5-12, abo-vertrieb@theaterderzeit.de Einzelpreis € 8,50 Jahresabonnement € 85,– (Print) / € 75,– (Digital) / 10 Ausgaben + 1 Arbeitsbuch

Arbeitsbuch Luk Perceval hat nach zwanzig Jahren Arbeit im deutschen Theater – von der Berliner Schaubühne über die Münchner Kammerspiele zum Thalia Theater Hamburg – ein großes Kapitel abgeschlossen und mit der Rückkehr nach Belgien zugleich ein neues eröffnet. Das Arbeitsbuch bilanziert Percevals Theaterarbeit und entwirft mit ihm ein wesentliches Modell der Gegenwart: das Künstler­ theater des 21. Jahrhunderts. Langjährige Arbeitspartner wie die Bühnenbildnerinnen Katrin Brack und Annette Kurz und die ­Perceval eng verbundenen Schauspieler Thomas Thieme und ­Patrycia Ziółkowska geben dazu Auskunft.

Preis gültig innerhalb Deutschlands inkl. Versand. Für Lieferungen außerhalb Deutschlands wird zzgl. ein Versandkostenanteil von EUR 25,– berechnet. 20 % Reduzierung des Jahresabonnements für Studierende, Rentner, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises. Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen die Herausgeber. Druck: Kollin Medien GmbH, Neudrossenfeld 74. Jahrgang. Heft Nr. 6, Juni 2019. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft: 03.05.2019

www.theaterderzeit.de Folgen Sie Theater der Zeit auf Twitter und Facebook: www.twitter.com/theaterderzeit www.facebook.com/theaterderzeit

Das Arbeitsbuch erscheint am 1. Juli 2019. Die nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. September 2019.

/ 79 /


Was macht das Theater, Tobias Rehberger? Herr Rehberger, in der Nähe der Bau-

Anders als im ursprünglichen Konzept

grube zum neuen Stuttgarter Tiefbahn-

sind in Ihrer Installation nun Sicher-

hof ­haben Sie eine weitere Grube auf­

heitsgeländer angebaut. Wie kam’s

gebaut, eine begehbare Installation,

dazu?

die „Probegrube“ heißt. Anstelle der

Das ist so nicht ganz richtig. Es gibt

Gleiswüste soll nämlich ein neues

in dem Sinne kein ursprüngliches

Stadtviertel entstehen. Ist Ihre Skulp-

Konzept. Das hat sich ja alles immer

tur ein offenes Architekturmodell für

weiter entwickelt. Wenn Sie von so

dieses geplante Quartier?

etwas sprechen wie den ersten Ent-

Das könnte man so sagen. Sie

würfen: Die waren ja furchtbar lang-

ist aber auch noch ein paar andere

weilig. Da ist man eher froh, dass es

Dinge.

der sogenannte ursprüngliche Entwurf nicht in den Schlossgarten ge-

Dann spekuliere ich mal: Ihre „Probe-

schafft hat. Die Geländer sind natür-

grube“ ist erlebbar als abgetreppte

lich genau richtig so. Denn sie sagen

Landschaft aus schwarzen Klötzen und

etwas über die eigene Existenz der

Blocks. Die aber sind bunt im Tarn­

Skulptur. Nämlich über die Möglich-

farben-Design übermalt mit einer nicht

keit von Skulptur, sich im öffent­

deckungsgleichen, vielfältigen Plan-

lichen Raum in gegebene Lebens-

skizze aus Bäumen, Sportplätzen,

wirklichkeiten einzuklinken. Oder

Häusern, Seen, Bauernhöfen und mehr.

besser, eigentlich über deren Be-

Dystopie oder Utopie?

schränkungen.

Weder noch. Sie ist ja kein düsterer Ihre Installation, die an ein antikes

Entwurf einer immer schlimmeren Zukunft. Aber eben auch keine Utopie. Das ist mir zu ideologisch. Wenn man utopisch sein will, braucht man eine Ideologie. Man muss wissen, auf was die Utopie ausgerichtet sein muss. Mein Vorschlag ist ja fast das Gegenteil. Aber nicht Dystopie als Gegenteil. Sondern eher: fröhlich Unklarheiten und Probleme schaffen, die dann mit Schönheit ausgestopft werden können.

Wem gehört die Stadt? Lautet die Frage des Schauspiels Stuttgart mit Blick auf ein frei werdendes Areal nördlich des neuen Hauptbahnhofs. Der Künstler Tobias Rehberger, u. a. ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen der Biennale in Venedig 2009, hat eine utopisch-urbane Installation geschaffen − die „Probegrube“ im Oberen Schlossgarten: eine überirdische Grube als farbenfrohes Amphitheater, mit dem formal und inhaltlich auf die Baugrube von Stuttgart 21 Bezug genommen und vielleicht sogar die Stadtgesellschaft als Agora versammelt wird. Begehbar seit dem 17. Mai noch bis zum 4. Juli. Foto Swatch

Amphitheater erinnert, steht direkt vor dem Schauspielhaus. Was sind die theatralischen Aspekte dieser Skulptur? Da muss ich jetzt aufpassen, weil ich im Theater nicht genügend zu Hause bin, um mich begrifflich ­sicher zu bewegen. Aber außer dass die frühen Theater tatsächlich auch in Gruben gebaut wurden, also in Landschaftssenken und andere Vertiefungen, ist das Theater ja immer

„New Landscapes Show Up In The

schon das Loch, in das die Wirklich-

­Unlikeliest Places“, lautet der Unter­

keit hineingeschubst wird, um dann

titel Ihrer Installation. Ist sie auch eine

kräftig durchgerührt zu werden,

Art Empowerment, über die Möglichkeiten von

tur. Aber eine Skulptur, die auch noch ein

­damit sie in dem Loch auch einmal anders

Stadtplanung neu nachzudenken?

Architekturmodell ist. Und auch ein Spiel-

angeschaut werden kann.

Absolut. Sie soll einem die Möglichkeit ge-

platz und ein komischer Klops und nicht zu-

ben, über den eigenen Grubenrand hinaus­

letzt ja auch ein Theaterstück.

Wäre die Installation auch als Bühne, als ­bespielbarer Ort, als Debattenforum denkbar?

zuschauen, um dann festzustellen, hoppla, nebenan sind ja auch Löcher. Das ist ja ei-

Was sagen Sie dazu, wenn Ihre „Probegrube“ im

gentlich alles gar nicht so klar, wie es tut.

frequentierten Schlosspark auch ganz einfach

Genau das ist sie auch. Unbedingt.

als Abenteuerspielplatz genutzt wird?

Ganz unten, am tiefsten Punkt Ihrer bunten

Sie nannten Ihre Skulptur auch schon mal einen

Da sage ich, das kann man machen. Wenn

­Installation, findet sich eine rätselhafte graue

„komischen Klops“. Wo im Niemandsland zwi-

einen nichts anderes daran interessiert, dann

Fläche. Was hat es damit auf sich?

schen Kunst, Design und Architektur bewegt sie

ist das vielleicht etwas zu kurz gesprungen.

Das ist natürlich der Raum für die Lange­

sich?

Aber da kommt man dann halt nicht weiter.

weile. Wenn man es schafft, Langeweile her-

Nur weil etwas ein komischer Klops ist, muss

Ist man aber selbst verantwortlich dafür. Nur

zustellen, dann ist man genau dort, wo einem

sich das noch nicht im Niemandsland bewe-

auf das mit dem Abenteuer wäre ich selbst

am meisten einfällt. //

gen. Es ist natürlich zuallererst einmal Skulp-

nicht gekommen.

Die Fragen stellte Otto Paul Burkhardt.


klosterruine

berlin

Creamcake: Paradise Found [Sound] 7. 6., 18 Uhr Kara-Lis Coverdale Cool For You PLAYGROUND – Lamin Fofana for accepting your mortality Judith Sönnicken 25. 5. – 31. 10. [Exhibition] 27. 7., 18 Uhr Katrīna Neiburga & Bendik Giske Andris Eglītis mit/with Nile Koetting Jānis Noviks Cucina Povera Michelle Woods Cruising the End Times 17. 8., 18 Uhr Dorian Electra [Performance] i.Ruuu 20. 7., 20 Uhr Shygirl School of Extinction + Ephemeral Harms 7. 9., 18 : 30 Uhr Ariel Efraim Ashbel and Friends 14. 9., 20 Uhr Klosterstraße 73a, 10179 Berlin Young Boy Öffnungszeiten / Opening Hours: Dancing Group April – Oktober, Mo – So 10 –18 Uhr Eintritt frei / Admission free www.klosterruine.berlin


© Maxime Ballesteros

16.8.2019 BAAL von Bertolt Brecht, Regie: Ersan Mondtag, Premiere 6.9.2019 MÜTTER UND SÖHNE von Karen Breece, Regie: Karen Breece, Uraufführung 20.9.2019 DIE MÖGLICHKEIT EINER INSEL von Michel Houellebecq, Regie: Robert Borgmann, Premiere 9.10.2019 PUSSY – EINE ODE AN DIE MÄNNLICHKEIT von Stephanie van Batum, Regie: Stephanie van Batum, Urauff ührung 14.11.2019 GLAUBE UND HEIMAT von Karl Schönherr, Regie: Michael Thalheimer, Premiere 5.12.2019 STUNDE DER HOCHSTAPLER von Alexander Eisenach, Regie: Alexander Eisenach, Urauff ührung 13.12.2019 EINE INSZENIERUNG mit Studierenden der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Regie: Alexander Simon, Premiere 9.1.2020 DREI MAL LEBEN von Yasmina Reza, Regie: Andrea Breth, Premiere 16.1.2020 UBU REX von Stef Lernous nach Alfred Jarry, Regie: Stef Lernous, Urauff ührung 13.2.2020 KATZELMACHER von Rainer Werner Fassbinder, Regie: Michael Thalheimer, Premiere 21.2.2020 FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE von Erich Kästner, Regie: Frank Castorf, Premiere 28.3.2020 GOTT IST NICHT SCHÜCHTERN von Olga Grjasnowa, Regie: Laura Linnenbaum, Urauff ührung 2.4.2020 GOTT von Ferdinand von Schirach, Regie: Oliver Reese, Urauff ührung 25.4.2020 BERLAU :: KÖNIGREICH DER GEISTER Eine szenische 360°-Installation von Male Günther, Lothar Kittstein und Bernhard Mikeska (RAUM+ZEIT), Regie: Bernhard Mikeska, Urauff ührung 7.5.2020 WWW.BERLINER-ENSEMBLE.DE

Domenik Wolf (Videoabteilung), Marija Obradovic (Garderobe), Judith Engel (Ensemble), Maria Bergner (Beleuchtung)

SPIELZEIT 2019/20 FELIX KRULL – STUNDE DER HOCHSTAPLER nach Thomas Mann, Regie/Bearbeitung: Alexander Eisenach, Premiere


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.