Österreich: Kunst und Politik / Die Burschenschaft Hysteria / Kunstinsert: Litauen auf der Biennale Venedig Porträt: Ofira Henig / Abschied: Johann Kresnik und Gerlind Reinshagen / Kolumne Josef Bierbichler
EUR 8,50 / CHF 10 / www.theaterderzeit.de
September 2019 • Heft Nr. 9
Miser Felix Austria
Martin Kušej über seinen Start am Burgtheater
guckst du!
www.staatsschauspiel-dresden.de
SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH 2019 /2020 Das Internet
Inszenierung / Staging: Alexander Giesche Zürich-Premiere: August 2019 Verschiedene Orte in Zürich / Different places in Zurich
Flex
Angeregt durch Texte von / Inspired by texts by Laurie Penny u.v.a. / and many others Inszenierung / Staging: Suna Gürler Schauspielhaus-Premiere: 11. September 2019 Schiffbau-Box
Wunschkonzert
Moved by the Motion (Composition Ⅰ, Ⅱ & Ⅲ)
Von / By: Moved by the Motion (Wu Tsang & boychild mit / with Josh Johnson, Asma Maroof) sowie weiteren Ensemblemitgliedern des Schauspielhaus Zürich / and other members of the Schauspielhaus Zurich ensemble Uraufführung / World creation: Daten und Orte folgen / Dates and venues to be announced
Greta
Von / By: Franz Xaver Kroetz Inszenierung / Staging: Yana Ross Zürich-Premiere: 11. September 2019 Schiffbau-Halle
Klassenzimmerstück / A Classroom Play Inszenierung / Staging: Suna Gürler Uraufführung / Worldcreation: Oktober / October 2019 Orte folgen / Venues to be announced
Miranda Julys Der erste fiese Typ
Schneewittchen
Nach dem Roman von / After the novel by Miranda July Inszenierung / Staging: Christopher Rüping Zürich-Premiere: 12. September 2019 Pfauen
Sudden Rise
Von / By: Moved by the Motion (Wu Tsang & boychild mit / with Patrick Belaga, Josh Johnson, Asma Maroof) Zürich-Premiere: 13. September 2019 Pfauen
Faust Ⅰ & Ⅱ
Von / By: Johann Wolfgang von Goethe Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Zürich-Premiere: 14. September 2019 Pfauen
Kasimir und Karoline
Von / By: Ödön von Horváth Inszenierung / Staging: Leonie Böhm Zürich-Premiere: 15. September 2019 Schiffbau-Box
In the Mood for Frankie
Inszenierung / Staging & Choreografie / Choreography: Trajal Harrell Zürich-Premiere: 15. September 2019 Schiffbau-Halle
Orest in Mossul Inszenierung / Staging: Milo Rau Zürich-Premiere: 5. Oktober / October 2019 Pfauen
Früchte des Zorns Nach / After: John Steinbeck Inszenierung / Staging: Christopher Rüping Schweizer Erstaufführung / Swiss premiere: 25. Oktober / October 2019 Pfauen
Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Premiere: 10. November 2019 Pfauen
Juliet & Romeo
Inszenierung / Staging & Choreografie / Choreography: Trajal Harrell Zürich-Premiere: Dezember / December 2019 Schiffbau-Box
Der Kirschgarten Nach / After: Anton Tschechow Inszenierung / Staging: Yana Ross Premiere: 14. Dezember / December 2019 Pfauen
Der Streik
Nach dem Roman / After the novel Atlas Shrugged von / by Ayn Rand Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Schweizer Erstaufführung / Swiss premiere: 12. Januar / January 2020 Schiffbau-Halle
Der Mensch erscheint im Holozän
Ein Visual Poem nach / A visual poem after Max Frisch Inszenierung / Staging: Alexander Giesche Premiere: 18. Januar / January 2020 Pfauen
I’m Wide Awake, It’s Spring
Nach / After Frühlings Erwachen von / by Frank Wedekind Inszenierung / Staging: Suna Gürler Uraufführung / World Creation: 31. Januar / January 2020 Schiffbau-Box
Plattform / Unterwerfung
Von / By: Michel Houellebecq Inszenierung / Staging: Johan Simons Zürich-Premiere: Februar / February 2020 Pfauen
neu.schauspielhaus.ch
Leonce & Lena / Ödipus / Romeo & Julia … Inszenierung / Staging: Leonie Böhm Premiere: 12. März / March 2020 Schiffbau-Box
Das Weinen (Das Wähnen)
Nach Texten von / Based on texts by Dieter Roth Inszenierung / Staging: Christoph Marthaler Uraufführung / World creation: 14. März / March 2020 Pfauen
The Deathbed of Katherine Dunham
Inszenierung / Staging & Choreografie / Choreography: Trajal Harrell Uraufführung / World creation: März / March 2020 Kunsthalle Zürich
Eine neue Inszenierung / A new work
Inszenierung / Staging: Christopher Rüping Premiere: 24. April 2020 Schiffbau-Halle
Mein Jahr der Ruhe und Entspannung Nach dem Roman von / After the novel by Ottessa Moshfegh Inszenierung / Staging: Yana Ross Uraufführung / World creation: 30. April 2020 Pfauen
Wut
Von / By: Elfriede Jelinek Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Zürich-Premiere: Datum und Ort folgen / Dates and venues to be announced
Julia / What if they went to Moscow? / The Walking Forest Nach / After: August Strindberg, Anton Tschechow & William Shakespeare Inszenierung / Staging: Christiane Jatahy Schauspielhaus-Premiere: Mai / May 2020 Schiffbau-Box
The show’s over (AT) Film von / by: Wu Tsang Uraufführung / World creation: Juni / June 2020 Pfauen
New Beginnings Inszenierung / Staging: Alexander Giesche Zürich-Premiere: 11. Juni / June 2020 Schiffbau-Box
Düsseldorfer Schauspielhaus — Junges Schauspiel — Bürgerbühne — Die Premieren der Spielzeit 2019/20 — Schauspielhaus — Central — Münsterstraße 446 — in der Stadt — www.dhaus.de
Wir sind zurück im Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz mit — 20.9. Dantons Tod von Georg Büchner, R: Armin Petras — 22.9. Bungalow von Helene Hegemann, R: Simon Solberg, UA — 19.10. Das Dschungelbuch von Rudyard Kipling, Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson, Musik: CocoRosie — 3.11. Linda von Penelope Skinner, R: Marius von Mayenburg, DSE — 15.11. Die Entdeckung des Himmels von Harry Mulisch, R: Matthias Hartmann, DSE — 7.12. Parzival (to go) von Wolfram von Eschenbach, R: Robert Lehniger — 14.12. Henry VI. & Margaretha di Napoli nach William Shakespeare von Tom Lanoye, R: David Bösch — 16.1. Leben des Galilei von Bertolt Brecht /Hanns Eisler, R: Roger Vontobel — 25.1. I build my time Ein Liederabend von André Kaczmarczyk mit dem Ensemble, UA — Februar Lulu von Frank Wedekind, R: Bernadette Sonnenbichler — Februar letztes Licht.Territorium von Thomas Freyer, R: Jan Gehler, UA — März Ein Traumspiel von August Strindberg, R: Andreas Kriegenburg — 25.4. Gott von Ferdinand von Schirach, R: Robert Gerloff, UA — April Volksfeind for Future nach Henrik Ibsen mit Aktivist*innen der Klimabewegung, R: Volker Lösch, UA — Mai Eine südafrikanisch-deutsche Koproduktion UA, im Rahmen des Festivals Theater der Welt 2020 — Juni Maria Stuart von Friedrich Schiller, R: Laura Linnenbaum Das Junge Schauspiel lädt ein zu — 15.9. Der kleine Prinz und die Krähe von Martin Baltscheit, R: Frank Hörner, UA — 26.9. Mit der Faust in die Welt schlagen von Lukas Rietzschel, R: Martin Grünheit — 9.11. Antigone von Sophokles, R: Liesbeth Coltof — 17.11. Das doppelte Lottchen von Erich Kästner, Kinder- und Familienstück, R: Robert Gerloff — Februar The Treasure/Der Schatz von Amauri Falseti, R: Kenjiro Otani, UA — Februar Was die Sonne nachts macht R: Paul Jumin Hoffmann und Anke Retzlaff, UA — März Ein Sommer in Sommerby von Kirsten Boie, R: Juliane Kann, UA — Mai Glücksritter Eine interaktive Weltentdeckung, R: Uli Jäckle, UA Die Bürgerbühne zeigt — 28.9. Was ihr wollt nach William Shakespeare, R: Joanna Praml — Januar Blick zurück nach vorn Familienchroniken gegen das Vergessen, R: Christof Seeger-Zurmühlen, UA — Juni O Fortuna! R: Felix Krakau, UA Jubiläum — 16. bis 26. Januar Fünfzig Jahre Düsseldorfer Schauspielhaus Internationales Theaterfestival — 14. bis 31. Mai Theater der Welt 2020
editorial
/ TdZ September 2019 /
C
ome to Austria Country. Come to where the flavor is. Der Western ist, in seiner traditionellen Variante, das Reich der Alphamännchen. Ihr Revier ist der Wilde Westen, denn die Gesetze, die hier herrschen, gelten natürlich auf gar keinen Fall für sie. Mit gestählten Mustangs brettern sie durch die Straßen, im unerschütterlichen Glauben, sie hätten alles im Griff. Solche Alphamännchen gibt es viele. Reichlich übel wird es, stoßen sie in die Sphären der Politik vor. Dort sitzen sie dann, all die Trumps, Orbáns und Straches, und schwenken statt dicker Bohnen dicke Eier am Feuer. So gesehen, schreibt unsere Österreich-Korrespondentin Margarete Affenzeller, muss es wohl die Faszination am Grauen sein, dass Tausende Fans Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache trotz Ibiza-Skandal ihre weitere Unterstützung zusagen. Aber auch die ÖVP sitzt nach Bekanntwerden eines delikaten Videos, aufgenommen in einer Schredder-Firma, vor den vorzeitigen Neuwahlen am 29. September fest im Sattel. In unserem Schwerpunkt Österreich vor der Wahl haben wir mit dem neuen Chef des Burg theaters Martin Kušej über Theater als Opposition gesprochen. Er sei, sagt er im Gespräch mit Christoph Leibold, als Kärntner Slowene per se ein rotes Tuch für die FPÖ. Daher mache er sich für die Zeit nach der Wahl auf einen steifen Wind gefasst. Er werde kein Blatt vor den Mund nehmen. Aber die Erwartung, sozusagen Oppositionsarbeit zu leisten, sei ihm zu groß. Ob der Hauptsponsor des Burgtheaters, Casinos Austria, in einer Inszenierung verdeckt unter die Lupe genommen wird, bleibt demnach abzuwarten. Der Glücksspielkonzern stehe, wie Zeitungen (leider nach Redaktionsschluss d ieser Ausgabe) Mitte August berichteten, in Zusammenhang mit Ermittlungen der Wiener Staatsanwaltschaft gegen Strache und Johann Gudenus. Angeblich sei, wie der Standard schreibt, der FPÖ-Politiker Peter Sidlo nur aufgrund von Mauscheleien der Partei in dessen Vorstand aufgerückt. Dass der abgehalfterte Cowboy Martin Wuttke in René Polleschs „Deponie Highfield“ am Akademietheater Wien ständig Lipizza und Ibiza verwechselt, wie Margarete Affenzeller berichtet, ist daher möglicherweise mehr als ein Gag. Sollte man also, zitiert Theresa Luise Gindlstrasser die Wiener Burschenschaft Hysteria, das Männerwahlrecht ganz abschaffen? Wahlanalysen würden jedenfalls zeigen, dass vor allem Männer rechte Parteien wählen. Ein weiteres Herzstück der Septemberausgabe sind die Porträts dreier großartiger Regisseurinnen: Jakob Hayner beschreibt die textgenauen, spannungsreich schwebenden Inszenierungen von Anne Lenk, Gunnar Decker blickt auf die Ära der Dresdner Bürgerbühnen-Leiterin Miriam Tscholl zurück, und Renate Klett stellt die unverbrüchlich unkorrumpierten Arbeiten der israelischen Regisseurin Ofira Henig vor, die aufgrund ihrer politischen Stücke zunehmend Schwierigkeiten hat, in Israel zu inszenieren, dafür aber im September bei der Ruhrtriennale zu Gast sein wird. Ähnlich wie diese präzise die conditio humana entschlüsselnden Theatermacherinnen treten die Gewinnerinnen des Goldenen Löwen bei der diesjährigen Venedig Biennale hervor. Auf Sand und unter künstlicher Sonne erschufen die drei Litauerinnen Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė in ihrer zeitkritischen Opernperformance „Sun & Sea (Marina)“, so Anja Nioduschewski, „ein vielgestaltiges und paradoxes Bild vom seelischen und sozialen Nirwana unserer kapitalistischen und konsumistischen Lebensweise und vom Raubbau des Anthropozäns an der Natur“. Ob der Dramatiker Oliver Kluck als Naturkatastrophe oder Kulturkatastrophe wieder Einzug ins Theater hält, ist derweil noch nicht ganz klar. Fakt ist: Wir freuen uns sehr, mit „Baader Panik“ sein jüngstes Stück in diesem Heft veröffentlichen zu können. Erik Zielke hat mit Kluck gesprochen, der seine nächste Premiere gerne in Wien hätte. Der Gasthäuser wegen. Verabschieden musste sich die österreichische Landeshauptstadt in diesem Jahr von Johann Kresnik, der noch im Juli mit seinem „Macbeth“ das dortige ImPulsTanz-Festival eröffnete. Klaus Pierwoß erinnert an den Ende Juli verstorbenen Unbestechlichen des politischen Tanztheaters. Schmerzlich fehlen wird auch die Schriftstellerin Gerlind Reinshagen, die dem Theater auf unprätentiöse Weise unvergessliche Stücke schenkte. Erst jüngst, schreibt Renate Klett in ihrem Nachruf, hatte sie sich nach zahlreichen Romanen wieder dem Theater zugewandt und wollte unbedingt etwas mit Chören machen. Wie der Chor der vielen in Europa aussehen müsste, beschreibt Josef Bierbichler. In seiner Kolumne erinnert er an das Manifest von Ventotene, das statt eines Europas der Konzerne ein Europa der Völker postuliert. // Die Redaktion
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Inhalt September 2019 thema österreich vor der wahl
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Margarete Affenzeller Anale Phase Österreichs Künstler und die Polit-Malaise – Ein Land zwischen Ibiza-Skandal und Nationalratswahl
22 Als Kärntner Slowene bin ich ein rotes Tuch Der neue Burgtheater-Intendant Martin Kušej über den steifen Wind aus Richtung der FPÖ und sein Gegenprogramm eines Theaters der kulturellen Vielfalt im Gespräch mit Christoph Leibold 26 Theresa Luise Gindlstrasser 112 Jahre Männerwahlrecht waren dumm Die Wiener Burschenschaft Hysteria dringt ein ins Herz der rechtsextremen Finsternis
künstlerinsert
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„Sun & Sea (Marina)“ von Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė auf der Biennale Venedig 2019
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Anja Nioduschewski Konsum der Welt Die litauischen Künstlerinnen Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė erzählen in „Sun & Sea (Marina)“ auf der Biennale in Venedig vom Burn-out der Gesellschaft – und des Planeten
kolumne
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Josef Bierbichler Die drei von Ventotene Über den Ursprung der europäischen Idee als ein Europa der Völker
protagonisten
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Klaus Pierwoß Die Zehn Gebote radikaler Theaterkunst Im Gedenken an den Choreografen, Tänzer und Regisseur Johann Kresnik
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Renate Klett Wiedererkennen und Explosion Erinnerungen an die Schriftstellerin und Dramatikerin Gerlind Reinshagen
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Jakob Hayner Wie schwebend Für Regisseurin Anne Lenk ist eine Theaterarbeit dann geglückt, wenn man die Regie fast vergisst und Schauspiel, Text und Raum zusammenfinden – ein Porträt
42
Gunnar Deckert Verführerin zum eigenen Tod Miriam Tscholl provoziert mit der Dresdner Bürgerbühne bewusst gesellschaftliche Durchmischungen – nach zehn Jahren gibt sie nun die Leitung dieses Erfolgsprojekts ab
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Renate Klett Wir spielen nicht Kooperation Warum die israelische Regisseurin Ofira Henig in ihrem Heimatland überall aneckt und lieber frei arbeitet als mit staatlichen Geldern. Ein Porträt
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Renate Klett Als die Erde ein Garten war Das Teatro delle Albe erforscht mit Dante die Kulturhauptstadt Matera
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Anastasia Klimovskaya Ode an die innere Freiheit Kirill Serebrennikovs „Outside“ beim Theaterfestival in Avignon
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Margarete Affenzeller In den Ruinen Europas Phia Ménard und ihre Compagnie Non Nova verblüffen mit „Contes Immoraux“ bei den Wiener Festwochen
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festivals
PREMIEREN SCHAUSPIEL SPIELZEIT 2019/20 Liebe / Eine argumentative Übung von Sivan Ben Yishai Uraufführung Regie: Jakob Weiss Do, 26. September 2019 Studio Werkhaus Die Orestie von Aischylos Regie: Philipp Rosendahl Fr, 27. September 2019 Schauspielhaus Warten auf Godot von Samuel Beckett Regie: Sandra Strunz Sa, 19. Oktober 2019 Schauspielhaus Drüben und Drüben Theaterspaziergang nach dem Roman von David Wagner und Jochen Schmidt Mannheimer Stadtensemble Uraufführung Künstlerische Leitung: Beata Anna Schmutz Do, 7. November 2019 Warum läuft Herr R. Amok? & Die Sehnsucht der Veronika Voss von Rainer Werner Fassbinder Regie: Leonie Thies, Jennifer Peterson Do, 28. November 2019 Studio Werkhaus
Die Möwe Komödie von Anton Tschechow Regie: Christian Weise Fr, 29. November 2019 Schauspielhaus Ellbogen nach dem Roman von Fatma Aydemir Regie: Selen Kara Sa, 18. Januar 2020 Schauspielhaus Hundeherz nach der Erzählung von Michail Bulgakow Regie: Christoph Bornmüller Januar 2020 Studio Werkhaus Bataillon von Enis Maci Uraufführung | Auftragswerk Regie: Marie Bues Januar 2020 Studio Werkhaus Siebenundzwanzig Jahre Klimarequiem von Gernot Grünewald Uraufführung Regie: Gernot Grünewald Sa, 14. März 2020 Schauspielhaus Menschenfeind / Triumph der Liebe von Soeren Voima nach Molière und Pierre Carlet de Marivaux Regie: Christian Weise Fr, 27. März 2020 Schauspielhaus
Sex – Die halbe Wahrheit Männerabend von Daniel Cremer Uraufführung Regie: Daniel Cremer März 2020 Studio Werkhaus Wir sind so frei Interaktive Stadtrundfahrt Mannheimer Stadtensemble Uraufführung Künstlerische Leitung: Beata Anna Schmutz April 2020 Meine geniale Freundin – Teil 2 nach den Romanen von Elena Ferrante Deutschsprachige Erstaufführung Regie: Felicitas Brucker Sa, 16. Mai 2020 Schauspielhaus Krankheit oder moderne Frauen von Elfriede Jelinek Regie: Claudia Bauer Fr, 29. Mai 2020 Schauspielhaus King Kong Theaterabend über einen Mythos Regie: Nick Hartnagel Juni 2020 Studio Werkhaus
Christoph Bornmüller in »Ansichten eines Clowns«
Kartentelefon 0621 1680 150 | www.nationaltheater.de
inhalt
/ TdZ September 2019 /
festivals
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Back to the Roots Markéta Fantová, Künstlerische Leiterin der 14. Prager Quadriennale, über die Rückkehr der Szenografie zur Theaterpraxis im Gespräch mit Thomas Irmer
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Theresa Schütz The Stage Is Yours Die Theaterformen in Hannover beschwören mit einer Vielzahl partizipativer Projekte die offene Gesellschaft – und landen dabei leider auch beim Betroffenheitsdiktat
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Martin Krumbholz Bomben zu Kunst Zwischen schwer erträglich und beinahe lieblich: Beim diesjährigen Impulse Theater Festival in Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr ist die ästhetische Spanne wieder groß
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Bodo Blitz Gesunder Wahnsinn Die Schauspielerin Rosa Thormeyer verkörpert auf der Bühne paradoxe Gegensätze zwischen Brutalität und Zauber
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Michael Bartsch Einfach nur machen! Die junge Dresdner Schauspielerin Luise Aschenbrenner war nie scharf auf eine Bühnenkarriere
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Theaterarbeit als Kulturkatastrophe Der Autor Oliver Kluck über sein Stück „Baader Panik“ im Gespräch mit Erik Zielke
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Oliver Kluck Baader Panik
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Mit der Welt auf Augenhöhe Mit der Werkschau XCHANGES auf Kampnagel Hamburg geht das Förderprogramm „Szenenwechsel“ des ITI und der Robert-Bosch-Stiftung zu Ende Theater als Common Space Das FFT Düsseldorf feiert zwanzigjähriges Jubiläum Häuserkampf in Technohouse-City Das Performing Arts Festival bezog mit dem Haus der Statistik eines der spannendsten Bauprojekte Berlins – diskutierte dann aber nur wenig über Gentrifizierung Die Kraft des Ensembles 40 Jahre Theater Waidspeicher Erfurt Geschichten vom Herrn H. Adornos Flaschenpost Risse in der glänzenden Fassade Die Baden-Württembergischen Theatertage legen Konfliktpotenziale offen und hinterfragen dabei das Elitäre in der Kultur Sternstunden der traurigen Gestalten Ulrich Matthes und Wolfram Koch zaubern bei den Bregenzer Festspielen mit Regisseur Jan Bosse einen „Don Quijote“ aus der Kiste Zwischen Schlosskatze und Hofhühnern Das Schloss Bröllin in Vorpommern bietet Raum und Ruhe für künstlerische Forschung Dreiländereck als europäische Bühne Das trinationale J-O-Ś-Festival am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau erweitert seinen Radius Fontane mehrgleisig Die neue Bühne Senftenberg springt mit ihrem Theaterspektakel auf den Fontane-Jubiläums-Zug auf Talentproben Das International Performing Arts Festival Outnow! in Bremen – eine virile Plattform für den Nachwuchs Neugieriger Beobachter und Begleiter Zum Tod des Theaterleiters und Festivalkurators Bernd Mand Bursche von unendlichem Humor Der Dramatiker, Hörspielautor, Übersetzer und Essayist Joachim Knauth ist tot Bücher Peter W. Marx, Clemens Bach, Jana Dolečki, Senad Halilbašić und Stefan Hulfeld
62
look out
stück
magazin 94
aktuell
was macht das theater?
114
Meldungen
116
Premieren im September 2019
118
TdZ on Tour in Prag, Braunschweig und Berlin
119
Autoren, Impressum, Vorschau
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Edmond Budina im Gespräch mit Tom Mustroph
Titelfoto: Martin Kušej. Foto Christopher Mavrič
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Fotos David Baltzer / bildbuehne.de
Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė: „Sun & Sea (Marina)“, Biennale Venedig 2019.
Konsum der Welt Die litauischen Künstlerinnen Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė erzählen in „Sun & Sea (Marina)“ auf der Biennale in Venedig vom Burn-out der Gesellschaft – und des Planeten von Anja Nioduschewski
E
in fast sirenenhafter Chorgesang mit dem unleugbaren otenzial, einen einzulullen, von suggestiver musikalischer EinP fachheit. „This year the sea is as green as the forest“, eine Liedzeile, langsam sich auf Endsilben ausruhend. Doch wie bei den mythologischen Sirenen ist Aufmerksamkeit geboten: U nter dem gleißenden Licht riesiger Lampen, die in einer alten L agerhalle über einem künstlich aufgeschütteten Sandstrand h ängen, wird von den dort auf Badehandtüchern dösenden Sonnenanbetern der Burn-out des Planeten besungen. Die zeitkritische Opernperformance „Sun & Sea (Marina)“ der litauischen Künstlerinnen Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė war der diesjährige Überraschungssieger auf der Biennale in Venedig: Das Trio gewann den Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag. Seitdem strömen unzählige Besucher in das alte Gebäude im Militärhafen vis-à-vis des Arsenale-Geländes, um dort auf einer umlaufenden Empore aus der Vogelperspektive die unter ihnen im Sand liegenden Performer zu betrachteten und ihrem Gesang zu lauschen, der nach circa siebzig Minuten stets übergangslos in eine nächste Wiederholung geht und über acht Stunden seinen Sog entwickelt. Ein seeeehr langer Tag am Strand.
Was sich da unten im Sand paniert und unter der künstlichen Sonne brutzelt, ist ein „fleischliches Tableau vivant“, ein Abbild unserer Gesellschaft, Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, alt, jung, männlich oder weiblich, ein demografischer Querschnitt, auch von Körperlichkeit. Sie lagern ihre Körper so oder so, blättern in Büchern, daddeln auf ihrem Smartphone herum, stricken, spielen Karten, Boccia, Federball, cremen sich ein, essen ihr in Plastikdosen portioniertes Obst, führen Gespräche oder ihren Hund Gassi und schütteln immer mal wieder den Sand von ihren Handtüchern. Aus diesem Tun und bloßen Strand-Dasein erhebt sich ihr Gesang: Es sind Gedanken, die ihnen durch den Kopf gehen, kleine Geschichten, Alltagsbanalitäten, Träume, Reflexionen. Auf das echauffiert hervorgebellte Klagelied einer Frau über den mit Hundescheiße und Essensresten verdreckten Strand folgt der elegische Song eines Workaholics über seine Dauererschöpfung, eine reiche Mutter ergeht sich in der Aufzählung der Weltmeere, in denen ihr Sohn schon gebadet hat, während ein Fernbeziehungspaar den Alltag zwischen Frühstück, Gaslieferung und Abflug in einem Duett klärt. Sehr schön: die gesungenen Inhalts angaben einer Sonnencreme-Flasche. Anarchisch gut: die unkon trolliert bellenden Statisten-Hunde. In all ihren Haltungen und Handlungen liefern die Sänger keine Performance, sie sind nur Sonnenbader, denen im stoischen
V.l.n.r.: Lina Lapelytė, Rugilė Barzdžiukaitė und Vaiva Grainytė. Foto Andrej Vasilenko
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/ TdZ September 2019 /
Liegen und Wenden, beim Abstreifen klebrigen Sands von der verschwitzten Haut der Gesang entweicht, in auf- und absteigenden Dreiklängen von Keyboard-Sounds begleitet. Arien, Songs, Chorpassagen. In der Dauerschleife eines Tages wirken sie wie ein Mantra. Die innere Gedankenwelt der Einzelnen setzt sich sukzessive zu einer geistig-moralischen Landkarte der Jetztzeit zusammen, die ein vielgestaltiges und paradoxes Bild vom seelischen und sozialen Nirwana unserer kapitalistischen und konsumistischen Lebens weise und vom Raubbau des Anthropozäns an der Natur zeichnet. Barzdžiukaitė, Grainytė und Lapelytė tun das auf sehr leichte und ironische Weise, lassen ihre philosophischen Betrachtungen über den Zustand unserer Kultur stets nur kurz ansingen. Sie forcieren keine Endzeitstimmung, zeigen uns aber in der Kombination von faulem Freizeitspaß und kurzen Reflexionen über unseren zer störerischen Lebensstil den Tanz auf dem Vulkan der Klima katastrophe – die hier aussieht wie eine endogene Apokalypse. „Sun & Sea (Marina)“ war erst die zweite gemeinsame Produktion der drei Litauerinnen, die sonst als Einzelkünstlerinnen unterwegs sind. Seit 2010 arbeiten sie zusammen. Rugilė Barzdžiukaitė als Regisseurin, Vaiva Grainytė als Librettistin und Lina Lapelytė als Komponistin. „Aber wenn wir zusammenkommen, verlieren wir unsere Autonomie. Jede von uns bringt eine bestimmte Fähigkeit in unsere Konstellation ein, und doch beeinflussen wir alle drei die Dramaturgie, die Musik und die Insze nierung“, betonte Rugilė Barzdžiukaitė anlässlich der Dresdner Premiere. Der meist jahrelange Entwicklungsprozess ihrer Arbeiten ist bestimmt vom Fehlen jeglicher Hierarchie, gegenseitiger Einmischung und Kritik. Vor allem aber speist sich diese Arbeitsweise aus ihren eigenen interdisziplinären Interessen: Die ausgebildete Theaterregisseurin und Filmemacherin Rugilė Barzdžiukaitė springt zwischen ambitionierten dokumentarischen Filmen und der Theaterarbeit hin und her. Ihr grandioser jüngster Film „Acid Forest“ (2018) zeigt fast Hitchcock-artig einen durch den säurehaltigen Vogelkot unter Naturschutz stehender Kormorane komplett skelettierten Wald als eine Paradoxie von nicht zu vereinbarendem Arten- und Umweltschutz. Den kompositorischen Arbeiten von Lina Lapelytė, die sowohl Musik als auch Bildhauerei studierte, ist die performative Präsentation, die auf das Sichtbarmachen des Hörens abzielt, stets inhärent: „Für mich ist Musik eine visuelle Kunst“ – die ihren Aufführungsort eher in Galerien findet. Die Schriftstellerin Vaiva Grainytė arbeitet auch jenseits dieser Teamarbeit in Theaterprojekten. Der literarische Ansatz, der ihr lyrisches Werk bestimmt, prägt in seiner Verdichtung von Alltag in surrealer Poetik auch „Sun & Sea (Marina)“. Die Stärke der interdisziplinären Zusammenarbeit des Künstlerinnentrios liegt jedoch darin, dass sie die Spannungsverhältnisse zwischen den Genres und Inhalten niemals an eine Synthese verraten, sondern aufrechterhalten. Deshalb erstaunt es auch nicht, dass die Biennale-Jury in ihrer Begründung hier eine „Brecht-Oper“ aufgeführt sieht. Ihr gemeinsamer Venedig-Beitrag hat quasi eine deutsche Vorgeschichte: Sie entwickelten die Idee 2016/17 während eines Aufenthaltsstipendiums in der Akademie Schloss Solitude. Eine erste Vorform präsentierten sie damals in der Palermo Galerie in Stuttgart. 2017 folgte die offizielle Premiere am Staatstheater Braunschweig, später wurde das Stück auch in Litauen, beim
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heaterfestival Sirenos in Vilnius, aufgeführt. Im vergangenen T Jahr produzierten sie am Staatsschauspiel Dresden zudem eine deutsch gesungene Version. Für Venedig entstand schließlich eine englische Langfassung, die die Gesangsparts weniger dicht setzt, um den Sängern innerhalb der achtstündigen Performance die Möglichkeit zu geben, auch mal von der Szene zu verschwinden. Der Goldene Löwe war auch insofern überraschend, als bis dato noch nie ein bereits fertiges Kunstwerk prämiert wurde. Die erste gemeinsame Arbeit der drei, die minimalistische Oper für zehn Kassiererinnen, Supermarktgeräusche und Klavier „Have a Good Day!“ kam 2013 heraus, erhielt unzählige Festivaleinladungen rund um den Globus und sechs internationale Preise. Schon hier ließ sich ihre Herangehensweise, die Poetik, Realität, Fiktion und Reflexion ineinandersetzt, beobachten. Auch das Prinzip des Hineinhörens in den inner stream of consciousness einer Gesellschaft. Die kapitalistisch programmierte „Unvermeidbarkeit des Konsums“, die in „Sun & Sea (Marina)“ zum ökologischen Kollaps in Juxtaposition gebracht wird, war in „Have a Good Day!“ Kernthema. Zehn Sängerinnen sitzen hier in blauen Schürzen, jede auf einem durch ein eigenes Podest erhöhten Stuhl, mit blinkendem Barcode-Scanner und Codes im Schoß, frontal aufgereiht unter grellen Neonröhren. Das Scanner-Geräusch bildet den Grundton, die Partitur ist bewusst monoton und das Libretto repetitiv wie die Abläufe im Supermarkt. In den abwechselnden Gesangsparts offenbart sich die Gedankenwelt von Supermarktkassiererinnen jenseits der uns bekannten mechanischen Grußformeln – jenes globalen Warenhaussounds aus „Guten Tag. Danke. Einen schönen Tag noch!“. Der kritische Blick auf die Arbeits- und Konsumwelt hat hier ebenfalls eine poetische Ader und einen sehr ironischen Unterton. Und auch hier funktioniert der gesellschaftliche Aufriss als Installation eines einzelnen Bildes, das allmählich mit Gedanken durchsetzt wird. Es ist wohl diese spezielle Art der Sozialkritik, die präzise, aber nicht moralinsauer, vielmehr ästhetisch zugänglich und äußerst menschlich ist, was sowohl die Theater- als auch die Kunstwelt für diese Arbeiten einnimmt und sich eigentlich nur der Kritik stellen muss, ob dieses „Allzumenschliche“ in der Darstellung der passiven Hinnahme eklatanter Widersprüche vielleicht doch fatalistische Züge trägt. // Nach einer Ausbildung an Theaterhochschulen in Vilnius und London und ersten eigenständigen künstlerischen Arbeiten kamen die Film- und Theaterregisseurin Rugilė Barzdžiukaitė (*1983), die Komponistin und Musikerin Lina Lapelytė (*1984) und die Schriftstellerin Vaiva Grainytė (*1984) erstmals für die minimalistische Opernperformance „Have a Good Day!“ als Team zusammen. Eingeladen zu zahlreichen internationalen Festivals, wurden sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. 2012 mit dem Globe Teana-Theatre Observation Award des ITI-Wettbewerbs „Music Theatre NOW“, 2014 mit dem litauischen Theaterpreis Golden Stage Cross und 2015 mit dem Jurypreis des europäischen Festivals für junge Regie Fast Forward. Ihre zweite Opernperformance „Sun & Sea (Marina)“, die sie bereits 2016 entwickelten, läuft als litauischer Beitrag auf der diesjährigen Biennale in Venedig (noch bis zum 24. November) und wurde als bester natio naler Beitrag mit dem G oldenen Löwen prämiert.
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VOLKSBÜHNE Premieren bis Dezember 2019
Eine Odyssee
nach Homer Thorleifur Örn Arnarsson 12.09.19
Don’t be evil.
von Kay Voges & Ensemble 02.10.19
Germania
nach Heiner Müller Claudia Bauer 17.10.19
Howl
nach Allen Ginsberg David Marton 21.11.19
legende
von Ronald M. Schernikau Stefan Pucher 11.12.19
Lucia Bihler 12.12.19
www.volksbuehne.berlin
Illustration: Skizzomat / Marie Emmermann
Final Fantasy
Stadt, Kunst, Zukunft Festival zum Saisonstart 26.9.–5.10. / HAU1, HAU2, ehem. Post-Filiale ➞ www.hebbel-am-ufer.de
UR- UND ERSTAUFFÜHRUNGEN SPIELZEIT 2019/20 4.8.2019 · Komödie am Kurfürstendamm (im Schillertheater) (DSE)
Dezember 2019 · Göteborgs Stadsteater, Schweden (Schwedische Erstaufführung)
ZUHAUSE BIN ICH DARLING
FRAU SCHMITZ
von Laura Wade
von Lukas Bärfuss
16.8.2019 · Freilufttheater Trogen, Schweiz (UA)
13.12.2019 · Schauspiel Köln (UA)
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DAS GLÜCKSELIGE LEBEN
DAS WERKZEUG DES HERRN
von Lukas Linder / Rebecca C. Schnyder (u.a.)
von Lukas Bärfuss
21.8.2019 · Ruhrtriennale (UA)
16.1.2020 · Theater Basel (UA)
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NACH DEN LETZTEN TAGEN. EIN SPÄTABEND
JULIEN
von Christoph Marthaler
von Lukas Bärfuss / nach ROT UND SCHWARZ v. Stendhal
7.9.2019 · Theater Sewruk, Kalisz, Polen (Polnische Erstaufführung)
24.1.2020 · Staatstheater Kassel (UA dieser Fassung)
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DER MANN AUS OKLAHOMA
MEPHISTO
von Lukas Linder
von Thomas Jonigk / nach Klaus Mann
14.9.2019 · Rheinisches Landestheater Neuss (DSE)
24.1.2020 · Schauspielhaus Graz (ÖEA)
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STREICHHOLZSCHACHTELTHEATER
SCHWARZE MILCH
von Michael Frayn
von Wassilij Sigarew
14.9.2019 · TAK Liechtenstein (UA)
25.1.2020 · Staatstheater Stuttgart (UA)
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IDENTITÄT EUROPA
DIE WAHRHEITEN
von Rebecca C. Schnyder (u.a.)
von Lutz Hübner / Sarah Nemitz
21.9.2019 · Schauspiel Köln (UA dieser Fassung)
16.2.2020 · Theater Hof (UA)
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GEGEN DEN HASS
DER REST
von Thomas Jonigk / nach Carolin Emcke
von Roland Spranger
Oktober 2019 · State Drama Theatre, Blagoewgrad, Bulgarien (Bulgarische Erstaufführung)
20.2.2020 · Stadttheater Most, Tschechien (UA)
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DEIN LEBEN GEHÖRT MIR
ZWANZIGTAUSEND SEITEN
von Can Fischer / nach dem Drehbuch von Kristin Derfler
von Lukas Bärfuss
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BATTERIE ZUM ANSCHLIESSEN DER LIEBE (INKLUSIVE STARTERKABEL)
FUROR von Lutz Hübner / Sarah Nemitz
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DAS TAPFERE SCHNEIDERLEIN
von Lars Werner
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GRÜSSE AN ERICH. EIN ABEND ÜBER DEAN REED
von Katharina Mosa / Brüder Grimm
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von Lars Werner (Text)
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FUROR
NETWORK
von Lutz Hübner / Sarah Nemitz
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von Lee Hall - nach dem gleichnamigen Film von Paddy Chayefsky
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VIER STERNE
MEIN SOMMER MIT KIM
von Stephan Seidel
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von Lukas Linder
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DR. DOLITTLE - DER ARZT, DER MIT DEN TIEREN SPRICHT von Hugh Lofting / Dirk Böhling
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4MIN 12SEK von James Fritz
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 30.11.2019 · Staatstheater Karlsruhe (UA)
FRAUENSACHE (AT) von Lutz Hübner / Sarah Nemitz
www.hsverlag.com
DER GUTE MENSCH VON SEZUAN von Bertolt Brecht Do. 3. 10. 2019 Schauspielhaus Bühne KONSENS
2019 2020
von Nina Raine Fr. 4. 10. 2019 Schauspielhaus Studio UTOP 89 … UND WER KÜMMERT SICH JETZT UM DIE FISCHE? ua Eine Stadtrauminszenierung von willems&kiderlen Sa. 5. 10. 2019 Schauspielhaus & Stadt DIE PEST Ein Monolog nach Albert Camus Sa. 5. 10. 2019 Schauspielhaus Foyer
SCHAUSPIEL
HEILIG ABEND von Daniel Kehlmann
VOR SONNENAUFGANG
Mi. 30. 10. 2019
von Ewald Palmetshofer
Schauspielhaus Studio
nach Gerhart Hauptmann Fr. 10. 1. 2020
SONNY BOYS
Schauspielhaus Bühne
von Neil Simon Fr. 22. 11. 2019
MEISTERKLASSE
Schauspielhaus Bühne
von Terrence McNally Fr. 17. 1. 2020 Schauspielhaus Foyer ENGEL IN AMERIKA
Pre m i e re
Teil I: Die Jahrhundertwende naht von Tony Kushner Fr. 28. 2. 2020 Schauspielhaus Bühne
Do. 3. 10. 2019
ENGEL IN AMERIKA Teil II: Perestroika von Tony Kushner Sa. 29. 2. 2020 Schauspielhaus Bühne DIE EROBERUNG DES SÜDPOLS von Manfred Karge Fr. 17. 4. 2020 Schauspielhaus Studio DER MENSCHENFEIND von Molière Fr. 29. 5. 2020 Schauspielhaus Bühne
DER GUTE MENSCH VON SEZUAN BERTOLT BRECHT
SCHAUSPIELHAUS Otto-von-Guericke-Str. 64, 39104 Magdeburg | Karten unter (0391) 40 490 490 | www.theater-magdeburg.de
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Ibiza-Gate, Schredder-Skandal, Regierungskrise? Von wegen. Nachdem die österreichische ÖVP-FPÖ-Koalition Mitte Mai krachend auseinandergebrochen war, warteten viele auf das reinigende Gewitter namens Europawahl. Doch tatsächlich tat sich nichts. Konservative und Rechtspopulisten sitzen kurz vor den Nationalratswahlen am 29. September fest im Sattel. Das Werk X, schreibt unsere Österreich-Korrespondentin Margarete Affenzeller, fand dafür ein treffendes Spielzeitmotto: „Heimat und Arschloch“. Wir haben mit dem neuen Burg theater-Chef Martin Kušej über Kunst als Opposition gesprochen und porträtieren die Wiener Burschenschaft Hysteria.
österreich vor der wahl
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Anale Phase Österreichs Künstler und die Polit-Malaise – Ein Land zwischen Ibiza-Skandal und Nationalratswahl von Margarete Affenzeller
Ö
sterreich ist so schnell nichts peinlich. Aber im Fall des Ibiza-Videos, das im Mai überraschend die Regierung zu Fall brachte, war es dann doch so weit. Bundespräsident Alexander Van der Bellen entschuldigte sich für den geistig-moralischen Zustand der darin agierenden Politiker mit dem einfachen Satz „So sind wir nicht“. Aber wie sind wir dann? Immerhin handelt es sich bei Heinz-Christian Strache um einen demokratisch gewählten Politiker und niemand Geringeren als den damals amtierenden Vizekanzler. Tausende seiner Fans haben ihm am Tag eins nach Bekanntwerden seiner korrupten Pläne gleich trotzig ihre weitere Unterstützung zugesagt. Das muss die Faszination am Grauen sein. Andererseits war die FPÖ aber auch immer gut darin, sich das Märtyrer-Mäntelchen umzuhängen. Und daran wird die Partei, die sich vornehmlich aus rechtsnational bis rechtsextrem gepolten Burschenschaftern rekrutiert, vermutlich wieder genesen. Traditionell linksliberal gesinnte Kulturschaffende beißen sich an der FPÖ jedenfalls seit Jahren die Zähne aus. Gegen billigen Populismus ist eben schwer anzukommen. Künstlerinnen und Künstler in Österreich sind aber auch schon müde geworden, sich ideologisch immer wieder gegen eine latent rassistische, mit dem Faschismus liebäugelnde, fremdenfeindliche und frauen verachtende Partei zu positionieren. Von den im Video zutage getretenen Abgründen (Errichtung eines regierungstreuen Pressemonopols, Ausverkauf heimischer Wasservorräte etc.) zeigten sich viele keineswegs überrascht. Eher schulterzuckend quittierten Autoren wie Robert Menasse oder Daniel Kehlmann (der den Video-Protagonisten eine „Neandertalerpsyche“ attestierte) das „Ibiza-Gate“. Auch Regisseur Paulus Manker hat keine Lust mehr auf differenzierte Diagnosen und bezeichnete die FPÖ-Männer im ORF schlichtweg als „plemplem“ – ein schnoddriges Fazit, das bestens zum Ibiza-Sachverhalt passt. Die FPÖ ist im Geschichtenerzählen allerdings verdammt gut. HC Strache urlaubt längst wieder auf Ibiza. Sein Sommer-
Kaperung der verlogenen Heimatideologie der FPÖ – Nach ihrem „Heimatpanorama“ (Wien 2016, hier mit Enrique Fiß) wird die Performerin Barbara Ungepflegt im September ein „Ministerium für Heimatschmutz“ gründen. Foto Anton Waldburg
Gag war es, Ehrenbürger auf dem Baleareneiland werden zu wollen. Strache schreibt die Schmierenkomödie also selber weiter, womit er Macht zurückgewinnt. Seine Ehefrau Philippa tritt für die FPÖ bei den nächsten Landtagswahlen an. Die Realität ist von Satire nur schwer zu überbieten. Dazu gehört auch die sogenannte „Schredder-Affäre“ aus dem Juli, das Prozedere rund um die unsachgemäße Entsorgung von Datensätzen durch die ÖVP. Jeder Krimi-Drehbuchschreiber sollte hier die Ohren spitzen. Die Ibiza-Witzkiste wurde jedenfalls reichlich geplündert. Sogar René Pollesch ließ in „Deponie Highfield“ im Mai am Akademietheater den glorreichen Cowboy Martin Wuttke, in Anspielung an die ibizenkische Kokain-Nacht, das weiße Fell seines Lipizzanerhengstes nach seiner „Line“ absuchen. Dabei verwechselte der abgehalfterte Mann auch stets die Orte Lipizza und Ibiza. Und Regisseur Markus Öhrn integrierte bei den Wiener Fest wochen Straches Abdankungs-Pressekonferenz, ohne sie persi flieren zu müssen, in seine von Täter-Opfer-Umkehr handelnde Trilogie „3 Episodes of Life“. Auch Ibiza-Memes kursierten schlagartig in sozialen Medien. Die Verwertungskette läuft heutzutage eben schnell, das Netz verzeiht kein Zuspätkommen. Und bis zu einem gewissen Teil ist Ibiza auch schon im Museum gelandet. Denn das neu eröffnete Haus der Geschichte Österreich (hdgö) hat Transparente von Ibiza-Demonstrationen bereits stolz in die Sammlung aufgenommen. Doch Ibiza und die FPÖ bleiben. Strache, der nun alle Hände voll zu tun hat, sich als missverstandener Partylöwe der Nation zu inszenieren, ist umringt von ideologischen Schwere nötern, die Nägel mit Köpfen machen. Das haben Versuche im vergangenen Frühling gezeigt, Gremien mit FPÖ-affinem Personal zu besetzen. Insbesondere sorgte die Entsendung des FPÖnahen Malers und schlagenden Burschenschafters Odin Wiesinger in den oberösterreichischen Landeskulturbeirat für Entsetzen; seine dämonisch-martialischen Bilder verherrlichen das Soldatenleben, eines trägt den Titel „Endsieg“. Der Protest war enorm, die Entsendung wurde daraufhin rückgängig gemacht. Tatsächlich hat die FPÖ zum zeitgenössischen Kunstschaffen Österreichs keinen Bezug. Das in den neunziger Jahren legendär gewordene provokante FPÖ-Wahlplakat mit der Aufschrift „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Peymann oder Kunst und Kultur?“ hat die Fronten auf lange Sicht klar gezeichnet. Kunst ist unberechenbar, verschiebt Grenzen, konfrontiert mit unangenehmen Dingen. Das passt einer Hardliner-Partei nicht ins Konzept. Wie unterentwickelt das Verhältnis der FPÖ zur Kunst ist, zeigt sich
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auch darin, dass die Partei völlig kritikunfähig ist. Besonders auf der weniger gut geschulten Landesebene lassen sich von Fall zu Fall peinliche Zensurgelüste vernehmen. Im Vorjahr traf es die Nestroyspiele Schwechat, denen die FPÖ ob missliebiger Kritik die öffentlichen Gelder streichen wollte. Die Gefahr, als Mitglied der ÖVP-FPÖ-Regierung auf österreichischen Bühnen durch den Kakao gezogen zu werden, ist eben groß. Vorsorglich bleiben die Funktionäre Premieren oder Vernissagen am liebsten fern. Kulturminister a. D. Gernot Blümel (ÖVP) hat es in seiner Amtszeit kein einziges Mal ins Burgtheater geschafft, angeblich auch nicht ins Theater in der Josefstadt und ebenso nicht ins Volks theater. Da Burgtheaterdirektor Martin Kušej das Programm für seine erste Spielzeit als „oppositionell“ definiert hat, könnte das Fernbleiben von Politikern auch nach der Wahl Status quo bleiben. „Wir haben einige Regisseure, die sich sicher nichts scheißen, dazu gehöre ich aber auch“, so Kušej. Allerdings kann, auch das sagt Kušej, Kunst nicht Politikersatz sein. Wie wahr. Ohnehin werden sich einige vollmundige Ansagen am Ende als heiße Luft entpuppt haben. Die bankrotte Ösi-Politik ist aber gewiss eines: Wasser auf die Ankündigungsmühlen der Kunstschaffenden, die sich in ihrer Kritik herausgefordert sehen. Am schärfsten hat es die der Volksbühnen-Ästhetik verschriebene Bühne Werk X in Wien Meidling formuliert und sich für 2019/20 den unzimper lichen Titel „Heimat und Arschloch“ zugelegt. Die anale Phase hat seit den sechziger Jahren (Aktionisten) in Wien eben nie so wirklich aufgehört! Eleganter legen es die Klangspuren Schwaz in Tirol (6. bis 22. September) an, die ihrerseits „utopische Gegen-
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Wo geht´s denn hier nach Ibiza? Äh Lipizza? – „Deponie Highfield“ von René Pollesch (Burgtheater Wien / Wiener Festwochen 2019). Foto Reinhard Werner / Burgtheater
welten“ eröffnen wollen – unter anderem mit der Komposition „anaptyxis“ von Olga Neuwirth, die bereits in Reaktion auf die erste schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000 entstanden ist. Auch nicht schlecht: Performancekünstlerin Barbara Ungepflegt eröffnet im September in Wien ihr „Ministerium für Heimatschmutz“, eine Kaperung der verlogenen Heimatideologie der FPÖ. Mehr oder weniger konkrete FPÖ-kritische Bekundungen waren im Sommer bei großen Festivaleröffnungen zu hören. „Kulturverlust“ sei „Humanitätsverlust“, sagte der Präsident der Bregenzer Festspiele, Hans-Peter Metzler, und forderte deshalb eine intensivere Förderung von Kultur. „Es wird nötig sein, mit den Mitteln der Kunst Stellung zu beziehen“, meinte Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele. Es fällt Kulturschaffenden nicht besonders schwer, sich in Sachen Ibiza oder Regierungskritik einig zu zeigen, von Klaus Maria Brandauer bis David Schalko, von Marlene Streeruwitz bis Doron Rabinovici. Billig wird es nur dann, wenn Kunstmanager unter dem Vorwand Reißaus nehmen, das missgünstige politische Klima hinter sich lassen zu wollen, während sie wie Kunsthallen-Exchef Nicolaus Schafhausen einfach nur erfolglos waren. „Die Wirkungsmächtigkeit von Kunst ist in Zeiten nationalistischer Politik stark ein geschränkt“, sagte er und warf das Handtuch. Um nach München zu wechseln. Da lacht vermutlich sogar die FPÖ. //
premieren Italienische Nacht
Weltwärts (UA)
von Ödön von Horváth Inszenierung: Calixto Bieito 21. Sep 2019 – Schauspielhaus
von Noah Haidle Inszenierung: Burkhard C. Kosminski 29. Feb 2020 – Schauspielhaus
Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch
Projekt 4 des Europa Ensembles
Familienstück für alle ab 6 Jahren von Michael Ende Inszenierung: Patricia Benecke 20. Okt 2019 – Schauspielhaus
Inszenierung: Selma Spahić 7. Mär 2020 – Kammertheater
Eine Koproduktion mit dem Nowy Teatr, Warschau und dem Zagreb Youth Theatre. Gefördert durch die
Last Park Standing (DSE) von Ebru Nihan Celkan Inszenierung: Nuran David Calis 31. Okt 2019 – Kammertheater
SCHÄFCHEN IM TROCKENEN (UA) von Anke Stelling Inszenierung: Sabine Auf der Heyde 16. Nov 2019 – Kammertheater
Iwanow nach Anton Tschechow in einer Bearbeitung von Robert Icke Inszenierung: Robert Icke 17. Nov 2019 – Schauspielhaus
Die Empörten (UA) von Theresia Walser Inszenierung: Burkhard C. Kosminski 19. Jan 2020 – Schauspielhaus Eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen
Woyzeck von Georg Büchner Inszenierung: Zino Wey 24. Jan 2020 – Schauspielhaus
Die Wahrheiten (UA) von Lutz Hübner & Sarah Nemitz Inszenierung: Sophia Bodamer 25. Jan 2020 – Kammertheater
RECHNITZ (DER WÜRGEENGEL) von Elfriede Jelinek Inszenierung: Jossi Wieler 28. Mär 2020 – schauspielhaus
Eine Übernahme der Münchner Kammerspiele
Schuld und Sühne nach Fjodor Dostojewski Inszenierung: Oliver Frljić 18. Apr 2020 – Schauspielhaus
Die Lage (UA) von Thomas Melle Inszenierung: Tina Lanik 24. Apr 2020 – Kammertheater
Was ihr wollt von William Shakespeare Inszenierung: Bernadette Sonnenbichler 20. Jun 2020 – Schauspielhaus Koproduktionen
Motor City Super Stuttgart Eine Produktion von Schorsch Kamerun, Hannah Jacob, InterAKT Initiative e.V., Stuttgarter Philharmoniker, Theater Rampe, Staatsoper Stuttgart und Schauspiel Stuttgart, Akademie Schloss Solitude, Internationale Bauausstellung 2027 GmbH und Campus Gegenwart/HMDK Stuttgart. 19. Sep 2019 – Baustelle Stuttgart 21
Die Marquise von O. von Heinrich von Kleist Inszenierung: Zita Gustav Wende 26. Okt 2019 – Nord Eine Kooperation mit der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg
Ich seh’ Monster (UA) von und mit Nikko Weidemann Ab 07. Dez 2019 – Foyer Kammertheater
Eine Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen, dem Zürcher Theaterspektakel und Pop-Kultur Berlin
Gespräche Mit Astronauten von Felicia Zeller 11. Apr 2020 – Nord
Eine Koproduktion mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart
Gastspiel Münchner Kammerspiele:
UNHEIMLICHES TAL / UNCANNY VALLEY von Rimini Protokoll (Stefan Kaegi) und Thomas Melle Inszenierung: Stefan Kaegi Kammertheater
in Koproduktion mit Berliner Festspiele – Immersion, donaufestival (Krems), Feodor Elutine (Moscow), FOG Triennale Milano Performing Arts (Milano), Temporada Alta – Festival de Tador de Catalunya (Girona), SPRING Utrecht
Marias Testament von Colm Tóibín Inszenierung: Elmar Goerden mit Nicole Heesters Ab 22. Feb 2020 – Kammertheater SPecial
Echt Schmidt Eine Show-Reihe der ehrlichen Worte mit Entertainer Harald Schmidt Ab 28. Sep 2019 – Schauspielhaus
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Als Kärntner Slowene bin ich ein rotes Tuch Der neue Burgtheater-Intendant Martin Kušej über den steifen Wind aus Richtung der FPÖ und sein Gegenprogramm eines Theaters der kulturellen Vielfalt im Gespräch
mit Christoph Leibold
H
err Kušej, der Burgtheater-Direktor, heißt es in Wien halb ernst, halb scherzhaft, rangiert in Österreich noch über dem Bundespräsidenten. Recht viel höher kann es für einen Theatermacher nicht hinaufgehen. Dagegen arbeite ich aber an. Ich möchte nicht als „Herr Direktor“ angesprochen werden. Ich bin niemand, der korrumpierbar wäre durch so eine Ansprache. Trotzdem mache ich mir Gedanken zu Geschichte und Tradition des Burgtheaters, die mir natürlich Respekt einflößen. Ich habe den Job angenommen, weil ich mich frage, wie man eine solche Institution fit macht für die Zukunft. Die Wiener Staatsoper, die Salzburger Festspiele und eben auch das Burgtheater begründen den Anspruch Österreichs als Kulturnation. Muss ich diese Tradition partiell auch ausblenden, um nach vorne zu schauen? Wie geht es weiter mit dem Theater in einer digitalen Gesellschaft? Welche Rolle kann das Theater spielen in einer Metropole wie Wien, wo viele Sprachen und Ethnien zusammenleben? Das sind Fragen, mit denen sich auch dieses Traditionshaus beschäftigen muss. Das will ich angehen. Was die Kulturnation Österreich angeht, hat die Zeit einmal geschrieben, das Burgtheater sei „Wahrzeichen eines Staats, der verlorene politische durch kulturelle Weltgeltung ersetzt“. Ist da was dran? Finde ich gar nicht. Wir können nichts ersetzen und müssen auch nicht für Weltgeltung sorgen. Mir drängt sich eher die Frage nach dem politischen Einfluss des Theaters auf. Haben wir den? Ganz ehrlich: Ich sehe das nur begrenzt! Aber die ganze Aufregung ums Burgtheater ist natürlich typisch österreichisch. Dieser Aufregung sollte man am besten einen Inhalt geben, damit sie nicht um ihrer selbst willen stattfindet, sondern eine Haltung sichtbar wird, über
die man streiten kann; eine kritische Haltung gegenüber der Politik. Im Übrigen finde ich, dass Österreich gerade durchaus eine Rolle spielt in der internationalen Politik, allerdings auf eine ganz andere Art, als ich mir das wünschen würde. Wir hatten bis vor Kurzem einen Bundeskanzler, der eine sehr fragwürdige Position in der Asyl- und Flüchtlingsfrage eingenommen und sich den Rechtspopulisten angebiedert hat, nicht nur innenpolitisch, sondern auch nach außen. Auf diese Weise spielt Österreich politisch derzeit wirklich eine gewichtige Rolle. Aber es ist die komplett falsche.
Martin Kušej wurde 1961 in Wolfsberg (Österreich) geboren. Nach einem Studium der Deutschen Sprache, Literatur, Sportwissenschaften und Regie in Graz arbeitete er als Theaterregisseur an renommierten nationalen und internationalen Theaterhäusern. 2005 und 2006 leitete er das Schauspiel der Salzburger Festspiele. Von 2011 bis 2019 war er Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels in München. Für seine Theaterarbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kurt-Hübner-Preis (1993), den Wiener Theaterpreis Nestroy (2006, 2009) und den Faust (2012). Seine Inszenierungen wurden mehrfach zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Seit dieser Spielzeit ist Martin Kušej Direktor des Burgtheaters Wien. Foto Christopher Mavrič
Sie legen am Burgtheater kurz vor den Neuwahlen in Österreich los, die nach dem Auseinanderbrechen der regierenden ÖVPFPÖ-Koalition infolge des Ibiza-Skandal-Videos um HeinzChristian Strache nötig geworden sind. Nach allem, was man so hört, hat die FPÖ keinen besonders großen Schaden genommen durch die Affäre. Fürchten Sie ihre neuerliche Regierungsbeteiligung?
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Definitiv. Die ÖVP hat sich zwar vorerst von diesem seltsam faschistoiden Teil der FPÖ abgegrenzt, aber ich glaube, das wird nur von kurzer Dauer sein. Ich bin entsetzt, wie wenig empört sich manche Menschen über das demokratiefeindliche Gebaren Straches in diesem Video zeigen. Meine Befürchtung ist, dass es zu einer Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition kommt, nur mit geschönter Fassade.
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Das ist absolut richtig. Was das Theater betrifft, so wollen wir uns damit zur Gegenwart verhalten, indem wir zum Beispiel mit den vielen Sprachen arbeiten wollen, die in Wien historisch wie heute gesprochen werden. Das bedeutet nicht, dass wir das Deutsch auf der Bühne abschaffen. Das bleibt die zentrale Sprache der Verständigung. Aber es kann nicht darum gehen, ein Burgtheaterdeutsch zu pflegen, sondern es geht darum, mutig das Fremde zuzulassen. Tagespolitisches Theater zu machen mag zwar manchmal kurzfristig nötig sein. Auf längere Sicht wollen wir aber einen anderen Weg gehen.
Berufen wurden Sie vor zwei Jahren noch unter einer SPÖ-geführten Regierung. Hätten Sie damals schon gewusst, wie sich die Lage entwickeln würde, hätten Sie den Job dann auch angenomDazu beschäftigen Sie in Ihrer ersten Spielzeit Regisseurinnen men? Ja, denn mir war schon lange klar, dass die FPÖ früher oder später und Regisseure aus 13 verschiedenen Ländern. In Baden-Württemberg hat die AfD unlängst eine Anfrage gestartet, wie viele in der Regierung sitzen wird. Überrascht hat mich allerdings die ausländische Künstlerinnen und Künstler Schamlosigkeit, mit der die nationalistischen Kräfte und Burschenschaftler-Kreise an den Staatstheatern beschäftigt sind. So der FPÖ diese Regierungsmacht ausgenutzt was könnte der FPÖ auch einfallen. haben. Aber auch das ist kein Grund für Zweifellos. Aber damit entlarven sie sich Hermann ist, mich, hinzuschmeißen. Bis zur Wahl gibt es selbst. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit mit Verlaub, eine kleine Verschnaufpause, aber für die der Gesellschaft das unsäglich findet. Nur Zeit danach mache ich mich auf einen steileider ist ein Teil dieser Mehrheit oft schweiein populistisches fen Wind gefasst. gend, und ich frage mich, wie wir diesen Teil aktivieren können. Arschloch. Ich habe von Ihnen den Satz gelesen: „Ich Solche Hermanns gehe stark davon aus, dass ich auf fünf Jahre Sie lassen bei der Eröffnung Ihrer Intendanz bestellt bin, um ein Theater ohne äußeren am Burgtheater Ulrich Rasche den Vortritt, haben wir gerade Einfluss vonseiten der Politik zu leiten.“ Was der „Die Bakchen“ des Euripides inszenieren wird. Ungewöhnlich, diese Zurückhalmacht Sie so zuversichtlich? eine Menge auf Ich habe das gesagt, weil der Kulturminister tung für einen regieführenden Intendanten. dieser Welt. Ich muss nicht als Erster meine Duftmarke damals – trotz Regierungsbeteiligung der FPÖ – von der ÖVP gestellt wurde. Und da setzen. Außerdem folgen ja bald ein paar Inhatte ich keine Befürchtungen. Ich habe es szenierungen, die ich aus München mitals Intendant des Münchner Residenztheabringe – Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ zum Beispiel –, und im November dann meine ters auch in Bayern nie erlebt, dass sich die CSU eingemischt hätte. Diese hat inzwischen gelernt, sich aus der Kunst rauszuhalten. erste Arbeit für Wien: Kleists „Hermannsschlacht“. Das ist für Mit der FPÖ, wie auch mit der AfD, ist es allerdings anders. Die mich das Stück zur Stunde. Hermann ist, mit Verlaub, ein popuschauen genau, was man macht und sagt – wahrscheinlich auch listisches Arschloch. Solche Hermanns haben wir gerade eine in einem Interview wie unserem. Dazu kommt, dass ich für die Menge auf dieser Welt. FPÖler vermutlich per se ein rotes Tuch bin. Es kann für sie siDass vor Ihnen Ulrich Rasche eine Inszenierung herausbringt cherlich nicht angehen, dass ich als Kärntner Slowene das Burgund dann noch der Israeli Itay Tiran im Akademietheater Wajdi theater leite und dann gleich zwei zentrale Begriffe infrage gestellt habe, nämlich „Nationaltheater“ und „Burgtheaterdeutsch“. Ich Mouawads „Vögel“ in viersprachiger Fassung zeigt (auf Deutsch, Englisch, Hebräisch und Arabisch), ehe Sie Ihre Arbeiten präsenkann mir aber nicht vorstellen, dass jemals ein FPÖ-Minister für die Kultur zuständig sein wird. tieren, könnte man als ritterliche Zurückhaltung des neuen „Burgherrn“ bezeichnen. Würde darin nicht eine Metaphorik anklinUnd dennoch bleibt die politische Lage eine Herausforderung … gen, die Ihnen missfällt? Burgherr! Ganz schlimm! Wer in meiner Gegenwart vom Burg… und ich werde auch sicher kein Blatt vor den Mund nehmen. Aber die Erwartung, die auf mir lastet, sozusagen Oppositionsartheater als „die Burg“ redet, muss zehn Euro zahlen. Der Begriff suggeriert eine Abwehrhaltung. Man denkt an Uneinnehmbarbeit zu leisten, ist mir zu groß. Claus Peymann hatte Spaß an dieser Rolle, mein Stil ist das nicht. Ich möchte einen klugen und keit, Gewalt und Abschottung. Das finde ich schrecklich. Theater komplexen Diskurs führen. Lautes Dagegenhalten und Gezeter muss offen sein, durchlässig und lebendig. sind nicht mein Ding. Um eine Burg zieht man erst einen Graben und dann die Zugbrücke hoch. Da sind wir wieder bei der Politik. Das wünschen sich Man muss ja auch unterscheiden: Was sagt Martin Kušej als Permanche von der Festung Europa auch. Und „Nationaltheater“ ist son des öffentlichen Lebens – und was erzählt uns das Theater, das er macht? der passende Begriff zu dieser Denkart.
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Genau. Aber die Menschen, die so denken, müsste man gleich fragen: Was ist denn das überhaupt, diese österreichische Nation? Wo kommt die her? Dazu müsste man in Österreich nach dem Krieg aufgewachsen sein und erlebt haben, wie in den Schulen oder bei Großereignissen wie den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck versucht wurde, ein Nationalbewusstsein zu formen. Nach dem Motto: Wo sind wir gut? Genau, im Skifahren! Also sind wir eine Ski-Nation. Der Nationalitätsbegriff, der da entstanden ist, hat aber mit der Geschichte nichts zu tun. Österreich ist aus vielen Sprachen und Kulturen zusammengemischt worden. Das hat mein Bewusstsein als Österreicher geprägt. Es ist definiert durch diese Vielgestalt. Das muss man denen, die vom Nationaltheater faseln, immer wieder sagen, denn ich fürchte, sie meinen mit Österreich etwas komplett anderes. Wenn schon Nationaltheater, dann schwebt mir ein europäisches Nationaltheater vor. Statt der Domain www.burgtheater.at hätte ich am liebsten www.burgtheater.eu. Zumal Wien ja auch eine sehr europäische, internationale Stadt ist, allein was die Zusammensetzung der Bevölkerung angeht. Die Frage ist: Wie erreicht man die verschiedenen Gruppierungen? Das geht nicht so leicht. Darum recherchieren wir gerade noch. Welche Communitys gibt es? Haben diese ein Interesse an unserer Theaterarbeit? Wo sind kulturinteressierte Kreise, die Ungarn, Türken, Slowenen, Slowaken …, die sich vom Burgtheater bisher nicht angesprochen fühlen? Gleichzeitig schauen wir, wie wir mit bildungsferneren Wienern in Kontakt treten können – hier insbesondere Kinder und Jugendliche, die Theater bisher vielleicht nicht erlebt haben. Eine Möglichkeit, als Theater für ein breit gefächertes Publikum attraktiv zu werden, ist Diversität im Ensemble. Die streben wir grundsätzlich auch an. Aber das ist ein langer Prozess und nicht mit irgendwelchen Quoten zu erreichen. Wer ein super Schauspieler ist, hat seinen Platz am Burgtheater, unabhängig von Herkunft oder Aussehen. Die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler hat gesagt, Wien sei absolut schauspielergetrieben, es orientiere sich an Darstellern, weniger an ästhetischen Konzepten. Teilen Sie diese Einschätzung? Da stimme ich zu. Ich denke aber, dass das für viele andere Städte genauso gilt. Ich habe zum Beispiel auch in München die Erfahrung gemacht, dass sich die wenigsten Zuschauer dafür interessieren, wer ein Stück inszeniert hat. Die wollen wissen, wer auf der Bühne steht. Und vielleicht noch, wer es geschrieben hat. Über das Residenztheater haben Sie gesagt, ein so großes Haus mit so großem Ensemble müsse sich den großen Stoffen der Weltliteratur widmen. Das Burgtheater ist noch eine Nummer größer. Gilt das dort also erst recht? Selbstverständlich. Das wäre auch an einem Stück wie der „Hermannsschlacht“ zu beweisen. Das hat an die vierzig Rollen. Die muss man nicht alle besetzen. Aber knapp zwanzig Darstellerinnen und Darsteller machen da schon mit. Das übersteigt die kom-
österreich vor der wahl
plette Ensemblegröße mancher kleinerer Häuser. Ich finde es natürlich gut, wenn man ein Stück nicht auf die Möglichkeiten eines Ensembles zurechtkürzen muss. Ihre Vorgängerin Karin Bergmann hat das Burgtheater nicht nur finanziell konsolidiert, sondern auch das Ensemble befriedet, das gespalten war in Parteigänger ihres geschassten Vorgängers Matthias Hartmann und Schauspieler, die ihm ablehnend gegenüberstanden. Kritik gab es an seinem Führungsstil, die Rede war von einer „Atmosphäre der Angst“, die Hartmann verbreitet habe. Auch unter Ihnen in München am Residenztheater rumorte es zeitweilig. Nachgesagt wurden Ihnen ein Hang zu Cholerik und autoritärem Auftreten. Wie geht man damit um, wenn einem so ein Image – ob zu Recht oder Unrecht, können wir als Außenstehende kaum beurteilen – vorauseilt? Ich kann das nur durch meine konkrete Arbeit widerlegen. Jeder, der mit mir schon mal gearbeitet hat, weiß, dass das nicht stimmt. Gleichzeitig bin ich für eine klare Kommunikation. So bin ich auch sofort nach meiner Ernennung dem Burgtheater-Ensemble gegenübergetreten. Und wenn man dann Entscheidungen trifft, zum Beispiel einen Vertrag nicht zu verlängern, macht man sich natürlich nicht immer beliebt. Dennoch ist das stets respektvoll passiert. Gleichwohl: War diesbezüglich die Interviewaussage im ORF vom „Suppentopf“ – den Sie zur Hälfte „ausschütten“ wollten, um „eine neue Suppe aufzukochen“ – nicht mindestens unglücklich? Nein, denn das wurde massiv aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe da ja gar nicht über das Ensemble gesprochen, sondern über die Verfasstheit der Wiener Kulturszene, die kaum über den eigenen Tellerrand schaut. Die wenigsten Künstler dort haben Ahnung, was sich im Rest der Welt abspielt, halten sich aber für deren Nabel. Das ist definitiv ein Irrtum. Seit Kurzem steht auch fest, wer Ihr neuer Nachbar in Wien wird. Kay Voges tritt 2020 als Intendant am Wiener Volkstheater an. Davor gibt er schon mal bei Ihnen seine Visitenkarte ab. Voges wird im Dezember eine „Endzeitoper“ mit dem Titel „Dies Irae“ im Burgtheater inszenieren … … das war schon vor seiner Berufung vereinbart. Kann man aber davon ausgehen, dass das, wofür Voges steht, nämlich die Digitalisierung ins Theater zu holen, ansonsten eher nicht Ihr Weg sein wird? Dass sich also allein dadurch schon eine gewisse Trennschärfe zwischen beiden Häusern ergeben wird? So ist es. Ich möchte mich auf das besinnen, wo das Theater herkommt. Der Kern des Theaters sind die Schauspieler, die – live! – auf der Bühne stehen, sich mit Emotionen beschäftigen und Geschichten erzählen. Sie behaupten das Theater weiter als analogen Ort. Ja. Das mögen manche als Anachronismus bezeichnen. Aber dieser Anachronismus macht mir große Freude! //
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112 Jahre Männerwahlrecht waren dumm Die Wiener Burschenschaft Hysteria dringt ein ins Herz der rechtsextremen Finsternis von Theresa Luise Gindlstrasser
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österreich vor der wahl
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Wahlanalysen, die immer wieder zeigen, dass rechte Parteien vor allem von Männern gewählt werden. Und veröffentlicht ein Video ie Burschenschaft Hysteria veröffentlichte am 18. Mai 2019 einer Wahlumfrage auf der Mariahilfer Straße, in der etliche auf Facebook eine Abrechnung für eine Sommerklausur 2017. DarMänner versichern: „Wählen ist nichts für mich, das machen bei unter die Posten: Charterflug Wien–Ibiza plus CO2-Kompensatiuns die Frauen.“ Burschenschaften fungieren als Seilschaften. Lebenslang onszahlung, Miete Finca inklusive Endreinigung, Bier, Snacks und ein USB-Stick 16 GB. Am Vorabend dieser „Offenlegung“ stellten wirken da die Mitgliedschaften, dementsprechend auch auf die beruflichen Aufstiegschancen, zum Beispiel in die Politik. DieSpiegel, Süddeutsche Zeitung und Falter Ausschnitte des mittlerweile als Ibiza-Video in die Geschichte eingegangenen Mitschnitts von ser Aspekt von patriarchal geprägten Institutionen und seine Auswirkungen auf die gesamte Arbeitswelt konstruieren die HC Strache, Johann Gudenus und der „Oligarchen-Nichte“ online. Die Hysteria insinuierte mittels Facebooksogenannte gläserne Decke. Die Burschenschaft Hysteria hält als matriarchales Posting, sie selbst sei verantwortlich für das Netzwerk dagegen. Mittlerweile sind in inskompromittierende Material und reklamierte Männer raus gesamt zehn Städten Frauen-Verbindungen Ibiza-Gate als Hysteria-Erfolg. entstanden – wie die Molestia zu München, Laut eigener Geschichtsschreibung aus der Politik und 1810, also noch vor der sogenannten Urburdie Tyrannia zu Graz, die Furia zu Berlin – schenschaft 1815 in Jena, als Geheimloge zurück in die geschützte und ein eigener Korporationsring mit Inrund um Maria Leopoldine von Österreich, ternetauftritt in schicker Nazi-Typografie. Sphäre des Privaten! Im Vorfeld der Entscheidung über die spätere Kaiserin von Brasilien, entstanden, schreibt sich die Burschenschaft Hysteria österreichische Vertretung beim Eurovision seit Anfang 2016 in die öffentliche WahrSong Contest 2019 in Tel Aviv tauchte in den nehmung ein. Die Frauen tragen Wichs sozialen Medien eine Kunstfigur mit dem und Coleurnamen, treten zähnefletschend, wie ihr Wappentier Namen Hyäne Fischer auf. Halb Wappentier der Burschenschaft, Hyäne, als matriarchale Verbindung auf. „Auf zum goldenen halb Schlagerstar und ganz Stimme der Sängerin Gustav, wurde Matriarchat!“, skandieren sie. Kapern die Insignien und Rituale so der Song „Im Rausch der Zeit“ mit Video à la Alpenidylle und schlagender Burschenschaften, präsentieren online und offline Lodennostalgie lanciert. Umtriebige Hyäne! „Hole ich mir die eine lückenlose Selbstinszenierung. „Kunstprojekt“ oder „PersiTrophäe halt nächstes Jahr.“ // flage“ – das hört die Hyäne nicht gerne und beißt. Subversion durch Überaffirmation und nirgendwo ein Augenzwinkern. 2017 landete die Hysteria einen ultimativen Coup. Mitglieder der Burschenschaft entrollten auf dem Wiener Akademikerner l für i l r B e s t i va e s ball ein Banner und erklärten die Tanzveranstaltung in der Fe t u e l l h e a t e r Hofburg zum Männerschutzball. Der Akademikerball ist die ak sikt Nachfolgeveranstaltung des seit 1952 jährlich stattfindenden Mu 19 Korporations-Balls, ein Treffen schlagender Studentenverbin20 dungen und Protagonisten der extremen Rechten. Proteste gegen diesen Ball und seine Abhaltung in der Hofburg, also dem Amtssitz des österreichischen Bundespräsidenten, werden schon seit 2008 bei großen Demonstrationen laut. Die Hysteria ist ins Herz dieser Finsternis eingedrungen. Die tanzenden Burschis wurden unter das eigene Narrativ gezwungen: „Die Burschenschaft weist dem Vertreter einer neumodischen HerrenBurschenschaft den rechten Weg – und dieser kann nur zurück VOLKSBÜHNE an den Herd führen!“ • ACKER STADT PALAST • BALLHAUS OST Die Hyäne verdreht patriarchal-misogyne Praktiken und • ST. ELISABETH KIRCHE wettert gegen das Männerwahlrecht: „Europawahlen, Landtagswahlen, Nationalratswahlen – viele wichtige Entscheidungen BEINS/VORFELD • CLUB GEWALT • stehen bevor, die das schöne Geschlecht sichtlich überfordern … BJÖRNSSON/MARX • DEROSSI & CELESTINO • Einhundertzwölf Jahre Männerwahlrecht waren dumm, unverantDIE ORDNUNG DER DINGE • HAUEN UND STECHEN wortlich und ein Fehler. Genug ist genug. Männer raus aus der • HUBA DE GRAAFF • JOHANNES KREIDLER • Politik und zurück in die geschützte Sphäre des Privaten! Jetzt erst MAM.MANUFAKTUR FÜR AKTUELLE MUSIK • NOVOFLOT recht! Heil Hysteria.“ Damit antwortet die Burschenschaft auf • OPERA LAB BERLIN & ENSEMBLE GARAGE
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• PROJECT WILDEMAN • SIRJE VIISE Unter dem Wappentier Hyäne – Demonstration der Burschenschaft Hysteria am 21. Januar 2018 in Wien. Foto dpa
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Stralsund
mit Volker Koepp Berlin Det Norske Teatret Oslo Schauspiel Hannover Teatr Pokoleniy St. Petersburg Opera na Zamku Szczecin
Photo: © Olga Feldman
Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen.
Teater Must Kast Tartu
26. –29. 9. 2019 www.theater-hanse.de
Teatras Lélé Vilnius Karten: theater-vorpommern.de
kolumne
/ TdZ September 2019 /
Josef Bierbichler
Die drei von Ventotene Über den Ursprung der europäischen Idee als ein Europa der Völker
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ie Strache-Partei, die Österreicher-AfD, auf Deutsch gesagt, hat bei der Europawahl meiner Erinnerung nach um die 17 Prozent eingefahren. Die deutschen Linken dagegen nur 5,5 Prozent. Genau so viel haben im Vergleich zu vorausgegangenen Landeswahlen beide Parteien verloren. Heißt: Die deutsche Linke ist für Europa in Deutschland halbiert worden. Die Strache-Sause („Ja bist du deppert: Is de schoaf.“) in Ibiza hat gleich die ganze österreichische Regierung abgetakelt. Die deutschen Linken haben sich darauf geeinigt, dass die Verluste bei ihnen mit ihrer Zerrissenheit in Sachen EU zu tun haben: Die einen wollen sie, die anderen nicht. Die sie wollen, glauben an (oder hoffen auf) ein Europa der Völker. Die, die Europa ablehnen, tun es, weil sie genügend Belege zu haben meinen, dass Europa sowieso von Anfang an als Europa der Konzerne gedacht war. Auf jeden Fall ist Brüssel ein beliebter Treffpunkt von Lobbyisten: Laut der Zeitung der Freitag vom 4. Juli 2019 kommen vier von denen auf eine(n) EUBeamt(e)in. Die werden also alle permanent geviertelt. Wie soll da ein einiges Europa herauskommen? Und dieses Gemetzel soll die neue Übermutter Frau von der Leyen im Auftrag von Macron und Merkel nun koordinieren – also im Auftrag der europäischen Konzerne. Ganz stimmt das aber nicht. Die ersten Ideen eines geeinten Europas dürften sich vermutlich in qualvoll schlaflosen Nächten in den Köpfen politischer Häftlinge in deutschen KZs herausgebildet haben. Kopfgeburten beim Erhoffen einer unverhofften Zukunft, um die unerträgliche Gegenwart zu ertragen. Vielleicht vergleichbar den ersten Christen in den Katakomben Roms, die sich in aussichtloser Lage mit ihrem Glauben an ein Leben nach dem Tod in ein Himmelreich hinein hofften, das sich dann völlig unverhofft im Lauf der folgenden Jahrhunderte zu einem ziemlich realen Weltreich auswachsen sollte. Die Überlebensfantasien der Gefolterten in den KZs formten sich gewiss ein Europa der Völker. Ihnen wollte der Österreicher Robert Menasse ein Denkmal setzen, als er in seinem Roman „Die Hauptstadt“ die Gründungsrede zur EWG ähnlich fantasiebewegt in Auschwitz verortet hat. Was aber so nicht stimmt, weshalb er danach schwer attackiert worden ist für diesen absolut grandiosen Gedanken, denn: Europäischer geht’s gar nicht. Aber Hüter der geschichtlichen Korrektheit haben geglaubt, einschreiten zu müssen auf eine Art, die das geschichtliche Wahrnehmungsvermögen eingrenzt statt erweitert. Ein korrekter Umgang mit historischen Fakten erschwert bestimmt das Klittern von Geschichte. Aber zum geschichtlichen Ver-
ständnis der Gegenwart gehört auch „die Wahrheit der Literatur“, die zusätzlich auf ihre Weise zum Verstehen der unbegreiflichen Vergangenheit beiträgt. Walter Benjamin hat es so gesagt: „Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen‚ wie es denn eigentlich gewesen ist‘. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.“ Am Anfang war bestimmt das Volk gemeint, ein geeintes europäisches! Davon müssen wir wie selbstverständlich ausgehen, wenn wir immer wieder versuchen wollen, „die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen“ (auch W. Benjamin). Aber genauso selbstverständlich dürfen wir annehmen, dass die Kriegsverbrecher Krupp von Bohlen und Halbach, Josef Abs und alle anderen opportunistischen Gelegenheits-Volksgenossen aus Indus trie und Wirtschaft, die bei der SS ohne Scham Menschenfleisch für ihre Fabriken geordert haben, nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis, in das sie von den alliierten Richtern für ein paar Urlaubstage geschickt wurden, um sich erholen zu können für zukünftige, internationale Aufgaben – dass die im Knast schon begonnen haben, die Idee von einem „Europa der Konzerne“ zu entwerfen, nachdem sie sich unmittelbar zuvor in ihren Fabriken schon an einer Art Blaupause in die europäische Idee eingeübt hatten: bei der mörderischen Nutzbarmachung dieses „Menschenfleisches“, den Zwangsarbeitern aus allen von der deutschen Wehrmacht überfallenen europäischen Ländern. Demnach wäre die Idee Europa vor allem in Gefängnissen entstanden, wenn auch in höchst unterschiedlichen. Mein Andenken gilt den drei von Ventotene: Altiero Spinelli, Ernesto Rossi und Eugenio Colorni, die auf dieser Gefängnisinsel und Mussolini-Folterkammer auf Zigarettenpapier ihr gleich namiges Manifest für ein Europa der Völker, vereint in einem europäischen Bundesstaat, entworfen und erfolgreich nach draußen geschmuggelt haben. Die europäischen Nationalstaatsführer dagegen, die gerade im Hinterzimmer ihr europäisches Führungspersonal zusammengeschachert und zuvor noch über zweihundert Millionen Menschen zu einer Europawahl gelockt und so ein demokratisches Verfahren angetäuscht haben – diese politischen Repräsentanten eines Europas der Konzerne dürfen getrost als demokratisch legitimierte Helfer der jetzigen Nachfolger vom Geist der Krupps und Abs gesehen werden. Und so, wie sie zu Zeiten mit den Flüchtlingen umgehen, die in Europa Asyl begehren, gerieren sich welche von ihnen auch noch wie Nachfolger im Geist der Verwalter der Konzentrationslager. Das ist nix Neues. Man sollte es nur immer wieder erinnern. //
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Anders leben als Du
Sa 31. Aug 2019
Marco Polo UA nach Tagebuchfragmenten Marco Polos Künstlerische Leitung Astrid Griesbach
Premieren 2019 – 2020
Do 26. Sep 2019
Die Zertrennlichen von Fabrice Melquiot
10 +
Schauspiel
10 +
Puppentheater
28. SEPTEMBER 2019 SUNDAY IN THE PARK WITH GEORGE
Regie Wojtek Klemm
Fr 27. Sep 2019
WiLd!
von Evan Placey
Schauspiel
8+
Buch von James Lapine | Musik und Gesangstexte von Stephen Sondheim
Regie Nils Zapfe
26. OKTOBER 2019 DIE ACHT FRAUEN
Fr 27. Sep 2019
Die Sprache des Wassers nach Sarah Crossan
12 +
Schauspiel
Regie Wojtek Klemm
Von Robert Thomas | Aus dem Französischen von Franz Martin
Sa 28. Sep 2019
Patricks Trick von Kristo Šagor
8+
Schauspiel
10. NOVEMBER 2019 PICASSO
Regie Nils Zapfe
Fr 25. Okt 2019
Tanzabend von Carlos Matos
Ecotone AT UA von Ariel Doron
PREMIEREN 2019 I 20
Puppentheater und Schauspiel
14
+
Regie Ariel Doron
Fr 08. Nov 2019
What ever love means UA
Oper von Kurt Weill | Text von Bertolt Brecht
ein Forschungsprojekt zur Liebe und zum Lieben von Nicole Dietz Theaterakademie 14 + Regie Nicole Dietz Sa 23. Nov 2019
Pluck DSE
nach dem Roman „Pluck mit dem Kranwagen“ von Annie M. G. Schmidt Schauspiel 6 + Regie Jos van Kan Fr 29. Nov 2019
Däumelinchen UA nach Hans Christian Andersen Regie Christoph Levermann
Puppentheater und Schauspiel
4
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Sa 25. Jan 2020
Schauspiel
14 +
18. JANUAR 2020 MINNA VON BARNHELM
Komödie von Gotthold Ephraim Lessing
14. MÄRZ 2020 DER VAMPYR
Romantische Oper von Heinrich Marschner
28. MÄRZ 2020 MEIN KAMPF
Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß UA nach Manja Präkels
30. NOVEMBER 2019 AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY
Regie Nils Zapfe
Farce von George Tabori | Aus dem Englischen von Ursula Grützmacher-Tabori
Sa 07. Mrz 2020
Movie Star UA nach dem Roman von Raziel Reid
14 +
Schauspiel
Regie Matthias Köhler
Sa 21. Mrz 2020
Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel nach Franz Fühmann
Puppentheater
8+
Regie Julia Brettschneider
Sa 04. Apr 2020
Das Dschungelbuch UA nach Rudyard Kipling Schauspiel und Puppentheater Regie Moritz Sostmann
8+
Sa 25. Apr 2020
Gertrude UA von Thomas Freyer nach dem Roman „Gertrude Grenzenlos“ von Judith Burger Schauspiel 10 + Regie Jan Gehler
11. APRIL 2020 ANTIGONE // LYSISTRATE
Zweiteiliger Tanzabend u. a. von Wencke Kriemer de Matos frei nach Sophokles und Aristophanes
15. MAI 2020 – ALTER SCHLACHTHOF DRESDEN RICHARD O’BRIEN‘S THE ROCKY HORROR SHOW
Musical Play von Richard O´Brien (Buch, Texte und Musik)
Fr 08. Mai 2020
Willkommen im Multiversum! UA ein partizipatives Live-Game in parallelen Welten von komplexbrigade und Ensemble Theaterakademie 12 + Regie komplexbrigade
17. MAI 2020 ICH LADE GERN MIR GÄSTE EIN
Do 14. Mai 2020
tjg. tak-ticker 2020 UA drei Projekte von und mit Jugendlichen Theaterakademie 14 +
Großes Opern- und OperettenWunschkonzert
Sa 06. Jun 2020
Entwischt! – Ausbruch der Farben AT UA von Ivana Sajević
Puppentheater
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Regie Ivana Sajević
INFORMATIONEN & TICKETS 0351 8954-214 kasse@landesbuehnen-sachsen.de www.landesbuehnen-sachsen.de
So 07. Jun 2020
Das doppelte Lottchen nach Erich Kästner eine Koproduktion mit dem Zoo Dresden Schauspiel 6 + Regie Jule Kracht
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BOAT MEMORY DAS ZEUGNIS
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Die Zehn Gebote radikaler Theaterkunst Im Gedenken an den Choreografen, Tänzer und Regisseur Johann Kresnik
von Klaus Pierwoß
A
n einem milden Sommerabend vor dem Bremer Theatro entstiegen einem Taxi zwei Männer, die sich herzlich umarmten: Zu meiner Verblüffung waren es die beiden Choreografen Johann Kresnik und Helmut Baumann, von denen ich nicht wusste, dass sie seit den fünfziger Jahren miteinander befreundet waren, obwohl sie in ihrer beruflichen Ausprägung nicht gegensätzlicher hätten sein können.
Der immer agile Choreograf, Tänzer und Regisseur Johann Kresnik ist am 27. Juli plötzlich im Alter von 79 Jahren in Klagenfurt gestorben. Kresnik war unumstritten der Vorreiter des modernen Tanztheaters. Seine Karriere begann er 1968 als Ballettmeister in Bremen während der Intendanz von Kurt Hübner. Seine etwa einhundert Tanz- und Theaterwerke sorgten regelmäßig für Skan dale, da er oft konträr zur herkömmlichen Ballettästhetik arbeitete und seine stets politischen und gesellschaftskritischen Botschaften mit großem Nachdruck auf die Bühne brachte. Die österrei chische Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, die ihm im Juli noch das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien überreichen
johann kresnik
durfte, nannte Kresnik einen Künstler mit „Wut im Bauch“. Er wurde bis an sein Lebensende immer als „Berserker“ bezeichnet, aufgrund seiner rabiaten Bühnenästhetik. Natürlich war Kresnik in seinen ästhetischen Mitteln erheblich brutaler als Helmut Baumann, er scheute keine radikalen ästhetischen Mittel, um seine Absichten deutlich werden zu lassen. Er ließ es auf der Bühne nicht an Deutlichkeit fehlen. Ihm kam es darauf an, von Aufführung zu Au f führung neue ästhetische Mittel zu erfinden. Kresnik war der radikalste unter den Choreografen und sorgte auch an anderen Häusern für Aufruhr. Nach seiner Ballettmeistertätigkeit in Bremen wechselte er zunächst an das Theater Heidelberg (1980 bis 1989), später leitete er die Tanzsparten an der Berliner Volksbühne unter Frank Castorf (1993 bis 2002) und am Theater Bonn (2002 bis 2008). Während meiner Bremer Intendanz (1994 bis 2007) in szenierte Kresnik „Fidelio“, „Intolleranza“, „Die letzten Tage der Menschheit“, „Vogeler“, „Die Zehn Gebote“ und „Amerika“. Er wollte seine Arbeiten nicht mehr an konventionellen Spielorten aufführen. Sein Resümee mir gegenüber: „Du bist der einzige Intendant, der mir einen Bunker, eine Kirche und einen Güterbahnhof als Spielorte zur Verfügung gestellt hat.“ D iese außergewöhnlichen Spielorte hatten eine ungeheure Zuschauer sogkraft, wobei der Rausschmiss der „Zehn Gebote“ aus dem Dom und der Umzug in die Friedenskirche spektakuläre Nebenwirkungen hatten. „Die letzten Tage der Menschheit“ (1999) waren sicher die größte Theaterkraftanstrengung, die unsere Bühne vorzuweisen hatte. Die Zuschauer wurden per Schiff von Bremen-City nach Bremen-Farge geschippert. Als ich während der Vorbereitungen
Theater mit spektakulären Nebenwirkungen – Karl Kraus‘ „Die letzten Tage der Menschheit“ (oben) in einem U-Boot-Bunker (Theater Bremen 1999), inszeniert von Johann Kresnik (rechts, 1994 vor der Volksbühne Berlin). Foto dpa / David Baltzer/bildbuehne.de
den Ruinenteil des Bunkers besichtigte, wusste ich: Das ist der richtige Spielort. Einen Tag später kam Kresnik, der ebenfalls sofort zustimmte. Der Bunker, zu einem Viertel saniert und als Depot benutzt, zu drei Vierteln Ruinenteil, unterstand der Ver waltung der Bundeswehr. Er war lange Zeit ein weißer Fleck, nicht nur auf den Stadtplänen, sondern auch im öffentlichen Bewusstsein Bremens, weil er mit den unangenehmsten Erinnerungen und den dunkelsten Kapiteln des Zweiten Weltkrieges verbunden war. Mit tatkräftiger Unterstützung des SPD-Bundestags abgeordneten Volker Kröning stellten wir bei Verteidigungsminister Volker Rühe einen Antrag auf Spielgenehmigung für den außergewöhnlichen Spielort. Bei diesem Antrag hatte ich völlig vergessen, dass ich eine Unterschriftenliste gegen ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr in Bremen angeführt hatte. Genau zu dem Zeitpunkt, wo unser Antrag beim Verteidigungsminister landete, sagte die Stadt das öffentliche Gelöbnis ab. So war die Retourkutsche mit der Absage unseres Theaterprojektes durch Volker Rühe keine große Überraschung mehr, wenngleich auch eine tiefe Enttäuschung. Volker Kröning schlug vor, die nächste Bundestagswahl abzuwarten, die dann auch einen Regierungswechsel und mit Rudolf Scharping einen neuen Verteidigungsminister brachte.
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abschied
Scharping genehmigte unser Projekt, eine seiner größten Taten während seiner kurzen Ministerzeit. „Kresnik ist eine Aufführung gelungen, die in dieser Form Theatergeschichte schreiben dürfte“, so der Journalist Rolf C. Hemke. Der Theaterkritiker Michael Laages schrieb: „Dieser Totentanz ist eines der wenigen sensationellen Ereignisse im Theaterbetrieb. Seit langer Zeit und für lange Zeit.“ Bei der im Bremer Dom geplanten Inszenierung „Die Zehn Gebote“ (2004) kam nach nur wenigen Probentagen die Absage, obwohl die Belegschaft des Doms uns eingeladen hatte, an diesem Ort zu spielen. Danach wurden wir allerdings mit offenen Armen von einem couragierten Pastor in der evangelischen Friedenskirche empfangen, wo alle 27 Vorstellungen ausverkauft waren. Die Diskussionen, die die Aufführungen auslösten, erstreckten sich über die gesamte Stadt. Die Friedenskirche erwies sich als Bastion. Die Braunschweiger Zeitung schrieb am 22. Dezember 2003: „Das wegen geplanter Nacktszenen umstrittene Theaterstück ‚Die Zehn Gebote‘ von Johann Kresnik wird jetzt doch in einer Bremer Kirche aufgeführt. Nach der Absage der Domgemeinde hat die Friedensgemeinde der Evangelischen Kirche den Proben und der Aufführung zugestimmt. Dies habe der Kirchenvorstand auf einer Sondersitzung entschieden, sagte am Sonntag Pastor KlingbeilJahr von der Friedensgemeinde. Er berichtete, er habe bereits zahlreiche Protestschreiben bis hin zu Morddrohungen erhalten. ‚Vom Inhalt des Stückes her ist Reibung vorgesehen. Ich freue mich auf diese Debatte.‘“
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In der Welt hieß es am gleichen Tag: „Aus Protest gegen Kresniks Pläne, der ‚Die Zehn Gebote‘ als Collage aus Texten und Ideen von Autoren wie Pasolini, Fassbinder und Sartre entwickeln wollte, kündigten Hunderte Bremer ihren Kirchenaustritt an. Kirchliche Mitarbeiter wurden am Telefon als ‚Hure Babylons‘ beschimpft, die den Satan unterstützten. Ein Aktionsbündnis ‚Christen gegen Pornographie‘ bereitete Mahnwachen vor dem Dom vor. Der öffentliche Druck wurde zu groß – die Dom gemeinde zog die Notbremse. ‚Grundsätzlich ist es eine gute Idee, kirchliche Räume auch für Theateraufführungen zu nutzen‘, sagte die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann. Doch sie schränkt ein: ‚Wenn der gottesdienstliche Raum nur zum Tabubruch benutzt wird, weil Sexszenen und nackte Frauen hier eher Aufregung erzeugen als anderswo, ist das ein Missbrauch des Gotteshauses.‘“ Wenn ich von Intendantenkollegen nach dem Arbeitsverhältnis zu Hans Kresnik gefragt wurde, war die Antwort einfach: Der praktische Arbeitskontakt war unkompliziert; es galt die einfache Regel, das Vereinbarte einzuhalten, dann gab es keinerlei Probleme. Hans Kresnik hatte eine Eigenschaft, die ihn vor allen anderen auszeichnete. Auch Jahrzehnte nach der gemeinsamen Zusammenarbeit rief er mich im Viertel jahresabstand immer wieder an und erkundigte sich nach meinem Befinden. Das hat kein anderer Regisseur gemacht. Insofern war Hans Kresnik eine treue Seele, auf die großer Verlass war. //
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gerlind reinshagen
Wiedererkennen und Explosion Erinnerungen an die Schriftstellerin und Dramatikerin Gerlind Reinshagen von Renate Klett
frau“ gegenüber. „Die suchen doch immer nach was, wo sie draufkloppen können“, sagte sie oft, und damit meinte sie bestimmte Kritiker, manchmal auch alle. ennengelernt hatten wir uns bei eiGerlind, wie ich sie kannte, war eine kluge, bescheidene Frau, die sehr gener Podiumsdiskussion über die Position von Frauen im Theater. Das war Mitte der nau wusste, was sie wollte, aber manchachtziger Jahre, und sie war die berühmmal sich nicht traute, es zu tun. Sie hat immer gezweifelt an sich, an ihrer Posi teste deutsche Gegenwartsdramatikerin, viel gespielt, auch international. „Sonntion, mitunter wohl auch am Sinn des Schreibens. Aber sie konnte nicht anders – tagskinder“, 1976 in Stuttgart heraus gekommen, war ein Riesenerfolg. Aber sie hatte so viele Fragen, und die mussten raus, manche wurden dadurch beantworvorher gab es schon „Doppelkopf“ und „Leben und Tod der Marilyn Monroe“, beitet, andere nicht. Nach „Himmel und Erde“ und des eher experimentelle Stücke und ihrer Zeit weit voraus in Form und Inhalt. „Frühlingsfest“ wandte sie sich vom Thea„Sonntagskinder“ war ein „normales ter ab und begann, Romane zu schreiben, Stück“, und war doch so anders als die wobei sie gerne betonte, dass diese Werke Gerlind Reinshagen (1926 – 2019). „normalen Stücke“ der Männer. Der „weib für sie keine Romane seien, sondern MenFoto Anna Weise liche Blick“, damals ein Lieblings thema schenbilder, also auch Menschen-Dramen, nur in anderer Form. Sie schrieb unentdes Feminismus, konnte dort wie im Lehrbuch studiert werden. Die Beschreibung wegt. Später, als ihr Mann erkrankt war der Nachkriegszeit machte sich hier nicht am Großen fest, sondern und sie ihn zu Hause pflegte, schrieb sie nachts. Noch später, nachan vielen kleinen Details – ein Blick von unten gewissermaßen, desdem er gestorben war, verließ sie die gemeinsame Wohnung und zog freiwillig in das „schräge Altersheim“, in dem sie sich recht wohl sen scharfe Beobachtungen gebündelt wurden zu einem vielschichtigen Gesamtbild aus Wiedererkennen und Explosion. fühlte. „Mein Kloster“ nannte sie es, „dort habe ich meine Räume, Begonnen hatte Gerlind Reinshagen mit Hörspielen, doch meine Bücher, werde verpflegt und muss mich um nichts kümdann reichte ihr das nicht mehr: „Ich wollte sehen, was geschieht, mern. Jetzt kann ich endlich schreiben, wann, wo und wie ich will.“ statt es mir immer nur vorzustellen“, hat sie mal zu mir gesagt. Das Nach mehreren Romanen schrieb sie auch wieder Stücke. Sichtbarmachen war ihr Thema in vielen Varianten, ob es um gesell„Ich will unbedingt etwas mit Chören machen“, sagte sie, und ich musste ihr die Schleef’schen Inszenierungen beschreiben, weil schaftliche Tabus ging, um Familiengeheimnisse oder verfälschte Erinnerung. Ibsens „Lebenslüge“ ist wie der dröhnende Nachbar zu sie nicht mehr ins Theater gehen konnte. Aber der Geist war noch rege, sie las viel, schrieb viel und interessierte sich für alles, was diesen leise beharrlichen Tönen aus Melancholie und Verzweiflung. Seit Else Lasker-Schüler und Marieluise Fleißer hatte es keigeschah im Leben und in der Kunst. 2018 veröffentlichte sie „Atem anhalten“, einen Band mit Gedichten aus vierzig Jahren. ne deutschsprachige Dramatikerin gegeben, die so erfolgreich war wie Gerlind Reinshagen in den siebziger und achtziger Jahren. Ein schöneres Abschiedsgeschenk kann es gar nicht geben. Ach, Gerlind, wir wollten doch noch zu deinem Italiener geAber der Ruhm stieg ihr nicht zu Kopf; im Gegenteil: Manchmal schien sie richtig Angst vor ihm zu haben. Denn es gab ja immer hen, wenn ich wiederkomme. Und jetzt bist du einfach weg – ich kann es nicht fassen! // auch die herablassende Macho-Haltung der „schreibenden Haus-
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VERNON SUBUTEX nach dem Roman von Virginie Despentes Regie: Alexander Eisenach › Premiere Do, 26.09.2019 DIE PHYSIKER Komödie in zwei Akten von Friedrich Dürrenmatt Regie: Claudia Bossard › Premiere Fr, 18.10.2019 Uraufführung THE HILLS ARE ALIVE Neville Tranter › von & mit Nikolaus Habjan & Neville Tranter › Premiere Fr, 15.11.2019 JOSEF UND MARIA Peter Turrini Regie: Michael Schilhan › Premiere Fr, 06.12.2019 HELDENPLATZ Thomas Bernhard Regie: Franz-Xaver Mayr › Premiere Fr, 10.01.2020
VÖGEL Wajdi Mouawad Regie: Sandy Lopičić › Premiere Fr, 31.01.2020 BIST DU GAK ODER STURM? Eine Fußball-Bürger*innenbühne über Liebe, Stolz und Fan-Sein Regie: Ed. Hauswirth › Premiere Fr, 28.02.2020 MACBETH William Shakespeare Regie: Stephan Rottkamp › Premiere Fr, 27.03.2020 DRITTE REPUBLIK (EINE VERMESSUNG) Teil Drei der Kronlandsaga Thomas Köck Regie: Anita Vulesica › Premiere Fr, 17.04.2020
Uraufführung DIE LEIDEN DER JUNGEN WÄRTER Eine goethesche Schmonzette von Nele Stuhler & Jan Koslowski Regie: Nele Stuhler & Jan Koslowski Kooperation mit dem Institut für Schauspiel der Kunstuniversität Graz › Premiere Fr, 27.09.2019 Uraufführung RUHIG BLUT Eleonore Khuen-Belasi Regie: Clara Weyde Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin › Graz-Premiere Fr, 04.10.2019 JEDERMANN (STIRBT) Ferdinand Schmalz Regie: Daniel Foerster › Premiere Do, 14.11.2019
Österreichische Erstaufführung DER KÖNIG AMÜSIERT SICH – EIN RIGOLETTO-MELODRAM Victor Hugo Regie: Markus Bothe › Premiere Fr, 15.05.2020
SCHAUSPIEL DREI Uraufführung BOOKPINK Ein dramatisches Kompendium von Caren Jeß Regie: Anja Michaela Wohlfahrt › Premiere Fr, 29.11.2019
Uraufführung ICH, TATORTKOMMISSARINNEN Regie: Cora Frost Koproduktion mit den Rabtaldirndln › Premiere Do, 05.12.2019 Österreichische Erstaufführung SCHWARZE MILCH Wassilij Sigarew Regie: Jan Stephan Schmieding › Premiere im Jänner 2020 ZUHAUSE IST EIN BAUCHGEFÜHL Eine Bürger*innenbühne zum Thema Kochen und Zugehörigkeit Regie: Simone Dede Ayivi › Premiere im April 2020 Österreichische Erstaufführung FRAU ADA DENKT UNERHÖRTES Martina Clavadetscher Regie: Lily Sykes › Premiere im Mai 2020
EXTERNER SPIELORT Uraufführung MANARAGA. TAGEBUCH EINES MEISTERKOCHS Vladimir Sorokin Regie: Blanka Rádóczy Gemeinschaftsproduktion mit dem steirischen herbst › Premiere Mi, 09.10.2019
ICH SEHE SCHON, DAS WIRD NOCH LUSTIG HEUT. formdusche.de
JEDERMANN (STIRBT) Ferdinand Schmalz
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PREMIEREN GROSSES HAUS
PREMIEREN KOMÖDIENHAUS
PREMIEREN BOXX
20.09.2019 DREI MÄNNER UND EIN BABY (DSE)
10.10.2019 ALLES WAS SIE WOLLEN
21.09.2019 NO UND ICH
KOMÖDIE VON MATTHIEU DELAPORTE UND ALEXANDRE DE LA PATELLIÈRE
SCHAUSPIEL AB 12 JAHREN NACH DEM ROMAN VON DELPHINE DE VIGAN
16. 11.2019 REVANCHE
02.11.2019 WILD!
SCHAUSPIEL VON HEINER MÜLLER
KRIMINALSTÜCK VON ANTHONY SHAFFER
SCHAUSPIEL AB 8 JAHREN VON EVAN PLACEY
03. 11.2019 DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL
11.01.2020 SONNY BOYS
KOMÖDIE VON COLINE SERREAU
05. 10.2019 GERMANIA 3 GESPENSTER AM TOTEN MANN
KOMÖDIE VON NEIL SIMON
12.01.2020 NACHTGEKNISTER
23.11.2019 FAUST. DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL
07.03.2020
SCHAUSPIEL AB 6 JAHREN VON MIKE KENNY
SCHAUSPIEL VON JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
KOMÖDIE VON YASMINA REZA
MÄRCHEN VON ULI JÄCKLE
18.01.2020 MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN SCHAUSPIEL NACH DEM ROMAN VON LUKAS RIETZSCHEL
14.03.2020 BORN TO BE WILD? (UA) VON KAI TIETJE, STEFAN HUBER UND ANDREAS FRANE
02.05.2020 BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER SCHAUSPIEL VON MAX FRISCH
20.06.2020 ROMEO UND JULIA
BELLA FIGURA 08.05.2020 MÄNNER MUSICAL VON JIMMY ROBERTS UND JOE DIPIETRO
16.07.2020 MONSIEUR PIERRE GEHT ONLINE KOMÖDIE NACH DEM FILM VON STÉPHANE ROBELIN
22.03.2020 WAS DAS NASHORN SAH, ALS ES AUF DIE ANDERE SEITE DES ZAUNS SCHAUTE SCHAUSPIEL AB 10 JAHREN VON JENS RASCHKE
25.04.2020 DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS SCHAUSPIEL VON WOLFRAM LOTZ
14.06.2020 DIE ZERTRENNLICHEN SCHAUSPIEL AB 9 JAHREN VON FABRICE MELQUIOT
SCHAUSPIEL VON WILLIAM SHAKESPEARE
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Wie schwebend Für Regisseurin Anne Lenk ist eine Theaterarbeit dann geglückt, wenn man die Regie fast vergisst und Schauspiel, Text und Raum zusammenfinden – ein Porträt
von Jakob Hayner
emand habe einmal gesagt, am Theater sei es wie beim Pizzalieferdienst. Am Ende geht es um die Pizza, nicht um den Boten. Und so verstehe sie auch ihre Aufgabe, sagt Anne Lenk. Als Regisseurin wolle sie hinter das Werk zurücktreten, sich nicht aufdrängen. Das habe auch mit Verantwortung zu tun. Der Begriff fällt in dem Gespräch des Öfteren. Verantwortung trage sie gegenüber dem Text, dem Raum, den Schauspielern – gegenüber der gemeinsamen Arbeit. Wenn sich die Schauspieler zur Verfügung stellen, so möchte sie als Regisseurin das ebenfalls tun. Keiner rangiert über dem anderen. Verbunden sind sie nicht durch ein eisernes Gehäuse der Hörigkeit, nicht durch Pflicht und Gehorsam, Befehl und Folgeleistung. Sondern durch die Arbeit an einer gemeinsamen Sache. Und die Lust daran. Denn die benötigt es zum Spiel. Sie wolle keine Schauspieler, die nur auf Befehl spielen, erzählt Lenk. Ihre Einwände sind nicht nur ethischer Natur, auch ästhetischer. Kunst kann nicht aus Pflichterfüllung, sondern aus Freiheit entstehen. Wobei, so ergänzt sie, zur Freiheit auch Regeln gehören. Regeln, die das gemeinsam Verabredete aus drücken. „Theater ist Verabredung“, sagt Lenk. „Und auf Grund lage dieser Verabredung fertigen wir ästhetische Produkte an.“ Das Ideal dieser Produkte ist, dass sie sich selbst tragen, dass sie mehr sind als das, was die Einzelnen beisteuern, dass sie mehr sind als Handwerk – Kunst eben. Das ist, was Lenk interessiert, Theater als Kunstform. Wenn Anne Lenk spricht, so wirkt sie wie ihre Inszenierungen. Ihre Äußerungen sind präzise und deutlich, durchdacht und überlegt, unaufgeregt und ernst und dabei doch mit feinem Humor und spürbarer Begeisterung. Weder springt sie von einem Punkt zum anderen, noch reiht sie Unbedachtes oder Phrasen aneinander. Mit Leichtigkeit entwickelt sie vielschichtige Gedanken oder schildert Beobachtungen. Und sie spricht über ihre Kunst. Wie man mit dem Theater die Welt begreifen, sich ihr n ähern oder sie vielleicht gar aushalten kann. Für wen man das alles macht? Für das Publikum. Für ein denkendes und mitdenkendes Publikum, präzisiert Lenk. Sie will, dass das Publikum sich Fragen stellt. Nicht, dass der Regisseur für das Publikum Fragen stellt, dafür braucht man kein Theater. Einfache Botschaften oder erbauliche Belehrungen sind von ihren Inszenierungen nicht zu erwarten. Als passionierte Zuschauerin weiß sie, dass der Zauber des Theaters sich nur dort ereignet, wo die Zeichenhaftigkeit des Bühnenspiels eine Konsequenz und Stimmigkeit erreicht, dass selbst sie als professionelle Regisseurin aufhört, auf das Handwerkliche – was dann meist das Misslungene ist – zu achten. Theater muss überzeugen und das Publikum erreichen, und zwar intellektuell sowie sinnlich. Diesen Anspruch stellt sie auch an ihre eigenen Arbeiten. Geistiges und Sinnliches gehören gleichermaßen zum Theater, sie verschränken sich auf der Bühne, erst daraus entsteht
Allein durch das Zusammenspiel der Schauspieler getragen – Jeremy Mokridge, Franziska Machens und Elias Arens in Anne Lenks „Der Menschenfeind“ von Molière (Deutsches Theater Berlin 2019). Foto Arno Declair
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die Spannung. Text und Körper konfrontieren sich, Sprache und Handlung stehen im Verhältnis. Der Schauspieler Fabian Hinrichs hat in seinem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Plädoyer für ein Theater, das sich im freien Spiel begründet, von Immanuel Kant den Begriff der „Gefühlsgedanken“ entlehnt. Spielendes Denken, denkendes Spielen. „Schwitzen und Stampfen auf der Bühne interessieren mich nicht“, sagt Anne Lenk. „Mich interessiert Denken.“ Und dieses Denken muss sichtbar, muss spürbar, muss fühlbar sein. Also Gefühlsgedanken. Auch deswegen hatte sie entschieden, sich während des Studiums umzuorientieren. 1978 geboren, studierte Lenk zunächst Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen. Dort pflege man einen sehr theoretischen Zugang zum Theater, der ihr durchaus gefallen, aber nicht ausgereicht habe. So ging sie nach München an die Otto-Falckenberg-Schule. Dort konnte sie das Regieführen erproben. Wenn man ihre Inszenierungen sieht, so fallen zunächst die fast puristischen, strengen Bühnenräume auf, oft entworfen von der Bühnenbildnerin Judith Oswald, mit der Anne Lenk regelmäßig zusammenarbeitet. Hinzu kommen die exakte Sprachregie und ein außerordentliches Gespür für Figuren. Für Dekoration und Ornamentales hat Lenk nichts übrig. Alles muss an seinem Platz sein, nichts ist überflüssig. Auch verzichtet sie auf das Anhäufen von Fremdreferenzen und Zitaten. Was zu sehen ist, muss sich aus sich selbst heraus erklären. Und das funktioniert freilich nur über die Schauspieler.
Unter der dünnen Schale das Reptil Nach dem Studium arbeitete Anne Lenk zunächst in Augsburg. Dann am Thalia Theater in Hamburg, am Deutschen Theater in Berlin und am Residenztheater in München. Seit vergangener Spielzeit ist sie Hausregisseurin am Staatstheater Nürnberg. In dieser Spielzeit wird sie am Burgtheater Wien und am Staatsschauspiel Hannover inszenieren. Verschiedene Städte, verschiedene Häuser, verschiedene Ensembles und auch ein jeweils verschiedenes Publikum, das reize sie. Wenn sie an einem Theater gut arbeiten könne, wenn spürbar ist, dass sich Haus und Team gut verbinden, bleibe sie auch länger als für eine Produktion. Gleichzeitig könne man sich mit der Arbeit an unterschiedlichen Häusern weiterentwickeln. Das schlägt sich in ihren Inszenierungen nieder. In Ernst Tollers 1927 von Erwin Piscator uraufgeführtem Stück „Hoppla, wir leben“ (Residenztheater München, 2014) ist es Franz Pätzold, der als aus dem Irrenhaus entlassener Revolutionär Karl Thomas durch eine Welt stolpert, die ihm sichtbar fremd geworden ist und im Zeichen der missglückten Revolte steht. „Ich find’ mich nicht mehr zurecht in dieser Zeit“, lässt er verlauten. Judith Oswald gestaltet diese Welt als eine Pyramide, ein Sinnbild der sozialen Hierarchie. Die von Sibylle Wallum entworfenen Kostüme erinnern an George Grosz’ „Die Stützen der Gesellschaft“, überzeichnete Sozialcharaktere einer überkommenen Gesellschaft, die sich mit allen Mitteln an die Macht klammern. Auch mit Wallum arbeitet Lenk oft zusammen. Ähnlich expressionistisch gezeichnet war Lenks Adaption von Ingmar Bergmans Film „Das Schlangenei“ (Residenztheater München, 2017), ebenfalls in den zwanziger Jahren situiert. Es ist wieder Pätzold als Protagonist, der den jüdischen Zirkusartisten
anne lenk
Abel Rosenberg spielt. Die geometrische Bühne von Judith Oswald wirft harte Schatten wie in den Filmen der Zeit. So entsteht ein bedrückendes Szenario, in dem sich Verzweiflung, Resigna tion, Fatalismus mit Brutalität, Zynismus und Antisemitismus verbinden. Eine Vorwegnahme des Faschismus, „unter der dünnen Schale kannst du schon deutlich das entwickelte Reptil erkennen“, ein Schlangenei. Sowohl „Hoppla, wir leben“ als auch „Das Schlangenei“ waren Inszenierungen, die noch sehr frontal funk tionierten, die strenge Setzungen mit dem eher anarchischen und expressiven Spiel von Pätzold konfrontierten. Er sei wie ein Sprengkörper in der Gesellschaftspyramide, erzählt Lenk, etwas Fremdes in dieser Welt. Das war auch die Besetzungsidee. Denn Pätzold sei ein Schauspieler, der gewissermaßen das Gegenteil von ihr mit in die Arbeit einbringe, was mit Reibung, aber auch Freude einhergehe. Erstmals arbeiteten die beiden bei Franz Xaver Kroetz’ „Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind“ (Residenztheater München, 2012) zusammen. Und zuletzt bei Samuel Becketts „Endspiel“ (Residenztheater München, 2018), auch ein kleines Endspiel in der Zusammenarbeit in München, vorerst zumindest.
Ein Bild der Menschheit in der Klemme Auf der Bühne steht im Lichtkegel ein Bürodrehstuhl, Konfetti regnet herab. Ein endzeitliches Stillleben. Bühne und Kostüme sind wieder von Oswald und Wallum. Oliver Nägele als Hamm und Pätzold als Clov liefern sich einen durch die Sprache getragenen Schlagabtausch in ihrer leerlaufenden Dialektik von Herr und Knecht. „Wir entlassen einander“, heißt es am Ende. Ein Spiel, in dem Lenk auch die humorvollen Momente aufleuchten lässt, ohne dass diese in die Groteske kippen. Und plötzlich erkennt man in dem „Endspiel“ auch „Dinner for One“ – und umgekehrt. Jedes Jahr wieder, ein Ritual, ein Spiel, die Wiederkehr des Immergleichen zwischen fröhlicher Resignation und bitterer Bewegungslosigkeit. „Endspiel“ sei ein Modell der Wirklichkeit, sagt Lenk. Mehr als naturalistische Bebilderung interessieren sie diese Modelle der Welt und des Lebens. Auch antike Mythen wie Ödipus haben ihr zufolge bis heute nichts an ihrer Aussagekraft verloren, weil sie ein Bild der Menschheit in der Klemme zeigen, auf der Suche nach einem Schuldigen, der man doch selbst ist. Ein solches Modell trägt sich auf der Bühne allein, alle Elemente sind aufeinander bezogen – und als solche weisen sie dann über sich hinaus. Hamm und Clov müssen nicht in der Fußgängerzone sitzend dargestellt werden, um mit unserer Welt etwas zu tun zu haben, sagt Lenk. Die bisher reifsten Arbeiten von Lenk sind Anton Tschechows „Die Möwe“ (Staatstheater Nürnberg, 2018) und Molières „Der Menschenfeind“ (Deutsches Theater Berlin, 2019), zwei in ihrer Konsequenz und Stimmigkeit beeindruckende Abende. Bei beiden fällt auf, wie überzeugend die Figuren entwickelt sind, wie sie in sich und in Bezug auf die Gesamtheit der Handlung artikuliert sind. Dadurch bekommen die Inszenierungen fast etwas Schwebendes, weil sie sich allein aus dem Zusammenspiel der Schauspieler tragen. In der „Möwe“ ist es wieder ein Raum von Oswald, der als steinernes Monument irgendwo zwischen Innenund Außenraum changiert. Wie in einer therapeutischen Famili-
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enaufstellung sind die Figuren machen. Auch deshalb kann mit darin platziert. Das Theater im Spannung ihre Adaption von Theater kommt als Schattenspiel Sally Potters „The Party“ am Wiedaher, das eine immersive Perner Burgtheater erwartet werden, einer Komödie, die die Lebens formance parodiert, es beginnt heiter. Doch im Laufe der Inszelügen der Protagonisten entlarvt, zugleich aber deren Schwächen nierung sinkt die Farbtemperatur im Raum von gelblich warm angesichts der eigenen Endlichauf bläulich kühl. Die Verhältkeit zeigt. Die Premiere ist – pasnisse vereisen, das Unglück senderweise – eine Woche vor naht. Der Schuss, ein Zwischenden Neuwahlen in Österreich. fall, das Spiel geht weiter. Nur Zwar ist das Ibiza-Video für die von Pauline Kästner geein Skandal, weitaus skandalöspielte Nina nicht, die Lenk als ser aber ist der soziale Rückeigentliche Hauptfigur inter schritt, der in Österreich in den vergangenen Jahren beispielspretiert. Sie will weg, in die Stadt, Schauspielerin werden. weise durch die neoliberale Zerschlagung des Sozialsystems Das wirkt auf die anderen naiv, doch zieht sie als Einzige ihre durchgesetzt wurde. Dass die Politik dem Theater immer ähnKonsequenzen aus dem erstarrten Leerlauf. Eine Deutung, die licher werde, ein Spektakel unüberzeugt – und zudem groß gedeckter Behauptungen, empartig gespielt ist. finde sie geradezu als Schock, Ganz ähnlich ist es beim erzählt Lenk. Doch auch mit „Menschenfeind“. Lenk ermög„The Party“ werde sie nicht auf direkte Ansprachen setzen. Es licht es der groß aufspielenden Franziska Machens, die Figur geht ihr wieder um ein Modell der Wirklichkeit. Daran, dass das der Célimène neu zu fassen – nicht als kokettes Wesen mit Theater sich als Kunst zur Welt verhalten muss, führt kein Weg Mit der Welt, gegen die Welt, zugunsten einer anderen Welt – leichtsinnigen Neigungen, sondie Regisseurin Anne Lenk. Foto Kim Keibel dern als eine souveräne Spielevorbei. Und diese Kunst liegt ihr am Herzen. Aufmerksam regis rin auf durchaus ungünstigem triert sie auch die Schieflagen des Theaterbetriebs, ohne deswegen Gelände. Umgeben von sich aufplusternden Verehrern, ist sie diesen Umstand ohne Unterlass zu beklagen. Klagen liegt ihr diejenige, die sich trotz diverser Widrigkeiten zu behaupten weiß. nicht, sie will arbeiten, Verantwortung übernehmen, verändern. Ulrich Matthes als Alceste ist ein großartiger Gegenpart, der die Das Zentrum von Lenks Inszenierungen ist immer wieder die Abgründe der gehobenen Gesellschaft kennt, der aus Erfahrung, Fremdheit in der Welt, bei Molière, Tschechow oder Beckett. Und nicht aus Irrtum bitter geworden ist. Doch indem er meint, dass die umgekehrt ist es auch die Weltfremdheit des Theaters, die sie inWahrheit nur jenseits allen Spiels zu finden wäre, betrügt er sich selbst – weil er den nichtbetrügenden Schein der Liebe nicht gelten teressiert. Dort gelten andere Gesetze als in der Welt. Aus dieser Fremdheit kann das Theater seine Kraft ziehen – mit der Welt, lassen will. Célimène weiß darum, sie ist klüger, doch wird ihr kein Glauben geschenkt, das ist ihre Tragödie. Der Abend verbindet gegen die Welt, zugunsten einer anderen Welt. An Anne Lenks große Komik mit ebenso großem Ernst. Überhaupt kann Lenk das Inszenierungen wird man nicht vorbeikommen. Vielleicht ist der Bote nicht so wichtig, die Botschaft ist es allemal. // Bühnengeschehen lustig machen, ohne sich über etwas lustig zu
URAUFFÜHRUNG
5. 9. 201 9, 20 Uhr URAUFFÜHRUNG 6. - 7., 9. 9. 201 9, 20 Uhr & 8. 9. 201 9, 1 9 Uhr (Engl. surtitles)
1 9. 9. 201 9, 20 Uhr 20. - 21., 23. 9. 201 9, 20 Uhr & 22. 9. 201 9, 1 9 Uhr (Engl. surtitles)
AUF MEINEN SCHULTERN
AESTHETICS OF COLOR
Eine Tanzperformance von Raphael Hillebrand
Theater von Toks Körner
BALLHAUS NAUNYNSTRASSE · Naunynstraße 27 · 10997 Berlin-Kreuzberg · Tickets & Infos: (030) 754 537 25 . www.ballhausnaunynstrasse.de
LEAR von William Shakespeare und: DIE POLITIKER von Wolfram Lotz (Uraufführung) Regie: Sebastian Hartmann Premiere/Uraufführung: 30.8., Deutsches Theater
SPIELZEIT 2019 /20 AUSSER SICH PREMIEREN SEP – JAN
AUSWEITUNG DER KAMPFZONE nach dem Roman von Michel Houellebecq Regie: Ivan Panteleev Premiere: 8.9., Kammerspiele PHILOKTET von Heiner Müller Regie: Amir Reza Koohestani Premiere: 5.10., Kammerspiele DON QUIJOTE von Jakob Nolte nach Miguel de Cervantes Regie: Jan Bosse Berlin-Premiere: 12.10., Deutsches Theater Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen GLAUBE LIEBE HOFFNUNG von Ödön von Horváth Regie: Jürgen Kruse Premiere: 27.10., Kammerspiele FRANZISKA LINKERHAND nach dem Roman von Brigitte Reimann Regie: Daniela Löffner Premiere: 2.11., Deutsches Theater HEKABE – IM HERZEN DER FINSTERNIS nach Homer und Euripides Regie: Stephan Kimmig Premiere: 22.10., Deutsches Theater WOLKEN.HEIM. von Elfriede Jelinek Regie: Martin Laberenz Premiere: 29.11., Kammerspiele (LIFE ON EARTH CAN BE SWEET) DONNA von René Pollesch Regie: René Pollesch Uraufführung: 15.12., Deutsches Theater
4.48 PSYCHOSE von Sarah Kane Regie: Ulrich Rasche Premiere: 17.1., Deutsches Theater
deutschestheater.de
Illustration: Christoph Feist
ODE von Thomas Melle Regie: Lilja Rupprecht Uraufführung: 20.12., Kammerspiele
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Verführerin zum eigenen Ton Miriam Tscholl provoziert mit der Dresdner Bürgerbühne bewusst gesellschaftliche Durchmischungen – nach zehn Jahren gibt sie nun die Leitung dieses Erfolgsprojekts ab
von Gunnar Decker
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ie sitzt vor dem Kleinen Haus des Staatstheaters Dresden in der Sonne und wünscht allen, die an unserem Tisch vorbeigehen, laut einen guten Morgen, obwohl es bereits nach 12 Uhr ist. Es klingt gelöst, oder soll man sagen: erlöst? Hinter Miriam Tscholl liegt eine kompakte Woche, das 4. Europäische Bürgerbühnenfestival in Dresden. Ein Jahr lang hat sie darauf hingearbeitet, reiste durch Europa und sah sich vor Ort Produktionen an sowie zusätzlich über dreihundert Videomitschnitte von Inszenierungen. Elf hat sie dann nach Dresden zum Festival eingeladen, insgesamt fanden 38 Veranstaltungen statt, bis gestern. Wahrlich Anlass für ein kräftiges „Guten Morgen!“, in den Mittag hineingerufen. Der thematische Bogen war weit geschlagen, die Formen denkbar vielfältig. Da waren etwa in „Stadium“ von Mohamed El Khatib und dem Collectif Zirlib die Fans des französischen Zweitligisten RC Lens. Einst war die Gegend nördlich von Paris eine Kohle- und Stahlregion, heute klammert man sich hier inmitten von Arbeitslosigkeit und Armut an den Fußball. Niemand sage, dass Fans immer jung und männlich seien, Yvette ist weiblich und 84 Jahre alt. Aber immer noch ziemlich ausschließlich in ihrer Liebe: „1977 sagte mein Ehemann zu mir: ‚Ich kann das mit deinem Fußball nicht mehr, dass das ganze Haus gelb und rot ist. Jetzt musst du dich entscheiden, ich oder der Fußball.‘ Ohne Zögern wählte ich den RC Lens.“ Theater als Lebensspiegel ganz normaler Leute. Das ist es, was Miriam Tscholl interessiert. Diese unerwartete Selbstoffenbarung im Spiel, das viele Facetten hat, fasziniert sie immer wieder aufs Neue. So funktionalisierte der katalanische Regisseur Roger Bernat in „Pending Vote“ die Bühne in einen Versammlungsraum um, in dem über Mit bestimmung und Manipulation, Überzeugung und Kompromiss in der Demokratie debattiert wird. Aber was heißt „umfunktioniert“ – der Diskurs über die Frage, wie man leben soll, wohnt dem Theater im Grunde seit seinen Anfängen inne. Ungarn kam gleich zweifach vor, auch aus solidarischen Gründen, denn die Form des „partizipativen Theaters“ wird dort nicht nur nicht gefördert, sondern ist überhaupt nicht erwünscht. In den Beiträgen ging es zum einen um Obdachlosigkeit als Kehrseite des neuen Wohlstands („Addressless“ von Lifeboat Unit – Stereo Akt), zum anderen um Roma-Frauen („Long Live Regina!“ vom Self-Theatre). Diese sprechen über ihre systematische Diskriminierung im ungarischen Gesundheits- und Sozialsystem. In einem deutlichen Kontrast dazu stand das – im ersten Moment abgehoben wirkende – Thema der belgischen Regisseurin Lies Pauwels, das ihrem am Schauspielhaus Bochum entwickelten Beitrag „Der Hamiltonkomplex“ zugrunde lag. Sie macht mit 13-jährigen Mädchen Theater über ein Rollenverhalten, das von außen an sie herangetragen wird: Lolitas erproben auf der Bühne die Erwachsenenwelt. Die meisten der vorgefertigten Rollen passen nicht.
Das ist mein Leben – Die Faust-Adaption „Ich armer Tor“ (Staatsschauspiel Dresden 2015) erarbeitete Miriam Tscholl mit Männern, die wie Goethes Akademiker in einer Midlife-Crisis stecken. Foto Matthias Horn
miriam tscholl
Für Miriam Tscholl aber schwingt im Begrüßungsfuror mehr mit als der erste freie Tag nach der Festivalüberfülle. Für sie geht eine zehnjährige Ära zu Ende. So lange hat sie die Bürgerbühne in Dresden geleitet. Ein Prototyp sozusagen für viele andere Bürgerbühnen. Künftig will sie wieder mehr selbst inszenieren und das tun, was sie besonders gut kann: neue Theaterformate erfinden. Vor allem offen sein für Neues. Die Leitung der Dresdner Bürgerbühne übernimmt ab September Tobias Rausch, auch er erprobt in Formen des Dokumentartheaters und der Arbeit mit Laien.
So spielwütig sind die Dresdner Am Abend zuvor lief außerhalb des Festivals eine der neusten Bürgerbühnen-Produktionen: „Früher war alles“, Untertitel „Geschichten von Träumen und Abwicklungen aus Freital“, gespielt von Bürgern aus Freital. Das ist ein in der medialen Öffentlichkeit negativ besetzter Name. Gab es da nicht die rechtsradikale „Gruppe Freital“? Und auch Pegida-Demonstrationen gegen Flüchtlinge, von denen Tilmann Köhler 2015 ein zwölfminütiges Video in seine Inszenierung von „Maß für Maß“ einbaute. Freital als Inbegriff des „hässlichen Sachsens“? „Mit den Freitalern, die in ‚Maß für Maß‘ dargestellt sind, verbindet mich tatsächlich nichts mehr“, erklärte Miriam Tscholl 2015 im Gespräch (TdZ 11/2015). Es klang sehr abschließend. Aber die Bürgerbühne ist eben kein Agitprop-Theater, das vorgefertigte Botschaften versendet, sondern eine Art Suchorgan. Und so öffnete sich auch das Freital-Fenster neu. Für Bürger der Stadt, die hier auf eine Zeitreise gehen. Denn die Wahrheit, auch die über sich selbst, gilt es immer erst noch herauszufinden. Und natürlich ist Freital mehr als sein zum Schlagwort gewordener schlechter Ruf. Wie war es früher, alles besser oder alles schlechter? Das ist die falsche Frage angesichts eines komplizierten Wandlungsprozesses. Die deutsche Vereinigungsgeschichte, das erzählt dieser Abend, ist noch längst nicht abgeschlossen. Die Inszenierung hat drei Teile. Der erste spielt 1964, mitten in der DDR, die da noch eine Zukunft zu haben glaubte. Der zweite 1991, als das bisherige Leben plötzlich passé war (samt Vereinigungseuphorie) und die Treuhand fast alle Betriebe schloss, die bislang das Rückgrat der Region waren. Massenarbeitslosigkeit herrschte. Der dritte 2015, als man sich auch in Freital mit der Flüchtlingsfrage auseinandersetzen musste. Jan Gehler inszenierte den auf Basis von Recherchen vor Ort entstandenen Text von Dirk Laucke, Sabrina Rox schuf die Bühne. Die Spieler sind sämtlich Laien aus Freital. Es ist, so Miriam Tscholl, ein Prinzip der Bürgerbühne, dass sie wie die anderen Sparten behandelt wird, mit gleichen Probenzeiten, professioneller Regie, Bühne, Kostümen – dem ganzen Know-how des Hauses. Hier geht es also nicht vorrangig um Selbsterfahrungstrips oder Befindlichkeiten, sondern am Ende soll ein möglichst hochkarätiges Ergebnis stehen. Schließlich laufen die Stücke im regulären Spielplan, und die Karten werden zu ganz normalen Preisen angeboten. Der Anspruch auf künstlerische Qualität gehörte von Anfang an zur Bürgerbühne. Bürgerbühne, welch ein stolzes Wort! In den Ohren mancher klingt es vielleicht eher konservativ. Nicht Laienbühne, nicht Amateurtheater, auch keiner dieser schrägen Namen für alternative Gruppen, wie sie jetzt modern sind, sondern schlicht Bürgerbüh-
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ne. Als Miriam Tscholl 2009 auf Einladung des damaligen Intendanten Wilfried Schulz in Dresden die Bürgerbühne begründete, war der Erfolg überwältigend. Zu den Castings für die Produktionen meldeten sich unerwartet viele Interessenten. In kurzer Zeit brachte es die Bürgerbühne auf zehn Prozent der Gesamtzuschauerzahlen. So spielwütig sind die Dresdner. Schulz verkündete damals ein aufklärerisches Programm für „ein fortschrittliches, eroberndes Bürgertum, ein neugieriges, ein offenes“. Eine instinktsichere Zielsetzung, wohl auch aus einem erkannten Defizit heraus. Denn die politischen Erfolge der AfD in Sachsen haben gewiss auch damit zu tun, dass es hier an einem kulturtragenden Bürgertum, einer Mitte, die die politischen Extreme auszugleichen vermag, immer noch fehlt. Politisch ist die Bürgerbühne auch, aber eben mit künstlerischen Mitteln. Die Frage, was interessiert mich, was nicht, stellt Miriam Tscholl in der Ar-
Auf der Suche nach gelebten Geschichten – die Regisseurin Miriam Tscholl. Foto Sebastian Hoppe
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Die Bürgerbühne ist kein Agitprop-Theater, sondern ein Suchorgan – „Früher war alles“ (Staatsschauspiel Dresden 2019) von Dirk Laucke in der Regie von Jan Gehler. Foto Sebastian Hoppe
beit mit immer neuen Laien zuerst. An bloßen Meinungen, das macht sie jedem Interessenten schnell klar, ist sie erst einmal nicht interessiert. Dafür interessieren sie gelebte Geschichten, aus denen Erfahrungen wachsen, umso mehr. Gecastet werden immer nur Spieler, die zu einem bestimmten Projekt passen. Geht es um Menschen mit Behinderung, dann sind diese gesucht, geht es um Migration, dann spielen Migranten. Am liebsten aber, so scheint es, mag sie klassische Stoffe, die sie mit der besonderen Biografie der Spieler verbindet. Etwa bei den „Leiden des jungen Werther“, da standen dann lauter unglücklich Verliebte auf der Bühne. Die Faust-Adaption „Ich armer Tor“ erarbeitete sie mit Männern, die wie Goethes vielstudierter Akademiker Faust in einer Midlife-Crisis stecken. Von dieser Arbeit gibt es einen Probenmitschnitt, der zeigt, mit welcher Offenheit und Bestimmtheit zugleich Miriam Tscholl in ihrer Arbeit als Regisseurin auf die Spieler zugeht. Der wichtigste Satz dabei lautet: „Ich weiß am Anfang nicht, was am Ende rauskommt.“ Die Inszenierungsarbeit wird zur Expedition, die von einem klassischen Stoff und dessen Lesarten durch die Mitspieler lebt. Die erste Frage, die sie allen stellte: „Was hat dein Leben mit Faust zu tun?“ Nach und nach kamen die Geschichten. Die Kunst der Regie bestand darin, das Biografische mit dem Thematischen so zu verbinden, dass das Spiel persönlich, doch nicht privat wirkte. „Locker sein und sich berühren“, sagt sie, sei die Basis des Theaters. Und der Neigung von Laien, in ein falsches Klassikerpathos zu flüchten, galt es entschieden entgegenzuwirken. Habe den Mut, auf der Bühne lässig zu sein! Die Spieler dazu zu verführen gelingt ihr immer wieder. Da ist etwa Benno, der Pfarrer außer Dienst, der 150 Kinder getauft und 250 Menschen
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beerdigt hat. Nun steht auch er da wie ein armer Tor: „Als es mir am schlechtesten ging, leitete mein Arbeitgeber, die Kirche, ein Ermittlungsverfahren wegen Ehebruch gegen mich ein, entzog mir meine Arbeitsstelle und versetzte mich in den sogenannten ‚Wartestand‘. Ich bin enttäuscht vom Leben und eben auch von meiner Kirche. – Ich sag euch, es möge kein Mensch so länger leben.“ Oder Sebastian, der Banker, der schon als Berufsanfänger ein sehr hohes Gehalt bekam, das schnell weiter stieg: „Da hab ich gedacht, das isses. Das ist mein Leben jetzt. Zwischen Finanzwelt, Fünf-Sterne-Hotels und lecker Essen. Das Leben in der Business Class der Swiss Air über dem großen Teich. Auf einmal kriegte ich Panikattacken.“ Immerhin einer, der sich in der Finanzwelt auskennt, so konnte er erklären, was eine Wette auf eine Wette ist. Der fragile Mensch in all seiner Idealität und Alltäglichkeit zugleich, das ist ein Thema, mit dem man nie fertig wird. Daraus resultieren schmerzhafte Fallhöhen. Aber man muss sich wirklich dafür interessieren, nicht bloß so tun als ob, denn dann funktioniert es nicht. Ein Windstoß fegt plötzlich alles Papier von unserem Tisch im Freien. Das wäre doch mal ein Anfang, ganz ohne aufgeschriebene Stichwörter und Zitate? Aber im Leben wie auf dem Theater gilt: Ohne einen klugen Text wird alles Spiel schnell banal. Da sind wir uns einig – und sammeln die auseinandergewehten Notizzettel schnell wieder ein. Wohin sie ihr Weg nach diesen zehn Jahren in Dresden führen wird, weiß Miriam Tscholl noch nicht. Aber gewiss werden es wieder Neuanfänge sein, die sich auf die alten Fragen und Antriebe stützen. Nur die jeweiligen Antworten wechseln. Im Grunde hat sie immer aus dem Widerspruch heraus gearbeitet, die Dinge zugleich denken und tun zu wollen. Nachdem sie in Wiesbaden
miriam tscholl
Architektur und in Hildesheim Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis studiert hatte, war sie für mehrere Jahre an der Universität Hildesheim als künstlerische Mitarbeiterin tätig. Zeitgleich gründete sie das freie Theaterkollektiv Werkgruppe 1. Bereits da ging es um Recherche zwischen Biografie und Dokument. Dann leitete sie ein türkisch-deutsches Theater in Hildesheim, das immer noch existiert. In Hannover wurde schließlich Wilfried Schulz auf ihr Talent aufmerksam, mit Laien zu arbeiten, ohne dabei den eigenen hohen (auch theoretischen) Anspruch zu verleugnen. In Hannover machte sie Theater mit Kindern und Jugendlichen, vor allem „aus den Vorstädten“, wie es oft beschönigend heißt. Dann kam schon Dresden. Was sie fürchtet, sind Parallelgesellschaften, die fremd nebeneinander her existieren. In Kontakt kommen mit anderen heißt, mit sich selbst anders umzugehen. Mischungen gilt es bewusst zu provozieren, neuer Einsichten wegen – zwischen Einheimischen und Zugereisten, Christen, Muslimen und Atheisten, aber eben auch im Theater selbst zwischen Laien und Profis. Das ist die grundsätzliche Haltung der Bürgerbühne, die Miriam Tscholl in Dresden mitgeprägt hat. Meine Geschichte erzähle ich, auch wenn es keine glanzvolle, sondern eine des Scheiterns ist. Aber ich erzähle nicht nur, ich höre auch zu. Zu dieser Haltung ermutigt zu haben, scheint das Geheimnis des langen Erfolgs von Miriam Tscholls Bürgerbühne zu sein. Keine Rhetorik, stattdessen immer wieder Schmerzmomente erfahrbar machen, auch für jene, die als Zuschauer daran teilhaben. Dafür lohnt es sich, immer wieder neu anzufangen. //
»Ihr seht nur nicht die Mauer, die uns einschließt ...« Friedrich Schiller
PREMIEREN 2019–20
Vor Sonnenaufgang Hänsel und Gretel Hilfe, die Mauer fällt! Cinderella Hamlet Don Giovanni Die Dreigroschenoper Madama Butterfly Eine MittsommernachtsSex-Komödie Das Dschungelbuch Leben ist immer lebensgefährlich Die Tür nebenan Das letzte Mal Sonny Boys Du bist heute wie neu Der kleine Angsthase Frau Holle Geheimcodes Kabale und Liebe Peter und der Wolf Nathans Kinder Alice Thüringer Landestheater Rudolstadt Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt GmbH www.theater-rudolstadt.de / Intendant: Steffen Mensching
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SPIELZEIT 2019/2020 SCHAUSPIEL
SCHAUSPIEL
MUSIKTHEATER
Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig Uraufführung Mehdi Moradpour // Pınar Karabulut 13. September 2019, Kleines Haus
Die rote Zora und ihre Bande Uraufführung Kurt Held / John von Düffel // Selen Kara / 6+ 24. November 2019, Theater am Goetheplatz
Falstaff Giuseppe Verdi // Marko Letonja / Paul-Georg Dittrich 15. März 2020, Theater am Goetheplatz
MUSIKTHEATER
Der Rosenkavalier Richard Strauss // Yoel Gamzou / Frank Hilbrich 20. September 2019, Theater am Goetheplatz
SCHAUSPIEL
In Bed with Madonna Anne Sophie Domenz / Maartje Teussink 6. Dezember 2019, Kleines Haus
SCHAUSPIEL SCHAUSPIEL / MOKS
SCHAUSPIEL
The End. Eine Replikantenoper Uraufführung Jan Eichberg // Felix Rothenhäusler 26. September 2019, Kleines Haus SCHAUSPIEL
Vögel Wajdi Mouawad // Alize Zandwijk 28. September 2019, Theater am Goetheplatz
Jugend ohne Gott Ödön von Horváth // Alexander Riemenschneider / 15+ 7. Dezember 2019, Brauhaus SCHAUSPIEL / JUNGE AKTEUR*INNEN
Frühlings Erwachen Frank Wedekind // Alize Zandwijk / Tomas Bünger / 14+ 16. Januar 2020, Kleines Haus
MUSIKTHEATER
Don Giovanni Wolfgang Amadeus Mozart // Hartmut Keil / Tatjana Gürbaca 20. Oktober 2019, Theater am Goetheplatz
MUSIKTHEATER
Jakob Lenz Wolfgang Rihm // Hartmut Keil / Marco Štorman 1. Februar 2020, Theater am Goetheplatz
TANZ
Spektrum Máté Mészáros / Unusual Symptoms 24. Oktober 2019, Kleines Haus
SCHAUSPIEL
Die heilige Johanna der Schlachthöfe Bertolt Brecht // Alize Zandwijk 9. April 2020, Theater am Goetheplatz
Schäfchen im Trockenen Anke Stelling // Nina Mattenklotz 17. April 2020, Brauhauskeller JUNGE AKTEUR*INNEN
Like a Virgin Nathalie Forstman / Christiane Renziehausen / 12+ 18. April 2020, Brauhaus SCHAUSPIEL
Die Marquise von O. … — Faster, Pussycat! Kill! Kill! Uraufführung Heinrich von Kleist / Russ Meyer / Enis Maci // Elsa-Sophie Jach 30. April 2020, Kleines Haus MUSIKTHEATER
TANZ / JUNGE AKTEUR*INNEN
Young dogs do cry sometimes Samir Akika / Unusual Symptoms 14. Februar 2020, Kleines Haus
Jenůfa Leoš Janáček // Yoel Gamzou / Armin Petras 9. Mai 2020, Theater am Goetheplatz
SCHAUSPIEL
Schloss Rosmersholm Henrik Ibsen // Armin Petras 8. November 2019, Kleines Haus MUSIKTHEATER
Alcina Georg Friedrich Händel // Marco Comin / Michael Talke 10. November 2019, Theater am Goetheplatz SCHAUSPIEL
Mutter Vater Land Uraufführung Akın Emanuel Şipal // Felix Rothenhäusler 22. November 2019, Kleines Haus
SCHAUSPIEL
TANZ
Nana bekommt keine Pocken im Pro Sex Feminismus Virginie Despentes / LA FLEUR // Monika Gintersdorfer / Franck Edmond Yao 20. Februar 2020, Kleines Haus
Followers Grow Magic Núria Guiu Sagarra / Unusual Symptoms 16. Mai 2020, Kleines Haus
SCHAUSPIEL
Die Dreigroschenoper Bertolt Brecht / Kurt Weill // Klaus Schumacher / Tobias Vethake 22. Februar 2020, Theater am Goetheplatz
SCHAUSPIEL
Drei Schwestern Anton Tschechow // Dušan David Pařízek 29. Mai 2020, Theater am Goetheplatz MUSIKTHEATER
NOperas! – Chaosmos Marc Sinan / Tobias Rausch / Konrad Kästner 20. Juni 2020, Kleines Haus
DIE BEsEssENEN
ANDI EUROPÄER (UA)
nach den Bacchen des Euripides in einer Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig R: Jan Philipp Gloger P: 28. September 2019
von Philipp Löhle R: Tina Lanik UA: 31. Januar 2020
Heilig ABend von Daniel Kehlmann R: Mirjam Loibl P: 02. Oktober 2019
I LOVE YOU, TURKEY! (DsE) von Ceren Ercan R: Selen Kara DSE: 05. Oktober 2019
NORA
NO WORK AND ALL PLAY (UA) Game-Theater über die Zukunft der Arbeit als spielbare Utopie von Prinzip Gonzo UA: 08. März 2020
KOPRODUKTION MIT DEM MLADINsKO THEATER LJUBLJANA R: Eva Nina Lampič P: 12. März 2020
von Henrik Ibsen R: Andreas Kriegenburg P: 02. November 2019
DAs AUTOMATENZEITALTER (UA) nach dem Roman von Ri Tokko R: Kieran Joel UA: 21. November 2019
ALPHA (UA) Ein Abend über Männlichkeit mit Liedern von Frauen R: Manuel Schmitt ML: Vera Mohrs UA: 22. November 2019
KAsPAR von Peter Handke R: Jan Philipp Gloger P: 30. November 2019
sEX ARBEIT (UA) Rechercheprojekt von Wenzel Winzer R: Wenzel Winzer UA: 23. Januar 2020
THE LEGEND OF GEORGIA MCBRIDE (DsE) von Matthew Lopez R: Christian Brey DSE: 25. Januar 2020
AMPHITRYON von Heinrich von Kleist nach Molière R: Anne Lenk P: 21. März 2020
1999/2000. ERsTE sTAFFEL (UA) von Boris Nikitin mit Texten aus dem Reality-TV, von Orwell, Tschechow und anderen R: Boris Nikitin UA: 15. Mai 2020
REIGEN von Arthur Schnitzler R: Anne Lenk und Jan Philipp Gloger P: 17. Mai 2020
WAs IHR WOLLT von William Shakespeare R: Clara Weyde P: 03. Juli 2020
IMPORT/EXPORT Internationale Wochenenden TÜRKEI (Dezember 2019) / SLOWENIEN (März 2020) / CHINA (Juni 2020)
schauspiel – sPIELZEIT 2019/2020 WWW.STAATSTHEATER-NUERNBERG.DE Staatsintendant: Jens-Daniel Herzog / Schauspieldirektor: Jan Philipp Gloger
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Wir spielen nicht Kooperation Warum die israelische Regisseurin Ofira Henig in ihrem Heimatland überall aneckt und lieber frei arbeitet als mit staatlichen Geldern. Ein Porträt von Renate Klett
O
fira Henig ist eine der wichtigsten Regisseurinnen Israels und hat doch große Schwierigkeiten, dort zu arbeiten. Der Grund ist die Politik. Sie gilt als zu kritisch, zu radikal, um offiziellen Institutionen vorzustehen. Dabei hat sie es durchaus erfolgreich getan, war Künstlerische Leiterin des Jerusalem Khan Theatre (1996 bis 2001), der Abteilungen Theater, Tanz und Kreation des Israel Festivals (2001 bis 2004), des Theaters The Lab in Jerusalem (2004 bis 2006) sowie des Stadttheaters in Herzlia (2007 bis 2011). Dass sie so oft die Position wechselte – mitunter nicht freiwillig –, hat mit ihren hohen Ansprüchen, ihrer Kompromiss losigkeit und einer großen Portion Kampfgeist zu tun. 1960 im Kibbuz Ruhama geboren, studierte sie nach dem Militärdienst Drama am Kibbutzim College Tel Aviv und begann zu inszenieren, und das gleich am berühmtesten Theater des Lan-
des, dem Habima in Tel Aviv. Später übernahm sie die Leitung des Khan Theatre in Jerusalem, einer ehemaligen osmanischen Karawanserei, umgestaltet zu einer der schönsten Spielstätten des Landes und versehen mit dem Versprechen der Freiheit. Rückblickend sagt sie: „Die Zeit im Khan Theatre war entscheidend für mich. Da verwandelte ich mich von einer ‚interessanten Regisseurin‘ zu einer ‚ernsthaften Künstlerin‘.“ Sie inszenierte Tschechow und Genet, Howard Barker und Koltès, und sie entwickelte dort eine ihrer schönsten Arbeiten überhaupt, die jahrelang immer wieder zu Festivals eingeladen wurde: „Die Stadt der kleinen Menschen“ nach Scholem Alejchems gleichnamiger Sammlung wundersamer jiddischer Geschichten. Die Insze nierung des Khan Theatre zeigt eine Schtetl-Welt ganz ohne ver-
Ein System, das auf Exklusion ausgerichtet ist – „Kind of“ von Ofira Henig thematisiert israelischen Schulalltag nach dem Sechstagekrieg von 1967. Foto Gianmarco Bresadola
of ira henig
kunft? Oder doch schlicht darin, dass er seine Heimat verloren hat und damit sein Zentrum? Die Quadratur dieses Kreises birgt viel schwarzen Humor in sich, und der großartige Schauspieler Khalifa Natour balanciert die Tragödien und Absurditäten so haarscharf über dem Abgrund, dass man ihm atemlos zuhört, lachend, wütend, verzweifelt und voller Bewunderung für die feinmaschige Regie und die große Virtuosität, mit der er sie füllt. Die Aufführung gastierte auf vielen Festivals zwischen Berlin, London, Rom, Sydney und Ramallah. Peter Brook lud sie in sein Théâtre des Bouffes du Nord nach Paris ein und ließ Ofira und Khalifa in der Folge bei sich arbeiten. „Khalifa ist wie ein Bruder für mich“, sagt Ofira. „Er ist der einzige Schauspieler, mit dem ich mich in einem Raum einschließen und ein Solo erarbeiten kann. Denn eigentlich arbeite ich lieber mit vielen Schauspielern auf einmal. Und ich habe das große Glück, dass ich in meinem freien Ensemble sehr viele sehr gute Schauspielerinnen und Schauspieler habe, obwohl ich sie nur so schlecht bezahlen kann. Wir sind wie eine verschworene Gemeinschaft, und wir können sehr frei sein, da wir nur uns selbst gegenüber verantwortlich sind.“
Ofira Henig. Foto Gerard Alon
schwiemelte Romantik und „Anatevka“-Kitsch. Auf der leeren Bühne steht ein robustes Holzhaus in Miniatur, weitere kommen hinzu, und am Ende sind alle verschwunden. Immer wieder zieht der Treck der Juden über die Bühne, auf der Suche nach dem Gelobten Land, das überall dort ist, wo man sie bleiben lässt. In kleinen Szenen voller Humor und Trauer wird ihr Alltag beschrieben: Die Frau mit dem verbeulten Kochtopf, die nur den einen besitzt und vom Rebbe wissen will, ob er noch koscher sei für die Hühnersuppe des Sohns, nachdem der Nachbar ihn zum Milcherhitzen benutzt hat. Der Vater, der den Sohn zum Studieren in die Stadt geschickt hat und nun darauf wartet, dass er als Doktor zurückkommt – doch Doktor kann er nur werden, wenn er seiner Religion abschwört. Der Gutsbesitzer, der sich die Rothschilds zum Vorbild nimmt und versucht, in seinem Dorf das Äquivalent eines Pariser Barons zu sein. Die Regisseurin zeichnet diese Welt aus Glauben und Gewitztheit in klaren, hellen Bildern, hinterfragt die Enge dieser Welt, zitiert Klischees von Judentum und Zionismus und ironisiert die verklärte Erinnerung. Der vorbeifahrende Zug, der in verschiedenen Szenen zu hören ist, wird am Ende überlaut, und eine Miniatureisenbahn umkreist die Bühne. Das Zeichen ist deutlich und aufwühlend, die Vernichtung des dargestellten Lebens ist in ein fast poetisches Bild gefasst. Als freie Produktion brachte sie 2006 das Solo „In Spitting Distance“ von Taher Najib heraus, die surreal überhöhte und in sich absolut glaubwürdige Geschichte eines palästinensischen Schauspielers mit israelischem Pass, der am ersten Jahrestag von 9/11 von Paris nach Tel Aviv fliegen will. Da gibt es plötzlich Probleme, die grotesk sind, aber auch beängstigend. Wie beweist man seine Identität, wenn der Pass nicht reicht? Und überhaupt – worin besteht sie eigentlich? Dass er wie alle Palästinenser in Ramallah immer ausspuckt, als könnte man damit den schlechten Geschmack im Mund loswerden, den die Besatzung verursacht? Dass er als Schauspieler ein und dasselbe Stück auf Arabisch und auf Hebräisch spielen kann? Dass die französische Polizei ihn beim Abflug genauso lange verhört wie die israelische bei der An-
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Mit offiziellen Institutionen hat sie sich immer schon schwergetan – ihr letzter Versuch war die Intendanz des Herzlia-Theaterensembles. Sie erzählt: „Als der Bürgermeister mich 2008 fragte, schrieb ich ihm einen langen Brief, in dem ich meine Vorstellung von Theater, mein politisches Engagement und meine Arbeitsweise als Regisseurin darstellte. Wunderbar, das ist genau, was wir wollen!, sagte er. Und die ersten zwei Jahre lief es ja auch ganz gut. Aber dann verschärfte sich die politische Situation, es gab weniger Zuschauer, und unsere Ansichten drifteten immer mehr auseinander. 2011 haben sie mich schließlich gefeuert.“ Auslöser war, dass Intendantin und Ensemble sich vehement gegen Auftritte in jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland aussprachen, speziell in Ariel, das sein neues Kulturzentrum mit solchen Gastspielen schmücken wollte. „Danach schwor ich mir, nur noch frei zu arbeiten, am liebsten in internationalen Koproduktionen und in keinem Fall mit staatlichem israelischem Geld“, sagt Ofira. Eine der vielen Inszenierungen, die so entstanden, trägt den schönen Titel „Yes, Stand Out of My Sun“ (Geh mir aus der Sonne, 2012). Die berühmte
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protagonisten
Antwort des Diogenes in der Tonne auf die Frage Alexanders des Großen, was er sich von ihm wünsche, ist hier der Ausgangspunkt für das szenische Nachdenken über die Freiheit des Künstlers. Eigens dafür geschriebene Texte von Gilad Evron, Youssef Abu Warda und Ofira Henig, autobiografisches Material des Ensembles, Anekdoten, Dokumente und Referenzen an Heine und Lorca, Robert Capa und Leni Riefenstahl werden collagiert zu einem politischen Panoramabild, das aus lauter kleinen Geschichten besteht. Sie handeln von Trauer und Aufruhr, Heimweh, Identitätssuche und den Verletzungen, die daraus entstehen. Die Monologe der historischen Figuren und der heutigen Darsteller reiben sich aneinander, die politische Botschaft trifft umso stärker, als sie nicht dogmatisch, sondern alltäglich daherkommt und wie immer bei Ofira mit einem kräftigen Schuss Humor. Was bedeuten Zugehörigkeit und deren Verlust? Was Heimat, wenn die Nicht-Heimat immer wichtiger wird? Lässt sich Identität nur in fremder Gestalt, etwa als Schauspieler, voll entfalten? Am eindrücklichsten blieb die Schlussszene in Erinnerung, eine politische Slapstick-Nummer erster Güte: Beim Filmfestival in Cannes werden der israelische Regisseur und sein palästinensischer Hauptdarsteller zusammen auf die Bühne gebeten. Der Regisseur ist festivalerfahren, der Schauspieler nicht. Letzterer hat sich aber eigens einen Smoking anfertigen lassen, nur passt der nicht so recht. Als der Regisseur mit ausgebreiteten Armen auf ihn zukommt, um ihn weltmännisch zu umarmen, wird der Schauspieler von Panik erfasst, weil er fürchtet, dass durch seine Erwiderung der Umarmung die Leibbinde zerreißt und ihm vor aller Augen und Kameras die Hosen herunterrutschen. Also bleibt er stocksteif s tehen, wendet sich ab und liefert damit der Weltpresse ein gefundenes Fressen voll vermeintlicher politischer Symbolik.
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Auf der Suche nach einem Ort zum Überleben – „The Bees‘ Road“ von Ofira Henig und Khalifa Natour (im Bild). Foto Gerard Alon
Es ist eine wahre Geschichte, die genüsslich zelebriert wird, und sie wird Ofira besonders gefallen haben, weil sie nichts so sehr hasst wie die häufigen Versuche, ihre Arbeit als Beweis dafür zu verein nahmen, dass Kooperation in Israel möglich und erfolgreich sei. „Das ist Schönfärberei“, erklärt sie, „und dafür geb’ ich mich nicht her. Wir spielen nicht Kooperation, sondern Theater. Ich suche die Schauspieler nach ihrer Qualität aus, nicht nach ihrer Herkunft.“ Über ihre Arbeitsweise sagt sie: „Seit sieben Jahren haben wir keinerlei finanzielle Unterstützung in Israel. Wir haben kein Theater, keine Probenräume, also improvisieren wir. Meist läuft es so: Ich habe eine Idee für ein Stück, recherchiere, schreibe einen Textentwurf. Wir machen Workshops zu dem Thema, verändern den Text, probieren allerlei aus. Dann beginnen die Proben, in Tel Aviv und Haifa. Wir suchen europäische Koproduzenten. Thomas Ostermeier und die Schaubühne haben uns sehr oft geholfen. Wir wurden regelmäßig zum FIND (Festival Internationale Neue Darmatik) eingeladen und konnten die Endproben und die Premiere dann in Berlin machen. Dafür bin ich sehr dankbar. Wenn wir genügend Gastspiele in Europa haben, können wir es uns leisten, von dem Geld auch ein paar Aufführungen in Israel zu finanzieren. Das sind dann nur fünf, sechs Abende, aber sie sind meist sehr gut besucht. Es ist alles nicht so einfach, aber bisher haben wir es geschafft zu überleben.“ Ofira hat Brechts „Im Dickicht der Städte“ in Augsburg inszeniert (2013) und 2015 ihr eigenes Stück „Drei Hunde Nacht“ am Deutschen Theater Berlin. Letzteres ist ein Stück über das Sterben und die
of ira henig
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Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen, ausgelöst durch den Tod ihres Vaters. Ein Stück, in dem drei Schauspielerinnen, eine Israelin, eine Palästinenserin und eine Österreicherin, in ihren jeweiligen Sprachen über ein würdevolles Sterben sprechen, das Recht auf Selbstbestimmung bis zum Ende und die Belastung, die der Vollzug eines letzten Willens für die Angehörigen bedeutet. Ofira kontrastiert hier die Sterbehilfe mit der Zwangsernährung von politischen Gefangenen im Hungerstreik (Sterbehilfe ist in Israel verboten, Zwangs ernährung nicht). Der Reiz des trilingualen Stücks (hebräisch, arabisch, deutsch) besteht in der Behauptung dieser Gleichwertigkeit. „Ofira arbeitet in Kapiteln“, beschreibt DT-Schauspielerin Almut Zilcher die Arbeitsweise, „da gibt es das Kapitel der Bilder, das des Storytellings und das der Dokumente, und diese Kapitel müssen bei den Proben miteinander verflochten werden. Wenn das nicht gelingt, dann bekommen ihre Arbeiten ja leicht etwas Statuarisches. Es war toll, wie wir drei Frauen unsere unterschiedlichen Kulturen einbringen konnten und wie am Ende alles zusammenkam. Am DT wurde das trilinguale Stück freundlich und positiv aufgenommen, aber im Cameri Theatre in Tel Aviv war die Aufnahme triumphal. Eine solche Begeisterung – danach muss man in Berlin schon suchen.“ Beim FIND der Schaubühne und mit deren Unterstützung, gefördert vom Goethe-Institut und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, brachte Ofira 2018 ihre derzeit jüngste Arbeit heraus: „Kind of“. Das Stück beschreibt, stark autobiografisch geprägt, israelischen Schulalltag nach dem Sechstagekrieg von 1967; das System ist auf ta_1909_tdz
30.06.2019
20:56 Uhr
Exklusion ausgerichtet, auf Stärke und Überlegenheit. Die Folgen werden, wie in ihren Arbeiten üblich, an biografischen Beispielen verdeutlicht. Viel gemeinsames Marschieren und Singen, Selbstversicherung gegen das Andere, Fremde, die Ausbildung von Kampfhunden als Muster für gesellschaftliche Bildung: automatische Reflexe, die antrainiert ein Leben lang beibehalten werden. Sie habe über vierzig Aufführungen inszeniert, schätzt Ofira in unserem Gespräch und fügt leicht wehmütig hinzu: „Gerne würde ich mich mal wieder mit Tschechow beschäftigen, den ich so liebe, aber die Zeit ist nicht richtig dafür. Ich kann jetzt nur politische Stücke machen, weil die Situation immer krasser wird. Der Faschismus hat inzwischen auch die israelischen Theater erreicht – es ist unvorstellbar, aber wahr. Deshalb bin ich so froh, dass ich mithilfe der internationalen Szene frei arbeiten kann.“ Ihr nächstes Projekt soll am 14. April 2020 im Berliner Pierre Boulez Saal herauskommen und trägt den schönen Titel „The Queen Commanded Him to Forget“. Es wird in arabischer Sprache sein, mit einer noch zu komponierenden Musik, und basiert unter anderem auf Elias Khourys „Mein Name ist Adam“, Brechts „Mutter Courage“ und dem Märchen von Hänsel und Gretel. Das Konzept klingt vielversprechend und klug. Die politischen Schmuddelkinder im eleganten Konzertsaal – wenn das keine Dialektik ist! // Mit „Kind of“ und „The Bees’ Road“ ist Ofira Henig im September bei der Ruhrtriennale zu Gast.
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DIE ERÖFFNUNGSPREMIEREN
HELDINNEN UND ANDERE HELDEN
NOCH IST POLEN NICHT VERLOREN NACH ERNST LUBITSCHS FILM
SEIN ODER NICHTSEIN KOMÖDIE VON JÜRGEN HOFMANN SA 28.09.2019 // BÜHNE
»NATHAN« // ABRAUMHALDE ÜBERSCHREIBUNG VON GOTTHOLD EPHRAIM LESSINGS »NATHAN DER WEISE« // ELFRIEDE JELINEK FR 20.09.2019 // KAMMER
DEMUT VOR DEINEN TATEN BABY KOMÖDIE VON LAURA NAUMANN DO 26.09.2019 // MÖRGENS
SPIELZEIT 2019/20
THEATER AACHEN WWW.THEATERAACHEN.DE
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PREMIEREN
SCHAUSPIEL RICHARD III. / Schauspiel von William Shakespeare / Neuübersetzung und Fassung von Juri Sternburg / Inszenierung: Angelika Zacek 14.09.2019 / Großes Haus
DAS LAND DAZWISCHEN TEIL 2: LOOKING FOR FREEDOM / Ein Rechercheprojekt im Rahmen von „Das Land dazwischen“ / Gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes / Uraufführung / Inszenierung: Dorothea Schroeder 03.10.2019 / Ateliertheater DAS KUNSTSEIDENE MÄDCHEN / Nach dem Roman von Irmgard Keun / Inszenierung: Olaf Strieb 12.10.2019 / Kleine Komödie Warnemünde KÖNIG ÖDIPUS / Tragödie von Sophokles / Koproduktion mit der hmt Rostock / Inszenierung: León S. Langhoff 19.10.2019 / Ateliertheater ANDORRA / Drama von Max Frisch / Koproduktion mit der hmt Rostock / Inszenierung: Stephan Thiel 26.10.2019 / Ateliertheater BRÜDERCHEN UND SCHWESTERCHEN / Weihnachtsmärchen nach den Gebrüdern Grimm / Ab 4 Jahren / Text & Inszenierung: Peter Dehler 16.11.2019 / Großes Haus QUALITYLAND / Von Marc-Uwe Kling / Szenisch eingerichtete Lesung 17.11.2019 / Ateliertheater DER NACKTE WAHNSINN / Komödie von Michael Frayn / Inszenierung: Andreas Merz-Raykov 11.01.2020 / Großes Haus DIE RÄUBER / Schauspiel von Friedrich Schiller / Partizipatives Projekt / Ab 14 Jahren / Inszenierung: Daniel Pfluger 07.03.2020 OLEANNA / Schauspiel von David Mamet 14.03.2020 / Ateliertheater CABARET / Musical von John Kander, Fred Ebb und Joe Masteroff / Inszenierung: Amina Gusner 25.04.2020 / Großes Haus MUSIK- UND TANZTHEATER LA TRAVIATA / Oper von Giuseppe Verdi / Inszenierung: Magdalena Fuchsberger 05.10.2019 / Großes Haus DER GARTEN DER LÜSTE / Hieronymus Bosch / Tanztheater von Katja Taranu und Hung-Wen Mischnick / Uraufführung 02.11.2019 / Großes Haus HEXE HILLARY GEHT IN DIE OPER / Kinderstück mit Musik von Peter Lund / Ab 6 Jahren / Inszenierung: Anja Nicklich 08.12.2019 / Ateliertheater WEIHNACHTSSINGEN / Gemeinschaftsproduktion von F.C. Hansa Rostock und Volkstheater Rostock / 22.12.2019 / Ostseestadion LIFE LETTERS / Tanztheater / Uraufführung / Inszenierung & Choreografie: Tänzerinnen und Tänzer der Tanzcompagnie 18.01.2020 / Ateliertheater DER VETTER AUS DINGSDA / Operette von Eduard Künneke / Inszenierung: Dominik Wilgenbus 01.02.2020 / Großes Haus EUGEN ONEGIN / Oper von Peter Tschaikowsky / Inszenierung: Anja Nicklich 28.03.2020 / Großes Haus www.volkstheater-rostock.de
PREMIEREN 2019/20 Das achte Leben (Für Brilka)
Wir sind auch nur ein Volk
23-AUG-2019
Regie Maik Priebe
von Nino Haratischwili / Regie Konstanze Lauterbach
nach den Drehbüchern von Jurek Becker
17-JAN-2020
Die Katze auf dem heißen Blechdach
von Tennessee Williams / Regie Steffi Kühnert 20-SEP-2019
Die Nashörner
von Eugène Ionesco / Regie Esther Hattenbach 21-FEB-2020
Nationalstraße
von Jaroslav Rudiš / Regie Frank Abt 27-SEP-2019
Die Mitwisser
von Philipp Löhle / Regie Marc Becker 13-MÄRZ-2020
Cabaret
Buch von Joe Masteroff
Die Stützen der Gesellschaft
nach dem Stück „Ich bin eine Kamera“
von Henrik Ibsen / Regie Sascha Hawemann
von John van Druten und Erzählungen
20-MÄRZ-2020
von Christopher Isherwood / Gesangstexte von Fred Ebb / Musik von John Kander / Deutsch von Robert Gilbert / Fassung von Chris Walker Regie Bernd Mottl
Der Vorname
von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière Regie Moritz Peters
18-OKT-2019
9-APR-2020
Homo Empathicus
von Rebekka Kricheldorf / Regie Ulrike Müller 24-OKT-2019
Vögel
von Wajdi Mouawad / Regie Bettina Jahnke 24-APR-2020
Harold und Maude
von Colin Higgins / Regie Bettina Jahnke 8-NOV-2019
Das offene Mehr
Stückentwicklung der Bürgerbühne Regie Manuela Gerlach
Lazarus – Lonely Child
von Franz Schubert und Claude Vivier / Potsdamer Winteroper Musikalische Leitung Trevor Pinnock Regie Frederic Wake-Walker 22-NOV-2019 / FRIEDENSKIRCHE POTSDAM-SANSSOUCI
23-MAI-2020
Der Diener zweier Herren
von Carlo Goldoni / Regie Jan Jochymski 5-JUN-2020 / SOMMERBÜHNE AM TIEFEN SEE
HANSOTTOTHEATER.DE
PlanspielSonne, Europa:Theaterpause? Der Festivalsommer liegt hinter Die politischsten Stücke Sommer, Keineswegs, wie dieuns. zahlreichen Festivals zeigen. waren auch diewas düstersten. ist espassiert um die Freiheit Kunst der bestellt? Welche Wir berichten, über denWie Sommer ist – vonder Theater Welt 2017 in Errungenschaften werden durch dieTheaterformen Rückkehr desinNationalismus zerstört? Wir Hamburg, den Wiener Festwochen, Hannover, Impulse in Nordberichten aus der vom Theaterfestival in Avignon, von rhein-Westfalen undKulturhauptstadt vom Schweizer Matera, Theatertreffen im Tessin. den Wiener Festwochen, der Prager Quadriennale, den Theaterformen in Hannover und dem Impulse Theater Festival in NRW.
„Purgatorio“ des Teatro delle Albe in Matera. Foto Marco Caselli Nirmal
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festivals
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KULTURHAUPTSTADT MATERA
Als die Erde ein Garten war Das Teatro delle Albe erforscht mit Dante die Kulturhauptstadt Matera von Renate Klett
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uf der Shortlist der italienischen Bewerber für die Europäische Kulturhauptstadt 2019 stand neben Promis wie Siena oder Ravenna auch die Kleinstadt Matera im Süden des Landes. Und zur großen Überraschung aller Beteiligten war sie es, die den Zuschlag erhielt. Matera in der Basilikata, die Höhlenstadt an der Sohle des Stiefels, galt bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als „Schande der Republik“. Gut 60 000 Einwohner leben hier, viele von ihnen wohnten lange Zeit gemeinsam mit ihren Tieren in Grotten, den „Sassi“, ohne Wasser und Licht. Seit den 1950er Jahren gab es ein staatliches Umsiedlungsprogramm: Die Höhlenbewohner verließen ihre Sassi und bezogen neugebaute Sozialwohnungen. Einige der Sassi sind heute Luxushotels oder Ausstellungshallen; Matera wurde vom Schandfleck zur Vorzeigestadt. Die Stadt wurde auch deshalb ausgesucht, weil Paolo Verri, Leiter der Stiftung Matera 2019, der das Projekt jahrelang vorbereitet hatte, sehr viel Wert auf Bürgernähe legte. Sein Konzept war nicht von oben über die Stadt gestülpt, sondern gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern erarbeitet. Das zeigt sich auch daran, dass jedermann und jedefrau durch den Erwerb der Kulturkarte für 19 Euro ein Jahr lang sämtliche Veranstaltungen von „Matera 19“ umsonst besuchen kann: von der Großausstellung „Rinascimento visto da Sud“ (Die Renaissance aus Sicht des Südens) im Städtischen Museum bis zum ehrgeizigen Projekt des Teatro delle Albe aus Ravenna, Dantes „Göttliche Komödie“, deren erster Teil „Inferno“ 2017 Premiere hatte, hier mit dem „Purgatorio“ weiterzuentwickeln und dabei möglichst viele Männer, Frauen und Kinder der Stadt mit einzubeziehen (siehe auch TdZ 03/2019). Die Aufführung ist ein Spaziergang durch die riesige Klosteranlage Le Monacelle mit ihren Kirchen und Kapellen, Innen höfen, Aulen, Refektorien und der großen Dachterrasse – ein verwunschener Ort im Dornröschenschlaf. Auf achtzig Zuschauer kommen doppelt so viele Mitwirkende, der Aufstieg zum Läuterungsberg wird zu einer eindringlichen emotionalen und sinnlichen Wallfahrt. Angeführt von Regisseur Marco M artinelli und der Schauspielerin Ermanna Montanari als Guides in weißen Maßanzügen, steigt man Stufen hinauf und hinunter, sitzt auf Bänken und in Stuhlreihen, begegnet toten Seelen, Frauenchören, Fackelträgern, Musikanten, ganzen Schulklassen und wird immer tiefer hineingezogen in eine mittelalterlich-moderne Traumwelt der Verzagtheit und des Aufbegehrens. In Dantes Fegefeuer aus Ketzerei und Glaube mischen sich Textfragmente von Majakowski, John Donne, Etty Hillesum und
Joseph Beuys. Letzterer tritt auch leibhaftig auf, gespielt von Nadia Casamassima, mit Filzhut und Schlabbermantel eilt er durch das Klassenzimmer, in dem wir als Schüler sitzen, und verkündet seine Theorien über Leben und Kunst. Wir sind aber immer auch Dante, Vergil oder Beatrice – Identitäten und Gewissheiten lösen sich auf, alles wird Sprache, Gefühl und Staunen. Die Aufführung hat einen großen Atem, behandelt den Text mit großem Respekt und lässt heutige Assoziationen anklingen. So kann man die Schönheit und Intelligenz dieser Verse bewundern und sich mit den e inzelnen Stationen der Reise identifizieren, am stärksten vielleicht im 5. Gesang. Dort begegnet Dante im Vor-Purgatorium der historischen Figur Pia de’ Tolomei, die von ihrem Mann ermordet wurde, weil er sie der Untreue verdächtigte. Ihr Schicksal wird zum Ausgangspunkt für die „Szene der getöteten Frauen“. Ein Dutzend Bürgerinnen der Stadt erzählen Geschichten aus ihrem Familien- oder Bekanntenkreis, in denen Frauen von Vätern, Ehemännern, Brüdern getötet wurden. „Ich habe laut geschrien“, heißt es immer wieder, „aber niemand hat mich gehört.“ Die Frauen, in Gazeschleier gehüllt, lassen eine Atmosphäre aus Angst und Unter drückung entstehen, der sich niemand entziehen kann. Gruselig ist auch die Kerkerszene, in der Papst und König (Alessandro Argnani und Salvatore Tringali) bäuchlings und mit verzerrten Gliedmaßen auf dem Boden gefesselt sind, um für ihre Habgier zu büßen. Und geradezu überwältigend die folgende, bei der wir von der Dachterrasse auf den Innenhof hinabblicken, der mit einer gigantischen Italienkarte bedeckt ist. Zwei Dutzend Wutbürger stampfen darauf herum mit lautem Geschrei und prügeln sich. Sie treten Italien mit Füßen, und sie fragen sich, woher das Böse kommt, die Korruption, die Machtgier, die Gewalt. Die ganze Misere des Landes, die Martinelli und Montanari nicht müde werden zu beklagen, ist hier in eine so schlichte wie grandiose Metapher gegossen, die geradezu danach schreit, als Titelfoto der Repubblica zu erscheinen. Danach werden wir vom wunderbaren Frauenchor und von Fackelträgern ins „Irdische Paradies“ geleitet, der letzten Station des „Purgatorio“. Martinelli beschreibt das Goldene Zeitalter: „Die Erde war ein Garten, es war immer Frühling, und die Menschen lebten in Frieden. Und was haben wir daraus gemacht?!“ Aber auch hier gibt es Hoffnung: Vier Greta Thunbergs treten auf und skandieren „Voi non avete più alibi, e noi non abbiamo più tempo“ (Ihr habt kein Alibi mehr, und wir haben keine Zeit mehr). „Wir sind Pilger,“ sagt Martinelli, „deren Seele durch die Füße gerettet wird, indem wir wie Dante von den tiefsten Kreisen der Hölle durch das Fegefeuer bis zu den süßen Lüften des Paradieses wandern.“ 2021 wird es so weit sein, wenn alle drei Teile der „Divina Commedia“ in Ravenna aufgeführt werden, am liebsten hintereinander in einer langen Nacht. //
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AVIGNION
Ode an die innere Freiheit Kirill Serebrennikovs „Outside“ beim Theaterfestival in Avignon von Anastasia Klimovskaya
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as Theaterfestival in Avignon ist das Highlight jeder Theatersaison und vor allem für seine politischen Stücke bekannt. Dieses Jahr steht der europäische Zusammenhalt im Mittelpunkt des Programms. In einem Gebäude in Vedène, 15 Kilometer von Avi gnon entfernt, wurde das ambitionierte und geheimnisvolle Projekt „Outside“ von Kirill Serebrennikov gezeigt. Die Inszenierung erzählt von dem chinesischen Fotografen Ren Hang, der 2017 im Alter von 29 Jahren in seiner Wohnung in Berlin Suizid beging. Sein Selbstmord geschah zwei Tage vor einem geplanten Treffen mit dem russischen Theaterregisseur Kirill Serebrennikov, der ihm ein gemeinsames Projekt vorschlagen wollte. Vor dem Beginn der Vorstellung fragt man sich, was mehr Interesse beim Publikum hervorgerufen haben dürfte – der begabte chinesische Fotograf, der sich in jungen Jahren das Leben nahm, oder die Theaterproduktion eines Regisseurs, der mit dem größten Skandal der russischen Theaterszene verbunden ist. Doch spätestens wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler mit ihren „Free Kirill“T-Shirts zum Schlussapplaus auf die Bühne treten und das Publikum sie mit stehenden Ovationen empfängt, wird klar: Die größte Begeisterung ruft die von Serebrennikov in diesem Stück manifestierte Freiheit hervor. Ren Hang nahm zu Lebzeiten an mehr als siebzig Ausstellungen rund um die Welt teil, in seinem Heimatland China jedoch war er nicht anerkannt. Die offene Erotik und eindeutige Sexualität seiner Fotografien passten mit der konservativen Ideologie seiner Heimat nicht zusammen. Das Thema der Körperlichkeit und das Recht auf Freiheit stehen im Mittelpunkt von „Outside“. Nach „Machine Müller“ wollte sich Serebrennikov erneut mit dem Thema Körperlichkeit auseinandersetzen, doch seine Pläne wurden durch den anderthalbjährigen Hausarrest zunächst durchkreuzt. Bestimmte Gemeinsamkeiten zwischen Ren Hang und Kirill Serebrennikov werden in der Inszenierung immer wieder betont. Beide Künstler sind durch ihre Kunst in Konflikt mit den jeweiligen politischen Regimen geraten. Ren Hangs Webseite mit seinen Aktfotografien, die meistens in seiner Wohnung oder nachts in unbewachten Parks aufgenommen wurden, wurde von den chinesischen Behörden immer wieder blockiert. Serebrennikov wurde für seine provokante Inszenierung „Machine Müller“ von konservativer Seite viel kritisiert. Hang geriet mit seiner Kunst immer wieder in den Fokus der Zensur, Serebrennikov erlebte einen skandalösen Prozess um angebliche Veruntreuung von Staatsgeldern – so funktioniert Zensur in Russland.
Zensur in Russland und China – Kirill Sebrennikovs „Outside“ ist ein Manifest künstlerischer Selbstbestimmung. Foto Christophe Raynoud de Lage
Die Inszenierung ist frech und beeindruckt mit ihrem grotesken Humor, gleichzeitig zeigt sie die verletzliche und empfindsame Künstlernatur und erkundet die Zerrissenheit seelischer Innenwelten. Es war eine sehr mutige Entscheidung von Serebrennikov, seine eigenen Erfahrungen mit der russischen Zensur auf die Bühne zu bringen. „Outside“ ist eine Ode an die innere Freiheit, ein Manifest der künstlerischen Selbstbestimmung und ein neuer Beweis dafür, dass der Kampf für ihn bei Weitem nicht zu Ende ist. Unterstützt durch eine Truppe von wunderschönen Schauspielerinnen und Schauspielern des Moskauer Gogol Centers, versucht Serebrennikov Hangs Fotokunst auf die Bühne zu übertragen, indem er Fotoshootings nachstellt oder die Bilder neu zusammensetzt. Im Rhythmus der Musik von Ilya Demutsky verwandelt sich die Bühne in eine Gemäldegalerie. Das Ensemble ist fast permanent nackt und erschafft in der Choreografie von Evgeny Kulagin Höhepunkte voll Erotik und Sinnlichkeit, ohne dabei ansatzweise vulgär zu sein. Begleitet wird das Ganze von Gedichten von Ren Hang, die die innere Ambivalenz und Verletzlichkeit des Künstlers enthüllen. Der chinesische Fotograf nahm sich das Leben, weil er nicht mehr um seine eigene Freiheit kämpfen konnte. Serebrennikov macht mit „Outside“ deutlich, dass seine innere Freiheit ihm nicht weggenommen werden kann. //
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WIENER FESTWOCHEN
In den Ruinen Europas Phia Ménard und ihre Compagnie Non Nova verblüffen mit „Contes Immoraux“ bei den Wiener Festwochen von Margarete Affenzeller
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ie Wiener Festwochen haben personell turbulente Jahre hinter sich. Auf Stefanie Carp 2013 folgten die Schauspielchefs im jährlichen Wechsel: Frie Leysen, Stefan Schmidtke, Marina Davydova und zuletzt als Gesamtchef Tomas Zierhofer-Kin. Nun aber ist – so fühlt es sich zumindest an – wieder Ruhe eingekehrt. Nach dem vorzeitigen Abgang Zierhofer-Kins unmittelbar nach Festival ende 2018 hat Christophe Slagmuylder, versierter Kurator und bis dahin Leiter des Kunstenfestivaldesarts, die Agenden übernommen. Und er hat es gleich in seiner ersten Saison verstanden, die Wogen zu glätten, die sein Vorgänger hochgehen ließ, weil er mit ungeschickt herumgerissenem Ruder programmierte und das Stammpublikum mehr als erwartet verstörte. Slagmuylder war der Richtige, um das zerrüttete Verhältnis der Festwochen zum Publikum wieder zu befrieden. Er ist nicht nur ein ausgesprochen sympathischer Mensch, als langjähriger Festivalchef in Brüssel hat er das Programmieren auch im kleinen Finger. Man braucht schon ein dickes Adressbuch und langjährige Arbeitsbeziehungen, um in so kurzer Zeit (zehn Monate) ein Festival dieser Größe auf die Beine zu stellen: 45 Premieren an 27 Spielstätten, anberaumt für 6 Wochen. Dabei galt es auch noch, die Festwochen-Klientel zu besänftigen, ohne anbiedernd zu werden. Als Besänftiger versteht sich Slagmuylder allerdings garantiert nicht. Im Gegenteil, von den Formaten seines Vorgängers gedachte er gar nicht allzu weit abzurücken. Und doch hat er mit ein paar Kniffen die sprichwörtliche weiße Friedensflagge geschwungen. Wobei zu sagen ist, dass ausgerechnet der LuxusAbend von Robert Wilson mit Isabelle Huppert („Mary Said What She Said“) noch auf das Konto Zierhofer-Kins ging. Slagmuylder hat vor allem mit Reprisen von Arbeiten aus den vorangegangenen Kunstenfestival-Jahren den Kalender gefüllt, was im Einzelnen vollkommen gerechtfertigt war, in Summe aber doch einen schalen Beigeschmack hinterließ. Sicher ist: An dieser Ausgabe wird sich Slagmuylder nicht messen lassen wollen. Es war zu wenig Zeit, um an Uraufführungen zu feilen. Obendrein war Künstlerpech mit im Spiel. Krystian Lupa enttäuschte mit seiner patinierten und in puncto Geschlechterrollen altertümlichen Inszenierung von „Proces“; Milo Raus „Orest in Mossul“ geriet zu einem selbstgefälligen Fingerzeig-Stück, dem Betroffenheitskitsch nicht abzusprechen ist; und Ersan Mondtags „Hass-Triptychon“ von Sibylle Berg hat trotz eines furiosen Benny
Claessens auch nicht so ganz funktioniert. Entdeckungen machte man eher bei den weniger im Scheinwerferlicht stehenden Arbeiten aus Thailand, Iran, Brasilien oder Argentinien. Besonders hervorgestochen haben ein Künstler und eine Künstlerin, die in der Ritualhaftigkeit ihrer Arbeiten sogar eine Ähnlichkeit aufweisen: Romeo Castellucci und Phia Ménard. Castellucci, der Superstar aus Cesena, stellte zwei performativ- installative Inszenierungen vor: erstens „Le Metope del Parte none“ (UA 2015 bei der Art Basel), die Vivisektion letzter Lebensminuten, bevor das Leben eines Menschen erlischt. Auf der Bühne werden mehrfach drastische Unfälle nachgestellt, deren Opfern die heraneilenden Sanitäter (Rettungskräfte vom Wiener Roten Kreuz) nicht mehr helfen können. Die Sterbenden und ihre Wunden werden dabei zu berückenden Skulpturen im Raum, zu In signien des Leides und des – eben doch – lebensgefährlichen Lebens. Zweitens zeigte Castellucci die deutlich rätselhaftere Arbeit „La vita nuova“ (UA 2018 am Kanal Centre Pompidou Brüssel), eine Art Gottesdienst in einem Parkhaus voller antriebsloser Autos, in dem er eine seltsame Zeichenvermischung vollführt – auch das spätere Lesen des auf Französisch vorgetragenen Textes hilft einem nicht weiter. Es entsteht ein deutliches Unbehagen, wenn hinter oder in diesem Fall unter kapitalistischen Relikten Zeichen von Spiritualität und Humanismus lauern (unter der Autokarosserie beispielsweise kommt eine hellenistische Büste zum Vorschein). Ein Fünfzig-Minüter mit Nachwirkung. Die große Überraschung aber war Phia Ménard. Die 1971 in Nantes geborene und bis heute dort verankerte Performerin verblüffte mit ihrer 2017 für die documenta entstandenen Arbeit „Contes Immoraux – Partie 1: Maison Mère“. Hinter dem etwas umständlichen Titel verbirgt sich eine simple Idee. Im Alleingang errichtet Ménard aus vorgestanzten Kartonschablonen in einem neunzigminütigen Kraftakt eine garagengroße Kopie des Athener Parthenons auf der Akropolis, dessen Fragilität sie schließlich anschaulich unter Beweis stellt. Am Ende steht das erschütternde Bild eines einknickenden Wahrzeichens, Sinnbild für das antike Erbe Europas, das als PR-Logo für sämtliche EU-Organisationen herhalten muss, symbolisiert der Tempel der Göttin Athene doch Demokratie und liberale Rechtsstaatlichkeit. Die Europäische Union als gefährdetes Projekt darzustellen mag nicht sonderlich originell erscheinen, die Form und Energie aber, die Ménard in ihrem Solo dafür findet, sind durchschlagend. Außerdem geht es um mehr als das unsichere und stets torpedierte Gefüge eines politischen Projekts: Das Material Karton selbst verweist auf Instabilität und Unbehaustheit, zwei Begriffe, mit
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denen viele Menschen Europa assoziieren. Die Spannung und Dramatik des Abends erwachsen aus diesem beinahe unmenschlichen Hausbau, dem wie bei Sisyphus im finalen Moment der Errichtung die Zerstörung droht. Der Aufbau ist frappierend: Ménard im punkigen Superheldinnendress mit Zorro-Augenmaske spießt heftigen Schrittes und mit langen Speeren die für das Haus benötigten, jeweils mehrere Meter langen Kartonteile auf, steckt sie unter Aufbietung aller Kräfte und unter Zuhilfenahme von Stützstäben ineinander, versiegelt Ecken und Kanten forsch mit mehreren Rollen Gafferband, das sie – wie auf Baustellen üblich – mit den Zähnen abreißt. Eine zupackende Frau, die nicht aufgibt. Ikea lässt grüßen! Dieser Errichtungsprozess ist musikalisch von suggestiven Tönen begleitet, wobei man sich fragt, wozu, denn die akustisch verstärkten Geräusche der Tätigkeiten auf der Bühne hätten durchaus gereicht. Am Ende stülpt sie das Haus über sich, wirft im Innern eine Kettensäge an und schneidet rasend, aber präzise die Säulen frei. Wumm. Dann beginnt der Regen und mit ihm der unabwendbare Erkenntnisprozess, dass das hehre Gebäude nicht ewig halten wird. „Contes Immoraux“ ist rundum genial. Aber nicht nur deshalb schrieb die New York Times im Vorjahr ein Porträt über Phia Ménard. Die 48-Jährige ist Frankreichs bekannteste Transgenderkünstlerin. Ménard wurde als Mann geboren und begann ihre Laufbahn als Meisterjongleur. Ihre handwerklichen Fähigkeiten,
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Europa als Kraftakt zwischen Instabilität und Unbehaustheit – Phia Ménard baut in „Contes Immoraux – Partie 1: Maison Mère“ die Akropolis aus Pappe, nur um sie wenig später wieder einzureißen. Foto Jean-Luc Beaujault
selbst im Millimeterbereich (sie verfügt über ein abgeschlossenes Studium in Mikrotechnologie), weiß man in ihrer Performance inständig zu schätzen. Die Geschlechtsumwandlung erfolgte 2008, da bestand ihre Compagnie Non Nova bereits seit zehn Jahren. Deren Arbeit ist schwer zu klassifizieren, denn sie verbindet Zirkuskunst mit Tanz sowie bildender Kunst und Installation. Ménard selbst, die als Markenzeichen gerne Blumenhaarschmuck trägt und abseits der Bühne gelassen bis schelmisch wirkt, spricht scherzhaft von „undiszipliniert“. Humor hat sie jedenfalls, eines ihrer Stücke heißt „L’après-midi d’un foehn“ (Der Nachmittag eines Föhns), in Anlehnung an Nijinskys Ballett „L’Après-midi d’un faune“. Der Fokus auf die Beschaffenheit und Wirksamkeit von Materialien ist indes allen Arbeiten Ménards eigen. In der Sprechperformance „Black Monodie“ war es Schnee, in „P.P.P.“ war es Eis, und in „Belle d’Hier“ operierte sie mit gefrorenen Kostümen. Auch Luft und Feuer waren schon dabei. Von speziell ausgebildeten Quereinsteigern wie Phia Ménard kann der zeitgenössische Performance- und Theaterbereich nur lernen. //
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PRAGER QUADRIENNALE
Back to the Roots Markéta Fantová, Künstlerische Leiterin der 14. Prager Quadriennale, über die Rückkehr der Szenografie zur Theaterpraxis im Gespräch
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00 Künstler aus 79 Ländern, das ist die Prager Quadriennale 2019 (PQ) in Superlativen. Der deutsche Beitrag, eine von Lenore Blievernicht und Christiane Kues im Auftrag des Internationalen Theaterinstituts Deutschland kuratierte Hommage an Bert Neumann und die Berliner Volksbühne, wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Neumann erschloss dem Theater neue operative Spielräume, nach innen wie nach außen, wie in Prag mit dem Zirkuswagen der „Rollenden Roadshow“ als externem Pavillon noch einmal zu sehen war. Insofern gilt die Auszeichnung einem Künstler, dessen Arbeit exemplarisch für die Ausrichtung der diesjährigen PQ zurück zur Theaterpraxis steht, nachdem vorherige Ausgaben dieser weltweit größten Ausstellung für Szenografie deren Autonomie betonten. Frau Fantová, in der Hauptausstellung der Quadrennial of Performance Design and Space ist in vielen Länderpavillons eine Rückkehr zu traditionelleren Ansätzen der Szenografie zu entdecken. War diese Hinwendung zur Praxis Ihr Programmansatz? Wir haben keine Vorgaben gemacht, welche Themen entwickelt werden oder wie stark die ausgestellten Arbeiten sich auf die Theaterpraxis beziehen sollen. Allerdings ging es in den letzten PQs seit 2007 tatsächlich oft darum, die Grenzen der Szenografie zu überschreiten und Anschlüsse an Bereiche außerhalb des Theaters auszuloten. Letztlich haben aber, wie bei a llen anderen Ausstellungen seit der Gründung der PQ 1967, die Länder und die dafür zuständigen Institutionen festgelegt, was sie in ihren Pavillons zeigen. Mit der Rückkehr zu einer größeren Nähe zur Arbeitspraxis wird zweifellos die Identität von Szenografie gestärkt. Die bildnerische Arbeit für Theater und Performance muss sich nicht mehr außerhalb des Theaters extra legitimieren. Durchaus experimentell fällt dagegen der von Ihnen zusammen mit dem NewMedia-Experten Jan K. Rolník kuratierte 36Q°-Parcours zu Entwicklungen in den immersiven Künsten aus. Ist das die Zukunft?
Ich bin sehr vorsichtig, ob das die Zukunft der Szenografie ist oder ob man damit zeigen kann, welche Rolle neue Technologien konkret für diese spielen werden. Aber solche experimentellen Arbeiten folgen der heute sich verändernden Wahrnehmung von Zeit und Raum. Dabei geht es darum, wie solche Konzepte von medialem Raum, elektronischen Sounds und digitalen visuellen Welten Eingang in die Praxis finden, wo es – zumindest aus der Erfahrung in Tschechien – oft nicht genug Anerkennung für diese Arbeiten als Kunst gibt. Dafür wollen wir sensibilisieren und Aufmerksamkeit schaffen. Das Ganze ist für mich vor allem eine Frage und noch keine Antwort. Das ist insgesamt – auch für die Besucher – ein Forschungsfeld, dem wir mit dem Workshop-Charakter von 36Q° Rechnung tragen. Die dritte Säule der PQ gibt der Ausbildung und dem künstlerischen Nachwuchs Raum – in Form einer eigenen Ausstellung. Ist sie noch größer als bei vorigen PQs? Tatsächlich wurde in dieser Ausgabe noch mehr Gewicht auf die Ausstellung von studentischen Arbeiten gelegt, die zumeist als Gruppenarbeiten ihrer jeweiligen Ausbildungs einrichtungen gezeigt werden. Das Motto lautet „Imagination, Transformation, Memory“, obwohl wir auch da keinerlei Vorgaben gemacht haben. Die junge Generation soll vor allem ihre Ideen entwickeln und zeigen können, die Arbeiten müssen dafür noch gar nicht fertig sein. Eher geht es darum, wie sie in diesem Feld neue Themen wie Klima und Umwelt erschließen oder auch, genauso politisch aufgeladen, mit den Erfahrungen von Konflikten umgehen, beispielsweise in Donezk in der Ostukraine oder auf Zypern, das seit Jahrzehnten durch die sogenannte „Green Line“ geteilt ist. Der Begriff von Ausbildung ist also sehr weit gefasst und ist, wenn wir das Thema „Memory“ auf das Verstehen aktueller Konflikte beziehen, auch politisch konnotiert. Ein derartiger Ansatz war auch in dem von der EU geförderten Projekt „Emergence“ zu sehen, das den Untertitel „From shared experience to new creativity. Living Heritage / Reframing Memory“ trug und sich als roter F aden durch das ganze Programm zog. Das unterscheidet sich erheblich von dem Labor 36Q°, diese Projekte sind stärker auf soziale Aspekte orientiert. // Makéta Fantová. Foto Alžběta Jungrová
mit Thomas Irmer
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THEATERFORMEN
The Stage Is Yours Die Theaterformen in Hannover beschwören mit einer Vielzahl partizipativer Projekte die offene Gesellschaft und landen dabei leider auch beim Betroffenheitsdiktat von Theresa Schütz
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mmer häufiger werden persönliche Lebensgeschichten zum Stoff, aus dem Gegenwartstheater gemacht wird. In einer offenen Gesellschaft, die nicht nur aufgrund von Migrationsprozessen größer und diverser wird, sondern auch, weil jahrzehntelange Kämpfe um Anerkennung minoritärer Positionen und nichtnormativer Lebensweisen gelebte Vielfalt möglich machen, wächst das Bewusstsein für die Vielstimmigkeit von Lebensgeschichten. Eine Gesellschaft erhält sich ihre Offenheit, wenn sie sich für die Geschichten „anderer“ interessiert und sich nicht vorschnell durch Be- oder Verurteilung verschließt. Das Theater kann jenen Geschichten Raum geben und zum Ort kritischer Reflexion machtvoller Repräsentationsverhältnisse werden: Welche Geschichten werden wie und von wem erzählt, was wird ausgeschlossen und wer entscheidet darüber? Wie unter einem Brennglas ließ sich die Auseinandersetzung mit diesen Fragen in ästhetischer wie struktureller Hinsicht auf dem diesjährigen Festi val Theaterformen in Hannover studieren. Rückblickend fallen drei kuratorische Setzungen von Martine Dennewald und ihrem Team ins Auge: Erstens werden anstelle fertiger Produktionen (im Sinne einer Best-of-Auswahl) internatio nale Künstlerinnen und Künstler eingeladen, um Produktionen vor Ort zu realisieren. Zweitens stehen persönliche Lebensgeschichten im Fokus aller eingeladenen Produktionen. Dies führt zu einem Schwerpunkt dokumentarischer und kollaborativer
rbeiten wie Bürgerbühnen („Die Geschwindigkeit des Lichts“ von A Marco Canale) oder workshopgeleiteten Rechercheprojekten an der Schnittstelle zum Aktivismus („Adoption“ von Selina Thompson und Scottee und „My Body Belongs to Me“ von Laila Soliman und Ruud Gielens). Fast zweihundert Hannoveranerinnen und Hannoveraner sind an insgesamt sechs der vierzehn Produktionen beteiligt worden. Auf diese Weise verankert sich das Festival noch tiefer in seinem lokalen Umfeld und porträtiert zugleich seine Stadtgesellschaft. Drittens ist der Festivalkonzeption eine intensive Beschäftigung mit institutions- und machtkritischen Diskursen anzumerken. So wird mit der Keynote von Elahe Haschemi Yekani, dem Konzert von Sookee, den Produktionen „Adoption“ und „#Punk 100% Pop *N!gga“ von Nora Chipau mire dezidiert queeren Positionen Raum gegeben, was im deutschen Theaterfestivalbetrieb durchaus nicht gang und gäbe ist. Mit diesen Setzungen macht das Festival im Sinne eines grassierenden Hangs zu political correctness im Theaterbetrieb quasi alles richtig, handelt sich allerdings künstlerisch einen eher schwachen Jahrgang ein. Das auf zehn Jahre angelegte Projekt „Adoption“ lernt das Publikum – in Abwesenheit von Selina Thompson – in der Probebühne des Schauspielhauses Hannover, dem „Safe Space“ von Scottee und vier weiteren „Betroffenen“, kennen. Es geht um Menschen, die adoptiert wurden oder planen, ein Kind zu adoptieren, sowie um die gesellschaftlichen Hürden, die das mit sich bringt. Nach einer kurzen Einführung und Scottees Geschichte, der als queerer Mann seit Jahren dafür kämpft, in Großbritannien mit seinem Partner ein Kind zu adoptieren, wird der innere Sesselkreis
Ein konfliktscheues Theater mit viel Gesang Bitte nicht schütteln! ab 21.9.2019 Theater Marie Theater Tuchlaube Aarau
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für die Zuschauer geöffnet, damit auch sie ihre Erlebnisse (mit) teilen können. Das Dilemma, das dieser Begegnungsraum mit sich führt, ist, dass Scottee alles dominiert, dass er vorgibt, wie sich die Dazukommenden in der Runde verhalten sollen, und dass er deren Erlebnisse bewertet. Überdies scheint die Utopie einer queeren Familie, die die „Betroffenen“ kollektiv anstreben, hier nur über ein Bashing heteronormativer Lebensmodelle imaginierbar zu sein. Ihr „Safe Space“ wird dadurch für viele zum Raum des Ausschlusses. Auch persönliche Geschichten brauchen im Theater eine künstlerische Rahmung oder Formidee, um jenseits von latent eingeschriebenen Betroffenheitsdiktaten zu wirken. Zwei Arbeiten ist dies gelungen: In der Videoinstallation „Death and Birth in My Life“ von Mats Staub können pro Aufführung zwei von zehn Gesprächen, die Staub mit Menschen aus Hannover, Frankfurt, Basel und dem südafrikanischen Magaliesburg zu den emotional stark besetzten Themen Geburt und Tod geführt hat, nachgehört werden. Dabei sitzt man den aufgezeichneten Gesprächspartnern dank körpergroßer, hochauflösender Screens quasi gegenüber. Die offene, sanfte und pure Art, mit der Tua aus Hannover über die Krebserkrankung seiner Frau Rosa erzählt, über Reaktionen von Ärzten, das Zusammenfinden mit der Familie und die eigene Sehnsucht nach dem Tod, hängt mir immer noch nach. Gleiches gilt für „Aleppo. A Portrait of Absence“ von Mohammad Al Attar und Omar Abusaada. Hier sitze ich mit
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Welche Geschichten werden wie und von wem erzählt? – Die Theater formen beteiligen fast zweihundert Hannoveranerinnen und Hannoveraner, einige davon auch in „Die Geschwindigkeit des Lichts“ von Marco Canale. Foto Andreas Etter
der deutschen Schauspielerin Anke Retzlaff gemeinsam an einem Tisch, der mit der Karte von Aleppo bedruckt ist. Die Idee besteht darin, ein Audioarchiv schöner Erinnerungen an die Heimat zu kreieren, bevor Bilder ihrer Zerstörung sie überlagern. Anke Retzlaff wird hier zum Sprachrohr von Linh, einer jungen syrischen Zahnärztin, die sich an ihren Lieblingsort, den Al-Madina Souk, erinnert. Sehr sinnlich beschreibt sie die Düfte auf dem Markt, die sie mit 15 dazu verführt haben, das Fasten zu brechen. 2012 sei der Markt abgebrannt und sie musste Syrien Richtung Istanbul verlassen. Nach 35 Minuten verlässt mich die Schauspielerin und ich habe die Möglichkeit, Linh auf dem zurückgelassenen Diktiergerät eine Erinnerung von mir als Geste der Solidarität und Verbundenheit zukommen zu lassen. Beide Formate weiten den Blick, indem sie berühren, ohne zurechtzuweisen oder Empfindungen anzuordnen, und tragen so künstlerisch zum gegenseitigen Sich-Öffnen und -Interessieren jenseits einer realen Begegnung bei. //
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IMPULSE
Bomben zu Kunst Zwischen schwer erträglich und beinahe lieblich: Beim diesjährigen Impulse Theater Festival in Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr ist die ästhetische Spanne wieder groß
von Martin Krumbholz
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ie Szene zeigt eine englisch sprechende „Kuratorin“ und fünf Geflüchtete aus Syrien in einer fiktiven Kunstausstellung. Aufmerksam, aber auch skeptisch lauschen die fünf den Ausführungen der Expertin, die immer abstrusere Formen annehmen. Kriegerische Objekte, beispielsweise Bomben, ließen sich in „Schönheit“ verwandeln, so die Kuratorin. Solche Objekte sind den Zuhörern wohlbekannt, sie kommen schließlich aus einem vom Krieg verheerten Land. In einem anderen Setting wird eine Frau aufgefordert, einen kitschigen Porzellanhund zu zertrümmern; das Objekt werde sich dann in einen Gott verwandeln („Dogs to Gods“). „All Inclusive“ von Julian Hetzel versteht sich als satirischer Beitrag zur Adaption von Gewalt in der Kunstszene, wie es Künstler bis hin zu erklärten Stars wie Ai Weiwei immer wieder praktizieren, dessen Ausstellung in Düsseldorf derzeit Besucherrekorde bricht. Es geht also um das Verhältnis von Ethik und Ästhetik. Bei den Impulsen, dem alljährlich in drei Städten stattfindenden Festival der freien
Theaterszene im deutschsprachigen Raum, sind meistens diejenigen Arbeiten am interessantesten, die sich nicht reibungslos erklären und auch nicht unbedingt auf allgemeine Zustimmung stoßen. Man könnte darüber streiten, ob Hetzel mit der Kritik an einer bestimmten Spielart innovativer Kunst nicht unfreiwillig die moderne Kunstszene insgesamt trifft. Wenn in einer weiteren Szene zwei Performer Mikrofonständer zu Gewehren umwidmen, die Kuratorin „erschießen“, ihr Blut auf eine Leinwand spritzen und das Ganze als „Action Painting“ deklarieren, ist die satirische Absicht klar, ihre Stoßrichtung allerdings nicht allzu fest umrissen. Doch nicht darüber wurde in der anschließenden Diskus sion gestritten, sondern über die Mischung aus professionellen Performern und Laien, die als Geflüchtete (freiwillig und gerne) sich selbst darstellen. Der Streit über die Legitimität dieser Entscheidung ist am Ende weniger relevant, als einige sich empörende Diskutanten wohl meinten. Wie auch immer, „All Inclusive“
Zwischen Ethik und Ästhetik – Julian Hetzel befragt in „All Inclusive“ (hier mit Kristien de Proost) die ästhetische Adaption von Gewalt in der modernen Kunst. Foto Robin Junicke
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gehörte zu den ästhetisch auffälligsten Beiträgen des in Düsseldorf stattfindenden Showcase, verantwortet vom Impulse-Direktor Haiko Pfost. Ebenso die im Rahmen der Eröffnung gezeigte Tanzperformance „Witness“ von Reut Shemesh, die den karnevalesken Gardetanz junger Düsseldorfer Mädchen geradezu mit Perfidie ausnüchtert, in einzelne Sequenzen zerlegt und so in Grund und Boden dekonstruiert – eine Übung, deren subversiver Aplomb vielleicht nur deswegen nicht umstrittener war, weil er gar nicht recht begriffen wurde. Und natürlich die fünfstündige Performance „Häusliche Gewalt“ von Markus Öhrn (siehe TdZ 09/2018). Hier ist die Botschaft freilich mehr als deutlich: Gezeigt wird brutal und direkt, was der Titel bereits ankündigt. Es sind Schläge, die auch auf den Unterleib des scheinbar unbeteiligten Betrachters zielen. Gewalt, verübt vom Mann an der Frau (die Gesichter sind mit Masken verdeckt, aber die Kleidung legt dies nah), die nicht aus einem Konflikt, einem verbalen „Schlagabtausch“, erwächst, sondern sich scheinbar unangekündigt von einer Sekunde auf die andere entlädt. Wie lange hält man das aus, eine halbe Stunde, eine ganze? Groß ist bei den Impulsen die Spannbreite zwischen provokanten, fast nicht erträglichen Arbeiten („Häusliche Gewalt“) und solchen, die eher auf Konsens und Harmonie basieren, adressiert an eine linksliberale Community, die auf die entsprechenden Werte verlässlich eingeschworen ist. Die Akademie in Mülheim an der Ruhr als eine der beiden flankierenden Säulen des Festivals (neben einem Stadtprojekt in Köln) debattierte über „Repräsen tationskritik“ im Kontext des politischen Rechtsrucks. Weniger akademisch, doch öffentlichkeitswirksamer und womöglich kon troverser ging es bei jenem Stadtprojekt zu, das unter dem anspielungsreichen Motto „Angstraum Köln“ stand. „Sie spritzt, er spritzt“ war dabei eine Arbeit von Alexandra Berlinger und Martin Wagner betitelt, die in ironischer Anspielung auf den uralten Werbeslogan einer Kölner Brauerei „Er trinkt, sie trinkt“ Akzeptanz und Nichtakzeptanz von Drogen untersucht. In der Nachkriegszeit wollte besagte Brauerei das weibliche Publikum zum Genuss eines harmlosen Suchtmittels animieren – und damit sicherlich einen bedeutenden Beitrag zur Emanzipation der Frau leisten. Der aktualisierte Slogan rief nun eine um Recht und Sitte besorgte Kölner Boulevardpresse auf den Plan. Bei der im Studio des Forums Freies Theater in Düsseldorf gezeigten Arbeit „EF_Femininity“ von Marcel Schwald und Chris Leuenberger waren die Eingeweihten dann wieder unter sich. Drei Frauen und ein Mann, darunter zwei Transfrauen, wirken an dieser Tanzperformance mit, bei der es um „Weiblichkeit“ losgelöst von Geschlechterrollen geht. Man wird aufgefordert, die Augen zu schließen und nach einer Weile wieder zu öffnen, „nun aber mit einem weiblichen Blick“. Funktioniert’s? Und wird irgendwann „Geschlecht nur noch ein Hobby sein“, wie es verschwörerisch heißt? Darüber kann man trefflich streiten. Ähnlich liebenswürdig präsentieren sich Produktionen wie „White Limozeen“ von Johannes Müller und Philine Rinnert (Wie geht man mit dem mehr oder weniger latenten Rassismus in einer Oper wie „Madame Butterfly“ des gleichwohl genialen Puccini um?) oder „Zwischen den Säulen“ von Markus&Markus (Ist der Islam wirklich böse? Wir glauben: Eher nicht, und zum Beweis pilgern wir nach Mekka und konvertieren!). //
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HAUS DER BERLINER FESTSPIELE — HAUS DER BERLINER FES Berliner Festspiele
#immersion
IMMERSION – PERFORMING ARTS 6
10. – 20.10.19 Europapremiere / European premiere
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© Photo: Little Fang Photography at the Curran
Taylor Mac, with costumes by Machine Dazzle
A 24-DECADE HISTORY OF POPULAR MUSIC
31.07.2019 17:29:04
Zeitschrift für Theater und Politik
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Österreich: Kunst und Politik / Die Burschenschaft Hysteria / Kunstinsert: Litauen auf der Biennale Venedig Porträt: Ofira Henig / Abschied: Johann Kresnik und Gerlind Reinshagen / Kolumne Josef Bierbichler
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September 2019 • Heft Nr. 9
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Miser Felix Austria
Martin Kušej über seinen Start am Burgtheater
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auftritt
/ TdZ März 2018 /
Buchverlag Neuerscheinungen
Theater prägt Gesellschaft – das gilt besonders für Konstanz und sein Theater, die älteste dauerhaft bespielte Bühne des europäischen Kontinents. Am Ende der Intendanz von Christoph Nix setzt sich diese Publikation mit den Wechselwirkungen und der immer wieder konfliktträchtigen Beziehung zwischen Stadtgesellschaft und Theater auseinander. Neben einer historischen Rückschau in die Zeit vom 17. Jahrhundert bis in die jüngere Vergangenheit bietet das Buch u. a. Aufsätze zur Arbeit des Jungen Theaters und zu internationalen Kooperationen.
Anlässlich seines 70. Geburtstags erzählt Burghart Klaußner im Gespräch mit Thomas Irmer von seinem Leben und seiner künstlerischen Arbeit. Das Theater ist ihm Heimat, Film Begegnung, sagt er. Er berichtet über seine Anfänge an der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer und am Schiller-Theater Anfang der siebziger Jahre und seinen Weg zu allen wichtigen deutschsprachigen Schauspielhäusern. Und er spricht über seine Film- und Fernsehrollen, etwa als Pastor in „Das weiße Band“ von Michael Haneke oder als Brecht im gleichnamigen Dokudrama von Heinrich Breloer.
Theater_Stadt_Politik Von Konstanz in die Welt Herausgegeben von David Bruder, Veronika Fischer, Daniel Grünauer und Christoph Nix
backstage KLAUSSNER von Thomas Irmer
Taschenbuch mit 176 Seiten ISBN 978-3-95749-236-4 EUR 25,00 (print) / EUR 19,99 (digital)
Paperback mit 160 Seiten ISBN 978-3-95749-232-6 EUR 18,00 (print) / EUR 14,99 (digital)
Das zeitgenössische Theater bringt neue Umgangsformen mit Texten und gesprochener Sprache hervor. In den Beiträgen dieses Bandes, reflektieren Theaterpraktiker, Sprechwissenschaftler sowie Pädagogen der Schauspiel ausbildung über künstlerische Strategien des Sprechens und des Einsatzes der Stimme im Theater der Gegenwart sowie über methodische Ansätze der Sprechausbildung von Schauspielern. Mit Beiträgen u. a. von Heiner Goebbels, Hans Martin Ritter und Laurent Chétouane.
Luk Perceval hat nach zwanzig Jahren Arbeit im deutschsprachigen Theater ein großes Kapitel geschlossen und mit der Rückkehr nach Belgien zugleich ein neues eröffnet. Das Arbeitsbuch 2019 bilanziert Percevals Theaterarbeit und entwirft mit ihm ein wesentliches Modell der Gegenwart: das Künstlertheater des 21. Jahrhunderts. Langjährige Arbeitspartner wie die Bühnenbildnerinnen Katrin Brack und Annette Kurz und die Perceval eng verbundenen Schauspieler Thomas Thieme und Patrycia Ziółkowska geben dazu Auskunft.
RECHERCHEN 141 Praktiken des Sprechens im zeitgenössischen Theater Herausgegeben von Julia Kiesler und Claudia Petermann
Arbeitsbuch 2019 Luk Perceval Herausgegeben von Thomas Irmer
Paperback mit 240 Seiten Mit zahlreichen Abbildungen ISBN 978-3-95749-197-8 EUR 18,00 (print) / EUR 14,99 (digital)
Paperback mit 184 Seiten Mit zahlreichen farbigen Abbildungen Deutsch/Englisch ISBN 978-3-95749-190-9 EUR 24,50 (print) / EUR 19,99 (digital)
Erhältlich in der Theaterbuchhandlung Einar & Bert oder portofrei unter www.theaterderzeit.de
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Look Out
/ TdZ September 2019 /
Von diesen KünstlerInnen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern.
Gesunder Wahnsinn Die Schauspielerin Rosa Thormeyer verkörpert auf der Bühne paradoxe Gegensätze zwischen Brutalität und Zauber
W
as ihr die Bühne bedeutet? Da lächelt Rosa Thormeyer versonnen: „Die Bühne fühlt sich oft so an, als käme ich nach Hause.“ Dort kann sie permanent über Grenzen gehen, und nichts bricht ihren unbändigen Mut. Sie spricht selbst vom „Drang“, auf der Bühne Lebens- als Spielweisen auszuloten. Wer ihr Spiel von außen betrachtet, kommt durchaus ins Philosophieren. Denn Rosa Thormeyer konfrontiert ihr Zuhause der Bühne mit der radikalen Darstellung von Unbehaustheit. Die Ausbildung zur Schauspielerin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ begann 2013. Ihr Studium in Berlin empfand Rosa Thormeyer dann als inspirierend, wenn Sollens-Vorgaben in den Hintergrund traten. Zentral war und ist für sie die Frage: „Was bin ich – nicht, was soll ich sein.“ Alexander Simon hat als Dozent ihr Vertrauen in die eigene Persönlichkeit gestärkt. Sein Lob galt ihrer „Leichtigkeit“, mit der sie sich Figuren gegenüber verhalte. Aus dieser Leichtigkeit heraus entstehe bei ihr Unabhängigkeit. Rosa Thormeyer verfügt über die besondere Fähigkeit, eine Figur zu behaupten und umgehend wieder abzulegen. Ihr Erstengagement führte sie 2017 von Berlin ans Theater Freiburg. Dort brilliert sie früh in Shakespeares „Sommernachtstraum“ (Regie Ewelina Marciniak): Sie öffnet den existenziellen Abgrund der HermiaFigur, zwischen den Shakespeare-Archetypen der Einsamkeit und des Waldes spannt sie eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Der abwesende Lysander wird von ihr herbeigelacht und verflucht. Schreien und Sehnen fließen ineinander. Die Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Spielweisen verstört. Denn Brutalität und Zauber der Puck-Welt werden in der Zerrissenheit ihrer Hermia eindrucksvoll simultan versinnbildlicht. Das Rollenspektrum ihrer zwei Freiburger Jahre unter Intendant Peter Carp besitzt einen Schwerpunkt: junge Frauen in Existenzkrisen. Auf selbstverständliche Weise spiegelt und durchlebt Rosa Thormeyer deren Freuden und Leiden. Ihre Sonja
in Tschechows „Onkel Wanja“ (Regie Peter Carp) ist aus der Erstarrung, ja Lähmung heraus angelegt. Trotz unerwiderter Liebe lässt sie diese Frau nicht zerbrechen. Schüchternheit und Zurückhaltung können von ihr sekundenschnell abgelegt werden. Dann blitzen Seele und Größe ihrer Sonja auf. Woher diese Kraft zum Weiterleben kommt? Vielleicht aus der Absolutheit, mit der Rosa Thormeyer dem Leben gegenübertritt. Und der Unbedingtheit, trotz aller Widrigkeiten das Positive und Hoffnungsvolle immer im Blick zu halten. In Marciniaks Inszenierung der „Bartholomäusnacht“ ergibt sich daraus die Kraft zur Rebellion. Rosa Thormeyer spielt die Margarete. Diese widersetzt sich einer politisch verfügten Hochzeit mit unbändiger Energie. Sie schleudert ihr Ideal einer selbstbestimmten Liebe dem Kalkül ihrer Familie, der Krone und der Nation entgegen. Eine Rolle wie gemalt für eine Schauspielerin, die den Kern dessen freizulegen vermag, was eine Figur innerlich an Träumen und Hoffnungen ausmacht. Rosa Thormeyer kann auf der Bühne zulassen, dass sich jederzeit ein existenzieller Abgrund öffnen kann. Gleichzeitig vermag sie, spielerisch eine Kraft zu vermitteln, die einen Sturz zwar nicht verhindert, aber doch mindert. Ohne das ganz persönliche Vertrauen in die eigenen Träume und Hoffnungen dürfte das kaum funktionieren. Ebenso wenig wie ohne das Vertrauen in die Mitmenschlichkeit derer, die das Spiel begleiten. Wie schwärmt eine Mitarbeiterin der Freiburger Theaterkasse? „Rosa Thormeyer verkörpert einen gesunden Wahnsinn“. Ab der Spielzeit 2019/20 ist dieser Wahnsinn dauerhaft am Thalia Theater Hamburg zu bewundern. // Rosa Thormeyer. Foto Norbert Mehl
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Bodo Blitz
Am Thalia Theater in Hamburg ist Rosa Thormeyer unter anderem ab dem 14. September in „Der Boxer“ nach dem Roman von Szczepan Twardoch in der Regie von Ewelina Marciniak zu sehen.
/ TdZ September 2019 /
Look Out
Einfach nur machen Die junge Dresdner Schauspielerin Luise Aschenbrenner war nie scharf auf eine Bühnenkarriere
ufmerksam, aber ganz unprätentiös sitzt Luise Aschenbrenner am Tisch im Dresdner Schauspielhaus und geht nach kurzer Überlegung sorgfältig auf die Fragen ein. Eine junge, noch mädchenhaft wirkende Frau, und doch gewinnt man den Eindruck, dass diese 24-Jährige schon bemerkenswert tief in sich ruht. Keine Show, keine Allüren, keine Selbstinszenierung. Vielleicht wirkte sie deshalb als Tanja in „Eine Straße in Moskau“ nach dem Roman von Michail Ossorgin so verbindlich, warmherzig, so dicht an ihrem eigenen Wesen. Auch die jüngste Rolle der Luise als Luise im SchillerKlassiker „Kabale und Liebe“ spielt sie auf natürlichste Weise. Beinahe folgerichtig läuft deshalb die Frage ins Leere, wie der schnelle Aufstieg im ersten festen Engagement nach dem Studium an der Berliner Universität der Künste zu erklären und ob er auch ein bisschen zu Kopf gestiegen sei. Ja, es sei schon ein Privileg, gleich zum Ensemble des Staatsschauspiels Dresden zu gehören, bestätigt sie. Zumal sie 2017 nicht von Intendant Joachim Klement aus Braunschweig mitgebracht wurde. Aber sie habe lange nicht darüber nachgedacht. „Jetzt erst reflektiere ich plötzlich, wo ich hier eigentlich ‚drin‘ bin“, lächelt sie. So spricht keine, die als jugendliche Narzisstin unbedingt an die Rampe wollte. Die Story vom Durchmarsch des kleinen Mädchens aus dem bayerischen Dorf Altomünster zum beachteten Jungstar im Film und auf der Bühne funktioniert nicht. „Beim Krippenspiel war ich der Esel!“, dementiert Luise Aschenbrenner ironisch frühe Ambitionen. Eine häusliche Prägung gab es auch nicht, ihre Eltern sind Zahnärzte. Als dann aber über eine Freundin, die vom Jugendklub der Münchner Kammerspiele erzählte, das Theater in ihr Leben trat, klappte doch alles auf Anhieb, setzte sich das Talent durch. Der Appetit kam gewissermaßen beim Essen. Eineinhalb Stunden fuhr sie nun mit dem Bummelzug in die bayerische Hauptstadt, spielte auch während der Abiturzeit bis zu 15 Stunden Theater in der Woche.
Luise Aschenbrenner. Foto Stefan Klüter
A
Noch ein Schlüsselerlebnis nennt die junge Schauspielerin. Mit 16 Jahren kaufte sie sich den Film „Die Klavierspielerin“ auf DVD. Ungezählte Male sah sie ihn sich an, so „verstört fasziniert“ war sie von Isabelle Huppert. Wie sie überhaupt eigenständige, nicht zu erniedrigende Frauenfiguren mit Witz und Charme liebe, „die keine Projek tionsfläche bieten“ und die „auch mal draufhauen können“. 2012, also mit 17 Jahren, stieg Luise Aschenbrenner in verschiedene Kurzfilme ein. Zwei Jahre später war sie immerhin schon in der Beziehungs komödie „Seitensprung“ des ZDF zu sehen. Der Durchbruch und die Weichenstellung für Dresden erfolgten 2016 beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens. Dramaturgin Julia Weinreich sah sie bei der szenischen Lesung „Der (vor)letzte Panda oder Die Statik“ von Dino Pešut, ein Jahr später begann ihr Dresdner Engagement. Zum Theatertreffen kehrte sie in diesem Jahr wieder zurück. Sebastian Hartmanns Dresdner Fassung von Dostojewskis „Erniedrigte und Beleidigte“ war eingeladen. Darin spielte sie das Waisenkind Nelly, sehr eindringlich, fast schon exzessiv. Luise Aschenbrenner verrät kein geheimes Erfolgsrezept. „Einfach nur machen“, über das Textaufsagen hinausgelangen zu der suggestiven Wirkung, „die andere berührt“. Die Karriere sehe nur auf dem Papier so geradlinig aus. „Es gab auch Niederlagen“, deutet sie an und meint damit nicht nur zwei Bühnenunfälle, darunter einen Nasenbeinbruch bei „Der Weg ins Leben“ von Volker Lösch. Mit Blick auf die von rechts so erklärte „Hauptstadt des Widerstandes“ Dresden plädiert sie für unbedingten Dialog und für ambitioniertes Theater. „Das Politische ist doch Kern eines jeden Stücks und seiner Konflikte!“ // Michael Bartsch
Luise Aschenbrenner ist in Dresden wieder am 15. September in „Kabale und Liebe“ (Regie Data Tavadze) sowie am 19. September in „Eine Straße in Moskau“ (Regie Sebastian Baumgarten) zu sehen.
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DRINNEN PREMIERE 21.9.2019 Bühne
AUS DEM NICHTS
ein bürgerliches Trauerspiel von Friedrich Schiller
DRINNEN PREMIERE 12.10.2019 Bühne von Fatih Akin Theaterfassung von Armin Petras
KABALE UND LIEBE www.theater-senftenberg.de
ZUKUNFT. HEIMAT. IDENTITÄT.
SPIELZEIT 2019/20 SCHAUSPIEL STAATSTHEATER COTTBUS
nach Ibsen EIN VOLKSFEIND Fabian | Foto Marlies Kross
Waits, Burroughs, Wilson THE BLACK RIDER Kreutzfeldt 14.9.19 | Kleist-Förderpreis 2019: Thiers WARTEN AUF STURM UA Metzler 28.9.19 Goethe FAUST Fabian 30.11.19 | Pohlmann DER RISS UA (Theaterserie) Rüter, Küster, Grönniger ab 7.12.19 | Fabian ANTIFAUST UA Fabian 29.2.20 | Rüter, Kämmerer DER WALD UA Kämmerer 16.5.20 | BürgerSprechChor FLUCHTPUNKT UA v. Bennigsen 25.6.20
www.staatstheater-cottbus.de
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PREMIEREN 2019/20 Johann Wolfgang Goethe
FAUST 1IN2
11. OKT 2019
REGIE: SIBYLLE BROLL-PAPE
SPIELZEIT 2019/2020
DIE RÄUBER
von Friedrich Schiller
I: Julia Prechsl
Björn SC Deigner
DER REICHSKANZLER VON ATLANTIS
URAUFFÜHRUNG REGIE: BRIT BARTKOWIAK
Hans Christian Andersen
DEMUT VOR DEINEN TATEN BABY
von Laura Naumann
I: Anne Verena Freybott
EIN DEUTSCHES MÄDCHEN (UA)
nach Heidi Benneckenstein
I: Mirko Böttcher
DER REISENDE
nach Ulrich Alexander Boschwitz
13. OKT 2019
DIE SCHNEEKÖNIGIN
16. NOV 2019
REGIE: KATHLEEN DRAEGER-OSTERMEIER
Simon Strauß
SIEBEN NÄCHTE
22. NOV 2019
REGIE: ALEXANDER RITTER
Oscar Wilde
29. NOV 2019
BUNBURY–ERNST SEIN IST ALLES REGIE: SEBASTIAN SCHUG
(DE)
I: Kathrin Mädler
Bonn Park
EIN NEUES STÜCK
17. JAN 2020
URAUFFÜHRUNG REGIE: BONN PARK
LIEBE !!!
von Jens Schnarre
(UA)
I: Jens Schnarre
Konstantin Küspert
FORT SCHREITEN
24. JAN 2020
URAUFFÜHRUNG REGIE: SIBYLLE BROLL-PAPE
KONRAD oder DAS KIND AUS DER KONSERVENBÜCHSE
von Christine Nöstlinger
I: Ingrid Gündisch
EWIG JUNG
von Erik Gedeon
I: Peter Kesten
MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER
von Bertolt Brecht
I: Pia Richter
ICH RUFE MEINE BRÜDER
von Jonas Hassen Khemiri
I: Oliver D. Endreß
Ödön von Horváth
JUGEND OHNE GOTT
06. MÄR 2020
REGIE: ELSA-SOPHIE JACH
Thomas Köck
14. MÄR 2020
PARADIES FLUTEN/HUNGERN/SPIELEN ERSTAUFFÜHRUNG REGIE: CILLI DREXEL
Anton Tschechow
DER KIRSCHGARTEN
02. MAI 2020
REGIE: SIBYLLE BROLL-PAPE
Weiler nach E.T.A. Hoffmann
DER SANDMANN
08. MAI 2020
CALDERÓN-SPIELE
27. JUN 2020
REGIE: HANNES WEILER
Molière
DIE SCHULE DER FRAUEN REGIE: ISABEL OSTHUES
VÖGEL
von Wajdi Mouawad
I: Thomas Ladwig
37. BAYERISCHE THEATERTAGE 20. bis 31. Mai 2020 Kartenreservierung: 08331 94 59 16 www.landestheater-schwaben.de
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SAISON 2019/20
Ab 05 | 09 | 19
PEER GYNT Henrik Ibsen Regie: Katharina Rupp
Ab 20 | 09 | 19
DER WEG INS MORGENLAND Dominique Ziegler Deutschsprachige Erstaufführung Regie: Robin Telfer
Ab 31 | 10 | 19
ANTIGONE Sophokles Regie: Deborah Epstein
Spielzeit Schauspieldirektor Jonas Knecht
Die Anschläge von nächster Woche von Thomas Arzt | Regie: Matthias Rippert Premiere: 12. September 2019, Schweizer Erstaufführung
Sein oder Nichtsein von Nick Whitby | Regie: Barbara-David Brüesch Premiere: 27. September 2019
Alice im Wunderland von Anja Horst nach Lewis Carroll | Regie: Anja Horst Uraufführung: 9. November 2019
Der Prozess
Ab 06 | 12 | 19
SONNY BOYS Neil Simon Regie: Dominik von Gunten
von Anita Augustin nach Franz Kafka, Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst «Ernst Busch» Berlin, Studiengang zeitgenössische Puppenspielkunst Regie: Jonas Knecht, Markus Joss Uraufführung: 10. Januar 2020
Die Orestie
Ab 22 | 01 | 20
Ab 07 | 03 | 20
DAS ORIGINAL Stephen Sachs Regie: Barbara David Brüesch ROMEO UND JULIA William Shakespeare Regie: Veit Schubert
von Aischylos | Regie: Martin Pfaff Premiere: 18. April 2020
Die Gastfremden von Ivna Žic | Regie: Christina Rast Uraufführung: 23. April 2020
Letschti Rundi von Julie Paucker | Regie: Sophia Bodamer, Barbara-David Brüesch, Anja Horst u.a. Uraufführung: 28. Mai 2020
Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams, Wiederaufnahme: 19. November 2019
Ab 01 | 05 | 20
NICHTS GESCHENKT! Eine kurze Geschichte der Frauenrechte in der Schweiz von Mirjam Neidhart und Katharina Rupp Uraufführung Regie: Katharina Rupp
www.tobs.ch
Verminte Seelen Schauspielprojekt zur administrativen Versorgung Wiederaufnahme: 20. November 2019
Versetzung von Thomas Melle, Wiederaufnahme: 23. Januar 2020
… und für Kinder und Jugendliche jungspund – Theaterfestival für junges Publikum St.Gallen, Träume einer Sommernacht, Kuno kann alles, Dornrösli bockt
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PREMIEREN 19/20
Friedrich Schiller // Die Räuber // 13. September 2019 Kirsten Fuchs // Der Miesepups // 20. September 2019 Ray Bradbury // Fahrenheit 451 // 31. Oktober 2019 Nicola Bongard // Robin Hood // 8. November 2019 Molière // Tartuffe // 10. Januar 2020 E.T.A. Hoffmann // Der Sandmann // 6. März 2020 Cornelia Funke // Zottelkralle // 9. Mai 2020 Marcus Youssef // Dschabber // 19. Juni 2020
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DT–1 Vögel | Wajdi Mouawad Regie Katharina Ramser Was ihr wollt | William Shakespeare | Regie Moritz Beichl Warten auf Godot | Samuel Beckett | Regie Erich Sidler Jim Knopf und die Wilde 13 Michael Ende Regie Katharina Ramser | 6+ Woyzeck | Robert Wilson, Tom Waits & Kathleen Brenan nach Georg Büchner Regie Antje Thoms Das Leben auf der Praça Roosevelt | Dea Loher Regie Aureliusz Śmigiel Der eingebildete Kranke Komödie von Molière Regie Matthias Reichwald Der Herr der Fliegen William Golding Regie Ruth Messing Die Hauptstadt | Robert Menasse | Regie Niklas Ritter Szenen einer Ehe | Ingmar Bergman | Regie Antje Thoms Cabaret | John Kander, Fred Ebb, Joe Masteroff, John Van Druten Regie Selen Kara
DT–2 Iphigenie auf Tauris Johann Wolfgang von Goethe Regie Daniel Foerster Geteilt | Maria Milisavljevic Regie Moritz Beichl | Uraufführung Gewalt und Leidenschaft Luchino Visconti Regie Jakob Weiss Bombe! | Abdul Abbasi und Philipp Löhle | Regie Philipp Löhle Uraufführung Tom auf dem Lande Michel Marc Bouchard Regie Marcel Gisler
DT–X Philoktet | Heiner Müller Regie Elias Perrig Der perfekte Moment – total verpennt Horst Evers Regie Johanna Schwung Quizoola! | Tim Etchells Die fürchterlichen Fünf Wolf Erlbruch | 4+ Die Frau in Schwarz Susan Hill und Stephen Mallatratt
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Theaterarbeit als Kulturkatastrophe Der Autor Oliver Kluck über sein Stück „Baader Panik“ im Gespräch mit Erik Zielke Oliver Kluck, Ihr neues Stück trägt den Titel
Wie Hauptmann auch, fahre ich nur für eine
gen kann. Überhaupt zu überleben ist der
„Baader Panik“, was mich auf eine falsche Spur
gewisse Zeit in den Norden. Entsprechend
tatsächliche Wert, der sich aus meiner Be-
geführt hat: Ich habe einen Text über die RAF
betrachten mich die Einheimischen nicht als
schäftigung mit der Literatur ergibt. Das
erwartet.
einen der ihren. Aber ich bin dort geboren
Stück ist lediglich ein Nebenprodukt, das
Ich habe keinen direkten Zugriff auf die RAF,
und aufgewachsen, was mich von Hauptmann
gebraucht wird, um dieses Leben zu erklären.
was etwas mit meiner Herkunft zu tun hat. Mein
unterscheidet. Ich kenne den Norddeutschen
Deutschland fängt irgendwann in den späten
in seiner besonderen Art, wie ich den Ferien-
Für Ihre Texte recht ungewöhnlich, haben Sie in
achtziger Jahren an. Prägend war der in der Fa-
gast kenne, der ganz aufgeregt am Wassertaxi
„Baader Panik“ eine ziemlich konkrete Figuren-
milie gepflegte Umgang mit dem Ministerium
in Schaprode steht und jetzt bitte sofort auf
aufteilung vorgenommen und Ihre Vorstellungen
für Staatssicherheit. Später die Übertragung
die Insel übergesetzt werden möchte.
von der Besetzung präzise angegeben.
kollektiven Eigentums an Privatpersonen aus
Meine Stoffe haben einen assoziativen Cha-
den alten Bundesländern. Hinzu kam der Ver-
Ist Verachtung für Sie eine Haltung fürs Schreiben?
rakter. Ich arbeite unter anderem mit Schnitt-
lust gewohnter Arbeitswelten und Strukturen,
Ich könnte meine Arbeit nicht verrichten,
techniken, was keineswegs heißt, dass es
wovon meine Eltern direkt betroffen waren.
wenn meine Einstellung zu ihr anders wäre als
keine Figuren gibt und keine Handlung. So ist
positiv. Das Schreiben hat für mich etwas mit
es geradezu stupend blöde, wenn die Kritik
Ihre Titelfigur Baader ist ein Theaterautor. Ein
dem Ausleben einer Lust zu tun. Andererseits
immer wieder schreibt, dass sich die Spieler
weiterer Dramatiker, der in Ihrem Text eine
ist die Literatur ein ganz praktisches Hand-
ganz wunderbar durch den Abend gespielt
wichtige Rolle spielt, ist Gerhart Hauptmann.
werk, das wir benötigen, um irgendwie durch
hätten und auch die Regie Großes geleistet
Was bedeutet er für Sie?
den Tag zu kommen. Ihren oftmals ganz und
habe, es nur leider gar keine Grundlage dafür
So wie ich ihn darstelle, könnte Baader ge-
gar geräuschlosen Lauf greifbar zu machen ist
gegeben habe. In der Vergangenheit habe ich
nauso gut ein Langschläfer sein, ein Fußgän-
eine Aufgabe, die mich fasziniert. Ich bediene
mehr als einmal zu spüren bekommen, dass
ger oder Abbruchunternehmer eines ganzen
mich dafür aus einem Figurenkosmos, der sich
auf meinem Rücken Kulturpolitik ausgeübt
Landes. Gerhart Hauptmann kommt mir aus
von alleine fortschreibt. Ich betreibe metaphy-
wird. So schrieb einer vom anderen ab, dass
biografischen Gründen unter. Ganz gleich wo-
sische Ensemblearbeit, indem ich den Stoff in
ich aus einer Deppenfamilie komme, meine
hin mich meine Wege führen, er war immer
der nächsten Geschichte weiterführe.
heute als Beitrag zelebrierte Ballastexistenz eine logische Folge sei.
schon da und ist es immer noch. Für mich ist er eine ambivalente Figur. Auf der einen Seite
Und das Faszinierende, das Sie in den Menschen
gibt es die öffentlichen Auftritte, die ich als
finden, tritt dann wie im Stück an ungewöhnli-
Das Stück wurde für die Bühne geschrieben,
inszeniert betrachte. Im privaten Bereich
chen Orten zutage: in der DB-Lounge, im ICE, in
wird jetzt aber erst mal als Radiohörspiel vom
dann eine nicht ausgelebte Weiblichkeit, auf
den Touristenregionen in Nordostdeutschland?
SWR2 in der Regie von Leonhard Koppelmann
die ich in meinem Versuch eingehe.
Ich finde an den Orten meines Lebens ausrei-
produziert.
chend Stoff über das Leben der anderen. Das
Es gibt keinen Anlass, für das Theater zu
Sie wurden auf Rügen geboren und sind in Stral-
Schweigen interessiert mich dabei mehr als
schreiben. Im Gegensatz zur Bühne ist mir
sund aufgewachsen. Auch Hauptmann zog es
die Erklärung, was demnächst und ganz drin-
der Funk treu. Er pflegt seine Autoren, geht
immer wieder in den Norden, besonders nach
gend zu tun sei. Als Berufskünstler ergeht es
sensibel mit Stoffen um. In meinem Fall gibt
Hiddensee.
mir wie der Hummel, die angeblich nicht flie-
es eine langjährige Zusammenarbeit mit
Künstlerhaus Mousonturm September 2019
Unfuck My Future
How to Live Together in Europe 30.8.–8.9. Festival im Mousonturm und Frankfurt LAB
Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main GmbH, Waldschmidtstr. 4, 60316 Frankfurt/Main
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Andrea Oetzmann vom SWR und Leo Koppelmann, die das Durchschreiten tiefer Täler einschließt. Natürlich hätte ich gerne eine Bühnenpremiere, wegen der Gasthäuser am liebsten in Wien. Sie ist aber keine Bedingung dafür, dass geschrieben werden kann. Im letzten Jahr haben Sie entschieden, sich zum Lokführer ausbilden zu lassen, und in diesem Beruf auch Ihr Geld verdient. Wie wirkt das auf das Schreiben zurück? Mein Beruf ist der des Dichters. Ich verdichte Sprachelemente so lange, bis ein Stoff draus wird. Wenn ich gelegentlich mit dem Güterzug irgendwohin fahre, dann nehme ich das Land nicht aus der Sicht eines Eisenbahners wahr. Vielmehr halte ich Ausschau nach verwertbarem Material, suche nach Analogien. Ich kann nun feststellen, dass der immer stärker von Kaufleuten geprägte Alltag nicht nur die Kultur des Reisens ruiniert hat. Der als überflüssig empfundene und daher an vielen Häusern eingesparte Dramaturg hat eine Lücke hinterlassen, die bisher nicht gefüllt werden konnte. Eine Folge daraus ist das sogenannte Autorentheater, das eine Autorschaft, wie ich sie verstehe, geradezu ablehnt. In „Baader Panik“ wird das Theater auch immer wieder selbst zum Thema. Mir wäre es ganz recht, säße das Publikum auf der Bühne. Was die Spieler neben dem Spiel treiben, kommt mir interessanter vor als das Spiel an sich. Mich interessiert die Bühne außerhalb des Bühnenraumes. Die inszenierte Wirklichkeit, die einfache Begründung komplizierter Zusammenhänge. Jemand drängelt sich an der Garderobe vor. Die Begründung dazu muss möglichst krude sein und gut vorgetragen. Sie ist der Ausgangspunkt für eine große Geschichte. Bedeutet dieses Durchschauen sozialer Mechanismen eher Langeweile oder Spaß? Gut erzählte Komödien können einen tragischen Verlauf nehmen. Wenn die Langeweile
Oliver Kluck wurde 1980 in Bergen auf Rügen geboren, hat die Berufe des Wasserbauers und Lokomotivführers erlernt und arbeitet seit einem Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig als freier Schriftsteller und Dramatiker. Mit seinem dritten Stück „Das Prinzip Meese“ wurde Kluck 2009 zum Berliner Stückemarkt eingeladen, die Uraufführung erfolgte 2010 am Maxim Gorki Theater in Berlin. Für das Deutsche Nationaltheater Weimar schrieb er ab 2010 mit „Oktoberlabor“, „Novemberlabor“, „Aprillabor“ und „Mailabor“ eine ganze Reihe von Texten. Weitere seiner Werke kamen an Bühnen in Graz, Rostock und am Burgtheater in Wien zur Uraufführung, wurden zudem ins Spanische, Tschechische und Polnische übersetzt. Sein Stück „Froschfotzenlederfabrik“ wurde 2014 vom SWR unter der Regie von Leonhard Koppelmann als Hörspiel eingerichtet. Kluck erhielt u. a. den Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker (2010) und den Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft für Dramatiker (2011). Mit Ersan Mondtag und Laura Naumann teilt er sich eine Kolumne auf Deutschlandfunk Kultur. Das Radiohörspiel „Baader Panik“ wird am 29. September auf SWR2 gesendet. Foto Anne Krauß
anfängt Spaß zu machen, dann macht es Freude, ins Theater zu gehen. Als Zuschauer möchte ich dort etwas sehen, das ich nir-
Meine Jahre als Castorf in Anklam haben mich
aus dem ich schöpfen kann. Der Zufall hat dem
gendwo anders zu sehen bekomme. Insbeson-
nicht vom Schreiben abhalten können. Mittler-
Theater einen Schichtenmigranten als Autor be-
dere möchte ich nicht indoktriniert werden
weile bin ich einigermaßen erwachsen und darü-
schert. Abgesehen vom Tod gibt es nichts, was
und von Tagespolitik belästigt.
ber hinaus ziemlich stark. Im Gegensatz zu
mich noch verhindern kann. Ich bin das Wetter
Hauptmann muss ich nicht erst Wein trinken,
von morgen …
Aber aller nicht schriftstellerischen Tätigkeit
um die Geknechteten als Schablonenschnitt fer-
und allem Schweigen zum Trotz: Es geht jetzt
tigen zu können. Überhaupt nichts zu müssen
… oder eine Naturkatastrophe …
bei Ihnen weiter mit der Theaterarbeit?
und trotzdem durchzukommen ist das Kapital,
Kulturkatastrophe. //
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stück
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Oliver Kluck
Baader Panik Personenverzeichnis ERZÄHLERIN BAADER KRITIKER ZENSOR FEIST FEISTOR Und 3 Männer und 3 Frauen, die alle anderen Rollen spielen Einleitung KRITIKER Der Autor Baader … ja … Was sich der Dramatiker Baader unter einem Gespräch vorstellt … Baader, der seinem Publikum durch eine längere Zeit der Sprachlosigkeit abhandengekommen ist … Mit seinem Versuch Baader Panik stellt er einen Text vor, der typisch ist für das Schreiben heute. Wie andere Autoren seiner Zeit, verarbeitet Baader in seinen Texten eine Vielzahl an Informationen. Er bedient sich dabei einer stark verdichteten Sprache, der Sprache eines Dichters. Titel ANSAGERIN Baader Panik Oliver Kluck, Berlin 2018
Erstes Heft (EH) EH.1 In der Theaterkantine – ERZÄHLERIN Erstes Heft. BAADER Das Burgtheater liegt griffbereit da, wie Werkzeug in einer Kiste. ERZÄHLERIN Baader sagt, das einzige, was er wirklich gebrauchen könnte … BAADER Das einzige, was ich wirklich gebrauchen könnte, ist ein Vorschlaghammer. FEISTOR Wer ist Baader? ERZÄHLERIN Fragt sich Intendant Feistor. BAADER Ich bin eine Figur in einer Geschichte, die den Titel Baader Panik trägt.
KRITIKER Baader hat das Burgtheater immer auf seine Figuren reduziert betrachtet. Für ihn habe es die Funktion einer Scheibe … BAADER Für mich hat es die Funktion einer Scheibe, in die man eine Schaufel schlägt. KRITIKER Für Feistor ist das Burgtheater ein Ort der Bewegung. FEISTOR Für mich ist das Burgtheater ein Ort der Bewegung. BAADER Das Burgtheater ist ein Labor. Gleichzeitig ist es ein Karussell, das sich sehr schnell dreht. FEISTOR Mächtig sein macht mächtig Spaß. Fischfang und Algenzucht sind Tagesthemen. Man hat Zeit ein Segel aufzuspannen. BAADER Der Ausdruck Spielen, am Burgtheater gebraucht im Sinne von wir spielen was miteinander, wir spielen mit euch, wir spielen euch was vor, oder auch wir verspielen euer Geld. EH.2 KRITIKER Ganz sicher bereitet es Baader ein ziemliches Vergnügen, dass Zensor in Baaders Arbeiten das Fehlen einer nachvollziehbaren Handlung erkennen möchte. Figuren, wie man sie in den Dramen eines Gerhart Hauptmann findet, kann man bei Baader lange suchen. Die so bereits im Kern angelegte Enttäuschung des Konsumenten bezeichnet Baader als Grundlage seiner Arbeit. Baader begreift die auf diese Weise durch ihn betriebene Auflösung der Täuschung als Darstellung einer Situation, die er als tatsächlich empfindet und wahrhaftig. In der Theaterkantine – BAADER Einmal Möhreneintopf, bitte! ERZÄHLERIN Baader bestellt Möhreneintopf. Baader möchte Vereinfachung. BAADER (löffelt Möhreneintopf, mit vollem Mund) Ab Mitte der Neunziger Jahre konnte die Liebe über weite Strecken digitalisiert werden. Digitale Liebe entwickelt sich rasch zu einem Standard, an dem heute niemand mehr vorbeikommt. ERZÄHLERIN Baader bewirbt sich mit seinem Konzept bei der Volkswagen Foundation. Anruf in der Poststelle – POSTSTELLE (via Telefon) Montag ist bis Mittwoch zu. Dienstag ist Montag. Mittwoch nach Ter-
minabsprache. Donnerstag geschlossen. Freitag bis Mittag. Mittag keiner mehr da! ERZÄHLERIN Baaders Arbeit wird vom zuständigen Auswahlgremium der Prüfungskommission für eine Vorprüfung ausgewählt. ZENSOR Aufgrund des Gutachtens aus der Vorprüfung ist die Arbeit des Bewerbers Baader der Prüfungskommission für eine Aufnahmeprüfung vorzulegen. Der Prüfungsausschuss entscheidet über die Annahme der Arbeit. ERZÄHLERIN Die Arbeit wird auf Empfehlung des Prüfungsausschusses an die für Baaders Arbeit zuständige Prüfungskommission weitergeleitet. Als Ergebnis der Prüfung steht am Ende der Prüfung eine Empfehlung der Prüfungskommis sion. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses entscheidet über die Annahme der Arbeit des Baader. Klingel – POSTBOTE (Gegensprechanlage) Post! Könnten Sie mich mal reinlassen. Danke! ZENSOR Ich empfehle Baader für die Vergabe des Stipendiums. ERZÄHLERIN Zensor führt Gespräche mit Baader. Über Gespräche mit Baader fertigt Zensor Notizen. Zensor beabsichtigt, Aufzeichnungen an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach zu verkaufen. ZENSOR Die Kommission benötigt für ihre Prüfung Originale. Das Einreichen von Abschriften kann nicht genügen. ERZÄHLERIN Von dem Erlös aus dem Verkauf der Aufzeichnungen über Gespräche mit Baader wird sich Zensor etwas anschaffen. ZENSOR Seitdem ich ihn das erste Mal gesehen habe, träume ich von diesem neuen Volkswagen. ERZÄHLERIN Seine Frau schaut er schon gar nicht mehr an. EH.3 KRITIKER Baader erkennt scheinbar unbestimmbare Situationen. Aus einer Vielzahl an biografischen Notizen, die Titel tragen wie Der Hass blüht prächtig oder Die Selbstvernichtung des Autors, wird schnell klar, dass Baader imstande ist, sich ohne den Ansatz einer Interpunktion zu verständigen. In einem ICE – JUNGER MANN (am Handy) Müssen wir das ausgerechnet jetzt diskutieren? BAADER Der in Spandau bei Berlin zugestiegene junge Mann führt über eine Mobilfunkverbindung ein Gespräch, das er nicht führen möchte. Der junge Mann möchte gerne mit einem Schnellzug von einem Ort zu einem anderen fahren. Die junge Frau möchte ihren Machtbereich ausbauen.
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JUNGE FRAU (im Telefon) So kann es nicht weiter gehen. JUNGER MANN (am Handy) Dieses ständige Streiten hat mich mürbe gemacht. JUNGE FRAU (im Telefon) Ich werde mich trennen. Sag doch was. JUNGER MANN Was soll ich sagen. Was ist für mich übrig geblieben an Dingen, die ich sagen könnte? Welcher Gedanke ist noch nicht bis zum Ende durchdacht? BAADER Die Verbreitung des Mobiltelefons hat die Kultur des Bahnreisens verändert. Bahnreisende heute werden, ob sie es wollen oder nicht, mit einer Vielzahl von Informationen versorgt. Eine Liebe geht zu Ende, bedeutete das Ende der Stille. Reisende geben durch das Mobiltelefon Auskunft zu ihrem Befinden. Auskünfte werden im Moment ihrer Verkündung geteilt. Geschichten werden in ihre Bestandteile zerlegt, so oder so ähnlich wieder zusammengesetzt. HANDY (aus dem Telefon) Ihr Akkustand ist niedrig. Schließen Sie sich selbst möglichst bald an eine Versorgung an. ZUGBEGLEITER (über den Zuglautsprecher) Der Intercity Express nach Hamburg Altona verkehrt heute in geänderter Wagenfolge. Der heute in geänderter Wagenfolge verkehrende Intercity Express auf dem Weg nach Hamburg erreicht Berlin heute eine Dreiviertelstunde später als im Fahrplan angezeigt, da der vorhergehende Intercity Express in die gleiche Richtung ausfallen musste. Sehr geehrte Reisende, wir möchten Sie darüber informieren, dass der Bahnsteig acht im Hauptbahnhof zu Berlin heute mit doppelt so vielen Wartenden besetzt ist wie sonst an einem Sonntagabend im Monat Juni. Der ICE hält in Berlin-Spandau – REISENDE 1 Einer steigt in Spandau ein. REISENDER 1 Einer bleibt in Spandau zurück. REISENDE 2 Einer geht in einen Speisewagen, ein Bier in einer Flasche kaufen. REISENDE 3 Einer geht vom Bahnhof Spandau bei Berlin über eine Straße. REISENDER 2 Und noch eine zu einer Bar und oder über eine Straße. REISENDER 3 Und noch eine in ein neues Leben. ERZÄHLERIN Die von Zensor herausgegebene Statistik besagt, dass nahezu alle Fernzüge der Bahn ihr Ziel pünktlich erreichen. ZENSOR Erreicht werden konnte dieses optimale Ergebnis durch eine Optimierung des Verfahrens zur Erfassung der Zugdaten im Datensammelverfahren. BAADER Die Stadt Plautzen ist Zentrum einer ganz und gar neuen Region. Ich nenne diese Region
ANIMAL FARM Regie: Felix Ensslin 14.09.2019 Festival newsOff Styria [Österreichpremiere] HANNAH ARENDT AUF DER BÜHNE Regie: Ania Michaelis 24.09.2019 Comedia Theater Köln [Deutschlandpremiere] 24. + 25.10.2019 Hannah Arendt Tage Hannover
Zentralplautzen. Auch gebräuchlich ist der Begriff Mittelplautzen. Den Leuten zu vermitteln, sie befänden sich in der Mitte von irgendwas, ist natürlich ein gutes Mittel der Beruhigung. ZUGBEGLEITER (über den Zuglautsprecher) Meine Damen und Herren. Der Regionalexpress nach Rostock konnte heute leider nicht warten. Ebenfalls nicht warten konnte der Eurocity nach Prag mit Halt in Dresden. ERZÄHLERIN Man kann sich aber auch mit einer Flasche Bier in den nächsten Regionalexpress setzen, so wie Baader es auf performative Art belegt. BAADER Polen, Tschechen und Deutsche rücken näher zusammen. Tschechische Oberschulen in Polen. Polnische Wurst in Sachsen. Deutsche Autos überall. KRITIKER Dass Baader mit dem Zug fahre, ist bitte nicht als Bekenntnis zu verstehen. BAADER Der Anlass für meine Reise ist profes sioneller Natur. REISENDE 1 In Sachsen blühen Vorbehalte. REISENDE 2 Michael Kohlhaas kann keinen gültigen Fahrausweis vorlegen. REISENDER 1 Sie verlassen den Zug an der nächsten Station: Plautzen. EH.4 KRITIKER Dass am Ende vieler Worte nicht zwangsläufig ein verwertbares Produkt stehen muss, scheint gleichzeitig charakteristisch zu sein für Autor und Figur. Beide üben bei jeder noch so geringen Gelegenheit Entzug. Geliefert wird alles Mögliche, nur nicht das, was bestellt wurde und bezahlt. Plautzen – ZENSOR Ich muss die Prüfungskommission um eine weitere Prüfung der Akte Baader bitten. ERZÄHLERIN Sybille Lewitscharoff skizziert im Böhnhardt Saal des Königlich Sächsischen Staatsschauspiels den Entwurf einer vollkommen neuen Ordnung. FEISTOR Uwe Tellkamp hat seine Reiseschuhe geschnürt. BAADER Ich möchte zurück in den Leib meiner Mutter. Nur dort habe ich mich immer sicher gefühlt und geborgen. ZENSOR Der Leitungsausschuss der Kontrollkommission für die Variantenbewertung im Bemessungsverfahren stellt fest, dass die Bahn für die Berechnung des Grades der Pünktlichkeit ihrer Züge ganz und gar ausgefallene Züge in keiner Weise erfasst. Außerdem gelten Züge, die ihren Zielort nicht mehr als sechs Minuten nach der ge-
2. THEATERTAGE – FESTIVAL + TAGUNG JUNGES THEATER Künstlerische Leitung: Ania Michaelis & Susanne Schrader 15.–20.10.2019 Triangel, St. Vith (B) CUTS, PIECES & SOUNDS – GESCHICHTE EINER STIMME Regie: Felix Ensslin 14. + 15.11.2019 Triangel, St. Vith (B) [Uraufführung]
planten Zeit erreichen als pünktlich am Zielort angekommen. ERZÄHLERIN In Plautzen angekommen muss Feistor scheißen wie ein Wallach, ihm stellen sich darum zwei Fragen: FEISTOR Erste Frage. Wo ist hier die nächste Toilette. Zweitens. Wie komme ich hier wieder weg. Plautzen ist von der Rohstoffversorgung abgeschnitten. ERZÄHLERIN Feistor hat bis heute nichts über Baader gelesen. FEISTOR Den Namen Baader höre ich heute zum ersten Mal. ERZÄHLERIN Der mit der Akte Baader bestückte Aktenwagen steht immer noch auf den für den Aktenwagen vorgesehenen Platz neben der Aktenausgabenstelle. (Ein einsam klingelndes altes Telefon –) Ein klingelndes Telefon gegen die Stille, Grüße aus der Regie. ZENSOR Die Prüfung des Manuskriptes hat bislang zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt. Der Prüfungsvorsitzende hat daher entschieden, erstmal keine Entscheidung zur Annahme der Arbeit herbeizuführen. Als erste Maßnahme wird ein Zweitprüfer beauftragt. ERZÄHLERIN Von Baader wird die Herausgabe von weiterem Material erbeten. KRITIKER Baader hatte sich einige Sommer auf der Insel Hiddensee herumgetrieben, wo Hauptmann in einem riesigen Haus Stipendiaten für sich schreiben ließ. ZENSOR Die Prüfungskommission kommt zu dem Ergebnis, dass Baader als Kenner Hauptmanns anzuerkennen ist. Die Poststelle ist angewiesen, ein entsprechendes Zeugnis des Prüfungsamtes zeitnah an Baader zuzustellen. Klingel – POSTBOTE (Gegensprechanlage) Post! Könnten Sie mich mal reinlassen. Danke! ERZÄHLERIN Baader sagt es gleich direkt. BAADER Hauptmann war Aufhänger dafür, die Sommer anderswo zu verbringen als in Leipzig und Berlin. In der Stadt kann man leicht einer Hirnwut verfallen, erst recht bei Temperaturen wie diesen. ERZÄHLERIN Der Vorsitzende der Prüfungskommission würdigt in seinem Gutachten besonders die Kenntnisse Baaders über die Schaffensperioden des Dichters Hauptmann auf der Insel Hiddensee.
DIE DREI LEBEN DER ANTIGONE Text: Slavoj Žižek Regie: Felix Ensslin 16. + 17. + 18.01.2020 Triangel, St. Vith (B) [Deutschsprachige Erstaufführung] 22. + 24. + 25.01.2020 FFT Düsseldorf [Deutschlandpremiere]
KÜNSTL. LEITUNG AGORA: Kurt Pothen MEHR INFORMATIONEN & TERMINE: www.agora-theater.net
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EH.5 KRITIKER Die Frage nach dem Verständnis lässt der Urheber der Verwirrung unbeantwortet. So kann Baader Panik, abhängig vom Standpunkt der Betrachtung, ein Gespräch sein und gleichzeitig genau das Gegenteil von dem was wir meinen, wenn wir über das Sprechen sprechen. Hiddensee – ERZÄHLERIN Nach Hiddensee war Baader gefahren – BAADER – um Zeit zu vertrödeln. Nichts machen können – ERZÄHLERIN – sei der Grund für Baaders Fahrt. BAADER Die Insel eignet sich zum Zeit verbringen. Sicher hat das auch Hauptmann gewusst. ERZÄHLERIN Jeden Morgen geht Baader an den Strand von Kloster. An der Badestelle schaut Baader den Jungen und Mädchen beim Baden zu. BAADER Schöneres als das gibt es auf der Insel ohnehin nicht zu sehen. ERZÄHLERIN Regelmäßig besucht Baader das Hauptmannhaus in der Hauptmannstraße in Kloster. BAADER Jeden Morgen gewaltige Menschenmengen vor dem Backdiscounter. Die ansonsten sehr langsamen Einheimischen schnell an der Wartegemeinschaft vorbei. Muss erstmal eine Viertelstunde mit der schielenden Frau Feist übers Wetter geredet werden, wer wieder nicht sein Haus abgeschlossen hat, und so weiter. ERZÄHLERIN An der Feiste kann Baader sehen, welche Spuren die langen Winter in den Gesichtern der Einheimischen hinterlassen. BAADER Da kommt auch schon der Kellner mit dem Fisch. ERZÄHLERIN Baader schreibt, er sei dichter dran am Dichter Hauptmann … BAADER Ich bin dichter dran am Dichter Hauptmann, als es auf den ersten Blick erscheint. ERZÄHLERIN Feist ist Fischverkäufer und deutscher Kommunalpolitiker. FEIST Schon früh hatte ich mich beim Ministerium für Staatssicherheit zu einer Mitarbeit verpflichtet. Meine Verpflichtungserklärung wurde durch ein Auswahlgremium geprüft, nach erfolgreicher Prüfung an den Leiter der Aufnahmekommission weitergeleitet. ERZÄHLERIN Aus dem Schreiben des Ministeriums geht hervor, dass Zensor eine Verwendung des Feist im Bereich der Beobachtung vorsieht. Während seiner Zeit beim Ministerium schreibt Feist vor allem Gedichte. Feist schreibt über das Leben der anderen. Mit anderen Autoren zusam-
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men arbeitet er an einer kollektiven Kronik, wie sie noch nie geschrieben wurde. FEIST Die Geschichte eines ganzen Landes in eine kompakte Form gebracht. Das Leben aller am Beispiel Baader. BAADER Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sieht sich Gerhart Hauptmann der Herausforderung gegenüber, das Angestelltenverhältnis seiner bisherigen Büroleiterin zu lösen. Ein Liter Benzin kostet ein Euro achtzig. Mit dem Inselpastor Arnold Gustavs feiert Hauptmann auf Hiddensee Reichsgottesdienste. Gemeinsam suchen beide nach einer Möglichkeit, Esoterik und Nationalsozialismus auf symbiotische Weise zu verbinden. Hauptmann kauft 1929 Haus Plunder in Kloster. Nachdem das Haus mit Veranden und einem deutschen Dach versehen ist, kann es im drauffolgenden Jahr erstmals für Wiederherstellungszwecke genutzt werden. Der Keller hat Platz für vierhundertfünfzig Flaschen Moselwein und Grauburgunder. Dass es Platz gibt, ist Grund für den Kauf des Hauses. Kaum auf Hiddensee an gekommen, hatte Hauptmann mit dem Dichten angefangen. Zwei Wörter schrieb er in sein Heft. Inselsommer und Sommerloch. Zensor hält diese Wörter für ein wichtiges Gleichnis. ZENSOR Ein Schreiben mit einem Antrag auf Prüfung ist bereits an den Leiter des Prüfungsamtes unterwegs. Eine Bestätigung des Posteinganges kam heute mit der Post. Klingel – POSTBOTE (Gegensprechanlage) Post! Könnten Sie mich mal reinlassen. Danke! BAADER Der Dichter Hauptmann ist imstande, sich jedem System anzupassen. Krieg kann Hauptmann nicht am Dichten hindern. Hauptmann schafft sich Struktur. Hauptmann arbeitet wie ein Arbeiter in einer Fabrik. Hauptmann schafft sich Dringlichkeit als Motiv. Im Küstenmeer liegen Schiffe auf Grund. Die Gründe dafür sind oft unbekannt. Immer läuft Wasser in den morschen Rumpf des ambulanten Fischverkaufes und immer gelingt es, Wasser ins Wasser zurückzuführen. ZENSOR Ein bildhafter Kreislauf, der nichts anderes ist als gar das Leben selbst. BAADER Tatsächlich ist auf einer natürlicherweise vom Wasser umgebenen Insel nichts knapper vorhanden als Wasser. Es bleibt nichts anderes übrig, als einmaliges Geschirr zu verwenden und Messer und Gabel aus Kunststoff. Billiges Bier wird zu höchsten Preisen verkauft. Die, die nicht von Gästen leben, leben von denen, die von Gästen leben. Wiewohl beinahe täglich in Erwägung gezo-
gen, ist ein Leben ohne Gäste auf der Insel schlechterdings unmöglich. Eine nahezu ständig spürbare Anspannung, zusammengefasst in einem einzigen Satz: Im Winter ist mir die Insel am liebsten. In den Monaten Januar bis März muss der Fährbetrieb eingestellt werden. Die Insel ist vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Insulaner bleiben im Winter unter sich. Eine Musik wird eingespielt – ERZÄHLERIN An Stellen ohne direkten Anschluss wird eine Musik eingespielt, Grüße aus der Regie. ZENSOR Die Kommission stellt in ihrer Stellungnahme über den Sachverhalt des Einspielens von Musik an Stellen ohne direkten Anschluss fest, dass die Maßnahme eine beruhigende Wirkung nach sich zieht. EH.6 Fähranleger – BAADER Nach dem Untergang der Estonia ist der Fährbetrieb zwischen dem Baltikum und Finnland nur noch eingeschränkt möglich. ERZÄHLERIN Baader schreibt auf Hiddensee ein Heft nach dem anderen voll. KRITIKER Die Jahre auf der Insel zählten zu einer produktiven Pfase im Leben des Baader. Sicher schrieb Baader an einem Roman über die Insel, das Leben der Menschen dort. ERZÄHLERIN Nach dem Frühstück geht Baader entweder zurück in die Koje oder wie alle anderen an den Strand. (Baader geht zum Strand –) Baaders Weg führt ihn an Diesteln vorbei zu Steinen. BAADER Weil es dort so grauenhaft hässlich ist und karg – ERZÄHLERIN – bleibt Baader ganz mit sich alleine. (Baader liegt am Strand und trinkt Bier –) Hier liegt Baader nun, denkt an Schweinereien und trinkt Bier. BAADER Bier ist das einzige – ERZÄHLERIN – was Baader beim Inselkaufmann kauft. Alles andere bringt Baader aus Boshaftigkeit mit auf die Insel. Baader schaut in vom Alkohol zerstörte Gesichter. BAADER Trübe Augen, rote Nasen. ERZÄHLERIN Gleich stellt er sich an das Stehpult des Dichters Hauptmann, schreibt dem Doktor Göbbels einen langen Brief. BAADER Noch vor zwei – ERZÄHLERIN – geht Baader in das Kafe im Knödeldorf Grieben. Der Bulgare kennt Baader noch aus dem letzten Jahr.
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BULGARE Ich kenne Sie doch aus dem letzten Jahr. ERZÄHLERIN Der Bulgare bekommt sein Trinkgeld bei der ersten Bestellung vorab. Zum Verdruss der anderen Gäste wird Baader an Ort und Stelle von hinten bedient. BAADER Schlag zwei – ERZÄHLERIN – kommt Eis und Rum und Kola. BAADER Endlich kann es losgehen. Ein weiteres Mal Die Weber geschrieben. Zeitgenössische Literatur. Kritisch. EH.7
Deutsch-Koloniale Atmosphäre der Jahrhundertwende. Pompöse Musik – BAADER Ein Seezigeunerdorf in den Molukken. Hier hat Zeit seine Bedeutung als messbare Einheit endgültig eingebüßt. KRITIKER Baader nimmt Menschen auf literarische Weise wahr. BAADER Für mich sind Menschen Figuren. KRITIKER Feist ist eine literarische Figur. FEIST Wir führen hier modellhafte Versuche am Objekt durch. KRITIKER Das Wissen der Figuren begreift Baader als eine Darstellung von Wissen. BAADER Die Freude ist eine gespielte Freude. Was als Erregung erscheint, ist die Darstellung einer Vorstellung von Erregung. Zur besseren Sichtbarkeit habe ich Vereinfachungen vorgenommen. Ich habe wichtige Fakten für Sie weggelassen. FEIST Durch das Brennglas schauen bedeutet, die Ränder aus dem Blick zu verlieren.
EH.8
Zweites Heft (ZH)
Kleiner Yachthafen, Seeschwalben schaukeln auf einer Überlandleitung – ERZÄHLERIN Nachmittags ist Baader müde. BAADER Seeschwalben schaukeln auf der Überlandleitung nach Kloster. ERZÄHLERIN Baader bevorzugt den schmalen Liegeplatz zwischen den Fischerbooten. Keine Nachbarn stören Baaders Arbeit am nächsten Manifest. Gegenüber liegt ein Kahn, auf dem Feist Fisch verkauft und Bier. BAADER Der Kahn sieht aus, als sei beim Pissen alles danebengegangen. ERZÄHLERIN Baader fällt sofort in einen tiefen Schlaf. BAADER Sex wird immer ein Problem bleiben. Vor allem dann, wenn er nicht stattfindet. ERZÄHLERIN Er ist an Bord der Estonia. BAADER Zumindest muss ich das Boot mit niemandem teilen. ERZÄHLERIN Ohne Hast kann in einen Eimer geschissen werden. BAADER Fragt sich nur, wohin jetzt mit der Scheiße. ERZÄHLERIN Die Nachbarn sitzen zum Abendessen im Steuerhaus ihres Wohnwagens. Fernseher läuft nebenbei. ALTE Massenhaft Perser auf Europaletten im Mittelmeer. BAADER Die Alte schon ganz aufgeregt. ALTE Kommen die jetzt alle zu uns in den Jachthafen oder was?
ZH.1
Boris Nikitin (CH)
being here, doing this! Kuratiert von Jizawi, Versuch über das Sterben Seck, Keshava, Dean & Legion Seven (CH)
Cynthia Edul (AR) The land was beginning to burn
Planetarium Dorine Mokha & Kuratiert von Elia Rediger (CD/CH) Kadiatou Diallo (CH/ZA) Herkules von Lubumbashi
Luanda Casella (BR/BE) Short of Lying
Permiere:
Marie-Caroline Hominal, Ogutu Muraya (KE/NL) Nelisiwe Xaba (CH/FR/ZA) On Thin Ice Hominal/Xaba
Konzert:
Rasha Nahas (PS)
In einem ICE – ERZÄHLERIN Zweites Heft. BAADER Die Inszenierung der Bahn als Profitkonzern beginnt unter der Intendanz Feistor. ERZÄHLERIN Baader stellt fest – BAADER Die derzeitige Ausgestaltung der Bahn als gewinnoptimierte Gelddruckmaschine widerspricht dem Naturell der Bahn. Ursprünglicher Zweck der Bahn war es, Personen und Güter von einem Ort zu einem anderen Ort zu bringen. Einen Raum zu überwinden ist Zweck der Bahn. Andererseits kann die Bahn heute nichts anderes sein als das was sie ist. Die Bahn von einer Aktiengesellschaft in eine Gesellschaft der Reisenden umzugestalten, ist in keiner Weise mit dem System vereinbar, in dem sich die Bahn mit ihren Reisenden bewegt. Zielvorgabe des Systems ist nicht das Erreichen von Reisekomfort, sondern das Erzielen eines möglichst hohen Profits. Direkte Nutznießer des Sublimationsprozesses von einer Staatsbehörde zu einem Staatskonzern sind nicht die Eisenbahner selbst und schon gar nicht die Fahrgäste und Kunden. ERZÄHLERIN Feistor wird Chef der Deutschen Bahn. Unter ihm wird innerhalb des Hauses eine Berufsgruppe installiert, die bisher zu keiner Zeit zum Betrieb einer Bahn benötigt wurde – BAADER Mit Feistor kommen die Manager.
telling stories 11.9.– 21.9.
Kaserne
Applaudierendes Publikum – ERZÄHLERIN Im Wirbel der Berufung ist der Titel eines Theaterstückes, das am Theater Putbus in Putbus auf Rügen gespielt wird. FEISTOR Unser Publikum nimmt die Inszenierung mit Begeisterung an. ERZÄHLERIN Faltblätter mit weiteren Informa tionen können an der Abendkasse erworben werden. BESUCHER 1 Das Papier ist sein Papier nicht wert. BESUCHERIN 1 Ein Scheiß ist ein Scheiß. BESUCHER 1 Papier ist Papier nicht wert. BESUCHERIN 1 Scheiß ist Scheiß. ERZÄHLERIN Feist bildet während des Studiums eine Laienschauspielgruppe. Die Kommission stellt Folgendes dazu fest: ZENSOR Die Arbeit der Gruppe wurde durch die Handschrift des Feist maßgeblich geprägt. ERZÄHLERIN Feist ist Feistor als unauffälliger und ruhiger Kollege in Erinnerung geblieben. FEISTOR Feist tritt bei uns nie in Erscheinung. Er erscheint uns unauffällig und ruhig. Weder ist Feist in einer auffälligen Weise fleißig, noch ist er geschickt im Umgang mit den Maschinen. ERZÄHLERIN Mehrfach wird der Verdacht geäußert, dass Feist mit dem Ministerium für Staats sicherheit zusammenarbeitet. Alle erschrecken zutiefst – KRITIKER Es handelt sich bei der der Handlung entsprechenden Überraschung um eine gespielte Überraschung. Danke, Regie! FEISTOR Dass Feist ein Spitzel ist, ist allen klar. Schauen Sie doch selbst. Feist arbeitet nicht, sitzt den ganzen Tag herum. Warum wird Feist für sein tagelanges Herumsitzen nicht vom Vorarbeiter angezählt? Warum erhält Feist für nicht geleistete Arbeit ein Arbeitsentgelt? Warum erhält Feist für nicht geleistete Arbeit freundliche Beurteilungen, während andere wie Affen in Käfigen gehalten werden?
ERZÄHLERIN In Halle an der Saale entwickelt Feist eine Schlafperformance. ZENSOR Die Kommission hat bislang nichts Vergleichbares sehen können. FEISTOR Mit seinem Nichtstun lässt Feist offene Türen offenstehen. FEIST Ein charakteristisches Buch unserer Zeit ist Oblomow von Iwan Gontscharow. Ich lese dieses Buch durch einfaches Anschauen. Auch ist es möglich, dieses Buch einfach in einer Hand zu halten. Die Geschichte ist schnell erzählt. Nur habe ich es nicht so mit der Eile. Ich bin glücklich mit mir selbst. Mir reicht, was ich habe. Sich in sich selbst zu verpissen, ist nichts anderes als ein revolutionärer Ansatz. Wenn scheinbar alle etwas haben, man selber nichts hat, ist das eine Leistung, die sich natürlich wunderbar verkaufen lässt. Feistor plant von dem Verkauf von Nichts den Erwerb der gesamten Insel Hiddensee. Ein entsprechendes Konzept soll noch heute zum Nachtbriefkasten verbracht werden.
www.kaserne-basel.ch
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THILO REFFERT
NINA UND PAUL Badisches Staatstheater Karlsruhe Premiere: 18.9.2019
MERLIN VERLAG
21397 Gifkendorf 38 Tel. 04137 - 810529 info@merlin-verlag.de www.merlin-verlag.de
ZH.2 Eine Baustelle an einer Straße – ERZÄHLERIN Auf dem Weg zur Universität sieht Feist die Bauarbeiter mit ihren Arbeiterhänden Steine tragen. FEIST Diese Männer sehen aus wie Fragezeichen. ERZÄHLERIN Die Frage, die sich Feist stellt, hat Feist gleich wieder vergessen. FEIST Sich nicht unnötig belasten, das ist die Übung des Tages. Ein Betriebseisenbahner hat ein Interesse an geregelten Abläufen. Er möchte Situationen der Belastung vermeiden, um selber keiner Belastung ausgesetzt zu werden. ERZÄHLERIN Feistor hingegen möchte immer mehr wollen. Er ist auf Gier trainiert. Er bekommt den Hals nicht voll genug. Er möchte immer etwas optimieren. Für Feistor ist Feist die optimale Besetzung. FEISTOR Sieht man gleich, dass Feist kein Schlosser werden kann. Sieht man gleich, dass Feist sein Studium nicht beenden wird. FEIST Ich wollte ja nicht, dass sich etwas ändert. Was hätte ich davon. Viel lieber, als mich auf Unbekanntes einzulassen, gehe ich durch diese Straße, die mir immer schon vertraut ist. FEISTOR Ein sehr ruhiger Kollege. Freundlich. Ein freundliches Gesicht. FEIST Heute bin ich eine Schildkröte, die gerade eingeschlafen ist. Mir wäre es lieber, Sie ziehen Ihre eigenen Schlüsse. Meine Kraft ist endlich. Da kann ich unmöglich für Sie mitdenken. Schauen Sie! Was nützt es mir, mich auf der Stelle für etwas aufzubrauchen, wo ich Kraft an anderer Stelle gebrauchen kann.
ERZÄHLERIN Ein vorangestelltes Zu bedeutet selten Gutes. FEISTOR Feist ist zu faul für die Revolte. FEIST Revolte ist Arbeit. FEISTOR Arbeit ist etwas, was Feist nicht gut bekommt. FEIST Ich habe meine Wohnung nach dem Vorbild Oblomows eingerichtet. Das bedeutet, dass ich die Schränke von ihren Türen befreit habe. Seitdem spare ich unwahrscheinlich viel Zeit. Ein Betriebsfest – ERZÄHLERIN Auf allen Festen ist Feist der Dicke, der in der Ecke sitzt und grinst. GAST 1 Was machst du da? FEIST Nichts. GAST 1 Du schaust nach jungen Frauen. FEIST Vielleicht. GAST 2 Lass die Frau los. GAST 1 Schaut! Feiste hält Frauen fest im Griff. GAST 3 Schaut! Feiste drückt den Mädchen seinen Mund auf den Mund. ERZÄHLERIN Feistor und Feist rücken auf in die Welt der Freigetränke und Kunstledersitze. FEIST Kommt alle her zu mir! Wir spielen heute Die Weber. Ich bin der Regisseur. Außerdem spiele ich selber mit. In meinem Spiel bin ich der einzige Spieler. Ich bin Die Weber. FEISTOR Das mit dem Spiel ist doch nicht deine Idee! FEIST Warum nicht? FEISTOR Weil du stumpf bist und faul! FEIST Ich denke nach. Wieso muss ich mich zum Denken bewegen? FEISTOR Das Denken an sich ist eine Frage der Bewegung! FEIST Müßiggang ist Nährboden einer jeden Kunst. FEISTOR Bewegung ist vorhanden wie das Leben selbst. ZH.3 Ein Dampfzug setzt sich in Bewegung – BAADER Zum Ende der zwanziger Jahre vervielfältigen sich die Kosten für den Betrieb der Ersten Wagenklasse. Feistor beschließt als erstes die Dritte Wagenklasse abzuschaffen, in der bis dahin Reisende zum Selbstkostenpreis befördert wurden. Die Preise in der Zweiten Wagenklasse werden in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren erhöht. Als sich zeigt, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen, unternimmt Feistor erste Versuche zur Erhöhung der Beförderungskapazitäten. Von den Maßnahmen betroffen ist zunächst ausschließlich
die Zweite Wagenklasse. Als erstes optimiert Feistor dort die Nutzung des Raumes. Feistor findet heraus, dass in einem Großraumwagen viel mehr Reisende transportiert werden können als in einem Reisezugwagen, der in Abteile aufgeteilt ist. Zwar ist diese Erkenntnis nicht ganz so neu, wie Feistor es gerne hätte – FEISTOR Allerdings geht es mir auch nicht darum, ob eine Erkenntnis neu ist oder nicht neu, sondern darum, ob sie dem Markt in meinem Namen zur Verfügung gestellt werden kann. ERZÄHLERIN Feistor erkennt, dass der bis dahin nicht für möglich gehaltene Stehendtransport neue Möglichkeiten eröffnet. BAADER Die nunmehr als Sonderwagen bezeichneten Einheiten verfügen weder über aufwendig zu beschaffende Fenster, noch über die bis dahin übliche Dampfheizung. Als Abort steht den Reisenden ein Eimer zur Verfügung. Ein gastronomisches Angebot ist genauso wenig vorgesehen wie die Betreuung der Reisenden durch eine Reiseleitung. ZH.4 Interview im Burgtheater – FEIST Oblomow, das ist klar. Spricht der Frank Castorf die ganze Zeit drüber. Könne man eine ganze Menge von lernen. Praktisches Wissen, das auf der Stelle angewendet werden kann. Revolte durch Unterlassung. JOURNALISTIN Doktor Feist, Sie nennen sich jetzt also Künstler? FEIST Nein. JOURNALISTIN Dann sind Sie also kein Künstler. FEIST Nein. JOURNALISTIN Nur dass wir Sie richtig verstanden haben. Sie bezeichnen sich also doch als Künstler? FEIST Nein, das tue ich nicht. JOURNALISTIN Aber was tun Sie dann? FEIST Nichts. JOURNALISTIN Sie sprachen von der Gammelei als Grundlage für Ihr Geschäft. FEIST Das ist richtig. JOURNALISTIN Was genau wollen Sie uns damit sagen? FEIST Das weiß ich noch nicht so genau. JOURNALISTIN Dann möchte ich Sie einmal anders fragen. FEIST Warum auch nicht. JOURNALISTIN Was machen Sie dort mit Ihrer Hand? FEIST Ich möchte Sie auch etwas fragen.
OLIVIA HYUNSIN KIM/ SIMONE DEDE AYIVI UND KOMPLIZ*INNEN DDANDDARAKIM
SAY MY NAME, SAY MY NAME
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JOURNALISTIN Wir hatten vereinbart, dass wir die Fragen stellen, Sie die Fragen beantworten. FEIST Also fragen Sie mich jetzt. JOURNALISTIN Jetzt muss ich Sie etwas fragen. „Jede Form von Dialog ist zu vermeiden. Kein Gespräch entstehen lassen. Keine Reibefläche bieten. Selber niemals reiben.“ Ist das richtig so. FEIST Ja. JOURNALISTIN Das trifft also zu. FEIST Nein. JOURNALISTIN Also Nein. FEIST Ja. JOURNALISTIN Also Ja. FEIST Nein. JOURNALISTIN Das verstehe ich nicht. FEIST Genau. Einfach mal draufloslabern. Wird sich ja vielleicht im Laufe des Laberns ein Thema rauskristallisieren. JOURNALISTIN Ich verstehe nicht genau, was Sie sagen. Verstehen Sie. Sie sind für mich unverständlich. Mir kommt es so vor, als würden Sie ein Lied singen. Ist mir alles ein großes Rätsel, was Sie mir hier erklären. Vielleicht fangen wir einfach nochmal an. FEIST Um das System der Produktion zu unterlaufen, muss die Kunst selbst etwas anderes sein als ein Produkt. Was wir hier benötigen, ist ein imaginärer Gegenstand, der auf keinen Fall verkauft werden darf. Ein Traum vielleicht, eine Idee oder ein Wahnsinn. JOURNALISTIN Sie haben also bereits während Ihrer Zeit an der Universität den Grundstein für Ihr Theater der leeren Reihen gelegt. FEIST Wir hatten uns aus Gründen der Ökonomie für Die Weber entschieden. Einige von uns müssen Die Weber ohnehin im Seminar besprechen. Außerdem sind uns Die Weber bereits aus dem Abitur bekannt. Wir kennen uns in den Webern aus wie in unseren eigenen Hosen. JOURNALISTIN Damit wir uns richtig verstehen. FEIST Ich möchte mich nicht falsch verstehen lassen. JOURNALISTIN Sie sollten sich nicht falsch verstehen lassen. Sich endlich mal richtig verständigen, darum soll es heute gehen. FEIST Ich gehe jetzt mal los. Einkaufen. ZH.5 Der fahrende Dampfzug – BAADER Zwei Entwicklungen können in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts im Betrieb des Personentransportes bei der Bahn beobachtet werden. Erstens. Ein vom Goldadel
SPIELZEITERÖFFNUNG 2019 / 2020:
übernommenes Anspruchsdenken führt dazu, dass ein Teil der Züge einem Teil der Reisenden zur alleinigen Nutzung zur Verfügung gestellt wird. Komfortbereiche entstehen in Wagen und Bahnhöfen, um Angehörigen einer Minderheit durch Handreichungen und Plüsch das Gefühl vermitteln zu können, ihr Leben sei besser als das Leben der Anderen. REISENDE 1 Trommeln und Trompeten. REISENDE 2 In großer Fröhlichkeit zerworfene Kristallgläser. REISENDE 3 Eine immer aufwendigere Küche. REISENDE 4 Der Wunsch, auf Reisen ein Brausebad zu nehmen. BAADER Der höheren Eintrittspreise zum Trotz trägt die Erste Klasse sich zu keiner Zeit selbst. Immer ist die Erste Klasse die von allen anderen Klassen getragene Klasse. Um als Reisender anderen Reisenden der Ersten Klasse einen besonderen Grad an Erstklassigkeit nachweisen zu können, kann es bald nicht mehr genügen, lediglich zahlendes Mitglied dieser Klasse zu sein. Ausreichend Gold ist vorhanden, aber auch viel Angst das viele Gold zu verlieren. In Zeiten der Angst darf die Anschaffung eines Salonwagens durchaus als eine strukturbildende Maßnahme verstanden werden. Anders als eine Fahrkarte in der Ersten Wagenklasse, kann ein Salonwagen nicht auf direkte Weise durch die Zweite und Dritte Wagenklasse subventioniert werden. Wer sich einen Salonwagen zulegen möchte, muss die Kosten dafür zunächst aus eigener Tasche verauslagen. Einen eigenen Salonwagen zu besitzen erfordert Stärke. Erst nach und nach können die Aufwendungen für Kauf und Betrieb über Kapitalerträge ausgeglichen werden. Außerordentlich hilfreich ist die Möglichkeit einer vollständigen Anerkennung der besonderen Belastung durch den Fiskus. ZH.6 Interview im Büro des Burgtheaterintendanten – JOURNALISTIN Die Kommission kommt nach Sichtung der Aktenlage zu der Erkenntnis, dass Feist bislang weder als Regisseur noch als Schauspieler ein besonderes Talent nachgewiesen hat. FEISTOR Das besondere Talent der Feiste ist ein filosofisches Element, welches sich in einer Tasse Kafe befindet. JOURNALISTIN Wenn ich Sie also richtig verstehe, dann sagen Sie, dass Feist ihr Haus mit Vorsatz leert. Ist das zutreffend? FEISTOR Von mir aus gerne. JOURNALISTIN Das unterscheidet Feist von Leuten wie Castorf?
#1000TATEN ZUR ERINNERUNGSKULTUR
FEISTOR Castorf hat sich an der Kunsthochschule auf die optimale Produktion vorbereiten können. Erfolg als Produzent eines imaginären Produktes lautet das Ziel bei Castorf. Oblomow hingegen möchte Zeitmillionär werden. Ein Betthänger aus Leidenschaft für nichts. ZH.7 BAADER Die nun zwar nicht mehr genutzten aber immer noch vorhandenen Dritte-Klasse- Wagen erhalten einen neuen Anstrich. Sie werden als Zweite-Klasse-Wagen kostümiert. Für Fahrgäste der Zweiten Wagenklasse bedeutet das, dass sie ab sofort für den Preis einer Karte für die Zweite Klasse drittklassig reisen können. Statt der gewohnten Sechserabteile gibt es nun Abteile mit acht Sitz plätzen. Polsterung aus Holz. Eine Gasfunzel pro Abteil. Aborte in jedem zweiten Wagen. ZH.8 Fernsehnachrichten – ZENSOR Obwohl die Kommission durchaus nicht von der Unschuld des Feistor überzeugt ist, ist der Feiste dennoch freizusprechen. NACHRICHTEN Heute wurde Feistor also vom Vorwurf der Untreue freigesprochen. Die Prüfung der Kommission entlastet Feistor vollumfänglich. Zensor schaltet den Fernseher aus – ZENSOR Was hätten wir als Richter tun sollen. Hätten wir Feistor schuldig gesprochen, hätte Feistor den gesamten Betrieb auf nicht absehbare Zeit lahmgelegt. Was hätten wir tun sollen. Hätten wir Feistor für seinen Klau verurteilt, hätte er nahezu den gesamten deutschsprachigen Theaterbetrieb mit in den Abgrund gerissen. Kein einziger der Großkünstler hatte auch nur einen Schilling Steuern gezahlt. Das Burgtheater als Selbstbedienungsladen, nur dass es diesmal öffentlich geworden ist. FEISTOR Mich trifft keine Schuld. ZENSOR Gezahlt wurde derweil aus der Schreibtischlade. Die kaufmännische Geschäftsführerin gilt unter den Mitgliedern des Ensembles als besonders beliebt. Sie wird als Mutter des Burgtheaters bezeichnet. FEISTOR Ich hatte in den ersten Jahren kein eigenes Konto. Erst nach den ersten Jahren hatte ich mir ein eigenes Konto einrichten lassen. ZENSOR Die Ermittlungen hatten ergeben, dass die Mitarbeiter des Hauses ohne eine einzige Ausnahme bar bezahlt wurden. FEISTOR Selbstverständlich hatte ich mir die Barauszahlungen quittieren lassen.
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ZENSOR Sämtliche Quittungen wurden aber, sagt Feistor, von den gewaltigen Kapitalströmen in den Nordatlantik gerissen. FEISTOR Wenn Sie hier mal unter diese Besetzungskautsch schauen wollen. ZENSOR Feistor wurde nur durch eine Verkettung von Zufällen Geschäftsführer des Burgtheaters. FEISTOR Nie habe ich eine Universität von innen gesehen. ZENSOR Die für die Ausübung der Geschäftsführung notwendigen Handgriffe hatte sich Feistor im Selbststudium angeeignet. Flughafen, dann in einem Flugzeug – FEISTOR Meine Assistentin flog jeden Tag von Wien nach Tegel. In Tegel wartete auch schon meine Frau. Nachdem die Feiste den Umschlag entgegengenommen hatte, ging es mit der gleichen Maschine zurück. Die Kabinencrew kannte das Spielchen schon. KAPITÄN Schon wieder eine Assistentin – ERZÄHLERIN – sagte der Kapitän zu seinen Matrosen. KAPITÄN Unmengen Gold an Bord. ASSISTENTIN Glas Weißwein hätte ich gerne. FLUGBEGLEITER Sehr wohl. Das macht dann zwölf Euro. ZH.9 Wieder der Dampfzug – BAADER Nach und nach werden Abteilwagen in Besserungswerken umgebaut. In Großraumabteilen können mehr Reisende transportiert werden. Dem einzelnen Reisenden muss klar werden, dass er nie gerne allein gereist ist, dass gerade in der Geselligkeit mit anderen Reisenden viel Glück zu finden ist. Die bisher für jedes Abteil üblichen Außentüren werden durch Türen an den Wagen enden ersetzt. Die Sitze werden in Reihen angeordnet, in der Mitte ein Gang. Gepäck wird weiter im Gepäckwagen transportiert. Der Speisewagen dient als natürliche Grenze zwischen der Ersten und der Zweiten Wagenklasse. ZH.10 Versammlung unter Frau Hauptmann – FRAU HAUPTMANN Ich fühle mich als Frau oft unverstanden. Oft habe ich das Gefühl, mein Mann hört mir gar nicht zu. Erwarte ich eine Antwort von meinem Mann, antwortet mein Mann etwas vollkommen anderes. Oft ist es auch so, dass mein Mann glaubt, einen meiner Sätze für mich zu Ende sprechen zu können. Was dabei heraus-
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kommt ist jedes Mal vollkommen sinnentstellt, dass ich vor Wut auf der Stelle losschreien möchte. Und das mache ich jetzt auch. Ist doch wohl nicht zu fassen. Findet man keine Worte für. Kann ja wohl nicht wahr sein. FEISTOR Ihr Mann ist also tot. FRAU HAUPTMANN Es ist so schrecklich. Was soll ich jetzt nur machen. FEISTOR Die Werkstatt kann Ihnen die Winterreifen aufziehen. Rufen Sie nur rechtzeitig an. FRAU HAUPTMANN Meine Herren. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Sie müssen verrückt geworden sein. Jetzt frage ich Sie. Wozu haben wir uns einen Bahnanschluss legen lassen. Mit Lastwagen. Wie stellen Sie sich das vor? Haben Sie eine Vorstellung davon, was es bedeutet mit einem Lastwagen zu fahren? ERZÄHLERIN Ab der zweiten Hälfte der Dreißiger Jahre sieht sich Feistor neuen Herausforderungen ausgesetzt. Um einen angemessenen Abstand zur aufsteigenden Mittelschicht zu schaffen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als in Abstand zu investieren. FEISTOR Sie müssen verstehen, Salonwagenbauer gibt es über das ganze Reich verteilt. Sie bauen Nischenprodukte für einen überschaubaren Kundenkreis. Um als Salonwagenbauer am Markt bestehen zu können, muss das Produkt nicht nur seinem Zweck entsprechend nutzbar sein. Mehr als alles andere muss es repräsentativen Zwecken genügen. Blattgold, Glitzerstein aus Glas und Echtholzfurnier sind Ausdruck von Stärke und Gelassenheit. ERZÄHLERIN Auch wenn sie sich letzten Endes nicht dauerhaft am Markt durchsetzen konnten, gelten die Sonderwagen unter Feistor bis heute als großer Wurf. FRAU HAUPTMANN Solange Feistor im Vorstand saß, hatten wir nie Ärger mit der Bahn. Nie hatte es mehr gebraucht als einen einfachen Anruf. FEISTOR Sag du es ihr. PROFESSOR PORSCHE Nein, sag du es ihr. FEISTOR Sag du es ihr. PROFESSOR PORSCHE Nein, sag du es ihr. FEISTOR Du musst es ihr sagen. Rede du mit der gnädigen Frau. PROFESSOR PORSCHE Gnädige Frau! Sehr geehrte Frau Hauptmann. Verehrte Frau Hauptmann. Hoch verehrte. Verehrteste. Also echt mal jetzt! Wohin man schaut, schauen Sie doch mal selber. Das kann Ihnen doch unmöglich entgangen sein. Wohin man schaut, überall stehen die Menschen bis zum Hals in der Scheiße. Und Sie machen sich Sorgen wegen Ihres Salonwagens.
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FRAU HAUPTMANN Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. Das ist doch wohl nicht zu fassen. Kann ja wohl nicht wahr sein. PROFESSOR PORSCHE Verehrte Frau Hauptmann … FRAU HAUPTMANN Kommen Sie mir nicht mit „Verehrte Frau“! PROFESSOR PORSCHE Aber, verehrte Frau? FRAU HAUPTMANN Jetzt kommt er mir wieder mit Verehrte Frau. Da möchte ich laut schreien. Da möchte ich das erstbeste in die Hand nehmen, was ich zu packen bekomme. PROFESSOR PORSCHE Nur, dass Sie es wissen. Ich werde den Doktor Göbbels anrufen. Ich werde mich höchstpersönlich bei Göbbels über Sie beschweren. FRAU HAUPTMANN Sie sind null und nichtig. Sie existieren überhaupt nicht für mich. Sie wurden hier nie gesehen. So etwas nennt sich Offizier. Offizier für sanfte Geburt, oder was? Armee der Idioten. Deppenheer aus Blödmannshausen! Ich fordere Sie auf männlich zu sein. Seien Sie ganze Männer. Nehmen Sie sich ein Beispiel am Beispiel meines Mannes. PROFESSOR PORSCHE Am Beispiel Ihres Mannes? Der Dichter Gerhart Hauptmann liegt hier in einer Holzkiste. Versandbereit zur weiteren Verwendung! FRAU HAUPTMANN Auch aus einem toten Dichter wird sich noch etwas machen lassen. Wir werden sehen, für was Hauptmann noch gut sein kann. PROFESSOR PORSCHE Die Alte muss verrückt geworden sein. Irgendetwas in ihrem Kopf muss durcheinandergeraten sein. Du musst es ihr sagen. Kein Weg führt dran vorbei. Sag du es ihr. FEISTOR Wieso ich jetzt wieder. PROFESSOR PORSCHE Ich kann mit dieser Frau nicht reden. Diese Frau hat von Beginn an etwas gegen mich gehabt. Ich hatte noch gar nichts gesagt, da hatte mir die gnädige Frau das erste Mal den Mund verboten. FEISTOR Als ob es mir besser ergangen wäre. PROFESSOR PORSCHE Dich lässt sie reden. FEISTOR Ihre Geige hatte sie nach mir geworfen. ZH.11 Güterwagons rumpeln vorbei – BAADER Während im Bereich des Gütertransportes die intermodalen Transporte zunehmen, besonders die grenzüberschreitenden Transport leistungen steigen erheblich, steigt im Personenverkehr die Nachfrage nach kurzfristig verfüg baren Transportkapazitäten. Auf dem freien Markt
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sind kaum Reisezugwagen verfügbar. Um die außergewöhnlich starke Nachfrage nach Kapazitäten im Personentransport kurzfristig befriedigen zu können, sind unkonventionelle Lösungen gefragt. Durchaus technisch machbar erscheint die Umwidmung bisher anderweitig genutzter Wagengruppen. ZH.12 Im Salon der Hauptmanns – FRAU HAUPTMANN Ich hatte bei der Reichsbahndirektion in Breslau angerufen. Der Wagenmeister, der unseren Wagen all die Jahre zu unserer vollen Zufriedenheit betreut hatte, war nicht mehr zu erreichen. Ich erreiche einen mir unbekannten Beamten. Der Beamte versichert mir, dass rechtzeitig eine Lokomotive unter Dampf stehen wird. Auch die bestellten Güterwagen für die Bücher und das Mobiliar werden rechtzeitig da sein. DIENER 1 Was ist mit dem Alten. DIENER 2 Liegt seit Wochen in dieser Kiste. Saft läuft unten raus. DIENER 1 Muss das sein, dass der hier in der Sonne steht. Kann man die Kiste nicht mal in den Keller stellen. DIENER 2 Wie das hier riecht. Muss man erlebt haben. Muss man dabei gewesen sein. DIENER 1 Ist ja gar nicht abgeschlossen. DIENER 2 Schau mal, kann man einfach so aufmachen. DIENER 1 Sieht nicht so gut aus, was man da sieht. FEISTOR Warum haben Sie Ihren Mann nicht auf Eis gelegt, die Kiste mit dem Toten in den Keller gestellt. FRAU HAUPTMANN Den Weinkeller im laufenden Jahr auf den Stand des Vorjahres zu bringen, das ist gerade in der Zeit des Krieges eine gewaltige Herausforderung. Oft kommt es vor, dass mein Mann Gerhart mitten in der Nacht an meinem Bett steht. GERHART Meine Frau Margarete hat mich ablegen lassen. Schauen Sie selber. Hier bin ich nun verwahrt. FRAU HAUPTMANN Wie lange wir auf den Zug warten müssen. Wie gerne hatten die unbestech lichen Eisenbahner all die Jahre die Geschenke meines Mannes genommen. GERHART Meine Frau ist als Witwe von ausgezeichneter Qualität. Öffentlichkeitswirksames Leiden beherrscht sie grandios. Seitdem ich tot bin, liebt sie mich wie nie zuvor.
ZH.13 Weiter rumpeln Güterwagons vorbei – BAADER Das Transportgeschäft nimmt einen zyklischen Verlauf, wobei anzumerken ist, dass die vorgehaltenen Transportkapazitäten den nicht so guten Zeiten angepasst werden. Anfang der Vierziger Jahre ist der Markt für verfügbare Kapazitäten wie leergeputzt. Die ursprünglich als Übergangs lösung angedachte Nutzung von Güterwagen im Personenverkehr erweist sich als probates Mittel zur Behebung der Engpässe. ZH.14 In einem ratternden Zug – GERHART Sie hören mir jetzt mal zu. FEISTOR Ich habe da so ein Rauschen im Ohr. GERHART Was ist mit meiner Frau. FEISTOR Mit Ihrer Frau ist alles in bester Ordnung. Wir werden in wenigen Stunden in Berlin sein. GERHART Berlin kann ich mir gut vorstellen. FEISTOR Das Berlin Ihrer Vorstellung existiert nicht mehr. Was vom World Trade Center übrig ist, steht heute am Lehrter Bahnhof. Was die Bomben nicht vermocht haben, haben die Investoren geschafft. Wohin man auch schaut, immer ist es Hannover. Bei einem Empfang – ERZÄHLERIN Im Verlag Felix Bloch Erben ist eine Trauerfeier für den vollkommen zurecht verstorbenen Nobelpreisträger angesetzt. GERHART Das hatte mich immer angekotzt, immer mit Preisen vorgestellt zu werden und Stipendien, als hätte ich nie ein einziges Wort geschrieben. ERZÄHLERIN Frau Bloch ist bekannt für ihre hervorragenden Buletten. Ein netter Abend mit Schweinefleisch. Statt um Blumen wird um Geld gebeten. GERHART Wie viele Leute leben noch heute von meiner Kunst. FRAU BLOCH Gib mir Senf, du geiziges Arschloch. GERHART Wo sind diese Leute jetzt, wo ich von höheren Mächten gefesselt liege. FRAU BLOCH Meine sehr verehrten Damen und Herren. Sehr geehrte Damen und sehr geehrte Herren. Verehrte Damen und Herren. Liebe Freunde. Liebe Margarete. Liebe Kollegen. Liebe Mitarbeiter. Wir haben uns heute hier zusammengefunden, um an den großen Dichter Gerhart Hauptmann zu denken. Viele von euch. Besonders du, Margarete. Wir alle hier. In Stockholm sagte Gerhart einmal zu mir. GERHART Berlin, wie ich es mir vorgestellt hatte, ist heute nicht mehr vorstellbar. Da war ich nach
Jahren mal wieder in meine alte Kneipe gegangen. Man kann froh sein, dass es noch Kneipen gibt. Keinen sah ich, den ich kenne. Statt des Wirtes schenkt eine Studentin aus. Alles was sie macht, macht sie nebenbei. KRITIKER Sagt mir nichts. Was die hier sagen. Habe ich noch nie was von gehört. Höre ich jetzt zum ersten Mal. Was Sie hier sagen. Ist total neu für mich. Hatte ich nicht mit gerechnet. Gute Idee. Hervorragender Beitrag. Herausragender Vortrag. Sehr geehrte Damen und sehr geehrte Herren. Mit Bitte um Kenntnisnahme. Hier wird substantiiert vorgetragen. Viele neue Informationen in kurzer Zeit. Rasch aufeinander viele Impulse. Vollkommen neue Ansätze. ZH.15 Weiter rumpeln Güterwagons vorbei – BAADER Gerade noch bestehende Engpässe können vollständig abgebaut werden. Nach Dekaden technischer Entwicklungsarbeit wird die Bahn nunmehr zum ersten Mal im kulturellen Bereich optimiert. ERZÄHLERIN Baader sieht in dem Führen der Bücher und dem Schreiben einer Geschichte einen Sachzusammenhang. JOURNALISTIN Bitte Herr Baader, Sie haben das Wort. BAADER Ich sage nichts und habe nichts zu sagen.
Drittes Heft (DH) DH.1 In einem ICE – ERZÄHLERIN Drittes Heft. ZUGBEGLEITER (über den Zuglautsprecher) Sehr geehrte Reisende. Wir möchten Sie darüber informieren, dass die Reservierungsanzeigen in unserem Zug heute ohne Funktion sind. Wir möchten Sie bitten, reservierte Plätze an Platzkarteninhaber freizugeben. BAADER Ich bin doch nicht so blöde, ein Tagebuch zu schreiben. Statt ein Buch zu schreiben, schicke ich die Einnahmen/Ausgaben-Rechnung meines Steuerberaters an den Verlag. Zensor wird in Schankbelegen finden, wonach er sucht. ZUGBEGLEITER (über den Zuglautsprecher) Unser Zug hat derzeit eine Verspätung von einer Stunde und zwanzig Minuten. Sobald wir nähere Informationen haben, werden wir Sie über Ihre möglichen Anschlüsse informieren.
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BAADER Kaum ist der Zug angefahren. Kommt gleich einer angelaufen. REISENDER Alles aufregend hier. Übrigens gehört der Platz mir. Mal schnell aufstehen bitte. Schon richtig gehört. Jetzt aber! BAADER Das ist natürlich falsch. Dieser Platz kann unmöglich ihnen gehören. Wem gehört die Bahn, das ist die Frage, die man sich stellen muss. REISENDER Die Bahn gehört dem Staat. BAADER Das wiederum wirft die Frage auf, wem gehört der Staat? REISENDER Ganz auszuschließen ist es nicht, dass letzten Endes auch Ihnen als Bürger eines Staates ein gewisser Teil der dem Staat gehörenden Bahn gehört. ERZÄHLERIN Wem die Bahn gehört, ist eine Frage, die auf der Fahrt von Berlin nach Hamburg nicht vollständig geklärt werden kann. BAADER Vater, Mutter, Kind, Stopp. DH.2 Eine mechanische Schreibmaschine klappert – ZENSOR Der mit der Prüfung der Überprüfung beauftragte Prüfungsausschuss stellt fest. Erstens. Die durch das Burgtheater vorgelegten Zahlen besitzen den Charakter eines narrativen Elementes. Zweitens. Sie sind als Geschichte frei erfunden. Drittens. Die jährlich erfolgte Prüfung aller Bücher ist als performativer Akt zu verstehen. Versammlung der Deutschen Bahn – ERZÄHLERIN In seiner Antrittsrede als Generalintendant der Bahn kündigt Feistor tiefgreifende Veränderungen an. FEISTOR (große Rede) Ich will in meiner Intendanz eine ganz und gar neue Kultur innerhalb des Hauses etablieren. Ich will nicht mehr zeitgemäße Strukturen mit zeitgemäßen Strukturen überstreichen lassen. Der lahme Laden muss erheblich beschleunigt werden. Alle Inszenierungen müssen an Fahrt gewinnen. Überhaupt muss eine ganz und gar neue, vollkommen auf die Belange der Ökonomie ausgerichtete Sprache entwickelt werden. GERHART Ich möchte dazu etwas sagen. FEISTOR Gerhart Hauptmann möchte dazu etwas sagen. Bitte, Herr Hauptmann. GERHART In der Ostmark habe ich nie Steuern gezahlt. In Wien und Linz und anderswo war blau immer rot. Wieder im Büro des Burgtheaterintendanten – ZENSOR Der Burgtheaterskandal beinhaltet alle Elemente einer als zeitgenössisch zu bezeichnenden Inszenierung. Die Kritik kann weder eine klar nachvollziehbare Handlung der handelnden Figu-
ren nachvollziehen, noch in sich stimmige Figuren vorfinden. ERZÄHLERIN Für Feistor bleibt die Handlung ohne Folgen. ZENSOR Feistor ist vom Vorwurf der Inszenierung freigesprochen. BAADER Der Wert einer Inszenierung ist nicht am Ergebnis zu messen. FEISTOR Wie meinen Sie das, Herr Baader. BAADER Herr Doktor Feistor, die Errichtung des Goldturmes am Potsdamer Platz als Kampfansage an die Alteingesessenen. Die Bahn wird nicht mehr von Eisenbahnern geführt, weshalb die Führung der Bahn auch nicht mehr in Bahndirektionen sitzen muss. Die Kennziffern machen es möglich. FEISTOR Bevor Fragen kommen, privatisieren wir die Bahn. ERZÄHLERIN Feistor macht eine Flasche auf. Vor allem Feistor selbst hat nur Vorteile durch eine Umwandlung der Bahn in einen Konzern. BAADER Auch wenn er oft nicht zur Gänze verstanden wird und oft zur Gänze unverstanden bleibt, wird der von Feistor inszenierte Ansatz aus Stahl und Glas und exzellenten Referenzen unter den zum Zuschauen bestellten Eisenbahnern oftmals als originell verstanden. Wieder im ICE – FEISTOR Lässt man die Fußstützen an den Sitzen entfernen, wird das Tortenstück, das einem die Kellnerin bringt, gleich wieder ein Stück größer und eine Kirsche ist auch noch oben drauf. BAADER Die Bahn wird jetzt nicht mehr durch einen Blick aus dem Fenster geführt. Statt mit dem Bereisungswagen die Strecken zu bereisen, schaut Feiste nunmehr auf seine Monitore. FEISTOR Die an allen Sitzen eingesparten Fußstützen ermöglichen die Installation einer weiteren Sitzreihe. Dieses Prinzip bezeichne ich als basissolidarisch. BAADER Feistor kann jedes Unternehmen führen, ganz gleich, ob es Personen transportiert oder Schweine zu Wurst verarbeitet. Ein Blick in die Bücher genügt, schon kommt der Kellner mit dem Weißwein. Potsdamer Platz – ERZÄHLERIN Weil er es nicht glauben kann, fährt Baader ein zweites Mal zum Potsdamer Platz. Auch bei seinem zweiten Besuch im Glasturm trifft Baader keinen einzigen Eisenbahner an. Mal abgesehen von den beiden Leuten der Bahnsicherheit, die vor dem Turm stehen und rauchen. BAADER Der aus Stahl und Glas erbaute Turm am Potsdamer Platz lässt den Betrachter glauben, er könne durch das Gebäude hindurchschauen.
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Tatsächlich sieht der Betrachter nichts anderes als sich selbst. Ein uralter Trick. Feistor hält seinem Publikum einen Spiegel vor. Mit Feiste reden bedeutet mit sich selbst reden. ZENSOR Die Kommission stellt dazu Folgendes fest. Die Nationalsozialisten können zu den Vorhaben ihrer Intendanz eine ordnungsgemäße Buchführung nachweisen. Ihr Handeln ist für kommende Generationen nachvollziehbar. Man kann demnach davon ausgehen, dass die Nationalsozialisten an eine Zukunft glauben. Diesen Glauben haben die Beteiligten des Burgtheaterskandals vollständig verloren. Feistor lebt ausschließlich für den heutigen Tag. Eine Zukunft ist für ihn nicht mehr erkennbar oder erkennbar irrelevant geworden, dass sie beim Handeln der Feiste keine Rolle mehr spielt. DH.3 Pause bei der Vorstandsitzung des Volkswagenkonzerns – ERZÄHLERIN Feistor hat sich entschieden, Hauptmanns Brief an Göbbels als abendfüllendes Stück beim Ostmarktreffen am Burgtheater zu zeigen. Der Volkswagenkonzern tritt als Partner der Veranstaltung in Erscheinung. FEISTOR (liest) Lieber Joseph, Du bist ein ganz herrlicher Mann … GERHART (schreibt) Lieber Joseph, Du bist ein ganz herrlicher Mann. Wie sehr habe ich unsere Gespräche bei den Tellkamptagen am National theater Weimar genießen können. Das von Dir empfohlene Hotel Elefant ist in der Tat ein ganz hervorragendes Haus. Abends trafen wir noch den Udo Lindenberg an der Bar. Es grüßt Dich herzlich, Dein Gerhart BAADER Aktionärsversammlung auf Schloss Elminger, Würstchen mit Kartoffelsalat. Die als Mitbewerber kostümierte Staatsbehörde zahlt ihren Leistungsträgern ab sofort Erfolgsprämien. VW-VORSTAND Der Vorstand sieht Gemeinsamkeiten zwischen der Inszenierung eines Stückes von Gerhart Hauptmann und der Vorstellung des neuen Volkswagens. BAADER Angela Merkel möchte die Autoindustrie nicht durch politische Maßnahmen schwächen. MERKEL Wir werden das inzwischen vorliegende Gutachten der Auswahlkommission dem Gutachterausschuss zur Prüfung vorlegen. Nun kommt es darauf an, dass die Automobilkonzerne wieder ihrer Arbeit nachgehen können. VW-VORSTAND Der Volkswagenkonzern konnte in diesem Jahr seine Umsätze nochmals erheblich steigern. Selbst die erheblichen Rückstellungen für
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mögliche Schadenersatzforderungen aus den USA konnten das Ergebnis nicht trüben. BAADER Mit der Intendanz des Burgtheaters wurde vereinbart, dass die Produkte des Volkswagenkonzerns als integrativer Teil der Inszenierungen dem interessierten Publikum auf angemessene Weise präsentiert werden. VW-VORSTAND Arbeit muss sich wieder lohnen. DH.4 Im Hintergrund läuft eine Theaterinszenierung – BAADER Das Burgtheater ist eine Produktionsstätte narrativer Elemente. Eine solche Produktionsstätte hatte dem Volkswagenkonzern lange im Markenportfolio gefehlt. Der Vorstand konnte sich daher recht schnell zu einer vollständigen Übernahme entschließen. ZENSOR Nach der Annahme der Post in der Postannahmestelle wird die Post in der Postprüfungsstelle des zuständigen Postprüfungsamtes einer ersten Überprüfung unterzogen. Nach erfolgter Postaufnahmeprüfung liegt das Gutachten nunmehr der Annahmekommission des Prüfungsausschusses zur Aufnahmeprüfung vor. Zur schnellen Klärung des Antrages hat der Leiter der Prüfungskommission beim Vorsitzenden des Prüfungsausschusses ein beschleunigtes Verfahren beantragt. Der Vorsitzende wird nach Prüfung des Antrages zeitnah eine Entscheidung treffen. Eine Einsicht über den Entschluss zum Antrag auf Entscheidung kann direkt bei der Zentralen Auskunft der Akteneinsichtsstelle des Prüfungsamtes beantragt werden. GERHART Ich habe die Leute genommen, wie sie tatsächlich sind. Ihre ungehemmte einfache Art einem gebildeten Publikum vorzustellen verspricht großes Vergnügen. Klingel – POSTBOTE (Gegensprechanlage) Post! Könnten Sie mich mal reinlassen. Danke! ZENSOR Nach eingehender Prüfung konnte ich feststellen, dass die auf der Insel Hiddensee angetroffene Inselbevölkerung zur Nutzung als Figurenmaterial für das Bühnenstück Im Wirbel der Berufung geeignet ist. ERZÄHLERIN Der Intendanz Feistor ist es gelungen, eine bisher nicht im Spiel vorhandene Gruppe an Spielern in das Spiel einzubinden. FEISTOR Ich kann mir sicher sein, dass kein einziger der Insulaner seinen Weg in das Theater finden wird. Das nächste Theater befindet sich auf der benachbarten Insel Rügen. Kein Insulaner fährt freiwillig auf eine andere Insel. Nur der Pfarrer hat sich zur feierlichen Uraufführung angekündigt.
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ERZÄHLERIN Noch bevor der Zuschauer es bemerkt, bemerkt Baader die frischen Gesichter im Ensemble. BAADER Hauptmann hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Namen der von ihm als Deppenfigur und Idiot dargestellten Inselbewohner zu verschleiern. GERHART Ich habe die Leute vom Augenblick an, da ich das liebliche Eiland betrete, auf eine tiefe Weise verachtet. So sehr ich mich auch mühe. Ich kann der Einfachheit der einfachen Menschen einfach nichts abgewinnen. Sollen diese Leute tagein tagaus ihre Felder bestellen und Fische fangen. Mein lieber Göbbels. Die Häuser solltest du sehen. Die Dächer mit Seetang gedeckt und Algen. Dass es im ganzen Ort nach Frau riecht. Statt deutschem Holz eine Pferdedecke als Eingangstür. Wiewohl verfügbar, wird auf Mobiliar verzichtet.
Viertes Heft (VH) VH.1 In einem ICE – ERZÄHLERIN Viertes Heft. REISENDE 1 Wo bleiben die Getränke. Wir hatten vor über einer Stunde bestellt. SERVICEKRAFT Haben Sie noch nichts bekommen. REISENDE 1 Nein. SERVICEKRAFT Haben Sie denn schon bestellt. REISENDER 1 Vor über einer Stunde hatten wir bestellt. SERVICEKRAFT Und da ist noch nichts gekommen bisher. REISENDE 1 Nein. Nichts gekommen bisher. SERVICEKRAFT Wann genau hatten Sie bestellt. REISENDER 1 Das wissen wir nicht genau. SERVICEKRAFT Also vor zehn Minuten. REISENDE 1 Über eine Stunde ist das jetzt schon her. SERVICEKRAFT Wenn Sie vielleicht mal in die Karte schauen wollen. REISENDER 1 Eine Stunde hier rumgesessen. Nix zu trinken. Nix zu fressen. Auch in der Bahn Komfort Longsch kein Service. Niemand da, der sich um das leibliche Wohl der Gäste kümmert. REISENDE 1 Vermutlich haben Sie nicht die geringste Idee, welche ungeheuren Härten mir und meinem Mann zugemutet wurden. Ich werde mich an höchster Stelle über die Bahn beschweren gehen. Sie können davon ausgehen, dass ich der Bahn einen Brief schreiben werde. BAADER Einerseits gehört mir die Bahn zu einem gewissen Teil. Zum Beispiel dieser Sitz.
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ndererseits müsste ich nochmal zahlen, um auf A einem eigenen Sitz sitzen zu dürfen. ERZÄHLERIN Dass Baader die Bahn nicht gehören kann und auch nicht zu Teilen gehört, ist ein unverrückbarer Fakt, den Baader sehr schnell begreifen muss. REISENDER Jetzt sorgen Sie mal für Bewegung. ERZÄHLERIN Doch Baader bleibt für den Reisenden fest. Reisender sagt, du musst. Baader sagt nichts. Der Reisende zeigt Baader seine Berechtigung. Baader schaut weg. BAADER Ich will keine Berechtigung sehen. Ich bin kein Schaffner, der Berechtigungen kontrolliert. Ich spiele die Figur eines Fahrgastes. Als Fahrgast bin ich stumm geworden. Die vielen Worte haben mich sprachlos gemacht. REISENDER Ich werde jetzt gleich den Schaffner holen. Ich hole jetzt den Schaffner. ERZÄHLERIN Baader sagt nichts. REISENDER Ich hole erst den Schaffner. Der Schaffner wird den Polizeistaat holen. ERZÄHLERIN Baader sagt nichts. REISENDER Sagen Sie was. ERZÄHLERIN Zwei Reihen weiter vorne sitzt der Fist. Fist ist sehr erregt. FIST Ich bin Filmschauspieler. ERZÄHLERIN Der Baader müsse weg, sagt er, das sei ganz klar. FIST Gerade als Filmschauspieler bin ich viel mit der Bahn unterwegs. ERZÄHLERIN Viel mit der Bahn unterwegs zu sein, sei für einen Filmschauspieler ein Zeichen großer Nachfrage. FIST Als Schauspieler bin ich sehr gefragt. Ein Filmschauspieler muss spielen. Da kann man
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nichts gegen sagen. Natürlich kann es vorkommen, dass ich im Zug erkannt werde. Das kommt durchaus vor, dass jemand ein Bild machen will. Oft werde ich auf meine Filme angesprochen. Damit muss man leben als Filmschauspieler. ERZÄHLERIN Aber Baader benehme sich unmöglich. Baader müsse weg und zwar sofort. ERZÄHLERIN Die Ansage der Fiste an den Baader bringt Fist von allen Seiten hervorragende Kritiken. KRITIKER Einmal mehr wird sichtbar, der Baader ist nicht bis zu Ende durchdacht. Fist hat in einer falschen Situation die richtigen Worte gefunden. Er habe besonderen Mut bewiesen und Wachsamkeit. ERZÄHLERIN Baader kontert, Fiste habe sich als Diener des Systems beliebig brauchbar gemacht. BAADER Sie wanzen sich bei ihrem Publikum an. Als drittklassiger Spieler fühlen Sie sich in der Zweiten Wagenklasse besonders wohl. Denn selbst wenn das Publikum es wünscht, so kann es in der Bahn doch nicht weg. Der Bahnreisende ist der Inszenierung als Zuschauer auf Verderb ausgeliefert! FIST Sie sind wohl hirnwütig geworden. Ein Idiot, ein Blödmann aus dem Bilderbuch der Idiotie, was jeder sofort sehen kann. ERZÄHLERIN Baader weigert sich weiter die Platzreservierung anzuerkennen. Baader ist auch nicht bereit, mit dem Schaffner ein Gespräch zum Sachverhalt zu führen. SCHAFFNER Es ist zur Bewertung der Faktenlage vollkommen unerheblich, ob die reservierten Plätze durch eine Reservierungsanzeige als reserviert angezeigt oder nicht angezeigt würden. Anzuerkennen ist, dass der Anspruchsteller über eine gültige Platzreservierung verfügt und demnach auch über den von Ihnen besetzten Platz verfügen kann. ERZÄHLERIN Baader begründet sein dem Augenschein nach wenig kooperatives Verhalten mit einem Rollenverständnis. BAADER Bei diesem Spiel spiele ich einen Fahrgast. Wie alle von mir gespielten Figuren, ist auch die Figur des Fahrgastes mit Gegensätzen ausgestattet. SCHAFFNER Ihre Anwesenheit wird von der schweigenden Menge als störend empfunden. Dass die Leute schweigen, ist mitnichten als ein stilles Einverständnis zu verstehen, was Sie sehr bald schon zu spüren bekommen werden. FIST Wir beanspruchen Ihren Platz. Sollten Sie ihren Platz nicht freiwillig räumen, werden wir Sie auf einen Platz verweisen, an den Sie hingehören. REISENDER Da werden früh am Morgen Last wagen mit laufendem Motor vor dem Haus warten. Da wird nicht viel Zeit sein, paar Sachen zusammenzupacken. Zähne brauchen Sie gar nicht erst putzen. Brauchen Sie bald sowieso nicht mehr. ERZÄHLERIN Die Polizei befindet sich in der Gewalt des Staates. Der Schaffner gebraucht die Polizei für die Durchsetzung der Interessen des Reisenden. FRAU HAUPTMANN Sie werden sehen, Herr Baader, es wird ganz und gar egal sein, ob Ihnen hier etwas gehört oder nicht gehört. Unter uns gesprochen, Sie sind nicht der Erste, der diese Erfahrung macht. VH.2 In einem ratternden Zug – ZUGBEGLEITER (über den Zuglautsprecher) Unser nächster Halt Lutherstadt Wittenberg. Ausstieg auf der linken Seite. BAADER Lutherstadt Wittenberg überwiegend bewölkt.
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KRITIKER Auf Wunsch der Witwe des Dichters Hauptmann wird als Todesursache Herzversagen im Totenschein vermerkt. Ebenfalls auf Wunsch der Witwe wurden große Teile der biografischen Schriften des Dichters Hauptmann einer Überarbeitung zugeführt. Dabei konnten vor allem die Lebensjahre Hauptmanns im heute polnischen Agnetendorf optimiert werden. Hauptmann ist wieder ein deutscher Dichter. Heute liegt der Fokus der Betrachtung vor allem auf den Jahren Hauptmanns auf Hiddensee. Nicht zuletzt die Umwandlung von Haus Plunder zum Hauptmannhaus hat dafür gesorgt, dass Hauptmann selbst zu einem Teil seines literarischen Nachlasses geworden ist. Auf dem Bahnhof – WARTENDE Wo bleibt der Sonderzug mit dem Leichnam Hauptmanns? SCHAFFNER Die Ankunft des Zuges mit dem toten Dichter Hauptmann verzögert sich auf unbestimmte Zeit. WARTENDE Jetzt möchte ich als Frau auch mal was dazu sagen. SCHAFFNER Bitte, Sie haben das Wort. WARTENDE Wir Frauen werden selten gehört, meistens gar nicht. Leute wie der Gerhart Hauptmann finden sogar Gehör, wenn sie tot sind. Wir Frauen finden das nicht gerecht. Wir wollen uns selber hören. Wir wollen wissen, was wir zu sagen haben. Zum Beispiel werden wir jetzt, wo wir uns gerade so schön unterhalten, unterbrochen. SCHAFFNER Ich verstehe Ihre Frage nicht. WARTENDE Dann frage ich noch einmal. SCHAFFNER Ein Grund für die verzögerte Ankunft konnte bisher nicht ermittelt werden. In einem ratternden Zug – BAADER Bereits die Ankunft des Zuges erfolgte um mehrere Tage zu spät. Tagelang stand das Transportbehältnis mit den sterblichen Überresten des Dichters Hauptmann irgendwo in Schlesien an einer Resterampe. FRAU HAUPTMANN Gleich mehrfach habe ich beobachten können, wie die Fahrt unseres Zuges auf freier Strecke unterbrochen wurde, Bahn bedienstete mit einer Ausgabe der Leipziger Volkszeitung unterm Arm hinter Himbeerbüschen verschwunden sind. KRITIKER Einer der besonderen Effekte der Hauptmannforschung besteht darin, den heute lebenden Menschen nachzuweisen, dass früher durchaus nicht alles besser war. BAADER Sie haben keine Vorstellung, welch ungeheuerlicher Gestank den Wartenden zugemutet wird. KRITIKER Der oft dahingesagte Satz Die Bahn kommt spät lässt den Eindruck zu, die Bahn sei in anderen Zeiten nicht zu spät gekommen. Am Beispiel Hauptmann sehen wir, dass die Bahn nicht nur heute spät kommt, sondern immer schon spät gekommen ist. Die späte Bahn markiert somit keinen Ausnahmezustand. BAADER Im Zusammenhang mit dem tagelangen Warten an des Dichters Kiste – selten habe ich einen Sommer so verflucht wie diesen – musste ich immer wieder an den von Rainald Götz gerne und mit großer Freude beschriebenen Vorgang des finalen Koterbrechens denken. FRAU HAUPTMANN Ausdrücklich hatte ich einen Erste-Klasse-Wagen bestellen lassen, einen Liegewagen mit Brausebad und Abort, zwei Gepäckwagen für das Mobiliar und einen offenen Wagen für meinen Mann.
KRITIKER Hauptmann stinkt mir wurde zum geflügelten Wort. FRAU HAUPTMANN Statt des von mir so ordnungsgemäß und rechtzeitig bestellten Wagen zuges wurde ein einziger Packwagen bereitgestellt und das auch erst nach mehrfacher Intervention bei der Reichsbahndirektion Breslau. KRITIKER Oder einfach nur Hauptmann stinkt. FRAU HAUPTMANN Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre der Leichnam in die Volksbühne verbracht worden. ARZT Bedauerlicherweise musste das in der Charité für den Gerhart Hauptmann vorgehaltene Gerhart-Hauptmann-Zimmer mit Meerblick und Balkon an einen anderen Gast vermietet werden. ERZÄHLERIN Es wird nun entschieden, den Gerhart Hauptmann zu Bloch in die Verlagsräume zu bringen. Auf der Trauerfeier im Verlag – FRAU BLOCH Ich habe meinen Verlag am Beispiel Hauptmann aufgebaut. BAADER Kleine Trauerfeier im engsten Kreis. Bratkartoffeln mit Ei. Direkte Übertragung auf Großbildleinwände am Potsdamer Platz. ERZÄHLERIN Baader isst eine Portion Bratkartoffeln und Ei. TRAUERGAST 1 Das ist ja unvorstellbar. TRAUERGAST 2 Ein derartiger Vorgang ist nicht darstellbar. TRAUERGAST 3 Die schöne Helena ist schwanger. TRAUERGAST 4 Ein weiteres Kind. Wer soll das bezahlen. TRAUERGAST 5 Noch was von den Kartoffeln. TRAUERGAST 4 Wer soll das leisten. TRAUERGAST 1 Finde ich sowas von abgeschmackt, uns den verwesten und vermoderten Gerhart Hauptmann zum Essen zu präsentieren. TRAUERGAST 2 Selbst die Kiste ist schon ganz durchgeweicht. TRAUERGAST 6 Das sollten Sie sich mal anschauen, was aus dem Gerhart Hauptmann geworden ist. FRAU BLOCH Guten Tag, Frau Hauptmann. FRAU HAUPTMANN Ich hätte gerne ein Glas von dem Grauburgunder, dazu den Salat mit Schnitzelstickys. FRAU BLOCH Glas Wasser? FRAU HAUPTMANN Gerne. FRAU BLOCH Mit Gas? FRAU HAUPTMANN Ohne Gas. FRAU BLOCH Unbedingt. TRAUERGAST 1 Ich sage es gleich direkt. Ich werde den Verlag Felix Bloch Erben verlassen. Ich will nur noch weg. TRAUERGAST 5 Flasche Kola bitte. FRAU BLOCH Mit Gas oder ohne. TRAUERGAST 1 Ich kann unmöglich hier bleiben. Was sich der Verlag mit dem Kollegen Hauptmann erlaubt hat. FRAU HAUPTMANN Wo bleibt mein Wein? TRAUERGAST 3 Paracetamol oder Ibuprofen? TRAUERGAST 4 Trinken hilft. Viel trinken. TRAUERGAST 1 Unwürdig, wie man den Kollegen hier zwischenlagert. Mag man sich nicht ausmalen, man käme in eine ähnlich gelagerte Situation. TRAUERGAST 2 Das nennen die Sarg. Eine Kiste wie diese. Frau Doktor Feist. Der Dichter Gerhart Hauptmann wird in einer Munitionskiste bestattet. FRAU FEIST Zensor nennt es einen progressiven Ansatz. Der Verleger, die Verlegerfrau, die Leute im Verlag. Alle seien begeistert.
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Staatstheater Mainz PREMIEREN 2019/20
DOSENFLEISCH
SCHAUSPIEL 2019/2020 AUSWAHL
MACHT OHNMACHT EMPOWERMENT HOFFNUNG DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG 7.9. von Stijn Devillé 2019 nach der Trilogie »Habgier, Angst & Hoffnung« I Minkowski B + K Schaller M Kaplan WEH DEM, DER AUS DER REIHE TANZT. SULZBACH URAUFFÜHRUNG 13.9. nach dem Roman von Ludwig Harig 2019 Saarland-Saga zweiter Teil I Bruinier B + K Vogetseder V Weinreich, Hermann HEXENJAGD 14.9. von Arthur Miller 2019 I Mehler B + K Hörr M Rimsky-Korsakow 1 YOTTABYTE LEBEN URAUFFÜHRUNG 17.1. von Olivia Wenzel | In Kooperation mit der HBK Saar 2020 I Mühlschlegel B + K Starodubzeva V Shklyar, Studierende HBK BEWEGUNG KOHLHAAS ODER DER DUNNING18.1. KRUGER-KOHLHAAS-EFFEKT URAUFFÜHRUNG 2020 von Marcel Luxinger I Bruinier B + K Krettek M Urbanski AMADEUS 7.2. von Peter Shaffer 2020 I Schachermaier B Fehringer, Leikauf K Djurkov Hotter NORA 4.4. von Henrik Ibsen 2020 I Khodadadian B + K Mittler DAS KNURREN DER MILCHSTRASSE 5.6. von Bonn Park 2020 In Kooperation mit der HfMDK Frankfurt am Main I Mourot B + K Stubbe TRÜFFEL TRÜFFEL TRÜFFEL 6.6. von Eugène Labiche 2020 I Prechsl B Leitzinger K Rosendorfer M Wachholtz
SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER Schillerplatz 1, 66111 Saarbrücken Generalintendant Bodo Busse
HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN Offenbach Houssart (ML) / Stöppler (I) 31. August 19 IN SEARCH OF DEMOCRACY 3.0 (DSE) De Man und Team 5. September 19 GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD Horváth Schmidt (I) 08. September 19 AGGRO ALAN (DSE) Skinner Nerlich (I) 22. September 19
HEXENJAGD Miller Nerlich (I) 07. Dezember 19 TAMBORA (UA) Spota Bäumer (ML) 08. Dezember 19 NACHTS (BEVOR DIE SONNE AUFGEHT) (DSE) Segal Glatt (I) 14. Dezember 19 THE COLD TRIP – EINE WINTERREISE (UA) Hörtheater Schubert, Lang Dalferth (I) 11. Januar 20
THE PRODUCERS Brooks, Meehan Kirschner (ML) / Brey (I) spartenübergreifend 28. September 19
DAS KIND DER SEEHUNDFRAU Kassies, Schulkowsky Tuschhoff (I) 14. Januar 20
KRABAT Preußler Naujoks (I) 06. Oktober 19
MANON LESCAUT Puccini Jones (I) 25. Januar 20
BORIS GODUNOW Mussorgskij Bäumer (ML) / Nägele (I) 26. Oktober 19
WERTHER Goethe Bartkowiak (I) 09. Februar 20
ZANAIDA Bach Benzwi (ML) / Hopp (I) 07. November 19 RONJA RÄUBERTOCHTER Lindgren Kişlal (I) 13. November 19 NACH DEM OLYMP (UA) Vetten (I) 28. November 19
POPCORN (UA) Denk 11. Februar 20 WAS DENN DA FEHLT ODER WIE ICH IM DATINGPOR TAL FOUCAULT KENNEN LERNTE (UA) Doddema (I) 13. Februar 20 DREI SCHWESTERN Tschechow Bjørseth (I) 29. Februar 20
Schauspieldirektorin Bettina Bruinier
WER WERDEN (UA) Biedermann (I) 03. März 20 AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE Nono Bäumer (ML) / Stöppler (I) 14. März 20 FISH FORWARD (UA) Hörtheater Beethoven u. a. Dalferth (I) 25. März 20 WELCOME EVERYBODY (UA) Rigal 04. April 20 TAGE DES VERRATS (DSE) Willimon Schmidt (I) 23. April 20 DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG Shakespeare von Batum 26. April 20 3D INTERNATIONAL (UA) van Leeuwen, Leriche, Wannehag 25. April 20 BEETHOVEN (UA) Hermann Bäumer (ML) / Gockel (I) spartenübergreifend 03. Mai 20 DER UNTERTAN Mann Frick (I) 15. Mai 20 DAS TAL DER AHNEN (UA) Purcell, Kafka, Zappa u. a. Kirschner, Fürstberger (ML) / Helbling (I) spartenübergreifend
Chefdramaturg und Künstlerischer Leiter Schauspiel Horst Busch Künstlerische Leitung sparte4 Luca Pauer, Thorsten Köhler
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Eine Waldsinfonie von mercimax und Christian Garcia-Gaucher Musikalische Leitung: Alexander Sinan Binder
Ab 31.08. Café-Bar Güllen
Stammkneipe zu «Der Besuch der alten Dame»
Ab 07.09. Der Besuch der alten Dame
Eine tragische Komödie von Friederich Dürrenmatt Inszenierung: Angeliki Papoulia und Christos Passalis
Ab 25.09. Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch, Wiederaufnahme Inszenierung: Franz von Strolchen
Ab 19.11. Das kleine Gespenst
von Otfried Preussler, Kinderstück mit Musik Inszenierung: Fruzsina Nagy und Dóra Halas
Ab 29.11. Fremder
Das Autostück von Fetter Vetter & Oma Hommage Inszenierung: Dàmian Dlaboha
Ab 18.01. TROJA
Ein Antikenzyklus nach Euripides in einer Bearbeitung von Melinda Nadj Abonji, Inszenierung: Ingo Berk
Ab 23.01. Solitude
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Eine Performance über das Alleinsein von Giacomo Veronesi
Ab 26.02. Taylor AG
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Die Theaterserie über die Zukunft der Arbeit von Franz von Strolchen
Ab 26.03. Tatort Frankenstein
Eine Gothic Novel nach Mary Shelley im «Tatort»-Studio
Künstlerische Leitung: Sandra Küpper
SPIELZEITERÖFFNUNG 2019/20
COLD SONGS: ROM CORIOLANUS
William Shakespeare Inszenierung: Catharina May
DER IDEALE STAAT IN MIR Bettina Erasmy – Uraufführung Inszenierung: Agnes Kitzler
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William Shakespeare Inszenierung: Johannes Lepper
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Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.
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TRAUERGAST 1 Mich können die am Arsch lecken. TRAUERGAST 5 Kartoffeln hin oder her. Ich werde zu Suhrkamp gehen. Ich habe immer zu Suhrkamp gewollt. Weg von diesen Stümpern. VH.3 ZUGBEGLEITER (über den Zuglautsprecher) Unser nächster Halt ist Bitterfeld. BAADER Die Schriftstellerin Juli Zeh im Kulturteil der Ostsee Zeitung. JULIE ZEH Es ist gleich also total egal, im Grunde scheißegal, ob man unter all den Parteien, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, die genau zu einem passende Partei gefunden hat, mit der man sich gerne identifiziert. Wählen Sie! BAADER Sozialdemokraten, ganz gleich wie man sie nennt. ERZÄHLERIN Auf dem Weg zum Abort steigt Baader der Servicemitarbeiter hinterher. Ob Baader nicht ein bisschen Zeit für ihn hätte. SERVICEKRAFT Es geht ganz schnell. ERZÄHLERIN Tatsächlich geht schon lange gar nichts mehr. Seine Rolle des Auftragsschreibers für das Deutsche Theater hat Baader ruiniert. BAADER Meine Arbeit hat mich kaputt gemacht. ERZÄHLERIN Nach eingehender Prüfung stellt Zensor Folgendes fest. ZENSOR Der Baader hat nun seinen durch ihn zu Unrecht in Anspruch genommenen Platz geräumt. REISENDER Der Mann hat seinen Platz aus freien Stücken geräumt. Jeder hier im Wagen hat es ge sehen. Jeder hier hat gesehen, dass er zu Einsichten gekommen ist. Zu keiner Zeit ist Zwang auf den Mann ausgeübt worden. Der Mann hat einen Koffer mitnehmen können. ERZÄHLERIN Schon ertönt ein schriller Pfiff, schon düdeln die Türen. BAADER Hauptmann und seine Frau fahren weiter mit dem Regionalexpress von Berlin über Prenzlau und Pasewalk nach Stralsund, wo neben dem Bahnhof die Taxen warten.
Fünftes Heft (FH) FH.1 ERZÄHLERIN Fünftes Heft. In der Bahnkomfortlongsch – BAADER Obwohl hier niemand sitzt, ist dieser Platz besetzt. Dieser Platz hier ist auch nicht frei. ERZÄHLERIN Feistor hat seine Tasche drauf abgestellt. Feiste hat Kopfhörer auf, schaut aus dem Fenster. Fiste schläft. Baader sucht. FEISTOR (am Handy) Das Grundstück in Kloster ist erwartungsgemäß viel zu teuer gewesen. ERZÄHLERIN Feistor muss in sein Mobiltelefon schreien, dass die Bahnkomfort Longsch bebt. FEISTOR (am Handy) Wie ich es mir bereits gedacht habe, taugt das auf dem Grundstück befindliche Haus nicht zum Wohnen. Hier werde ich den Vorschlaghammer schwingen lassen, wie es nie ein Mensch zuvor getan. Wieder im ICE – BAADER In einem vollen Zug einen freien Viererplatz zu bekommen, der dann tatsächlich frei ist, ist ein noch größeres Glück. Überhaupt ist die Verteilung der Plätze nichts anderes als eine Metapher auf das Leben selbst. Wenn man schon als Kind von anderen Kindern mit Bauklötzen beworfen
wurde, könne man als Erwachsener erst recht nicht erwarten, dass man auf irgendetwas einen Anspruch hat. REISENDER Einen Schlag aufs Maul vielleicht! SCHAFFNER Schauen Sie doch selber, ob dieser Platz reserviert ist. REISENDER 2 Das weiß sie nicht und kann sie auch nicht wissen! REISENDE Woher soll sie das wissen! ERZÄHLERIN In einem einzigen Eisenbahnwagen können sämtliche Entwicklungen einer Zeit zur gleichen Zeit beobachtet werden. BAADER Aus der Brust des Mädchens gegenüber haben sich im letzten Winter Brüste entwickelt. Titten und kurze Hosen in der Choriner Straße. ERZÄHLERIN Die für die Reise wichtige Information, dass Feistor und Fiste sich trennen werden, ist nunmehr zu allen Reisenden vorgedrungen. Damit sowohl Feistor als auch die Fiste ihr Gesicht wahren können, bedarf es einer entsprechenden Begründungsarchitektur. FEISTOR Im Wirbel der Berufung ist die mit Abstand beste Inszenierung des Jahres. Die Einladung zum diesjährigen Theatertreffen widerfährt Ihnen vollkommen zu Recht. Ihnen ist es auf überzeugende Weise gelungen, dem so genannten kleinen Mann den Eindruck zu vermitteln, er sei einer von ihnen. Sie haben als Künstler einen außergewöhnlich fantasievollen Symbolkosmos erschaffen Komma der in seiner Einzigartigkeit über einen hohen Wiedererkennungswert verfügt. Eine ge radezu literarische Sprache. Ein Maler, der auch schreiben kann, das findet sich gelegentlich. Ein Schreiber, der auch malen kann, sowas ist auf dem Markt fast gar nicht zu finden. ERZÄHLERIN Als Fahrgast ist Baader natürlicher Teil der Aufführung zum geordneten Ausstieg. BAADER Der Erwerb einer Fahrkarte verpflichtet zur Teilnahme an den Spielen. ERZÄHLERIN Feistor präsentiert Feist seine Auflistungen der Verfehlungen über die digitale Verbindung. Baader hält diesen Teil der Inszenierung für wenig geglückt BAADER Ich fühle mich als Zuschauer um einen wichtigen Teil der Inszenierung betrogen. Feistor und Feiste ohne Fist, das lässt mich unbefriedigt zurück. ERZÄHLERIN Um die besondere Dringlichkeit ihres Anliegens zu unterstreichen, zählt die Feiste alle bereits genannten Verfehlungen des Feist ein weiteres Mal auf. BAADER Eine Wiederholung der Wiederholung. Die wiederholte Darstellung des Originals. KRITIKER Es ist der Inszenierung nicht anzulasten, dass Feiste lediglich in digitaler Form in Erscheinung getreten ist. Baaders Empörung über das stundenlange Herumtelefonieren ist unmotiviert. Hätte Feistor neben Feist gesessen, hätte Baader auch nicht sagen können, dass ihm das Thema einer gescheiterten Liebe als unangemessen für eine Fahrt von Berlin nach Hamburg erscheint. BAADER Sagen Sie es mir, Salomo. KRITIKER Wenige Andeutungen genügten, dass wir schnell zu einem Urteil kamen. Es handelt sich dabei um ein beschleunigtes Verfahren. BAADER Das Wissen, erst noch ausscheiden zu müssen, beeinflusst meine Planung für den Tag in einem ganz erheblichen Maß. ZENSOR Ihrem Antrag auf Veränderung des bisher verwendeten Status kann vollumfänglich entsprochen werden.
ERZÄHLERIN Effekte der Zerstörung werden im Gesicht Baaders sichtbar. BAADER Selbst in der Ersten Wagenklasse wird nur noch gearbeitet, brüllen die Aufsteiger in ihre Mobiltelefone. Hier der Professor, der noch schnell die Hausarbeiten seiner Studenten überfliegt, obwohl ihn die Hausarbeiten der Studenten nicht im Geringsten interessieren und auch nie interessiert haben. Diese Art der Betriebsamkeit kann unmöglich erstklassig sein. Die Wirkung des Spiels wird durch die Gestaltung des Raumes verstärkt. Waren Eisenbahnwagen bisher immer Maßanfertigungen, bieten die Hersteller heute ideale Lösungen an. Wagen heute sind schmaler, dass sie in schmale mongolische Tunnel passen und schmale kaukasische Bahnhöfe. ERZÄHLERIN Dazu ist Folgendes festzustellen. Zensor sagt – ZENSOR Wie schnell unsere Züge heute tatsächlich fahren, kann ein Fahrgast erst begreifen, wenn der Zug innen aussieht wie ein Flugzeug. Von innen heraus muss gewaltig geschrumpft werden. Kraft der Bewegung durch räumliche Enge greifbar machen. Das ist ein vollkommen neuer Ansatz. ERZÄHLERIN Als besondere Motivation bekommt Feistor ab sofort einen Teil seiner Gage als variable Erfolgsprämie ausgezahlt. FEISTOR Fahren die Züge tatsächlich pünktlich, soll pures Gold zum Potsdamer Platz strömen. ERZÄHLERIN Gleich diktiert Feist eine weitere Dienstanweisung an alle Lokomotivführer. FEISTOR Alle Lokomotivführer herhören. Ab sofort wird schneller gefahren. Ihr müsst schneller fahren, als ihr jemals gefahren seid. Zu schnell kann niemals schnell genug sein. Schneller geht immer. Wir wollen alle besser werden. ERZÄHLERIN Auf dem Flug nach Frankfurt werden dreierlei Pflaumen gereicht. BAADER Feistor hat es entschieden. Bahn möchte Flieger sein. FEISTOR Strauch will Hecke. Puff ist ab sofort Hotel. Folgende Maßnahmen sind anzuordnen. Ausführung. FH.2 In einer Pension auf Rügen – ERZÄHLERIN Seine Arbeit habe Baader kaputt gemacht. BAADER Ich bin vollkommen hinüber. Ich fühle mich aufgebraucht. FEIST Die als Umgang unter Kollegen bezeich nete Alltagsbrutalität ist Baader nicht bekommen. BAADER Ich fühle mich wie Abfall an. Nach der Produktion am Nationaltheater Weimar wurde nun auch die Produktion am Burgtheater in Wien abgesagt. ERZÄHLERIN Zu den Gründen der Absage wird zwischen den Parteien ein Stillschweigen vereinbart. BAADER Kein einziges Wort schreibt Zensor aus der Ostmark. Von der streng geheimen Fick aktion mit der Servicekraft weiß nunmehr die ganze Insel. ERZÄHLERIN Baader nimmt es mit Fassung. Sein Ruf sei schon vorher hinüber gewesen. Den ganzen Abend sitzt er neben dem Telefon. Den ganzen Abend lang bleibt das Telefon stumm. Auf Rügen – BAADER Die Insel sieht im Herbst lieblich aus, nur kann ich sie nicht mehr lieben. Mein Interesse
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cher Mann. Du starker Mann. So vieles muss noch besprochen werden. Hier ist alles gerichtet. Die Caprivi soll Dir ganz alleine zur Verfügung stehen. Der Doktor und ich werden im Hafen auf Dich warten. Komm nur ganz bald. Nun sollen wir auch noch die Ariernachweise ausstellen. Lieber Gerhart. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr meine Frau diese Arbeit beansprucht. Wiewohl ich die Wahl eines starken Mannes begrüße. Am Ende sehe ich mich den Boden in der Kirche noch selber wischen. ERZÄHLERIN Baader ist bereit, seiner Aus löschung zuzustimmen. PFARRER (lacht) Hinterher stellt sich noch raus, Eva Braun ist schwul.
wir unbedingt brauchen, lieber gestern als morgen, ist eine feministische Bewegung für den Mann. Ich habe Sehnsucht nach einer aktiven Frau, die es aus sich heraus vermag das Notwendige zu tun. Im Übrigen bitte ich Dich noch ein paar Kisten von dem Frijol zu schicken. Margarete säuft wie ein Rohr mit drei Enden. Mit dem Verlust ihrer Fruchtbarkeit ist sie unduldsam geworden und rastlos. Sie täglich ganz und gar abzufüllen, birgt am ehesten Aussicht auf Friede. ERZÄHLERIN Baader hatte Zeit seines Lebens stumpfe Tätigkeiten verrichtet. Nie hatte Baader für seine Arbeit aufrichtiges Interesse gezeigt. Für Baader war es interessanter eine uninteressante Arbeit zu verrichten als Zeit mit Margarete zu verbringen.
FH.3 FH.4
an den Bewohnern ist mir abhandengekommen. Was Radio Pommern sendet, kommt mir heute nicht mehr als eine Art ironisch gemeinte Brechung vor. Was gesagt wird, ist genauso gemeint wie gesagt. Der Ostsee Zeitung ist zu entnehmen, dass die drei Direktmandate in den Gaukreisen Greifswald, Rügen und Stralsund an Kandidaten der Christlich Nationaldemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands vergeben werden konnten. Ich konnte mir mein Mandat direkt in der Aktenausgabestelle des Ministeriums für Staatssicherheit abholen. BAADER Gegenüber wohnt der Pastor Arnold Gustavs. Gustavs ist ein sehr anständiger deutscher Kirchenmann. PASTOR Die von den Bauhausjuden eingeführten flachen Dächer haben wir gegen deutsche Dächer tauschen lassen. Seitdem Zensor sich der Sache angenommen hat, werden Flachdächer nicht mehr zugelassen. BAADER Überhaupt ist der Pfarrer einer der wenigen anständigen Menschen, die ich auf der Insel gefunden habe. GERHART Der Insulaner an sich ist gierig, faul und falsch. Er hat keinen Sinn für Schönheit und Form. Die Natur und ihre Proportionen interessieren den Insulaner nicht im Geringsten. BAADER Es ist ein einfacher Menschenschlag, der hier zwischen Dornengestrüpp und Diesteln aufwächst. PASTOR Die auf der Insel üblichen fantastischen Preise für Grund und Boden resultieren aus der Blödheit der bereits zugezogenen Stadtbewohner, die offensichtlich bereit sind, jeden noch so absurden Preis zu zahlen. Allen voran die Judenweiber in Vitte. Sie haben den Markt verdorben. Dumme Kühe. Pissnelken. ERZÄHLERIN Aus dem Pfarrhaus schreibt der Pfarrer Arnold Gustavs einen gepfefferten Brief. BAADER Bitte, Herr Gustavs, Sie haben das Wort. PFARRER Mir ist das ein bisschen peinlich. BAADER Was ist Ihnen peinlich, Herr Gustavs. PFARRER Der Brief an den Professor ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. BAADER Die Figur Hauptmann ist eine öffentliche Person. Wenn Sie dem Gerhart Hauptmann einen Brief schreiben, dann ist das so, als würden Sie an uns alle schreiben. PFARRER Verehrter Herr Professor. Lieber Gerhart. Mein lieber Freund. Ich schreibe Dir heute. Heute schreibe ich Dir mit einer Bitte. Du herrli-
Eine Arztpraxis – GERHART Auszeichnungen sind das eine. Mir ist darüber hinaus noch etwas aufgefallen, worüber ich mit Ihnen reden möchte, Herr Doktor. DOKTOR Ganz wie Sie es wünschen. GERHART Mir ist nämlich aufgefallen, das muss ich Ihnen gleich erzählen, da werden Sie staunen oder wie man auch sagt, bass erstaunt sein, dass ich doch sehr viele der so genannten weiblichen also guten Werte in mir trage. Was sagen Sie nun? DOKTOR Mal ablegen bitte. GERHART Zugleich stelle ich fest, dass die Frauen, mit denen ich gelegentlich verkehre, eine Vielzahl an nicht so guten also männlichen Werten in sich tragen. DOKTOR Die Unterhose auch. GERHART Frauen, mit denen ich schlafe, sind dominant. DOKTOR Tut es hier weh. BAADER Wie oft ist es vorgekommen, dass eine von denen den Versuch unternahm, mich auf Zwergengröße zu schrumpfen, um mich in einer Hautfalte verwahren zu können. DOKTOR Mal umdrehen. GERHART Gerade auch die in der Frauenbefreiung aktiven Frauen treten mit Forderungen an mich, für die es keine Grundlage geben kann. DOKTOR Ist Ihnen in letzter Zeit etwas aufgefallen. Gab es irgendwelche besonderen Vorkommnisse. Wieder zurück im ICE – BAADER (schreibt in sein Heftchen) Feistor lässt mich grün geschlagen und blau im Regional express zurück. In der Zeit des Fiebers wird mir klar, dass ich als Mann nichts anderes bin als eine Frau, an der die Last des Fickens hängenbleibt. DOKTOR (hallt aus ferner Erinnerung) Vielleicht ist es eine gute Idee, noch einige Untersuchungen durchzuführen. BAADER (schreibt weiter) Während sich die Feiste auf komfortable Weise ihr Menschenkind in den Leib vögeln lässt, bleibt das Schaffen alleine an mir hängen. DOKTOR (zunehmend verblassend) Sie können sich wieder anziehen. BAADER Du herrlicher deutscher Mann. Gerade komme ich vom Arzt zurück und bin ganz aufgeregt. So sehr ich den Gedanken der Befreiung als angemessen betrachte und richtig, so sehr wird er doch von den Falschen eingefordert. Ich schreibe Dir heute aus dem Haus Seedorn auf der Insel Hiddensee mit einer großen Dringlichkeit. Was
BAADER Die wenigen Sommer vor dem Tod Hauptmanns hatten wir genutzt, einen Entwurf für eine ganz und gar neue Ordnung auszuarbeiten. Das Manuskript liegt nunmehr bei Bloch. ZENSOR Nach Sichtung aller Unterlagen kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass zumindest zum jetzigen Zeitpunkt kein endgültiges Ergebnis bekannt gegeben werden kann. Um zu so etwas wie einem endgültigen Ergebnis zu gelangen, bedarf es weiterer Prüfungen. BAADER Zwischen den Seiten lagen nun platt und tot eine Menge Eintagsfliegen. Meine Frau Margarete ist jetzt der Mann im Haus. Obwohl wir seit Jahren nicht mehr miteinander schlafen, werde ich doch jeden Tag von ihr gefickt, dass es mir an überhaupt nichts fehlt. Nach so vielen Jahren in der Verantwortung für alles und jeden, muss ich doch sagen, dass ich heute gerne Frau bin. Viel von der Verantwortung die so lange auf mir lastete, habe ich an meinen Mann abgeben können. Ich bin heute frei wie nie zuvor. Überhaupt sind wir als Paar glücklicher, als wir es je gewesen sind. Das Alter ist die glücklichste Zeit in meinem Leben, ist der erste Satz meines letzten Buches. Als ich am Morgen aufwache, bin ich tot, wie die Fliegen tot sind. Mein Arschloch, durch das ich sooft geschissen habe, zieht sich nunmehr ganz und gar in das Privatleben zurück. Margarete hatte noch kurz vor meinem Tod mein Testament ändern lassen. Wie viele andere Männer auch, war sie gierig geworden. Sie konnte nicht mehr genug bekommen. Meinen einzigen Einwand, dass man letzten Endes doch nicht mehr könne als etwas zu sich zu nehmen, lehnte sie als einen reichlich theoretischen Ansatz ab. Als vom Frausein befreite Frau sei sie vor allem praktisch veranlagt. Im Gartenhaus schreiben die jungen Autoren am Dritten Teil des Faust. Wie jeden Sommer geht es um die Frage, wer ficken wird und wer gefickt. KRITIKER Baaders ablehnende Haltung ergibt sich nicht aus dem Vortrag, sondern aus Baaders nicht ausreichender Identifikation mit dem Thema Liebe. BAADER Die gesamte Philosophie und die gesamte Wissenschaft sind damit befasst, die notwendige Zeit zu liefern, dass diese Frage endlich auf eine zufriedenstellende Weise beantwortet werden kann. Um Befriedigung geht es – ERZÄHLERIN – sagte Baader zur Feisten, bevor die Kiste für immer geschlossen wird. BAADER Noch am Abend hatte es so ausgesehen, als würde es zu einem großen Fick kommen.
oliver kluck_baader panik
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Sämtliche Gespräche drehten sich ums Thema icken. Das Wesentliche kam schnell zur Sprache. F Dass letzten Endes doch nicht gebumst wird, liegt alleine daran, dass der Feisten der Arsch auf Grundeis geht. FRAU FEIST Die Beziehung zu meinem Freund ist von gegenseitiger Achtung geprägt und der Bereitschaft, dem anderen Freiheit einzugestehen. BAADER Ich dachte nur noch an ihren Geruch und daran, wie sie ihre Hand an ihre Brust geführt hatte. FRAU FEIST Wenn Sie mal bitte schauen wollen. BAADER Wie so viele Männer in Frauenrollen hat die Feiste immerzu das Gefühl nicht gehört zu werden. Jetzt spricht sie schon die ganze Fahrt davon, dass keiner ihr zuhöre. FRAU FEIST Es bleibt mir gar nichts anderes übrig. Schon um mich meiner Freiheit zu versichern und meiner Unabhängigkeit, muss ich ab und an zu Hauptmann in die Kiste steigen. BAADER Bereits der zwischen den Zeilen ausgesprochene Begriff Liebe löse Angstzustände bei ihr aus und Panik. FRAU FEIST Der, mit dem ich lebe, den liebe ich nicht. Die ich lieben könnte, möchte ich nicht lieben. Geliebt zu werden, kann ich nicht ertragen. So gerne ich Mann bin, bin ich im Bett am liebsten Frau. ZENSOR Ihr Freund vögele ab und an mit anderen Frauen. Sie selber lasse sich ab und an von anderen gegen den Strich kämmen. Warum jetzt ausgerecht von Baader nicht, konnte die Prüfungskommission auch in der von Baader beantragten Nachprüfung nicht herausfinden. FRAU FEIST Meine Entscheidung geht auf eine Empfehlung der Kommission zurück. FH.5 GERHART Auch nach fünfzehn Jahren kommt in die Debatte um das Emssperrwerk keine Ruhe. Wie gerne wäre ich Vermesser in einem Vermessungsbüro geworden oder Mitglied der Familie Porsche. Ich will damit sagen, dass ich mir die mir zugedachte Rolle erst nach und nach für meine Zwecke brauchbar machen musste. Ich bin so froh, dass ich nie darauf warten musste, dass Vater uns Kinder nach getaner Arbeit begrüßt. Heute weiß ich, dass Vater, obwohl er ganz offensichtlich Mutter fickte, tatsächlich von Mutter gefickt wurde. Vater war weich, wie auch ich weich bin. Wie Vater die Frau verachtet hat, die ihn täglich fickt, so verachte ich auch meine Frau Magarete. Nichts gibt es an Magarete, was mir gefallen kann. Margarete ist
von bösen Mächten durchtrieben. Strahlen aus dem Weltall durchziehen ihren Körper. Man darf sich nicht von ihrer Zartheit täuschen lassen. Meine starke zarte Frau ist gerade im Keller, eine weitere Flasche Wein holen. Wir lieben uns sehr. Die Geschichte zwischen meiner Frau und mir ist die Geschichte einer großen Liebe, was Sie sicherlich schon festgestellt haben. Ich habe Margarete im Intercity Express Konrad Wilhelm Röntgen auf der Fahrt nach Hamburg kennengelernt. Wir hatten die gleiche Platzkarte. Gleich sagte Margarete, ich müsse sofort aufstehen. Mir war gleich klar, dass sie im falschen Wagen ist. Es war allerhöchste Zeit einen eigenen Wagen anzuschaffen. Der Professor Porsche lässt sich in der Waggonfabrik Plautzen einen herrlichen Salonwagen anfertigen. Als sie den Wagen einmal gesehen hat, will Margarete unbedingt auch einen solchen Wagen haben. ARZT Der männliche Tote wurde aufgrund seines schlechten Pflegezustandes in die Sektion einge liefert. Der Tote befindet sich bei der Anlieferung in einer einfachen Holzkiste. Zahlreiche Abdrücke auf dem Deckel der Kiste. Als hätte jemand Flaschen darauf abgestellt und Gläser. GERHART Bei mir verhält es sich mit den Frauen wie mit der Milch. Je älter ich werde, desto weniger ertrage ich sie. BAADER Margarete hatte für Hauptmann in dessen Testament verfügt, dass Hauptmann eine Stunde vor Sonnenaufgang zu Grabe getragen wird. Jetzt war es Juni gewesen oder Juli. Mir ist es derart scheißegal, dass ich nicht einmal nachschlagen möchte. (Eine Dampflokomotive setzt sich ächzend in Bewegung –) Von Berlin wird Hauptmann mit dem Sonderzug nach Stralsund gefahren. In Prenzlau muss die Lokomotive Wasser fassen. Auf Anordnung der Sowjetischen Militäradministration schaufelt der Heizer ordentlich Koks nach, dass Funkenflug die ganze Uckermark in Brand setzt. (Ein Dampfertuten –) In Stralsund wartet schon der Dampfer Caprivi an der Kaje. Der tote Hauptmann wird auf der Back aufgebahrt. Nach Monaten in der Kiste hat er reichlich an Einfluss verloren und Macht. (Im Hafen –) Ungeachtet einer beträchtlichen Anzahl an Empfehlungen, ist es doch schwer, eine ausreichende Anzahl an Insulanern zu finden, die bereit sind die Kiste zu tragen, in der Hauptmann nun liegt. Weniger eine von Feistor selbst unterschriebene Verfügung als die Aussicht auf ein paar Flaschen Doppelkorn und Gin sind entscheidend, dass sich
doch noch Fänger finden und Gefangene, um den Dichter Hauptmann zu Grabe zu tragen. (Eine ausgelassene Trauerfeier –) Jetzt muss aber erstmal auf den Toten getrunken werden und also das vollendete Leben. Für jedes zehnte Glas wird der Deckel der Kiste geöffnet, dem Toten ein angemessener Anteil zugestanden. (Ausgelassen kichernde Frauen –) Die zarten Journalistinnen sind zuerst bettfein. Die auf der Insel gebräuchliche Bezeichnung Bäder verkehr wird auf der Stelle auf ihre Füße g estellt. JOURNALISTIN Wo der Herr des Hauses in seiner Kiste liegt, ist die Kiste des Herrn für andere Zwecke frei. BAADER Spät gehen die ans Trinken gewöhnten Kulturfunktionäre schlafen. Wieder im ICE – ZUGBEGLEITER (über den Zuglautsprecher) Ham burg Hauptbahnhof wird mit einer Verspätung von sechs Minuten erreicht. ERZÄHLERIN Baader wird alle vorgesehenen Anschlusszüge erreichen. Totenglocken – BAADER Die Fänger zieht es runter in den Hafen. Sie gehen vom Haus des Dichters Gerhart Hauptmann zu ihren Booten. Hauptmann wird zum höchsten Stand der Sonne zur Erde hinabgelassen.
Die Hörspielproduktion des SWR (Bearbeitung/ Regie: Leonhard Koppelmann, 2019) ist Grundlage dieser Textfassung. © Verlag Felix Bloch Erben, Berlin 2019
Theater der Jungen Welt Leipzig
DIE GEISELNAHME Von Barrie Keeffe | Aus dem Englischen von Wolfgang W. Storch | Regie: Jürgen Zielinski [15 plus] Premiere: 28. September Karten 0341. 486 60 16 | www.tdjw.de
g
Wiederentdeckun
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Es passt irgendwie alles zusammen: das alte bundesdeutsche Theater ist erloschen, es liest keiner mehr Zeitung, die Öffentlichkeit spaltet sich, es gibt keinen Kanon mehr, nur noch Gender-Irrsinn und Quoten-Quatsch. Wir drohen in diesem Political-Correctness-Scheiß unterzugehen. Die alten weißen, weinenden Männer vom
Der Illegale Eine literarische Revue
Texte: Günther Weisenborn Musik: Konstantin Wecker Uraufführung
Premiere: 21. September 2019
www.dieblb.de
landestheater-tuebingen.de
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Mit der Welt auf Augenhöhe Werkschau des Förderprogramms „Szenenwechsel“ bei XCHANGES auf Kampnagel in Hamburg Theater als Common Space Das FFT Düsseldorf feiert zwanzigjähriges Jubiläum Häuserkampf in Technohouse-City Das Performing Arts Festival in Berlin Die Kraft des Ensembles 40 Jahre Theater Waidspeicher Erfurt Geschichten vom Herrn H. Adornos Flaschenpost Risse in der glänzenden Fassade Die Baden-Württembergischen Theatertage legen Konflikt potenziale offen Sternstunden der traurigen Gestalten Jan Bosses „Don Quijote“ bei den Bregenzer Festspielen Zwischen Schlosskatze und Hofhühnern Das Schloss Bröllin in Vorpommern bietet Raum für künstlerische Forschung Dreiländereck als europäische Bühne Das trinationale J-O-Ś-Festival am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau Fontane mehrgleisig Die neue Bühne Senftenberg springt auf den Fontane-Jubiläums-Zug auf Talentproben Das International Performing Arts Festival Outnow! in Bremen Neugieriger B eobachter und Begleiter Zum Tod des Theaterleiters und Festivalkurators Bernd Mand Bursche von unendlichem Humor Der Dramatiker, Hörspielautor, Übersetzer und Essayist Joachim Knauth ist tot Bücher Peter W. Marx, Clemens Bach, Jana Dolečki, Senad Halilbašić und Stefan Hulfeld
Nicoleta Esinencus „Who Run the World – Das Evangelium nach Maria / Die Apokalypse nach Lilith“, hier mit Sivan Ben Yishai und Niko Eleftheriadis. Foto Alex Wunsch
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Mit der Welt auf Augenhöhe Mit der Werkschau XCHANGES auf Kampnagel Hamburg geht das Förderprogramm „Szenenwechsel“ des ITI und der Robert-Bosch-Stiftung zu Ende In K1 wird gegessen: Glasnudelsalat, Aufstri-
den, mit Glitzervorhang, Videos, Bonnie Tylers
Wir unterstützen, dass die Künstlerinnen und
che, Brot. Nah beim Eingang des Raums auf
„I Need a Hero“ als Chorversion und einem
Künstler sich austauschen, die Produktion von
Kampnagel steht ein DJ-Pult, dort in Aktion:
Ende im Chaos. Hier sind alle Geschlechterrol-
allen getragen wird und der künstlerische Ansatz
das Live-Electro-Orchester der Monika Werk-
len und Vorgaben aufgehoben, aber eine Erlö-
bestenfalls in beiden Ländern funktioniert.“
statt um Musiklegende Gudrun Gut. Das offe-
sung gibt es nicht. Trotz spannender Ansätze
Zwei weitere Produktionen des Festivals:
ne Format „Cooking in Crisis“ wurde von den
ergänzen sich die beiden Teile des dreistündi-
die begeisternde Audio-Performance-Installation
Performern von Showcase Beat Le Mot und
gen Abends leider zu keinem Ganzen.
„Rausch und Zorn“, eine intelligent geführte
fluid states aus Kroatien erarbeitet. Laut
Studie über faschistische Strukturen des
Programmblatt handelt es sich „um ein
Hamburger Medien- und Performance-
begehbares Bühnenbild, in dem die
Kollektivs L igna in Zusammenarbeit mit
Künstler*innen ein Menü kochen und
den Künstlern Emilyan Gatsov und
dabei eine Gesprächssituation herstel-
Stephan Shtereff aus Bulgarien (siehe
len …, in der soziale Handlung und
auch TdZ 11/2017); im Anschluss „Divi-
Gesellschaft als kulturelles Konzept zur
ded Together“, ein Videowalk des Theater
Disposition gestellt werden“. Große Wor-
labors Bielefeld in Kooperation mit Kultura
te, allein: Nichts davon löst sich ein. Es
Medialna Dnipro. „Divided Together“ be-
ist und bleibt ein Essen mit Elektro-
schäftigt sich mit den durch die Front ge-
sound, dessen improvisierten Sprech
trennten ukrainischen Städten Dnipro und
gesang akustisch niemand versteht.
Donezk. Videosequenzen werden auf
Also weiter zur zweiten Vorstel-
Wände des Kampnagel-Geländes projiziert und
lung bei XCHANGES – Festival internatio naler Performances: „Who Run the World – Das Evangelium nach Maria / Die
Apokalypse
nach
Lilith“,
eine
Essen mit Elektrosound – Das Live-Electro-Orchester der Monika Werkstatt in „Dead Season“ von Showcase Beat Le Mot. Foto Mathias Thum
Kooperation des Theaters Rampe Stutt-
tänzerisch,
pantomimisch
oder
sprachlich kommentiert. Die Performance über den Konflikt als entwurzelndes Ereignis entstand in mehreren Workshops in Deutschland, Russland und der Ukraine. Wenn man zuvor den von akribi-
gart und des Teatru Spălătorie aus Moldawien. Die Autorin Nicoleta Esinencu hat
Beide Produktionen wurden im Rahmen des
schem Timing geprägten, konzeptionell minu-
mit Textpassagen aus der Bibel ihr eigenes
Förderprogramms „Szenenwechsel“ der Robert-
tiös durchdachten Audiowalk „Rausch und
Evangelium geschrieben: Adam wird gestürzt,
Bosch-Stiftung und des Internationalen Thea-
Zorn“ mitgemacht hat, scheint „Divided To-
Jesus ersetzt und das „Vaterunser“ zum
terinstituts (ITI) erarbeitet, das einen Schwer-
gether“ fast ungeprobt und unfertig. Deutlich
„Mutterunser“. Esinencu feiert mit Maria
punkt auf Kooperationen mit Partnern aus
werden die enorme Not, der unbedingte Wille,
Magdalena und Lilith zwei Dissidentinnen
Osteuropa und Nordafrika setzt und in diesem
sich künstlerisch auszudrücken. Doch wirken
und stellt ihnen Frauen aus verschiedenen
Jahr seinen Abschluss fand. Das dreitägige Fes-
die Bilder und Mittel gestrig, weswegen man
Kulturen an die Seite, die von Patriarchat,
tival XCHANGES präsentiert eine Auswahl der
zweifelt, ob ein solches künstlerisches Ergeb-
Sexismus und G ewalt erzählen.
insgesamt sechzig seit 2013 entstandenen Pro-
nis seinen Platz auf einem kuratierten Festival
Den ersten Teil des Abends inszeniert
duktionen. Im Fokus steht der Austausch über
gefunden hätte. Und so bleibt XCHANGES
Esinencu selbst, den zweiten Rampe-Intendan
Perspektiven und Herausforderungen, über Er-
letztlich, was sein Name verspricht: ein höchst
tin Marie Bues. Der erste fokussiert sich –
fahrungen, Förderstrukturen, Hierarchien und
relevanter Ort des Austausches für die Künst-
passend zur Textvorlage Bibel – mit simplen,
grundlegende Werte. Zen traler Punkt: die
lerinnen und Künstler. Fraglich ist, ob man
aber effektiven Mitteln stark auf das Wort:
Gleichberechtigung der künstlerischen Partner.
einen Teil der Arbeiten nicht besser in diesem
zwei Performer stehen an zwei Rednerpulten
Andrea Zagorski, Projektleiterin „Szenenwech-
geschützten Raum belassen hätte – ohne ex-
und sprechen zu Body-Percussion. Den Rah-
sel“ beim ITI Zentrum Deutschland erläutert:
ternes P ublikum. //
men gibt eine ausgefeilte Licht-Dramaturgie
„Es geht nicht darum, ein deutsches Team nach
mit mehreren Glühbirnen, die von der Büh-
Nordafrika oder Osteuropa zu schicken, das dort
nendecke hängen und auf das gesprochene
eine Idee oder ein Stück erklärt und eine
Wort mit Helligkeitsnuancen reagieren. Nach
Produktion mit mitteleuropäisch geprägtem
Theater der Zeit war Medienpartner des Programms
der Pause darf es bei Marie Bues bunt wer-
Blick erarbeitet. Das wäre Kulturkolonialismus.
„Szenenwechsel“.
Natalie Fingerhut
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Theater als Common Space Das FFT Düsseldorf feiert zwanzigjähriges Jubiläum Zum
lebendigen
ren, eine eigenständige Recherche und Dis-
Wesens wie des FFT ist es nicht damit getan,
Jubiläum
eines
derart
kursproduktion, mit der die Arbeitsweisen
seine Geschichte knapp zu skizzieren. Auch
und Ästhetiken begleitet und so erlebbar
lässt sich das FFT kaum fixieren. Eher gleicht
werden.
Diskurs über Macht und Eigentumsverhältnisse am FFT – im Stadtraum und auf der Bühne: hier mit She She Pops „Oratorium“ 2019. Foto Benjamin Krieg
es einer Spielerin, die sich der Kunst der
Das FFT ist in Bewegung. Denn viel-
Begegnung und des Austauschs hingibt, die
leicht noch mehr als eine begabte Spielerin
ihre vielen Arme in vielerlei Richtungen zu-
und extrem arbeitsame Netzwerkerin ist das
rungen und Erwartungen verbinden wir mit
gleich ausstreckt und die mit einem bewun-
FFT auch ein Thinktank. Wohl an kaum einem
Theater in diesen Zeiten, in denen frei zu-
dernswürdig langen Atem begabt ist. So ist in
anderen Produktions- und Veranstaltungsort
gängliche common spaces zur Beute „intelli-
Düsseldorf an den Schnittstellen von Theater,
wird auf so beharrliche und freimütige Weise
genter Städte“, von Logistiknetzwerken und
Performance, Tanz, bildender Kunst und Musik
nach dem gesellschaftlichen Bedeutungswan-
Onlinehandel werden? Welchen Ort kann
mit der Zeit eine riesige Fülle entstanden. An-
del und den künstlerischen Möglichkeiten von
Theater in dieser Umbruchsituation einneh-
gebunden an ein internationales Netzwerk
Theater gefragt, das sich durch die permanen-
men? In Städten zumal, die von Finanzspeku-
freier Produktionsstätten, wird koproduziert
ten Verschiebungen zwischen den Sphären des
lation, Kreativindustrien, Gentrifizierung und
und gezeigt, was heute Rang und Namen hat,
Öffentlichen und Privaten herausgefordert
Mieterproblemen heimgesucht werden, die
aber nicht selten seine erste oder sehr be-
sieht und infrage stellen lassen muss.
sich also im Sinn traditioneller städtischer
ständige Beheimatung im FFT gefunden hatte:
Das FFT zieht um. Auf Beschluss der
Begegnungszonen immer weniger bewohnen
She She Pop, Claudia Bosse und das theater-
Stadt soll das riesige Gebäude der ehema
lassen? Diese programmatische Auseinander-
combinat, andcompany&Co., Showcase Beat
ligen Hauptpost in Sichtweite des Haupt-
setzung mit dem Stadtumbau wird durch Mittel
Le Mot, Monster Truck, Gintersdorfer/Klaßen
bahnhofs ab 2021 als Kulturzentrum genutzt
der Beauftragten des Bundes für Kultur und
usw. An die frühen Arbeiten von Antje Pfundtner,
werden und neben dem FFT auch der Zentral-
Medien Monika Grütters ermöglicht, die seit
Martin Nachbar oder Jochen Roller ist zu den-
bibliothek und dem Theatermuseum eine
2016 das Bündnis Internationaler Produk
ken, an die jungen Künstler aus Düsseldorf,
neue Wirkstätte bieten. Die Umnutzung die-
tionshäuser fördert, zu dem das FFT gehört.
die wie Billinger & Schulz im FFT angefangen
ses funktionslos gewordenen Logistikzent-
Risiko, Ausdauer und Leidenschaft tra-
haben, an die engen Kooperationen mit Thea
rums hängt symbolträchtig mit der Digitali-
gen das große, quicklebendige Programm des
tern der Region oder dem Seniorentheater
sierung der Städte und ihrem Smartwerden
FFT, das sich für seine Feier am 9. September
SeTa, das Fassbinder und Kaurismäki auf-
zusammen. Das FFT nahm diesen Vorgang
in die einfachen Worte kleidet: „Wir blicken
führt, an die Performances von Kindern und
zum Anlass, das Rechercheprojekt „Stadt als
zurück auf die Anfänge und schauen uns die
Jugendlichen, wie Ingo Toben sie verfolgt.
Fabrik“ zu gründen. Seit zwei Jahren widmet
Welt von heute an, wie sie sich verändert hat
Eine unglaubliche Vielzahl von Arbeitsweisen,
es sich nun der Stadtentwicklung am Beispiel
und was das für unsere Theaterpraxis bedeu-
Konzepten und Publikumsformaten von sehr
der Global City Düsseldorf. Mit vielen Exper-
tet.“ Allerherzlichste Glückwünsche ergehen
verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern –
ten und in unterschiedlichen Veranstaltungs-
an Kathrin Tiedemann, seit 2004 die Künst-
und dennoch würde sich das FFT nicht als
formaten ist so eine Denkfabrik für die
lerische Leiterin und Geschäftsführerin, und
deren Summe bezeichnen. Geht es doch im-
aktuellen Kontexte von Stadt, Theater und
an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die
mer um die Kontextualisierung des Singulä-
Öffentlichkeit entstanden. Welche Anforde-
das FFT tragen. //
Ulrike Haß
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50 JAHRE NEUBAU T H E AT E R U L M UR AUFFÜHRUNGEN ZUM 250. GEBURTSTAG VON ALBRECHT LUDWIG BERBLINGER
Berblinger, Schneider.
Variationen über einen Freiheitstraum von Ulf Schmidt (Auftragswerk des Theaters Ulm) Uraufführung: Donnerstag, 3. Oktober 2019 ZUM 250. GEBURTSTAG VON ALBRECHT LUDWIG BERBLINGER
Ikarus
Schauspiel von John von Düffel (Auftragswerk des Theaters Ulm) Uraufführung: Samstag, 5. Oktober 2019
Sprachlos die Katastrophe im Bereich der Liebe Bühnentext für mindestens eine Spielerin und einen Spieler von Henriette Dushe Uraufführung: Freitag, 10. Januar 2020 ZUM 150. GEBURTSTAG VON CHARLES TOURNEMIRE
La Légende de Tristan Oper in drei Akten von Charles Tournemire Libretto von Albert Pauphilet in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln Uraufführung: Donnerstag, 7. Mai 2020
KARTEN 0731 161 — 4444
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Häuserkampf in Technohouse-City Das Performing Arts Festival bezog mit dem Haus der Statistik eines der spannendsten Bauprojekte Berlins – diskutierte dann aber nur wenig über Gentrifizierung „Du lebst in diesem Techno-
Holzinger in ihrem Stück
house ...“ – „Leben hier auch
„Apollon“. In einer Mi-
Indianer!?“ – „Nein. NEIN!“ –
schung aus Fitnessstudio,
Oder doch. Vielmehr bald.
Folterkammer und Fin-de-
Denn wer die Broschüre der
Siècle-Varieté reinszenier-
Initiative Haus der Statistik
te sie gemeinsam mit fünf
aufschlägt, sieht ihn wieder auf
sehr nackten und sehr un-
dem leer stehenden Bürokom-
erschrockenen Performe-
plex am Berliner Alexander-
rinnen eine Freakshow mit
platz thronen: 2011 hatte der
Anleihen aus der Live Art.
französische Künstler Cyprien
Da wurden Schwerter ge-
Gaillard den rot-weiß-blauen
schluckt, Spielkarten an
Indianerkopf, Logo des US-
Körper getackert, Exkre-
Baseballteams Cleveland Indi-
mente in Einmachgläser
ans, anlässlich der Kunstaus-
verpackt und Nägel in Na-
stellung „Based in Berlin“ auf dem Haus der Statistik installiert. Ein halbes Jahr grinste er
sen gekloppt. Wie viel EnSechs Musen im Foltervarieté – Florentina Holzingers „Apollon“ beim Performing Arts Festival 2019. Foto Rado van Dranga
von dort oben herab, Symbol
tertainment steckt auch in der Kunst? Wie viel Skandal um des Skandals willen
einer geschichtsblinden Disney
in künstlerischer Avantgar-
sierung einstmals Vertriebener zu Zwecken des
München, wo sie zuvor das Tanz- und Theater-
de? Holzinger stellt diese Fragen äußerst bis-
Marketings. Für Gaillard hatte der Indianer je-
festival Rodeo kuratierte, den schmerzlichen
sig. Und doch wird man den Eindruck nicht
doch auch eine zweite Funktion. Als es der
Endpunkt dieser Entwicklung erlebt. In einem
los, dass auch „Apollon“ um ebendiese Skan-
einstigen Stahlstadt Cleveland ökonomisch
Positionspapier des Netzwerks freie Szene
dale buhlt.
schlechter ging, kehrten viele Nachfahren
München heißt es, Räume für Künstler seien
Für René Pollesch, an dessen Volks-
amerikanischer Ureinwohner zurück. „Der Neon-
„in einem gefährdenden Maße Mangelware ge-
bühne Florentina Holzinger ab 2021 arbeiten
Indianer“, sagte Gaillard damals der BZ,
worden“.
wird, ist diese Ambivalenz ständiges Thema:
„zeigt, dass Städte sich immer verändern.
Vor diesem Hintergrund ist es fast er-
Während der Künstler als Vorhut des Inves-
staunlich, dass sich nur drei Stadtspaziergän-
tors an der Problemkultur des Alltags mit
Die Initiative Haus der Statistik jeden-
ge sowie die Ausstellung „Stadt und Zukunft“
arbeitet, wächst der Anteil der aus der Stadt
falls ist derzeit einer der Gewinner des Wan-
mit urbanen Transformationsgeschichten aus-
Vertriebenen. Eine der hervorstechendsten
dels. Nach jahrelangem Ringen um die Immo-
einandersetzten. Auch das Rahmenprogramm
Produktionen des Festivals war daher das
bilie, die ursprünglich an einen Investor gehen
im Festivalzentrum kreiste, bis auf Informati-
Stück „Herztöne“ der Musiktheatergruppe
sollte, soll nun in Kooperation zwischen Initia-
onsangebote zum Haus der Statistik, vorrangig
Die Papillons, das im Pflegewohnheim „Am
tive, Stadtverwaltung und landeseigenen Woh-
um brancheninterne Themen. Darin ist das
Kreuzberg“ stattfand, einem jener Orte also,
nungsbaugesellschaften ein Areal für Kultur,
PAF zweifellos stark. Organisiert vom Landes-
an denen Ausgrenzung sichtbar wird. Ge-
Soziales, Bildung und integriertes Wohnen
verband freie darstellende Künste Berlin
meinsam mit an Demenz erkrankten Bewoh-
entstehen. Dass das diesjährige Performing
(LAFT), ist es weit über die Stadt hinaus
nerinnen und Bewohnern hatte Regisseurin
Arts Festival (PAF), Berlins größte Plattform
Schaufenster, Agent und Lobbyist freier Künst-
Christine Vogt einen Abend entwickelt, der
der freien Szene, an ebendiesem Ort sein Fes-
lerinnen und Künstler. Es lockt internationale
ein Leben nicht in Kapitalwerten misst, son-
tivalzentrum aufschlug, war insofern ein Coup.
Theatermacher nach Berlin wie auch theater-
dern ganz schlicht an den oftmals wenigen,
Spätestens seit René Polleschs „Stadt als
ferne Berliner ins Theater. Selbstkritisch wird
dafür umso eindringlicheren Erinnerungen,
Beute“, das bereits 2001 im Prater der Volks-
dabei immer wieder auch die Rolle von
die einem bis ins hohe Alter bleiben. Im
bühne über die aggressive Transformation Ber-
Kunst(festivals) an sich diskutiert, denn auch
„Technohouse“ am Alexanderplatz jedenfalls
lins in Technohouse-City nachdachte, ist das
sie geraten in die Fänge des Stadtmarketings.
soll auch Wohnraum für Senioren entstehen.
Thema Gentrifizierung auch im Theater viru-
Einen besonders scharfen Kommentar
Die Cleveland Indians haben sich 2018 von
lent. Sarah Israel, neue Leiterin des PAF, hat in
dazu leistete die Wiener Performerin Florentina
Nach dem Motto: Wer zuletzt lacht …“
ihrem Logo getrennt. //
Dorte Lena Eilers
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SPIELZEIT 2019/2020 Erwartungen
Fr, 13.09.2019, Studiobühne
DIE SPRACHE DES WASSERS
Schauspiel nach dem Roman von Sarah Crossan Regie: Esther Jurkiewicz
ng fführu Urau
Do, 03.10.2019, Studiobühne
IDENTITÄT EUROPA
Acht Monologe von acht Autor*innen aus acht Ländern
Eine Koproduktion mit dem TAK Liechtenstein und Les Théâtres de la Ville de Luxembourg · Regie: Katrin Hilbe, Rafael David Kohn
Fr, 04.10.2019, Großes Haus URFAUST Schauspiel von Johann Wolfgang Goethe
S C H A U S P I E L
Regie: Tobias Wellemeyer
Di, 29.10.2019, Studiobühne
WIR SIND AUCH NUR EIN VOLK
ng fführu Urau
FAMILIENFEST
nach Jurek Becker
Ein generationsübergreifendes Theaterprojekt
DIE BESSREN ZEITEN SAGEN GUTEN TAG
Sa, 09.11.2019, e-werk weimar
Prosa, Lyrik und Songs über die politische Wende 1989
RUMPELSTILZCHEN
nach den Gebrüdern Grimm
HONIG IM KOPF
Florian Battermann
DER BESUCH DER ALTEN DAME
Friedrich Dürrenmatt
AUF EIS
Petra Wüllenweber
DER ZERBROCHNE KRUG
Regie: projekt-il (Bianca Künzel, Alexander Steindorf)
BRÜDER UND SCHWESTERN
Schauspiel nach dem Roman von Birk Meinhardt Regie: Hasko Weber
ng fführu Urau
Sa, 16.11.2019, Studiobühne
OLDTIMER – ALS DER MAUERFALL, MEIN FORD FIESTA UND ICH 30 WURDE
Ein Theaterprojekt von Ulrike Günther und Isabel Tetzner Regie: Ulrike Günther
Sa, 30.11.2019, Großes Haus
A CHRISTMAS CAROL
Eine Weihnachtsgeschichte nach Charles Dickens Regie: Swaantje Lena Kleff
Heinrich von Kleist
Do, 23.01.2020, e-werk weimar
FRANKENSTEIN – DAS MONSTER IN UNS
Schauspiel von Ewald Palmetshofer nach Gerhart Hauptmann
nach Mary Shelley
ROCK OF AGES
Chris D’Arienzo
DIE KUH ROSMARIE
VOR SONNENAUFGANG
Regie: Stephan Rottkamp
Sa, 01.02.2020, Großes Haus ROMEO UND JULIA Tragödie von William Shakespeare Regie: Jan Neumann
Andri Beyeler
Di, 31.03.2020, e-werk weimar
HÖR ZU, MACH MIT! ¬ GESCHICHTEN VOM DACHS
Schauspiel von Ayad Akhtar / Schauspiel von Stefano Massini
Szenische Lesung
JUNK / 7 MINUTEN
Regie: Maria Viktoria Linke
Fr, 29.05.2020, Großes Haus DIE 10 GEBOTE Tanztheater Koproduktion des Schauspiels des DNT Weimar mit dem Ballett des Landestheaters Eisenach · Choreografie / Regie: Andris Plucis / Hasko Weber
Fr, 19.06.2020, am e-werk weimar
Komödie von William Shakespeare Regie: Christian Weise
Z E IT SP I E L 0 2 0 2019/2
www.theater-plauen-zwickau.de
www.nationaltheater-weimar.de
OPEN-AIR-SOMMERTHEATER WIE ES EUCH GEFÄLLT
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Die Kraft des Ensembles 40 Jahre Theater Waidspeicher Erfurt Meine erste Begegnung mit dem
samt Technik einbezogen und
Theater Waidspeicher in Erfurt fällt
überfordert – da war der Begriff
mit dem Beginn der Intendanz von
der Stückentwicklung noch gar
Peter Fischer Mitte der neunziger
nicht in der Welt. Die damals exis-
Jahre zusammen. Gegründet 1979,
tente und immer gut besuchte
residierte das Theater seit 1986
Raucherecke war eine Art Künstle-
am Domplatz und erfand sich – fast
risches Betriebsbüro, hier wurden
das komplette Ensemble war ans
Ideen formuliert, verteidigt, Zeich-
Puppentheater Halle gegangen –
nungen
gerade neu. Als Regieanfänger be-
Skizzen entstanden beim Reden.
trat ich mit einiger Aufregung über
Kreative Nichtraucher hatten es
den Bühneneingang das alte Fach-
schwer. Im Atelier wurden keine
werkhaus. Was hatte ich nicht alles
Aufträge abgegeben, sondern mit
über den Ort gehört, der aus der
Kathrin Sellin und Udo Schnee-
Sparte Puppentheater der Städti-
weiß (später ergänzt durch Martin
schen Bühnen Erfurt hervorgegan-
Gobsch) Vorschläge diskutiert. Die
gen war. Der „Waidspeicher“, wie
beiden saßen mit Selbstverständ-
er in der überschaubaren Szene des
lichkeit in den Proben und nah-
ostdeutschen Puppentheaters, die
men danach Änderungen an den
seit 1989 mit der so ganz anders
Puppen und Objekten vor. Figu-
gewachsenen westdeutschen frem-
rentheater lebt und arbeitet an der
delte, ehrfurchtsvoll genannt wurde.
Schnittstelle von Darstellung und
Dabei hätte ich eigentlich ent-
bildender Kunst, untersucht im
spannt sein können, war ich doch
Wortsinn Materialien. Wenn der
nur die Regiebegleitung der Ein-
Rahmen stimmt, vereinen sich
standsinszenierung eines neuen Spie-
Spiel und Materialerkundung in
lers; auf diesem lag die Aufmerk-
den Figuren und Spielern. Von
bei Brötchen, Bier und Hackepeter Gespräche. Das komplette Spieler
konzeptionelle
Letzteren gab (und gibt) es tolle
samkeit. Nach unserer – ebenfalls sehr aufgeregten – Premiere gab es
gezeigt,
Zeichenhaftigkeit trifft Modellhaftigkeit – in der Koproduktion „König Arthus“ von Theater Waidspeicher und Oper Erfurt (hier mit Kristine Stahl und Benno Schachtner). Foto Lutz Edelhoff
am Haus: neben Eva und Paul Schmidtchen (die nach ihrem Weggang vom Waidspeicher die Compagnie Les Voisins – Die
ensemble inklusive der Leitung war
Nachbarn gründeten) Anne und
da, die Puppenbauerin und der Puppenbauer, Beleuchter – ich lernte lauter
von Theater als Institution abgab, das gutes
Lars Frank, Frauke Jacobi, Nils Dreschke, Ro-
Menschen kennen, die allesamt mit Ernst
Theater schafft und möglich macht. Kreativer
nald Mernitz, Stefan Wey, Tomas Mielentz,
haftigkeit über unsere A rbeit, die Geschichte,
Glutkern des Hauses war das kleine Ensemble
Paul Günther, Martin Vogel, Atif Hussein als
den neuen Kollegen und ihr Haus sprachen.
der sieben bis acht Spielerinnen und Spieler.
häufiger Gast und viele andere mehr. Fast alle
Aus der Berliner Thea terszene mit ihrer Aus diesem kamen die Impulse, Vorschläge
kamen von der Hochschule „Ernst Busch“ in
Eitel- und auch Oberflächlichkeit kommend,
für Gastregisseure, für Stoffe und Texte. Eva
Berlin, vom Studiengang Puppenspielkunst;
begegnete ich staunend einer Art kollektiver
und Paul Schmidtchen überführten Illustratio
einige dort arbei tende Dozenten führten in
Anstrengung, einem Anspruch, einer Hal-
nen aus Kinderbüchern in Objekte und Bewe-
Erfurt Regie, wie Hartmut Lorenz und Hans-
tung: Wir kamen nicht irgendwo dazu – wir
gungen. So entstanden Inszenierungen wie
Jochen Menzel. Die alle zwei Jahre am Haus
waren wertschätzend unter Beobachtung ge-
„Die Menschenfresserin. Ein Märchen für
stattfindende Synergura wurde ein Ort des
nommen.
Mutige“ (1997), „Die Königin der Farben“
aktiven Austauschs, Kritikerrunden tagten öf-
Sicher neigt man mit zeitlichem Ab-
(2001) oder „Adieu, Benjamin“ (2002). Stü-
fentlich, Studierende zeigten Arbeiten, Preise
stand und vor Jubiläen zur Romantisierung.
cke, von den Machern in oftmals auch quälen-
wurden vergeben. Ein besonderes Anliegen
Aber es spricht einiges dafür, dass der Waid-
den Auseinandersetzungen miteinander sich
der Intendanz von Peter Fischer war die Wei-
speicher in diesen Jahren genau jenes Bild
selbst abgerungen, das hauseigene Atelier
terentwicklung des Theaters der Dinge – die
magazin
/ TdZ September 2019 /
GESCHICHTEN VOM HERRN H.
Regiewerkstatt wurde erfunden. Ab 1996 gab es einmal pro Spielzeit eine Woche des Experimentierens. Frei von Premierendruck ent-
Adornos Flaschenpost
standen Arbeiten des Ensembles mit Gästen: Experten aus Regie, Szenografie, Musik, inmitten einer diskursiven Atmosphäre. Mit dieser elaborierten Theaterarbeit
Der Philosoph Theodor W. Adorno hat seine
das beste Korrektiv eines Theaters, das
konnte oder wollte der neue Intendant Bernd
Theorie einmal als eine Flaschenpost be-
heute mit der Realität sich verwechselt, so
Weißig ab 2002 zunächst nicht viel anfan-
zeichnet. Unbeirrt von der Frage, zu wem er
wie die happenings, welche die Aktionisten
gen. Er setzte vielmehr auf den dramatischen
eigentlich spräche, hielt er daran fest, dass
zuweilen inszenieren, ästhetischen Schein
Text, versuchte Stücke von Albert Wendt,
ein Gedanke zuallererst seinem Objekt
und Realität verfransen. Wer hinter Brechts
Peter Hacks, Franz Kafka oder Günter Eich
verpflichtet sei – und erst in zweiter Linie
freiwilligem und gewagtem Geständnis
mit dem Puppenspiel zu konfrontieren, holte
einem imaginären oder realen Publikum.
nicht zurückbleiben möchte, dem ist die
folgerichtig einen Dramaturgen ans Haus –
Für „unbekannte Finder in ei-
meiste Praxis heute verdächtig
und entdeckte, wenn auch spät, doch die
ner
Zukunft“
als Mangel an Talent.“ Adorno
krea tive Kraft des Ensembles wieder. Nach
waren seine Überlegungen ge-
ahnte, dass es der Kunst nicht
ihm übernahm 2009 Sibylle Tröster und be-
dacht, sah Adorno doch seiner-
zugutekommen würde, wenn
gann ihre Arbeit am Waidspeicher, die bis
zeit kaum Adressaten seiner ra-
künftig nicht nur ihr Material,
heute anhält. Karoline Vogel und Heinrich
dikalen Gesellschaftskritik. Die
sondern auch ihr Maßstab der
Bennke kamen ans Haus. Die Außendarstel-
alte Linke war zerstört und ge-
Realität entspringen solle.
lung wurde farbiger, der Schriftzug schwung-
schlagen, die KPD verboten, die
Die Rettung des ästheti-
voller, und ein neues, durchaus interessantes
Nachkriegs-SPD sah er durch
schen Scheins hatte Adorno als
Experiment begann in der Zusammenarbeit
den Refor mismus des Godes-
das Zentrum seiner „Ästheti-
mit der Oper des Theaters Erfurt. Betrachtet
berger Programms zum Unter-
schen Theorie“ bezeichnet. Seine
man Oper hinsichtlich ihrer Setzung auf das
gang verdammt, und die neue Linke, die
Arbeit an diesem Werk konnte er nicht voll-
Artifizielle, ihrer Zeichenhaftigkeit und das
zuerst in Gestalt der Studentenbewegung
enden, es wurde 1970 aus dem Nachlass
Theater der Dinge in der ihm eigenen Modell-
auftrat, war ihm mit ihrer Fixierung auf
herausgegeben und ist zusammen mit
haftigkeit, wundert man sich fast ein wenig,
Symbolpolitik verdächtig. „Pseudoaktivität“
Georg Lukács’ 1963 erschienenem Werk
dass diese Kollaborationen so selten sind.
nannte er deren radikalen Gestus, der auf
„Die Eigenart des Ästhetischen“ wohl der
„König Arthus“ von John Dryden und Henry
wahrhaft eingreifende Praxis verzichtete,
letzte große Versuch der Moderne, die Kunst
Purcell in der Regie von Christian Georg Fuchs
aber auf der Oberfläche einen Strudel von
im Lichte der Philosophie Hegels zu durch-
war 2011 E rgebnis einer solchen Zusammen
Zeichen des radical chic erzeugte. Bei
dringen. Mimesis und Konstruktion, Wahr-
arbeit, weitere folgten. Große Bühne, große
Suhrkamp wurde nun der von Adorno 1967
heit und Schein, Natur und Geist, Kunst
Oper, aber auch die immanente Gefahr, das
an der Wiener Universität gehaltene Vortrag
und Gesellschaft bilden die Zentren seiner
Figurentheater zum Ornament verkommen zu
„Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“
Betrachtung. Dass die Kunst nicht nur ein
lassen, wenn die Puppenspieler allzu sehr mit
herausgegeben. Adorno fragte nach den Be-
Kommunikationssystem unter anderen sei,
der Erfüllung statt der Erfindung beschäftigt
dingungen des damaligen Erfolgs der NPD.
kein elaboriertes Mittel der Informations-
sind und die Kunstform in der liebevollen Um-
Und präsentierte eine radikale und kritische
übermittlung oder Belehrung, auch nicht
armung ein wenig unkenntlich wird. 2017 dann
Analyse der Gesellschaft.
nur eine profitable Wertanlage oder ein
unbestimmten
endlich die Einladung zum Festival Augenblick
Vor fünfzig Jahren, am 6. August
schlicht bedeutungsloses Vergnügen für die
mal!. Allerdings mit einer leisen, unaufgereg-
1969, ist Adorno gestorben. Wenige Tage
höheren und gebildeten Klassen, sondern
ten Arbeit zu einem harten Thema: „Als mein
später erschien in der ZEIT sein letzter Text
tatsächlich durch die eigene Form hindurch
Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen
„Marginalien zu Theorie und Praxis“, in
für einen möglichen besseren Zustand der
verlor“ von Joke van Leeuwen, Kathrin Blüchert
dem er seine Thesen über Pseudoaktivität
Gesellschaft einstehen könne, war seine
spielte, das Atelier hatte ausgestattet, Regie
präzisierte. Interessanterweise findet sich in
Überzeugung, die er in seiner „Ästhetischen
führte Hausdramaturgin Susanne Koschig – da
dem Text eine Anmerkung zu Bertolt Brecht,
Theorie“ dargelegt hat. Nach Jahren und
war sie wieder, die Kraft des Ensembles.
zu dem Adorno trotz zahlreicher Spuren in
Jahrzehnten der ermüdenden und leerlau-
Epilog, Sommer 2019. Nach der Der-
seinem Werk ein eher distanziertes, wenn
fenden Dekonstruktion aller Wahrheitsan-
nière eines fulminanten „King Lear“ in der
auch wertschätzendes Verhältnis pflegte.
sprüche der Kunst und dem gegenwärtigen
Regie von Frank Alexander Engel, der mit sei-
„Brecht, der der damaligen Lage gemäß
Erfolg rechter Machtpolitik wäre es an der
ner Ausstatterin Kerstin Schmidt schon ein
noch mit Politik zu tun hatte, nicht mit ihrem
Zeit, Adornos Theorie zu entkorken und zu
wenig zum Ensemble gehört, sitze ich mit
Surrogat, sagte einmal, dem Sinn nach, ihn
schauen, was sie fünfzig Jahre nach seinem
Studierenden der „Busch“ auf der Wiese hin-
interessiere, wenn er ganz ehrlich mit sich
Tod noch mitzuteilen weiß. //
ter dem Theater. Man trinkt und raucht und
sei, au fond das Theater mehr als die Verän-
redet, immer wieder fällt das Wort: Qualität. //
derung der Welt. Solches Bewusstsein wäre
Jörg Lehmann
Jakob Hayner
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Risse in der glänzenden Fassade Die Baden-Württembergischen Theatertage in Baden-Baden legen Konfliktpotenziale offen und hinterfragen dabei das Elitäre in der Kultur Konflikt zwischen Urbanität und roher Natur – „The Inhabitants“ des Dance Theatre Heidelberg. Foto Sebastian Bühler
Menschen baumeln im Park an der Lichtenta-
verwildert der Garten, weil sich kein Nachfol-
ler Allee in Baden-Baden an den Ästen eines
ger fand; auf dem Gelände mit Mammutbäu-
Baums. Angst und Leidenschaft sprechen aus
men plant die Stadt ein Wohngebiet. Von dort
den kraftvollen Bewegungen der Tänzerinnen
ging es zu einem Hoffest, bei dem die Bewoh-
und Tänzer des Dance Theatre Heidelberg. Der
ner der Mietshäusern, Spätaussiedler und Ge-
künstlerische Leiter Iván Pérez lotet mit „The
flüchtete, die Gäste mit Kochbananen und
Gefangenen ins Dorf stellt. Sensibel kitzelt
Inhabitants“ den Konflikt zwischen mondänem
Orangenwasser bewirteten. Gehören diese Orte
Regisseur Marcus Grube an der Württember-
Kurstadt-Flair und roher Natur aus.
und Kulturen mit zum Weltkulturerbe, für das
gischen Landesbühne Esslingen die dunkle
sich die Bäderstadt 2019 bei der UNESCO be-
Ironie in Storz’ Dialogen heraus. In Zeiten, da
wirbt? Uhls Tour erweitert den Blick.
Rassismus zum Alltag gehört, ist der Text
„Die Stadt als Theaterraum einbeziehen“ wollte Annelie Mattheis mit den BadenWürttembergischen Theatertagen. Das ist der
„Die große Bandbreite des Theaters in
aktueller denn je. 1989 hatte der damalige
Festivalleiterin in der Kurstadt geglückt, durch
Baden-Württemberg zeigen“ wollte Intendan-
Intendant Friedrich Schirmer schon der Ur-
die täglich Touristen und wohlhabende Gäste
tin Nicola May mit dem Festival, das zum 24.
aufführung in Esslingen den Weg geebnet;
flanieren. Das Tanzprojekt eroberte auch das
Mal eine Werkschau großer und kleiner Büh-
nun holt Grube den vielschichtigen Text über
weltbekannte Kunstmuseum Frieder Burda.
nen bot. Mit der Rap-Oper „Der Fluch der Tan-
Mitläufer, die Schuld auf sich laden, ganz
Dort bewegten sich die Performer im kaltblauen
taliden“ des Rap-Trios Dlé, inszeniert von
nah an heutige Zeiterfahrung heran.
Neonlicht der Ausstellung „Ensemble“, einer
Schauspieler und Regisseur Florian Hertweck,
Wie Rechtpopulismus die Gesellschaft
Kooperation des Kunstmuseums mit dem Pari-
wagte sich das Nationaltheater Mannheim an
durchdringt und Risse erzeugt, untersuchte der
ser Centre Pompidou. Die Zuschauerinnen und
die energetische Musik- und Körpersprache des
junge Schauspieler Viktor Rabl von der Akade-
Zuschauer standen allerdings draußen im Nie-
Hip-Hop. Das Ensemble rappt, erzählt im flap-
mie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg in
selregen. So spürten sie, was Ausgeschlossen-
sigen Sound der Straße von König Tantalos,
„Heimat von oben“. Sein Schocktheater ent-
sein aus der (Stadt-)Gesellschaft bedeutet.
den die Götter verfluchten. Er servierte beim
fachte Diskussionen. Inspiriert von Texten aus
Kritisch hinterfragte das zehntägige Festival mit
Mahl seinen jüngsten Sohn Pelops im Suppen-
Gert Jonkes „Geometrischer Heimatroman“,
dreißig Produktionen den elitären Kulturbegriff.
topf. Die Götter bemerkten das und erweckten
reflektierte Rabl in seiner Performance die ge-
Treffend war das Motto „#draußen“ ge-
den Jungen wieder zum Leben. Bildungsbür-
fährlichen Gedanken der Antidemokraten. Poli-
wählt. Kuratorin Annelie Mattheis und Nicola
gerlichen Ballast schüttelt das Ensemble bei
tisches Theater, das Diskurse der Gegenwart
May, Intendantin des Theaters Baden-Baden,
der Reise durch die Mythologie gekonnt ab.
aufgreift, prägt die Szene in Baden-Württem-
blickten hinter die Fassade der finanzkräftigen
Die nationalsozialistische Vergangen-
berg. Besonders bestach bei der Auswahl die
Kur- und Casinostadt. Ungewöhnliche Pers-
heit eines schwäbischen Dorfs nahm wieder-
Lust am ästhetischen Experiment und an Pro-
pektiven eröffnete das Stadt-Gesellschafts-
um der Autor Oliver Storz in „Die barmher
jekten, die eigene Erfahrungen spiegeln. Mit
Spiel „Welterben“, das Michael Uhl für das
zigen Leut’ von Martinsried“ unter die Lupe.
neuen Formaten erreichen die Künstlerinnen
Festival entwickelt hatte. Im Bus ging es in
Als „Heimatstück“ bezeichnete der 2011
und Künstler auch weniger theateraffine Publi-
den Stadtteil Oos zur Baumschule Eberts, die
verstorbene Künstler die Geschichte der Bür-
kumsschichten. //
weltbekannt war für ihre Bambus-Zucht. Nun
ger, denen die Wehrmacht Waggons mit
Elisabeth Maier
magazin
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Die Augen seien der Spiegel der Seele, sagt man. In den weit aufgerissenen Augen, die in den tiefen Höhlen im Kopf dieses Bregenzer Don Quijote sitzen, blitzt die ganze Tragik jenes verrückt abstrusen und zugleich faszinierenden Wesens der Weltliteratur durch: Sie sind wach und blicken doch vernebelt durch die Realität hindurch, sie sind gutmütig, tieftraurig und forsch zugleich. „Hast du immer noch
Sternstunden der traurigen Gestalten Ulrich Matthes und Wolfram Koch zaubern bei den Bregenzer Festspielen mit Regisseur Jan Bosse einen „Don Quijote“ aus der Kiste
der beiden Darsteller: Ulrich Matthes als Don Quijote und Wolfram Koch als Sancho Panza. Matthes wird als dürres Männchen mit Spitzbart, von
der
Kostümbildnerin
Kathrin Plath mit einem mit Blumen geschmückten Helm aus Alufolie und einem dünnen Kettenhemdchen über dem
weißen
Nachthemd
ausgestattet, zum Inbegriff dieser berühmten Figur, der
nicht begriffen, dass bei den
weit über ein klischeehaftes
fahrenden Rittern alles nach
Abbild hinausreicht. Dieser
Hirngespinst und Ungereimthei-
Don Quijote ist einer, der den
ten aussieht und wie umgestülpt
ihm von seinem Knappen
ist“, sagt er einmal zu seinem
verliehenen T itel des „Ritters
Knappen Sancho Panza. Ein
der traurigen Gestalt“ be-
Moment der Wachheit? Nur be-
geistert annimmt und mit
dingt, denn sogleich fällt der
Stolz trägt. Traurig ist er
Ritter wieder in seine Schein-
durch und durch in seiner
welt zurück: „Weil immerzu ein
weltfremden Versponnenheit.
Schwarm von Zauberern unter
Der Welt, die er sich erschafft
uns wandelt, die all die Dinge
und die sich stets gegen ihn
verzaubern und vertauschen,
wendet, kann man sich als
wie es ihnen beliebt …“
Zuschauer nicht entziehen.
Es sind Schlüsselsätze in
Ihm zur Seite steht ein
der Dramatisierung des berühm-
Sancho Panza, der äußerlich
ten
Abenteuer
dem etablierten Vorbild weit
schmökers durch Jakob Nolte,
weniger entspricht. Koch ist
die zugleich als Schlüssel zur
nicht klein und dick, sondern
Inszenierung von Jan Bosse die-
hochgewachsen, aber mit ei-
nen können. Natürlich darf der
nem wulstigen Kissenbauch
legendäre Kampf gegen die
bestückt, der sich in weit
monströsen
Windmühlen nicht fehlen und ist die hingebungsvolle Liebe zu Dulcinea Thema. Aber die Rie-
nach oben gezogenen hautFast ein Beckett-Paar – Ulrich Matthes und Wolfram Koch machen „Don Quijote“ zum Schauspieler-Ereignis. Foto Monika Forster
sen mit den weiten Flügeln und
engen Leggins unter einem roten
Blumenshirt
ausge-
sprochen unschön abzeich-
die Angebetete bekommen wir
net. Dieser Knappe ist unge-
nur in der mentalen Reflexion, gespiegelt in
verdrehten Existenzialismus des absurden
bildet, aber nicht dumm, er ist nicht feige,
den Augen des Ritters, mit.
Theaters. Tatsächlich beschleicht einen in
sondern hingebungsvoll. Und er erduldet die
Letztlich ist es ja auch unmöglich, die
den zweieinhalb Stunden hin und wieder das
Wahnwelt seines Herrn nicht einfach, er trägt
Geschichte von „Don Quijote“ nachzuerzählen,
Gefühl, sich einer Paarkonstellation von S amuel
sie letztlich mit, weil er weiß, dass sie aus
die eigentlich gar keine ist, sondern aus einer
Beckett gegenüberzusehen. Dafür spricht
einem guten Grundimpuls heraus entsteht.
schier endlosen Ansammlung von Geschich-
auch die Bühne (Stéphane Laimé), die die
Zusammen bilden sie ein Paar, das lie-
ten – die Hauptfigur spricht von „Aventüren“ –
ganze Welt in eine große Holzkiste packt, mit
bevoll und respektvoll miteinander umgeht,
besteht. Regisseur Jan Bosse konzentriert sich
der das fahrende Gespann durch eine nicht
bis dass der Tod des Ritters sie scheidet.
deshalb darauf, ein Psychogramm der Figuren
sichtbare, vielleicht auch gar nicht mehr exis-
Wenn der Wahn den Ritter zu Fall bringt, hilft
auszulegen, die zu Ikonen geworden sind, und
tierende Welt im Dauerdämmerungszustand
ihm der Knappe wieder hoch. Rührend ko-
uns Zuschauern Einblick in die b erührend tragi-
wandelt.
misch ist diese Konstellation oder komisch
komische Welt zu gewähren, die sich der Ritter und sein Knappe selber erschaffen.
Zum Theaterereignis wird der mit dem Deutschen
Theater
Berlin
koproduzierte
Bosse greift zu einer Mischung aus ar-
Abend aber letztlich durch die Persönlichkei-
mem Zaubertheater und dem ins Groteske
ten und die überwältigende Bühnenpräsenz
berührend. Oder noch besser gesagt: ganz einfach hinreißend. // Dominique Spirgi
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Zwischen Schlosskatze und Hofhühnern Das Schloss Bröllin in Vorpommern bietet Raum und Ruhe für künstlerische Forschung
Vorpommern tanzt an – Die audiovisuelle Tanzrecherche „Borderland“ der argentinischsüdkoreanischen Kompanie 12H Dance auf Schloss Bröllin. Foto Peter van Heesen
In dem reichlich zersiedelten Flächenland
durch die Treuhandanstalt nicht abbricht, weil
Mecklenburg-Vorpommern findet sich eine er-
ein eingetragener Verein unter dem Namen
staunliche Vielzahl von Theatern. Diese sind in
schloss bröllin 1992 angetreten ist, den Ort
jüngster Vergangenheit allesamt aus unerfreu-
für künstlerisches Arbeiten zu gewinnen. Erst
lichen Gründen in die Schlagzeilen geraten:
als Pächter, seit 2000 als Eigentümer wurde
Am Mecklenburgischen Staatstheater Schwe-
das Gehöft zu einem Produktions- und Veran-
rin hat der Generalintendant Lars Tietje nach
staltungsort zumeist darstellender Kunst um-
Be mühen darum, die unterschiedlichsten
zum Teil öffentlich ausgetragenen Macht-
gebaut, der von der Kulturstiftung des Bundes
Formen darstellender Kunst – sei es Zirkus,
kämpfen die Nichtverlängerung seines Ver-
ebenso gefördert wird wie von Land und Kom-
Figurentheater, Tanz, Performance oder Sprech
trags bekannt gegeben. Das Volkstheater Ros-
mune. Umfassende Renovierungsarbeiten er-
theater – in gleicher Weise zu berücksich
tock war zuvor zur Spielwiese für spätpubertäre
möglichen es jetzt, drei Studiobühnen zu be-
tigen. In diesem Jahr wurden zahlreiche
Rangeleien in der kommunalen Politik gewor-
spielen, und bieten auch gleich mehreren
Tanzprojekte gefördert, etwa die nieder
den – mit dem Ergebnis, dass der engagierte
Produktionsteams Platz für Übernachtungen.
ländisch-österreichischen Andrea Hackl Pro-
Intendant Sewan Latchinian zum Aufgeben
Und so ergibt sich in der vermeintlichen Peri-
jects oder die südkoreanisch-argentinische
gezwungen wurde und der Ruf des Hauses nun
pherie heute ein mehr als lebhaftes Treiben:
Tanzkompanie 12H Dance, aber beispiels
dahin ist. Die drei Bühnen des Theaters Vor-
Während in einem Teil des ehemaligen Korn-
weise auch das Berliner Musiktheaterkollektiv
pommern sowie jene in Neubrandenburg und
speichers Zirkusakrobaten ihr Flugtrapez er-
glanz&krawall.
Neustrelitz können sich ihrer Existenz immer
proben, wird im anderen Teil für die Residen-
Für bis zu drei Wochen finden Künstler
nur bis zum nächsten politischen Sparpro-
ten, Mitarbeiter und Gäste gekocht; im
hier zwischen Februar und September einen
gramm sicher sein. Eine Fusion über geografi-
vormaligen Bullenstall werden Performances
Ort, der sich fast noch im Berliner Umland
sche Distanzen, die Theaterarbeit unmöglich
präsentiert und diskutiert, Ausstellungen ge-
befindet und doch ausreichend Ruhe und
macht, konnte nur mühevoll abgewendet wer-
zeigt; zwischen Schlosskatze und Hofhühnern
Abgeschiedenheit bietet, um zu arbeiten. Da-
den. Künstlerisches Arbeiten findet hier stets
führt der Weg in die alte Brennerei, wo auch
rüber hinaus beinhaltet das Programm die
nur der finanziellen Situation zum Trotz statt.
heute Bier gereicht wird.
Möglichkeit zu einem (genreübergreifenden)
Die erzählenswerte Geschichte des Theaters
Seit 2018 verantwortet Martin Stiefer-
künstlerischen Austausch, Workshops und re-
Anklam endet – so ist zumindest der Kenntnis-
mann, langjähriges Vereinsmitglied, das Resi-
gelmäßigen öffentlichen Präsentationen der
stand des Autors – jäh im Jahr 1985.
denzprogramm und das Projekt „Vorpommern
Arbeitsergebnisse, zu denen sich ebenso ein
Umso erstaunlicher, dass sich nahe der
tanzt an / movin’ bröllin“, das mit der Tanz-
regionales Publikum aufmacht wie Besucher
Kleinstadt Pasewalk in der vorpommersch-
sparte des Theaters Vorpommern kooperiert
etwa aus Berlin, mitunter auch Polen. Die
brandenburgisch-polnischen Grenzregion mit
und so unmittelbar als Impulsgeber in die
vielbeschworene Aufhebung der Unterschei-
dem Schloss Bröllin ein kulturelles Zentrum
nordöstliche Theaterlandschaft wirkt. Stiefer-
dung zwischen sogenannter Kleinkunst und
für die Umgebung und durch dessen Resi-
mann ist Leiter der freien Gruppe MS Schritt-
unterhaltsamen Formen auf der einen Seite
denzprogramm auch ein Anlaufpunkt für (in-
macher und als Choreograf und Regisseur ein
und anspruchsvoller Kunst mit bildungsbür-
ternationale) Künstler herausgebildet hat. Was
Grenzgänger zwischen Stadttheater und freier
gerlicher Rezeptionstradition auf der anderen
hier als Schloss bezeichnet wird, ist eigentlich
Szene, zwischen Tanz und Performance. Ab
Seite, die es als Phrase denkbar weit gebracht
ein mittelalterlicher Gutshof mit wechselhafter
lesen lässt sich das auch an der Vergabe der
hat, scheint hier jedenfalls ganz mühelos rea-
Geschichte, die nur deshalb mit der Übernahme
Stipendien: Es gibt ein offensichtliches
lisiert zu sein. //
Erik Zielke
magazin
/ TdZ September 2019 /
Dreiländereck als europäische Bühne Das trinationale J-O-Ś-Festival am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau erweitert seinen Radius
Die achte Ausgabe des trinationalen Theater-
des Zittauer Writer-in-Residence-Programms
Produktion „Eine Enthandung in Spokane“
festivals J-O-Ś am Gerhart-Hauptmann-Thea-
entstandene Stück von Sascha Hargersheimer
des irischen Autors und Filmregisseurs Martin
ter Görlitz-Zittau im östlichen Dreiländereck
„Der Kommissar verschwindet“ wurde nicht
McDonagh in Sachen Humor in nichts nach.
stand unter besonderen Vorzeichen: Es ende-
wie geplant fertig – und so das Dreiländereck
Regisseur Jiří Š. Hájek schert sich nicht um
te nach fünf prallen Tagen mit elf Vorstellun-
zum Bermuda-Dreieck für eine ambitionierte
politische Korrektheit, sondern reizt den Text
gen am 26. Mai, dem EU- und Kommunal-
Kooperationsidee. Denn für ihren im Geiste
in Lakonie und schäbiger Optik im Sinne des
wahltag. Die langjährige Kooperation der drei
von Tinder aktualisierten Schnitzler als Ersatz-
Autors aus, scheut weder Blackfacing noch
ausrichtenden Bühnen – neben dem Gerhart-
Inszenierung konnte Szalma dann gerade noch
eine behände Händeflut.
Hauptmann-Theater das Teatr im. Cypriana
zwei Schauspieler aus Liberec gewinnen.
Darüber hinaus lud das Festival Gast-
Kamila Norwida im polnischen Jelenia Góra
Den zweiten Zittauer Baustein insze-
spiele aus anderen Ländern beziehungsweise
und das Divadlo F. X. Šaldy im tschechischen
nierte mit Stephan Bestier ein Regietalent
Theatern ein: wie schon im Vorjahr das slo-
Liberec – wurde 2011 etabliert. Seit 2016
aus dem eigenen Haus. Seine Uraufführung
wenische Nationaltheater aus Nova Gorica,
durch den Europäischen Fonds für regionale
von „The Walking Z“ kam hier bereits im März
ebenso Bewerberstadt für 2025, mit Jean
Entwicklung gefördert, ignoriert sie erfolg-
heraus, ein Text des derzeit als Jugendautor
Cocteaus „Die menschliche Stimme“ in der
reich das gestörte Verhältnis zu den östlichen
reüssierenden Daniel Ratthei, der akute Pro
Regie von Ajda Valcl. Mit „Malamore“ von
EU-Nachbarn auf der politischen Bühne. Zu-
bleme der Jetzt-, Netz- und Drogenzeit auf-
Andrea Brunetti war erstmals das italieni-
dem stand das Festival ganz im Bann einer
greift, indem er Zittau einer Zombie-Apoka-
sche Teatro Libero Milano eingeladen. Brunetti
Bürgerbefragung zur Zittauer Bewerbung als
lypse aussetzt: kurz, knackig, pointiert.
inszeniert eine alte Ehe mit wenigen Mitteln,
Kulturhauptstadt Europas 2025. Eine Drei-
Daneben bildeten zwei weitere J-O-Ś-
aber großer Präzision in der tragenden Meta-
viertelmehrheit stimmte mit Ja. Auch die
Produktionen die Festivalbasis. Der polnische
pher: Zwischen Hofnärrin und König tragen
Zittauer Schauspielintendantin Dorotty Szalma
Regisseur Grzegorz Stosz inszenierte Sławomir
die Schauspieler im steten Rollentausch
dürfte sich über das Ergebnis gefreut haben,
Mrożeks „Auf hoher See“: Drei schiffbrüchige
teils komische, oft traurige Machtspielchen
sie saß fünf Jahre für die Wählervereinigung
Politiker sind am Verhungern – so steht eine
aus. Außerdem gastierten drei weitere polni-
„Zittau kann mehr“ im Stadtrat.
freie, geheime und gleiche Wahl über den
sche Bühnen: das Lubuski Teatr aus Zielona
Mit ihrer Inszenierung „Reigen. Zehn
Verzehr eines von ihnen an, damit zwei über-
Góra, das Zdrojowy Teatr Animacji und das
Chats nach Arthur Schnitzler“ lieferte Szalma
leben können. Eine Farce der Demokratie, für
Psychoteatr Wrocław.
auch den Zittauer Festivalbeitrag. Eigentlich
die der Prager Bühnenbildner David Marek
Die neunte Festivaledition 2020 wird
hatten die Partnertheater eine dreisprachige
ein beim Schwanken laut knarzendes Floß
in komprimierter Form geplant, denn die EU-
per Internet zusammengeschaltete Dreifach-
mit Segelmast schuf. Zusammen mit den
Förderung läuft aus. Weniger Europa? Andrea
Uraufführung geplant. Doch das im Rahmen
deutschen Schauspielern eine personell ge-
Brunetti wird demnächst in Zittau inszenie-
nuin trinationale Produktion.
ren. Auch in Sachen Neubesetzung von Gene-
Digital aktualisiert – David Thomas Pawlak in „Reigen“ beim J-O-Ś am Zittauer Gerhart-Hauptmann-Theater, in der Regie von Schauspielintendantin Dorotty Szalma. Foto Nikolai Schmidt
Das Theater aus Jelenia Góra, das vor
ralintendanz und Geschäftsführung steht
der Schnitzler-Koproduktion komplett geknif-
dem Gerhart-Hauptmann-Theater eine wich
fen hatte, kam schließlich mit Joe Ortons
tige Spielzeit bevor. //
schwarzer Komödie „Was der Butler sah“ in der Regie von Marek Siudym zum Festival. Die Kollegen aus Liberec standen mit ihrer
Andreas Herrmann
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Die
/ TdZ September 2019 /
Veranstaltungen
zum
200-jährigen Jubiläum Theodor Fontanes bilden im Land Brandenburg den Schwerpunkt
im
Kultur kalender
2019. Der Landesverband Ost des Deutschen Bühnenvereins hat zu diesem Anlass eigens ein Budget ein-
Fontane mehrgleisig
sein Werk unbedingt volksnah lebendig halten will, und sei es um den Preis des
Die neue Bühne Senftenberg springt mit ihrem Theaterspektakel auf den Fontane-Jubiläums-Zug auf
literarischen
Kaba-
retts. Dagegen nimmt sich die
freie
Theatergruppe
Das letzte Kleinod mit „Souvenir 1870“ eine we-
gestellt und Fontane zum
niger bekannte Episode
Gegenstand seiner 11. Thea
aus dem Leben Fontanes
tertage gemacht, die nun
auf
mit dem jährlichen Spielzeit-
Weise vor. 1870 wurde
auftakt-Spektakel der neuen
der Kriegsberichterstatter
Bühne Senftenberg unter
im deutsch-französischen
dem Titel „Fontane am Zug“
Krieg
mit einem Inszenierungs-
verdacht verhaftet und auf
doppel eröffnet wurden.
die Atlantik-Insel Oléron in
sehr
ambitionierte
unter
Spionage
Der dafür gewählte
Gefangenschaft gebracht.
Ort ist spektakulär: das
Der machte daraus ein
weiträumige Gelände des
Buch mit Betrach tungen
Senftenberger
Güterbahn-
über seine nicht unkom-
hofs hinter dem in typische
fortablen Haftbedingungen
Nachwende-Verrottung ge-
und den Alltag der dor
fallenen Bahnhofsgebäude.
tigen Austernfischer. Re
Der
des
gisseur Jens-Erwin Siems-
Theaterprojekts erklärt sich
sen suchte nach Spuren
durch den Spektakel-Part-
im heutigen Oléron, fand
ner Das letzte Kleinod und
dort noch lebendige Erin-
dessen für das Schienen-
nerungen an die deutsche
Gleisanschluss
Besatzung
netz zugelassenen Theaterzug, der unter der Leitung von Jens-Erwin Siemssen seit einigen Jahren von sich reden
Theatraler Frühschoppen mit Fontane-Figuren – Mitropa-Szene in „Theodor und wie er sich in die Welt schrieb“ von Tilo Esche und Katja Stoppa beim Theaterspektakel auf dem Güterbahnhof. Foto Steffen Rasche
im
Zweiten
Weltkrieg und entwickelte eine Art Dreisprung, der über zwei historische Zeit ebenen zur EU-Skepsis und
macht.
Anti-Macron-Stimmung der
In diesem stimmungsvollen Bahnambiente war es geradezu nahe-
wickelt. In einer Art Tunnel zwischen Leben
heutigen Austernfischer führt. Gespielt wird
liegend,
Inszenierung
und Tod begegnet Fontane (Roland Kurzweg)
das von einem eigens dafür aus sieben Schau-
„Theodor und wie er sich in die Welt schrieb“
seinem Kollegen Theodor Storm (Dimitrij
spielern zusammengestellten Ensemble, in
von Katja Stoppa und Tilo Esche als Parcours
Breuer), biografisch begründet und zugleich
dem Richard Gonlag als Fontane-Erzähler das
anzulegen und Fahrkarten für das Anfahren
an die häufige Verwechslung der beiden an
Zentrum bildet, während vor dem Stahlmons-
von Stationen auszugeben. Fontane war ja
gelehnt. In der ehemaligen Mitropa trinken
ter
nicht nur Wanderer, sondern auch Zugfan. In-
sich mehrere Fontane-Figuren, darunter der
wagens mit echten Austernkörben und einem
haltlich bezog man sich vor allem auf den
Senftenberger Veteran Heinz Klevenow als
zerlegbaren Karren physisches Spielmaterial
populären Fontane und alles, was durch-
Dubslav von Stechlin, in einer Art Frühschop-
immer wieder zu Bildern gefügt wird. Wegen
schnittliche „Effi Briest“-Leser mal in der
pen an ihre Geschichten heran beziehungs-
der nicht immer klar motivierten Sprünge
Schule lernten. So läuft auch eine schmissige
weise von ihnen weg. Nebenan hat der
zwischen den Zeitebenen entsteht eine ge-
Parodie-Ver sion des Romans über Freiluft
Bühnenbildner
einen
wisse Zähigkeit, und die Hauptfigur, obwohl
theaterbretter, die Kaiser Wilhelm I. (Jan
Traumraum mit Strandsand und Klavier ge-
stets am Zug, bleibt auf der Strecke. Dort
Mixsa) gleichsam zur Zensurkontrolle und
staltet, wo die altersmilde Emilie Fontane
die etwas zu lässige Haltung des populären
dem Publikum als Gaudi vorgespielt wird.
(Nicole Haase) zwei von Fontanes aufbegeh-
Zugriffs, hier die zu ernste Ambition, große
Diese „Effi“ ist Teil eines biografischen
renden Roman-Frauen begegnet. Diese drei
Muster in den deutsch-französischen Bezie-
Fontane-Schnelldurchlaufs, hat den für diese
Dramolette hat Gesamtregisseur Tilo Esche
hungen jenseits von Fontane zu finden – das
Art Volkstheater nötigen Witz.
mit eher leisen Tönen angelegt, aber nicht
ist ein allzu weites Feld auf den Senftenber-
Wesentlich behutsamer werden die
ohne den Humor dafür zu verlieren, eher mit
ger Gleisen. //
Themen in drei Räumen des Bahnhofs ent
dem Gestus, dass man diesen Jubilar und
die
Senftenberger
Andreas
Walkows
eines
doppel stöckigen
Autoreisezug
Thomas Irmer
/ TdZ September 2019 /
Das neue
/ 107 /
Rockmusical an den
Uckermärkischen Bühnen Schwedt
Till Ulenspiegel Eine Liebe für Flandern
PREMIERE
5. Oktober 2019, 19:30 Uhr, Großer Saal Weitere Vorstellungen 18./19. Oktober 2019, 19:30 Uhr; 1./2./22./23. November 2019, 19:30 Uhr; 3. November 2019, 15:00 Uhr; 21. Dezember 2019, 19:30 Uhr; 22. Dezember 2019, 15:00 Uhr; 31. Dezember 2019, 17:00 Uhr; 6./7. März 2020, 19:30 Uhr; 8. März 2020, 15:00 Uhr
Infos und Ticketservice Uckermärkische Bühnen Schwedt Tel. 03332 – 538 111 E-Mail: kasse@theater-schwedt.de www.theater-schwedt.de
/ 108 /
magazin
/ TdZ September 2019 /
Talentproben
Zwei schwerstarbeitende Künstlerkörper im Schweiße ihrer Bewegungen.
Dazu
hüpfen
Tropfgeräusche aus Eimern, schwellen an zu Großstadtlärm. In dessen Rhythmus kompiliert Tänzer und Choreograf Hamdi Lakhdher den Bewegungskanon von Bauarbeitern
Allerdings nicht in ausgewachsenen Inszenierungen. Vielmehr
Das International Performing Arts Festival Outnow! in Bremen – eine virile Plattform für den Nachwuchs
sind
Showcases
als
Talentproben zu er leben. So versucht Julia B. Laperrière mit umgeschnalltem Plastikpenis maskulin zu gehen, präsentiert so den Geschlechtsals
Gewaltakt.
Regisseurin
und häuslichen Tätigkeiten,
Jacqueline Reddington isoliert
addiert Breakdance-Akrobatik,
einen jungen Nerd in einem
zitiert feierabendliche Männer-
Bühnenbildhaus, wo er sich
rituale. Hetzt mit einem weite-
derart in die digitale Welt ver-
ren Tänzer selbstbehauptungs-
strickt, dass ihn die Aussicht
willig hin und her zwischen all
auf ein analoges Date mit
den Anforderungen. Beide pen-
einer Frau panisch macht.
deln sich dabei lustvoll er-
Fingerübungen sind das, die
schöpfend auf die Schwingun-
nicht vollends zünden, da ein
gen des quer über die Bühne
wirklich
schlenkernden Lautsprechers
dramaturgische Raffinesse und
ein, aus dem Partymusik dröhnt,
manchmal auch darstellerische
und überführen ihre sportive
Präsenz fehlen.
origineller
Ansatz,
Die liefert Franz-Xaver
Mobilität in Ausdrucksformen des zeitgenössischen Tanzes.
Franz, zu er leben als Ich-
Für den sie in der Heimat
Darsteller und Rainer-Werner-
Tunesien kaum Zeit haben, da
Fassbinder-Arschloch in „Leck
ihr Auskommen auf Großbau-
mir die Wunden“ (Regie Meera
stellen verdient werden muss.
Theunert) im Theater Bremen.
Eine Szenencollage des All-
Aus der Analyse gesellschaft
tags – als beeindruckend ele-
licher Gewalt und Legitima tionsversuchen gewalttätigen
gante Choreografie: „I Listen, (You) See“. So eröffnet das Festival Outnow! im Theater
Zwischen Breakdance und Männerritual – „I Listen, (You) See“ von Hamdi Lakhdher. Foto Ahmed Bousnina
Widerstands generiert er ein fulminantes K abarettsolo, das
Bremen. Und schickt das Pub-
mit zeitgenössischen Diskur-
likum anschließend auf eine
sen und Verweisen auf Fass-
Reise: beschenkt mit Grün-
binders Werk spielt. Franz tri-
zeug, versorgt mit Bier und Schrumpelmöh-
Kollektiv Henrike Iglesias im regulären Spiel-
umphiert als Vollblutperformer.
ren, 2,5 Kilometer zur nächsten Aufführung.
plan der Schwankhalle wieder, das Theater
Genauso in der Schwank halle Karolin
Eine Prozession durch Ufer-, Park- und Stadt-
Bremen engagierte Leonie Böhm für drei In-
Poska in „Thank You. You’re Welcome. Thank
landschaft, nur gestört durch kauzköpfig in-
szenierungen.
You. You’re Welcome. Thank You“: Sie be-
tervenierende Installationen, die Studierende
Sechzig Künstlerinnen und Künstler
ginnt mit dem Ende, bedankt sich verbeu-
des Fachbereichs „Temporäre Bauten“ an der
wurden dieses Jahr für vier Tage eingeladen,
gend beim Team hinter den Kulissen, das
Hochschule für Künste Bremen unter dem
zu performen, anderen zuzusehen, sich in
Publikum klatscht verlegen. Mit gespielter
Titel „Zwischenräume“ bespielen – leider
Feedbackrunden mit Kollegen, Dramaturgen
Unsicherheit führt die estnische Tänzerin
ohne Überzeugungskraft.
oder Kulturproduzenten auszutauschen und
daraufhin selbst die Hände rhythmisch ge
Auch das Theater Bremen und die
von Festivalbloggern und -radiomachern pro-
geneinander und steigert sich im Dialog mit
Schwankhalle eliminieren institutionelle und
moten zu lassen. Auch Workshops zur Selbst-
den Besuchern in einen mit Tanz und Gesang
räumliche Grenzen. Der Platzhirsch beim Su-
vermarktung sind im Angebot. Outnow! ist
verzierten Applaus-Rausch. B adet in dieser
chen und Finden neuer Musik-, Sprech- und
aber nicht nur viril-kuscheliges Künstler-,
Musik, der gefühlten Anerkennung als Künst-
Tanztheaterästhetiken und die Gastspielstätte
sondern auch nachgefragtes Publikumsfesti-
lerin. Hochkomisch ihr Kampf, den fragilen
der performativen Künste richten zusammen
val. Ist der Spielplan doch reizvoll bestückt
Moment zu verewigen, bis die Zuschauer
das internationale Festival für Kreative, die
mit Beispielen, wie derzeit im Graubereich
kaum anders können, als über ihre Klatsch-
am Anfang ihrer künstlerischen Karriere ste-
zwischen Schauspiel, Tanz und Performance
konvention zu reflektieren. Ein hinterrücks
hen, aus und teilen sich den 60 000-Euro-
gewerkelt wird. Dabei punkten klug gesetzte
schlauer wie vordergründig charmanter Höhe-
Etat. Mit Erfolg. Jahre nach ihrem Outnow!-
Sujets mit wohlfeiler Aktualität, wobei das
punkt der vielen sinnkräftigen Outnow!-Mini-
Debüt finden sich etwa Oliver Zahn und das
Theatermachen gleich mit thematisiert wird.
aturen. //
Jens Fischer
/ TdZ September 2019 /
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SPI E LZ E I T
2019/20
PREMIEREN NASS → UA
Ein performatives Stück mit Musik | R: Manuel Moser ab 2 Jahren | 29.9.2019
FRERK, DU ZWERG!
von Finn-Ole Heinrich | R: Swaantje Lena Kleff | ab 8 Jahren | 6.10.2019
DER SATANARCHÄOLÜGENIALKOHÖLLISCHE WUNSCHPUNSCH von Michael Ende | R: Frank Röpke | ab 6 Jahren | 24.11.2019
KRIEG. STELL DIR VOR, ER WÄRE HIER
von Janne Teller | R: Sergej Gößner | ab 12 Jahren | 25.1.2020
DIE GROSSE WÖRTERFABRIK
von Martin Zels | R: Juana Inés Cano Restrepo | ab 5 Jahren | 26.1.2020
EFFI BRIEST
nach Theodor Fontane | R: Gregor Tureček | ab 14 Jahren | 6.3.2020
LEBEN OHNE CHRIS
TheaterJugendOrchester-Projekt | von Wolfgang Böhmer (Musik) & Peter Lund (Text) | R: Miriam Michel | ab 14 Jahren | 19.4.2020
DAS VERRÜCKTE WOHNZIMMER
von Vincent Lagasse | R: Frank Röpke | ab 4 Jahren | 3.5.2020
WIEDERAUFNAHMEN TEUFELS KÜCHE
von Moritz Eggert | R: Frank Röpke | ab 5 Jahren | 8.9.2019
EIN KÖNIG ZU VIEL
von Gertrud Pigor | R: Frank Röpke | ab 4 Jahren | 6.10.2019
CO-STARRING
von Theo Fransz | R: Sylvia Sobottka | ab 12 Jahren | Nov 2019
FR 20.09.
Vanessa Zheng & CicE Lin aka Venus & Athena (Shanghai) DJ-Act / Party / Performance Europa Premiere
SA 21.09.
YANG, Zhen (Peking) DESTINATION Tanz Weltpremiere
SO 22.09.
YANG, Zhen (Peking) DESTINATION Tanz
FR 27.09.
Xiao Ke x Zi Han (Shanghai) CHINAME Performance + Lecture Deutschland Premiere
CHINESE REFLECTIONS 2019
SA 28.9.
Xiao Ke x Zi Han (Shanghai) CHINAME Performance + Lecture
FR 04.10.
LIAN & LEI (Peking) I DIDN’T SAY ANYTHING Tanz Deutschland Premiere
SA 05.10.
LIAN & LEI (Peking)
I DIDN’T SAY ANYTHING Tanz
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/ 110 /
magazin
/ TdZ September 2019 /
Neugieriger Beobachter und Begleiter Zum Tod des Theaterleiters und Festivalkurators Bernd Mand Die junge Theaterszene sei ständig in Bewe-
heim, er war engagierter Kurator und Juror in
gung, hat er im Vorwort zu dem von uns beiden
der europäischen Kinder- und Jugendtheater-
herausgegebenen Buch „Schöne Aussicht. Kin-
landschaft und bei Festivals beliebter „Im-
der- und Jugendtheater in Baden-Württemberg“
pulsgeber“, wie die ASSITEJ-Vorsitzende
(Theater der Zeit, Berlin 2012) geschrieben.
Brigitte Dethier auf der Facebook-Seite ihres
„… und das nicht zuletzt, weil hier Menschen
Jungen Ensembles Stuttgart postete.
zugange sind, die genau wissen, warum sie
In seinem Beitrag in „Schöne Aus-
Theater für ein wachsendes Publikum ma
sicht“ zum Phänomen Weihnachtsmärchen
chen.“ Bernd Mand hat diese Kunstsparte
hinterlässt er ein Credo zu den darstellenden
neugierig beobachtet und kritisch begleitet, vor
Künsten für Kinder und Jugendliche: „Was
allem hat er sie zu schätzen gewusst, weil
Bernd Mand (1978 – 2019).
den Theatern fehlt, ist das Selbstbewusst-
sie nicht nur zu unterhalten wisse, sondern
Foto Katrin Schander
sein, sich gegen die wirtschaftlichen und po-
sich auch aktiv in gesellschaftliche Zusam
litischen Forderungen aufzulehnen und den
menhänge einmische. In der Nacht auf den
für dessen Feuilleton er ebenso tätig war wie
Lehrern und Eltern deutlich zu machen, dass
9. Juli ist der studierte Kunsthistoriker im Alter
für das Onlineportal nachtkritik.de, die Zeit-
man die jungen Zuschauer auch aus den für-
von 41 Jahren an Herz-Kreislauf-Versagen
schrift Theater der Zeit oder das ASSITEJ-
sorglichsten Gründen nicht schnöde unter-
gestorben.
Magazin IXYPSILONZETT, er habe das Kul-
schätzen und sie wiederum aus Traditions-
turleben der Region geprägt.
gründen nicht mit dramatischem Fast Food
Baden-Württemberg nahm Abschied: Bernd Mand war eine „Institution der freien
Zusammen mit Inka Neubert leitete er
abspeisen darf.“ Schon allein wegen dieser
Rhein-Neckar-
zuletzt das Theaterhaus G7, eine Spielstätte
Worte wird er fehlen, der kundige und kluge
Zeitung, der Mannheimer Morgen bekundete,
für die professionelle freie Szene in Mann-
Bernd Mand. //
Szene“,
formulierte
die
Wolfgang Schneider
Bursche von unendlichem Humor Der Dramatiker, Hörspielautor, Übersetzer und Essayist Joachim Knauth ist tot Geboren 1931 in Halle, dort aufgewachsen
in seinem ersten Stück „Heinrich der Achte
und der Saalestadt zeitlebens eng verbunden,
oder Der Ketzerkönig“ – und seine letzte Dra-
studierte Joachim Knauth Germanistik und
matisierung „Die Mainzer Freiheit“ weisen oft
Literaturwissenschaft in Leipzig, unter ande-
komisch-satirische Momente auf. Knauth
rem bei Hans Mayer und Ernst Bloch. Schon
schrieb zudem auch zahlreiche theatertheore-
während des Studiums verfasste er sein
tische Essays, unter anderem für Theater der
erstes Theaterstück. Zunächst am Theater in
Zeit. Bei persönlichen Begegnungen konnte
Meißen, arbeitete Knauth von 1958 bis 1962
man Joachim Knauth als glänzende Gesell-
unter Intendant Wolfgang Langhoff als Dra-
schaft erleben. Er war, was Hamlet über den
maturg am Deutschen Theater Berlin. Bedeut-
Hofnarren Yorick sagt, „ein Bursche von un-
sam dort seine Mitarbeit an der legendären Langhoff-Inszenierung von Lessings „Minna
endlichem Humor“. Unvergessen im privaten Joachim Knauth (1931 – 2019). Foto privat
von Barnhelm“ 1960. Ab 1962 war Joachim
Freundeskreis die Feiern zum 1. Mai (speziell nach der Wende) mit DDR-Fähnchen und
Knauth als freiberuflicher Autor tätig. Ich
Arbeiterkampfliedern. Und dennoch besaß
lernte ihn Anfang der siebziger Jahre kennen,
scheinbar märchenhaften Welt, die aber nicht
Knauth nicht nur eine spöttisch-satirische
und bald verband uns eine bis zu seinem Tod
nur poetisch, komisch und frech anmutet,
Begabung. Er war vor allem ein politisch
währende Freundschaft. Ich durfte über einige
sondern voller Anspielungen auf die uns um-
engagierter Mensch. Er hoffte auf eine zwar
seiner Werke als Kritikerin berichten und lieb-
gebende DDR-Realität steckt(e). Auch Bear-
widerspruchsreiche, dennoch aber sozial en-
te besonders seine Märchenstücke wie den
beitungen antiker Stücke wie „Der Maulheld“
gagierte Gesellschaftsordnung, die jedem In-
„Prinz von Portugal“ und „Wie der König zum
oder „Die Weibervolksversammlung“, die Be-
dividuum sein Lebensrecht zugesteht. //
Mond wollte“. Es sind listige Deutungen einer
schäftigung mit historischen Stoffen – schon
Ingeborg Pietzsch
/ TdZ September 2019 /
SPIELZEIT 2019/20 31.08.19 The Black Rider: The Casting of the Magic Bullets von Tom Waits 14.09.19 Wer hat Angst vor Virginia Woolf? von Edward Albee 15.09.19 Mondsüchtig Liederabend URAUFFÜHRUNG 30.10.19 Die Bremer Stadtmusikanten von Philipp Löhle, nach dem Märchen der Gebrüder Grimm URAUFFÜHRUNG / ab 6 Jahren 08.11.19 Zu dir kommt alles Fleisch Stückentwicklung von Fanny Brunner URAUFFÜHRUNG 16.11.19 Jugend ohne Gott von Ödön von Horváth 18.01.20 Die Farbe des Morgens an der Front von Mustafa Can DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG 25.01.20 Der Parasit oder Die Kunst sein Glück zu machen von Friedrich Schiller 20.03.20 Furor von Lutz Hübner und Sarah Nemitz 28.03.20 Was ihr wollt von William Shakespeare 15.05.20 Eine Sommernacht von David Greig, Gordon McIntyre im Studio 23.05.20 Odyssee von Roland Schimmelpfennig im Großen Haus 17.06.20 Jedermann von Hugo von Hofmannsthal Freilichtstück vor der Stadtbibliothek
www.theater-paderborn.de www.theater-paderborn.de
/ 111 /
PREMIEREN 2019/2020 WAIDMANNSHEIL!
Eine kleine Farce von Susanne Hinkelbein
KABALE UND LIEBE von Friedrich Schiller
HEISENBERG von Simon Stephens
DEUTSCHSTUNDE von Siegfried Lenz
FRANK DER FÜNFTE
Komödie einer Privatbank von Friedrich Dürrenmatt mit Musik von Paul Burkhard
HÖLDERLIN von Peter Weiss
DAS LICHT
von Torgny Lindgren in einer Bühnenfassung von Tom Blokdijk Deutschsprachige Erstaufführung
ANTIGONE
von Sophokles in der Nachdichtung von Walter Jens
DIE MITWISSER
Eine Komödie von Philipp Löhle
HEARTBREAKIN’ – DIE BIENE UND DER KURT von Robert Seethaler Uraufführung
SHAKESPEARE IN LOVE
Schauspiel mit Musik nach dem Drehbuch von Marc Norman und Tom Stoppard Bühnenfassung von Lee Hall
www.wlb-esslingen.de
/ 112 /
magazin
/ TdZ September 2019 /
peare selber nicht verstand.“ Ein Gedanke, wie er Platon in seinen Dialogen immer wieder beschäftigt, dieses: „Wir müssen, wie es scheint, erwägen, wie beschaffen etwas ist, von dem wir noch gar nicht wissen, was es
Achtstündiger Hamlet-Marathon – Ulrich Mühe in Heiner Müllers Inszenierung von „Hamlet / Hamletmaschine“ 1990 am Deutschen Theater in Berlin. Foto David Baltzer/bildbuehne.de
ist“ („Menon“). Die Hamlet-Frage also ist keine rein retrospektiv zu behandelnde, sie hat immer etwas mit der gegenwärtigen Verfasst-
her, überzeugt ihn zurückzukehren, und
heit von Geschichte zu tun – und dem Stel-
macht ihn noch dazu zum „Staatsrat“. Eine
lenwert des Intellektuellen in ihr.
Szene, die Gründgens’ früherer Schwager
Diesem Unterfangen widmet sich Peter
Klaus Mann als Inbegriff des Opportunismus
W. Marx in seiner überaus kompakten Um-
in seinem Roman „Mephisto“ verarbeitet: „Er
schau nach den Hamlet-Projektionen der ver-
war nicht Hamlet, aber er spielte ihn, seine
gangenen zweihundert Jahre. Doch Goethe
Routine ließ ihn nicht im Stich.“
und Nicolai, die Frage nach Hamlet zwischen
Thematisch folgt von hier aus der
Aufklärung, Klassik und Romantik, werden
Brückenschlag zu Heiner Müllers Wendezeit-
dann (gemessen am Folgenden) relativ knapp
Inszenierung von 1989/90 am Deutschen
auf den ersten hundert Seiten abgehandelt.
Theater Berlin mit „Hamlet / Hamletmaschine“.
Dem Autor geht es vor allem um die verschie-
In dieser sieht sich Hamlet mit dem Anti-
denen Aufführungsformen der vergangenen
Hamlet, den er in sich trägt, konfrontiert.
hundert Jahre. Hamlet als „nationaler Sehn-
Diese achtstündige Inszenierung wird zum
suchtsfigur“ widmet sich das zweite Kapitel,
unübersehbaren „Akt der Verweigerung“ an-
die „Sehnsucht nach dem Führer“ schließt
gesichts der von Müller als Kolonisierung auf-
sich an. Interessant ist dabei vor allem auch,
gefassten deutsch-deutschen Vereinigung.
wie der Autor Walter Benjamins Vision von der
Diese brachte er so auf den Begriff: „Von
Geschichte immer mit verhandelt, wonach
einer Knechtschaft in die andere, von Stalin
diese nicht eine „bessere Zukunft“ verheißt,
zur Deutschen Bank.“ Die endgültige Kapi
sondern die „Erlösung von der Vergangenheit“.
tula tion des Intellektuellen angesichts der Geschichte? Eine spannende Zeitreise. // Gunnar Decker
Erziehung auf der Bühne Peter W. Marx „Hamlets Reise nach Deutschland – Eine Kulturgeschichte“. Alexander Verlag, Berlin 2018, 440 S., 24,90 EUR.
Das gegenwärtige Theater geht mit pädagogischen Begriffen eigentlich nicht unbedingt sparsam um. Allerorten ist von der Veränderung von Sichtweisen die Rede, von neuen Erfahrungsräumen, vom Erlernen von Empathie oder dem Verlernen von Vorurteilen.
Die Geist-trifft-Macht-Frage kulminiert dann
Umso erstaunlicher ist es, dass wenig von ei-
1936 in Gustaf Gründgens’ Hamlet-Darstel-
ner Pädagogik des Theaters gesprochen wird,
lung, die Marx detailliert anhand von Auffüh-
wenn es sich nicht gerade um den Bereich
rungskritiken analysiert. Und siehe, der Völki-
der Theaterpädagogik handelt. Brecht nannte
sche Beobachter sieht Gründgens an der
seine Theorie des epischen Theaters noch
Hamlet-Aufgabe gescheitert, „sein Volk zu
eine „kleine Pädagogik“, doch das Pädagogi-
befreien und den aus den Fugen geratenen
sche gilt heute eher als verrucht, weil bevor-
Ehrbegriff der nordischen Welt wieder einzu-
mundend und zeigefingerverdächtig. Und
Hamlet wird nie alt. Er ist immer wieder neu
renken“. Stattdessen erkennt er einen von
meist kommt es dann auch so daher. Sind
der junge Intellektuelle, den die Praktiken der
„dekadent-morbider Eitelkeit“ beherrschten
erzieherische Maßstäbe aber nur dort zu fin-
Macht anekeln. Er spürt in sich den „Riss in
Hamlet in der „Nachfolge Oscar Wildes und
den, wo sie auf den ersten Blick sichtbar
der Zeit“ und sieht keinen Ausweg. Resigna-
seines Gentlemanverbrechers Dorian Gray“.
sind? Wie es um eine „Pädagogik im Verbor-
tion oder Revolte? Er kann sich nicht ent-
Gründgens versteht die Anspielung auf seine
genen“ bestellt ist, fragt ein kürzlich von dem
scheiden – und daran letztlich geht er zugrun-
Homosexualität, flüchtet umgehend nach
Bildungswissenschaftler Clemens Bach her-
de. T. S. Eliot hat Shakespeares Stück „die
Zürich und schickt von dort seine Kündigung
ausgegebener Sammelband mit dem Unter
Mona Lisa der Literatur“ genannt und gefol-
nach Berlin. Der preußische Ministerpräsi-
titel „Bildung und Erziehung in der ästhe
gert: „Wir müssen verstehen, was Shakes-
dent Hermann Göring telefoniert ihm hinter-
tischen Gegenwart“. Der Band geht von
Geist trifft Macht
bücher
/ TdZ September 2019 /
/ 113 /
Friedrich Schillers Schrift „Über die ästheti-
ser Paradoxien ästhetischer Bildung und äs-
Krieg Theater zu machen. Die Beispiele er-
sche Erziehung des Menschen“ aus und un-
thetischer Gebilde zu nähern, ist das große
strecken sich geografisch über Bosnien und
tersucht verschiedene Modelle zwischen Bil-
Verdienst des Sammelbands. //
Herzegowina, Kroatien, K osovo, Slowenien, Jakob Hayner
dung und Ästhetik. Darunter auch solche, die gibt es einen Beitrag des Erziehungswissen-
Serbien, sprich: n ahezu über das gesamte Gebiet Ex-Jugoslawiens mit Ausnahme Nord-
man hier nicht unbedingt erwarten würde. So
Propaganda und Widerstand
mazedoniens. Interessant und erschreckend ist, dass Theater nicht nur Orte des Wider-
schaftlers Malte Brinkmann über die Band Kraftwerk. Und einen über Stadtgestaltung
„Geschichte widerholt sich … Es begann vor
stands waren, sondern auch, insbesondere
als Erziehungsmaßnahme sowie über die Ver-
dem Krieg … Etwas lag in der Luft … Wir re-
Nationaltheater, Orte ethnisch definierter
packungen von Kinderlebensmitteln.
gistrierten das Engagement verschiedener
Identitätskonstruktion. Freie Gruppen indes
Leute; wir hörten Interviews; wir sahen, wie sich das, was sich öffentliche Meinung nannte, formierte.“ So erinnert sich Borka Pädagogik im Verborgenen. Bildung und Erziehung in der ästhetischen Gegenwart. Hg. von Clemens Bach, Springer VS, Wiesbaden 2019, 387 S., 49,99 EUR.
Theatre in the Context of the Yugoslav Wars. Hg von Jana Dolečki, Senad Halilbašić und Stefan Hulfeld, Palgrave Macmillan, London 2018, 339 S., 103,99 EUR.
Pavićević, die große Belgrader Aktivistin und Gründerin des Zentrums für kulturelle Dekontamination, an das Jahr 1987. Etwas war im Gange. Und dieses Etwas sollte zu den jüngsten Kriegen der europäischen Geschichte führen. Jugoslawiens Präsident Josip Broz Tito war seit sieben Jahren tot. Der Staat zerfiel und verwandelte sich in ein Pulverfass.
Daneben gibt es Beiträge, die sich explizit
1991 begannen die Kämpfe in Kroatien und
liebäugelten ebenfalls mit der Ideologie. So
mit dem Theater beschäftigen. Beispielsweise
Slowenien, 1992 in Bosnien, 1998 in Koso-
beschreibt Ana Dević die zeitweilige Zersplit-
Friederike Försters „Pädagogische Implikatio-
vo. Inmitten dieser Kriegsgräuel, Propaganda-
terung der als gesamtjugoslawisches Projekt
nen des zeitgenössischen Theaters. Oder: Die
schlachten, Bombardements gründete Borka
gegründeten Gruppe KPGT, die unter ihrem
Angst vor dem Zeigefinger“, in dem die Auto-
Pavićević als Akt des Widerstands gegen
Direktor
rin und Theaterregisseurin bemängelt, dass
Nationalismus und Xenophobie 1994 ihr
Miloševićs Frau die Nähe zur serbischen Re-
sich Theaterschaffende lieber in einem Ges-
Zentrum für kulturelle Dekontamination in
gierung suchte. Im Zweifelsfall gruppieren
tus der Antipädagogik gefallen, statt ernsthaft
Belgrad. Vorausgegangen waren ethnisch mo-
sich eben auch Künstler entlang ideologi-
über die pädagogischen Konsequenzen ihrer
tivierte Kündigungswellen selbst im Theater.
scher Fronten. Branislav Jakovljević beschäf-
Arbeiten nachzudenken. Dabei geht Förster
Der damaligen künstlerischen Leiterin des
tigt sich vor diesem Hintergrund eingehend
auf die Debatten um einen neuen Realismus
Belgrader Drama Theaters wurde verboten,
mit einer auch hierzulande umstrittenen
im Theater ebenso wie auf Postdramatik und
kroatische Autoren zu inszenieren. Pavićević
Künstlerfigur: Peter Handke, dessen proser
die Ästhetik des Performativen ein. Iris Laners
und ihre Mitstreiter erhielten Bombendrohun-
bisches Engagement sogar sein Schreiben
Beitrag „Nach dem Fall der Wand. Versteckte
gen. „Ich werde nie den Tag vergessen, als
infiltrierte. Eindringlich fragt der Band auf
pädagogische Vorgänge im post-edukativen
unser Pförtner eines Tages in der Uniform der
diese Weise nach der politischen und gesell-
Theater“ widmet sich wiederum der Unter
serbischen Streitkräfte zur Arbeit kam.“ Das
schaftlichen Verantwortung Kunstschaffen-
suchung solcher postdramatischen Erziehungs-
Theater wurde zum Kampfplatz und schluss-
der. Geschichte wiederholt sich. Insofern
anordnungen.
endlich zur politisch auf Linie gebrachten
schärfen diese Studien auch den Blick auf
Eine Pädagogik des Verborgenen, so
Zone. Am 30. Juni 2019 ist die Grande Dame
das Verhältnis von Theater und Politik im
schreibt der Herausgeber Bach in seiner le-
des Widerstands im Alter von 72 Jahren ver-
Europa der Gegenwart. //
senswerten Einleitung, ziele vor allem darauf,
storben. Und so sind ihre Erinnerungen in
Intentionen hinter der vermeintlich inten
dem Band „Theatre in the Context of the
tionslosen Chiffre des Ästhetischen sichtbar
Yugoslav Wars“, herausgegeben von den Wie-
zu machen. Das, so lässt sich schlussfolgern,
ner Theaterwissenschaftlern Jana Dolečki,
wäre eine Aufgabe für Pädagogik und Theater.
Senad Halilbašić und Stefan Hulfeld, ein be-
Denn im „ästhetischen Kapitalismus“ ver-
deutendes Vermächtnis.
schwinden die gesellschaftlichen Interes
Sowieso ist dieses Buch, das in Nach-
senkonflikte zunehmend hinter einem ästhe-
bereitung einer Konferenz der Wiener Thea-
tizistischen Fassadenputz, werden bis zur
terwissenschaften im Jahr 2016 entstanden
Unkenntlichkeit verwischt. Und doch hat die
ist (siehe TdZ 2/2016), eine einzigartige (lei-
Kunst die Paradoxie in sich, die sie von blo-
der auch einzigartig teure) Abhandlung über
ßer Erziehung trennt: Ihre eigenen Zwecke
ein bislang kaum erschlossenes Thema. In
kommen nur zur Geltung, wo sie verborgen
zwölf Essays und sechs Zeitzeugenberichten
sind. Von ihr kann man nur lernen, wenn man
untersuchen die Autorinnen und Autoren, was
nicht daran denkt, von ihr zu lernen. Sich die-
es heißt, in Zeiten von Nationalismus und
Ljubiša
Ristić
über
Slobodan
Dorte Lena Eilers
n!
re pa
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vo o Ab it ten r Ze n u z de r de bis u t z St ate Jet s Da The
% 0 4
s
aktuell
/ TdZ September 2019 /
Meldungen
Pressemitteilung bekannt. Friese, der bereits seit 2012 im Amt und gleichzeitig als Regisseur tätig ist, wird das Haus noch bis Sommer
■ Die Schweizer Theaterregisseurin und
2024 leiten.
Musikerin Barbara Frey übernimmt ab November 2020 für drei Jahre (Spielzeiten 2021–2023)
■ Das Fachmagazin Die Deutsche Bühne prä-
die Künstlerische Leitung der Ruhrtriennale,
sentierte in der August-Ausgabe seine diesjäh-
des größten Kulturfestivals in Nordrhein-West-
rige Saisonbilanz. Sechzig Kritiker*innen des
falen. Das gab am 3. Juli die Kultur- und Wis-
Blattes bewerteten Häuser und Künstler*innen
senschaftsministerin des Landes Nordrhein-
aus den Sparten Schauspiel, Oper, Tanz und
Westfalen Isabel Pfeiffer-Poensgen bekannt.
„Experimentelle Formen“. Die „überzeugends-
Ismael Ivo. Foto Karolina Mernik
/ 114 /
te Gesamtleistung“ lieferte das Theater Basel
■ Wie das Konzert Theater Bern am 20. Juni
unter der Intendanz von Andreas Beck ab. Mit
schen Ausdruckstanz, Modern Dance und
vermeldete, hat der Stiftungsrat des Hauses
den Münchner Kammerspielen auf Platz zwei
zeitgenössischen Tanzformen. Für seine Ver-
Florian Scholz zum neuen Intendanten ge-
wird ein weiterer (allerdings erst 2020) abge-
dienste wurde er bereits 2006 mit dem Gol-
wählt. Der 49-Jährige wird sein Amt bereits in
hender Intendant für seine „ästhetische Diver-
denen Verdienstzeichen des Landes Wien
der kommenden Spielzeit in designierter
sität“ geehrt. „Abseits der Zentren“ konnte
ausgezeichnet. 2010 erhielt er zudem den
Funktion antreten und ab 2021/22 dann die
das Theater Hagen, trotz der fortwährenden
Ordem do Mérito Cultural do Brasil, die
künstlerische
über
Existenzkämpfe um Gelder, überzeugen. In der
höchste kulturelle Auszeichnung Brasiliens.
nehmen. Schauspielchef wird der Schweizer
Bilanz für die „freie Szene“ bekam das Münch-
Theaterregisseur Roger Vontobel. Florian Scholz
ner Metropoltheater die meisten Stimmen, ge-
■ Der Barbara Kisseler Theaterpreis für freie
leitete in den vergangenen sieben Jahren das
folgt vom Künstlerkollektiv Henrike Iglesias.
Bühnen in Hamburg geht dieses Jahr an das
Stadttheater Klagenfurt in Österreich.
Die Liste „Bühne/Kostüm/Raum“ führte Paolo
Altonaer Theater. Vor allem die Umsetzung
Fantin an. In der Kategorie „Tanz“ setzte sich
von Walter Kempowskis Romanreihe „Deut-
■ Ein gleichberechtigtes Viererteam wird ab
Martin Schläpfer knapp durch, die Opern
sche Chronik“ hat den oder die bei diesem
der Saison 2020/2021 die Schauspielsparte
sparte dominierte Halles Intendant Florian
Preis nicht namentlich bekannte*n Juror*in
am Theater Basel leiten. Es setzt sich zusam-
Lutz. Den „herausragenden Regiebeitrag zur
überzeugt. Der Preis für Hamburger Privat-
men aus den Dramaturginnen Anja Dirks und
aktuellen Entwicklung des Schauspiels“ bot
theater ist nach der im Oktober 2016 verstor-
Inga Schonlau, dem Regisseur Antú Romero
Christopher Rüping mit seiner Inszenierung
benen Kultursenatorin Barbara Kisseler be-
Nunes und dem Schauspieler Jörg Pohl. Im
„Dionysos Stadt“, gefolgt von Ulrich Rasche
nannt, die unter anderem auch bis 2015 dem
Team der vier Schauspieldirektor*innen wird
und Anna Bergmann.
Deutschen Bühnenverein vorstand.
agieren, während Inga Schonlau die Aufgaben
■ Dem Choreografen, Performer, ImPulsTanz-
■
der Chefdramaturgin übernimmt. Antú Romero
Mitbegründer und Direktor des Balé da Cida-
Stipendium für Dramaturgie geht an den Dra-
Nunes steht ein „für die zentrale künstlerische
de de São Paulo, Ismael Ivo, wurde am 23.
maturgen Dirk Baumann. Das erstmals vom
Handschrift und die strategische Entwicklung
Juli, im Anschluss an die österreichische
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und
des Ensembles am Schauspiel Basel“. Mit
Erstaufführung des Stücks „Um Jeito de Cor-
Kunst finanzierte Stipendium richtet sich an
Jörg Pohl wird erstmals in Basel auch ein
po“, im Burgtheater Wien das Österreichische
junge, besonders talentierte Dramaturg*innen
Schauspieler als Teil der Direktion Inhalte,
Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ver-
aus dem deutschsprachigen Raum und u mfasst
Spielplan und Regiepositionen mitgestalten.
liehen. Ismael Ivo, der als Tänzer und Choreo-
sowohl ein Preisgeld von 5000 Euro als auch
Gesamtverantwortung
Anja Dirks als Geschäftsführende Dramaturgin Das
diesjährige
Marie-Zimmermann-
graf seit Jahrzehnten in Deutschland, Öster-
einen zweimonatigen Aufenthalt im Wohn- und
■ Reinhardt Friese bleibt weiterhin Intendant
reich und der Schweiz spartenübergreifend
Arbeitsstudio der Akademie Schloss Solitude.
am Theater Hof. Das gab das Theater in einer
tätig ist, bewegt sich in seinen Arbeiten zwi-
Die Jury entschied sich einstimmig für Dirk
aktuell
/ TdZ September 2019 /
TdZ on Tour
Walther, Thomas Laue, Christian Holtzhauer und Feridun Zaimoglu.
■ Das Biennale-Festival „Neue Stücke aus
n 11.09. Buchpremiere B.K. Tragelehn: „Roter Stern in den Wolken 2“, Literaturforum im Brecht-Haus, Berlin
Europa“ (früher Bonn, zuletzt Wiesbaden)
n 18.09. Buchvorstellung „Praktiken des Sprechens im zeitgenössischen Theater – Der performative Umgang mit Text“, Berner Fachhochschule BFH, Hochschule der Künste Bern
setzt. Das wurde auf einer Pressekonferenz
n 20.09. Buchpremiere „Immer ein Fest für Geist und Sinne. 100 Jahre Landestheater Detmold“, Landestheater Detmold n 17.10. Buchvorstellung „Res publica Europa – Networking the performing arts in a future Europe“ ,Theaterbuchhandlung Einar & Bert, Berlin n 24.10. Buchpremiere „Bin nicht im Orkus – Eine kurze Collage aus einem zerschnittenen Textbuch und sechs abgespielten Figuren“,Sammlung Puppentheater / Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums Weitere Termine und Details unter www.theaterderzeit.de
wird 2020 in Belgrad unter dem Titel „NEW – Festival of the New European Drama“ fortgeam 27. Juni im Jugoslawensky Drama Theater bekanntgegeben. Initiatorin der Neuausrichtung ist die Dramatikerin Biljana Srbljanović. Seit seiner Gründung 1992 durch den damaligen Bonner und späteren Wiesbadener Intendanten Manfred Beilharz erforschte das
Spielzeit 2019/20
Festival zeitgenössische europäische Drama-
Die Welt ist oder ich verrückt.
tik und Theaterpraxen. Nach dem Intendantenwechsel in Wiesbaden harrte es einer Fortsetzung. Gemeinsam mit Biljana Srbljanović ist Heartfact, ein Zusammenschluss serbischer Theaterkünstler und Kulturpolitiker, für die Leitung des Festivals zuständig.
■ Am 30. Juni verstarb die jugoslawisch-serbische Dramaturgin, Kolumnistin und KulturAktivistin Borka Pavićević im Alter von 72 Jahren. Geboren 1947 in Kotor, Montenegro, studierte Pavićević Theaterwissenschaften in Belgrad und war danach an Theatern wie dem
Baumann (geb. 1984), der seit 2012 als
Atelje 212 und dem Belgrader Drama Theater
Dramaturg am Schauspiel Dortmund tätig ist.
in künstlerischen Positionen engagiert. Sie
In seinen Arbeiten legt er einen besonderen
war Teil der Künstlerbewegung KPTG, Gründe-
Schwerpunkt auf Kooperationen mit Akteur*in
rin des New Sensibility Theater in Belgrad und
nen der freien Szene, transdisziplinäre künstle-
als Juristin für das Internationale Theaterfestival
rische Ansätze sowie Strategien der Vermittlung
in Belgrad tätig. 1994 gründete Borka Pavićević
und der kulturellen Bildung. Baumann leitet
das Zentrum für kulturelle Dekontamination,
außerdem das Inbetween-Festival, dem der Ver-
das sich gegen Intoleranz, Nationalismus und
such zugrunde liegt, Stadttheater transdiszipli-
Fremdenfeindlichkeit einsetzt.
när zu erweitern.
■ Die Schriftstellerin Toni Morrison ist am ■ Mit seinem Stück „Wind von Norden“ ge-
5. August im Alter von 88 Jahren in New York
wann der 32-jährige Matthias van den Höfel
City verstorben. Morrison, die 1993 den
das Finale des sich an junge Autor*innen
Literaturnobelpreis erhielt, galt als eine der
richtenden Wettbewerbs der Nibelungen-
wichtigsten Vertreterinnen der afroamerikani-
Festspiele 2019 in Worms. „Wind von Nor-
schen Literatur. Neben Romanen und Kinder-
den“ erzählt von Hagen, der nach dem Ge-
büchern verfasste Morrison u. a. auch ein
metzel bei Hunnenkönig Etzel noch am Leben
Libretto zur Oper „Margaret Garner“ (Musik
ist und vor der Rache Kriemhilds nach Rom
von Richard Danielpour) und das Drama
flieht. Der Preis ist mit 10 000 Euro und der
„Drea ming Emmett“. Beide Texte beschäf
Uraufführungsoption im Rahmenprogramm
tigen sich mit der Lebensrealität der afroame-
der Festspiele 2020 dotiert. Der vom Freun-
rikanischen Bevölkerung in den Vereinigten
des- und Förderkreis der Nibelungen-Fest-
Staaten.
spiele e. V. gespendete Publikumspreis in Höhe von 2000 Euro ging an Eva Maria Sommersberg und ihr Stück „Eines Morgens in aller Frühe lag der Feind in meinem Bett“. Die Jury bestand aus Jürgen Berger, Bettina
TdZ ONLINE EXTRA Täglich neue Meldungen finden Sie unter www.theaterderzeit.de
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Identität Europa Koproduktion von TAK Theater Liechtenstein, DNT Weimar, Les Theatres de la Ville de Luxembourg Regie: Katrin Hilbe, Rafael Kohn Böhm Schauspiel Graz Regie: Nikolaus Habjan Ring of Fire Theater Hof Regie: Reinhardt Friese Vater Deutsches Theater Berlin Regie: Dietrich Brüggemann Zwei Tage, eine Nacht Theater Konstanz Regie: Martin Nimz Hamlet Landestheater Salzburg Regie: Alexandra Liedtke Eines langen Tages Reise in die Nacht Theater Bonn Regie: Martin Nimz Werther Staatstheater Mainz Regie: Brit Bartkowiak 7. Schweizer Theatertreffen In Kooperation mit Theater Chur und Postremise Chur www.tak.li
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aktuell
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Premieren Aalen Theater der Stadt E. Jelinek/n. G. E. Lessing: Nathan // Abraumhalde (J. Langenheim, 20.09.); L. Naumann: Demut vor deinen Taten Baby (L. Heinz, 26.09.); J. Hofmann: Noch ist Polen nicht verloren (M. Schulze, 28.09.) Augsburg Staatstheater R. Spregelburd: Luzid (D. Ortmann, 28.09., DEA) Baden-Baden Theater L. Hübner/ S. Nemitz: Furor (B. Bracher, 07.09.); E. Rottmann: Blauer als sonst (O. Bereska, 20.09.) Bautzen Deutsch-Sorbisches Volkstheater T. Steinke: Łapanje šefa (Feindliche Übernahme) (O. Bereska, 14.09.); H. Böhme: Dieter und der Wolf (E. Dolata, 20.09.); S. Siegfried: Warten in Godow (R. Koppermann, 27.09.) Berlin Ballhaus Naunynstrasse R. Hillebrand: Auf meinen Schultern (R. Hillebrand, 05.09., UA); T. Körner: Aesthetics of Colour (T. Körner, 19.09., UA); S. Ndaba, TRVANIA, D. Voigts: An Object is an Object is What? (S. Ndaba, TRVANIA, D. Voigts, 27.09., UA) Berliner Ensemble B. Brecht: Baal (E. Mondtag, 06.09.); K. Breece: Mütter und Söhne (K. Breece, 20.09., UA) Chamäleon Theater Gravity And Other Myths: Out of Chaos (D. Grant, 12.09., DEA) Deutsches Theater W. Weermann: Rage (W. Weermann, 05.09., UA); M. Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone (I. Panteleev, 08.09.); J. Schalansky: Der Hals der Giraffe (P. Arnold, 22.09.) Maxim Gorki Theater F. M. Dostojewski/n. L. Tolstoi: Anna Karenina oder Arme Leute (O. Frljić, 15.09.) Schaubühne am Lehniner Platz V. Woolf: Orlando (K. Mitchell, 05.09., UA); Ö. v. Horváth: Jugend ohne Gott (T. Ostermeier, 07.09.) Theater an der Parkaue W. Erlbruch: Die fürchterlichen Fünf (T. Fiedler, 12.09.) Theater und Komödie am Kurfürstendamm F. Flöz: Hotel Paradiso (M. Vogel, 10.09.) Bielefeld Theater D. Gieselmann: Spin (C. Schlüter, 06.09., UA); B. Brecht: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (Prinzip Gonzo, 08.09.); H. Hesse: Demian (M. Heicks, 13.09.) PARAGRAPH Bonn Kleines Theater Bad Godesberg D. Heidicke: Abraham – ein Leben für die Operette (S. Krause, 04.09.) Theater G. E. Lessing: Minna von Barnhelm (C. Sprenger, 12.09.); B. S. Deigner: In Stanniolpapier (M. Köhler, 13.09., UA); M. Iwasa: Viele Grüße, deine Giraffe (N. PARAGRAPH Schwitter, 28.09., UA)
Brandenburg an der Havel Theater K. Schubert: Grete Minde (F. M. Widmaier, 06.09., UA) Bremen Theater M. Moradpour: Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig (P. Karabulut, 13.09., UA); F. Meliquiot: Die 181Zertrennlichen (T. Fransz, 21.09.); J. Eichberg: The End. Eine Replikantenoper (F. Rothenhäusler, 26.09., UA); W. Mouawad: Vögel (A. Zandwijk, 28.09.); S. Schneebeli: Hinter dem Mond (S. Schneebeli, 29.09., UA) Bruchsal Badische Landesbühne D. KehlDie Vermessung der Welt (A. 182mann: Retzlaff, 19.09.); F. Plüschke: #Hunger-
THEATER IST AUCH F◊R TIERE UND PFLANZEN DA.
SPIELZEIT 19/20 THEATERRAMPE.DE
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September 2019
künstler (F. Plüschke, 20.09., UA); G. Weisen born/K. Wecker: Der Illegale (C. Ramm, 21.09.); C. Brandau: Himmel und Hände (J. Bitterich, 22.09.) Chemnitz Theater R. Rose: Die zwölf Geschworenen (C. Knödler, 21.09.) Cottbus Staatstheater R. Wilson/T. Waits/W. S. Burroughs: The Black Rider (M. Kreutzfeldt, 14.09.); P. Thiers: Warten auf Sturm (V. Metzler, 28.09., UA) Döbeln Mittelsächsisches Theater N. Whitby: Sein oder Nichtsein (A. Wöhlert, 28.09.) Dortmund Theater W. Karnofka: Ginpuin – PARAGRAPH 185 Auf der Suche nach dem großen Glück
(A. Siebers, 20.09.); R. Reiniger: Name: Sophie Scholl (A. Müller, 26.09.) Dresden Staatsschauspiel L. Rietzschel: Mit der Faust in die Welt schlagen (L. Coltof, 13.09., UA); A. Tschechow: Der Kirschgarten (A. Kriegenburg, 14.09.); V. Stern: Schulmädchen Report (V. Stern, 15.09., UA); I. Abuelaish: Ich werde nicht hassen (F. Staffa, 22.09.); B. Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder (A. Petras, 27.09.) Theater Junge Generation F. Melquiot: Die Zertrennlichen (W. Klemm, 26.09.); S. Sobottka/n. S. Crossan: Die Sprache des Wassers (W. Klemm, 27.09.); E. Placey: Wild! (N. Zapfe, 27.09.); K. Šagor: Patricks Trick (N. Zapfe, 28.09.) Esslingen Württembergische Landesbühne E.T.A. Hoffmann: Der goldene Topf (J. Nordalm, 14.09.); Janosch: Der Mäusesheriff (V. Schudt, 14.09.); S. Stephens: Heisenberg (B. Hille, 29.09.) Freiburg Theater Ö. v. Horváth: Kasimir und Karoline (C. Tscharyiski, 29.09.) Göttingen Deutsches Theater J. W. v. Goethe: Iphigenie auf Tauris (D. Foerster, 19.09.); W. Mouawad: Vögel (K. Ramser, 21.09.); H. Evers: Der perfekte Moment – Total verpennt (J. Schwung, 22.09.) Junges Theater C. Goldoni: Der Diener zweier Herren (C. Hofer, 20.09.) Halberstadt Nordharzer Städtebundtheater D. Theuring: Die tanzende Adelbrin – Drübecks bewegte Klostergeschichte (D. Theuring, 14.09.); M. Meimberg: Familie Braun (S. Wirnitzer, 19.09., UA) Halle Neues Theater G. E. Lessing: Nathan der Weise (R. Jakubaschk, 20.09.); F. Schmalz: Der Tempelherr (I. Kerkhof, 20.09.) Thalia Theater H. C. Andersen: Das hässliche junge Entlein (K. Brankatschk, 11.09.) Hamburg Thalia Theater S. Twardoch: Der Boxer (E. Marciniak, 08.09.); N. Ljubić: Ein Mensch brennt (S. L. Awe, 08.09.) Hannover Schauspiel P. K. Dick: Zeit aus den Fugen (L. Linnenbaum, 13.09., UA); n. A. Tschechow: Platonowa (S. Kimmig, 15.09.); J. W. v. Goethe: Werther (L. Rupprecht, 22.09.) Heilbronn Theater C. Serreau: Drei Männer und ein Baby (A. Rehschuh, 20.09., DEA); J. Kann/n. D. d. Vegan: No und ich (A. T. Adebisi, 21.09.) Ingolstadt Stadttheater R. Wilson/T. Waits/W. S. Burroughs: The Black Rider. The Casting of the Magic Bullets (B. Bell, 28.09.)
GEGESSEN WIRD ZU HAUSE. WIR FORDERN: DILETTANTISCHEN HEROISMUS! PARAGRAPH 183 PARAGRAPH 186 WAS AUF DIE B◊HNE KOMMT, WIRD GEGESSEN. DIE FEUERWEHR HAT IMMER DEN GESAMTEN PARAGRAPH 184 SAAL IM BLICK. WENN ZU PERFEKT, PARAGRAPH 187 INTENDANZ VERSTIMMT. IT’S NOT ART, PARAGRAPH 185 WIR FORDERN: DILETTAN- IT’S AN APPLE. EAT IT. PARAGRAPH 188 TISCHEN HEROISMUS! OBJECTS IN THE MIRROR PARAGRAPH 186 MAY APPEAR CLOSER THAN DIE FEUERWEHR HAT
aktuell
/ TdZ September 2019 /
Kaiserslautern Pfalztheater G. E. Lessing: Minna von Barnhelm (N. Sykosch, 21.09.); B. Koltes: Roberto Zucco (H. Demmer, 29.09.) Karlsruhe Badisches Staatstheater A. Maier: Mein Jahr ohne Udo Jürgens (P. Wengenroth, 15.09., UA); S. Gößner: Die überraschend seltsamen Abenteuer des Robinson Crusoe (O. A. Thoß, 21.09., UA); T. Reffert: Nina und Paul (U. Dreysel, 28.09.) Konstanz Theater C. Nix: Junge Hunde (O. Vorwerk, 28.09., UA) Krefeld Theater M. Bulgakow: Der Meister und Margarita (Z. Antonyan, 29.09.) Leipzig Cammerspiele N. Matzka: Retroglycerin (N. Matzka, 19.09., UA) Schauspiel M. Clavadetscher: Frau Ada denkt Unerhörtes (K. Plötner, 27.09., UA) Linz Theater Phönix H. Gebhartl: Die Rückkehr der Blues Brothers (H. Gebhartl, 19.09., UA) Lübeck Theater W. Shakespeare: Game of Crowns 1 (P. Holzwarth, 06.09.); F. Schiller: Die Räuber (A. Nathusius, 13.09.); A. Galk: Das Camp (T. Löwenstrom, 25.09.) Mainz Staatstheater L. De Man: In Search of Democracy 3.0 (L. De Man, 05.09., DEA); Ö. v. Horváth: Geschichten aus dem Wiener Wald (K. Schmidt, 08.09.); P. Skinner: Aggro Alan (A. Nerlich, 22.09., DEA); M. Brooks: The Producers (C. Brey, 28.09.) Memmingen Landestheater Schwaben F. Schiller: Die Räuber (J. Prechsl, 20.09.); L. Neumann: Demut vor deinen Taten Baby (A. V. Freybott, 21.09.) Mülheim an der Ruhr Theater an der Ruhr H. M. Enzensberger: Der Untergang der Titanic (P. Preuss, 19.09.) München Kammerspiele Die Kränkungen der Menschheit (A. H. Recke, 26.09.); These Teens will save the future (V. ReDinge, die ich gensburger, 27.09.); W. Shakespeare:anzeigeTdZ2019.indd Kö1 sicher weiß (P. Hailer, 14.09.) nig Lear (S. Pucher, 28.09.) Osnabrück Theater S. Berthiaume: NyotaiMünster Theater S. Beckett: Endspiel (M. Claessen, 12.09.); S. V. Bungarten: Bonn mori (A. Werner, 06.09., DSE); n. O. Paist eine Stadt am Meer (S. Blattner, nizza: Menschenfabrik (J. Fedler, 06.09., 20.09., UA); R. W. Fassbinder: Die BRDUA); A. Bondoux: Linus in der Stufenwelt Trilogie (F. Behnke, 28.09.) (S. Girschweiler, 06.09., UA) Neuss Rheinisches Landestheater M. Parchim Mecklenburgisches Staatstheater Frayn: Streichholzschachteltheater (C. B. S. Henne: Fridays for Future (B. S. Stolz, 14.09., DEA); D. MacMillan: All Henne, 07.09.) das Schöne (A. May, 15.09.); VaterMutRegensburg Theater V. Lagasse: Oslo – MisterKind (M. Constantine, 15.09., UA); n. sion für den Frieden (K. Kusenberg, J. W. v. Goethe: Faust@WhiteBoxX (T. Ger21.09., DEA); E. Jelinek: Am Königsweg (S. Otteni, 22.09.); A. Lindgren: Die Brüber, 20.09.); J. Crouch/P. McDermott: Shockheaded Peter (P. Moschitz, 21.09.) der Löwenherz (H. Furhmann, 28.09.) Nürnberg Staatstheater R. Schimmel Rostock Volkstheater W. Shakespeare: pfennig/n. E. Euripides: Die Besessenen Richard III. (A. Zacek, 14.09.) (J. P. Gloger, 28.09.) Saarbrücken Saarländisches Staatstheater S. Oldenburg Staatstheater M. Becker: Keine Devillé: Hoffnung (K. Minkowski, 07.09., Panik! (M. Becker, 06.09., UA); A. Bovell: DEA); n. L. Harig: Weh dem, der aus der
Stendal Theater der Altmark W. Lotz: Die lächerliche Finsternis (W. E. Rahlfs, 07.09.); E. E. Schmitt/n. S. Zweig: 24h im Leben einer Frau (W. E. Rahlfs, 15.09.); Bestellt und nicht abgeholt (C. Jung, 20.09.) Stuttgart Schauspiel F. Schiller: Wilhelm Tell (K. Hemmerle, 13.09.); M. C. Kosel: Sister Soul und ihre Schwestern (U. Schürmer, 20.09.) Tübingen Landestheater A. Seghers: Transit (A. Karazissis, 27.09.); S. Beckett: Warten auf Godot (T. Weckherlin, 28.09.) Ulm Theater U. Hub: Der dickste Pinguin vom Pol (V. Stroh, 29.09.) Weimar Deutsches Nationaltheater & Staats kapelle E. Bormann/n. S. Crossan/E. Jurkie wicz: Die Sprache des Wassers (E. Jurkiewicz, 13.09.); A. Gurney: Love Letters (B. Seidel, 19.09.) Wien Burgtheater Euripides: Die Bakchen (U. Rasche, 12.09.); W. Mouawad: Die Vögel (I. Tiran, 13.09.); E. Albee: Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (M. Kušej, 14.09.); S. Potter: The Party (A. Lenk, 21.09.); D. Pešut: Der (vor)letzte Panda oder Die Statik (N. Charaux, 26.09., DSE); J. W. v. Goethe: Faust (M. Kušej, 27.09.) Wiesbaden Hessisches Staatstheater W. Mouawad: Vögel (D. Kunze, 15.09.); J. Raschke: Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute (D. Schirdewahn, 21.09.) Wilhelmshaven Landesbühne Niedersachsen Nord J. Masteroff/F. Ebb/J. Kander: Cabaret (O. Strieb, 04.09.); F. Kafka: Die Verwandlung (S. Eberle, 08.09.); n. W. Shakespeare/n. A. Camus: Caligula/Julius Caesar (S. Bunge, 21.09., DSE) Würzburg Mainfranken Theater F. Schiller: Kabale und Liebe (M. Keller, 28.09.); N. Stockmann: Kein Schiff wird kommen (K. Barz, 29.09.) Reihe tanzt. Sulzbach (B. Bruinier, 25.06.19 10:50 Zürich Theater Kanton M. Kenny: Der Jun13.09., UA); A. Miller: Hexenjagd (C. Mehler, 14.09.) ge mit dem Koffer (J. Böckli, 05.09., Schaan TAK - Theater Liechtenstein IdenSEA) Zwickau Theater Hör zu, mach mit! Getität Europa (R. Kohn/K. Hilbe, 14.09.) Schwedt/Oder Uckermärkische Bühnen F. schichten vom Dachs (J. Simmat, 17.09.) Gattinger: Fridays (A. Salzmann, 05.09., UA); W. Tomczyk: Nürnberg (S. Hilberger, 13.09., DEA) Schwerin Mecklenburgisches Staatstheater S. Nordqvist: Pettersson und Findus (N. Tippelmann, 14.09.); O. Wilde: Bunbury oder von der Notwendigkeit ernst zu sein TdZ ONLINE EXTRA (M. Nimz, 20.09.); L. v. Trier: Idioten (A. Täglich aktuelle Buddeberg, 27.09.) St. Gallen Theater T. Arzt: Die A nschläge Premieren von nächster Woche (M. Rippert, 12.09., finden Sie unter SEA); H. Mason: Kuno kann alles (M. www.theaterderzeit.de Watermann, 18.09., SEA); N. Whitby: Sein oder Nichtsein (B. Brüesch, 27.09.)
www
THEATER WINKELWIESE Vaters Aktentasche (Uraufführung) mit Nikola Weisse/Regie: Manuel Bürgin 21. September – 26. Oktober 2019
www.winkelwiese.ch office@winkelwiese.ch +41 (0)44 252 10 01
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Moreno and, Agreste (Malven-Rose)
aktuell
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Vom 6. bis 16. Juni fand die 14. Prager Quadriennale, die größte internationale Ausstellung für Bühnen- und Performance-Design, statt. In diesem Jahr beteiligten sich 800 Künstlerinnen und Künstler aus 79 Ländern. Theater der Zeit begleitete die Veranstaltung als Medienpartner. Redakteurin Dorte Lena Eilers sprach auf einem Panel mit Sebastian Hannak und Florian Lutz von der Oper Halle über deren Raumbühne Heterotopia, Thomas Irmer unterhielt sich sowohl mit Bettina Meyer über ihre geometrisch bestimmten Bühnenbilder als auch mit Luk Perceval und Annette Kurz über deren gemeinsame Schauspiel- und Operninszenierungen. TdZ-Autor Thomas Irmer, Bühnenbildnerin Annette Kurz und Regisseur Luk Perceval auf dem Podium bei der PQ (v.l.n.r.). Foto Theater der Zeit Bühnenbildner Sebastian Hannak, Regisseur Florian Lutz und TdZ -Redakteurin Dorte Lena Eilers (v.l.n.r.) im Gespräch bei der PQ. Foto Theater der Zeit
Am 18. Juni wurde der Dialogband „Thea terstücke aus Brasilien“, herausgegeben von Henry Thorau, in der Brasilianischen
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Was passiert, wenn Dorfbewohner entdecken, dass eine Frau als Mann seine/ihre große Liebe gelebt hat, erzählt Wüstes Land, Agreste von Newton Moreno.
cio rene Liebesmüh
ntoro aller Wunder
overi rtie (mit Innenansichten)
Theaterstücke aus Brasilien
ssô
mez mel fünf Minuten vor dem Sturm
Unbeherrschbare Ereignisse, Gefühle und Kontrollzwang bringen in Grace Passôs Für Elise vier Personen einander näher als erwünscht. „Alles unter Kontrolle“, erklärt die Krankenschwester in Silvia Gomez’ Der Himmel fünf Minuten vor dem Sturm über die Sehnsüchte und Ängste ihrer Patientin. Theaterstücke von Newton Moreno Grace PassÔ Silvia Gomez Pedro Brício Paulo Santoro Sérgio Roveri
In Pedro Brícios Fast verlorene Liebesmüh improvisieren und streiten vier Schauspieler auf einer Theaterprobe über die Mathematik der Liebe und des Theaters.
Botschaft in Berlin präsentiert. Der Band versammelt Stücke von Newton Moreno, Grace Passô, Silvia Gomez, Pedro Brício, Paulo Santoro und Sérgio Roveri, die zwischen den 1960er Jahren und heute Zeugnis über die thea trale und alltägliche Dystopie in Brasilien ablegen. In Paulo Santoros Das Ende aller Wunder philosophieren ein alter Professor und seine Frau im Rollstuhl über den Kosmos und bezahlten Sex im Alter.
In Sergio Roveris Hängepartie (mit Innenansichten) lästern und lamentieren zwei Fensterputzer an einem Hochhausturm über die da drinnen und die da draußen über dem Abgrund.
Am 4. Juni 2019 fand die Verleihung des Martin-Linzer-Theaterpreises im Staatstheater Braunschweig statt. Mit der Auszeichnung ehrt Theater der Zeit zum Ende der Spielzeit ein Ensemble oder eine freie Gruppe aus dem deutschsprachigen Raum für herausragende künstlerische Leistungen – in diesem Jahr das Staatstheater Braunschweig. Die Laudatio hielt der diesjährige Alleinjuror und TdZ-Redakteur Gunnar Decker.
Herausgeber Henry Thorau (l.) und Bernard Klingel, Gesandter der Föderativen Republik Brasilien. Foto Theater der Zeit
Buchpräsentation in der Brasilianischen Botschaft. Foto Theater der Zeit
Gunnar Decker von TdZ mit Intendantin Dagmar Schlingmann. Foto Theater der Zeit
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AUTOREN September 2019
„Verirrten sich im Wald“ am Deutschen Theater Berlin mit einer VR von CyberRäuber. Foto Arno Declair
Margarete Affenzeller, Theaterredakteurin, Wien Michael Bartsch, Journalist, Dresden Josef Bierbichler, Schauspieler und Autor, Ambach Bodo Blitz, Kritiker, Freiburg Natalie Fingerhut, freie Autorin, Hamburg Jens Fischer, Journalist, Bremen Theresa Luise Gindlstrasser, freie Autorin, Wien Ulrike Haß, Theaterwissenschaftlerin, Berlin Andreas Herrmann, Journalist, Dresden Thomas Irmer, freier Autor, Berlin Renate Klett, freie Autorin, Berlin Anastasia Klimovskaya, freie Autorin, Berlin Martin Krumbholz, freier Autor und Theaterkritiker, Düsseldorf Jörg Lehmann, Dozent „HfS Ernst Busch“, Berlin Christoph Leibold, freier Hörfunkredakteur und Kritiker, München Elisabeth Maier, Journalistin, Esslingen Tom Mustroph, freier Autor, Berlin Klaus Pierwoß, ehemaliger Intendant Theater Bremen, Berlin Ingeborg Pietzsch, Theaterkritikerin, Berlin Wolfgang Schneider, Kulturwissenschaftler, Bischofsheim Theresa Schütz, Theaterwissenschaftlerin, Berlin Dominique Spirgi, Kulturjournalist, Basel Erik Zielke, Lektor, Berlin
TdZ ONLINE EXTRA Viten, Porträtfotos und Bibliografien unserer Autorinnen und Autoren finden Sie unter www.theaterderzeit.de/2019/09
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IMPRESSUM Theater der Zeit Die Zeitschrift für Theater und Politik
Thema Ohne Digitalisierung kein Theater der Zukunft. Diese Behauptung steht zumindest im Raum. Seit die digitale Revolution alle öffentlichen und privaten Lebensbereiche durchdringt, stellt sich nicht nur die Frage der technischen Innovation der Theatermittel und -infrastruktur, vielmehr zeitigen die Möglichkeiten von Virtual oder Augmented Reality, von interaktiver Vernetzung, Gaming- Dramaturgie, Robotik oder KI bereits jetzt neue Formate, Ästhetiken, Erzählstrukturen und Inhalte. Die neu gegründete Akademie für Digitalität und Theater in Dortmund will auf diese Zukunft programmatisch hinarbeiten. Wie sieht sie aus? Unser Schwerpunkt verschafft sich einen Überblick.
Team der Produktion „Palmasola“. Foto KLARA Theaterproduktionen / David Campesino
1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer und Harald Müller Redaktionsanschrift Winsstraße 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-0 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44 Redaktion Dorte Lena Eilers +49 (0) 30.44 35 28 5-17, Harald Müller (V.i.S.d.P.) +49 (0) 30.44 35 28 5-20, Anja Nioduschewski +49 (0) 30.44 35 28 5-18 redaktion@theaterderzeit.de Dr. Gunnar Decker, Jakob Hayner Mitarbeit Claudia Jürgens, Eva Merkel (Korrektur), Lina Wölfel (Hospitanz) Verlag: Theater der Zeit GmbH Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@theaterderzeit.de, Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@theaterderzeit.de Verlagsbeirat Dr. Friedrich Dieckmann, Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte, Prof. Heiner Goebbels, Kathrin Tiedemann Anzeigen +49 (0) 30.44 35 28 5-20, anzeigen@theaterderzeit.de Gestaltung Gudrun Hommers Bildbearbeitung Holger Herschel Abo / Vertrieb Yann Bachmann, Paula Perschke +49 (0) 30.44 35 28 5-12, abo-vertrieb@theaterderzeit.de Einzelpreis € 8,50 Jahresabonnement € 85,– (Print) / € 75,– (Digital) / 10 Ausgaben + 1 Arbeitsbuch Preis gültig innerhalb Deutschlands inkl. Versand. Für Lieferungen außerhalb Deutschlands wird zzgl. ein Versandkostenanteil von EUR 25,– berechnet. 20 % Reduzierung des Jahresabonnements für Studierende, Rentner, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises. Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen die Herausgeber. Druck: PieReg Druckcenter Berlin GmbH 74. Jahrgang. Heft Nr. 9, September 2019. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft: 05.08.2019
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Ausland Die Haftanstalt Palmasola in Bolivien gilt als eines der härtesten Gefängnisse der Welt. Da der Staat keine Zellen zur Verfügung stellt, sondern die Insassen ihre Unterkünfte selbst mieten, kaufen oder mit Gewalt erkämpfen müssen, stellt Palmasola einen autarken, sich selbst regulierenden Binnenmarkt des Strafvollzugs dar. Siebzig Prozent der Häftlinge sitzen ohne Urteil ein. Ein südamerikanisch-europäisches Team um den Schweizer Theaterregisseur Christoph Frick hat vor Ort recherchiert, sprach mit Gefangenen, Gefängnisleitung, Polizisten und Anwältinnen. Entstanden ist das Stück „Palmasola“. Es erzählt von den Überlebensstrategien der Häftlinge und untersucht die Regularien dieses Staates im Staat. Der in Bolivien geborene Autor und Übersetzer Hugo Velarde reflektiert über den sozial-historischen Hintergrund und die daraus entstandene Theaterproduktion in seinem Essay „Traurige Tropen zwischen Vierter Welt und Neoliberalismus“. Die nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. Oktober 2019.
Was macht das Theater, Edmond Budina? Edmond Budina, braucht Tirana, braucht
jeder kann seine Meinung äußern. So et-
Albanien ein neues Nationaltheater – der
was ist niemals zuvor in Albanien gesche-
Architektur wegen oder wegen der Pro-
hen. Seit dem 24. Juli sind die Protestie-
duktionsbedingungen –, oder erfüllt das
renden rund um die Uhr im Gebäude, um
aktuelle Gebäude alle Bedürfnisse?
es zu schützen. Nach dem Zusammen-
Natürlich brauchen Tirana und Alba
stoß mit der Polizei sind wesentlich mehr
nien ein neues Nationaltheater, hoch
Unterstützer hinzugekommen. Die Saat
modern und mit verbesserten Arbeits-
wurde anderthalb Jahre lang gesät, jetzt
bedingungen. Aber das bedeutet nicht,
wächst diese Pflanze.
dass man das existierende zerstören sollte. Das aktuelle Gebäude hat man
Wie ist die Besetzung organisiert, wie
mit Absicht verwahrlosen lassen, um
lange können und wollen Sie Widerstand
es besser abreißen lassen zu können.
leisten?
Es ist aber, vom Raum her gesehen, von
Unser Protest war die ganze Zeit fried-
der Form, der Architektur, der Akustik
voll, mit Theater- und Ballettaufführun-
und den Gewerken her, das beste.
gen, Filmscreenings und Musikperfor-
Es ist ein einzigartiges Gebäude, der
mances. Nach der Polizeigewalt vom
Architekt hat sich dazu von einem Bild
24. Juli waren wir gezwungen, das
von Giorgio de Chirico inspirieren las-
Theater zu besetzen. Wir fanden es in
sen. Schon allein deshalb sollte es mit
skandalösem Zustand vor. Die Regie-
allen Kräften geschützt werden.
rung kappte Strom und Wasser, aber mithilfe von Generatoren – für das
Was wären die Qualitäten des geplanten
Benzin spenden die Bürger – halten wir
neuen Theaterbaus, was die Nachteile?
den Betrieb aufrecht. Derzeit organi
Das Projekt des neuen Theaters, das von
sieren wir ein Festival für den Schutz
der Regierung vorgestellt wurde, erinnert
des Theaters, mit kostenlosem Eintritt.
mehr an ein betoniertes Einkaufszentrum
Und wir sind entschlossen, bis zum
als an ein Theater. Mit den angefügten
Schluss Widerstand zu leisten, bis
Türmen zerstört es die architektonische Harmonie, die die italienischen Baumeister in den 1930er Jahren hier herstellten. Es wurde auch als ein Objekt ohne Details präsentiert: Niemand weiß, ob es in Zukunft ein kleines oder ein großes Theater enthalten wird, mit Einkaufszentren und Restaurants in seinem Inneren. Tirana hat bereits die bittere Erfahrung gemacht, dass alle historischen Kinos verschwunden sind. Sie wurden nicht
Edmond Budina (67) ist Schauspieler und Regisseur aus Tirana, Albanien. 1974 trat er erstmals im National theater in Tirana auf. Das Gebäude soll abgerissen und durch ein neues ersetzt werden. Die mit diesem Projekt verbundene Privatisierung von öffentlichem Land führte bereits 2018 zu einem Protest von Künstlern und Intellektuellen. Seit diesem Sommer ist das Theater besetzt. Budina gehört zu den protestierenden Künstlern. Bei einem Polizeieinsatz wurden bereits Menschen verletzt. Foto Ivana Dervishi
die Regierung den Beschluss zur Zer störung des Theaters annulliert. Welche Art von Nationaltheater wünschen Sie sich für die Zukunft? Wir würden gern mehrere neue Theaterhäuser erhalten, aber auch die Erinnerung an die Vergangenheit bewahren. Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit. Wir möchten, dass das Natio naltheater politisch unabhängig ist, so
durch neue ersetzt, wie von der Regie-
unabhängig wie möglich, sodass die
rung versprochen. An ihrer Stelle stehen
Würde des Künstlers nicht missachtet wird, so wie es bis jetzt oft geschah. Wir
jetzt Hochhäuser. Die Ankündigung des neuen Theaterprojekts –
wollen, dass das Theater endlich die Aufgabe
Was löste genau den Protest aus?
ohne jeden Wettbewerb, ohne jede Anhörung –
erfüllt, für die es geschaffen wurde: die Herzen
Der Protest begann bereits vor zwanzig Jah-
hat die Flamme des Protests neu entzündet.
und Hirne der Menschen zu bereichern und sich in Opposition zu allen Mächten, zu allem
ren, als der heutige Premierminister Edi Rama, damals Minister für Kultur, das Natio-
In diesem Sommer wurde schließlich das Thea-
naltheater abreißen lassen wollte. Der Wider-
ter besetzt. Wie viele Menschen beteiligen sich
stand der Künstler und eines Teils der Politik
daran, wie groß ist die Unterstützung?
war stark. Das Nationaltheater wurde zu ei-
Bislang war der wichtigste Aspekt dieses Pro-
nem Kulturdenkmal erklärt. Nach der Amts-
tests nicht die Anzahl der Teilnehmer, sondern
Im Rahmen des Festivals zum Schutz des Theaters
übernahme Ramas als Premier wurde das
seine Dauer. Seit Juni 2018 wird jeden Tag im
fand auch ein Gastspiel von Ralph Hammerthalers
Theater von der Denkmalliste gestrichen, um
Inneren des Theaters protestiert. Bürger, Künst-
„Alleinunterhalter“ (Artisti i vetëm) in der Regie
den Weg frei zu machen für die Zerstörung.
ler, Intellektuelle nehmen jeden Tag daran teil,
von Naim Berisha statt (s. TdZ 09/2015).
Bösen und a llem Ungerechten zu stellen. // Die Fragen stellte Tom Mustroph.
Machtfrei Premieren Schauspiel Luzid (Deutsche Erstaufführung) Theaterstück von Rafael Spregelburd ab 28.9.19 | brechtbühne im Gaswerk Und jetzt: die Welt! Schauspiel von Sibylle Berg ab 3.10.19 | The SOHO Stage Der Sturm Zauberkomödie von William Shakespeare ab 12.10.19 | martini-Park Die rote Zora und ihre Bande Familienstück zur Weihnachtszeit nach dem Roman von Kurt Held ab 17.11.19 | martini-Park freiheit.pro (Uraufführung) Theaterstück von Hansjörg Thurn ab 22.11.19 | brechtbühne im Gaswerk Tatort Augsburg Stadtteil-Krimi | ab 31.12.19 & Juni 2020 Bovary, ein Fall von Schwärmerei (Deutschsprachige Erstaufführung) Eine Cover-Version von Ivana Sajko ab 11.1.20 | brechtbühne im Gaswerk Švejk / Schwejk (Uraufführung) Schauspiel von & nach Jaroslav Hašek, Bertolt Brecht und Petra Hůlová ab 21.2.20 | martini-Park Auf dem Paseo del Prado mittags Don Klaus (Uraufführung) Recherchestück von Futur II Konjunktiv ab 29.2.20 | brechtbühne im Gaswerk Iskhalo somlambo / Der Ruf des Wassers (Uraufführung) Interkontinentale Stückentwicklung ab 23.4.20 | brechtbühne im Gaswerk Die Nashörner (Deutsche Erstaufführung der Neuübersetzung) Schauspiel von Eugène Ionesco ab 25.4.20 | martini-Park www.staatstheater-augsburg.de Besucherservice 0821 324 49 00
Linda Elsner | Schauspielerin Foto: Daniel Biskup