Theater der Zeit – 10/2018

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Die Lehren aus Chemnitz / Ruhrtriennale: Wie frei ist die Kunst? / Kunstinsert: Das DAU-Projekt in Berlin / Tänzerin im Sturm: Jette Steckel / Sebastian Schwarz über die Sammlungsbewegung „Aufstehen“

EUR 8,50 / CHF 10 / www.theaterderzeit.de

Oktober 2018 • Heft Nr. 10

Nino Haratischwili

Fürchtet den Frieden


VOLKSBÜHNE Bonn Park Ben Roessler Drei Milliarden Schwestern nach Anton Tschechow P14 Jugendtheater 12.10.18 Kay Voges Das 1. Evangelium frei nach dem Matthäus-Evangelium Übernahme vom Schauspiel Stuttgart 01.11.18 Hermann Schmidt-Rahmer Volksverräter!! nach Henrik Ibsen Übernahme vom Schauspielhaus Bochum 17.11.18 Christian Filips Des Menschen Unterhaltsprozess gegen Gott Ein Funkoratorium von Bernd Alois Zimmermann nach Calderón 25.11.18

Leander Haußmann Haußmanns Staatssicherheitstheater 14.12.18 Karin Beier Unterwerfung von Michel Houellebecq Gastspiel Deutsches Schauspielhaus Hamburg 18.12.18 Anita Vulesica Moby Dick nach Herman Melville Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ 08.01.18 Susanne Kennedy Markus Selg Coming Society 17.01.19 Tom Kühnel Jürgen Kuttner Der Auftrag Erinnerung an eine Revolution von Heiner Müller Gastspiel Schauspiel Hannover 22.01.19

Wir befinden uns in einem Übergangsstadium. — Erwin Piscator, 1926

www.volksbuehne.berlin


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anstelle eines editorials

und nicht auf dem reichen Kaßberg, in diesen Stadtteilen zeigt sich Chemnitz auf zweierlei Art. Auf dem Sonnenberg leben viele Hartz-IV-Empfänger, da ist der Anteil der Rechtsextremen beson­ ders hoch. Aber auch der Ausländeranteil ist hoch. Der ­Kaßberg ist wesentlich homogener, reicher, auch leben dort weniger ­Geflüchtete. Ähnlich wie in Prenzlauer Berg. Links reden, rechts leben. Wir brauchen wieder eine soziale Durchmi­ schung, dann kann auch Integration bes­ser funktio­ nieren, anstatt dass Ressen­ timents wachsen.

ranz Knoppe, wofür steht Chemnitz? Für eine Hochburg der Rechtsradikalen, also für Gewalt und Fremdenhass, oder für die Verteidigung der zivilgesellschaftlichen Normen? Für beides. Dass es gerade hier zu rechtsextremen Aktivitäten kam, überrascht mich nicht, die Strukturen existieren gerade in Chemnitz seit ­ Langem. Überraschend aber war die Mobili­sie­rungs­ fähigkeit dieser Gruppie­ rungen, die die Tötung ei­ nes Unbeteiligten als ­Signal Sie haben mit dem Projekt für einen inszenierten Hass­ „Unentdeckte Nachbarn“ ausbruch nahmen, bis hin 2016 die Vernetzung des Franz Knoppe, der Chemnitzer Projektkoordinator zu gewalt­ tätigen Übergrif­ „NSU“ mit der sächsischen des internationalen Kunstnetzwerks Grass Lifter, fen auf An­ders­aussehende Szene aufgezeigt, auch obsim Gespräch mit Gunnar Decker kure Verbindungen der Terund An­­ders­den­kende. Aber rorzelle zum Verfassungses gab eben auch das andere schutz – und das alles auf Chemnitz, etwa mit der eine verblüffend originelle theatrale Art und Weise. In Laura Lin­Aktion „Die Blockade des Grund­gesetzes“, wo H ­ underte Grund­ nenbaums Inszenierung „Beate Uwe Uwe Selfie Klick“ verband gesetzbücher den rechten Demons­tra­tionszügen den Weg ver­ sich etwa Puppenspiel, Dokumentarisches und Diskussion. Eine sperrten. Am Rand der Demo hing ein zwanzig Meter großes ­Plakat: „Die Würde des Menschen ist antastbar. Stand 27.08.2018“. Geschichtswerkstatt, in der es darum ging, zu eigenen Urteilen und Einsichten zu gelangen, nicht fertige vor­gesetzt zu bekomAuch bei den Demonstrationen gegen den Rechts­extremismus funktionierten die Netzwerke: Es kamen zehnmal mehr Men­ men? Genau das ist auch der Ansatzpunkt für das sich in diesem Jahr schen nach Chemnitz, die sich für Toleranz und eine offene Ge­ anschließende Projekt „neue unentd_ckte narrative“. sellschaft einsetzten – sechzig- bis siebzig­tausend zum Konzert mit der Chemnitzer Band Kraftklub, der Gruppe Feine Sahne Fisch­filet und den Toten Hosen. Geschichte anders erzählen? Wir wollen das Feld öffnen für die Geschichten in der Geschichte, ganz konkret hier in Chemnitz als frühere Industriemetropole, Campino von den Toten Hosen sagte dann auch, es gehe nicht um links gegen rechts. Denn mit dem Verlust allgemeinverbindlicher das sächsische Manchester. Also weg von der hülsenhaften Ver­ schlagwortung von Demokratie, hin zu dem, was hier lebendiger ziviler Normen verlieren wir alle viel – an DifferenzierungsmögInhalt ist. Etwa die Rede von den „Wendeverlierern“, ein Begriff, lichkeiten, Nuancierungswillen, an Niveau und an Takt im Umder von Rechten oft genutzt und missbraucht wird. Das ist ein gang miteinander. Ein simples Freund-Feind-Schema droht alles gedankenloses Wort – es unterschlägt, dass die Ostdeutschen die zu beherrschen. Wird es nicht höchste Zeit, an Brechts Aufforderung einer großen Aussprache im Lande zu erinnern? Erfahrung einer Transformation von einer Gesellschaftsordnung Ein Versuch gab es bereits, das sogenannte Sachsengespräch von in eine andere in sich tragen. Das hat auch mit Kraft zu tun und Chemnitzer Bürgerinnen und Bürgern mit Ministerpräsident einer besonderen Sensibilität für das, was in einer Gesellschaft Lügen und Verwerfungen sind, über die nicht laut gesprochen Michael Kretschmer (CDU) und Oberbürgermeisterin Barbara ­ Ludwig (SPD). wurde. Diese Untergangserfahrung an sich ist ein Vorzug, der je­ doch auch missbraucht werden kann. In unserem Projekt wollen wir Biografien anhand von Objekten erzählen, die mit einer Mit welchem Ergebnis? Es gab zuerst viele Buhs für beide, dann lief alles mit den üblichen abhanden­gekommenen Lebenswirklichkeit zu tun haben. Wir le­ gen das Sächsische unter den Polylux. Defensivstrategien ab. Kretschmer sagte etwa, es seien gerade sechzehn „Gefährder“ abgeschoben worden, aus dem Publikum Was ein Polylux ist, also ein Tageslichtprojektor, weiß auch nur rief man, es hätten mindestens hundertsechzig sein müssen. Auf noch eine bestimmte Generation Ost. Handelt es sich um eine Art dieser Ebene etwa lief es ab. Wiedervorlage der Nachwendegeschichte als Erinnerungsarbeit? In diesem Jahr wenden wir uns bewusst der Vergangenheit zu. Es Kein Neuansatz, Gräben zu überwinden, keine Fantasie, die von scheint so, als brauchten wir so etwas wie das, was 1968 für den einer vitalen Bürgergesellschaft zeugt? Westen war: Ein Aufbruch, der aus einer radikalen Neubewertung Auf dieser Ebene offenbar nicht. Aber zuerst müsste man über die Ursachen der sozialen Desintegration sprechen, die die Basis für der Geschichte, unter anderem der Nachwendegeschichte kommt. Die große Frage in unserem Projekt ist aber die Frage nach der solche Ausschreitungen ist. Ich wohne auf dem armen Sonnenberg

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neuen Erzählung. Wir rücken Erzählungen über vergangene Um­ sprüchlichkeiten in der Stadt auch viel Freundlichkeit hier, ebenso gewachsene Freundschaften zwischen Einheimischen und Flücht­ brüche und die Zukunft ins Zentrum, das Futter aktueller Aner­ kennungs- und Machtkonflikte. Wir fragen: Welche Erzählungen, lingen. Es gab vor drei Jahren viele Initiativen, Begleitung bei neu oder unentdeckt, stiften Sinn und geben Orientierung, um Ämtergängen, gegenseitige Einladungen und Hilfe bei der Orien­ tierung in einem fremden Land. Glücklicherweise gibt es diese eine moderne Gesellschaft divers und friedlich zu gestalten? Wir positive gegenseitige Erfahrung, sodass klar scheint: Die Hass­ setzen dem „Ende der Geschichte“ und „der Geschichte vom Kampf fraktion ist klein, aber präsent. Und dieser der Kulturen“ „Die unendliche Geschichte“ Anteil von lautstarken Radikalen zermürbt entgegen. Wir fördern europäische Erzäh­ lungen über Koproduktionen, Residenz­ auf die Dauer – da muss man nicht einmal programme sowie Bildungs- und Vernet­ vom Sprengstoffanschlag im Jahr 2016 auf Gesellschaften erodieren zungsreisen in andere europäische Städte das Kultur­ zentrum Lokomov sprechen, an der Peripherie. wie Budapest, Rotterdam oder Manches­ der von den Verantwortlichen in der Stadt ter. nicht so ernst genommen wurde, wie es Deswegen ist es umso notwendig gewesen wäre. Jetzt ist das an­ ders. Die Aufmerksamkeit ist da. Geht es um das Unabgegoltene in der Gewichtiger, Chemnitz zu schichte oder um das, was zu Recht tot und begraben ist? Wie soll es in Chemnitz weitergehen? Der einem Modell für Europa Riss, der durch die ­Gesellschaft geht, ist Beides. Es geht ja darum, sich selbst in zu machen. dieser Geschichte wiederzufinden. Das unübersehbar. Wird die Ideologie der Bewusstsein des Scheiterns ist doch viel Feindbilder selbst zum größten Feind des komplexer als jede Siegermentalität. Das inneren Friedens? Gesellschaften erodieren an der Periphe­ ist das Feld, auf dem wir Geschichte durchspielen wollen – auch mit dem gebürtigen Chemnitzer rie. Deswegen ist es umso wichtiger, Chemnitz zu einem Modell für Europa zu machen. Im Jahr 2020 muss die Frage lauten: Was ­Stefan Heym, der als Puppe immer dabei ist. Aber der eigentliche Clou ist noch ein Geheimnis. kann Europa von Chemnitz lernen? Wir müssen lernen, wieder die digitalen Blasen zu verlassen und uns auch mit den Erwachse­ Heym hat ja mit Büchern wie „Schwarzenberg“ ganz explizit über nen zu unterhalten, die man beim Fußballtraining der eigenen gesellschaftliche Alternativen nachgedacht, etwa über einen freiKinder trifft. Da prallen Welten auf­einander, aber es gibt auch Ver­ heitlichen Sozialismus in einem nach dem Krieg von den Betrauen, weil man beispielsweise Fußballschuhe untereinander ge­ satzern – kurzzeitig – vergessenen Landeswinkel im Erzgebirge, tauscht hat. Wenn man miteinander redet, ist man jedenfalls die „Republik Schwarzenberg“. Das ist ein Stück erinnerter Realischon einen Schritt weiter. // tät und zugleich eine bezaubernde Utopie, erschienen 1984 unter widrigen Bedingungen noch vor der Gorbatschow-Ära. Im nächsten Jahr wenden wir uns dann ausdrücklich der Zukunft zu, dem Thema Utopie – entdecken Möglichkeiten des Anders­ werdens. Aber wichtig ist für Chemnitz eben auch das Festival­ format, ein starker Fokus, etwa das Zusammenspiel von Figuren­ theater und Industriemuseum. Wie bewältigt eine vormalige Industriestadt den Schritt über die Schwelle der Digitalisierung – das ist auch vor dem Hintergrund dessen wichtig, was den Anlass dieses Gesprächs bildet. Da zeigt sich dann in allen Lebensberei­ chen, dass die simplen Narrative versagen – oder wie es Niklas Luhmann einmal formulierte: Komplexität lasse sich nur mittels Komplexität reduzieren. Franz Knoppe ist Verwaltungswissenschaftler und Gründer des interna-

Wie politisch ist dieses künstlerische Projekt? Kunst sendet immer eine politische Ebene mit. Die Frage ist: Macht sie das bewusst und vor allem gekonnt. Letzteres ist, was wir versuchen, indem wir viele Akteure aus Wissenschaft, Zivil­ gesellschaft und Kultur zusammenbringen und im Anschluss mit politischen Debatten dem Publikum einen Raum für einen Aus­ tausch bieten.

tionalen Kunstnetzwerks Grass Lifter. 2016 war er Projektleiter des Theatertreffens „Unentdeckte Nachbarn“ in Chemnitz, welches 2017 mit dem sächsischen Demokratiepreis ausgezeichnet wurde. Momentan arbeitet er unter dem Titel „neue unentd_ckte narrative“ als Projektleiter an einem Folgeprogramm. Schwerpunkt seiner Arbeit sind Formen des Kunstaktivismus. Sein besonderes Anliegen ist die künstlerische Bearbeitung und Aufklärung der Taten des sogenannten ­Nationalsozialistischen Untergrunds. Knoppe arbeitet außerdem als

Zurück zur Eingangsfrage: Welche Atmosphäre ist in Chemnitz derzeit die vorherrschende? Natürlich gibt es trotz oder sogar wegen all der drastischen Wider­

Organisationsentwickler, Koordinator und Trainer für ergebnisoffene Prozesse. Foto Fabian Thürhoff


Occident Express von Stefano Massini mit Rita Feldmeier

PREMIERE 19-OKT-2018


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Inhalt Oktober 2018 thema: wie frei ist die kunst?

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Martin Krumbholz Der Kopf und die Last Die erste Ausgabe der Ruhrtriennale unter Stefanie Carp scheitert am Krisenmanagement, zeigt aber grandioses Theater

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Jakob Hayner Das Gespenst der Freiheit Über die Freiheit der Kunst, ihre vergänglichen Bedingungen und aktuelle Debatten

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Kathrin Röggla Im Rückwärtsgang ins Morgen Über künstlerische Freiheit und das sperrige Material Gegenwart

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kolumne

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Die Lehren aus Chemnitz Franz Knoppe, der Chemnitzer Projektkoordinator des internationalen Kunstnetzwerks Grass Lifter, im Gespräch mit Gunnar Decker

künstlerinsert

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Das DAU-Projekt von Ilya Khrzhanovsky (Setfotografien 2009 – 2011)

protagonisten

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Die Absicht, eine Mauer zu bauen Eine Stadt in der Stadt – Thomas Oberender über das DAU-Projekt von Ilya Khrzhanovsky im Gespräch mit Thomas Irmer

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Nino Haratischwilli Der Krieg ist aus, fürchtet den Frieden Welches Theater braucht der Mensch, um sich und die Welt zu meistern? Eine Auseinandersetzung mit Brecht in zerrissenen Zeiten

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Gunnar Decker Tänzerin im Sturm Die Regisseurin Jette Steckel erzeugt mit einem Zugleich von Veränderungsfuror und Melancholie einen berührenden Zauber

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Otto Paul Burkhardt Big Mac, Big War Bettina Hering bringt mit Castorfs „Hunger“ und Rasches „Die Perser“ wieder Bewegung in die Schauspielsparte der Salzburger Festspiele

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Shirin Sojitrawalla Integriert euch nicht! Die Wiesbaden Biennale sprengt die Grenzen des Theaters und des guten Geschmacks

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Friederike Felbeck Der Fassadenkletterer Der Videodesigner Stefano di Buduo verlängert die Bühne durch digitale Mittel und macht so unsere Wirklichkeit porös

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Björn Hayer Reißt die Schubladen aus den Schränken! Die Schweizer Schauspielerin Magdalena Neuhaus kämpft gegen abgewrackte Frauenklischees – auch jenseits der Bühne

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festivals

look out


10. FESTIVAL POLITIK IM FREIEN THEATER

01. - 11. NOVEMBER 2018 MÜNCHEN WWW.POLITIKIMFREIENTHEATER.DE

BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG MÜNCHNER KAMMERSPIELE SPIELMOTOR MÜNCHEN E.V.


Premieren 18/19

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Spielzeitauftakt am 28. September 2018 Intendanz Prof. Dr. Dr. Christoph Nix


inhalt

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auftritt

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Berlin „Cry Baby“ (UA) von René Pollesch (Jakob Hayner) und „Yes But No. Eine Diskussion mit Songs“ (UA) von Yael Ronen & Ensemble (Paula Perschke) Bremen „Nathan der Weise. Ein Weichmacher für den Glaubenspanzer“ nach Gotthold Ephraim Lessing von Gintersdorfer/Klaßen in der Regie von Monika Gintersdorfer (Jens Fischer) Buckow „Der Jux“ (UA) von Jan Koslowski & Ensemble (Erik Zielke) Dresden „Der Untertan“ nach dem Roman von Heinrich Mann in der Regie von Jan-Christoph Gockel (Thomas Irmer) Hannover „Der schwarze Obelisk“ nach Erich Maria Remarque in der Regie von Lars-Ole Walburg (Dorte Lena Eilers) Paderborn „Andorra“ von Max Frisch in der Regie von Tim Egloff (Sascha Westphal) Saarbrücken „Kafkas Haus“ nach Erzählungen von Franz Kafka in der Regie von Laura Linnenbaum (Björn Hayer) Weimar „Macbeth“ in der Bearbeitung von Heiner Müller in der Regie von Christian Weise (Jakob Hayner) Wien „Die Reise der Ver­lore­ nen“ (UA) von Daniel Kehlmann in der Regie von Janusz Kica (Theresa Luise Gindlstrasser)

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Jakob Hayner Das Stück der Stunde „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ gelesen als politisches und philosophisches Programm eines Durchbruchs zum Realen

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Bertolt Brecht Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und reich gesellt sich gern (Auszug)

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In der Selbstfindungsphase Das Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg setzt gerne auf volles Risiko – in diesem Jahr jedoch sind viele Arbeiten konzeptionell unentschlossen Theater ohne Wände Matthias von Hartz präsentiert in Zürich ein Theater Spektakel, dessen diverses Programm auch im Vorbeigehen zu erleben ist Geschichten vom Herrn H. In Bewegung kommen Die Quadratur des Tanzes Wie dreißig Jahre Tanz im August und dreißig Jahre Kampf um ein Tanzhaus in Berlin zusammenhängen Optimierung im Geiste des Reiskochers Das Wiener Festival ImPulsTanz zeigt einsame Menschen und höchst lebendige Maschinen Fausts Mittelfinger Der Schriftsteller Werner Fritsch über den dritten Teil seines monumentalen Filmgedichts „Faust Sonnengesang III“ Ein Riss, der durch die Welt geht Annekatrin Hendels Dokumentarfilm „Familie Brasch“ zeigt eine zerrissene Familie in den Widersprüchen ihrer Zeit Baggerfahrer in wüster Landschaft Der Schauspieler und Sänger Alexander Scheer ist das Ereignis in Andreas Dresens Film „Gundermann“ Nomen est omen? Sönke Wortmanns Verfilmung des französischen Theaterstücks „Der Vorname“ verliert sich in platten Klischees Sonny Boy Prinzipiell nicht ohne Humor – Ein Nachruf auf Neil Simon, den König des Broadway Bücher Hanno Rauterberg, Stephen Parker, Heiner Goebbels

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Meldungen

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Premieren im Oktober 2018

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TdZ on tour in Berlin

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Autoren, Impressum, Vorschau

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Sebastian Schwarz im Gespräch mit Jakob Hayner

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stück

magazin 68

aktuell

was macht das theater?

Unsere Abonnent*innen erhalten mit dieser Ausgabe:

Theater der Zeit Spezial Tschechien

IXYPSILONZETT 02/2018 Kindertheater in China. Märkte für Millionen

Titelfoto: Nino Haratischwili. Foto Danny Merz / Sollsuchstelle*

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Das DAU-Projekt von Ilya Khrzhanovsky: Aufbau des Filmsets auf dem Gelände eines alten Schwimmbades (l.) in Charkiw (Ukraine). Foto Phenomen Films


Das DAU-Projekt von Ilya Khrzhanovsky: Fotografien aus dem „Institut“ in Charkiw (oben sind folgende Filmfiguren zu sehen: v.l.n.r. Irina Vitalevna Titova, Alexander Ivanovich Efimov, Lev Landau, Carlo Rovelli, Mikhail Borisovich Fichtenholtz, Anatoly Alexandrovich Krupitsa, Inna Alexandrovna Kovalova (Shor), Alexander Dmitrievich Serduk, Nikita Surenovich Markaryan, Alexey Gennadjevich Trifonov und Alexander Tur. Mit dem Rücken zum Betrachter: Alexandr Nikolaevich Zakutsky und Alexey Yurevich Blinov). Fotos Jörg Gruber / Glaeser



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Die Absicht, eine Mauer zu bauen Eine Stadt in der Stadt – Thomas Oberender über das DAU-Projekt von Ilya Khrzhanovsky im Gespräch mit Thomas Irmer

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homas Oberender, Mitte Oktober wird der russische Film­ regisseur Ilya Khrzhanovsky im Zentrum Berlins eine Stadt in der Stadt errichten, umschlossen von einer Mauer. Seinen Ausgang nahm dieses Projekt als Film. Khrzhanovsky wollte in Charkiw in der Ukraine einen Film über das streng geheime „Institut für Physikalische Probleme der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften“ drehen, das die Sowjetunion von 1938 bis 1968 b ­ etrieb und an dem auch der Physiker und Nobelpreisträger Lev Landau beschäftigt war. Der Dreh begann 2009 und uferte immer weiter aus. Schließlich lebten die Darstellerinnen und Darsteller, hauptsächlich Laien, drei Jahre lang in diesem nachgebauten Set. Film und Stadtinstallation kommen in Berlin nun unter dem Titel „DAU Freiheit“ zusammen. Einige sprechen schon im Vorfeld vom größten Filmprojekt der Geschichte, Kritiker monieren vor allem, dass in Berlin die Mauer wiederaufgebaut wird. Wie soll man sich DAU vorstellen? Für das DAU-Projekt in Berlin, das wir als Berliner Festspiele ver­ anstalten, wird nicht die Mauer aufgebaut, um dahinter die DDR oder die Sowjetunion zu rekonstruieren. Sondern sie ist vor allem ein Symbol. Hinter der Mauer entsteht für drei, vier Wochen eine andere Welt. In ihr findet die Weltpremiere des Filmkomplexes „DAU“ statt, wobei diese Filme – es existieren über 700 Stunden Filmmaterial – nur ein Element innerhalb einer größeren Insze­ nierung sind. Diese findet in Wohnungen statt, im Kronprinzen­ palais, in Lokalen und der Bauakademie und kreiert für jeden ­Besucher eine spezifische Reise durch eine künstliche Realität mitten in der vertrauten Stadt. Das DAU-Areal in Berlin folgt eige­ nen Regeln, und in seiner Erlebnisdramaturgie bietet es Erfahrun­ gen an, die sehr dicht an jene der an den Filmen Beteiligten in Charkiw heranführen. Das Projekt, das in zwei weitere Städte tourt, wird so nur in Berlin stattfinden – in Paris, wo es unter dem Titel „Freiheit“ läuft, gibt es keine Mauer und in London, unter dem Titel „Brüderlichkeit“ gezeigt, auch keine Wachtürme.

Also entsteht eine Art Environment, das sich mit den Filmen von Ilya Khrzhanovsky verschränkt? Es ist das Environment, aber auch der Prozess, das gesamte Pro­ zedere des Besuchs, das eine eigentümliche Verbindungen zu den Filmen erzeugt. Im Grunde erfindet Khrzhanovsky eine völlig neue Form von Veranstaltung. Ein Format, wie ich es noch nicht erlebt habe. Für DAU werden in Berlin keine Tickets verkauft, sondern man muss ein „Visum“ beantragen. Wie bei der Reise in ein anderes Land. Beide Seiten haben ihre Rechte – mit allen, auch negativen, Implikationen. Und mit diesem Antrag wird man bereits Teil des Kunstprojekts und beginnt ein Spiel, bei dem man immer selbst entscheidet, wie weit man geht. Auf Grundlage der Antworten, die ich vorab online in einem Fragebogen angebe, er­ rechnet ein Algorithmus eine „Reiseroute“ durch das DAU-­ Programm, die auf jeden Gast individuell zugeschnitten ist. Klingt wie ein Google-Algorithmus, der mir ungefragt meine nächsten Flugbuchungen vorschlägt. Hier kann man aber selbst kontrollieren, was, entsprechend des Datenschutzgesetzes, mit den eigenen Daten passiert. Es gibt bei uns kein Google Analytics. Am Tag kann es maximal 4000 Besu­ cher geben, maximal 2000 gleichzeitig, die sich jedoch über das ganze Areal verteilen, teils vereinzeln. Es ist keine Massenveran­ staltung, der gesamte Charakter ist nicht kommerziell. Es geht vielmehr um persönliche Entscheidungen, die ich in der Begeg­ nung mit dem Werk treffe. Je nach meiner Entscheidung werde ich sehr unterschiedliche Aspekte von DAU sehen. Das „Werk“ ist in diesem Sinne nicht fertig, sondern entsteht vor Ort aus dem Zusammenspiel der Besucherinnen und Besucher, der Filme, Konzerte und manch anderem. Mein Reisebegleiter ist ein Handy ohne Netzanschluss, das sowohl als Navigationsgerät funktioniert wie auch als Speichermedium. Es ist ein kuratiertes Ereignis und zugleich eines, das ich von Schritt zu Schritt selber modifizieren kann. Für die aufwendigen Arbeiten von Signa wurden meist abgele­ gene Gelände angemietet und umgebaut. Hier ist es die histori-


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sche Mitte Berlins rund um das Kronprinzenpalais. Warum dieser doch erhebliche Eingriff in die Stadt? Zunächst sollte das Projekt in der Interimszeit zwischen Castorf und Dercon an der Volksbühne stattfinden. Als sich das nicht rea­ lisieren ließ, sind die Festspiele eingestiegen, um diese Welt­ premiere in Berlin zu halten. Wir haben lange und intensiv andere Orte geprüft, und am Schluss habe ich vorgeschlagen, dass wir das Kronprinzenpalais anmieten – der Ort, an dem am 31. August 1990 der deutsche Einigungsvertrag unterschrieben wurde. In ­einem Areal, wo alles Fake und Reminiszenz ist. Der Wiederauf­ bau der Mauer wird gerade dort eine starke Form von Realität schaffen. Und für wenige Wochen eine Wunde öffnen, die uns unsere Verletzlichkeit spüren lässt, den Zustand unserer Bezie­ hungen wie auch den der Gesellschaft. Deutschland ist fast dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung so gespalten wie nie. DAU ist Teil des Programms „Immersion“ der Berliner Festspiele. Warum ist Immersion – ein Begriff, den man noch vor zehn Jahren in keinem Kunstlexikon nachschlagen konnte – gerade jetzt ein Phänomen? Der Begriff erfährt eine sehr große Aufmerksamkeit, weil wir er­ leben, wie sich verschiedene Vorgänge in der Wirtschaft, in der Art zu denken und Prozesse zu organisieren, „immersiv“ gestalten, ohne dass wir das bislang so genannt haben. Parallel zum Entstehen der Digitalkultur in den Sechzigern in den USA fingen Künstler an, sich mit Realitäten zu beschäftigen, die damals begannen, uns zu umgeben, zu absorbieren, wie ein Trip, wie eine Performance von Kaprow. Aktuell gibt es immer mehr Künstler, die das „Portal“ als Schwelle zum Gegenüber zum Verschwinden bringen – in der bil­ denden Kunst wie in der Theaterwelt oder der Musik. Das erfor­ schen wir. Wir haben im ersten Jahr angefangen, eine zeitbasierte Kunst wie Theater zu verräumlichen, in Form der großen Arbeiten von Mona el Gammal und Vinge/Müller, und dann raumbasierte Ereignisse wie Ausstellungen zu verzeitlichen, etwa bei Philippe Par­ reno. Wir sind in diesem Sinne die Teststation, aber auch der Refle­ xionsraum für die Veränderung von Werkformen und andere Pro­ duktions- und Erlebnisformen in den zeit­genössischen Künsten. Andererseits wird das Phänomen historisiert. Sie haben zusammen mit Tino Sehgal dazu eine Ausstellung im Gropiusbau kuratiert, in der Hamburger Kunsthalle gab es „Bouncing in the Corner“ über bildnerische Raumkunst und in Köln wurde James Rosenquists „The Swimmer in the Econo-mist“ ausdrücklich als immersives Bild ausgestellt. Man könnte die Panoramen von Yadegar Asisi dazunehmen, und das Phänomen fächert immer weiter aus. Zwei Ansätze existieren: der raumbasierte, bei dem es tatsächlich um einen irgendwie zu betretenden und zu erlebenden Raum geht, und der wahrnehmungsbasierte Ansatz mit dem Vorrang von visuellen und akustischen Eindrücken. Ich denke diese beiden Aspekte zusammen. Immersive Kunst ist raumschaffend. Es geht um worldbuilding. Denken Sie an DAU – da wird nichts mehr „aufgeführt“, die originalen Filme sind ohne Schau­ spieler gedreht worden. Laien und Experten haben eine Fiktion ge­ lebt, die über die Wochen und Monate und Jahre ihre Wirklichkeit wurde. Sie haben diese Welt gebaut, in der ihnen nichts gegenüber­ stand, außer vielleicht alle paar Tage mal diese monströse Filmkamera

das dau-projekt

von Jürgen Jürges. Für mich beschreibt Immersion als Begriff vor allem das Ende des Dualismus, in dem das Zuschauersubjekt auf ein Anschauungsobjekt blickt. Stattdessen formt sich das Werk durch meine Begegnung mit dem Werk. Es gibt keine Immersion ohne die­ ses intrikate Konzept von Raum. In einem 360-Grad-Szenario gibt es keine Zentralperspektive. Es umgibt mich, und jede Bewegung von mir darin ändert meine Wahrnehmung. Dioramen als verräumlichte Bilder oder alte Panoramen wie das Mesdag in Den Haag haben das vorgebildet. Es gibt übrigens auch da stets einen rite de passage, einen abgeschirmten Gang, der den Übergang ermöglicht. Und bei DAU ist es das Visum, mit dem man die Mauer passiert? So ist es. Ich fülle einen Fragebogen aus, und damit beginnt eine Begegnung, die beiderseitig ist. Das ist der erste Schritt in einer langen Kette von Entscheidungen, die ich als Besucher treffen kann und die immer tiefer in die DAU-Welt führen. Wobei im Areal ja das sonstige Leben der Anwohner und Geschäfte weiter­ geht, aber von einer zweiten, fiktionalen Ebene überzogen wird. Es entsteht ein Flimmern zwischen Alltag und Ausnahme­zustand. Das wiederholt in gewisser Weise die Situation auf dem großen Set in Charkiw, in der unter Langzeitbedingungen für die Darstel­ ler und Mitwirkenden Leben und Fiktion sich überlagerten und daraus Khrzhanovskys Film entstanden ist. // TdZ ONLINE EXTRA Eine Langfassung des Interviews finden Sie unter www.theaterderzeit.de /2018 /10

www

DAU ist ein Projekt des 1975 in Moskau geborenen russischen Film­ regisseurs Ilya Khrzhanovsky. 2005 gewann er mit seinem bislang einzigen Spielfilm „4“ zahlreiche Preise. Seine Arbeit am DAU-Projekt begann er bereits 2005. Der eigentliche Dreh fand von 2009 bis 2011 in Charkiw in der Ukraine statt. Neben den über vierhundert Darstellern, hauptsächlich Laien, nahmen auch Künstler wie Peter Sellars und Marina Abramović (hier mit im Bild) an den Dreharbeiten teil. Teodor Currentzis spielte Lev Landau, den Physiker, um den es in dem Film geht. Gefilmt wurden sie von Jürgen Jürges, der mit Fassbinder, Wenders und Haneke Filmgeschichte geschrieben hat. Die Installation „DAU Freiheit“ im Herzen Berlins soll am 12. Oktober eröffnen. Bis Redaktionsschluss liefen noch zahlreiche Genehmigungsverfahren bei den städtischen Behörden. Foto dpa

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Wäre es nur die Kunst gewesen, die bei der diesjährigen Ruhrtriennale im Mittelpunkt gestanden hätte, wäre der Start für Festivalchefin Stefanie Carp durchaus gelungen. Die Diskussion um die schottische Band Young Fathers und deren Unterstützung der antiisraelischen BDS-Kampagne zeigte jedoch: Immer häufiger geraten Künstler zwischen die Fronten der Politik oder beziehen selbst Stellung. Unsere Autoren Martin Krumbholz, Jakob Hayner und Kathrin Röggla haben die Debatte um die Ruhrtriennale zum Anlass genommen, um auch grundsätzlich über das Thema der Kunstfreiheit nachzudenken.


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wie frei ist die kunst?

Der Kopf und die Last Die erste Ausgabe der Ruhrtriennale unter Stefanie Carp scheitert am Krisenmanagement, zeigt aber grandioses Theater

von Martin Krumbholz

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as hat Dada in Afrika verloren? KABOUM! In flamboyan­ ten Lettern, wie in einem Comic, zucken die Buchstaben über die Cinemascope-Bühne der Kraftzentrale im Landschaftspark Duis­ burg-Nord. Kraftzentrale ist überhaupt die denkbar passendste Chiffre für das grandiose Spektakel unter dem Titel „The Head & the Load“, in Szene gesetzt von dem südafrikanischen Video­ künstler, Zeichner, Performer William Kentridge. KABOUM! Und ta-ta-ta-ta! Maschinengewehrfeuer. Es geht um die Kolonialzeit, speziell um den Ersten Weltkrieg, für den auch auf dem afrikani­ schen Kontinent Abertausende Menschen unter Zwang rekrutiert wurden. Am Anfang steht ein prächtig gekleideter, die Stimme Afrikas vertretender Mann an der Rampe und verkündet mit sei­ nem vollen Bariton, das Leben sei Kampf; ohne diesen sei es nichts als ein „Faschingsumzug“. Ein älterer Uniformierter mit mächtigem Offizierskäppi ruft dem Mann von seinem hohen Stuhl herab zu: „Sprechen Sie Französisch! Das edle Französisch der Franzosen aus Frankreich!“ Es gibt viel zu lachen und noch mehr zu sehen bei diesem eigentlich viel zu kurzen Eröffnungsevent der diesjährigen Ruhr­ triennale. Von wem auch immer die eingestreuten Texte stam­ men, von Kurt Schwitters, Tristan Tzara und einigen anderen, sie tauchen den hochpolitischen Stoff in ein scharfes parodistisches Licht. Beklemmend sind die erzählten Geschichten, etwa die von dem Schiff, das, in seine Einzelteile zerlegt, von Kapstadt ins Lan­ desinnere transportiert wird, mit der Bahn, auf Traktoren, auf dem Rücken von Ochsen und zu guter Letzt auf den Schultern der schwarzen Männer, die, wenn sie sterben, umstandslos ersetzt werden. Die ästhetische Form aber, die Kentridge als Regisseur dafür findet, ist alles andere als spröde – sie ist übermütig, kom­ plex und erlaubt keinerlei Sentiment. Man sieht eine lange Pro­ zession in zweierlei Gestalt, denn die realen Figuren zeichnen sich als Schattenrisse im Hintergrund erneut ab. Sie tragen auf

Die Unterdrückung einer Mehrheit durch eine obsessive Einwan­derer-­­ clique – „The Head & the Load“ von William Kentridge. Foto Ursula Kaufmann

ihren Häuptern kein Schiff, sondern die unterschiedlichsten Re­ quisiten, Stühle, Ventilatoren und vieles mehr. Ihre Schritte sind langsam und schleppend. „The Head & the Load“ ist ein Beitrag zum Thema Postkolo­ nialismus und Migration, nicht zuletzt aber auch Theater zur Mu­ sik von Philip Miller. Eine Blaskapelle wie aus dem Zirkus mar­ schiert über die Bühne: „Marschieren ist akzentuiertes Gehen!“, befiehlt eine weiße Dame mit strengem Pagenschnitt. Der Mann am fahrbaren Klavier trägt einen Fez wie aus „Tausendundeiner Nacht“. Es wird herrlich gesungen: Hat man die englische Hymne je so inbrünstig, so wundervoll interpretiert gehört wie hier? „God save the King!“ Die Ironie, mit der Kentridge sein Thema von der Unterdrückung einer Mehrheit durch eine obsessive Einwanderer­ clique versüßt und versalzt, umfasst jedes Element, so offen und leger gewoben die Dramaturgie des Abends sich auch gibt. Wo in der Weite der Industriehallen sich bei anderen die Aktionen gele­ gentlich zu verlieren drohen, wirken sie ausgerechnet bei William Kentridge, der ja kein genuiner Theatermacher ist, kompakt und konzentriert. Das Auge wandert die Breite der Bühne entlang, aber es zerstreut sich nicht. Es findet Nahrung: mehr als genug. Stefanie Carp, seit diesem Sommer Intendantin der Ruhr­ triennale, könnte mit dem gelungenen Auftakt hochzufrieden sein, und sie ist es auch, wie sie im Gespräch versichert. Wäre da nicht die politische Affäre um die schottische Band Young Fathers und die BDS-Kampagne, die höhere Wellen schlägt, als es jedes Theater­ereignis vermag. BDS ist eine internationale Bewegung, die sich pro Palästina und contra Israel starkmacht; in den anglo­ amerikanischen Ländern gibt es offenbar eine Reihe von Künst­ lern, die mit dem BDS sympathisieren, anders als in Deutschland. Auch Juden gehören zu ihnen, wie der amerikanische Komponist Elliott Sharp, der auf der Ruhrtriennale zu Gast war. Und eben die Young Fathers, die Carp einlud, dann – auf politischen und sozialen Druck – auslud und schließlich (erfolglos) e­ rneut einlud, was ihr vom BDS prompt als Opportunismus aus­gelegt wurde, von der NRW-Regierung hingegen als nicht opportun. Wenig später sagte das Istanbuler Hezarfen Ensemble sei­ nen Auftritt ab: Die Musiker fühlten sich missverstanden, nach­ dem kritisiert wurde, im Programm der Triennale sei der Völker­ mord an den Armeniern verharmlost worden; die Musiker hatten den Ausdruck „Völkermord“ allerdings bewusst vermieden, um in der Türkei keine Schwierigkeiten zu bekommen. Auch dafür wur­

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TNL PREMIEREN 18/19 LE DUO SPORTIF | UA | THE OTHER: ME | von MARION ROTHHAAR | ROSE | von RÉGIS LAROCHE | 25. September 2018 | Koop mit NEST Thionville WEIßER RAUM | UA | von LARS WERNER, Kleistförderpreisträger 2018 | Regie Anne Simon | 4. Oktober 2018 | Koop mit Ruhrfestspielen, Kleistforum Frankfurt/Oder PUBLIC FORUM. DREI DEBATTEN ||| zum Sprachgebrauch der identitären Rechten | 4. Oktober 2018 ||| zum diskreten Charme der Gewalt | 21. März 2019 ||| zur Entwicklung der Gesellschaften seit 1968 | 27. April 2019 DIE SPIELER | UA | nach FJODOR M. DOSTOJEWSKI von RUTH HEYNEN | Regie Frank Hoffmann | 13. Oktober 2018 | Koop mit den Ruhrfestspielen, Staatsschauspiel Hannover FËNSTERDALL | von POL GREISCH | szenische Lesung | Regie Frank Hoffmann und Andreas Wagner | 25. Oktober 2018 WILHELM II. The Crazy Antiwar History Rallye | UA | von WOLFSMEHL | Regie Stefan Maurer | 5. November 2018| Koop mit den Ruhrfestspielen, Stadttheater Minden LE VIOLONCELLE DE GUERRE | Konzert und Lesung | von und mit EMMANUELLE BERTRAND und FRANÇOIS MARTHOURET | 12. November 2018 | unterstützt vom Institut Français du Luxembourg WELTENBRAND | nach EDLEF KÖPPEN von MICHAEL BIDELLER | Regie Erik Schäffler | 14. November 2018 | unterstützt von der Deutschen Botschaft Luxemburg GASTAUTOR TNL 18/19 aus Bulgarien ||| STEFAN IVANOV SOLSCHENIZYN DISSIDENT PATRIOT | szenische Lesung mit russischen und luxemburgischen Schauspielschülern | Einrichtung von FRANK HOFFMANN | 11. Dezember 2018 | Koop mit MALY Theater Moskau und unterstützt vom Centre culturel et scientifique de Russie au Luxembourg HIROSHIMA MON AMOUR | von MARGUERITE DURAS | mit Fanny Ardant | Regie Bertrand Marcos | 14. Dezember 2018 EUROPE – MY HEART WILL BE BROKEN AND EATEN | UA | von SALAT LEHEL | Cinema-Theatre | Regie Armin Petras | 12. Januar 2019 HAUSAUTOR des TNL 18/19 ||| RAFAEL DAVID KOHN DEMANDEZ AU PRÉSIDENT | von RAFAEL DAVID KOHN | 16. Januar 2019 PEER GYNT | von HENRIK IBSEN | Regie Roberto Ciulli und Maria Neumann | 13. Februar 2019 GROUNDED | von GEORGE BRANT | Regie Anselm Weber | 23. Februar 2019 LE DIEU DU CARNAGE | von YASMINA REZA | Regie Frank Hoffmann | 14. März 2019 BEETHOVEN | Konzert mit JEAN MULLER und ANDRÉ JUNG | Einrichtung Marion Rothhaar | 23. März 2019 WILDE | UA | von MALA VOADORA nach OSCAR WILDE: „Lady Windermere’s Fan“ | Regie Jorge Andrade und Miguel Pereira | 29. März 2019 LES HÉROS SONT FATIGANTS | UA | von CLAUDE FRISONI | Regie Jacques Schiltz | 25. April 2019 VOGLIAMO TUTTO! | UA | Musik-Performance von EROSANTEROS | Agata Tomšič und Davide Sacco | 27. April 2019 THEMENWOCHENENDE zu den 68ERN HEUTE in Kooperation mit dem TOL ||| 28. und 29. April 2019 Mais sois sans tweet | Public Forum | Vogliamo tutto! | Les héros sont fatigants L’ILE SAUVAGE | nach WILLIAM GOLDING | Regie Serge Wolfsperger | 17. Mai 2019 Théâtre National du Luxembourg, 194, Route de Longwy, L-1940 Luxembourg, www.tnl.lu

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de Carp kritisiert. Im Gespräch klagt sie, einige Leute in Deutsch­ land verstünden nicht, dass man in anderen Ländern ins Gefäng­ nis wandern könne, wenn man Dinge so klar benenne, wie man es hier, auf sicherem Boden, gewohnt sei. Sie findet diese Haltung naiv. Umgekehrt schlägt der Intendantin höhnisches Gelächter entgegen, als sie auf der Podiumsdiskussion, die anstelle des aus­ gefallenen Konzerts der Young Fathers angesetzt wurde, bekennt, vom BDS zuvor nie gehört zu haben. Es sind Parteigänger der isra­ elischen Politik, die hier lachen. Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert, der die Diskussion moderiert, meint, man habe Zwi­ schenrufe auszuhalten, solange die Veranstaltung nicht nachhaltig gestört würde. Lammert ist der kühlste Kopf auf dem Podium. Die Debatte steht unter dem Titel „Freedom of Speech / Frei­ heit der Künste“. Während die Kulturministerin Isabel Pfeiffer-­ Poensgen sich eher zurückhält, übt der frühere grüne Minister ­Michael Vesper – in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Freun­ deskreises der Ruhrtriennale – deutliche Kritik an Carps Krisen­ management. Sie hätte sich im Vorfeld besser informieren müssen, belehrt Vesper die Intendantin. Diese Rüge impliziert, es stehe ­außer Frage, dass die Young Fathers nicht hätten eingeladen wer­ den dürfen. Aber ist dem so? Vergeblich fragt Stefanie Carp, ob man nicht unterscheiden müsse zwischen großartigen Künstlern (und ihrer Kunst) und den womöglich problematischen, zweifelhaften oder sogar ärgerlichen politischen Engagements, die sie tätigen. Das eigentliche Problem war, dass Stefanie Carp zu viel Zeit benötigte, um eine begründbare Entscheidung zu finden. Damit machte sie sich angreifbar, nicht mit der Entscheidung selbst. Denn die von Carp aufgeworfene Frage, ob man eine künstlerisch begrün­ dete Einladung in jedem Fall von der jeweiligen „Staatsfrömmig­ keit“ oder wie auch immer definierten „Korrektheit“ e­ ines Künst­ lers oder eines Kollektivs abhängig machen müsse – diese Frage ist durchaus berechtigt. Sie berührt einen anderen ­Aspekt, erschöpft sich aber nicht in ihm, nämlich die Tatsache der besonderen ethi­ schen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem jüdischen Volk und dem israelischen Staat. Stefanie Carp hat Lehrgeld zahlen müs­ sen – vielleicht etwas mehr als billig. Bedauerlicherweise stellt dies ihre künstlerischen Erfolge vorläufig in den Schatten. Der Schweizer Christoph Marthaler, von Haus aus neutral, in diesem Fall jedoch ein entschiedener Verteidiger Carps, firmiert als artiste associé der Ruhrtriennale und hat sich eines unvollendet gebliebenen musikalischen Chef d’Œuvre angenommen: Die „Universe Symphony“ stammt aus der Feder des Amerikaners Charles Ives (1875–1954) und bildet nun unter dem Titel „Universe, Incomplete“ einen unbestrittenen Höhepunkt des Festivals. Prachtvoll entfaltet sich die Musik in den schier unendlichen Weiten der Jahrhunderthalle, die die Bochumer Symphoniker, ­ ­dynamisch in Knickerbockern dirigiert von Titus Engel, förmlich zu verschlingen scheint: Meistens sieht man sie gar nicht; quasi als Entschädigung lässt Marthaler sie einmal in einem langen, stummen Gänsemarsch über die Bühne laufen. Doch was heißt hier schon Bühne? Die Bühne ist das Universum, oder jedenfalls das Universum der imposanten Industriehalle, in die Anna Viebrock und Thilo Albers Bühnenbilder gebaut haben, mit denen man ein halbes Dutzend Guckkastenbühnen hätte bestücken können. Da steht etwa eine Brücke, die aus Goldonis „Diener zweier Herren“ stammen könnte, und tatsächlich scheint die lustig


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­ ostümierte Alpenblaskapelle, die sich für ein Ständchen darauf k trifft – es handelt sich um Musiker des Ensembles The Rhetoric Project –, aus der Commedia dell’arte entlaufen zu sein. Ihre Musik tritt in Konkurrenz mit den strömenden Klängen der Symphoni­ ker, die weiterhin unsichtbar bleiben; irgendwo in den Nischen und Fluchten der Halle müssen sie sich aufhalten. Irgendwann schaut ein einbeiniger Dinosaurier nach dem Rechten – die „Uni­ verse Symphony“ ist so etwas wie eine Geschichte der Menschheit in Tönen. Die fehlenden Partien hat man durch andere Werke von Ives ersetzt; zu hören sind etwa Auszüge aus einem Streichquar­ tett, und die Sängerin Tora Augestad steht mutterseelenallein vor der Tribüne mit rund tausend Zuschauern und singt einige JazzSongs von Charles Ives. Das kurze Stück „The Unanswered Ques­ tion“ bildet den triumphalen Abschluss des Abends. Eine einsame Trompete durchdringt die langsam verebbenden Streicherklänge; die Spieler und Tänzer stehen dabei regungslos auf der Bühne, mit gesenkten Köpfen, und lauschen der Musik. Zurück in die Kraftzentrale des Landschaftsparks DuisburgNord. Hier entwickelt der argentinische Autor und Regisseur ­Mariano Pensotti unter dem Titel „Diamante“ seine Utopie – und Dystopie – von einer „freien privaten Stadt“, die der deutsche In­ dustrielle Emil Hügel vor gut hundert Jahren im Norden Argenti­ niens gegründet haben soll, als Werksiedlung für sein BergbauUnternehmen Goodwind, in dem vor allem Migranten aus Deutschland Arbeit fanden. In der Art eines Filmsets hat Bühnen­ bildnerin Mariana Tirantte elf Schauplätze in die Kraftzentrale gebaut, an denen entlang sich die Besucher nach eigener Regie bewegen können, um zu erleben, wie eine kapitalistische Utopie sich langsam (in sechs Stunden) vom Traum in den Albtraum ver­ wandelt. Man hat den Angestellten Privilegien versprochen, schö­ nes Wohnen, gute Bezahlung, eine ausgefüllte Freizeit mit Musik und Tanz, und eine Zeit lang floriert das Projekt, das freilich sei­ nen totalitären Charakter kaum verbergen kann (man lebt in ei­

Die Geschichte der Menschheit in Tönen – Christoph Marthalers „Universe, Incomplete“. Foto Walter Mair

nem Getto, von der Außenwelt abgeschieden) und schließlich mehr und mehr apokalyptische Züge annimmt. Die Besucher der Inszenierung sehen in den Räumen klei­ ne Szenen, während über den Fenstern permanent Text abgespult wird, in dem Pensotti das Geschehen kommentiert, übermalt, ein­ ordnet und transzendiert. In einer der Figuren scheint er sich selbst zu spiegeln: Der abgerutschte, einst erfolgreiche Theaterre­ gisseur Milo, dessen Frau in der Firma eine Leitungsfunktion in­ nehat, übt mit Kindern eine Choreografie für einen Festakt ein – eigentlich aber plant er ein großes Projekt, in dem er Glanz und Elend der Bewohner von Diamante nachspielt. Dieses Projekt hat Mariano Pensotti, könnte man sagen, in großem Stil realisiert. Jede einzelne Szene dauert nicht länger als acht Minuten. Dann begeben sich die Zuschauer mit ihren Hockern und Sitz­ kissen zum nächsten Hotspot, ihre Laufwege kreuzen sich, jeder hat ein anderes Ziel. Die Reihenfolge spielt keine entscheidende Rolle. Allerdings sind die schriftlichen Kommentare oft auf­ schlussreicher und beschäftigen den Besucher mehr als die Szenen selbst, was nicht an den (argentinischen und deutschen) Schau­ spielern liegt, sondern daran, dass Pensotti offenbar befürchtet, die Szenen sprächen nicht für sich selbst. So ist diese vermeintlich immersive Aufführung eher eine Performance inklusive Kom­ mentarteil. Was die eigentlichen künstlerischen Akte betrifft, war dies eine (nicht nur historisch) informierte und ästhetisch bemerkens­ werte Ruhrtriennale. Das im Umfeld entstandene Reizklima wirk­ te stellenweise bedrohlich; aber vielleicht waren die Debatten not­ wendig, um wenigstens diesen oder jenen Standpunkt zu klären; gelöst wurden die Konflikte nicht. //


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THEATER BADEN-BADEN 2018/2019: ERBEN 08.09.2018

VOR SONNENUNTERGANG von Gehart Hauptmann // Textfassung von Kekke Schmidt // Regie Rudi Gaul

13.10.2018

MUSICAL CABARET Buch von Joe Masteroff, Musik von John Kander, Gesangstexte von Fred Ebb // Musikalische Leitung HansGeorg Wilhelm // Regie Ingmar Otto

10.11.2018

DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG HERZSPRÜNGE von Terence Rattigan // Aus dem Englischen von Bernd Schmidt // Regie Benjamin Hille

19.01.2019

DER STEPPENWOLF von Hermann Hesse // Theaterfassung von Joachim Lux // Regie Isabel Osthues

15.02.2019

DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG NUR DREI WORTE von Joanna Murray-Smith // Aus dem Englischen von Peter und John von Düffel // Regie Otto Kukla

22.03.2019

DAS SPIEL VON LIEBE UND ZUFALL von Pierre Carlet de Marivaux // Aus dem Französischen von Felix Prader // Regie Felix Prader

14.04.2019

OPER URAUFFÜHRUNG VICTORIA BOND: CLARA Libretto von Barbara Zinn Krieger. Koproduktion mit dem Festspielhaus Baden-Baden, Berliner Philharmoniker, „Akademie Musiktheater heute“ der Deutsche Bank Stiftung // Musikalische Leitung Michael Hasel // Regie Carmen Kruse

27.05.2019

RECHERCHEPROJEKT WELTERBEN Stückentwicklung von Michael Uhl

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Vera ˇ Ondrašíková & collective Tschechien theater junge generation / Ariel Doron Deutschland/Israel TAMTAM objektentheater Niederlande AURA Dance Theatre Litauen Simon Mayer Österreich/Belgien Antoine Birot Frankreich Cosmo Klein TRIO Deutschland Daan Mathot Niederlande Joshua Monten Schweiz Dorothee Metz Deutschland Iva Nova Russland Pulsar Trio Deutschland La Pendue Frankreich Aerodice Deutschland Cod.Act Schweiz Teatro Koreja Italien Laurent Bigot Frankreich Masaa Deutschland AKHE Russland

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Das Gespenst der Freiheit Über die Freiheit der Kunst, ihre vergänglichen Bedingungen und aktuelle Debatten von Jakob Hayner


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it der Freiheit der Kunst ist es wie mit dem Übergang von ein paar Sandkörnern zu einem Sandhaufen: Mit der genauen ­Bestimmung der Grenze tut man sich schwer, allerdings gibt es eine. In allen Diskussionen um Kunstfreiheit geht es letztlich um die Bestimmung ihrer Grenzen. Ein Satiriker verunglimpft einen Staatspräsidenten: Ist das noch Kunst oder schon Schmähkritik? Eine goldene Statue desselben Präsidenten wird im öffentlichen Raum aufgestellt: Ist das noch Kunstfreiheit oder schon die ­Gefährdung der öffentlichen Ordnung? Ein Theaterstück zeigt Mitglieder der AfD und Personen der Neuen Rechten als untote Monster: Ist das noch Kunstfreiheit oder schon die Verletzung von Persönlichkeitsrechten? Zunächst ist die Grenze des Rechtsguts der Kunstfreiheit juristisch bestimmt. Wo durch die Kunstfreiheit andere Rechtsgüter verletzt oder bedroht werden, wird sie ein­ geschränkt. Im Einzelfall obliegt die Klärung solcher Sachverhalte der Justiz, die Grenze ist also selbst das Resultat der Verhandlun­ gen vor Gericht, und die Abwägungsentscheidungen sind sicher auch abhängig davon, welchen Wert man dem einen oder anderen Rechtsgut überhaupt zukommen lassen möchte. Da die Kunstfrei­ heit ein durch das Grundgesetz garantiertes Recht ist, müssen durchaus handfeste Gründe vorliegen, um sie einschränken zu können. Das Kunstempfinden der Bevölkerung sollte zum Bei­ spiel unter keinen Umständen die Grundlage irgendeines juristi­ schen Eingriffs in die Kunstfreiheit sein. Schwieriger liegt der Fall, wenn die ideellen Grenzen der Kunstfreiheit verhandelt werden. Ein Intendant verfügt, dass in einem Theaterstück ein Neonazi nicht mehr das sagen darf, was ein Neonazi halt üblicherweise sagt, weil sich Menschen im Pub­ likum dadurch angegriffen fühlten: Ist das noch Kunstfreiheit oder schon falsche Rücksichtnahme? Irgendwie klingen die Argu­ mente ja ähnlich wie bei einem juristischen Fall, der Vorwurf ist, dass von der Kunst eine Verletzung der Werte anderer ausgeht. Doch hier sollte man kurz innehalten und fragen, was die Grund­ lage solcher Anwürfe ist. Gibt es ein Recht auf die Freiheit des ­eigenen Gefühls? Auf die Ungestörtheit des eigenen Gefühls? Auf die Absolutheit des Gefühls? Gibt es ein Recht auf Wohlbefinden oder Sicherheitsempfinden im öffentlichen Raum? Nicht nur ein Recht auf körperliche, sondern auch gefühlsmäßige Unversehrt­ heit? Wo würde das beginnen – und wo enden? Und für wen gel­ ten? Eine solche Argumentation stellt den Begriff von Öffentlich­ keit selbst infrage. Es würde dann nicht mehr um das gemeinsame Aushandeln von vernünftigen Maßstäben des Zusammenlebens gehen, die dann auch universal gelten. Stattdessen würden alle auf der „Jemeinigkeit“ ihres willkürlichen Gefühls beharren. Kompromisse sind aber nicht möglich, wenn die Absolutheit des Gefühls begründete Meinungen ersetzt. Solch moralischer Relativismus, der alles gelten lässt, weil nichts verhandelt werden soll, ist aber nicht das Gegenteil einer liberal verstandenen Freiheit, sondern ihre Schwundform, die

Ist das noch Kunstfreiheit oder schon die Gefährdung der öffent­lichen Ordnung? – Die Erdoğan-Statue bei der diesjährigen Wiesbaden Biennale. Foto Jeva Griskjane

wie frei ist die kunst?

nun selbst illiberale Formen annimmt. Dass der „herrschaftsfreie Diskurs“ (Jürgen Habermas), der nichts kennt außer der Macht des vernünftigen Arguments, historisch nicht und vor allem nicht für alle realisiert wurde, hat zu einer Art Aufklärungsmüdigkeit geführt. Das Ideal gilt inzwischen selbst als verdächtig. Das trifft, wie gleich zu zeigen ist, auch auf die Kunstfreiheit zu. Die liberale Freiheit war die Freiheit der unabhängigen Warenproduzenten, der bürgerlichen Klasse, die sich in Parlament und Öffentlichkeit auszutauschen pflegte. Seitdem die Macht bei den Monopolen liegt, wird auf die Verhandlung des Grundsätzlichen gleich ganz verzichtet. Politik und Ökonomie scheinen unverhandelbar, Sach­ zwänge regieren, wo technokratisch Alternativlosigkeit verkündet wird. Selbst die herrschende Ideologie versucht nicht einmal mehr Vernunft zur Legitimation zu bemühen, sondern gibt un­ umwunden Unverständlichkeit und Unvernünftigkeit des all­ mächtigen Marktes zu, der damit, einem Deus absconditus gleich, umso mehr aller Kritik entzogen wird. Das lässt den Einzelnen nur noch ihre bornierte Privatheit zur öffentlichen Betätigung. Und die Freiheit der Meinung findet in der trotzigen Rechthaberei und im bescheidwisserischen Trolling der Internetkommentar­ spalten ihre zeitgemäße Form. Weil sich die gesellschaftlichen Grundlagen verändert haben, verändert sich der Inhalt der libera­ len Freiheit. Es ist angesichts dessen naiv, im Gestus des ungebro­ chenen „Weiter so!“ deren Geltung zu beschwören. Im Gegenteil schürt es sogar den Hass derer, die ahnen, dass für sie mit solcher Freiheit auch nichts zu gewinnen ist.

Die Freiheit des weißen Mannes? Bei den Debatten um die Kunstfreiheit zeigen sich ganz ähnliche Argumentationsmuster. Die einen berufen sich allenthalben auf die Freiheit der Kunst, während die anderen ihre Geltung im Ge­ samten zurückweisen. Beispielhaft für die zweite Position ist der in der Zeit erschienene Text „Mythos Kunstfreiheit“ von Julia Pelta Feldman. Die Kuratorin möchte im Namen der Opfer das „Verhält­ nis zum Kunstkanon insgesamt“ infrage stellen. In einer Welt, die auf Ausbeutung basiert, verhalte sich die Kunst kollaborativ, argu­ mentiert sie. Dieser Zustand sei unhaltbar und müsse umgehend verändert werden. Feldmans Text hat einen sehr praktischen Ges­ tus, sie stellt die rhetorische Frage, ob Redefreiheit denn in Taten­ losigkeit münden solle, und rät zum „Widerstand gegen Kunst“. Es lohnt sich, an dieser Stelle ausführlich zu zitieren, welches Pro­ blem Feldman mit der Kunstfreiheit hat. Sie schreibt: „Das Prob­ lem all der leidenschaftlichen Plädoyers für die Kunstfreiheit liegt nicht zuletzt darin, dass die Prinzipien, die sie verteidigen, immer nur das Vorrecht weniger Menschen gewesen sind. Nach west­ lichen Gesetzen steht es Künstlern frei, sich so auszudrücken, wie sie es für richtig halten. Aber was dieser rechtliche Schutz nicht anerkennt und auch nicht ungeschehen machen kann, ist, dass bis vor nicht allzu langer Zeit fast ausschließlich weiße Männer in den Genuss kamen, diesen Schutz überhaupt in Anspruch zu nehmen. Abstrakte Prinzipien nützen wenig, wenn man praktisch daran gehindert wird, sie zu nutzen. Solange Frauen und andere marginalisierte Gruppen keinen gleichberechtigten Zugang zur Kunstwelt haben, bleibt das abstrakte Ideal der Kunstfreiheit ein liberales Trugbild.“ Interessant ist es deshalb, weil Feldman gar

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Wert. Dafür soll vor allem die Person des Kunstschaffenden selbst das juristische mit dem moralischen Argument verknüpft: Der einstehen, der diese Werte verkörpern soll; die Werke dienen quasi „rechtliche Schutz“ sei das Vorrecht der Künstler und nicht allge­ mein zugänglich, also ein ausschließendes Privileg, was demokra­ als Beweise. Die so nach außen gekehrte Innerlichkeit soll eine direkte Kommunikation stiften, die man sich dann offenbar als tischen Grundsätzen widerspreche und abgeschafft gehöre. Nun macht Feldman unter der Hand aber Folgendes: Aus der Freiheit eine Art Wertegemeinschaft vorstellen kann. Die Kunst ist auf ­diese Weise in einen Bekenntnismodus verwandelt worden, wie der Kunst wird die Freiheit der Künstler, die eine rechtliche Bevor­ zugung erhalten, die sie zum Zwecke der persönlichen Bereiche­ der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seinem Buch „Wahre Meisterwerke“ argumentiert. Kein Wunder, dass so manche Bien­ rung qua Ausbeutung nutzen. Nur auf diese Weise kann sie dann behaupten, dass sich unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit nale an eine Mischung aus Selbsterfahrungsgruppen, professio­ nellem Politaktivismus und Gesellschaft für bedrohte Völker erin­ eine Ungleichbehandlung, eine Privilegierung verberge. Nach die­ ser Argumentation wäre womöglich das Künstlersein überhaupt nert. Der konformistische artivist (eine Mischung aus artist und ein böses Privileg, außer alle Menschen würden Künstler. Das activist) ist das Rollenmodell dieses Kunstbetriebs, Produzent einer wirft auch ein Licht auf die Vorstellung der Entgrenzung der inflationären Hyperkritik, die in Form moralischer Werte genos­ Kunst im „ästhetischen Kapitalismus“ (Gernot Böhme), die dem sen wird. Der moralische Relativismus führt auf dem Feld der Kunst ebenso wie auf dem der Öffentlichkeit zugrunde liegt. Kunst ist für Feldman dann wohl ein unnützes abstraktes Prinzip und zu zu schweren Verwerfungen. Unterschiedliche Positionen sind nicht mehr verhandelbar, son­ beseitigendes liberales Trugbild. Daraus erge­ Der konformistische ben sich zwei mögliche Schlüsse: Entweder dern schließen sich aus, weil sie jeweils ihre jedem die eigene Kunst. Oder gar keine Kunst Begründung im moralischen Gefühl haben. artivist ist das mehr. Und beides meint natürlich eigentlich Die Folgen werden inzwischen schon als Kul­ Rollenmodell des das Gleiche. turkampf begriffen. Hanno Rauterberg hat in seinem kürz­ Die Freiheit ist von der Kunst auf den Kunstbetriebs. Künstler übergegangen – und erscheint dann lich im Suhrkamp Verlag veröffentlichten Es­ say „Wie frei ist die Kunst?“ auf den Zusam­ als ungerechtfertigte Vorzugsbehandlung ge­ radezu feudaler Art in einer modernen und menhang zwischen diesem so bezeichneten demokratischen Gesellschaft. Feldmans Kritik der Kunstfreiheit Kulturkampf und der Krise des Liberalismus aufmerksam ge­ funktioniert nur dann, wenn sie die ideologischen Grundlagen macht. Rauterberg untersucht mehrere Ereignisse, an denen bei­ mit dem von ihr Kritisierten teilt. Es ist ja der aus den Propagan­ spielhaft das Verhältnis von Freiheit und Kunst diskutiert wurde, von Vorwürfen der kulturellen Aneignung über angebliche Impli­ daschlachten des Kalten Krieges herrührende Mythos, der die Freiheit der Kunst als die abstrakte und durch nichts bedingte kationen des Missbrauchs oder „potentiell sexistische“ Gedichte bis zu den Morden in der Redaktion von Charlie Hebdo, in deren Freiheit des künstlerischen Subjekts auffasste. Solche abstrakte Freiheit à la Jackson Pollock sollte für die freie Welt werben, in der Folge zwar die Freiheit der Kunst und der Satire rhetorisch be­ schworen wurde, inzwischen aber die Rücksichtnahme auf soge­ die Kunstfreiheit zu einem Spezialfall der Gewerbefreiheit wurde. Und Feldmans Kritik steht auf der gleichen Grundlage, nur dass nannte religiöse Gefühle Konsens in Politik und Medien zu sein scheint. Die Krise des Liberalismus, von der Rauterberg spricht, für sie die freie Welt eben eine unfreie ist und Gewerbefreiheit korrekterweise Ausbeutung genannt wird. Nur hat das mit Kunst muss dabei als ­Reaktion auf die Destruktivkräfte des Kapitalismus begriffen werden. Dass der Markt alle Probleme lösen könne, direkt wenig zu tun. Oder eben nur, insoweit auch Kunst Teil der menschlichen Produktion allgemein ist. Die Schlüsse, die Feld­ selbst jene, die der Markt selbst hervorbringt, wie der gegenwärti­ man zieht, vertiefen das Dilemma, anstatt es überhaupt in vollem ge Neolibera­lismus behauptet, ist angesichts der umfassenden Umfang zu benennen. Statt die Kunst aus dem Zwang, ein Gewer­ Krise des ­Kapi­talismus und der wieder deutlicher hervortretenden be zu sein, zu befreien, fordert sie Kunstgewerbefreiheit für alle, Klassenspaltung der Gesellschaft weder schlüssig noch glaubwür­ alle sollen Künstler sein. Was ist dann aber eigentlich noch Kunst? dig. Rauterberg weist die Forderung, dass die Kunst unfrei werden solle, weil die Welt unfrei ist, zurück. Am Ende seines Essays skiz­ Nur ein Mittel, „auszudrücken, was man für richtig hält“, wie Feldman schreibt? Eine Form des Bekenntnisses – früher zur frei­ ziert er eine positive Freiheit der Kunst, die im Spiel und im Ab­ en Welt, jetzt zur richtigen Einstellung? Wenn man die ideelle surden liegt. Es gibt ihn also doch, den Ausweg aus dem Dilem­ Freiheit der Kunst konsequent nur als individuelles Problem be­ ma, zudem noch innerhalb der Kunst? Rauterberg weist zu Recht auf das die Gegenwart transzendierende Moment der Kunst hin. greift, kommt man überhaupt nicht bis zu dem Widerspruch, in dem Kunst zu einer schlechten Welt stehen könnte. Man bedenkt Aber wäre dieses Moment in einem dialektischen Sinne nicht auch nur zu gewinnen, wenn es sich nicht einfach im absurden letztlich nur die ­Frage, wie der Kunstbetrieb seine Anpassung an die neoliberale Parole „there is no such thing as society“ vollzie­ Spiel verliert, sondern die Freiheit der Kunst zur Negation der Un­ hen kann. freiheit ihrer Bedingungen wird? Müsste gelungene Kunst sich Ein weiteres Problem tut sich auf, wenn man in der Kunst nicht immer auch an dem dunklen Grund reiben, dem sie ent­ springt – ohne sich ihm einfach gleichzumachen, aber auch ohne keine Eigenlogik erkennen mag. Feldman lässt deswegen das die ­Augen davor zu verschließen? ­Argument, dass Kunst auf einer Trennung von Fiktion und Wirk­ lichkeit basiert, nicht gelten. Kunst ist für sie, wie erwähnt, aus­ Was sich im Vorfeld der diesjährigen Ruhrtriennale zugetra­ drücken, was jemand für richtig hält, letztlich also ein moralischer gen hat, hat im weiteren Sinne auch mit der Freiheit der Kunst zu


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tun, hier aber als Freiheit ihrer Institutionen. Die Intendantin Ste­ fanie Carp hatte eine Musikgruppe erst ein-, dann aus- und dann wieder eingeladen, die Gruppe sagte schließlich den Auftritt ab. Auslöser war die Kritik an deren Unterstützung von „Boykott, Desin­ vestitionen und Sanktionen“ (BDS). Seit 2005 versucht die BDSKampagne durch Druck auf Künstler und Wissenschaftler, neben einem ökonomischen auch einen kulturellen Boykott Israels durchzusetzen. Eine solche Kampagne ist an ihren Zielen und den dafür eingesetzten Mitteln zu messen. Warum will die Kam­ pagne jegliche Form von Kooperation mit einem Staat und seinen Bürgern, vor allem den jüdischen, verhindern? Wem hilft das denn tatsächlich? Entgegen aller Behauptungen herrscht in Israel keine Apartheid, Bürgerrechte sind weder an Religion noch Ethnie gebunden. Wer ernsthaft behauptet, Israel wäre das alleinige Un­ glück der Palästinenser und überhaupt die größte Bedrohung für Frieden und Menschenrechte, bekommt von der Welt nichts mehr mit und will das auch offenbar nicht. Eine Gesellschaftskritik auf der Höhe der Zeit kann auf so etwas getrost verzichten. Wem es also ernst mit der Sache wäre, der müsste erkennen, wie abseitig Mittel und Ziele der BDS-Kampagne sind. Weil sie aber nicht ein­ fach nur abseitig ist, sondern beabsichtigt, den jüdischen Staat und seine mehrheitlich jüdischen Bürger zu delegitimieren und zu diffamieren, muss eine solche Kampagne sich mit dem Vor­ wurf des Antisemitismus zu Recht auseinandersetzen. Und weil die Kampagne, wo immer sie auftritt, durch wüstes Geschrei, Ab­ wehr von Argumentation und fragwürdige Stellungnahmen auf­ fällt, spricht nichts dagegen, solcherlei „Beiträge“ nicht auch noch mit der Vergabe öffentlicher Mittel zu honorieren. Schwer zu glauben, dass Carp vorher wirklich nichts von der BDS-Kampagne gehört haben mochte, ungeschickt bis unglaub­ würdig auch ihre schlingernde Verteidigung vor dem Landtagsaus­ schuss. Denn die Freiheit der Kunst und der künstlerischen Institu­ tionen sind von jenen bedroht, die meinen, als eingeladene Künstler die Pflicht und das Recht zu haben, ein „judenfreies“ Programm durchzusetzen – sei es durch Druck auf andere Künstler oder durch Absagedrohungen. Das ist kein abstraktes wording, wie Carp meint. Zu befürchten ist, dass der Kampf unter dem Deckmantel der Kunst- oder Redefreiheit gegen das Tabu des offenen Antisemitis­ mus zum Wegbereiter von ebendiesem wird, das „Man wird doch noch sagen dürfen“ auch unter Linksliberalen. Dass CDU-Minister­ präsident Armin Laschet sich der Diskussion entzogen hat, hat ­Regisseur Christoph Marthaler ein fatales Zeichen genannt. Das ist es auch, weil es den Entzug von Unterstützung bedeutet, nicht aber die Beseitigung von Missständen. Für aktuelle und künftige Debat­ ten, die Letzteres ernsthaft anstreben, wären neben Freiheit auch Vernünftigkeit und Sachhaltigkeit einzufordern. Über das allgemei­ ne Dilemma der Freiheit der Kunst könnte man sich bei der Gele­ genheit auch Gedanken machen, anstatt allenthalben nur das Schlagwort zu bemühen. Denn deren entleerte Form im Spätkapi­ talismus neoliberaler Prägung, das Postulat der virtuellen Unbe­ grenztheit des Subjekts, hat die moralisierenden Kleinstrebellio­ nen, denen die Kunst nun ausgesetzt ist, ebenso hervorgebracht wie das Bestreben nach autoritärer Reglementierung. Dass die Kunst hingegen einen Eigenwert hat, der sich ästhetisch begründet und eine menschengemachte Utopie verbürgt, ist eine Freiheit, die die Kunst erst wieder zu erringen hätte. //

wie frei ist die kunst?

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Spielzeit 2018 — 2019

Theater Pforzheim

WIE WOLLEN WIR MITEINANDER LEBEN

Am Waisenhausplatz 5 75172 Pforzheim theater-pforzheim.de

GROSSES HAUS Shakespeare: Wie es euch gefällt — Jacoby/Laufs: Pension Schöller — Goethe: Faust 1 — Bradbury: Fahrenheit 451 PODIUM Walser: Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel — Leitgeb: Einstweilige Vergnügung (UA) — Haidle: Für immer schön — Pommerening: Cordiers Spuren (UA) Außerdem JUNGES THEATER UNTERWEGS — THEATER IM ÖFFENTLICHEN RAUM

MUSICAL

REGIE: REINHARD SIMON

LIVE-MUSIK: TAKAYO & FREUNDE

tAMARA

URAUFFÜHRUNG: 29. SEPTEMBER, 19:30 UHR, GROSSER SAAL

WEITERE VORSTELLUNGEN: 12./13. OKTOBER, 19:30 UHR 9./10. NOVEMBER, 19:30 UHR 11. NOVEMBER, 15:00 UHR 23./24. NOVEMBER, 19:30 UHR 31. DEZEMBER, 17:00 UHR 15./16. FEBRUAR 2019, 19:30 UHR 8./9. MÄRZ 2019, 19:30 UHR 10. MÄRZ 2019, 15:00 UHR

Uckermärkische Bühnen Schwedt Tickets:Tel. (0 33 32) 538 111 (Di.-Fr. 12-20 Uhr)

www.theater-schwedt.de

Auf den Spuren von Tamara Danz, die als Frontfrau der DDR-Rockband Silly das Lebensgefühl einer ganzen Generation prägte …


kolumne

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Kathrin Röggla

Im Rückwärtsgang ins Morgen Über künstlerische Freiheit und das sperrige Material Gegenwart

W

as die Kunst braucht, einzig und allein, ist Material – Frei­ heit braucht sie nicht, sie ist Freiheit; es kann ihr einer die Freiheit nehmen, sich zu zeigen – Freiheit geben kann ihr keiner.“ Dieses Heinrich-Böll-Zitat kam mir vor einiger Zeit durch die Feder des Komponisten Helmut Oehring entgegen und hat mich beschäf­ tigt. Schließlich wirkt angesichts der Bedrohung der Freiheit der Kunst an so vielen Orten der Gedanke, Freiheit hinzufügen zu wollen, zunächst abwegig, er wirkt wie eine Verkehrung, eine merkwürdige Dialektik, die uns aber ins Herz mancher Debatte führt. Heute sieht mich der Begriff „Material“ böse an. Ja, was machen, wenn das Material sich ständig ab­ wendet? Wenn es sich entzieht, weil es immer schon weiter ist? Die Sache ist nämlich die: Während die Debatte um eine Totalitarismus-Live-Experience des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky, veranstaltet von den Berliner Festspielen im Zentrum der Stadt, gleichermaßen unter dem Titel „Immersion“ und der Flagge „Freiheit“ läuft, „DAU Freiheit“ genannt, rennen Men­ schen aus Chemnitz oder dem Umland, dem berühmten Chemnitzer Hinterland, groß wie die Bundesrepublik, Hitlergrüße zeigend über die Straße und sagen dann, das seien nicht sie gewesen, sondern Linke, denn sie wüssten ja (im Unterschied zu jenen), ein Hitlergruß koste 7000 Euro. Sogenannte Wutbürger werden danach zu einem ­Gespräch mit ihrem Ministerpräsidenten geladen, während Alex­ ander Gauland von dem „normalen Ausrasten“ spricht, ein Justiz­ beamter hat derweil einfach einen Haftbeschluss veröffentlicht, der Linken-Vorsitzende Dietmar Bartsch spricht im Radio von Staatsversagen, und wir sitzen davor und sagen: Das ist ja alles nachvollziehbar, aber doch ein verrücktes Vokabular für einen Lin­ ken – wieso? – weil: Wo kommt der Begriff her, wo will er hin? Wir sitzen in der Radioküche und haben uns bereits die richtige Bezahlung für Polizisten überlegt. Die Aufstockung des Justizapparates. Weit sind wir damit nicht gekommen und jetzt klingeln die Ohren. Alles ist richtig und klingt doch so falsch. Als gäbe es nur dieses neoliberale Narrativ, dem das rechte Narrativ gegenübersteht, an das sich dann alles zwanghaft andocken muss. (Ein typischer Dialog wäre: „Warum verwenden Sie die Begriffe der Rechten? – Wie? Soll ich nicht mehr beschreiben, was los ist? Ich lass mir doch nicht von den Rechten die Sprache diktieren!“), während wir vor uns hin murmeln, „dass die bürgerlichen Werte, und das sage ich als Linker, in unserem Lande wieder gelten“, um Herrn Bartsch erneut zu zitieren. Die bürgerlichen Werte, darun­

ter läuft vermutlich auch die Freiheit der Kunst. Insgesamt könnte man dies alles als gewaltige Ohnmachtsposition beschreiben, aus der kein Rauskommen wäre, doch jetzt gibt es nicht nur den durchaus zu erwähnenden Gegenprotest auf der Straße, es entste­ hen regelrechte Bewegungen. Ein paar Meter weiter nämlich finden wir zum Beispiel Bernd Stegemann als Vorsitzenden der Samm­ lungsbewegung „Aufstehen“, Wolfgang Engler ist auch dabei, des­ sen Soziologenkollege Wolfgang Streeck und der Schriftsteller Ingo Schulze. Sehen wir auch ihnen beim Grenzschutz zu, auf den sie nur am Rande hinauswollen? Angeblich geht es ihnen hauptsäch­ lich um soziale Gerechtigkeit und nur ein klein wenig mehr um Putinnähe oder doch nicht? Das Programm wurde gerade erst öf­ fentlich gemacht, die Sache ist noch sehr in Be­ wegung. Zu diesem Zeitpunkt. Der gleich wie­ der vorbei ist. Wir bleiben zurück und überlegen: Kann man gleichzeitig unterschreiben (denn ich will ja die Linke wieder ans Tageslicht be­fördern, vielleicht erwächst daraus ja was Brauchbares – siehe Frankreich) und nicht unterschreiben? Na, werden Sie sagen, mit diesem Gedan­ ken ist schon wieder etwas Hoffnung auf ein wenig Bürgerlichkeit verlorengegangen, die viel­ leicht noch zwischen den immer häufiger wer­ denden Bezahlvorgängen sitzen könnte, also: Raus auf die Straße, „#unteilbar“ ruft! Die Kunst allerdings muss um ihre Bedingungen zittern, der Satzteil Bölls, in dem es um das „der Kunst die Freiheit nehmen, sich zu zeigen“ geht, kommt zum Vorschein. Die Destruktionskräfte bündeln sich, während mein derzeitig überaus konkretes Problem als Dramati­ kerin das einer ständigen Diskursverschiebung ist – nichts kann mehr künstlerisch gesagt werden, ohne dass der D ­ iskurs im Mo­ ment der Äußerung nicht schon längst woanders gelandet ist und das Gesagte ins neue Licht rückt. Die Arbeits­geschwindigkeiten zu erhöhen, dies ist schiefgegangen, denn wenn die Aussagen Struktur haben sollen, die aus einem eher komplexer werdenden Material erwächst, dann empfiehlt es sich nachzudenken, es sei denn, man folgt dem abstrusen wie hybriden Gedanken, die Ereig­ nisse, wie bei DAU geplant, gleich selbst zu schaffen, das Material selbst zu schaffen. Der Rückwärtsgang ist einfach komplizierter, und die künstlerische Reaktion in Zeiten des Rückwärtsgangs muss seine Einfachheit und Evidenz erst finden. Selbst hier. Es sind Briefe von gestern, die auch Sie hier und jetzt lesen, aber, da gebe ich der guten alten Dialektik recht, sie sind nur dann brauch­ bar, wenn ich die Beziehung zu einem Morgen aufrechterhalte, ohne mich der Überraschungen zu entledigen, die dieses „Mor­ gen“ für uns bereithält. Und tatsächlich ist dies die mühsamste künstlerische Arbeit, die man sich derzeit vorstellen kann. //

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Der Krieg ist aus, fürchtet den Frieden

Welches Theater braucht der Mensch, um sich und die Welt zu meistern? Eine Auseinandersetzung mit Brecht in zerrissenen Zeiten von Nino Haratischwili

I

ch saß mit angehaltenem Atem und wartete darauf, dass der überdimensionale schwarze Stiefel auf dem Bühnenboden auf­ schlug. Es war 1996, ich war 15 Jahre alt und sah im großen Rusta­ veli-Theater meiner Heimatstadt Tbilissi den „Kaukasischen Krei­ dekreis“ in einer legendären Inszenierung von Robert Sturua, mit der er jahrelang um die Welt tourte. Der ganze Saal schien erstarrt, wusste doch jeder, wofür dieser Stiefel stand, sogar ich mit 15. Er stand für Russland, für die vierzig Jahre Kolonial- und siebzig Jahre Sowjetgeschichte, für die rote Gewalt und die Unter­drückung, für jede beschnittene Freiheit und jede verformte Biografie, für die 21 toten Zivilisten – die Jüngste darunter eine 16-Jährige – bei den ­Unabhängigkeitsdemonstrationen 1989, als die Sowjetarmee mit Spaten und Giftgas auf die Zivilbevölkerung losging. Und der Stiefel stampfte auf und war so laut, als wäre eine Bombe im Zuschauerraum eingeschlagen. Zumindest die Wir­ kung dieses symbolischen Aufschlags kam einer Bombe gleich. Im selben Moment erklang der von allen bereits mitgesprochene Satz: „Der Krieg ist aus, fürchtet den Frieden.“

Das unabhängige Georgien steckte noch in den Kinderschuhen, es war gerade einmal fünf Jahre alt und hatte seit seiner Befreiung zwei Kriege geführt und einen Bürgerkrieg mitten in der Haupt­ stadt ausgetragen, bei dem das Theater, in dem ich nun saß, nur knapp von der kompletten Zerstörung durch einen Brand ver­ schont geblieben war, was man von vielen anderen Gebäuden auf dem Prachtboulevard leider nicht behaupten konnte. Ich saß also da und sah diesem Fest zu, ja, es war im wahrs­ ten Sinne des Wortes ein Fest der Sinne. All das konnte also das Theater, die Worte vermischten sich mit der Musik, nahmen Kör­ per an, wurden zu Menschen. Es war ein Zauber, eine Befreiung. Eine Erkenntnis. Ich saß im Zuschauerraum und wollte genau dies, ich wollte diese Freiheit, diesen Rausch, dass man durch die Worte, die man auf der Bühne zum Leben erweckte, dieses Fest feierte, gerade weil es draußen so wenig zu feiern gab und man froh war, wenn das Stück ohne Strom­

„Wir haben genug dekonstruiert, jetzt sollten wir erzählen und wieder zusammensetzen“ – „Das achte Leben (Für Brilka)“ von Nino Haratischwili (Thalia Theater Hamburg 2017, Regie Jette Steckel). Foto Armin Smailovic


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ausfall zu Ende gespielt werden konnte. Und auch wenn ich das damals selbst nicht in Worte zu fassen vermocht hätte und es sich vielleicht am ehesten mit dem Wort „politisch“ beschreiben lässt – ich wollte diesen Mut und diese Relevanz erreichen. Damals hatte ich nicht einmal die leiseste Ahnung, dass Brecht in seinem Gleichnis des Kreidekreises alles Mütterliche mit dem Sozialen gleichsetzte, und noch weniger wusste ich, dass er sich als Marxist verstand. Wir hatten genug vom Marxismus, dessen Hauptideen bereits drei Tage nach der Oktober­revolution von seinen glühenden Anhängern missbraucht worden waren und seitdem siebzig Jahre lang nur in einer Mutation und im Missbrauch stattfanden. Für mich ging es in dem Stück um die Menschlichkeit und das Bewahren dieser – gerade wenn alles um einen herum unmenschlich wurde. Kurz nach diesem Erlebnis gründete ich mit einigen meiner Freunde an meiner recht liberalen und kunstaffinen Schule eine deutschsprachige Theatergruppe. Denn auch ich wollte zaubern können, ich wollte es lernen. Meine Jugend erlaubte mir die Frechheit zu behaupten, ich wüsste, wie es ging. Ich schrieb be­ reits Texte, und ermutigt von einigen Lehrern, die davon wussten, behauptete ich auch, Regie führen zu können. Mit Requisiten und Kostümen, die wir unseren Eltern stibitzten, und umrandet von einem Dutzend Kerzen – die Stromausfälle waren zu einer Art Normalität geworden –, probten wir einen Text, den ich geschrie­ ben und „Das Wohnzimmer“ genannt hatte. Das Stück handelte von einer georgischen Familie mit all ihren Problemen und Freu­ den. Natürlich gelang es mir nicht, irgendeinen Zauber herauf­ zubeschwören, wir erhielten wohlwollendes Lob der Lehrer, und wir waren einfach nur froh, irgendetwas zustande bekommen zu haben. Ich beschloss weiterzumachen. Bald wusste ich, dass das, was ich tat, mehr als ein Hobby war, und beschloss, Regie zu stu­ dieren. In dieser Zeit fing ich an, Stücke zu lesen. Ich wollte wissen, woraus sich dieser Zauber zusammensetzte. Denn dass er nicht automatisch gegeben war – davon konnte ich mich bei etlichen schlechten Aufführungen überzeugen. Und natürlich fing ich wieder bei Brecht an. Ich identifi­ zierte mich mit seiner Kritik am Bürgertum und kam dennoch aus dem Staunen nicht heraus, als ich nach und nach begriff, dass seine zunehmende Politisierung als Autor mit seiner Überzeu­ gung als Kommunist einherging. Mit meinen 16, 17 Jahren war es mir unmöglich zu begreifen, wie Brecht sich als Kommunist ver­ stehen und sogar freiwillig in die DDR gehen konnte. Ich wusste natürlich noch viel zu wenig über sein Leben und seinen Werde­ gang, mir war es damals nicht möglich, die Idee des Sozialismus von seiner Ideologie zu trennen, sah ich doch die Folgen davon tagtäglich und erinnerte mich an die russischen Panzer auf den Straßen, an die Sperrstunden, ich sah die wütende Jugend, die nicht wusste, wohin mit sich, und die sich die Zeit mit Kriegen und Heroin vertrieb, ich sah die Perspektivlosigkeit, ­dieses end­ lose, schwarze Loch, das das Wort „Sozialismus“ hinterlassen hatte. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf mein Studium der Filmregie, ich wollte leben, erleben, denn ich glaubte, dass der Zauber auf der Bühne genauso wie in der Literatur nur zu ent­

nino haratischwili

fachen wäre, wenn man das dort Verhandelte dem Leben entriss und es schonungslos wiedergab. Nach drei Jahren hatte ich genug gelebt, gefeiert und ge­ redet, und vom Zauber fehlte weiterhin jede Spur. Ich schob das alles auf das Land, auf die Perspektivlosigkeit der SchewardnadseÄra, auf die kulturelle Starre und Resignation der Leute, die für jene besagte Freiheit so selbstvergessen gekämpft hatten und nun nicht zu wissen schienen, wie sie damit umzugehen hatten. Ich musste weg. Ich musste nach Europa. Ins Epizentrum des ­Geschehens, in den Westen. Ich musste neu anfangen, an neuen Orten suchen, neue Impulse bekommen. Weg vom Sozialismus, hinein in den Kapitalismus.

Das Diktat der Postdramatik Ich hatte Glück, ich landete als eine von sechs Auserwählten an der Theaterakademie Hamburg, und alles begann von vorne. Ich begann Theaterregie zu studieren. Voller Tatendrang war ich auf­ gebrochen, auf der Suche nach meinem persönlichen Zauber, und saß nun die meiste Zeit ziemlich ratlos in den Seminarräumen oder im Theater. Das meiste, was ich auf der Bühne sah, war mir schlichtweg unverständlich. Es herrschte dort das Diktat der Post­ dramatik und der Formen, die Inhalte schienen minder wichtig. In den Figurenverzeichnissen der zeitgenössischen Stücke stan­ den statt Namen nur „Figur X“ und „Figur Y“, und jedem zweiten Stück war ein Zitat Foucaults oder Heiner Müllers vorangestellt, als sollten sie etwas ausdrücken, was die Autoren nicht zu erzäh­ len bereit waren oder schlichtweg nicht vermochten. Figuren aus Fleisch und Blut schienen aus der Mode gekommen zu sein. Ich schob mein Unverständnis auf meine östliche Sozialisation. Das Moderne hatte in dem nach der eigenen Identität suchenden, zer­ rissenen Georgien noch nicht Einzug gehalten. Ich musste also einiges nachholen, um mit dem Westen Schritt halten zu können. Auf meine sich mehrenden Fragen, warum das deutsche Theater sich hauptsächlich aus Zitaten speiste und der Genuss im Theater nur eine Kopfsache war, erhielt ich jedoch sehr oft die Antwort, ich solle mich mit der deutschen Theatergeschichte be­ fassen und mich mit dem epischen Theater auseinandersetzen. Zugleich fingen wir auch im Seminar an, Brechts Theater­ theorien zu studieren. Das Problem offenbarte sich gleich am ers­ ten Tag: Die Professorin, eine große Brechtanhängerin, sprach unentwegt von den Vorzügen der Kunst in der Diktatur, von den großartigen Inszenierungen, die unter Angst und gegen die Zen­ sur zustande kamen, sie lobpries die Arbeiterklasse und erklärte das politische Theater zum Nonplusultra. Ich geriet mit ihr sofort in Konflikt, wusste ich doch, dass sie aus der DDR geflohen war, und ich wagte es, die Frage zu stellen, wieso, wenn es dort so toll gewesen sei. Danach fand ich nie wieder Anschluss, fiel in Ungna­ de und war nun mit Brecht vollkommen allein gelassen. In dieser Zeit entwickelte ich eine regelrechte Aversion ge­ gen das epische Theater, ohne richtig begriffen zu haben, was es genau beinhaltete. Nach und nach lernte ich das Lesen und das Sehen neu. Ich lernte, die Zitate zu deuten und die Verweise zu entschlüsseln, und doch war ich Lichtjahre von dem ersehnten Zauber entfernt, im Gegenteil: Ich spürte kaum noch irgendeinen

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protagonisten

Genuss, wenn ich mich mit Dramatik beschäftigte oder im Zu­ schauerraum saß. Alles, was ich zu erzählen hatte, alles, von dem ich glaubte, es in den Texten und im Theater zu suchen, schien falsch, ich schien vollkommen fehl am Platz zu sein. Ich war nicht cool, nicht modern, nicht formal genug. Alles, was ich schrieb und inszenier­ te, schien aus der Zeit gefallen zu sein. Und Zeitgeist schien in der deutschen Kulturlandschaft alles zu bedeuten. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich Brecht erneut zu nähern, diesmal, um das Land, in dem ich nun lebte und das zufällig auch die Heimat dieses Autors war, besser zu ver­stehen. Vielleicht war es die Erfahrung der Migration, die Erfahrung der Fremde, die mir eine Annäherung an Brecht erneut möglich machte, der wie kein anderer Autor und Theater­ macher meinen Werdegang prägte und mit dem ich die größten Ausein­ andersetzungen führte, als wäre er mein ständiger Begleiter, dem ich nicht entkam. Natürlich war mein Fortgang ein freiwilliger, auch war ich der Sprache nicht beraubt worden, ich hatte sie freiwillig gewechselt, viel­ leicht weil es mir so besser möglich war, das zu erzählen, was ich zu erzählen hatte. Von meinem neuen Standpunkt aus konnte ich seinen Werdegang besser nachvollziehen. Ein Mensch, der Zeuge einer der größten Entmenschlichungen der Menschheitsge­ schichte geworden war, der seiner Heimat und seiner Sprache beraubt wurde, der über diverse Städte und Länder fliehen und sich immer wieder neu erzählen musste, musste sich vielleicht gegen all das stellen, was der Westen verkörperte und woran er gescheitert war. Ja, er hatte, wie er einmal als Inschrift für sein ­eigenes Grab nahelegte, „Vorschläge gemacht“, und sehr viele ­waren angenommen worden. Das Problem war nur, wie so oft, dass Menschen diese Vor­ schläge zu Doktrinen umfunktioniert und zu eigenen Zwecken missbraucht hatten. Auch im Theater geschah dies oft genug. Aus der einen Doktrin entstand die nächste und die nächste, es gab plötz­ lich Richtig und Falsch, es gab ungeschriebene Vorschriften, wie das Theater zu sein hatte, nach und nach legte sich eine elitäre Haube über all die Vorschläge, die längst keine mehr waren, es war wie ein erlauchter Kreis, der bestimmte, was im Theater ging und was nicht, und der schlussendlich nichts anderes tat, als sich selbst zu feiern.

Heilung durch Geschichten Die deutsche Theaterlandschaft, die so einmalig und besonders ist, hat all die Möglichkeiten, von denen man als Theatermacher nur träumen kann. Sie ist so vielfältig, vereint so viele Visionen und Spielweisen in sich, und die Subventionen ermöglichen ei­ nen geschützten Raum zum Ausprobieren, im ursprünglichsten Sinn des Wortes. Eigentlich ist das Theater eine der wenigen anti­

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kapitalistischen Inseln in unserer heutigen Welt. Es erzielt keinen materiellen Wert, die Leistung ist nicht mit Gewinn gleichgesetzt, zumindest nicht in erster Linie, es ist nahezu verschwenderisch: Man schafft etwas, das von kurzer Dauer ist, und lässt es dann wie­ der verschwinden. Genau dieser Gedanke ist für mich immer zent­ ral, wenn ich an das Theater als gesellschaftlichen Raum denke, es ist eigentlich ein sehr unschuldiger Raum, unschuldig in einem kindlichen Sinne, wo das Ausprobieren, Dingedurchden­ ken, Experimentieren und vor allem auch das Scheitern – eines der größten Tabu­ themen unserer Zeit – zugelassen, gar notwendig sind, wo der Prozess nicht minder wichtig sein sollte als das Ergebnis. All das dachte ich damals nach dem Abschluss meines Studiums und staunte doch jedes Mal aufs Neue, wenn ich mich mit der Mutlosigkeit der deutschen Thea­ terszene konfrontiert sah. Immer wieder ging es um Quoten und um Theatermo­ den. Und das größte Problem, das ich da­ mit hatte, war, dass es oftmals ein Theater um seiner selbst willen war. Stets ging es um Aktualität. War gerade Lampedusa aktuell, dann musste der Spielplan voller Dokustücke und Per­ formances über die Insel sein, ging es um die gesellschaftliche Stellung der Frau, mussten Autorinnen her, die bereit waren, öffentlich über ihre Probleme zu diskutieren, war das Land gerade wegen der sogenannten Flüchtlingswelle ge­ spalten, mussten lauter Stücke über diese Problematik her. Wurde ich für eine Auftragsarbeit angefragt, mussten es mindestens Krieg und Integrationsprobleme sein, über die ich schreiben sollte. Oder ich wurde gebeten, Stücke zu inszenieren, die von Autoren aus dem ehemaligen Ostblock stammten. Und immer musste ich mir anhören, dass man heutzutage keine line­ aren Geschichten mehr erzählen könne, dass wir – die Kinder der Postdramatik – nun mal dazu verdammt seien, auseinanderzu­ nehmen und zu dekonstruieren. Ich aber wollte konstruieren, denn so verstand ich meine Aufgabe als Autorin und Regisseurin. Schon wieder stand ich vor einer Wand voller Fragen und kam nicht weiter. Ich beschloss, einen Umweg zu gehen. Ich be­ gann, Prosa zu schreiben. Mit meinem ersten Roman „Juja“ in der Tasche klopfte ich bei diversen Verlagen an, nach drei Jahren er­ hielt ich eine Chance und er wurde veröffentlicht. Der Literatur­ betrieb, so elitär er zuweilen auch wirken mag, entpuppte sich – anders als von mir angenommen – als viel weniger „verkopft“ als der Theaterbetrieb. Es herrschten dort viel weniger Vorgaben, er ließ viel mehr Spielraum und viel mehr Themen zu. Und dann geschah etwas sehr Merkwürdiges: Auf einmal wur­ de ich für das gelobt, wofür ich jahrelang kritisiert worden war – fürs Geschichtenerzählen. Ich war vollkommen verwirrt, aber zugleich unendlich dankbar und glücklich, dass ich einen Ort gefunden hatte, wo ich mit dem, was ich liebte, woran ich glaubte, richtig lag. In den folgenden Jahren schrieb ich wie besessen, ich dachte nicht mehr daran, ob es „zeitgenössisch“ oder „aktuell“ genug war. Nino Haratischwili. Foto G2 Baraniak

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Und ich tat etwas, wogegen ich mich ebenfalls jahrelang gesträubt hatte (um nicht ausschließlich auf meinen Osthintergrund redu­ ziert zu werden, hatte ich mit ein paar wenigen Ausnahmen einen großen Bogen um meine Herkunft, meine Vergangenheit und die Themen, die dort lagen, gemacht): Ich näherte mich in meinem zweiten Roman „Mein sanfter Zwilling“ diesem geografischen und gedanklichen Ort an, um mich ihm beim dritten Roman „Das achte Leben (Für Brilka)“ gänzlich zu widmen. Es war wie eine Befreiung, und umso absurder erschien es mir, dass viele Kollegen und Thea­ terleute plötzlich meinen „Geschichtenreichtum“ lobten. Aber das spielte für mich keine Rolle mehr, ich spürte, dass es mir einerlei war, welcher Zeit oder welcher Mode ich angehörte. Ich fühlte mich endlich frei, endlich irgendwo angekommen, obwohl es eine andere Gattung war, die mir ein Zuhause bot. Und dennoch hatte es auch Auswirkungen auf meine Theaterarbeit. Brecht stellte sich die Frage, was man der Einfühlung im Theater entgegensetzen könne: „Ist Kunstgenuss überhaupt mög­ lich ohne Einfühlung“, fragte er sich in seinem epischen Theater. „Das Prinzip besteht darin, anstelle der Einfühlung die Verfrem­ dung herbeizuführen“, gab er sich selbst zur Antwort. Das war zwischen den beiden Weltkriegen, und es war höchste Zeit für ­einen Appell an die Gesellschaft zur Eigenverantwortung. Denn, so Brecht: „Das ,Natürliche‘ musste das Moment des Auffälligen bekommen. Nur so konnten die Gesetze von Ursache und Wir­ kung zutage treten.“ Heute aber, in einer Zeit, in der ein Riss durch die Gesell­ schaft zu gehen scheint, der immer größer und größer wird, in der

das Fremde Angst macht und der Andere wieder einen feindlichen Charakter bekommen hat, in der Welt der Ambivalenzen und der Undurchdringlichkeit, in der es immer schwerer wird, einen eige­ nen Standpunkt zu finden, scheint mir „Einfühlung“ ein wichtiges Wort zu sein. Denn Einfühlungsvermögen scheint in der Gegen­ wart immer weiter an Bedeutung zu verlieren. Dabei, und auch da­ von spricht Brecht, verfügt der Mensch laut Hegel über die Fähig­ keit, angesichts einer vorgetäuschten Wirklichkeit die gleichen Emotionen zu empfinden wie angesichts der Wirklichkeit selbst. Ich liebe das Theater. Ich glaube an seine enorme, zuweilen auch heilende Kraft. Ich glaube aber auch an Geschichten. Ich habe noch nie einen Theaterzuschauer getroffen, der mir gesagt hätte: Nein, bitte nicht, ich möchte keine Geschichte erzählt be­ kommen, ich möchte nur intellektuell herausgefordert werden und diese ganzen ungefilterten Emotionen sind mir zu viel – Theatermacher hingegen sehr viele. Ich kenne unzählige Deut­ sche, die sich Almodóvar-Filme anschauen und dabei weinen – einem deutschen Regisseur würde man eine solche kongeniale Melodramatik niemals verzeihen. Ich glaube auch an Pathos, das nicht automatisch kitschig und demnach billig sein muss. Ich glaube auch an die emotionale Intelligenz, und vor allem glaube ich nicht daran, dass der emotionale Genuss, den man im Theater bekommen kann, im Widerspruch zur intellektuellen oder mora­ lischen Verantwortung stehen muss. Ich glaube an die Heilung durch Geschichten. Ich glaube an die Annäherung durch gemein­ same Fragestellungen. Ich glaube vor allem an den Mut, den man als Künstler aufbringen muss. Den Mut und die Bereitschaft, sich

fast forward

europäisches festival für junge regie 15.–18.11.2018 www.staatsschauspiel-dresden.de

SUPERQUADRA F. Wiesel, Deutschland, 15.11. & 16.11.2018 PASSA-PORTE Hotel Europa, Portugal, 15.11. & 16.11.2018 ORCHIEKTOMIE rechts Noam Brusilovsky, Deutschland, 15.11. & 16.11.2018 DURÉE D’EXPOSITION Animal Architecte, Frankreich, 16.11. & 17.11.2018 MINING STORIES Silke Huysmans & Hannes Dereere, Belgien, 17.11. & 18.11.2018 ALL IN Atresbandes, Spanien, 17.11. & 18.11.2018 FOUR Kamilė Gudmonaitė, Litauen, 17.11. & 18.11.2018 YVONNE, PRINSES VAN BOURGONDIË Tibaldus / Timeau de Keyser, Belgien, 17.11. & 18.11.2018

Mit Unterstützung von: In Zusammenarbeit mit: Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste, Hochschule für Bildende Künste, Semper Zwei

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protagonisten

Ur-  u nd Ers tau ffü hr u ngen  Fo l co Terzani / U lr ich Limme r   DAS   EN DE  IST   M EI N   A N FA N G 23.09.1 8 // WLB Esslinge n David Spice r   G R AS   DRÜ B ER 12. 10.1 8 // T he ate r Ingolsta dt Bo r is S awinkow   DAS   FA H L E  P F ER D  (Ü : Alexande r Nitzbe rg) 21. 11. 18 // nomad the a tre e nse mble Stuttgar t Do min iq ue Lore nz   WER   H AT   A N G ST  VORM  WEI S S EN   M A N N 17. 11. 1 8 // T he ate r Re ge nsbu rg Fati h Akin / Ar min Pe tras   AU S   D EM   N I C HTS 14 .02.1 9 // T he a te r B re me n Petra Hůlová   E I N E  G ES C H I C HTE  D ER   B EWEG U N G 24 . 03.19 // Sta a tsthe a te r Nür nbe rg

Urau ffü hr u ngen:      K in der-  u nd Ju gends tü cke  Carsten Brandau   SAGT   D ER  WA L F I S C H  ZUM  TH U N F I S C H 25 .11. 18 / / Junge s Schau spie l hau s Dü sse ldor f Paul Maa r   PAU L AS  R EI S E 08.01.19 / / T he ate r Waidspe iche r E r fur t Chr istina Ke tte r ing   K EI N E  L I ED ER 14 . 02. 19 // Schle swig-Holste inische s La nde sthe ate r Dan iel Ratthe i   TH E  WA L K I N G   Z 23. 03.19 / / Ge rha r t-Hau ptmann-T he at er Zittau DREI MASKEN VERLAG GMBH MÜNCHEN Herzog-Heinrich-Straße 18, 80336 München T. 0049 (0)89 – 544 56 909 bestellen@dreimaskenverlag.de // www.dreimaskenverlag.de

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zu öffnen, sich verletzlich zu machen. Denn genau da liegt der Zauber, den ich, seit ich 15 bin, immer wieder in der Literatur ebenso suche wie im Theater. Dieser Zauber ist eine Folge der Aufrichtigkeit, eine Aufrichtigkeit bei dem, was man tut, aber auch der Treue, die man sich selbst halten muss. Eine Kopie von einer Kopie kann keinen Zauber hervorrufen. Es ist aber auch die Risikobereitschaft, die Bereitschaft, alles zu riskieren, ohne Ab­ sicherungen und ohne Schutz. Ja, dieser Zauber kann nur ent­ stehen, wenn wir bei uns sind und mutig sind. Ohne diese Vor­ aussetzungen habe ich noch niemals irgendeinem Zauber beigewohnt, im Leben nicht und noch viel weniger in der Kunst. Leider sind mutige Menschen in der Kulturlandschaft rar, aber es gibt sie, und ich kann ihnen nicht genug danken, all denen, die mir und vielen Meinesgleichen die Möglichkeiten gaben und ge­ ben, das zu tun oder zu sagen, was uns existenziell wichtig erscheint, das, was uns wirklich angeht, und nicht das, was von uns erwartet wird. Denn genauso wie Mut ist für jeglichen Zauber auch das Ver­ trauen eine Voraussetzung. Das Vertrauen, das man einem Men­ schen entgegenbringt, das einem Raum gibt, man selbst zu sein. „Ist dieser neue Darstellungsstil nun … das endgültige Resul­ tat aller Experimente?“, fragte sich Brecht 1939. „Nein. Es ist ein Weg, der, den wir gegangen sind. Die Versuche müssen fortgesetzt werden … Die Lösung, die hier angestrebt wird, ist nur eine der viel­ leicht möglichen Lösungen des Problems, das so lautet … Wie kann das Theater aus dem geistigen Rauschgifthandel herausgenommen und aus einer Stätte der Illusionen zu einer Stätte der Erfahrungen gemacht werden? Wie kann der … gequälte und heroische, miss­ brauchte und erfindungsreiche, änderbare und die Welt ändernde Mensch dieses schrecklichen und großen Jahrhunderts sein Theater bekommen, das ihm hilft, sich und die Welt zu meistern?“ Theater kann und darf vieles bedeuten, bloß keine Doktrin und keine Ideologie. Eine Geschichte kann auf eine Million ver­ schiedene Weisen erzählt werden, wenn es den Zuschauer er­ reicht – und das sollte das Theater bieten. Kunst sollte sich nicht in Selbstbeweihräucherung erschöpfen, und Theater sollte nicht unentwegt in der Tagespolitik nach Rechtfertigungen für sich selbst suchen, sondern sich auf seine mehr als zweitausendjähri­ ge Daseinsberechtigung berufen und dem vertrauen, was es kann, wenn es gelingt: den Menschen in all seiner Widersprüchlichkeit, seiner Verletzlichkeit, in seiner Grausamkeit, in seiner Schönheit zu zeigen. Und zwar mit allen Sinnen, nicht nur mit dem Kopf, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir sollten zei­ gen und nicht mehr andeuten, wir sollten wieder weit gehen, wei­ ter, als es die Coolness zulässt, wir sollten von uns erzählen, nicht nur kopieren. Wir haben genug dekonstruiert und auseinanderge­ nommen, jetzt sollten wir erzählen und wieder zusammensetzen, was auseinandergefallen ist. Ich danke der Stadt Augsburg, der Jury für das mir entge­ gengebrachte Vertrauen, es ist mir eine große Freude und Ehre. Und ich danke Bertolt Brecht, der mit seinen Worten nie aufgehört hat, mich herauszufordern. //

Bei diesem Text handelt es sich um eine redaktionell bearbeitete Dankes­ rede, die Nino Haratischwili am 19. April 2018 anlässlich der Verleihung des Bertolt-Brecht-Preises der Stadt Augsburg hielt.


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Tänzerin im Sturm Die Regisseurin Jette Steckel erzeugt mit einem Zugleich von Veränderungsfuror und Melancholie einen berührenden Zauber von Gunnar Decker

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in altvertrauter Zuschauerraum verwandelt sich urplötzlich in etwas Fremdes, wenn vorn auf der Bühne nichts passiert. Ein Warteraum zwischen dem letzten Zug des Abends und dem ers­ ten am Morgen, irgendwie eine Mischung aus zweckentfremdeter Kathedrale und ambitionierter Lagerhalle. Die Beleuchter überprüfen zum x-ten Mal den Computer: „Licht ganz weich“, lautet die Ansage. Ganz von oben soll es auf die Drehbühne von Florian Lösche fallen, wie eine Wohnzimmer­ deckenlampe. Jedenfalls im Idealfall. Doch irgendwo schleicht sich auf der kreisrunden Drehscheibe immer eine schattige Ecke ein. Alles im Leben ist ungerecht, das beginnt bei der Beleuch­ tung, wie wir seit Brecht wissen. Aber wenn Schauspieler etwas gar nicht mögen, dann ist es, plötzlich im Dunkeln zu stehen, wo sie niemand sieht. Wenn auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Thea­ters Berlin nichts gespielt wird, dann eben woanders. Der halbdunkle Raum füllt sich mit Assistenten, Praktikanten und Hospitanten. Die Dramaturgin kommt mit einem Proviantbeutel,

als wäre dies ein Picknick. Das hier wird dauern, so viel ist schon einmal klar. Die Regisseurin Jette Steckel bespricht sich irgendwo im Off mit den Schauspielern. Theater sind Zeitvernichtungsma­ schinen; wer nicht ohne inneren Widerstand hineinfällt wie in eine rettende Gegenwelt, hält das nicht aus. Shakespeare wusste es und lässt Prospero im „Sturm“ ausführlich über die Zeit räso­ nieren: „Es ist Zeit …, dass es Zeit wird.“ Den „Sturm“ hat Jette Steckel soeben am Thalia Theater in Hamburg mit der großartigen Barbara Nüsse als Prospero insze­ niert. Und so wie die Stimme des Luftgeistes Ariel durchwispern auch hier Satzfetzen den Raum: „Oh, warum geht das hier schon wieder nicht?“ – „Hat da jemand den Stecker rausgezogen?“ – „Funktioniert die Kaffeemaschine heute?“ – „Jetzt ist da gar kein Licht mehr“ – „Wann war eigentlich Probenbeginn?“ – „Lang, zu lang, langweilig“. Der Zuschauerraum vor Probenbeginn ist ein Peter-HandkeOrt, ein Nichtort – und doch wird hier schon der Prolog zu dem

Wo das Auseinanderdriften der Gesellschaft hautnah zu spüren ist – Ewald Palmetshofers „Vor Sonnenaufgang“ (hier mit Maike Knirsch) in der Regie von Jette Steckel. Foto Arno Declair


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protagonisten

gespielt, worum es gleich im Stück gehen wird, sobald es hier ir­ gendwann losgeht, wenn es denn einmal losgeht. Dass Jette Steckel noch abwesend ist und die Probe in den Kammerspielen fast eine Stunde zu spät beginnt, liegt vielleicht auch an mir. Es gibt nach den drei Aufführungen von Ewald Pal­ metshofers Gerhart-Hauptmann-Bearbeitung „Vor Sonnenauf­ gang“ bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen (ein Raum für tausend Zuschauer) kurz vor der Sommerpause und der Einrich­ tung für die kleine Bühne der Kammerspiele einiges neu zu be­ denken. Nicht nur das Licht. Szenen werden gestrichen, gestern war man bei zwei Stunden fünfzig, zu schleppend, zwei Stunden zwanzig sind das Ziel. In drei Tagen ist Premiere. Und da sitze ich bis eine halbe Stunde vor Probenbeginn mit der dringend erwar­ teten Regisseurin im Max-Reinhardt-Zimmer des Theaters mit seiner bildungsbürgerlich nachempfundenen Bibliotheks­kulisse und verwickle sie in grundsätzliche Debatten über die Widersprüche des Menschen in einer Welt des Übergangs.

Ein Stoppschild für jedes Klischee Wie Jette Steckel mir gegenübersitzt, wirkt sie vor allem markant. Igelschnitt und roter Lippenstift, aufmerksam arrangierte Lässig­ keit – ein Stoppschild für jedes Klischee. Der Mund ist ein querlie­ gendes Ausrufezeichen femininen Selbstbewusstseins. Das erin­ nert mich an Jean Seberg in „Außer Atmen“, in den frühen Sechzigern die Frau neuen Stils schlechthin, Inbegriff der Nou­ velle Vague. Heute ist dieser Stil wohl vor allem eine Reminiszenz ans Androgyne. Für Allgemeinheiten hat Jette Steckel jetzt eigentlich gar keinen Sinn, aber sie antwortet trotzdem, fragt zurück, verkündet keineswegs nur allzu klare Meinungen und allzu eindeutige Posi­ tionen, wie ihr mancher nachsagt, sie denkt nach. Denken ist eine verwickelte Angelegenheit, braucht Zeit – und Zigaretten. Also springt sie immer wieder auf und geht schnellen Schritts zum bodentiefen Fenster, bläst den Rauch auf den Theatervorplatz – und winkt dabei den unten auf sie wartenden Schauspielern flüch­ tig zu. Was für eine Szenerie! Wie die letzte Krisensitzung einer Regierung vor ihrem Rücktritt. Ab und zu zeigt man sich dem Volk. Aber auch das ist eben bloß Theater. Bloß? Mit diesem Wort kann man Jette Steckel ernsthaft ärgern. Denn eines an ihr ist unstrittig: ihr unbedingter Ernst, mit dem sie bei der Sache ist. Fragt man Jette Steckel, wie sie zum Theater gekommen ist, dann holt sie tief Luft und sagt, da sei sie immer schon gewesen. Ihre Mutter ist Bühnenbildnerin und ihr Vater der Regisseur Frank-Patrick Steckel, ein 68er-Urgestein zwischen Bochum und Bremen. Auch an Peter Steins Berliner Schaubühne inszenierte er, darum wurde Jette Steckel 1982 in Berlin geboren. Immerhin, der politisch engagierte Vater liebt die kryptischen Anti-Hand­ lungsstücke Ernst Barlachs (den er mehrfach inszenierte), wurde vier Mal mit seinen Arbeiten zum Theatertreffen eingeladen. Da muss man erst einmal dran vorbeikommen, als ebenso strebsame wie rebellische Tochter. Sein Leben allen Ernstes auf das Spiel zu gründen, muss ein ureigener Entschluss sein. Eigentlich, sagt sie, wollte sie es nicht. Bewarb sich dennoch in Hamburg für ein Regiestudium, aber eher, um sich eine Ablehnung abzuholen und die Sache ad acta zu

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legen. Etwas in ihr wollte und wollte auch nicht. Sie wurde genom­ men, fiel bereits als Studentin auf, wurde von Ulrich Khuon ans Thalia Theater geholt und inszenierte 2006 (mit 24 Jahren!) in der Nebenspielstätte Gaußstraße Darja Stockers „Nachtblind“. Schon damals begann ihre Arbeitssymbiose mit Florian Lösche. Denn die Regie- und Bühnenbildstudenten, so forderte die Schu­ le, sollten paarweise zusammenfinden, ob sie wollten oder nicht. Sie geriet an Lösche. Sofort begann der Ermüdungsabwehrkampf gegeneinander. Als der vorbei war, fingen sie an, miteinander zu arbeiten – bis heute. Sie wisse gar nicht, wie das sei, wenn jemand anderes das Bühnenbild entwerfe, sie habe all ihre Inszenierun­ gen mit ihm zusammen gemacht. Lösche öffnet dem Spiel nicht nur Räume, sondern Horizonte. Dennoch befiel sie der Zweifel. Wie kommt man zu etwas Neuem? Ein Jahr ging sie nach Moskau an die Russische Akade­ mie für Theaterkunst GITIS – traf dort auch Nino Haratischwili, mit der sie seitdem befreundet ist. Trotzdem, sagt sie, wusste sie nicht, wie Regie führen geht. – Weiß sie es heute? – Nein!, lacht sie. Aber das mache nichts, entscheidend sei das Gefühl von Frei­ heit in der Arbeit, das Nicht-Zielgerichtete im Suchen nach Über­ setzungsformen für Weltwahrnehmung. Etwas muss sich auf eine Weise Bahn brechen, dass es die Kraft hat, zu faszinieren und die Atmosphäre zu verwandeln. Beschreiben die Worte im Raum nicht etwas, das mehr als Worte ist? Wie schön, mit Jette Steckel kann man wie mit einem alten Metaphysiker reden und dabei die Zeit stillstehen lassen. Dabei kann sie auch sehr entschlossen sein, eine Aktivistin im Kampf für Umwelt, Frauen und Migran­ ten. Aber eben nicht ohne Poesie! Dieses Zugleich von Veränderungsfuror und Melancholie des Vergehens gibt den besten ihrer Inszenierungen einen unver­ gleichlichen Zauber. Zumal, wenn sie mit dem Ensemble des ­Thalia Theaters arbeitet. „Woyzeck“ zur Musik von Tom Waits nach Robert Wilson wurde in ihrer Regie zu etwas ganz Eigenem, einer dreidimensionalen Raumeroberung. Wie die Spinnen klet­ terten die Schauspieler in jenen Netzen herum, mit denen Florian Lösche Himmel und Hölle verwoben hatte. Welch ein augenfälli­ ges Menschenschicksal zeigte sich da. Woyzeck, der für weniger als nichts Geopferte!

Worte, die nicht dahergeredet sind Dass sie am Thalia Theater begann, als auch Luk Perceval kam und sich ein Ensemble aufbaute, das „bunt zusammengewürfelt“ gewesen sei, empfindet sie immer noch als Glücksfall. Perceval, der mit dem Ensemble einen machtfreien Spielraum schuf, in dem sich hochindividuelle Charaktere entwickeln konnten, wo man gemeinsam Ausdrucksformen schuf, deren Intensität im­ mer noch einzigartig ist. Starke Bilder, die in den Raum hinein­ wachsen, Worte, die nicht dahergeredet sind, bewusst in das Nicht-mehr-Sagbare, nur Zeigbare hinüberweisen. Vier Jahre war sie Hausregisseurin am Thalia, aber als Mutter zweier Kinder be­ schränkt sie sich nun bewusst und arbeitet frei. Eine ihrer ungewöhnlichsten Inszenierungen am Thalia war ein großes Wagnis: den Jahrhundertroman „Das achte Leben (Für Brilka)“ von Nino Haratischwili (1280 Seiten!) so auf die Bühne zu stellen, dass dies keine bestsellerepigonale Langweilerei wer­


jette steckel

drucksvoll in seiner populistischen Präsenz: Felix Goeser) statt. Nicht leicht, in der merkwürdig proportionsgestörten und zudem überladenen, zwischen Lyrismen und Jargon wechselnden Text­ vorlage von Ewald Palmetshofer Spielräume nicht nur für Worte, sondern auch für Körper zu schaffen. Doch es gelingt: Das Auseinanderdriften dieser Gesellschaft ist hautnah zu spüren. Mit den Worten von Loth: „Ich bin zu ­einem Freund gekommen, der ein Feind geworden ist.“ So der Befund, der alle – auch sehr beunruhigende – Möglichkeiten ­offenlässt. //

6. Branchentreff der freien darstellenden Künste in Berlin 08.–10. November 2018 im Theaterdiscounter Die Teilnahme ist kostenlos! Anmeldung und Informationen: www.pap-berlin.de/bt

URTEIL MACHT TEILHABE

den würde. Florian Lösche schuf das Symbol, das die Szenenfolge verbindet: ein riesiger roter, traditionell georgischer Wandteppich, der anfangs aufgerollt den ganzen Bühnenhintergrund einnimmt – und dann langsam abrollt. Muster werden sichtbar – der buch­ stäblich rote Faden (die Blutspur!) gibt dem Abend seine ganz ei­ gene Struktur, die ihn vor der bloßen Nacherzählung bewahrt. Fünf Stunden, die enorm dicht gewebt wirken. Natürlich sind es die Schauspieler, die das tragen – aber eben auf eine ver­ blüffend leichte Weise. Von Barbara Nüsse als Urmutter Stasia bis zu Mirco Kreibich als Brilka: Sie tanzen und bringen die Geschich­ te, die eine große Tragödie ist, so in einen fließenden Rhythmus, dass im Innern der Familie auch Momente der Versöhnung auf­ leuchten. Das Komische wie Tragische verwandeln sich in der Rückschau in eine Poesie der Erinnerung, die nicht lügt, nicht sentimental die Augen schließt – aber weiß, es ist die eigene ­Geschichte zwischen Verheißung und Verbrechen. Der Satz von Kitty, der Sängerin (Maja Schöne), die zugleich Opfer und Täter der Geschichte ist und die es schließlich nach London verschlägt, entwickelt eine Wucht, die bis in die Gegenwart reicht: „Ich weige­ re mich, die Welt mit deinen Augen zu sehen, das heißt aber nicht, dass ich sie überhaupt nicht sehe.“ Die Inszenierung schwebt durch die wechselnden Zeiten. Da ist ein magischer Realismus am Werk, wie ihn vor allem Mirco Kreibich verkörpert, der im Spitzenkleid als Mischung aus Fee und Faun über die Bühne tanzt. Es sind schließlich lauter Gestor­ bene, höchst lebendige Gespenster also, denen wir hier zusehen, wie sie kurz nach 1900 mit revolutionären Ideen etwas Neues an­ fangen wollten, was sich bald als Illusion erwies und schließlich als verbrecherische Ideologie des Stalinismus endete. Es ist, so Jette Steckels eigener Anspruch, vor allem ein Abend der Frauen. Sie bilden das humane Band zwischen den sechs Generationen, die hier gezeigt werden. Sie folgt darin einem Grundsatz von Luk Perceval: Jeder kann jedes Alter und jedes ­Geschlecht spielen! Die Betonung liegt auf Spiel. Männer kom­ men auch vor, aber sie sterben meist früh – als Revolutionäre, ­Soldaten, Funktionäre, Verschwörer, echte oder angebliche Ver­ räter. Gefangene der Ohnmacht, die vom Spiel mit der Macht bleibt. Die ­Frauen tragen weiter, was dennoch geschah. Die Bühne der Kammerspiele belebt sich. Die Probe für „Vor Sonnenaufgang“ wird also in Kürze beginnen. Die Schau­ spieler schlurfen nach und nach heran. Jette Steckel geht an ihren Regieplatz, ganz unprätentiös, man bemerkt sie kaum. Das zeigt ihren Anspruch, die Erste unter Gleichen zu sein. Dompteursver­ suche und allzu laute Ansagen liegen ihr nicht. Theaterarbeit, sagt sie, bestehe aus lauter „Liebesverhältnissen auf Zeit“. Am Thalia funktioniert das, die Schauspieler dort muss man nicht erst dazu bringen, eine einheitliche Spielform zu fin­ den. Aber auch am Deutschen Theater? Die Probe geht weiter, wie sie begann, schleppend und irgendwie lustlos. Wie soll das in den verbleibenden drei Tagen bis zur Premiere noch anders werden? Wundersamerweise ereignet sich dann in der Premiere die alles verwandelnde Intensitätssteigerung. Lösches Bühne: eine kreisende, fast leere Scheibe, die bewegungssimulierenden Still­ stand verkörpert. Darauf findet der zweieinhalbstündige Zwei­ kampf zwischen Alfred Loth (klug die linke Verunsicherung verkörpernd: Alexander Simon) und Thomas Hoffmann (ein­ ­

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Jette Steckel. Foto Armin Smailovic

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Big Mac, Big War Bettina Hering bringt mit Castorfs „Hunger“ und Rasches „Die Perser“ wieder Bewegung in die Schauspielsparte der Salzburger Festspiele von Otto Paul Burkhardt

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ässt man die Wassereinbrüche durchs undichte Dach des Festspielhauses (weswegen der Pianist Grigory Sokolov dann Chopins „Regentropfen“-Prélude als Zugabe spielte) und die ­ krankheitsbedingten Teilausfälle von Tobias Moretti sowie Sophie Rois einmal außer Betracht, so sind die Salzburger Festspiele 2018 relativ ruhig verlaufen. Skandalfrei. Dem Thema, dass in Öster­ reich erneut eine Regierung mit rechtspopulistischer FPÖ-Beteili­ gung im Amt ist, ging man tunlichst aus dem Weg. Im Jahr 2000, als schon einmal ein ÖVP-FPÖ-Bündnis die Macht übernahm, war das noch anders: 14 EU-Staaten beschlossen seinerzeit sank­ tionsähnliche Maßnahmen gegen Österreichs Regierung. Und

der damalige Festspiel-Intendant Gerard Mortier wetterte offen gegen Jörg Haiders „faschistische“ Partei. Heute? Wenig dergleichen. Immerhin spricht Festspiel­ präsidentin Helga Rabl-Stadler mit Blick auf die bevorstehende 100-Jahr-Feier 2020 nun von einer „politischen Mission“ des ­Festivals, schließlich sei es von Max Reinhardt einst als „Frie­ densprojekt nach dem Ersten Weltkrieg“ konzipiert worden. Die Devise hieß „Oper und Theater – von beiden das Höchste“. Doch das Theater spielt heute nur die zweite Geige. Die Letzten, die ­dagegen rebellierten, waren Peter Stein und Martin Kušej. Auch

Fieberfantasien in der Frittenbude – „Hunger“ (hier v.l.n.r.: mit Josef Ostendorf, Marc Hosemann und Rocco Mylord) in der Regie von Frank Castorf. Foto Matthias Horn


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salzburger festspiele

das 2002 von Jürgen Flimm eingeführte Young Directors Project auch den Protagonisten des Romans „Mysterien“ ausleuchtet, ei­ nen gelbgekleideten, seltsam zerrissenen Erfolgsmenschen. gibt es seit 2015 mangels Sponsoren nicht mehr. Die Schauspieler? Sie alle haben starke Momente: Josef Zeit also für einen Neubeginn, der 2017 unter Intendant Ostendorf, ein Meister des melancholisch singenden PhilosophieMarkus Hinterhäuser seinen Anfang nahm: Seitdem leitet Bettina monologs, Sophie Rois und Kathrin Angerer, ein HochspannungsHering, Ex-Chefin am Landestheater Nieder­österreich, das Schau­ spiel und setzte zum Start gleich mit einem duett, ebenso Lilith Stangenberg, Lars Rudolph, hohen Frauenanteil in der Regie Akzente. Daniel Zillmann und der junge Rocco Mylord. Nun, 2018, fanden sich unter den vier Neu­ Klar, die Grenzen zwischen ständiger Über­ Ein Schreit-Oratorium. erregtheit und nervender Redundanz können produktionen zwei groß angelegte Ensemble­ stücke: „Hunger“ nach Knut Hamsun in der sehr fließend sein. Da helfen auch Einspreng­ Antiker Rap sel wie Kasperltheater, Hawaii-Gitarren, Trom­ Regie Frank Castorfs und Aischylos’ „Per­ser“, inszeniert von Ulrich Rasche. peten-Cool-Jazz oder Comic-Dialoge zwischen in Slow Motion. Würstchen und Pommes nichts. Doch am Nach Céline jetzt Hamsun: Castorfs ­Inte­resse an NS-belasteten Autoren mag ver­ Ende nimmt der Theatermarathon noch mal gewaltig Fahrt auf und entwickelt einen großartigen Flow. Kurz: wundern, doch er liest sie als Fallstudien des Scheiterns, der Ver­ wirrung, holt hinter braunem Nebel zivilisations- und kapitalis­ eine bezugsreiche Archäologie verdrängter Geschichte – und ein fiebriges, strapaziöses Melodram über Elend und Überfluss. muskritische Ansätze ans Licht. Auch Hamsuns Prosa-Welterfolg „Hunger“ (1890), durch Castorfs Romanverwertungs-Fleischwolf In die Antike zurück führte dann die aufwendigste Neupro­ duktion der Schauspielsparte: das von Ulrich Rasche inszenierte, gedreht, wurde so erwartungsgemäß zu einer rauschhaften Nacht wohl älteste erhaltene Theaterstück überhaupt – „Die Perser“ von der Extreme, irgendwo zwischen Poesie und Wahnsinn, zwischen Aischylos über den Sieg der Griechen in der Schlacht von Salamis, exzessivem Gebrüll und Live-­Video, zwischen Durststrecken und geschrieben aus der Sicht der Verlierer. Obwohl Rasches Arbeit – Momenten, in denen die Zeit stillsteht. Fast sechs Stunden dauert Chor­theater auf Laufbändern – schon seit Jahren etwa in Stuttgart, das Ganze, weil auch Hamsuns Nachfolge-Roman „Mysterien“ (1892) mitverwurstet wird. ­Berlin und Frankfurt zu besichtigen war, hat das Theatertreffen sie erst 2017 entdeckt und prompt zum „Kunstwerk der Stunde“ Dass Castorf die Fieberfantasien eines Hungernden teils erklärt. Das schnell angeklebte Etikett „Maschinentheater“ trifft vor der Kulisse einer mit prallen Big Macs werbenden nicht: Fließbandtheater schon eher. Auch den Aischylos-Text lässt McDonald’s-Filiale ausbreitet, mag man platt oder zynisch fin­ Rasche von beständig gehenden Akteuren im Schritttempo zele­ den. Doch Castorf verschränkt wieder mehrere Ebenen: Grun­ diert mit Schlaglichtern auf das Damals und Heute, verwebt er brieren – Wort für Wort in kunstvoller Rhythmik. Ein Schreit-­ die beiden Romane mit biografischen Details des Nobelpreisträ­ Oratorium. Antiker Rap in Slow Motion. Zwei Drehbühnen gibt gers Hamsun, der später die deutschen Besatzer Norwegens es: Vorne treten drei schwarzgewandete Frauen auf der Stelle, da­ ­sowie den Nazi-Kollaborateur Vidkun Quisling unterstützte und hinter tun 15 Krieger dasselbe mit nackter, pechverschmierter Brust. Die vordere Plattform ragt bis auf Nasenhöhe der Zuschauer mit Goebbels und Hitler verkehrte. Grandios wieder die Drehbühne von Aleksandar Denić. ins Parkett des kleinen Salzburger Landestheaters hinein, und die hintere mit den Kriegern bewegt sich oft in heftigen Schräglagen, Mehrere Schauplätze ziehen an einem vorbei: ein Gespenster­ haus, ein „Mysterien“-Laden, ein versiffter Hinterhof und besag­ weshalb die absturzgefährdeten Akteure mit Haltegurten ge­ sichert sind. Ja, die beiden Mega-Scheiben sehen fast aus wie zwei tes Schnellrestaurant, in dem die Akteure auch Selbstgebrutzeltes anrichten. Schon anfangs schreit jemand „Swastika! Swastika!“. extraterrestrische, soeben ins Theater gekrachte Flugobjekte. Spektakulär das alles. Laut Durs Grünbein, dessen Übertra­ Immer wieder streut die Regie historische Verweise ein: Propa­ gandaplakate mit blonden Recken der „Germanske SS Norge“, gung hier gespielt wird, ist dieser Schlachtenbericht zudem ein „ein­ Werbung mit „stärkender“ Schokolade für die Wehrmacht, Poster ziger langer Schrei, übertragen in Worte“. So klingt das auch bei Rasche. Katja Bürkle, Valery Tscheplanowa und Patrycia Ziolkowska zu Hollywoodfilmen wie „Love Before Breakfast“ mit Carole Lom­ bard – als Comedy-Gör mit blauem Auge. deklamieren den Text als erhabenen, mit Wehgeheul durchsetzten Das Ganze funktioniert, wenn Bezüge zwischen den Hallu­ Klagegesang. Alle wandeln im langsamen Gleichschritt und kom­ zinationen der hungernden Romanhauptfigur und realen Erleb­ men doch nicht vom Fleck. Das zeremonielle Tretmühlentheater mutet wie ein Trauerzug an, in dem die Schrecken des Kriegs nach­ nissen Hamsuns aufblitzen, etwa seine früh gescheiterte Aus­ wanderung in die USA, wo er sich als Bahnschaffner und beben. Zugleich Memorandum wie Menetekel. Den Takt geben live gespielte, immer wieder neu aufsteigende Minimal-Sounds vor. Der Farmarbeiter durchschlug. Es spielen die Stützen des Ex-Volks­ bühnen-Ensembles, zuvorderst der exaltierte Marc Hosemann, gedehnt rhythmisierte Text zieht sich über vier Stunden dahin, wo­ und sie verschärfen Hamsuns sogartigen stream of consciousness bei das Dauerpathos oft an überwunden geglaubte, restaurative Fei­ erlichkeitstonfälle erinnert. Klar, dass bei derlei hohem Ton auch noch zusätzlich durch Extremeinsatz. Doch wenn alle Varianten manches komisch wirkt, etwa wenn die persische Königsmutter wie zwischen Not und Scham, Fantasie und Irrsinn ausgereizt sind, eine besorgte Vorstandsvorsitzende fragt: „Wo liegt denn dieses gibt es im viel zu langen ersten Teil des Abends bald keinen Er­ Athen? Sind die dort reich?“ Rasches Konzept – suggestives Über­ kenntnisgewinn mehr – nur noch heiße Luft im Saal und auf der Bühne. Das ändert sich nach der Pause, wenn das Ensemble wie­ wältigungstheater – hat Längen, doch trotz gelichteter Reihen gibt’s am Ende erschöpften Beifall. // der geraffter agiert – und nun neben dem „Hunger“-Leider öfter

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Integriert euch nicht! Die Wiesbaden Biennale sprengt die Grenzen des Theaters und des guten Geschmacks

von Shirin Sojitrawalla

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rüher war alles schöner: Vor zwei Jahren noch sonnte sich Wiesbaden im Kunstgenuss. Zur Biennale verstreute sich hübsch selbst gebasteltes Mobiliar im Park hinterm Theater, nur verein­ zelt grasten dort Nilgänse auf dem Grün, und über der Kurstadti­ dylle baumelte das verheißungsvolle Festivalmotto „This is not Europe“ launig im Wind. Das tat niemandem weh, sah gut aus, und nachhaltig schien es auch zu sein. Diesmal ist es anders: kras­ ser, uncharmanter, böser, und die beiden Kuratoren Maria Magda­ lena Ludewig und Martin Hammer haben schlechte Nachrichten im Gepäck. „Bad News“ lautet das vollmundige Motto. Erklärtes Ziel von Anfang an: das Festival herauszufordern, produktions­ technisch, moralisch sowie die Autorenschaft betreffend. Zur Erinnerung: Hervorgegangen ist die Wiesbaden Bien­ nale aus dem von Manfred Beilharz und Tankred Dorst erdachten Festival für europäische Gegenwartsdramatik „Neue Stücke aus Europa“, bei dem Autoren und Texte ausdrücklich im Vorder­ grund standen. Ludewig und Hammer interessieren sich indes nicht für Texte und höchstens ein bisschen für Autoren. Den meisten Wirbel dürfte ihre auf dem Platz der Deutschen Einheit aufgestellte Erdoğan-Statue entfacht haben, das Werk eines unge­ nannten Künstlers, bei dem es sich wohl um den Schweizer Chris­ toph Büchel handelt. Auch der eingeladene bekannte Street-ArtKünstler Vincent Glowinski, der unter dem Pseudonym Bonom in nächtlichen Aktionen Häuserwände bemalt, arbeitet gerne under­ cover. Nicht wer das Kunstwerk erschafft, sondern was es auslöst, interessierte diese Biennale. Dass die Anonymität die Künstler auch vor Verfolgung schützt, ist klar. Dabei ist es kein Zufall, dass dieser Festivaltext mit zwei bil­ denden Künstlern beginnt, frönte die Wiesbaden Biennale doch diesmal noch expliziter als beim vergangenen Mal einem erweiter­ ten Begriff von Theater, der weniger den Werken einzelner Künst­ lerinnen und Künstler als vielmehr dem Gesamtkunstwerk und -zusammenhang applaudierte. Vom Theater im herkömmlichen Sinne blieb da nicht viel übrig. So konnte es kommen, dass das Dokumentartheaterstück „Five Easy Pieces“ von Milo Rau und die Performance „Creation“ von Gob Squad die mit Abstand konven­ tionellsten Gastspiele im diesjährigen Programm waren. Dazu passte es gut, dass die Stadt dem Festival diesmal zusätzlich den

Etat des Wiesbadener Kunstsommers, immerhin 200 000 Euro, zubilligte. Mit den 770 000 Euro vom Land Hessen, weiteren 200 000 Euro von der Stadt und anderweitig beantragtem Geld summierte sich der Etat auf 1,5 Millionen Euro. Genug, um elf Tage lang ein übervolles Programm an unterschiedlichen Orten der Stadt aufzufahren. Unumstrittener Geheimfavorit war Dries Verhoeven, der schon bei der Biennale 2016 mit seinen aufwendigen Beerdigun­ gen für stetige Höhepunkte sorgte. Diesmal zeigt er den ersten Teil seiner vierteiligen Videoarbeit „Guilty Landscapes“. In eine schon lange verwaiste Filiale der Volksbank an einer schmuddeli­ gen Straßenecke im Westend dürfen Besucher nur einzeln hin­ ein. Im Hintergrund eine große Leinwand, davor ein achtlos aus­ geschnittener Teppich. Ohrenbetäubender Lärm füllt den Raum. Eine der Fabrikarbeiterinnen auf der Leinwand nimmt sofort auf wundersame Weise Kontakt auf, beäugt einen und winkt einen heran, bittet später darum, sich quasi neben sie auf den Boden zu legen. Ein extrem intimer Moment entsteht, der nicht nur gewahr werden lässt, wie eingebildet die Kontaktaufnahme mit dem Elend der Welt ist, sondern auch die zentrale Frage des Festivals stellt: Wer schaut wie und warum auf was? Nicht nur die üblichen Theaterverdächtigen galt es dabei diesmal fürs Festival zu interessieren. Die Außenspielstätte Wart­ burg etwa wurde zur migrantischen Mehrzweckhalle. Unter dem schönen Label „Migrantenstadl“ bot die Autorin und Aktivistin Tunay Önder ein üppiges Programm aus Filmen, Diskussionen und Kabarettprogrammen, zum Finale gab es noch echte Box­ kämpfe. Auch die nach dem Aufruhr um die Erdoğan-Statue ­geforderten moderierten Gespräche fanden dort ein dankbares Forum. „Integriert euch nicht!“ rüpelte das Plakat auf der Außen­ fassade und bildete einen netten Kontrast zur blassen Aufforde­ rung „Integrationskurs? Jetzt anmelden!“ auf der anderen Stra­ ßenseite. Das Plakat an der Wartburg durfte an diesen elf tollen Tagen auch als Aufforderung an die Kunst verstanden werden, sich nicht assimilieren, glattbügeln oder unterordnen zu lassen. Das Nicht-Moderierte und Nicht-Moderate gehörte zu dieser Bien­ nale wie die öffentliche Aufregung, die sich in so manch einem Lokalzeitungsaufmacher niederschlug. Da wunderte es nicht, dass auch der düstere Parcours in der längst stillgelegten CityPassage auf Kundenfreundlichkeit verzichtete. Ohne Wegweiser suchten sich die Besucher ihren Weg durch das verdreckte Gebäude. Im ersten Stock, wo einst ein China-Restaurant logierte, vollführen


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Tetsuya Umeda und Yosuke Amemiya herzerwärmend sinnlose ­Arbeiten, während in einer kleinen Kammer Wasser schönste Schattenspiele und Soundcollagen an die Wand plätschert. Im Untergeschoss entfaltet der Dienstleistungsgedanke dann sein dystopisches Potenzial: In einer ehema­ligen Schlecker-Filiale haben einsatzbereite Drohnen das Kommando übernommen, die per Be­ wegungsmelder aufbrausen. Ausgedacht haben sich das R ­ abih Mroué und Dina Khouri. Wer sich durch die stinkenden Gänge traut, entdeckt im hintersten Winkel eine Videotapete, auf welcher der Himmel voller Drohnen hängt. Das zweite Festivalmotto lau­ tete „Hinterland“, und die C ­ ity-Passage war ihr Herzstück. Namhafte Künstlerinnen und Künstler wie Markus Öhrn, Roger Ballen, Thomas Bo Nilsson und Julian Eicke bespielten die heruntergekommenen Räume. Darunter auch die österreichische Tänzerin und Choreografin Florentina Holzinger, die im ehema­ ligen Spaghetti House eine Ballerina an die Stange zwang. Wäh­ rend sich die Zuschauer zu ihren zertanzten Füßen versammeln, reflektiert sie die eigene Marktgängigkeit und den Preis ihrer ­angeblichen Makellosigkeit. Auf der anderen Seite erfuhr das Hessische Staatstheater selbst eine aufwendige Um- beziehungsweise Nachnutzung. Im neo­barocken Foyer eröffnete tatsächlich ein echter Rewe-Super­ markt mit allem Drum und Dran, die Sensation dieser Biennale. Endlich, so konnte man meinen, bewies das Theater mal all­

wiesbaden biennale

Ein erweiterter Begriff von Theater? – Während der Wiesbaden Biennale bezog ein echter Rewe-Supermarkt das Foyer des Hessischen Staatstheaters. Foto Jeva Griskjane

gemeingesellschaftliche Relevanz. Hemmschwellen wurden auch im Großen Haus abgebaut, das auf Autokino machte. Ausgewählte Vehikel durften auf der Bühne parken, während das Kleine Haus sehr peinlich als Baustelle zurechtgemacht war. Als viel ergiebiger erwies sich das im Studio eingerichtete Pornokino, in dem etwa Kim Noble, Katy Baird, Samira Elagoz ihre Erfolgsproduktionen zeigten und wo auch die umwerfende britische Performerin Rosana Cade zur One-Woman-Show unter vier Augen lud. In „My Big Sis­ ter Tought Me This Lapdance“ umgarnt sie die Besucher erst nach allen Regeln der kommerziellen Verführungskunst, um danach den Menschen hinter der Tänzerin zu offenbaren. Nicht einmal zwanzig Minuten dauert diese Performance, die den eigenen Blick auf sich und andere schult und ebenso viel über Geschlechter­ verhältnisse wie übers Frausein erzählt. Die Dienstleistungsfunk­ tionen der Kunst jedenfalls wurden bei dieser Biennale, egal ob im muffigen Pornostudio oder auf der Straße, in alle Richtungen befragt. Dabei wurden die Tabus und Bruchlinien unserer Gesellschaft, wenn schon nicht elegant, so doch wie nebenbei ent­ blößt. //

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Look Out

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Von diesen KünstlerInnen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern.

Der Fassadenkletterer Der Videodesigner Stefano di Buduo verlängert die Bühne durch digitale Mittel und macht so unsere Wirklichkeit porös

S

tefano di Buduo ist überall: auf Häuserwänden, Plätzen und auf menschlichen Körpern. Seine Bilder wandern an Kirch­ türmen entlang, schleichen sich in Museen oder tauchen ab in die Welt einer U-Bahn. Seine Motive sind oft wie der Quellcode eines Schauspielers. Sie sind das Ungesagte, das Unaussprechliche einer Figur und erzählen von Leben wie es Gehirnströme und Blutbahnen tun. Alles ist für ihn eine Bühne. Zu seinen Auftraggebern gehören inzwischen regelmäßig die Theater in Ingolstadt, Gießen, Mainz, Hannover und Düsseldorf. Am Berliner Ensemble dichtete er Anfang des Jahres für die deutsche Erstaufführung von „Menschen, Orte und Dinge“ von Duncan Macmillan zu Technomusik eine Sinneslandschaft aus Mustern, Netzen und ikonografischen Motiven, die das gesamte Bühnenbild durchzogen. Aktuell arbeitet er an der Postproduktion eines Filmes über Eugenio Barbas Odin Teatret in Dänemark, für das er ebenfalls bereits mehrere Arbeiten geschaffen hat. Videodesign für Theater, Videoinstallationen im öffentlichen Raum und Film sind die facettenreichen Schwerpunkte, die ihn in den vergangenen Jahren viele Flugmeilen haben zurücklegen lassen. Allein zu Beginn dieser neuen Spielzeit folgen drei Premieren kurz aufeinander. Und dennoch hat jede neue Arbeit ihre eigene Magie, entsteht aus der konkreten Begegnung mit dem Ensemble und dem Stück. 1985 in Rom geboren, besitzt Stefano di Buduo beide Staatsangehörigkeiten. Sein Vater ist Theaterregisseur, seine Mutter Theaterkritikerin. So verbringt er seine Kindheit zum Großteil auf Proben. Nach einem deutschen Abitur kehrt er nach Italien zurück, um in Rom zu studieren. An der Universität La Sapienza wird zeitgleich ein neuer Studiengang vorgestellt: Arti e scienze dello spettacolo digitale (Arts and Sciences of Digital Performance) – ein spannender Mix aus Theater- und Filmwissenschaft in Verbindung mit digitalen Medien. Neben dem Studium arbeitet er am Theater seines Vaters vor den Toren von Rom: Homepage-Gestaltungen, Trailer, kleine filmische

­ okumentationen und erste Videoprojektionen entstehen. Die D Gründung des Aesop Studios in Rom gemeinsam mit einer Gruppe von Künstlerfreunden ermöglicht es den jungen Filmemachern und Videodesignern, an öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerben teilzunehmen und selbst erste finanzielle Mittel zu akquirieren. Unter diesem Label produzieren die Künstler inzwischen in Dänemark, Indien, dem Iran, in Brasilien und Argentinien. Zu seinen Vorbildern zählt di Buduo so unterschiedliche Künstler wie Romeo Castellucci, Nicolas Refn, Stanley Kubrick, Darren ­Aronofsky, Denis Villeneuve, Refik Anadol, Ryōji Ikeda, Bill Viola, Adrien ­Mondot und Heiner Goebbels, über den er auch seine Diplomarbeit schrieb. „In meiner Arbeit ging es um die physische Abwesenheit des Schauspielers, um die Frage: Wie weit kann man gehen? Wann hört Theater auf, Theater zu sein?“, sagt er. Wo Peter Brook schreibt: Theater ist, wenn ein Mensch über eine Bühne läuft und ein anderer dabei zuschaut, forscht di Buduo weiter: „Was ist, wenn der Mensch die Bühne und sogar das Theater verlässt, wir ihm aber weiter live zuschauen? Das ist doch die Verlängerung der Bühne durch technische Mittel.“ Di Buduo macht unsere Wirklichkeit porös. Hinter seinen Bildern wird das Mauerwerk durchsichtig und weich. Es zerläuft wie in den surrealen Landschaften und Städten de Chiricos oder Dalís. Er gehört zu einer neuen Generation von Filmemachern und Videodesignern, die dem Film ein neues Selbstbewusstsein im Theater verschaffen: Sie vergrößern und vervielfältigen nicht nur, sondern folgen ihrer ganz eigenen Dramaturgie und erfor­ schen so ein Medium mit viel Potenzial. // Stefano di Buduo. Foto Christian Mantuano

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Friederike Felbeck Die nächsten Videoarbeiten von Stefano di Buduo sind am 27. September in „Golden House“ (UA) nach Salman Rushdie in der Regie von Thomas Krupa am Markgrafentheater Erlangen zu sehen sowie in „#Genesis – A Starting Point“ von Yael Ronen am 28. Oktober an den Münchner Kammerspielen.


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Look Out

Reißt die Schubladen aus den Schränken! Die Schweizer Schauspielerin Magdalena Neuhaus kämpft gegen abgewrackte Frauenklischees – auch jenseits der Bühne

nterwäsche, Unterwäsche, kurzer Rock, Unterwäsche“ – so fährt Magdalena Neuhaus, Jahrgang 1991, mit ihrem Finger nicht ohne Witz und Ironie die Liste ihrer bisherigen Rollen ent­ lang, darunter Engagements in Klassikern wie William Shakes­ peares „Romeo und Julia“, Ber­ tolt Brechts „Baal“ oder Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“. Schauspielerin wollte die in Bern geborene Charismatikerin schon seit ihrer Kindheit werden, als sie munter noch jede Gelegenheit nutzte, um eine Rede auf Famili­ enfesten halten zu dürfen. Der nächste Schritt sollten die Bretter der Welt sein. Aber eben nicht nur, um mit Klischees zu hantie­ ren, was ihrer Erfahrung nach hin und wieder der Fall sei. Als junge, adrette Frau scheint ihr die Rolle der Geliebten auf den Leib ge­ schnitten. Dass sie mitunter nackte Haut zeigen musste, ist für die Feministin dabei kein Prob­ lem – solange dieser Umstand zur Gesamtinterpretation eines Stü­ ckes passte. Die in Zürich lebende Freelancerin sieht sich nicht als Rebellin gegen ein System. Vielmehr begreift sie sich als Gestalterin und Werberin für plurale und reflektierte Frauen- und Männerbilder auf den Bühnen. Und so erfindet sich die 26-Jährige sowohl in kanonischen Werken als auch in zeitgenössischen Stücken und Uraufführungen immer wieder neu. Zwischen diesen beiden Polen steht ihre zuletzt überragende Darbietung in Martin G. Bergers meisterlicher Neuinterpretation von Charles Gounods „Faust“ am Theater Heidelberg. Angereichert mit Elfriede Jelineks Sekundärdrama „FaustIn and out“, verwob der Regisseur den darin verhandelten Fall um den Missbrauchstäter Josef Fritzl mit dem romantisierten Männerbild in der Oper über den in sich zerrissenen Gelehrten. Neuhaus spielt kraftvoll die geschundene Tochter des Sexualstraf­

täters. Das schon in Goethes Text angelegte Patriarchat als Kontinuum in der Stoffgeschichte aufzudecken war Anliegen dieser großartigen Crossover-Inszenierung. Der politische Impetus konnte Neuhaus somit nur recht sein. Um die Verhältnisse zumindest in ihrem Lebensumfeld zu verbessern, bringt sie sich als Mitglied in der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger und dem Ensemble-Netzwerk ein, das sich unter anderem für bessere Gagen an deutschsprachigen Theatern engagiert. Neuhaus ist eine Theaterfrau mit Rückgrat und Haltung und überdies eine Optimistin. Dass sie nach einer Festanstellung am Schauspiel Kiel von 2015 bis 2018 nunmehr ohne feste Stelle ist, stürzt sie keineswegs in Existenznöte. Klar, die Finanzierung ihrer Mietwohnung im mondänen Zürich, wo sie einst auch ihren Schauspielmaster machte, muss (mit deutschen Honoraren) schon irgendwie bewältigt werden. Als freie Akteurin zu arbeiten, stellt jenseits der materiellen Gesichtspunkte allerdings durchaus einen Zugewinn für sie dar. Als Mensch, der vor Energie und Ideen sprudelt und immerzu – ob mit Gesten während des Gesprächs oder bei der geistigen Vertiefung in andere Stücke – in Bewegung sein muss, bietet eine solche Phase die Möglichkeit, sich zu erneuern. Viele Gedanken schwirren der Schweizerin im Kopf herum: selbst schreiben oder in einem Kollektiv gemeinsam Bühnenwerke erarbeiten. Wichtig ist ihr stets die Gruppendynamik und im besten Fall ein demokratischer Interaktionsprozess. Wenn wir sie demnächst wieder einmal ein naives Mädchen verkörpern sehen, wissen wir genau, dass hinter der Fassade eine visionäre und zutiefst kritische Zeitgenossin steckt. Und macht nicht gerade diese Janusköpfigkeit und Ambivalenz überragende Darsteller aus? // Magdalena Neuhaus. Foto Yves Bachmann

U

Björn Hayer

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/ TdZ Oktober 2018  /

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auftritt

/ TdZ  März    /  / Oktober   2018 2018

Buchverlag Neuerscheinungen

Ende der 1920er Jahre setzt Brecht den Bewahrern des kulturellen Erbes die These vom „Materialwert“ der Kunst entgegen. Er verabschiedet die Vorstellung einer überzeitlichen Dauer der Werke und rät, deren einzelne Teile bedenkenlos „herauszuhacken“ für ihre Wiederverwen­ dung in der Gegenwart. Sein Vorschlag betont den Zeitkern von Kunst und zielt auf eine weitreichende Praxis der Wiederholung, Aneignung und Transformation. Diese bisher kaum reflektierte Theorie und Praxis Brechts wird hier rekonstruiert und auf ihn selbst angewendet.

Recherchen 136 Recycling Brecht Materialwert, Nachleben, Überleben Herausgegeben von Günther Heeg

Ein Spiel wie Schilf: Das Zarte ist das Zähe. So betreibt Christian Grashof seine Kunst. Als träfen sich in einer einzigen Seele Clown und Tragöde. Grashof, der in diesem Jahr 75 wird, gehörte über vier Jahrzehnte zu den prägenden Darstellern des Deutschen Theaters Berlin. In Gesprächen mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt erzählt er sein Leben – vom Arbei­ ter­kind im sächsischen Löbau zu einem Unverwechselbaren deutscher Schauspielkunst. Beiträge von Alexander Lang, Volker Pfüller, Gunnar Decker, Ulrich Khuon sowie zahlreiche Abbildungen dokumentieren die Theater- und Filmarbeit Grashofs.

Christian Grashof. Kam, sah und stolperte Gespräche mit Hans-Dieter Schütt Hardcover im Schutzumschlag mit 328 Seiten Zahlreiche farbige Abbildungen ISBN 978-3-95749-162-6 EUR 22,00 (print). EUR 17,99 (digital)

Paperback mit 228 Seiten ISBN 978-3-95749-120-6 EUR 18,00 (print) . 12,99 (digital)

Das Leben kann als eine Aneinanderreihung von „Momenten des Übergangs“ gesehen werden – kleine oder große Begebenheiten, die uns unausweichlichen Veränderungen aussetzen. Die Kuratorin Barbara Raes beschäftigt sich in ihrer Praxis mit der Wie­der­ belebung und Neuentwicklung von Übergangsritualen. Wie können wir den Umgang mit Trauer und Verlust neu lernen?

Eine Sammlung frecher und anspielungsreicher Anekdoten Der Dramatiker Heiner Müller (1929–1995) war auch ein Meister des Bonmots und der überraschenden, oft listigen Erwiderung – das ist vor allem aus seinen Interviews bekannt. Der Band zeigt Müller nun erstmals als lebendiges Gedankenbild. In der Rückschau von Zeitgenossen und in immer wieder oft und gern kolportierten Anekdoten, die bereits in der kollektiven Erinnerung weitererzählt werden. Miniaturen zu einem Porträt des Künstlers mit Hintersinn.

Unacknowledged Loss Kunst und Rituale Herausgegeben von HAU Hebbel am Ufer

Heiner Müller – Anekdoten Gesammelt und herausgegeben von Thomas Irmer

Paperback mit 160 Seiten Deutsch/Englisch ISBN 978-3-95749-163-3 EUR 12,00 (print) . EUR 9,99 (digital)

Paperback mit 112 Seiten ISBN 978-3-95749-121-3 EUR 10,00 (print) EUR 8,99 (digital)

Erhältlich in der Theaterbuchhandlung Einar & Bert oder portofrei unter www.theaterderzeit.de

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Auftritt Berlin „Cry Baby“ (UA) von René Pollesch und „Yes But No. Eine Diskussion mit Songs“ (UA) von Yael Ronen & Ensemble  Bremen „Nathan der Weise. Ein Weichmacher für den Glaubenspanzer“ nach Gotthold Ephraim Lessing von Gintersdorfer/Klaßen  Buckow „Der Jux“ (UA) von Jan Koslowski & Ensemble  Dresden „Der Untertan“ nach dem Roman von Heinrich Mann  Hannover „Der schwarze Obelisk“ nach Erich Maria Remarque  Paderborn „Andorra“ von Max Frisch  Saarbrücken „Kafkas Haus“ nach Erzählungen von Franz Kafka  Weimar „Macbeth“ in der Bearbeitung von Heiner Müller  Wien „Die Reise der Verlorenen“ (UA) von Daniel Kehlmann


auftritt

/ TdZ  Oktober  2018  /

BERLIN Theorie als Komödie DEUTSCHES THEATER: „Cry Baby“ (UA) von René Pollesch Regie René Pollesch Bühne Barbara Steiner Kostüme Tabea Braun

zu können und zwar ein lebendiges Denken,

durch den Abend. Theorie als Komödie? Das

dass sich in Brüchen und Widersprüchen be-

könnte ein Weg sein, Vergnügen an der Er-

wegt. Ein Spiel, das bis in die kleinsten Ges-

kenntnis zu zeigen und zu erzeugen, wie auch

ten vergeistigt ist. Dieser Gestus zeigt Denken

Bertolt Brecht es sich vorstellte. Am Ende gibt

nicht nur als abgelöste Sprachphrasen, son-

es zwar, dem Titel folgend, auch Tränen, aber

dern als Ausdruck von Haltung. Alles ist mit

keine echten. „Heul doch“, so die Botschaft,

Bedeutung erfüllt. Wenn sich Sophie Rois an

kann man zwar machen – aber nicht mit Pol-

der Rampe stehend ein widerspenstiges Haar

lesch und Rois, denn die entdecken gerade den

aus dem Gesicht streicht, ist das nicht nur

Geist der Komödie wieder. //

Jakob Hayner

eine abseitige Geste am Rande, sondern ein Ereignis. Und ein komisches noch dazu. Denn selbst daraus entsteht ein Sinnbild für den Widerstand des Materiellen angesichts

„Oh Gott, ich bin so müde!“ Spricht’s und

des Geistes, gewissermaßen das Urbild der

wirft sich auf das goldene Bett mit der üppi-

Komödie. Das ist die Kunst, die Sophie Rois

gen Polsterung am Kopfende, ein Möbel von

wie niemand sonst beherrscht.

BERLIN #MeToo gesungen, getanzt und misslungen

geradezu barocker Opulenz. So liegt sie nun

Rois hat auch sehr gute Mitspieler, de-

darauf, auf dem Bauch, die Arme ausgebrei-

ren Fähigkeiten hier keineswegs geschmälert

tet, gekleidet in ein übergroßes weißes Nacht-

werden sollen: Christine Groß, Judith Hofmann

hemd. Das war der mit Spannung erwartete

und Bernd Moss, zudem ein Chor von Schau-

erste Auftritt von Sophie Rois in René Pol-

spielstudentinnen. Gemeinsam umkreisen sie

leschs „Cry Baby“ am Deutschen Theater in

die Themen, die man aus manchen Pollesch-

Berlin. Diese Schnoddrigkeit wusste zu gefal-

Stücken der letzten Jahre kennt. Das sind, um

len, das Publikum lachte. Und das nicht zum

nur einige zu nennen, der Netzwerk-, Projekt-

letzten Mal an diesem Abend. „Ich habe mich

und Teamkapitalismus, Karrierismus und Ver-

in den ersten zwölf Minuten schon völlig ver-

weigerung, der Verlust bürgerlicher Formen

ausgabt“, sagt Rois kurze Zeit später. Das ist

und das Aufkommen einer diffusen Formlosig-

Auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters ist

zunächst Koketterie, nach weiteren sechzig

keit, die mit der einzig noch herrschenden

auf den ersten Blick heute eindeutig Wellness

Minuten kann man hingegen feststellen, dass

Form, der Warenform, korrespondiert, die ret-

angesagt. Auf einem hellbeigen Sofa, das

sie sich auf eine Art und Weise verausgabt

tende Kritik der romantischen Liebe und der

durch seine Form an eine Bienenwabe erin-

und verschwendet hat, die einzigartig und

Rabauke als konformistischer Charaktertypus.

nert, haben es sich fünf Schauspielerinnen

zurzeit auch unübertroffen ist.

Literarische Unterstützung gibt es beispiels-

und Schauspieler in weißen Bademänteln

weise von Heinrich von Kleist, theoretische

bequem gemacht und wippen mit den be­

von Wolfgang Pohrt.

schlappten Füßen. Sie wirken miteinander

Was macht Sophie Rois eigentlich, wenn sie auf der Bühne spielt? Es ist ja nicht

MAXIM GORKI THEATER: „Yes But No. Eine Diskussion mit Songs“ (UA) von Yael Ronen & Ensemble Regie Yael Ronen Bühne Magda Willi Kostüme Amit Epstein

Dazu kommt bei „Cry Baby“ eine Be-

vertraut und lächeln entspannt in Richtung

Eindruck erweckt, dass sich alles nach ihr

trachtung des Schlafs als Grenzphänomen

Publikum. Im Hintergrund: Fragmente eines

ausrichtet wie die Eisenspäne um das Feld

zwischen Kultur und Natur und eine des Ver-

Wabenturms, und auch der Untergrund setzt

eines Magneten. Es sind nicht nur die Blicke,

hältnisses zwischen Publikum und Theater.

sich aus Wabenplatten zusammen. Über dem

die den Raum zu durchstechen scheinen. Es

Zu diesem Zweck hat Barbara Steiner einen

Ensemble eine Videoleinwand, gefilmt wird

ist nicht nur die Stimme, die mit ihrer Kratzig-

detailgetreuen Nachbau des Proszeniums auf

aus der Vogelperspektive. Ein Klavier und

keit spielt, die vom hohen Stil zum patzigen

die Bühne gesetzt, gewissermaßen eine Ver-

eine schwarzglänzende E-Gitarre am Rand

Einwurf wechselt. Es ist ein Spiel mit Brü-

doppelung inklusive mit rotem Samt ausge-

chen, mit erzeugter Spannung, die sich plötz-

schlagenen Logen, goldenen Zierelementen

lich in unerwarteter Richtung auflöst oder an

und zweitem Vorhang. Die Szenerie wird für

anderer Stelle unvorhersehbar wieder ent-

einen Schlagabtausch zwischen Schauspieler

steht. Das ist die Kunst des komischen

und Zuschauer genutzt. Es geht um die ­Frage,

Spiels. Und so entsteht ein Witz, der eine

wer im Theater bezahlt. Und welche Realität

Beziehung zum Unbewussten unterhält, in­

das Geld hat. Oder welche es erschafft. Auch

dem er Sinn unterläuft.

hier gibt es einiges zu lachen.

Witz haben heißt auch Geist haben.

„Cry Baby“ unterscheidet sich dabei

Rois gelingt das Kunststück, Denken zeigen

recht deutlich von den letzten Stücken Polleschs an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Das Wiederholende, leicht ver-

Witz haben heißt auch Geist haben – Sophie Rois in „Cry Baby“ von René Pollesch am Deutschen Theater Berlin. Foto Arno Declair

zweifelt auf sich selbst Zurückgeworfene ist verschwunden, dagegen dominiert die komische Pointe. Eine ungewohnte Heiterkeit zieht sich

Neue Formate für die Kunst des gemeinsamen Austauschs Werkstatt Publikums- und Inszenierungsgespräche vom 28. bis 30. November 2018

www.bundesakademie.de

nur die schier unglaubliche Energie, die den

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Es gibt kein nach #MeToo – Yael Ronens „Yes But No“ indes (hier mit Taner Şahintürk und Riah May Knight) hilft da auch nicht weiter. Foto Ute Langkafel / maifoto

an dieser Stelle gar fatal. Wird nicht zuvor das Publikum, ohne Einverständnis einzuholen, dazu genötigt, sich mit eigenen Erfahrungen auseinanderzusetzen, indem es sich sichtbar zur Befragung verhalten muss? Die hier verhandelte, unterschiedliche Verteilung der Kräfte wird auch durch die zahlreichen auffällig tiefstimmigen Publikumslacher beim

Neben klaren Worten liegt auch

Zustimmungs-Song

Un­sicherheit in den Erinnerun-

kratzt schmerzlich und unbedacht an der

gen. Immer mehr Geschichten

Oberfläche. Auch die peinlichen, als Work-

fallen den Darstellern ein. Wie

shop getarnten „Gesellschaftsspiele“ im Gar-

war das noch gleich mit dem

derobenfoyer machen es nicht besser. Es

berühmten Volksbühnenregisseur,

kommt erneut zur Befragung: „Wer glaubt,

der eine Gruppe von Schau-

dass #MeToo negative Auswirkungen hatte,

spielstudentinnen und -studen-

gehe nach links!“

Der

Abend

ten zur Nacktheit zwang und

Die Beleuchtung der #MeToo-Debatte

ihnen vorführte, wie man „fickt

erscheint einseitig und ein wenig hilflos. Völ-

wie ein Arschloch“? Dürfen sie

lig außen vor gelassen wurde die Tatsache,

die Namen jetzt nennen oder

dass eine Begegnung zwischen Menschen

nicht? Sollen die Täter ein Podi-

nicht zwangsläufig sexuell aufgeladen sein

um bekommen? Nach einer kur-

muss. Gutheißen lässt sich der Versuch, ein

zen Verhandlung fällt schließlich

so großes Thema, das wirklich alle betrifft,

der Name Johann Kresnik. Taner

künstlerisch zu bearbeiten. Es gibt kein nach

lassen vermuten, dass es mit der Ruhe bald

Şahintürk scheint noch immer fassungslos über

vorbei sein wird. Geschlossen erhebt sich das

dieses Erlebnis. Eine spürbar unangenehme

Ensemble und begrüßt euphorisch die Zu-

Atmosphäre macht sich breit. Irgendwann wird

schauer. Alle im Raum sollen sich besser ken-

es auch Svenja Liesau zu viel, und sie schreit

nenlernen, ein wenig mehr Intimität wäre

in einem kathartischen Moment all ihren

schön. Die „Zitrone der Schrecklichkeiten sei

Schmerz und ihre Wut heraus, schließlich er-

in der Vergangenheit schließlich schon genug

zählte sie kurz zuvor noch die Geschichte

gemolken worden“. Keine Show, verspricht

ihrer eigenen Missbrauchserfahrung. Ob es

das Ensemble, sondern menschliche Experi-

wirklich ihre eigene Geschichte ist oder ob sie

mente seien heute zu erwarten. Noch bevor

diese nur performt, ist unklar, doch selbst ein

es richtig losgeht, wird der Ablauf erklärt. Erst

stellvertretender Schmerzensschrei würde an

ein Erfahrungsaustausch unter den Schau-

dieser Stelle wehtun. „Namen nennen!“,

spielern, abschließend ein kleiner Workshop

brüllt Liesau. „Sich auf Statistiken berufen!“,

gemeinsam mit dem Publikum.

widerspricht Şahintürk. Also gut, Publikums-

Nachdem die Schauspieler ihre Well-

deutlich.

befragung.

#MeToo. Wir sind noch immer mittendrin. // Paula Perschke­

BREMEN Körperliche Exerzitien THEATER BREMEN: „Nathan der Weise. Ein Weichmacher für den Glaubenspanzer“ nach Gotthold Ephraim Lessing von Gintersdorfer / Klaßen Regie Monika Gintersdorfer Ausstattung Knut Klaßen Kostüme Marc Aschenbrenner

nesswabe verlassen haben, hält Orit Nahmias

Die Kamera zeigt nun auf die Zuschauer

am Bühnenrand ein Plädoyer dafür, warum es

im Saal. „Wer wurde schon mal sexuell beläs-

gerade jetzt wichtig sei, über die Ungleich­

tigt!?“ Hände hoch! Wer sich jetzt enthält,

behandlung der Geschlechter zu sprechen.

gibt trotzdem etwas preis. Diese fragwürdige

Ein Zusammensein ohne Herrschaft liege ihr

und unüberlegte Methode bringt nur minima-

dabei besonders am Herzen. Die anderen

len Aufschluss über das Problem, das hier

Schon wieder? Noch immer steht landauf,

nicken zustimmend, die Stimmung ist bestens.

eigentlich verhandelt werden soll. Ein weite-

landab die vernunfthell Frieden stiften wol­

Nach ein paar berührenden Songs (Komposi-

rer Vortrag, diesmal über Rapeculture, endet

lende Blankversfabel „Nathan der Weise“ auf

tion ­ Yaniv Fridel, Shlomi Shaban und Ofer

schließlich in einem konkreten Vorschlag:

den Theaterspielplänen. Das Thema scheint in

Shabi) geht es endlich ans Eingemachte. Im

dem Konzept des Einvernehmens. Als wäre

der Ära der Kreuzzüge, zu der Lessings Stück

Wechsel erzählen die Protagonisten, Männer

Konsens etwas völlig Neues, wird er dem

spielt, genauso dringlich gewesen zu sein wie

wie Frauen, von ihren ersten Masturbations­

Publikum als einfache Lösung präsentiert. ­

in u ­ nserer Zeit, die von islamistischem Terror,

erfahrungen

Begegnungen

Schnell wird dazu ein Song über einvernehm-

unverhohlen wieder zu Wort kommendem An­

sexu­ ­ eller Art. Absehbar, wie schnell ihre

lichen Geschlechtsverkehr performt. Die Idee

tisemitismus, rassistisch infiltrierten Geflüch­

­Geschichten kippen und in Bekenntnisse zu

der Zustimmung wird zu einem verkopften

tetendebatten, AfD-Wahlerfolgen und Islamo­

erlebter sexueller Belästigung bis hin zu ein-

Planungskonzept verkaspert und somit herun-

phobie geprägt ist. Ja, wie schön ist es da zu

deutigen Missbrauchsvorfällen übergehen.

tergespielt. Das ist nicht nur schade, sondern

hören: Liebe Juden, Christen und Moslems,

und

anderen


auftritt

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ihr seid keine Feinde, sondern gleichberech­ tigte Kinder einer Urreligion, deren Wahrheit ihr in der ethisch hochwertigen Anwendung eures Glaubens zeigt. Ja, wie naiv ist es denn, ein dramatisches Gedicht mit dieser Bot­ schaft vom Blatt zu spielen, scheinen hinge­ gen die Theatermacher Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen zu denken. Sie fragen an­ hand des „Nathan“-Stoffes am Theater Bre­ men, warum der interreligiöse Dialog immer wieder neu scheitert an Definitionen des identitätsstiftend Eigenen und dem auszu­ grenzenden Anderen. Vier Wochen der Probenzeit sitzt das Gintersdorfer/Klaßen-Team mit drei Drama­ turgen zusammen, holt Gastreferenten dazu, liest Sekundärliteratur kreuz und quer, disku­ tiert das Stück und forscht nach Möglichkeiten, mit mehr als nur einem Humanismus-Appell als „Weichmacher für den Glaubenspanzer“ zu fungieren. Vorläufige Ergebnisse und sich ­widersprechende Sichtweisen werden in zwei Wochen dann noch fix in eine dramatische Form gebracht. Premiere! Schauspieler des Theaters, externe Performer, ivorische Tänzer sowie ein Musiker geben sich dabei eher pri­

präsentiert mit stolzem Lächeln einen Zeige­

vat als rollenspielerisch, verweigern also die

fingertanz. Eingesprochen werden dramen­

Tanz der Gegensätze – „Nathan der Weise“ in der Version von Gintersdorfer / Klaßen.

Illusionsträchtigkeit des Theaters für seine

theoretische Erklärungen zur gerade aus­

Foto Knut Klaßen

Rückbindung ans reale Leben: den ergebnis­

gebrüteten Ringparabel.

offenen interreligiösen Austausch. Zwischen

Manchmal sitzt das Ensemble auch im

Deutsch und Französisch hin und her über­

Stuhlkreis und spricht beispielsweise darüber,

Erlebnisse ausgetauscht. Franck Edmond

setzte Kurzreferate sollen das Publikum ins

dass die Assimilation der Juden in den

Yao, Katholik aus der Elfenbeinküste, erzählt

Mitdenken verwickeln. Nur wenige O-Töne

1920er Jahren Auschwitz nicht verhindert

von einer Muslima, in die er sich daheim ver­

Lessings schaffen es in die Aufführung und

habe. Also schütze Integration in eine Leit­

liebt hatte. Ausgehen durfte er aber nicht mit

kommen gesungen auf Ted Gaiers Beats da­

kultur auch nicht vor Pogromen? Moderator

ihr, weil der Vater verlangt habe, er müsse

her. Die „Nathan“-Handlung wird grob nach­

Hauke Heumann betont, Toleranz fange dort

erst einmal gen Mekka beten lernen. Darauf­

erzählt, allerdings im Plauderjargon, die eine

an, wo es wehtue, weil etwas zugelassen wer­

hin verspürte Yao Aversionen gegen alle Mus­

und andere Szene auch mal angespielt.

den müsse, was einem fremd sei. Zur Illustra­

lime in seinem Lebensumfeld.

Nathan (Gotta Depri) agiert mit tänzerischen

tion treten Darsteller in Schuhen aus Eis auf,

Wenn nun die Sprache auf des Tempel­

und pantomimischen Mitteln. Die Frage, wel­

schmerzhaft kalt, oder animieren die Zu­

herren Heldentat kommt, Nathans Adoptiv-

cher Glaube ihm am meisten eingeleuchtet

schauer, sie mit Schuhen zu bewerfen – tut

tochter Recha aus einem Feuer zu retten,

habe, versetzt seinen Körper in flirrende

weh. Vor allem aber werden Lese- und Gedan­

heißt es: Diese junge, muskulös maskuline,

Spannung, er windet sich geschmeidig und

kenfrüchte zum Besten gegeben sowie private

schöne christliche Figur war im 18. Jahrhundert

SPIELZEITERÖFFNUNG 27.09.– 06.10.2018

8 1 0 2 T OK

STATE OF THE ARTS u.a. mit Tianzhuo Chen, Royce Ng, (The Famous) Lauren Barri Holstein, God‘s Entertainment, Ute Rauwald

NICO AND THE NAVIGATORS DIE ZUKUNFT VON GESTERN URSINA TOSSI BLUE MOON A WIE ANONYM – KONFERENZ

R ABIH MROUÉ SAND IN THE EYES SKILLS WELCOME TO HELL - EINE DOKUMENTARISCHE KONZERT-PERFORMANCE

GEL HA K A MPN A

MBURG

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auftritt

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und ist heute immer noch eine Identifika­ tionsfigur für das weiße deutsche Publikum – im Gegensatz zu den orientalischen Figuren des Stücks. Oder im Gegensatz zu Mesut Özil, der mit ­hängenden Schultern und verweigertem Natio­ nalhymnengesang kürzlich zum Fußball-WM-Buhmann avancierte. So kommt die Performance vom Hölzchen aufs Stöckchen. Als Zuschauer meint man, einem Dramaturgengeplauder am Kneipennachbar­ tisch zu lauschen, wo beiläufig auch Elementares über Gesellschaft, Politik, Religion zur Sprache kommt. Anregend und überfordernd. Denn Gedanken werden nur angerissen, nie in den Diskurs überführt. Das gelingt nur auf physischer Ebene. Die Körpersprachen der kulturell sehr unterschiedlich geprägten Spieler spiegeln sich in den choreografierten „Nathan“-Szenen nicht als permanente Differenz­ behauptungen, sondern wachsen über die eigenen Grenzen hinaus und nähern

am See, um endlich wieder, wie er selbst

sich an – bringen die vorgeführten Gegen­

­sagte, Horaz lesen zu können, und lud Schü-

sätze also miteinander ins Spiel und zum

ler und Wegbegleiter ein. In Buckow, Ent­

Tanzen. Dann tut Toleranz auch gar nicht

stehungsort von „Turandot oder Der Kongreß

Jens Fischer

der Weiß­ wäscher“ und Namensgeber für

mehr so weh. //

Einst wurde hier Welttheatergeschichte geschrieben – nun lädt die Buckowbande aus dem Umfeld des Berliner VolksbühnenJugendclubs P14 zu einem Sommertheater namens „Der Jux“. Foto Sarah Gailer

die Brecht’­ sche Elegiensammlung, wurde Welttheater­geschichte geschrieben.

BUCKOW

Der Regisseur Jan Koslowski und die

truppe auf die Spur zu kommen, die „Die Ma-

Darsteller, die selbsternannte „Buckowbande“,

rillenplantage“, ein Stück frei nach Tschechows

kommen aus dem Umfeld des Berliner Volks-

„Kirschgarten“, zur Wiederaufführung bringen

Buckower Rhapsodien

bühnen-Jugendclubs P14 – und das merkt

will. Seine Mission: herausfinden, was bei der

man ihnen an. Das Pollesch-Theater trägt hier

letzten Aufführung in Fürstenwalde vor acht

seine Früchte: Wort- und wortspielreich ergibt

Jahren schiefgegangen ist. Dazu kommt weite-

sich ein feines Assoziationsnetz; die Figuren

res Bühnenpersonal: die kapitalismuskritische

fungieren vor allem als Träger von Ideen; die

Regisseurin, die geldgeile Produktionsleiterin

Proklamationen sind wichtiger als eine strin-

und einige Darsteller. Schauspieler, die Schau-

gente Fabel.

spieler spielen also. All das bietet Anlass –

STRANDBAD: „Der Jux“ (UA) von Jan Koslowski & Ensemble Regie Jan Koslowski Kostüme Svenja Gassen

Stefaan Curella, Hauptkommissar aus

nicht ohne ein großes Maß an Klamauk – über

Belgien, reist inkognito als Schauspieler ge-

das Theater selbst nachzudenken. Recht virtu-

tarnt nach Brandenburg, um einer Theater-

os und kenntnisreich geht das über die Bühne,

„Zunächst kommt der Sommer, dann kom-

aber die Methode lädt dazu ein, sich vor einer

men die Sommergäste und ganz zum Schluss

klaren Positionierung wegzuducken. So ist es

kommt das Sommertheater.“ Mit dieser Klimax, vorgetragen im Eröffnungsmonolog, beginnt ein heiterer Open-Air-Theaterabend im Strandbad Buckow. Sommer, Sommergäste und Sommertheater in Brandenburg? Allerdings. Fünfzig Kilometer von Berlin entfernt und zwischen Wald und einer Vielzahl von Seen gelegen, ist Buckow der ideale Rückzugsort für Hauptstädter und schon lange kein Geheimtipp mehr. Das kulturelle (und kulinarische) Angebot unterscheidet sich grundlegend von dem gewohnten in der ­sogenannten Provinz. Buckows prominentester Sommergast, Bertolt Brecht, wohnte hier

Mainzer Str. 5 · 80804 München Tel. +49 (0)89 36101947 info@theaterstueckverlag.de www.theaterstueckverlag.de

Rike Reiniger RISSE IN DENWÖRTERN (1 H)

UA: 25.10. / 17.11.2018 Theater der Altmark, Stendal

nur konsequent, dass auch eine Figur mit dem Namen Ironika auftritt und über das Phänomen der Ironie auf dem Theater monologisiert – jede Kritik jedoch kann so nur selbstbezogen bleiben. Wie es sich für einen Abend im Sommertheater gehört, gibt es ein Happy End. Das Geheimnis wird gelüftet: Der Jux ist vor acht Jahren abhandengekommen und taucht nun unverhofft wieder auf – das Theater ist gerettet. Ein Coup gelingt mit dem Bühnenbild. Es bedarf nicht mehr als eines Metallgestells und eines Vorhangs. Denn der schönste Bühnenboden ist ohnehin der Strandsand. Zwischen Kassenhaus mit Deutschlandfähnchen,


auftritt

/ TdZ  Oktober  2018  /

Sprungturm und Umkleidekabinen sitzt das

aufkeimen. Jannik Hinsch wird in seiner

Publikum auf Bierbänken mit dem Sonnen-

Mimik (mit blitzenden Augen überm nach ­

untergang im Rücken und sieht mitunter am

oben gezwirbelten Schnurrbart) und seiner

Geschehen vorbei auf den Star des Abends,

Sprechweise (diesem leicht abgehackten Ka­

den Schermützelsee. Hierhin begibt sich

sernenton) dem großen Filmvorbild Werner

Schauspielerin Leonie Jenning auf den Steg,

Peters aus Wolfgang Staudtes DEFA-Klassiker

spricht mit ausholender Geste in die Rich-

von 1951 immer ähnlicher. Aber da ist ja

tung, wo das Brecht-Weigel-Haus steht, das

noch die Puppe – und vor allem die Figur der

zum Museum versteinerte Grundstück vom

begehrten Guste Daimchen, für die Ursula

großen B. B., und fragt nach dem Verbleib des

Hobmair aus anderen Rollen schnell hervor­

Brecht’schen Theaters.

springen muss, um ihr die berechnende

Nach sechzig Minuten im besten Sinne

Verführungskunst einer Kleinstadtdame mit ­

guter Unterhaltung ist die Vorstellung vorbei.

übermäßig ausgestopftem Busen zu verlei­

Es war ein Theaterabend für junge Berliner

hen. Das alles geht in Richtung Groteske, was

Sommergäste, nicht für die Buckower Anwoh-

der Roman ja auch hergibt, aber natürlich ist

ner. Nach der Premiere bringt ein gecharter-

damit noch gar nichts über das Heute erzählt.

ter Bus die Zuschauer zum nächsten Bahn-

Dafür zieht der Regisseur nach der

hof – und der Busfahrer, ein Freund der

Pause alle Register. Denn nun wird das Thea­

Kultur, macht einen Zwischenhalt vorm Kino:

ter selbst zur Metapher. Lukas Rüppel, der

Hier gibt es die letzte Möglichkeit für alle,

den zur Theaterkunst neigenden Buck Junior

Bier zu kaufen, um sich die Wartezeit zu ver-

gibt, erläutert dem Publikum in den ersten

kürzen. Vergnügt geht es zurück in die Stadt,

Reihen, wie er den Heßling spielen würde,

auch mit der Frage im Kopf: „Wo ist das gute,

während dieser, Zigarre paffend, ein Bier ums

deutsche, epische, Brecht’sche Theater?“

andere ausschenkt. Rüppel liest scheinbar

Erik Zielke

spontan einen Text vor, der sich anhört, als

Vollkommen ironiefrei. //

hätten die Schauspieler das legendäre Mani­ fest „Wir treten aus unseren Rollen heraus“ des Dresdner Ensembles von 1989 für das

DRESDEN

heutige Sachsen neu aufgearbeitet, doch handelt es sich um eine historische Rede aus

In Sachsens Bierkellern STAATSSCHAUSPIEL DRESDEN: „Der Untertan“ nach dem Roman von Heinrich Mann Regie Jan-Christoph Gockel Bühne Julia Kurzweg Kostüme Sophie du Vinage

Charaktertyp der deutschen Kaiserzeit – Jan-Christoph Gockel hat Heinrich Manns „Unter­tan“ (hier mit Jannik Hinsch) in seiner Fassung verdoppelt. Foto Sebastian Hoppe

Heinrich Manns Zeiten. Danach zieht das Paar Diederich/Guste in die rechte Proszeni­ umsloge zum Besuch von Wagners „Lohen­ grin“. Zu sehen ist in einem surrealen Video auf der nun mit Folie verhangenen Drehbühne die Diederich-Puppe – nicht nur in der Begeg­

behalten, während sein mittlerweile erwach­

nung mit einem Bild von Wilhelm Zwo, son­

senes Pendant, gespielt von Jannik Hinsch,

dern nachfolgend auch mit Hitler, Ulbricht

seine Sozialisation in Studium, Burschen­

und

schaft, Eheanbahnungsgeschäft und väter­

1000-DM-Schein, der bis zur Zeit der mär­

licher Papierfabrik durchläuft. So kann das

chenhaften Wiedervereinigung galt.

den

Gebrüdern

Grimm

auf

dem

„Diederich Heßling war ein weiches Kind, das

gnomenhafte Geschöpf eine Art zweites Ich

Torsten Ranft, der als Krüppel des

am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete

einer inneren Stimme sein, als Kommentar

20. Jahrhunderts nun schon weit weg vom

und viel an den Ohren litt.“ Der bekannte erste

erlebt werden oder daran erinnern, wie im

Roman eine Rede Heinrich Manns über Euro­

Satz aus Heinrich Manns Roman „Der Unter­

harten Untertan seiner Majestät letztlich im­

pa und Flüchtlinge zitiert, wird von den ande­

tan“ über den Charaktertyp der deutschen Kai­

mer noch ein weiches Kind steckt – ganz

ren mit „Heßling, Heßling!“-Rufen nieder­

serzeit eröffnet auch die Bühnenfassung von

wunderbar!

gebrüllt. Regisseur Jan-Christoph Gockel hat

Jan-Christoph Gockel und Dramaturgin Julia

Im ersten Teil vor der Pause werden

seine Adaption von Manns Klassiker als all­

Weinreich in Dresden. In der originellen Anla­

die einzelnen Stationen dieses Entwicklungs­

mähliches, dann heftiges Aufbrechen einer

ge dieser Adaption wird Diederich als Puppe

romans in markanten Szenen auf der für wech­

konventionellen Romanerarbeitung auf der

aus dem Kinderbett gehoben, um mit ängst­

selnde Schauplätze eingerichteten Drehbühne

Bühne in die Aktualitätskurve gelenkt. Das ist

lich umherblickenden Augen und einer mikro­

durchlaufen, so zum Beispiel der Bierkeller,

ihm im Prinzip beeindruckend und auch be­

portverzerrten Stimme ihres Puppenspielers

wo die patriotisch gesinnten Studenten ihre

unruhigend gelungen. Einzig die Blitzartig­

Michael Pietsch in die Inszenierung zu tappen.

Salamander-Trinkrituale abhalten; ein riesiger

keit der Brüche zwischen historischer Grotes­

Die große Idee der Regie besteht darin,

Haufen Lumpen steht für die Papierfabrik, in

ke und surrealem Gegenwartsbezug mochten

den Puppen-Diederich auf der Bühne beizu­

der die politischen Auseinandersetzungen

nicht ganz überzeugen. //

Thomas Irmer

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auftritt

HANNOVER Unser Gedächtnis ist ein verdammtes Sieb SCHAUSPIEL HANNOVER: „Der schwarze Obelisk“ nach Erich Maria Remarque Regie Lars-Ole Walburg Bühne Robert Schweer Kostüme Nina Gundlach

Ein Abend geht zu Ende. Dabei hatte er gera­ de erst begonnen. Auf der Bühne der west­ deutschen Kleinstadt Werdenbrück herrscht die Leere eines soeben beendeten Konzerts. Noch meint man, unter der Kuppel der wei­ ßen Konzertmuschel die letzten Klänge eines Streichquartetts zu vernehmen. Doch die Mu­ siker sind längst gegangen. Einzig vier schwarze Notenständer stehen noch herum, metallene Skelette, die in dieser blütenwei­ ßen Umgebung einen Hinweis darauf geben, was mit der Musik überdeckt werden sollte. Der Krieg ist aus, ja. Es herrscht Frieden, aber „nie ist“, schreibt Erich Maria Remarque im Vorwort zu seinem Roman „Der schwarze Obelisk“, „mehr darüber geredet und nie ­weniger dafür getan worden“. Dieser Satz ist zeitlos, auch wenn Remarque ihn in den 1950er Jahren niederschrieb; er gilt ebenso für die 1920er Jahre, in denen diese Ge­ schichte spielt – und auch für unser Heute. Money makes the world go round – In Remarques „Der schwarze Obelisk“ jedoch bringt es die Welt nahezu zum Stillstand.

„Der schwarze Obelisk“ ist, wie das monoli­

steinverkäufer, den Tod verwaltet, widmet er

thische Objekt, das den Titel zeichnet, ein

dem Sterben um sich herum lediglich ökono­

Mahnmal, thematisiert die Zerfallsprozesse

mische Gedanken. Lieber lässt er sich mit

einer Gesellschaft, in der „die Hoffnung noch

Georg, seinem einstigen Kriegskameraden,

wie eine Flagge über uns wehte und wir an so

durch Gaststätten und Bordelle treiben. Alles

verdächtige Dinge glaubten wie Menschlich­

wäre erträglich, wäre da nicht gleich zu Be­

keit, Gerechtigkeit, Toleranz. Und auch da­

ginn des Abends dieses Loch im Boden auf­

damals und heute. Ansätze, den Aufstieg der

ran: Dass ein Weltkrieg genug Belehrung sein

getaucht. Kreisrund und schwarz, dabei groß

Nationalsozialisten mit dem Aufstieg der AfD

müsse für eine Generation.“

genug, um einen Menschen zu verschlingen.

zu vergleichen, führen im Hinblick auf die öko­

Wohin führt ein Abend, der, kaum be­

Doch anstatt Dinge in sich einzusaugen, speit

nomische Situation nicht weiter. Interessant

gonnen, sogleich von einem Ende erzählt?

es mit einer gewaltigen Eruption das ganze

wäre, Strategien der NSDAP zu untersuchen,

Keineswegs sofort in den Abgrund. „Unser

Elend dieses Jahres 1923 plötzlich aus: Geld –

die, wie der Historiker Volker Weiß zeigt, von

Gedächtnis“, sagt Georg (Silvester von Höss­

in einer nicht versiegen wollenden Fontäne an

den Neuen Rechten wieder reanimiert werden.

lin), „ist wie ein verdammtes Sieb.“ Der Krieg

Scheinen. Es herrscht Hyperinflation. An der

Aber das ist hier nicht Thema. Doch warum

sei nur noch ein Abenteuer. Alles, was man

Marienkirche warten bereits die Nationalsozia­

dann dieses Stück?

überlebt hat, werde zum Abenteuer. Und so

listen: „Kommt zu uns, Kameraden! Adolf

herrscht auch in Lars-Ole Walburgs Hannove­

Hitler wird euch helfen!“

Foto Katrin Ribbe

Formal gesehen, beendet Walburg mit „Der schwarze Obelisk“ eine Remarque-Trilo­

raner Inszenierung eine überschäumende

Mit diesem poetischen Bild einer finan­

gie, die er mit „Im Westen nichts Neues“

Lust am Leben. Wenngleich Ludwig Bodmer

ziellen und daraus folgenden politischen Apo­

2014 begann und mit „Die Nacht von Lissa­

(Jonas Steglich), erfolgloser Poet und Grab­

kalypse enden indes die Parallelen zwischen

bon“ 2017 fortsetzte. Sie kündet von einer


auftritt

/ TdZ  Oktober  2018  /

Faszination für diesen Schriftsteller. Vor allem für seine überaus poetische Sprache, die es

PADERBORN

schafft, dem Grauen des Krieges eine Form zu geben. Doch all das scheint Walburg in dieser Inszenierung zu vergessen. Zwar ist der „Obe­

Ein blinder Spiegel

lisk“ heiterer, lebensfroher als Remarques Kriegsromane, doch kennzeichnet ihn gerade deshalb eine existenzialistische Schwere. „Da ist manchmal ein Loch. Das scheint in den Mittelpunkt der Erde zu reichen. Was füllt es

THEATER PADERBORN: „Andorra“ von Max Frisch Regie Tim Egloff Ausstattung Selina Traun

aus? Sehnsucht? Verzweiflung? Ein Glück? Aber welches? Wozu lebe ich?“, heißt es an einer Stelle. Die Inszenierung jedoch lässt sich

Barblin weißelt und weißelt. Immer wieder

kaum Zeit für diese Stimmungen und Bilder.

taucht die junge Frau die Finger der rechten

Der Ton des Abends wirkt, anders als beispiels­

Hand in den Eimer mit weißer Farbe und

weise in den hochkonzentrierten Fallada-­ streicht dann über winzige Stellen der rech­ Adaptionen von Luk Perceval, gehetzt. Wobei

ten Bühnenwand. Eine ziemlich absurde Tä­

dies durchaus ein Formelement hätte sein

tigkeit, schließlich hat Ausstatterin Selina

können. „Die Geschichte einer verspäteten Ju­

Traun einen weißen Kasten auf die Bühne des

gend“, so der Untertitel des Romans, ist von

Theaters Paderborn gestellt, den keinerlei

einer, wie Walter Benjamin auch über Dosto­

Flecken verunstalten. Der äußere Anschein

jewskis „Idioten“ schrieb, überreizten Sehn­

ist makellos. Das Material, aus dem der Boden

sucht nach einer verlorenen Kindheit gekenn­

und die drei Wände bestehen, erzählt jedoch

zeichnet. „Tugend, Einfalt, Jugend. Einmal

eine andere Geschichte. Die Styroporplatten

verloren, sind sie nie wieder zu gewinnen“,

sind zwar von einem unschuldigen Weiß. Aber

sagt Georg. Aus diesem Verlust entsteht Rase­

sie können jederzeit bröckeln oder gar ganz

rei, die Kehrseite der Melancholie.

Weißeln, wo es nichts zu weißeln gibt – „Andorra“ (hier mit Gesa Köhler) in der Regie von Tim Egloff. Foto Tobias Kreft

zerbrechen. Die Botschaft ist so eindeutig wie

­hassen und ausstoßen können. Also zwingen sie

Bühnenbildner Robert Schweer hat den

Max Frischs 1961 uraufgeführtes Lehrstück.

den von Tim Tölke extrem körperlich gespielten

Boden der Konzertmuschel mit weichem Ma­

Das Leben der Andorraner ist eine Lüge. Stän­

jungen Mann in die Rolle des Außenseiters und

terial ausgelegt, sodass sie, einmal bespielt,

dig führen sie Worte wie „Frieden“, „Freiheit“

Juden. Denn sie können sich selbst nur durch

einer Gummizelle gleicht, in der Ludwigs Lie­

oder „Menschenrechte“ im Mund. Doch ihre

Abgrenzung definieren. Wenn der Jude, so wie

be zur schizophrenen Isabelle auf die dunklen

Handlungen zeugen nur von ihrem Opportunis­

sie ihn sehen, für alles Übel in der Welt steht,

Schatten des Krieges prallt: „Der Krieg … geht

mus und ihren Ressentiments. Und das weiß

dann müssen sie im Umkehrschluss das Gute

in diesen Räumen weiter. Bajonette bohren

die von Gesa Köhler gespielte Barblin, nur will

und das Schöne repräsentieren.

sich in Bäuche, Tanks zermalmen Verwundete,

sie es sich nicht eingestehen. Also weißelt sie,

So modern diese Konstellation, die

das Krachen der Granaten dröhnt.“ Doch eine

wo es nichts zu weißeln gibt, immer in der

Identität als soziales und politisches Kon­

Balance zwischen Hysterie und Melancholie ­

Hoffnung, dass die Lüge zur Wahrheit wird.

strukt versteht, auch sein mag, sie bleibt in

will sich nicht einstellen. Was bleibt, ist das

Anders als Laura Linnenbaum, die vor

Egloffs Regie weitgehend wirkungslos. Nichts

eindrückliche Bild einer Gesellschaft in der

knapp einem Jahr in Münster bewusst auf Dis­

in seiner über weite Strecken textgetreuen Ein­

Schwebe – kurz vor ihrem Verfall. //

tanz zu Frischs Parabel gegangen ist, nähert

richtung des Stücks zwingt einen zum Nach­

sich Tim Egloff dem Text beinahe ehrfürchtig.

denken. Trotz der gegenwärtigen Ereignisse in

Er hat ihn nur ein wenig gestrafft und die Figur

Deutschland, trotz all der rassistischen und

des „Jemand“ gestrichen. Ansonsten folgt er

antisemitischen Vorfälle der letzten Wochen

Frischs eigener Deutung des Stücks, die der Au­

und Monate bleibt Egloffs „Andorra“ ein fikti­

tor in einem Brief an das Suhrkamp-Lektorat

ver Kleinstaat, dessen Bewohner dem Theater­

formuliert hat: „Für mich … gehört es zum We­

publikum fremd sind. Die Männer und die

sentlichen des Stücks, dass die Andorraner ih­

Frau, die Andri „zum Jud machen“, das sind

ren Jud nicht töten, sie machen ihn nur zum

die Anderen, die, über die man beim Zeitung­

Jud in einer Welt, wo das ein Todesurteil ist.“

lesen oder beim Blick in die Fernsehnachrich­

Der Wirt (Ogün Derendeli), der Tischler (Patrick

ten ungläubig den Kopf schüttelt. So dient

O. Beck), dessen Geselle (Robin Berenz), der

diese Inszenierung einzig und allein der

Soldat (Carsten Faseler) und der Doktor, der von

Selbstvergewisserung eines Publikums, das

einer Frau, Mona Kloos, gespielt wird, stürzen

sich klatschend selbst auf die Schulter klopft.

Dorte Lena Eilers

Preisgekrönte Märchenadaptationen von

JOËL POMMERAT ROTKÄPPCHEN PINOCCHIO ASCHENPUTTEL

MERLIN VERLAG

21397 Gifkendorf 38 Tel. 04137 - 810529 info@merlin-verlag.de www.merlin-verlag.de

sich regelrecht auf die Lüge des Lehrers (Alex­

Egloff bleibt weit hinter der Grafik im

ander Wilß), dass sein Sohn Andri ein Jude sei.

Paderborner Spielzeitheft zurück, die vor der

Sie brauchen unbedingt jemanden, den sie

Premiere von „Andorra“ für Schlagzeilen und

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auftritt

/ TdZ Oktober 2018  /

eine Strafanzeige vonseiten der AfD gesorgt hat. Dieses Totenkopfbild, in dem die Wahl­ ergebnisse der AfD aus den Jahren 2013 und 2017 neben denen der NSDAP aus den Jah­ ren 1928 und 1932 stehen, überschreitet mit seiner Gleichsetzung der 681 antisemiti­ schen Straftaten, die im ersten Halbjahr 2017 in Deutschland erfasst wurden, mit den sechs Millionen Opfern des Holocausts zwei­ fellos eine Grenze. Die Grafik ist ein Affront, der in seiner Drastik den ständigen Provokati­ onen der Neuen Rechten in nichts nachsteht. Eine ähnliche Schärfe müsste eine zeitgemä­ ße „Andorra“-Inszenierung haben. Aber da­ von kann in Paderborn nicht die Rede sein. Tim Egloff beleidigt oder provoziert nie­ manden. Durch die Streichung der ambivalen­ testen Figur des Stücks schont er die Theater­ besucher sogar noch. Kein Andorraner kann Es gibt sie nur im Plural, als verschiedene Ichs in einem – Laura Linnenbaums „Kafkas Haus“. Foto Martin Kaufhold

ihnen so nahekommen wie „Jemand“, dieser

Sowohl aus den Romanfragmenten als auch

Intellektuelle, der genau sieht, was in seinem

aus bekannten Erzählungen bildet sie eine

Land passiert, und doch nicht handelt. Seine

stimmige Collage, die ein dichtes Gesamtbild

Ironie ist keine Waffe, sondern Ausdruck der

des düsteren Kosmos des Prager Schriftstel­

Kapitulation vor dem stumpfen Rassismus und

lers ergibt. Bereits in der ersten Szene entfal­

Antisemitismus seiner Mitbürger. Dieser „Je­

ten sich wesentliche Grundkonstanten seiner

Marilyn Monroes „My Heart Belongs to Dad­

mand“ könnte dem Publikum einen Spiegel

Albtraumprosa. Die sieben Darsteller, die im

dy“ singen lässt und damit Kafkas ewigen

vorhalten, in dem es sich auf schmerzliche

Laufe des Abends abwechselnd mal Gerichts­

Schuldkomplex gegenüber seinem ihm stets

Weise wiedererkennt. Ohne ihn bleibt dieser

bedienstete, Josef K. und überhaupt all die

als allmächtig anmutenden Vater humorvoll

Sascha Westphal

mysteriös-grotesken Typen des Kafka’schen

thematisiert. Oder indem sie die zahlreichen

Universums mimen, scharen sich vor schwar­

sexuellen Anspielungen in den literarischen

zer Kulisse um einen Tisch, auf dem ein An­

Vorlagen vielschichtig auf die Bühne bringt.

zug liegt (Bühne Valentin Baumeister, Kostüme

Entweder tänzeln die Herren auf Stöckelschu­

Michaela Kratzer). Bevor er einem von ihnen

hen, oder sie schlüpfen gleich zu mehreren

angelegt wird, nutzt ihn das Septett als eine

unter das Kleid Rieckhofs, das als Versteck

Puppe. Die leere, bewegliche Hülle wird zum

und Ort der geheimen Triebe gleichermaßen

Inbegriff des modernen, von anonymen Mäch­

dient. Ja, das sind Kafkas Antihelden: immer­

ten gesteuerten Menschen. Kaum modisch

zu zerrissen zwischen dem sexuellen Begeh­

ausgestattet, stolpert die von Raimund Widra

ren und den gesellschaftlichen Normen.

Spiegel blind. //

SAARBRÜCKEN Das omnipräsente Nichts SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER: „Kafkas Haus“ nach Erzählungen von Franz Kafka Regie Laura Linnenbaum Bühne Valentin Baumeister Kostüme Michaela Kratzer

gespielte Figur von einer Szene in die nächste.

Es gibt sie nur im Plural, als verschie­

Verzweifelt sucht er seinen Richter und gerät

dene Ichs in einem. Linnenbaums postdra­

bald schon in einen riesigen Raum voller in

matische Strategie, die Texte auf mehrere

Reihen angeordneter Tische. Hierin täuschen

Personen aufzuteilen, geht vollends auf und

die übrigen sechs Spieler pantomimisch ad­

spiegelt anschaulich die Identitätskrise des

ministrative Tätigkeiten vor (Choreografie Lili

Menschen innerhalb einer ökonomisierten

M. Rampre) – maschinelle Betriebsamkeit

und technisierten Welt. Hierin sind alle aus­

Seit einigen Jahren schon steht Kafka fast auf

ohne Herz und Verstand. Jene entfremdete,

tauschbar und misstrauisch. Unentwegt um­

jedem Spielplan, obwohl er kein einziges Drama

undurchdringliche Verwaltungswelt erinnert

zingeln und beobachten die Figuren sich ge­

geschrieben hat. Doch die Intendanten wissen:

den Zuschauer unmittelbar an die berühmte

genseitig. Sucht einer von ihnen doch einmal

Um Schulklassen ins Theater zu ­locken, ist der

„Prozess“-Adaption des Hollywoodgenies Orson

den Ausgang aus dieser Hölle auf Erden, in­

inzwischen kanonische Autor ein echter Garant.

Welles, dem Linnenbaum mit ihren finsteren

dem er sich wie in einer der letzten Szenen,

Oftmals fallen genau aus diesem Grund die in­

Kulissen, den biederen Anzügen sowie der

auf mehreren gestapelten Tischen stehend,

szenatorischen Annäherungen etwas gefällig

Bürohalle eine sichtbare Hommage zueignet.

nach oben zu Gott wendet, so wird er einzig

aus. Am Saarländischen Staatstheater hat man

Stimmige, luzide Bilder zu entwerfen,

nun mit Laura Linnenbaums fabelhafter Urauf­

ist die Stärke dieser großartigen, 1986 gebo­

Die Heimatlosigkeit, die Ohnmacht,

führung „Kafkas Haus“ erfreulicherweise einen

renen und schon vielmals gefeierten Künstle­

das blanke Entsetzen über die Einsamkeit

ganz anderen Weg eingeschlagen.

rin. Etwa indem sie Anne Rieckhof famos

des Daseins – all diese traurigen Gewisshei­

des omnipräsenten Nichts gewahr.


auftritt

/ TdZ  Oktober  2018  /

ten in „Kafkas Haus“ verdichtet dieser Abend

„Mein Tod wird eure Welt nicht besser ma­

sicht. Und es ist tatsächlich eine Farce, die

zu einem Panoptikum des Schreckens. Es

chen“, so lauten in der Fassung Heiner

das Publikum zu s­ehen bekommt. Der

gibt in diesem Schattenreich kein Glück, und

­Müllers die letzten Worte Macbeths, am Ende

­Ahnung, dass sich zu diesem Zweck Alfred

noch weniger Wahrheit. Diese Gewissheit

seines spektakulären Aufstiegs und nicht

Jarrys „König Ubu“ womöglich besser ange­

stellt Linnenbaum mit aller Wucht aus, hin

minder spektakulären Falls. Es sind auch die

boten hätte, kommt das Programmheft noch

und wieder ironisch gebrochen, aber insge­

letzten Worte in der Weimarer Inszenierung

entgegen; dort ist von den „Mac-Bus“ die

samt mit einer tiefen Ernsthaftigkeit. Franz

unter Christian Weises Regie, sie zu spre­

Rede. Wie sehen solcherlei ­literarische Zwit­

Kafka, der selbst beim Verfassen seiner geni­

chen, von einem dämonischen Lachen beglei­

terwesen auf der Bühne aus?

alen Texte ab und zu gelacht haben soll, würde

tet, ist Corinna Harfouch vorbehalten, die

Der eiserne Vorhang ist zunächst her­

es in Saarbrücken schaudern – aus Ehrfurcht

schon bei der von Müller selbst inszenierten

untergelassen, eine Tür öffnet sich, und her­

und aufgrund der Erkenntnis, welch hoher

Aufführung 1982 in der Berliner Volksbühne

aus treten nackte Gestalten, deren Physiog­

Grad an Realität seinen surrealen Arrange­

an der Seite von Ulrich Mühe spielte. Unzwei­

nomie wohl kaum dem Idealtypus Da Vincis

Björn Hayer

felhaft soll die Geschichte der Macbeths eine

entspricht. Es sind fette Leiber, mit Buckeln

Welt offenlegen, deren Gesetz die Gewalt ist,

und eigentümlich langgezogenen, an die

deren sich Einzelne zwar bedienen können,

Monster des Dr. Frankenstein erinnernde

die die Einzelnen aber nicht zu beseitigen

Schädeln, die Hoden des König Duncan

vermögen. Eine komplett verdüsterte Tragödie

schlackern in der Region der Knie (er hat na­

ohne Lichtblick, könnte man meinen; nicht

türlich den Längsten, der Hinweis ist nun

zuletzt das führte zur Zeit der Entstehung der

auch nicht gerade dezent), dazu dicke, hän­

Bearbeitung zu einer der größten Literatur­

gende Brüste über noch dickeren Bäuchen,

auseinandersetzungen in der DDR. Doch folgt

alles in grellem Weiß gehalten – so beginnt

die Weimarer Inszenierung einer anderen

das Spiel über Macht und Gewalt. Und man

­Lesart. In Anlehnung an Marx’ Kommentar zu

kann sich dem Verdacht nicht erwehren, dass

Hegel, dass sich Geschichte zwar wiederhole,

hier der ebenso plumpen wie falschen These

jedoch auf die Tragödie die Farce folge,

Gestalt verliehen werden soll, dass alles Un­

­probiert man auf der Bühne des Deutschen

glück der Welt von alten weißen Männern er­

Nationaltheaters die Anwendung dieser Ein­

dacht worden sei, die man sich also ungefähr

ments doch innewohnt. //

WEIMAR Peinlicher Appell DEUTSCHES NATIONALTHEATER WEIMAR: „Macbeth“ in der Bearbeitung von Heiner Müller Regie Christian Weise Bühne Julia Oschatz Kostüme Lane Schäfer

ANTIGONE Uraufführung Theater Chur 24. Okt 2018

Einlass alle 12 min von 17:36 – 21:48 Uhr für je eine Person

*Voraufführung

www.raumundzeit.art www.theaterchur.ch

Termine 22.*/ 23.*/ 26. / 27. / 28. / 30. / 31. Okt 2018

Eine Probe mit Weigel und Brecht Szenische VR-Installation von Bernhard Mikeska, Lothar Kittstein, Alexandra Althoff (RAUM+ZEIT)

COME BACK

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Ein Drama über die höchsten Fragen des Staates – zur Kleinbürgerklamotte verzwergt: „Macbeth“ in der Regie von Christian Weise. Foto Candy Welz

WIEN Friedlich vereint im Tod

so unansehnlich vorstellen soll, wie sie da auf

nun wirklich nicht arm ist. Die Strichfassung

der Bühne präsentiert werden. Und nicht nur

macht es nahezu unmöglich, die Handlung

THEATER IN DER JOSEFSTADT: „Die Reise der Verlorenen“ (UA) von Daniel Kehlmann Regie Janusz Kica Bühne Walter Vogelweider Kostüme Alfred Mayerhofer

das. Der ganze Hof soll offenbar jedes vom Pri­

wiederzuerkennen, die von Müller eingefüg­

vatfernsehen über die unteren Klassen verbrei­

ten Volksszenen wurden erst gar nicht verwen­

tete Klischee bedienen, Susanne Wolff und

det, man spielt mit sechs Schauspielern in

Harfouch als Ehepaar Macbeth (die Rollen

Minimalbesetzung. Nur ansatzweise können

werden zwischendurch getauscht) hausen in

Harfouch, Wolff und Kollegen, eingezwängt in

Am Ende wirbt Ortsgruppenleiter Otto Schien­

einer engen Bude, als aufgeblasener Proll und

ihre Kostüme, andeuten, was sie könnten,

dick für moralischen Relativismus: „Und jetzt

abgehalfterte Hausfrau inklusive Sofa, Fernse­

wenn man sie ließe. Dass aus Figuren schlicht

sind wir alle friedlich vereint im Tod. Die

her, Bier und ruppigem Sex, auf der Toilette

Karikaturen gemacht wurden, bringt nämlich

Schurken und die Guten und die, die keines

dann minutenlanger Durchfall, bevor man sich

Probleme mit sich. Die Motivationen der Figu­

von beidem waren. Wir sind jetzt alle gleich.

gegenseitig mit der Klobürste verdrischt – mit

ren verschwinden zugunsten der Eindeutig­

Alle friedlich zur Ruhe gelegt, als Fußnote in

nur ein paar wenigen Setzungen hat man ein

keit ihrer überspitzten Darstellung, ohne er­

den Geschichtsbüchern.“ Grelles Licht und

Drama über die höchsten Fragen des Staates

kennbaren Antrieb staksen sie über die

schriller Sound stören diese Fantasie vom Tod

in eine Kleinbürgerklamotte verwandelt, und

Bühne. Das wird auch für das Schauspiel zu

als großen Gleichmacher. Dann das Schluss­

aus dieser klamaukigen Verzwergung führt

einem Problem. Die übertriebenen Gesten,

bild: Alle stehen in Schwimmwesten an der

auch kein Weg zurück.

die weitausholenden und wedelnden Arme,

Rampe und schauen ins Publikum.

Dass der Königshof ohne weiteren er­

die Persiflage des hohen Stils, all das lässt

Regisseur Janusz Kica baut für seine

sichtlichen Zusammenhang in Goethes Wohn­

sich nur vortragen, wenn der Grundgestus

Uraufführung von Daniel Kehlmanns „Die

haus verlegt wurde, dass Lady Macbeth Pizza

­ironisch ist. Ironie aber braucht man zur Dis­

Reise der Verlorenen“ am Theater in der

aus den Verbrennungsöfen von Buchenwald

tanzierung. Wovon will man sich hier also dis­

J­ osefstadt ein Grande Finale. Da wird aus­

serviert und in einer Zwischenansprache das

tanzieren? Von den eigens geschaffenen Kari­

drücklich aufs Symbol gebracht, was 110 Mi­

Publikum auf eine Art und Weise vor den Ge­

katuren, denen man insgeheim doch nicht

nu­ten lang ­Motor der Veranstaltung gewesen

fahren eines wiederaufziehenden Faschismus

traut? Von dem Stoff, mit den man nichts

war: Dass da eine Parallele besteht, zwischen

gewarnt wird, dass man nicht nur ernste Zwei­

anfangen kann? Das Publikum hätte man

damals und heute, zwischen der MS St. Louis

fel an der Wirksamkeit solcher peinlichen Ap­

auch mit besseren Fragen zurücklassen kön­

1939 und den überfüllten Booten 2018, dass

pelle, sondern auch an deren prinzipieller

nen; es hätte es verdient, und der Stoff hätte

Einreisebeschränkungen, Asylbestimmungen

Ernsthaftigkeit hat, stellen dann noch weitere

es hergegeben. //

und Seenotrettung über Leben oder Tod ent­

Ärgernisse der Inszenierung dar, die daran

Der Nussknacker | 5–99 Jahre ab dem 16. November Regie: Volker Metzler

Jakob Hayner

scheiden.


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Frank-Schirrmacher-Preis­

Kehlmann – der in einem Interview mit der

träger Kehlmann („für herausragende Leis­

österreichischen Tageszeitung Der Standard

tungen zum Verständnis des Zeitgesche­

verkündete, er habe sich „entschieden, absolut

Der

diesjährige

Großes Thema, großer Cast – Aus Daniel Kehlmanns „Die Reise der Verdammten“ wird im Theater in der Josefstadt ein solide gebauter Erzählabend. Foto Sepp Gallauer

hens“) arrangiert für sein viertes Theaterstück

nichts zu erfinden und keine Fakten zu ä­n-

ein Erzähldrama mit dialogischen Versatz­

­dern“ – operiert mit 25 männlichen und sie­

stücken. Die Geschichte basiert auf dem

ben weiblichen Sprechrollen, außerdem Kin­

Buch „Voyage of the Damned“ von Gordon

der­ figuren und Sängerinnenrollen. Regisseur

Der Nazi und „Schurke“ der Geschichte

Thomas und Max Morgan-Witts aus dem Jahr

Kica füllt den Schiffsbauch (Bühnenbild

(Raphael von Bargen als vital-brutaler Otto ­

1974, welches 1976 in der Regie von Stuart

­Walter Vogelweider) mit nochmal 21 Personen

Schiendick) hat seinen Gegenspieler in dem

Rosenberg verfilmt wurde. Das Buch wiederum

der Statisterie. Und was tun all diese Menschen,

recht­ schaffen-aufrechten

verhandelt die reale Geschichte des Passa­

während der Abend durch eine Dramaturgie

Schrö­der, den Josefstadt-Intendant und Schau­

gierschiffes MS St. Louis, welches z­ wischen

des Abhakens von Szene zu Szene flutscht?

spieler Herbert Föttinger stoisch manövrieren

Kapitän

Gustav

Sie drapieren sich in grau-blau-schwar­

lässt. Während Schiendick menschliche Ent­

zen Tableaus (Kostüme Alfred Mayerhofer)

schei­dun­gen zu Schicksal, Zeitgeist und Ver­­­

937 Jüdinnen und Juden hofften, von

und schauen ins Publikum. Mal trägt jemand

hält­ nissen relativiert, beharrt Schröder auf

Hamburg nach Havanna auszureisen, um dort

ein Hitler-Gemälde vorbei, mal wird aus dem

individueller, moralischer Integrität. Ein Schein­

auf gültige Visa für die USA zu warten. Je­

Grau-Blau-Schwarz ein Vanille-Weiß mit gol­

werfer wirft seinen Schatten übermenschen­

doch erteilten weder Kuba noch die USA noch

denem Licht, das ist dann Kuba. Erzählt wird

groß auf die Bühnenrückwand. Soll er eine

Kanada noch sonst ein Land dem Schiff eine

vorne an der Rampe, mal sitzend auf Stühlen,

Havarie inszenieren, um alle Passagiere vor

Anlegeerlaubnis, und die MS St. Louis muss­

dann stehend mit Politikgesten (zum Beispiel

der Rückkehr nach Deutschland zu retten,

te Richtung Europa umkehren. „Keiner will

Michael Dangl, der den kubanischen Präsi­

soll er die heldenhafte, gegen Verhältnisse

sie“, zitiert das Programmheft den Völkischen

denten Federico Laredo Brú als Sebastian

und Gesetze gerichtete Tat wagen?

Beobachter.

und

Kurz vorstellt). Den dokumentarischen Impe­

Die Figuren Kehlmanns referieren schon

Scheinheiligkeit präsentiert Kehlmann als Ur­

tus des Textes pimpt Kica mit kleinen szeni­

am Anfang ihre Biografien, ihren Tod. Auch die

sachen. Schlussendlich erklärten sich Belgi­

schen Andeutungen: Marcus Bluhm tanzt für

Inszenierung lässt nichts Unerwartetes auf­

en, England, Frankreich und Holland zur Auf­

den Suizidversuch seiner Figur des Max Loewe

kommen. Die Wahrhaftigkeit des Themas, da­

nahme je eines Teils der Geflüchteten bereit.

blutverschmiert-delirierend von der Bühne,

mals und heute, scheinen Text und Regie davon

Ein knappes Jahr später startete der Westfeld­

und Maria Köstlinger wirft sich in der Rolle

abgehalten zu haben, mehr als einen solide

zug, welcher drei der vier Gastländer unter

der Ehefrau Loewe sportlich-verzweifelt in

gebauten, spärlich bebilderten Erzählabend

nationalsozialistische Kontrolle brachte.

starke Männerarme.

vorzustellen. //

Mai und Juni 1939 zweimal den Atlantik querte.

Bürokratie,

Korruption

Theresa Luise Gindlstrasser

Schwabinggrad Ballet & Arrivati Fr 5. + Sa 6.10.

Chöre der Angekommenen

Über die Besetzung des Oranienplatzes

fft-duesseldorf.de


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/ TdZ Oktober 2018  /

An der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, Institut für Schauspiel, gelangt ab dem Wintersemester 2020/21 eine

Universitätsprofessur für Sprechen/Sprachgestaltung gemäß § 98 des Universitätsgesetzes und § 25 des Kollektivvertrages für die Arbeitnehmer/-innen der Universitäten in Form eines vollbeschäftigten vertraglichen Dienstverhältnisses zur Besetzung. Eine Überzahlung des kollektivvertraglichen monatlichen Mindestentgelts von derzeit 5.005,10 € brutto (14 x jährlich) kann vereinbart werden. Aufgabenbereiche l

Unterricht im Fach Sprechen in Praxis und Theorie (vorrangig in den Studienrichtungen Schauspiel und Gesang)

l

verantwortliche Vertretung und Förderung des Fachs in seiner Gesamtheit, insbesondere in der Entwicklung und Erschließung der Künste

l

fachliche Betreuung von Inszenierungen, Projekten und künstlerischen Diplomarbeiten

l l

selbstständige künstlerische Forschung Beteiligung an institutsübergreifenden Projekten der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz

l

Mitarbeit in Organisations-, Verwaltungs- und Evaluierungsaufgaben

Spezifische Anstellungserfordernisse l l

hervorragende pädagogische und didaktische Eignung mehrjährige Lehrerfahrung im künstlerischen und/oder Hochschul-Kontext

l

umfassende Kenntnisse in Literatur, Metrik und Phonetik/ Phonologie

l

Erfahrung in Sprech- und Sprachgestaltung auf der Bühne

l

Bereitschaft zur Teamarbeit

Erwünscht ist eine substanzielle künstlerische Reputation. Bewerbungen sind bis spätestens 21.11.2018 unter der GZ 71/18 per E-Mail in einem PDF-Dokument an bewerbung-UProf@ kug.ac.at zu senden. Sofern erwünscht, können Tonträger bzw. DVDs per Post übermittelt werden. Detailinformation: www.csc-kug.at/jobinfo/kug.html Für das Rektorat Elisabeth Freismuth

An der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, Institut Schauspiel, gelangt ab dem Wintersemester 2020/21 eine

Universitätsprofessur für Theaterwissenschaft/ Dramaturgie gemäß § 98 des Universitätsgesetzes und § 25 des Kollektivvertrages für die Arbeitnehmer/-innen der Universitäten in Form eines vollbeschäftigten vertraglichen Dienstverhältnisses zur Besetzung. Eine Überzahlung des kollektivvertraglichen monatlichen Mindestentgelts von derzeit 5.005,10 € brutto (14 x jährlich) kann vereinbart werden. Aufgabenbereiche • Lehre im Pflichtfachbereich Dramaturgie für Studierende der Studienrichtungen Darstellende Kunst (Schauspiel) und Bühnengestaltung • verantwortliche Vertretung und Förderung des Fachs in Forschung und Praxis • Betreuung von Dissertationen und wissenschaftlichen Diplomarbeiten im Fachbereich Theaterwissenschaft/Dramaturgie sowie des schriftlichen Teils von künstlerischen Diplomarbeiten vorrangig in den Studienrichtungen Darstellende Kunst (Schauspiel) und Bühnengestaltung • Entwicklung, Mitwirkung und Durchführung von Forschungsprojekten im Fachgebiet Theaterwissenschaft/Dramaturgie • Mitarbeit an Organisations-, Verwaltungs- und Evaluierungsaufgaben Spezifische Anstellungserfordernisse • eine herausragende internationale wissenschaftliche Reputation auf dem Gebiet der Theaterwissenschaft, insbesondere bezüglich des Theaters im 20. und 21. Jahrhundert • wissenschaftliche Forschung in Dramaturgie bzw. Forschung an der Schnittstelle von künstlerischer Theaterpraxis und Theorie • die pädagogische und didaktische Eignung zu exzellenter universitärer Lehre • Theaterpraxis als Dramaturg/-in im Schauspiel oder in der Schauspielperformance Bewerbungen sind bis längstens 14.11.2018 unter der GZ 68/18 per E-Mail in einem PDF-Dokument an bewerbung-UProf@kug.ac.at zu senden. Sofern erwünscht, können Tonträger bzw. DVDs per Post übermittelt werden. Detailinformation: www.csc-kug.at/jobinfo/kug.html Für das Rektorat Elisabeth Freismuth


bertolt brecht_die rundköpfe und die spitzköpfe

/ TdZ  Oktober  2018  /

Das Stück der Stunde Bertolt Brechts „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ gelesen als politisches und philosophisches Programm eines Durchbruchs zum Realen „Der Faschismus versucht, die neu entstan-

„Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder

herrschen, als Maskerade vorgeführt. Gezeigt

denen proletarisierten Massen zu organisie-

Reich und reich gesellt sich gern“ ist eine po-

wird mit den zwei Waagen eine doppelte Diffe-

ren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf de-

litische Parabel am Vorabend der Machtüber-

renz, eine soziale und eine scheinbar biologi-

ren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten.

gabe an die Nationalsozialisten, deren Inhalt

sche: Arm und Reich, Rundköpfe und Spitz-

Er sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem

sich einfach zusammenfassen lässt als die

köpfe. Der Gegenstand im Folgenden ist der

Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht)

Alternative von Sozialismus und Barbarei.

Widerstreit zwischen der realen Differenz und

kommen zu lassen. Die Massen haben ein

Entweder vereint sich das Volk unter revolutio­

einer, die zwar nicht real ist, die gewissermaßen

Recht auf Veränderung der Eigentumsverhält-

nären Vorzeichen oder unter denen der Volks-

phantasmagorisch ist, aber doch eine Realität

nisse; der Faschismus sucht ihnen einen Aus-

gemeinschaft. Entweder bleiben die Verhält-

bekommt. Verbergen des Realen und Erzeugen

druck in deren Konservierung zu geben. Der

nisse, wie sie sind, nur mit neuer „Tünche“,

des Phantasmas sind dabei ein Vorgang.

Faschismus läuft folgerecht auf eine Ästheti-

oder sie ändern sich grundlegend. Entweder

Doch wie kann die verkehrte Welt der

sierung des politischen Lebens hinaus.“

veranstaltet die Menschheit ein Blutbad, um

Ideologie Wirklichkeit werden? Weil sie einer

die kapitalistische Produktion aufrechtzuerhal-

verkehrten Welt entspringt, lautet Brechts Ant-

ten, oder sie bereitet der Bewohnbarmachung

wort. Und durch die Krise des Kapitalismus. Es

Brecht hat man oft als großen Vereinfacher

der Erde den Weg. Das mag zwar einfach klin-

waltet allein der Profit, die Zivilisation hat kei-

gescholten. Das war vor allem immer dann

gen, aber indem Brecht den entscheidenden

nen Preis, und deren Zerstörung taucht in den

wenig wohlwollend gemeint, wenn die Ver-

Widerspruch seiner Epoche artikuliert, macht er

Folgekosten nicht auf. Der scheinbare Frieden,

hältnisse selbst mit dem Schleier einer un-

es sich alles andere als einfach. Die daran an-

der beim Kapital in den Zeiten nahezu unge-

durchdringbaren diffusen Komplexität verse-

schließende politische und philosophische Fra-

hinderter Profitmaximierung durch Spekulation

hen wurden. Einfaches gilt als verdächtig,

ge lautet nämlich: Welches ist die reale Diffe-

herrschte, wird durch einen immer brutaleren

wobei nichts so einfach ist wie der immer wie-

renz, an der sich der Fortgang der Geschichte

Wettkampf ersetzt. Auf den Folgen der Krise,

derkehrende Verweis auf die abstrakte Unein-

entscheidet? Und wie bekommt diese reale

die solch einträchtiger Spekulation folgt, will

fachheit der Dinge. Brecht aber hat konkret

Differenz auch eine Geltung in der Realität?

niemand sitzenbleiben. „Schädel verteilen“

Walter Benjamin

gedacht. Statt Komplexität war er an Wider-

Das ernste Spiel mit den Differenzen

heißt auch Krisenfolgen verteilen. Wer am

sprüchen interessiert, und Widersprüche sind

beginnt im Vorspiel, das Brecht 1938 für eine

Ende unter die Räder kommt, hat möglicher-

konkret, nicht diffus. Widersprüche haben

Veröffentlichung im Malik-Verlag hinzugefügt

weise schon vorher Seinesgleichen verraten,

eine Form, und das macht sie darstellbar. Die

hat. Eine erste Fassung des Stückes war aus

obwohl man sich doch nur gemeinsam befreien

Wahrheit ist stets konkret, dieser Wahlspruch

einer Bearbeitung von Shakespeares „Maß für

kann. Unschuldig bleibt niemand. Verraten

zierte einen Dachbalken von Brechts Arbeits-

Maß“ an der Berliner Volksbühne ab 1931 ent-

wird vor allem die reale Differenz, die sozial

zimmer im dänischen Exil. Wenn Brecht ver-

standen, Aufführung und Publikation wurden

und universal ist, und stattdessen einer Lüge

einfachte, dann um die Welt erkennbar zu ma-

durch die Ereignisse ab Januar 1933 verhin-

Glauben geschenkt und ihr somit Realität ver-

chen. Und wenn das mit einfachen Mitteln

dert, Brecht musste fliehen, die Uraufführung

schafft – wahrlich ein „Greuelmärchen“. In ei-

möglich ist, spricht das nicht gegen die Mittel.

fand 1936 in Kopenhagen statt. Im Vorspiel

ner Welt der materialisierten Lüge ist die Wahr-

Vor allem nicht, wenn Deutlichkeit nötig ist.

werden die Unterschiede, die das Stück be-

heit manchmal sehr einfach. // Jakob Hayner

Premiere: Januar 2019 + Regie: Sven Grunert + Mit: Julia Koschitz

BILDER DEINER GROSSEN LIEBE Wolfgang Herrndorf www.kleinestheater-kammerspiele-landshut.de Entwurf_Anuzeige.indd 2

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stück

/ TdZ Oktober 2018  /

Bertolt Brecht

Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und reich gesellt sich gern Ein Greuelmärchen Personen: TSCHUCHEN (Rundköpfe): Der Vizekönig Missena, sein Staatsrat Angelo Iberin, Statthalter Callas, Pächter Nanna, seine Tochter, Kellnerin in dem Kaffeehaus der Frau Cornamontis Frau Callas und ihre vier kleinen Kinder Alfonso Saz, Juan Duarte, Sebastian de Hoz, Pachtherren Frau Cornamontis, Besitzerin eines Kaffeehauses Callamassi, Hausbesitzer Palmosa, Tabakhändler Die dicke Frau Tomaso, Besitzerin eines Viktu­ alienladens Die Oberin von San Barabas Der Abt von San Stefano Anwalt der Familie de Guzman Der Richter Der Inspektor Der Schreiber Parr, Pächter Die drei Huas Zwei Klosterfrauen Iberinsoldaten Pächter Kleinbürger

TSCHICHEN (Spitzköpfe): Emanuele de Guzman, Pachtherr Isabella, seine Schwester Lopez, Pächter Frau Lopez und ihre vier kleinen Kinder Ignatio Peruiner, Pachtherr Zweiter Anwalt der Familie de Guzman Ein Arzt Ein Viktualienhändler Pächter Kleinbürger

Die Bevölkerung jener Stadt Luma, in der das Stück spielt, besteht aus Tschuchen und Tschichen, zwei Rassen, von denen die erste r u n d e und die andere s p i t z e Köpfe aufweist. Diese spitzen Köp­ fe müssen mindestens 15 cm höher sein als die runden. Aber die runden Köpfe müssen nicht we­ niger abnormal sein als die spitzen.

VORSPIEL Vor den kleinen Vorhang treten sieben Spieler: der ­Direktor des Theaters, der Statthalter, der aufständische Pächter, der Pachtherr, seine Schwester, der Pächter Callas und seine Tochter. Die letzten vier sind im Hemd. Der Statthalter, im Kostüm, aber ohne Maske, trägt eine Waage mit zwei spitzen und zwei runden Schädelformen; der aufständische Pächter trägt eine Waage mit zwei noblen und zwei zerlumpten Kleidern; er ist ebenfalls im Kostüm, aber nicht in Maske. Der Direktor des Theaters: Geehrtes Publikum, das Stück fängt an. / Der es verfaßte, ist ein weitge­ reister Mann. / (Er reiste übrigens nicht immer ganz freiwillig.) In dem Stück da / Zeigt er Ihnen, was er sah. / Um es Ihnen mit zwei Worten zu un­ terbreiten: / Er sah f u r c h t b a r e Streitigkeiten. / Er sah den weißen Mann mit dem schwarzen rin­ gen. / Einen kleinen Gelben sah er einen großen Gelben niederzwingen. / Ein Finne schmiß nach einem Schweden einen Stein / Und ein Mann mit einer Stupsnase schlug auf einen Mann mit einer Hakennase ein. / Unser Stückeschreiber erkundig­ te sich, worin ihr Streit besteht. / Da erfuhr er: durch die Länder geht / Jetzt der große Schädelver­ teiler / Das ist der Allerweltsheiler / Der hat aller­ hand Nasen in seiner Tasche und verschiedenfarbi­ ge Haut / Damit trennt er den Freund vom Freund und den Bräutigam von der Braut. / Denn er schreit aus auf dem Land und in der Stadt: / Es

kommt an auf den Schädel, den ein Mensch hat. / Darum, wo der große Schädelverteiler war / Schaut man dem Menschen auf Haut, Nase und Haar / Und jeder wird geschlagen krumm und lahm / Der den falschen Schädel von ihm bekam. / Und über­ all wurde unser Stückeschreiber verhört / Ob ihn der Unterschied der Schädel nicht auch stört / Oder ob er unter den Menschen gar keinen Unter­ schied sieht. / Da sagte er: ich seh einen Unter­ schied. / Aber der Unterschied, den ich seh / Der ist größer als der zwischen den Schädeln nur / Und der hinterläßt eine viel tiefere Spur / Und der entscheidet über Wohl und Weh. / Und ich will ihn euch auch nennen gleich: / Es ist der ­Unterschied zwischen arm und reich. / Und ich denke, wir werden so verbleiben / Ich werde euch ein Gleichnis schreiben / In dem beweis ich es jedermann / Es kommt nur auf diesen Unter­ schied an. / Dieses Gleichnis, meine Lieben, wird jetzt hier aufgeführt. / Dazu haben wir auf unse­ rer Bühne ein Land auf­gebaut namens Jahoo. / In dem wird der Schädelverteiler seine Schädel ver­ teilen / Und einige Leute wird sogleich ihr Schick­ sal ereilen. / Aber der Stückeschreiber wird dafür sorgen dann / Daß man auch unterscheiden kann armen und reichen Mann. / Er wird verschiedene Kleider verteilen lassen / Die zu dem Vermögen der Leute passen. / Schließt also jetzt die Türen! / Der große Schädelverteiler wird gleich seine Schädel vorführen. Der Statthalter tritt vor und demonstriert unter Blechlärm seine Schädelwaage: Hier habe ich zweierlei Schädel, wie jeder sieht. / Sie sehen den gewaltigen Unterschied: / Der eine ist spitz, der andre ist rund. /Der ist krank. Der ist gesund. / Gibt es wo Elend und Ungerechtigkeit / So ist der im Spiel allezeit. / Gibt es wo Ungleich­ heit, Fettleibigkeit und Muskelschwund / So ist der der Grund. / Wer mit meiner Waage wiegt / Der wird sehen, wo das Recht und wo das Unrechtliegt.

Theater Winkelwiese 21. September – 6. Oktober 2018

«Ich wandte mich ab und trat ans Fenster...» Nach Erzählungen von Peter Stamm winkelwiese.ch


bertolt brecht_die rundköpfe und die spitzköpfe

/ TdZ  Oktober  2018  /

Mit dem Finger drückt er die Schale nieder, auf der die Rundköpfe liegen. Der Direktor den aufständischen Pächter vorführend: Und nun zeig du Kleiderverteiler deine Kleider her / Die du auf deiner Waage trägst / Und die du den Menschen in ihre Wiegen legst. Der aufständische Pächter zeigt seine Kleiderwaage: Den Unterschied zu sehen, ist, denk ich, nicht schwer / Das sind die guten und das sind die schlechten. / Darüber kann man, denk ich, nicht rechten. / Wer in solchen Kleidern wandelt / Wird für gewöhnlich nicht so behandelt / Wie der, der solche Kleider anhat. / Mir scheint, das weiß man in Dorf und Stadt. / Wer mit meiner Waage wiegt / Der kann sehen, wer auf der Welt den Kuchen kriegt. Mit dem Finger drückt er die Schale nieder, auf der die noblen Kleider liegen. Der Direktor: Ihr seht, der Stückeschreiber be­ nutzt zwei Waagen mit verschiedenen Normen. / Auf einer wiegt er Kleider, fein und abgetragen. / Und mit der anderen wiegt er Schädelformen. / Dann kommt sein Witz: er wiegt die beiden Waagen. Er hat eine der Waagen nach der andern in die Hand genommen, dann beide gegeneinander abgewogen. Jetzt gibt er sie zurück und wendet sich an seine Schauspieler: Ihr, die ihr Spieler der Parabel seid / Wählt vor dem Publikum jetzt Kopf und Kleid / Wie es euch vorgeschrieben ist im Stück. / Und hat der Stückeschreiber, wie wir glauben, recht / Dann wählt ihr mit dem Kleide das Geschick / Nicht mit der Schädelform. Auf zum Gefecht! Der Pächter nach zwei Rundköpfen greifend: Wir nehmen uns den Rundkopf, liebe Tochter. Der Pachtherr: Den Spitzkopf tragen wir. Die Schwester des Pachtherrn: Auf Wunsch Herrn Bertolt Brechts ... Die Tochter des Pächters: Die Tochter eines Rund­ kopfs ist ein Rundkopf. Ich bin ein Rundkopf weib­ lichen Geschlechts. Der Direktor: Und hier die Kostüme. Die Schauspieler wählen sich die Kleider. Der Pachtherr: Ich mach den Pachtherrn. Der Pächter: Ich den Pächter nur. Die Schwester des Pachtherrn: Des Pachtherrn Schwester ich. Die Tochter des Pächters: Und ich die Hur. Der Direktor zu den Schauspielern: So, das Problem ist hoffentlich verstanden? Die Schauspieler: Ja.

Der Direktor noch einmal prüfend: Rundkopf und Spitzkopf, erstens: ist vorhanden. / Der Unter­ schied von arm und reich: ist da. / Und jetzt Kulisse her und Praktikabel / Und frisch die Welt gezeigt in der Parabel! / Wir hoffen, es gelingt uns und Sie sehn / Welch Unterschiede vor den andern gehn. Sie gehen alle hinter den kleinen Vorhang.

1 PALAIS DES VIZEKÖNIGS Der Vizekönig von Jahoo und sein Staatsrat Missena sitzen übernächtig im Zimmer des Vizekönigs vor Zeitungen und Sektflaschen. Mit einem großen Rotstift streicht der Staatsrat dem Vizekönig bestimmte unangenehme Stellen in den Zeitungen an. Nebenan im Vorzimmer sitzt ein zerlumpter Schreiber neben einer Kerze, und mit dem Rücken zum Zuschauer steht ein Mann. Der Vizekönig: Genug, Missena. Der Morgen kommt und unser ganzes Forschen / Mit hin und her und noch einmal von vorn / Das Ganze durch ergab zu jeglicher Minute / Doch immer nur, was wir nicht wissen wollten / Und was, selbst wenn wir Monde rechneten / Doch stets herauskam: völ­ lige Zerrüttung / Des Staats. Zerfall. Missena: Sprecht das nicht aus! Der Vizekönig: Bankrott. Da scheinen stärkere Hände nötig als die meinen. Missena schweigt. Der Vizekönig: mit einem Blick auf die Zeitungen: Vielleicht sind ihre Zahlen falsch? Missena: So falsch nicht. Der Vizekönig: Von Zeit zu Zeit les ich die Zeitung gern / Erfahr ich draus den Zustand meines Lands doch. Missena: Der Überfluß ist’s, Herr, der uns verzehrt. / Denn unser Land Jahoo lebt durch Getreide / Und stirbt auch durch Getreide. Und jetzt stirbt’s. / Und am Zuviel stirbt’s. Denn in solchem Unmaß / Trug unser Acker Korn, da den Beschenkten / Die­ ses Geschenk begrub. Der Preis sank so / Daß er die Fracht nicht aufwiegt. Das Getreide / Bringt nicht soviel ein, wie das Mähen kostet. / Gegen die Menschen wuchs das Korn herauf. / Der Überfluß erzeugte Not. Die Pächter / Verweigerten die Pacht. In seinem Grundgefüg / Wankte der Staat. Die Pachtherren kommen schreiend / Der Staat soll ihre Pacht eintreiben! Sie zeigen / Die Pachtverträ­ ge. Und im Süden des Lands / Sammeln die Päch­ ter sich um eine Fahne / Auf der groß eine Sichel

NICO AND THE NAVIGATORS DIE ZUKUNFT VON GESTERN

TURBO PASCAL VERTRAUENSFRAGEN

THEATER/PERFORMANCE OKTOBER 02 04 05 06 07

PERFORMANCE OKTOBER 11 12 13 14

MENSCHENBILDER 2∙0

steht: das Zeichen / Des Bauernaufstands. Und der Staat zerfällt. Der Vizekönig seufzt. Eine Saite ist in ihm zum Erklingen gebracht worden: er ist selber Gutsbesitzer. Der Vizekönig: Wenn wir die Bahnen noch ver­ pfändeten? Missena: Sie sind’s. Und zweimal. Der Vizekönig: Und die Zölle? Missena: Sind’s auch. Der Vizekönig: Die Großen Fünf? Vielleicht ge­ währen die / Uns eine Anleih, die uns weiterhilft? / Über ein Drittel allen guten Lands / Besitzen sie allein. Die könnten’s. Missena: Die könnten’s. / Nur: sie verlangen, daß man erst den Aufruhr / Der Sichel bricht, der alle Pacht gefährdet. Der Vizekönig: Das wäre freilich gut. Missena: Die Großen Fünf / Sind gegen uns. Sie sind enttäuscht und wütend. / Wir sind ihnen zu lasch im Pachteintreiben. Der Vizekönig Sie setzen kein Vertrauen mehr in mich. Missena: Nun, unter uns: Ihr selbst seid schließ­ lich / Noch immer unser größter Pachtherr. Das Wort ist gefallen. Der Vizekönig sich ereifernd: Ja! Und ich könnt selbst mir nichts mehr anver­ traun. / Als Pachtherr muß ich mir, dem Vize­ könig / Heut sagen: Freund, dir keinen Peso mehr! Missena: Es gäb wohl eine Lösung, aber die / Ist blutig und gefährlich auch … Der Vizekönig Nicht das! / Sprich das nicht aus! Missena: Hier hört uns niemand. Krieg / Könnt neue Märkte schaffen für dies schreckliche / Zuviel an Korn und manche Fundgrub bringen / Für das, was wir entbehren. Der Vizekönig ist ein einziges, großes Kopfschütteln: Krieg geht nicht. / Der erste Tank, der uns durch Luma rollte / Möcht einen solchen Aufruhr uns erregen, daß ... Missena: Der innre Feind ist’s, der uns daran hin­ dert / Den äußern uns zu langen. Welch ein Zu­ stand! /Was einen Stahlhelm trägt, muß sich ver­ kriechen / Als wär’s Geschmeiß! Ein General kann schon / Bei Tage nicht mehr auf die Straße! So als / Wär er ein Mörder, wird er angesehn. / Gäb’s diese Sichel nicht, wär alles anders. Der Vizekönig: Es gibt sie aber. Missena: Man kann sie zerbrechen. Der Vizekönig: Wer kann das, wer? Denn ich kann’s nicht. Ach du / Fändst du da einen, der das könnt, ich schriebe / Dir gleich die Vollmacht aus für den.

TICKETS SOPHIENSAELE.COM FON 030 283 52 66 SOPHIENSTR.18 10178 BERLIN

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stück

Missena: Ich wüßte / Wohl einen, der es könnt. Der Vizekönig stark: Den will ich nicht. / Dies ein für allemal, den will ich nicht. Schweigen. Du übertreibst die Wichtigkeit der Sichel! Missena: Ich fürcht, ich kränkte Euch. Vielleicht, Ihr wünscht / Allein zu sein. Vielleicht, Ihr kommt allein / Auf einen Einfall, der die Rettung bringt. Der Vizekönig: Auf morgen denn ... Missena verabschiedet sich: Ich hoff, ich kränkt Euch nicht. Zum Zuschauer: Zeigt ihm den Teufel noch nicht sein Verstand / Dann mal ich ihm den Teufel an die Wand! An der Tür bleibt er stehen. Mit einem Rotstift malt er plötzlich hastig etwas an die Wand. Halt, was ist das? Der Vizekönig: Was gibt’s? Missena: Ach, nichts. Der Vizekönig: Warum bist du erschrocken? Missena: Ich erschrocken? Der Vizekönig: Ja. Du bist erschrocken. Er steht auf. Missena: Kommt nicht hierher. Hier ist nichts. Der Vizekönig geht auf ihn zu. Der Vizekönig: Tritt auf die Seite! Er holt vom Tisch eine Lampe. Missena: Herr, ich weiß nicht / Wie dieses Zeichen hierher kommen konnt! Der Vizekönig sieht erschüttert eine große Sichel an der Wand. Der Vizekönig: So weit ist’s also schon. Selbst hier gibt’s Hände ... Pause. Ich träte gern ins Dunkel einige Zeit / Um manches zu bedenken ... Plötzlich: Ich schreib eine Vollmacht. Missena: Das dürft Ihr nicht! Pause. Für wen? Der Vizekönig: So darf ich doch? / Schön. Also wer? Missena: ’s müßt einer sein, der erst uns / Die Pächter duckt. Solang die Sichel steht / Gibt’s kei­ nen Krieg. Nun ist zwar diese Sichel / Der reine Abschaum, der nichts zahlen will. / Der kleine Kaufmann, Handwerker, Beamte. / Mit einem Wort: der Durchschnitt meint jedoch / Daß uns der Pächter nichts mehr zahlen k a n n. / Man ist für den Besitz, doch zögert man / Dem blassen Hun­ ger ins Gesicht zu treten. / Drum kann den Auf­ ruhr dieser Pächter uns / Bekämpfen nur ein un­ verbrauchter Mann / Der nur auf den Bestand des Staats bedacht ist / Uneigennützig – wenigstens als so bekannt. Es gibt nur einen ... Der Vizekönig übellaunisch: Sag schon: Iberin. Missena: Der selbst dem Mittelstand entstammt, so weder / Pachtherr noch Pächter ist, nicht reich,

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doch auch / Nicht grade arm. Drum ist er einfach gegen / Den Kampf der armen und der reichen Klasse. / Reichen wie Armen wirft er Habsucht vor / Niedrigen Materialismus. Er verlangt / Gerechtig­ keit und Strenge gegen Arme / Und gegen Reiche. Denn für ihn ist unser / Zusammenbruch ein see­ lischer. Der Vizekönig: So. Ein seelischer. / Und der da? Er macht die Gebärde des Geldzählens. Missena: Kommt von jenem. Der Vizekönig: Schön. Und jener? / Woher kommt der? Was ist der Grund für den? Missena: Herr, dieser Grund ist eben unseres Ibe­ rins / Große Entdeckung! Der Vizekönig: Ei des Kolumbus? Missena: Ja! / Und zwar ist dieser Grund zweibei­ nig. Der Vizekönig: Wie? Missena: Zweibeinig. Dieser Iberin weiß: das Volk / Nicht sehr geübt in Abstraktion, durch Not / Auch ungeduldig, sucht die Schuld für solchen / Zusam­ menbruch als ein gewohntes Wesen / Mit Mund und Ohr und auf zwei Beinen laufend / Und auf der Straße jedermann begegnend. Der Vizekönig: Und einen solchen hat der Mann entdeckt? Missena: Hat er entdeckt. Der Vizekönig: Und wir sind’s nicht? Missena: Durchaus nicht. / Er hat entdeckt: in die­ sem Land Jahoo / Gibt es zwei Völkerstämme, die’s bewohnen / Die voneinander ganz verschieden sind auch äußerlich, durch ihre Schädelform: Rund ist der einen Kopf und spitz der andern / Und jedem Kopf entspricht ein andrer Geist: / Dem platten platte Ehrlichkeit und Treue / Dem spitzen ein spitzfindig Wesen, auch List und Be­ rechnung, Neigung zu Betrug. / Den einen Stamm, den mit dem runden Kopf / Nennt Iberin Tschuch und sagt von ihm, er sei / Der Scholl’ Jahoos von Anbeginn verwachsen / Und guten Bluts. / Der an­ dere, am spitzen Kopf erkennbar /Ist fremdes Ele­ ment, hat sich ins Land gedrängt / Selbst ohne Heimat, und wird Tschich genannt. /Der tschichi­ sche Geist nun ist’s, nach Iberin, der / An allem Unglück dieses Lands die Schuld trägt. / Dies, Herr, ist Iberins große Entdeckung. Der Vizekönig: Sie ist sehr lustig. Doch was will er damit? Missena: Er setzt an Stell des Kampfs von arm und reich / Den Kampf der Tschuchen gegen die Tschi­ chen. Der Vizekönig: Hm. / Das ist nicht schlecht, wie? Missena: ’s ist Gerechtigkeit / Die er erstrebt, so gegen arm und reich. / Auch gegen die Reichen

will er vorgehn, wenn / Da Übergriffe sind: die nennt er tschichisch. Der Vizekönig: Die nennt er tschichisch … Was ist mit der Pacht? Missena: Von solchen Dingen spricht er nicht. Und wenn / Dann undeutlich. Doch ist er für Be­ sitz. / Er spricht von „tschuchischer Freude am Besitz“. Der Vizekönig lächelt. Auch Missena lächelt. Der Vizekönig: Der Mann ist gut! Die Übergriffe – tschichisch / Die Griffe – tschuchisch. Wer steht hinter ihm? Missena: Hauptsachlich stehn die Mittelständler hinter ihm / Der kleine Kaufmann, Handwerker, Beamte / Die ärmeren Leute mit der höheren Bil­ dung / Die Kleinrentner. Kurz: der verarmte Mit­ telstand. / Das sammelt er in seinem Iberinbund / Der übrigens ganz gut bewaffnet sein soll. / Wenn einer uns die Sichel zerbricht, ist’s der. Der Vizekönig: Doch müßt das Heer ganz aus dem Spiel mir bleiben. / Stahlhelm und Tank sind nicht beliebt. Missena: Das Heer / Ist für Herrn Iberin nicht nö­ tig. Der Vizekönig: Gut. / Ich schreib dir eine Voll­ macht aus für ihn. / Die Nacht vergeht, der Him­ mel färbt sich schon. / ’s ist recht; ich will’s mit ihm versuchen. Soll er / Sein Bestes tun, der Mann. / Du kannst ihn rufen. Missena klingelt: Der Mann ist hier. Seit sieben Stunden wartet / Er schon im Vorraum. Der Vizekönig doch noch getroffen: Freilich, ich ver­ gaß: / Du bist sehr tüchtig. Halt! Die Großen Fünf! / Sind sie für ihn? Sonst ist es Essig mit ihm. Missena: Er wurd von einem hergebracht, der ihn / Auch heimlich finanziert. Der Vizekönig die Vollmacht unterschreibend, Hut auf, Mantel an, Stock im Arm: Ich aber will dann / Für einige Zeit dies alles abtun und / Nur ein paar Reiseschecks als Wegzehrung bei mir / Und ein paar Bücher, die ich lange gern / Einmal gelesen hätt, mich wegbegeben von hier / Auch ohne Ziel. Mich mischend ins Gewühl / Der buntbewegten Strafen, sehend des Lebens / Er­ staun­lich Schauspiel. So auf irgendeiner Treppe / Gelassen sitzend, werd ich dieses Mondes / Laut­ losen Wechsel sehn. Missena:. Das wird die Zeit sein, wo / Die Sichel Luma stürmt, wenn nicht ... Mit großer Geste auf die Tür weisend. Herr Iberin! Der wartende Mann im Vorzimmer hat sich, vom zerlumpten Schreiber aufmerksam gemacht, erhoben. In die Tür tretend, verneigt er sich tief.

05./06.10.2018

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bertolt brecht_die rundköpfe und die spitzköpfe

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2 GASSE DER ALTSTADT Aus dem Kaffeehaus der Frau Cornamontis hängen Mädchen eine große weiße Fahne heraus, auf der der Kopf des Iberin aufgedruckt ist. Unten steht Frau Cornamontis und dirigiert das Aufhängen. Bei ihr stehen ein Polizeiinspektor und ein Gerichtsschreiber, beide barfuß und zerlumpt. Ein Viktualienladen links ist durch Rolladen geschlossen. Vor dem Tabakladen steht der Tabakhändler Palmosa, die Zeitung lesend. In einem Fenster dieses Hauses sieht man einen Mann sich rasieren, es ist der Hausbesitzer Callamassi. Vor einem Viktualienladen rechts stehen eine dicke Frau und ein Soldat der Iberinmiliz mit weißer Binde und großem Strohhut, bis an die Zähne bewaffnet. Alle sehen dem Heraushängen der Fahne zu. Aus der Ferne hört man undeutlich den Marschtritt vorbeiziehender Truppen sowie Zeitungsausrufer: „Kauft den Aufruf des neuen Statthalters!“ Frau Cornamontis: Schieb die Fahnenstange weiter heraus, daß sich der Wind im Tuch fangen kann. Und jetzt mehr der Seite zu! Durch große Gesten gibt sie an, wie die Fahne hängen soll. Nanna: Mal nach links, mal nach rechts, aber ganz wie Sie wollen! Der Inspektor: Frau Cornamontis, wie denken Sie als Geschäftsfrau über den neuen Kurs? Frau Cornamontis: Meine Fahne wird eben heraus­ gehängt, das sagt doch genug. Und verlassen Sie sich darauf, daß ich in meinem Haus kein tschichi­ sches Mädchen mehr beschäftigen werde. Sie setzt sich auf einen Strohstuhl vor ihrem Haus und liest wie alle andern die Zeitung. Der Hausbesitzer Callamassi der Mann, der sich im Fenster rasiert: Der heutige Tag, der elfte September, geht in die Geschichte ein! Er blickt auf seine Fahne. Sie hat ein schönes Stück Geld gekostet. Der Tabakhändler Palmosa: Wird es nun Krieg ge­ ben? Mein Gabriele ist gerade zwanzig geworden. Der Iberinsoldat: Wo denken Sie hin? Kein Mensch will Krieg. Herr Iberin ist ein Freund des Friedens, wie er ein Freund des Volkes ist. Bereits heute früh wurde alles, was zum Heer gehört, aus der Stadt ge­ zogen. Herr Iberin verlangte das ausdrücklich. Se­ hen Sie irgendwo einen Stahlhelm? Die Straße wur­ de vollständig uns, den Iberinsoldaten überlassen. Der Tabakhändler Palmosa: Ich lese auch eben in der Zeitung, Iberin, welcher ein großer Freund des Volkes sei, habe die Macht nur ergriffen, um der zunehmenden Bedrückung der ärmeren Schich­ ten der Bevölkerung Einhalt zu gebieten. Der Iberinsoldat: Ja, das ist die Wahrheit.

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Die dicke Frau die Besitzerin des Viktualienladens rechts: Dann muß er aber erst einmal dafür sor­ gen, daß in einer so kleinen Straße nicht zwei Lebensmittelgeschäfte nebeneinanderliegen, wo kaum eines bestehen kann. Das Geschäft dort drüben ist meiner Meinung nach vollständig überflüssig. Der Schreiber: Herr Inspektor, wenn die neue Re­ gierung wieder keine Linderung für Beamte bringt, traue ich mich am nächsten Ersten nicht mehr nach Hause. Der Inspektor: Mein Gummiknüppel ist schon so brüchig, daß er an einem Spitzkopf zerschellen würde. Meine Signalpfeife, womit ich meine Leute herbeirufen muß, wenn ich in Bedrängnis bin, ist seit Monaten durchgerostet. Er versucht zu pfeifen. Hören Sie einen Ton? Der Schreiber schüttelt den Kopf: Ich habe gestern aus dem Kübel eines Tünchers bei dem Neubau drüben Kalk entwenden müssen, um meinen Stehkragen zu weißnen. Glauben Sie wirklich, Herr Inspektor, daß wir am Ersten unsere Gehälter bekommen? Der Inspektor: Das glaube ich so bestimmt, daß ich mir daraufhin heute morgen eine Zigarre ge­ nehmigen werde bei Herrn Palmosa. Beide gehen in den Tabakladen hinein. Der Hausbesitzer Callamassi zeigt auf den Inspektor und den Schreiber: Das größte Glück wird sein, wenn jetzt endlich die Beamten abgebaut werden. Es gibt zu viele und sie werden zu hoch bezahlt. Frau Cornamontis: Das müssen Sie Ihrem Mieter sagen, daß Sie seine letzten Kunden abbauen wol­ len! Der Iberinsoldat: Was sagen Sie zu meinen neuen Stiefeln? Solche bekommt jetzt jeder! Liest dem Hausbesitzer und der dicken Frau vor: Schon die Art, wie Iberin die Macht ergriff, zeigt den ganzen Mann. Mitten in der Nacht, als im Regierungsge­ bäude alles schläft, dringt er mit einer Handvoll todesmutiger Männer dort ein und verlangt mit vorgehaltener Pistole, den Vizekönig zu sprechen. Er soll ihn nach kurzem Wortwechsel einfach abge­ setzt haben. Der Vizekönig soll schon auf der Flucht sein. Die dicke Frau: Dann ist es aber doch mehr als merkwürdig, da es in dieser Straße, wo alle Häuser geflaggt haben, ein Haus gibt, wo man es nicht für der Mühe wert hält zu flaggen. Sie zeigt auf den Viktualienladen gegenüber. Der Iberinsoldat erstaunt: Tatsächlich, er flaggt nicht. Er sieht alle der Reihe nach an. Alle schütteln den Kopf. Der Iberinsoldat: Da kann man vielleicht nach­ helfen, wie?

Die dicke Frau: Der Mann hat es ja auch nicht ­nötig! Er ist ja auch ein Tschiche! Der Iberinsoldat: Dann ist es aber wirklich der Gip­ fel der Frechheit. Also, Frau Tomaso, dem Schwei­ nekerl werden wir beibringen, wie man den Regie­ rungsantritt Iberins feiert. Da sind schon meine Kollegen. Das sind die Huas, die gefürchtete Hut­ abschlägerstaffel des blutigen Zazarante, Lager­ kommandanten von Heilig Kreuz. Keine Furcht! Sie schauen unter die Hüte, aber wenn sie da kei­ nen Spitzkopf entdecken, sind es die besten Men­ schen. Man hört schreien: „Hut ab! Kopfkontrolle!“ Hinten in der Straße tauchen die drei Hutabschläger – die „Huas“ – auf. Sie hauen einem Passanten den Hut vom Kopf. Erster Hua: Mein Herr, der Hut ist Ihnen herunter­ gefallen. Zweiter Hua: Starker Wind heute, was? Der Passant: Entschuldigen Sie! Die drei Huas: Keine Ursache! Die dicke Frau: Meine Herren! Herr Kopfkontrollör! Wenn Sie einen echten Spitzkopf, aber schon einen ganz spitzigen wollen, dann klopfen Sie mal bei dem Viktualienladen dort drüben an! Der Iberinsoldat meldet: Tschichischer Viktualien­ händler. Zeigt seine Mißachtung der Iberinregie­ rung durch demonstratives Nichtflaggen. Aus dem Viktualienladen tritt bleich ein Spitzkopf mit einer Leiter und einer Fahne. Alle sehen ihn an. Erster Hua: Ich traue meinen Augen nicht. Er flaggt! Zweiter Hua: Die Iberinflagge in den schmierigen Pfoten eines Vollbluttschichen! Der Hua sieht alle der Reihe nach an. Sie schütteln den Kopf. Der Iberinsoldat: Das ist der Gipfel der Frechheit! Die drei gehen auf den Spitzkopf zu. Dritter Hua: Sautschich! Du gehst sofort hinein und holst deinen Hut! Meinst du, wir wollen dei­ nen Spitzkopf sehen? Die dicke Frau: Der Tschich glaubt wohl, der Iberin ist für die Tschichen! Wenn der eine Fahne heraus­ hängt, so will er doch damit sagen, daß er sich freut, daß der Iberin an die Regierung gekommen ist. Das bedeutet doch ganz sonnenklar, daß er die Regierung beleidigt, indem er sagt, daß sie für die Tschichen ist. Der Spitzkopf wendet sich, seinen Hut zu holen. Erster Hua auf ihn deutend: Fluchtversuch! Sie schlagen auf ihn ein und schleppen ihn weg. Erster Hua: Widerstand leistet er auch noch. Ich hau ihm ins Auge, und er hebt den Arm. Das muß ich doch als Absicht zur Widersetzlichkeit auffas­ sen!

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Zweiter Hua während er immerfort auf den Spitzkopf einprügelt: Der kommt in den Schutzkamp. Da schützen wir solche Elemente vor unserer gerech­ ten Empörung. Die dicke Frau: Heil Iberin! Der dritte Hua hängt an dem Viktualienladen links ein Plakat „Tschichisches Geschäft“ auf. Dritter Hua zu der dicken Frau, während er ein Plakat aus der Tasche zieht: Liebe Frau und Volks­ genossin, Sie sehen, da man in diesen Zeiten gut tut, es schwarz auf weiß zu haben, wo man rassen­ mäßig steht. Das Plakat kostet dreißig Pesos. Aber das Geld verzinst sich mit dreihundert Prozent, das kann ich Ihnen versichern! Die dicke Frau: Geht es nicht für zehn? Ich verkaufe doch nichts. Der Iberinsoldat drohend: Es gibt auch Leute, die den Spitzkopf im Herzen haben! Die dicke Frau: Geben Sie her! Sie zahlt aufgeregt. Können Sie auf fünfzig herausgeben? Sie hängt das Plakat „Tschuchisches Geschäft“ auf. Dritter Hua: Jawohl. Zwanzig Pesos zurück. Treu im Kleinen. Aber er geht weg, ohne zurückzugeben. Die dicke Frau: Er hat überhaupt nicht herausgege­ ben! Der Iberinsoldat sieht sie drohend an. Wenigs­ tens mußte der Tschiche dort drüben heraus! Vor zwei Wochen hat er noch gesagt, der Iberin werde das Kraut auch nicht fett machen. Frau Cornamontis: Das ist ein echt tschichischer Standpunkt! Eine Nation wacht auf, und er redet von Krautfettmachen. Der Iberinsoldat: Der Tschiche ist eben von niedri­ gem Materialismus beherrscht. Nur nach seinem Vorteil strebend, verleugnet er sein Vaterland, in das er überhaupt nicht hineingehört. Der Tschiche kennt keinen Vater und keine Mutter. Das kommt vielleicht daher, da er keinen Humor hat. Sie ha­ ben es eben gesehen. Da der Tschiche von krank­ hafter Sinnlichkeit besessen ist, ist er andrerseits ganz hemmungslos. Dabei steht ihm nur sein Geiz im Wege, eben der tschichische Materialis­ mus, Sie verstehen. Der Tabakhändler Palmosa ruft in den ersten Stock hinauf zu dem Mann, der sich im Fenster rasiert, dem Hauswirt Callamassi: Mit dem Materialismus ist es jetzt aus! Herr Callamassi, Sie sind sich wohl darü­ ber klar, da es mit dem Zahlen von Ladenmieten jetzt vorbei sein muß? Der Iberinsoldat: Sehr richtig! Der Hausbesitzer Callamassi: Im Gegenteil, mein Lieber! Die Ladenmieten werden in Zukunft pfändbar sein. Hören Sie den Marschtritt der Ba­ taillone? Das sind die Kampfstaffeln des Iberin­

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bundes. Sie marschieren, um die aufständischen Pächter, die ihre Pachten nicht zahlen wollen, nie­ derzuwerfen! Überlegen Sie sich das, Herr Palmosa, der Sie Ihre Ladenmiete nicht bezahlen wollen! Der Iberinsoldat: So ist es. Der Tabakhändler Palmosa: Sie haben wohl verges­ sen, Herr Callamassi, daß mit diesen Truppen mein Sohn marschiert! Zu der dicken Frau: Ich sag­ te zu ihm heute morgen, als er sich von mir verab­ schiedete, um nach Süden zu marschieren: Mein Sohn, bring mir eine erbeutete Sichelfahne, und ich werde dir das Rauchen erlauben! Die Bankiers, heißt es, werden die Schulden der bis gestern noch ruinierten Handwerker und Ladeninhaber über­ nehmen und neue Kredite bewilligen, besonders an die schlechtgehenden Unternehmungen. Der Iberinsoldat: Hoch Iberin! Die dicke Frau zu ihrer Hausbesitzerin, Frau Cornamontis: Haben Sie gehört, die Mieten sollen jetzt gesenkt werden! Der Iberinsoldat: Ja, das ist richtig. Frau Cornamontis: Nein, meine Liebe, ich habe ge­ hört, sollen erhöht werden. Der Iberinsoldat: Ja, das stimmt auch. Die dicke Frau: Das kann nicht stimmen. Höchs­ tens die der Tschichen. Ich jedenfalls zahle Ihnen so bald keine Miete mehr. Frau Cornamontis: Sehr bald, Frau Tomaso, sehr bald! Und zwar eine höhere! Zu dem Iberinsoldaten: Diese einfachen Leute haben von Politik keine Ah­ nung. Die dicke Frau: Noch höhere Mieten? Der Iberinsoldat unterbrechend: Für heute sollen noch große Tschichenverfolgungen angesetzt sein. Liest aus der Zeitung vor: Iberin sagt ausdrücklich, das einzige Ziel ist: Ausrottung der Spitzköpfe, wo immer sie nisten! Der Marschtritt der Truppen hinten wird stärker. Man hört Singen. Der Iberinsoldat: Achtung! Iberin-Choral! Alles mitsingen! Spontan! Alle singen, dirigiert vom Iberinsoldaten.

HYMNE DES ERWACHENDEN JAHOO 1 Bittet den Iberin, daß er die Mieten uns senke! Und sie zugleich Auch noch erhöh in sein’m Reich So auch des Hauswirts gedenke! 2 Mög er dem Landvolk den höheren Brotpreis be­ willigen!

Aber zugleich Mög er uns Städtern im Reich Doch auch das Brotrecht verbilligen! 3 Mög er dem Kleinhandel helfen aus drückenden Schulden! Aber zugleich Mög er für die, so nicht reich Doch auch das Warenhaus dulden! 4 Lobet den Führer, den jeder durch Mark und durch Bein spürt! Dort ist der Sumpf Und hier erwarten wir dumpf Daß uns ein Führer hineinführt! Frau Cornamontis zum Iberinsoldaten: Kommen Sie unsere ruhmreichen Kämpfer ansehen, welche dieses Holzschuhvolk mit seiner Sichel ausrotten werden! Sie und der Iberinsoldat ab. Die dicke Frau und der Tabakhändler Palmosa gleichzeitig: Ich kann doch das Geschäft nicht im Stich lassen; gesetzt, da kommt ein Kunde. Sie kehren in ihre Läden zurück. Nanna Callas kommt mit einem Brief in der Hand aus dem Kaffeehaus der Frau Cornamontis: Eben ging der Herr de Guzman die Straße hinun­ ter. Er machte einen Spaziergang vor dem Essen und muß sofort zurückommen. Ich muss mit ihm sprechen. Meine Mutter schreibt mir, daß mein Vater, der Pächter, weil er die Pacht wieder nicht bezahlen kann, auf unrechte Wege gerät. Er hat sich schon dem Bund der Sichelfahnen ange­ schlossen, der einen gewaltsamen Aufstand aller Bauern plant. Da will ich lieber bei Herrn de Guz­ man um Pachterlaß nachsuchen! Hoffentlich emp­ findet er für mich noch genug, um meiner Bitte Gehör zu schenken. Es sind jetzt fast drei Jahre her, da ich ihm näherstand. Er war mein erster Liebha­ ber und eigentlich der Anlaß, daß ich, eine einfa­ che Pächterstochter, in das gutgehende Haus der Frau Cornamontis kam. Meine Familie hatte da­ mals so manchen Vorteil von ihm. Daß ich ihn jetzt wieder um etwas bitten soll, ist mir nicht an­ genehm. Aber so etwas geht ja schnell vorüber. Sie singt:

NANNAS LIED 1 Meine Herren, mit siebzehn Jahren Kam ich auf den Liebesmarkt

TheaTer M arie


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Und ich habe viel erfahren. Böses gab es viel Doch das war das Spiel. Aber manches hab ich doch verargt. (Schließlich bin ich ja auch ein Mensch.) Gott sei Dank geht alles schnell vorüber Auch die Liebe und der Kummer sogar. Wo sind die Tränen von gestern abend? Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr? 2 Freilich geht man mit den Jahren Leichter auf den Liebesmarkt Und umarmt sie dort in Scharen. Aber das Gefühl Wird erstaunlich kühl Wenn man damit allzuwenig kargt. (Schließlich geht ja jeder Vorrat zu Ende.) Gott sei Dank geht alles schnell vorüber Auch die Liebe und der Kummer sogar. Wo sind die Tränen von gestern abend? Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr? 3 Und auch wenn man gut das Handeln Lernte auf der Liebesmess’: Lust in Kleingeld zu verwandeln Wird doch niemals leicht. Nun, es wird erreicht. Doch man wird auch älter unterdes. (Schließlich bleibt man ja nicht immer siebzehn.) Gott sei Dank geht alles schnell vorüber Auch die Liebe und der Kummer sogar. Wo sind die Tränen von gestern abend? Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr? Nanna: Da kommt er. Leider sind drei Herren bei ihm, unter ihnen der reiche Herr Peruiner. Ich kann ihn kaum ansprechen. Sie winkt Herrn de Guzman, der auf sie zutritt. Seine drei Freunde bleiben wartend stehen. Herr de Guzman: Guten Tag, Nanna. Nanna: Ich muß Ihnen etwas sagen. Treten Sie hier in den Hauseingang. Es geschieht. Mein Vater schreibt mir, daß er die Pacht wieder nicht zahlen kann. Herr de Guzman: Leider ist es diesmal nötig. Mei­ ne Schwester tritt in das Kloster San Barabas ein und braucht ihre Mitgift. Nanna: Sie werden doch nicht wollen, daß des­ wegen meine Eltern hungern. Herr de Guzman: Liebe Nanna, meine Schwester ist im Begriffe, sich bei den Bedürftigen Schwes­ tern von San Barabas einem jungfräulichen Leben zu weihen. Das sollten auch Sie achten. Denn

bertolt brecht_die rundköpfe und die spitzköpfe

wenn es auch nicht nötig ist, daß alle Mädchen keusch leben, so ist es doch nötig, daß sie hoch da­ von denken. Nanna: Wenn ihr dem jungen Ding einen Liebha­ ber und nicht einen Titelhalter zum Mann geben würdet, dächte sie nicht daran, ins Kloster zu ge­ hen. Aber ihr verheiratet ja nicht Menschen, son­ dern Landgüter. Herr de Guzman: Du hast dich sehr zum Schlech­ teren verändert, Nanna; ich erkenne dich nicht wieder. Nanna: Dann hat es wohl auch keinen Wert, Ihnen zu sagen, daß meine Leute schon darum keine Pacht mehr zahlen können, weil sie unbedingt endlich einen Gaul brauchen, da das Dorf zu weit von der Bahnstation entfernt liegt. Herr de Guzman: Sie können sich einen Gaul vom Gutshof ausleihen. Nanna: Aber dann kostet er Geld. Herr de Guzman: So ist es auf der Welt, mich kos­ tet mein Gaul auch Geld. Nanna: Du liebst mich also gar nicht mehr, Ema­ nuele! Herr de Guzman: Das hat mit uns beiden nichts zu tun. Ich werde dich heute nachmittag besuchen. Dann wirst du schon sehen, daß meine Gefühle für dich unverändert sind. Nanna: Bleiben Sie noch einen Augenblick hier. Es kommen Leute, die Sie als Tschichen belästigen könnten. Die drei Huas kommen wieder die Straße herunter. Erster Hua: Immer ist man, wohin man auch trat, auf einen Tschichen getreten. Jetzt auf einmal ist weit und breit keiner mehr zu sehen. Zweiter Hua: Nur die Hoffnung nicht sinken las­ sen! Nanna: Wenn ich es mir richtig bedenke, Emanuele, so hast du mich immer wie ein Handtuch benützt. Du könntest dir ruhig einen Stoß geben und be­ zahlen, was du an mir verübt hast! Herr de Guzman: Um Gottes willen, sei still! Nanna: Du willst also nicht bezahlen? Dritter Hua: Ich höre etwas. Nanna: Wenn ich mich jetzt an diese Herren wen­ den würde, würden sie mir sicher recht geben. Es ist nichts Unbilliges, was ich fordere. Erster Hua: Da spricht doch jemand? Nanna laut: Meine Herren, sagen Sie selbst, kann ein armes Mädchen erwarten, daß der Mann, der sie auf die schiefe Bahn gebracht hat, sich erkennt­ lich zeigt? Oder kann sie das nicht? Herr de Guzman: Ich muß mich über dich wun­ dern, Nanna! Nanna: Das hätten Sie nicht nötig gehabt.

Die drei Huas treten heran. Erster Hua: Das ist ein feiner Herr, schaut mal her, was der für eine Schale anhat! Zweiter Hua: Ihr Hut gefallt mir, Herr, so einen möcht ich auch kaufen. Zeigen Sie mir den mal innen, damit ich die Firma sehen kann. Er schlägt ihm den Hut ab und zeigt auf de Guzmans Spitzkopf. Die drei Huas erheben ein tierisches Gebrüll. Die drei Huas: Ein Tschich! Erster Hua: Haut ihn auf seinen Spitzkopf! Obacht, daß er nicht wegläuft! Der Reiche Herr Saz: Wir müssen eingreifen, un­ ser Freund de Guzman hat Schwierigkeiten. Der Reiche Herr Peruiner hält ihn zurück: Erregen Sie kein Aufsehen! Ich bin selber Tschiche! Die drei reichen Pachtherren gehen eilig weg. Dritter Hua: War’s mir doch gleich, als ob’s hier nach einem Tschichen gerochen hätte. Zweiter Hua: Ein Tschich! Der muß vors Gericht! Zwei Huas schleifen Herrn de Guzman weg. Der dritte bleibt bei Nanna stehen. Dritter Hua: Sagten Sie nicht etwas von Geld, das er Ihnen schuldet, Fräulein? Nanna mürrisch: Ja, er will nicht bezahlen. Dritter Hua: So sind diese Tschichen! Der dritte Hua ab. Nanna geht langsam in das Kaffeehaus der Frau Cornamontis. Auf den Lärm hin ist wieder der Hauswirt Callamassi im Fenster und die dicke Frau in der Ladentür aufgetaucht. Auch der Tabakhändler ist wieder unter die Tür getreten. Der Hausbesitzer Callamassi: Was ist denn los? Die dicke Frau: Sie haben eben einen offenbar sehr wohlhabenden tschichischen Herrn erwischt, wie er eine der Kellnerinnen der Frau Cornamontis an­ gesprochen hat. Der Tabakhändler Palmosa: Ja, ist denn das jetzt verboten? Die dicke Frau: Sie sagten, es sei ein tschuchisches Mädchen. Der Herr soll einer der Großen Fünf sein. Der Hausbesitzer Callamassi: Was Sie nicht sagen! Der Tabakhändler Palmosa in seinen Laden zurückkehrend: Herr Inspektor! Hier ist einer der Großen Fünf überfallen und weggeschleppt worden! Der Inspektor mit dem Schreiber weggehend: Das geht uns von der Polizei nichts an. Die dicke Frau: Jetzt geht es den Reichen an den Kragen! Der Hausbesitzer Callamassi: Meinen Sie? Der Tabakhändler Palmosa: Die Pachtherren wer­ den nichts zu lachen haben! Der Hausbesitzer Callamassi: Aber gegen die Päch­ ter, die die Pacht nicht zahlen wollen, geht es auch! Der Tabakhändler Palmosa: In der Zeitung steht heute morgen: Jetzt beginnt eine neue Zeit!

Künstlerhaus Mousonturm Oktober 2018

GEORGIAN THEATRE – MADE BY CHARACTERS Royal District Theatre Prometheus/25 Jahre Unabhängigkeit 2.10. / Open Space Ensemble for Experimental Art Parents Meeting 3.10. / Liberty Theatre I love you, I love you, I love you 4.10. / Kote Marjanishvili State Drama Theatre/Lasha Bugadze Navigator 6.10. / Fingertheater Georgische Phantasien 6.10. / Alex Chigvinadze/Avtandil Diasamidze Die Erde ruft 7.10. / Shota Rustaveli State Drama Theatre/Giya Kancheli Styx. Requiem für Bratsche und Chor, gewidmet den verstorbenen Eltern und Freunden 8.10. / Music and Drama Theatre/David Evgenidze Egzersis (Exercise) 12.10. F. Wiesel SUPERQUADRA:FFM 24.–26.10. / Milo Rau/International Institute of Political Murder Die Wiederholung – Histoire(s) du théâtre (I) 31.10. & 1.11 Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main GmbH, Waldschmidtstr. 4, 60316 Frankfurt/Main

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ZWISCHENSPIEL Auf einem großen Karton ist die Gasse der Altstadt aufgemalt. Die Iberinsoldaten kommen gelaufen mit Töpfen und Bottichen voll Tünche. Mit lang- und kurzstieligen Bürsten streichen sie die Sprünge und Risse der Häuser mit weißer Tünche zu.

DAS LIED VON DER TÜNCHE Ist wo etwas faul und rieselt’s im Gemäuer Dann ist’s nötig, daß man etwas tut Und die Fäulnis wächst ganz ungeheuer. Wenn das einer sieht, das ist nicht gut. Da ist Tünche nötig, frische Tünche nötig! Wenn der Saustall einfällt, ist’s zu spät! Gebt uns Tünche, dann sind wir erbötig Alles so zu machen, daß es noch mal geht. Da ist schon wieder ein neuer Häßlicher Fleck am Gemäuer! Das ist nicht gut. (Gar nicht gut.) Da sind neue Risse! Lauter Hindernisse! Da ist’s nötig, daß man noch mehr tut! Wenn’s doch endlich aufwärtsginge! Diese fürchterlichen Sprünge Sind nicht gut! (Gar nicht gut.) Drum ist Tünche nötig! Viele Tünche nötig! Wenn der Saustall einfällt, ist’s zu spät! Gebt uns Tünche, und wir sind erbötig Alles so zu machen, daß es noch mal geht. Hier ist Tünche! Macht doch kein Geschrei! Hier steht Tünche Tag und Nacht bereit. Hier ist Tünche, da wird alles neu Und dann habt ihr eure neue Zeit!

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Man hört das Klappern vieler Holzschuhe. Ein rundköpfiger Pächter tritt auf mit zwei Gewehren unterm Arm. Der dritte Pächter: In der furchtbaren Lage, in der wir uns alle befinden, seit die Kornpreise so gefal­ len sind, haben wir Pächter Jahoos, alles, was in Holzschuhen läuft, uns in heimlichen und in letz­ ter Zeit offenen Versammlungen zusammengetan und beschlossen, zu den Waffen zu greifen und lieber unter der Sichelfahne zu kämpfen, als die Pacht weiterzuzahlen. Es ist Zeit, Callas und Lopez, hier sind die Gewehre. Er gibt ihnen die Gewehre und geht ab. Der Pächter Lopez: Du wolltest noch warten, Callas, ob nicht eine günstige Nachricht für dich aus der Stadt von deiner Tochter eintreffen würde. Der Pächter Callas: Die Hilfe ist nicht eingetroffen und ich bin einverstanden, mit euch zu kämpfen. Der Pächter Lopez: Gib mir die Hand, Callas, ihr, gebt euch die Hand, auch die Kinder! Es ist heute der elfte September, ein Tag, den ihr euch merken müßt, denn an ihm greifen die Pächter zu den Waffen, um für alle Zeiten die Unterdrückung der Pachtherren abzuschütteln oder zu sterben. Sie geben sich alle die Hand und singen das „Sichellied“.

SICHELLIED

Bauer, steh auf! Nimm deinen Lauf! Laß es dich nicht verdrießen Du wirst doch sterben müssen. Niemand kann Hilf dir geben Mußt selber dich erheben. Nimm deinen Lauf! Bauer, steh auf! 3 Alle: Immer für die Sichel! Kommst du mit fischen? In diesem Augenblick beginnen die Glocken zu läuten. fragte der Fischer den Wurm. Frau Lopez: Horcht! Was sind das für Glocken? Frau Callas schreit nach hinten: Was ist los, Paolo? Stimme von hinten: Soeben kommt die Nachricht AN EINEM DÖRFLICHEN ZIEHBRUNNEN aus der Stadt, daß eine volksfreundliche Regierung das Ruder ergriffen habe. Der rundköpfige Pächter Callas, seine Frau und seine Frau Callas: Ich will hingehen und Genaueres in Kinder und der spitzköpfige Pächter Lopez, seine Frau Erfahrung bringen. und seine Kinder bei der Bewässerungsarbeit. Sie geht weg. Die andern warten. Man hört vom Radio „Aufruf des neuen Statthalters an die LandbevölkeDie Pächter Callas und Lopez: rung“. Wir schuften mit dem Schaum vorm Maul. / Weil Stimme des Iberin: Tchuchisches Volk! Befallen ist der Pachtherr uns keine Gäule gibt / Ist jeder von seit langem / Dies Land Jahoo, ob arm, ob reich, uns sein eigener Gaul. von fremdem / Niedrigem Geist, der’s zu vernich­ Frau Lopez: Horcht, jetzt gehen sie auch von unse­ ten droht: / Dem Geist der Habsucht und des Bru­ rem Dorf zur Sichel.

derzwists. / Tschuchisches Volk, das du im Elend lebst! / Bedrückt und ausgesaugt! Wer saugt dich aus? / Und wer bedrückt dich? Unter dir geht um / Ein schlimmer Feind, den du nicht kennst: der Tschiche! / An allem Elend dieses Landes trägt er / Allein die Schuld. Ihn mußt du drum bekämpfen. / Wie aber kennst du ihn heraus? Am Kopf! / Am spitzen Kopf erkennst du ihn! Der Spitzkopf / Ist’s, der dich aussaugt! Und drum habe ich / Angelo Iberin, mich jetzt entschlossen, das Volk / Neu ein­ zuteilen in Rund- und Spitzkopf und / Was tschu­ chisch ist, zu sammeln gegen alles / Was tschi­ chisch ist! Und unter Tschuchen gibt’s / Von heutan nicht mehr Zwist noch Habsucht! Tschu­ chen! / Eint unter Iberins weißer Fahne euch / Jetzt gegen euren Feind, den tschichischen Spitz­ kopf! Während dieses Aufrufs haben die Anwesenden mehr oder minder offen an ihre Köpfe gelangt. Die rundköpfigen Kinder zeigen einander grinsend die Spitzköpfe. Der Pächter Lopez: Das sind wieder nur Worte! Sie erfinden alle nasenlang etwas anderes. Ich will wissen, ob gegen die Pachtherren vorgegangen wird, sonst gar nichts. Der Pächter Callas: Das stimmt. Frau Callas ist zurückgekehrt. Sie sieht die Lopez nicht an und gruppiert ihre Kinder enger um sich. Der Pächter Lopez: Gute Nachrichten, Frau Callas? Frau Callas: Unser Pachtherr Herr de Guzman ist verhaftet! Der Pächter Lopez: Warum? Der Pächter Callas: Lopez, ich glaube, wir brau­ chen nicht nach dem Warum zu fragen, weil das klar ist. Der Grund ist Pachtwucher. Frau Lopez: Frau Callas, dann sind wir gerettet. Der Pächter Callas: Das klingt schon besser, wie, Lopez? Die Zeiten des Elends, Kinder, haben ein Ende! Er stellt sein Gewehr an den Ziehbrunnen. Frau Lopez: Das ist ein großer Tag! Frau Callas: Freuen Sie sich nicht zu sehr, Frau ­Lopez! Leider sind die Nachrichten für Sie nicht so gut. Angelo Iberin ist ans Ruder gekommen, und ihr seid Tschichen! In der Hauptstadt sollen schon große Tschichenverfolgungen im Gange sein. Auch Herr de Guzman ist verhaftet worden, weil er Tschiche ist. Der Pächter Lopez: Das sind schlechte Nachrichten und ein großes Unglück. Der Pächter Callas: Ich finde nicht, daß es ein Un­ glück ist. Jedenfalls nicht für alle. Für uns ist es kein Unglück. Frau Callas: Nur für Sie! Der Pächter Callas: Für uns, die wir Tschuchen sind, ist diese Nachricht sogar sehr gut.


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Frau Callas: In dieser Minute bewegt uns eine Hoffnung, die Sie, Herr Lopez, nicht verstehen können. Sie sind vielleicht eine andere Art Mensch, ich sage nicht, eine schlechtere. Der Pächter Lopez: Bisher war dir mein Kopf nicht zu spitz, Callas. Callas schweigt. Die beiden Familien haben sich getrennt, auf der einen Seite stehen die Spitzköpfe, auf der anderen die Rundköpfe. Der Pächter Lopez: Unsere Abgaben waren gleich. Noch vor fünf Minuten wolltest du mit uns unter der Sichelfahne kämpfen, welche den Pachtzins abschaffen wird, was doch nur mit Gewalt geht. Nimm du das Gewehr, Frau. Frau Lopez nimmt zögernd das Gewehr an sich. Der Pächter Callas: Die Aussicht ist zu gering! Wenn es ginge, wäre es das beste. Aber es geht nicht. Der Pächter Lopez: Warum davon reden, daß die Aussicht gering ist, wenn es die einzige ist, die es für uns gibt? Der Pächter Callas: Vielleicht ist sie für mich nicht die einzige? Frau Callas: Wir rechnen natürlich jetzt damit, daß die Pacht für uns wegfalle. Der Pächter Lopez: Ich verstehe, was die kleinste Aussicht für dich bedeutet. Aber du wirst dich täu­ schen. Niemals habe ich gehört, daß von diesen Leuten jemand etwas herschenkt um der Form ei­ nes Kopfes willen. Der Pächter Callas: Genug, Lopez, ich habe keinen Grund, an dieser Regierung zu zweifeln. Sie ist erst fünf Stunden im Amt, und mein Pachtherr ist schon verhaftet. Frau Callas: Ich habe auch im Dorf sagen hören, man solle jetzt nicht mehr zur Sichel gehen. Fünf Pächter, darunter der Pächter Parr, kommen aufgeregt. Es sind alles Rundköpfe. Einer trägt eine Fahne mit dem Sichelzeichen, alle tragen Gewehre. Der Pächter Parr: Was macht ihr? Wir wollten heu­ te abend alle zur Sichel, wie es ausgemacht ist. Aber jetzt ist dieser Aufruf und die Nachricht über Verhaftungen von Pachtherren gekommen. Sollen wir jetzt noch kämpfen? Der Pächter Callas: Ich gehe in die Stadt Luma und melde mich bei dem Iberin. Wenn er mir Acker­ gäule verschafft und die Pacht erläßt, brauche ich nicht mehr zu kämpfen. Der de Guzman ist ein Tschiche und muß das Maul halten. Erster Pächter: Ja, euer Pachtherr ist ein Tschiche, aber unserer ist ein Rundkopf! Der Pächter Parr: Aber vielleicht kann auch der unsrige uns die Pacht nachlassen, wenn die Tschi­ chen weg sind. Er hat Schulden bei einer tschichi­ schen Bank, die ihm wohl jetzt erlassen werden.

bertolt brecht_die rundköpfe und die spitzköpfe

Der Pächter Lopez: Sie werden ihm vielleicht er­ lassen werden. Aber er wird die Pacht doch ein­ fordern. Dritter Pächter: Hinter dem Iberin stecken doch nur die Pachtherren. Der Pächter Parr: Das soll nicht wahr sein. Ich habe gehört, er lebt ganz einfach, trinkt nicht, raucht nicht und ist selber Sohn eines Pächters. Er ist uneigennützig, das steht in der Zeitung. Er sagt auch, das Parlament kann nichts, und das ist die Wahrheit. Erster Pächter: Ja, das ist die Wahrheit. Stille. Dritter Pächter: Also sollen die Pächter jetzt nicht mehr gegen die Pachtherren vorgehen? Der Pächter Parr: Doch: die tschuchischen Pächter gegen die tschichischen Pachtherren. Der Pächter Lopez: Und die tschichischen Pächter, sollen die auch gegen die tschuchischen Pacht­ herren vorgehen? Der Pächter Parr: Tschichische Pächter gibt es wenige. Der Tschich arbeitet ungern. Fünfter Pächter: Aber tschuchische Pachtherren gibt es viele. Der Pächter Parr: Das ist diese Zwietracht: Tschu­ chen gegen Tschuchen, die aufhören muß. Der Pächter Lopez: Daß der Regen durch unsere Dächer läuft, muß auch aufhören. Der Pächter Callas: Unser Tschich ist auch schon verhaftet. Vierter Pächter: Aber durch mein Dach regnet es auch, und mein Pachtherr ist ein Tschuch. Dritter Pächter: Das ist alles Schwindel! Ich will jetzt wissen: wird euer Iberin die Pachtherren zum Teufel jagen, und zwar alle? Der Pächter Parr: Er wird die tschichischen zum Teufel jagen und die tschuchischen zwingen, den Pflock etwas zurückzustecken. Dritter Pächter: Das hilft nichts: Tschuch oder Tschich, Pachtherr ist Pachtherr! Sie müssen zum Teufel gejagt werden. Ich geh zur Sichel. Ich traue keinem mehr, als mir selber. Wer aus seinem Elend heraus will, der kommt mit zur Sichel. Es ist ein Schwindel mit diesem Iberin. Zum Publikum: Pachtherr und Pächter sollen einig sein / Weil ihre Kopfe rund sind und nicht spitz! / Ich zahl die Pacht und jener steckt sie ein! / Und beide sind wir einig! ’s ist ein Witz! / Was soll das, daß wir beide tschuchisch sind? / Dann soll er mich nur von der Pacht befrein! / Sonst trennt uns eben Hunger, Frost und Wind. / Das teilt uns mächtig in zwei Teile ein! Der Pächter Callas: Denkt, wie ihr wollt: Ich werde es mit dem Iberin versuchen!

Die Pächter: Her zu uns, Lopez! Rund- oder Spitz­ kopf, das ist für uns gleich! Bei uns gilt immer nur: arm oder reich! Sie reichen ihm die Hand und gehen weg. Frau Lopez: Ich glaube, es ist besser, wenn wir jetzt auch heimgehen. Frau Callas: Nein, das werden Sie nicht können, Lopez. Als ich vorhin am Dorfteich vorüberkam, hörte ich ein paar Leute sagen, daß man mit I­ hnen abrechnen müsse. Und als ich in die Richtung ­Ihres Hauses sah, sah ich einen roten Schein. Frau Lopez: O Gott! Der Pächter Lopez: Ich bitte dich, meine Familie bei dir zu verstecken, Callas, bis die erste Zeit der Verfolgungen vorüber ist. Schweigen. Der Pächter Callas: Es wäre mir lieber, wenn ihr diese Nacht und die nächste Zeit nicht unter mei­ nem Dach zu finden wäret ... Der Pächter Lopez: Könntest du wirklich nicht ­meine Kinder wenigstens für diese ersten Tage bei dir verstecken? Der Pächter Callas: Vielleicht könnte ich es. Aber da du einer von der Sichel bist, ist es für meine eigene Familie gefährlich, wenn irgend jemand ­ von euch bei mir verkehrt. Der Pächter Lopez: Wir gehen also, Callas. Callas schweigt. Die beiden Frauen: Durch unsere Not bisher ver­ eint sind wir durch unseres Kopfes Form uns nun­ mehr Feind. Die Familie Lopez geht zögernd weg. Frau Callas: Du aber, Mann, geh jetzt schleunigst nach Luma und nütze die günstige Zeit! Bezahle keine Pacht, und laß es dir bescheinigen, daß du keine zahlen mußt! Der Pächter Callas: Das kann ich euch sagen: ich komme nicht ohne Bescheinigung zurück!

4 PALAIS DES VIZEKÖNIGS Im Hof findet eine Gerichtssitzung statt. Als Parteien stehen einander gegenüber die Oberin von San Barabas und der Abt von San Stefano. Leuchtschrift: „Die Sichel im Vormarsch auf die Reichshauptstadt.“ Der Richter: In dem Prozeß der Barfüßigen Bettel­ mönche von San Stefano gegen die Bedürftigen Schwestern von San Barabas wird von den Barfüßi­ gen Bettelmönchen der Schadensanspruch auf sie­ ben Millionen festgelegt. Worin erblicken die Brü­ der einen Schaden von solcher Höhe?

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Der Abt von San Stefano: In dem Bau einer neuen Wallfahrtskirche durch das Stift San Barabas, wo­ durch die Gläubigen unseres Sprengels abgezogen werden. Die Oberin von San Barabas: Wir stellen dem Ge­ richt anheim, durch Einblick in die Bücher der neuen Wallfahrtskapelle von San Sebastian, um die es sich hier handelt, festzustellen, daß die Ein­ nahmen nicht sieben Millionen, wie die Brüder behaupten, sondern nur knappe vier Millionen be­ tragen. Der Abt von San Stefano: Ja, in den Büchern! Ich weise darauf hin, daß die Bedürftigen Schwestern von San Barabas schon einmal hier vor dem Ho­ hen Gerichtshof gesessen haben, wobei es sich um eine Steuerhinterziehung von eineinhalb Millio­ nen gehandelt hat und wo sich die Schwestern ebenfalls auf ihre „Bücher“ gestützt hatten. Sie schütteln gegeneinander die Fauste. Ein Gerichtsschreiber taucht auf. Der Richter: Was ist los? Ich wünsche bei der Ver­ handlung, die um hohe Werte geht, nicht gestört zu werden. Der Schreiber: Euer Gnaden, auf das Gerichtsge­ bäude zu bewegt sich eine Menge, die den Pacht­ herrn de Guzman vor Gericht schleift. Die Leute behaupten, durch den de Guzman sei ein tschuchi­ sches Mädchen vergewaltigt worden. Der Richter: Lächerlich. Herr de Guzman ist einer der fünf größten Pachtherren des Landes. Er ist bereits vor drei Tagen aus seiner ungesetzlichen Haft entlassen worden. Die Menge dringt ein. Sie stößt de Guzman vor den Richtertisch. Auch Frau Cornamontis und Nanna werden hereingeschoben. Während der Richter erregt läutet, wird de Guzman von der Menge betastet und bespien. Stimmen: Was allein der Anzug kostet, davon kann eine sechsköpfige Familie einen Monat leben. – Schau mal diese feinen Händchen an, der hat auch noch nie eine Schippe in der Hand gehabt. – Den hängen wir mit einem Seidenstrick. Die Huas beginnen, um die Ringe des Pachtherrn zu würfeln. Ein Mann: Herr Richter, das Volk von Jahoo ver­ langt, daß das Verbrechen dieses Menschen be­ straft wird. Der Richter: Liebe Leute, der Fall wird untersucht werden. Aber wir verhandeln hier gerade einen Fall von großer Dringlichkeit. Der Abt von San Stefano zu dem die Oberin getreten ist, aufgeregt: Wir halten es nicht für notwendig, un­ sere kleinen Differenzen vor der großen Öffent­ lichkeit zu verhandeln. Wir wären mit einer Verta­ gung einverstanden.

Rufe: Schluß mit dem Verschieben! – Wir haben gleich gesagt, diese Bude muß man unten anzün­ den! – Der Richter muß auch aufgehängt werden! Man muß das ganze Pack aufhängen, ohne Ver­ handlung! Der Mann zu der Menge draußen: Dies ist die wahre Milde, die hier spricht: / Sie ist mild für das Opfer und für die Verbrecher nicht! / Der spricht für die Betroffenen mitleidsvoll / Der sagt, daß man die Betreffer ohne Mitleid treffen soll. Ein anderer Mann: Auch das Gericht soll wissen, daß für das Land Jahoo eine neue Zeit und eine neue Gerechtigkeit angebrochen ist! Leuchtschrift: „Der Statthalter bezeichnet in einer Rede vor den Schullehrern den Kampf im Süden als einen Kampf des Rechts gegen das Unrecht.“ Der Mann zu der Menge: Setzt euch alle nieder und geht nicht weg, bevor hier ein gerechtes Urteil ge­ fällt und der Pachtherr gehängt ist! Sie setzen sich auf den Boden, rauchen, entfalten Zeitungen, spucken und schwatzen. Der Inspektor kommt und bespricht sich mit dem Richter: Der Statthalter läßt Ihnen sagen, Sie müs­ sen der Menge nachgeben und die Verhandlung führen. Das Gericht hat sich nicht mehr an die tro­ ckenen Buchstaben des Gesetzes zu halten, son­ dern dem natürlichen Rechtssinn des Volkes Rech­ nung zu tragen. Die Schlacht im Süden steht sehr schlecht für die Regierung, und die Hauptstadt wird immer unruhiger. Der Richter zum Zuschauer: Diese Aufregungen sind zuviel für mich. Ich bin körperlich geschwächt und besonderen Anforderungen nicht mehr ge­ wachsen. Seit zwei Monaten haben wir hier kein Gehalt bekommen. Die Lage ist recht unsicher, ich muß an meine Familie denken. Heute habe ich in der Frühe eine Tasse dünnen Tee getrunken und ein altes Brötchen verzehrt. Mit leerem Magen kann man nicht Recht sprechen. Einem Mann, der nicht gefrühstückt hat, glaubt man nichts, er hat keinen Schwung. Da wird das Recht glanzlos. Die de Guzmanschen Anwälte kommen mit fliegenden Roben ins Vorzimmer gestürzt, hinter ihnen einige Pachtherren. Der tschuchische Anwalt im Vorzimmer zum zweiten: Bleiben Sie im Anwaltszimmer. Es ist besser, wenn Sie als Tschiche hier nicht auftreten. Der tschichische Anwalt: Sehen Sie zu, daß Sie ihn für acht Tage ins Gefängnis bringen. Ich wollte, ich wäre auch dort. Der tschuchische Anwalt und die Pachtherren in den Hof. Rufe: Fangt endlich an! – Es ist jetzt schon fast zu dunkel, wenn wir den Mann noch aufhängen wol­ len!

18.10., 19.10., 20.10., 21.10., 22.10. Marcel Schwald & Chris Leuenberger (CH/IN) EF_Femininity

20.10. Macht und Verwundbarkeit Propagandagespräche von Boris Nikitin

19.10. Lukas Avendaño (MX) No soy persona, soy mariposa

20.10. Le1f (US)

Der Richter: Die Leute sollen sich wenigstens hin­ setzen, wie es sich gehört. Wir müssen den Fall zuerst klären. So wild geht es denn doch nicht. Zu Frau Cornamontis: Wer sind Sie? Frau Cornamontis: Frau Cornamontis, Emma. Be­ sitzerin des Kaffeehauses El Paradiso, Estrada 5. Der Richter: Was wollen Sie hier? Frau Cornamontis: Gar nichts. Der Richter: Warum sind Sie dann hier? Frau Cornamontis: Vor etwa einer halben Stunde gab es vor meinem Hause eine Ansammlung, und die Leute verlangten, daß eine meiner Kellnerin­ nen, hier ist sie, mit aufs Gericht geht. Da ich mich weigerte, sie wegzulassen, wurde auch ich gezwun­ gen, mitzukommen. Ich komme in die ganze Sa­ che wie der Pontius ins Credo. Der Richter zu Nanna: Und Sie sind das Mädchen? Nehmen Sie hier auf der Anklagebank Platz. Pfeifen aus der Menge. Rufe: Oho, da gehören doch die anderen hin! Leuchtschrift: „Regierungstruppen setzen dem Vormarsch der Sichel hartnackigen Widerstand ent­ gegen.“ Der Richter: Wer auf die Anklagebank kommt, ent­ scheide ich. Zu Nanna: Sie haben den Herrn auf offener Straße angesprochen. Sie wissen, daß dar­ auf drei Wochen Arbeitshaus stehen. Als Nanna schweigt, zu Herrn de Guzman, sich verneigend: Bitte, näher zu treten, Herr de Guzman. War es so? Herr de Guzman: Jawohl, Herr Richter. Ich wurde von ihr angesprochen, als ich meinen Vormittags­ spaziergang machte. Sie ist die Tochter eines mei­ ner Pächter und bat mich, ihrem Vater die Pacht zu erlassen. Leise: Ich bitte, mich in Haft zu nehmen, ich bin Tschiche. Der tschuchische Anwalt: Ich bin der Anwalt der Famile de Guzman und übernehme die Vertretung meines Klienten. Der Richter: Sie haben Zeugen beigebracht? Der tschuchische Anwalt: Hier sind die Herren Saz, Duarte und de Hoz. Ruf: Feine Herren gegen arme Leute als Zeugen! Pfiffe. Der Richter: Ruhe! Zu den Zeugen: Was haben Sie auszusagen? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie wegen Meineids belangt werden können. Ruf: Das klingt schon besser! Der reiche Herr Saz: Herr de Guzman wurde von dem Mädchen auf der Straße angesprochen. Der tschuchische Anwalt: Auch die soziale Stel­ lung meines Klienten, der auf der andern Seite höchstens die Aussage einer gewöhnlichen Kellne­ rin eines Kaffeehauses gegenüberstehen könnte, verbürgt, denke ich, die Wahrheit.

21.10. Dean Hutton (ZA) Plan B, a Gathering of Strangers (or) This Is Not Working – Goldendean and #Fuckwhitepeople

Lust am Widerspruch

Kaserne

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Eine Stimme vor oben: Oho! Vielleicht umgekehrt! Nimm erst mal deine Kappe herunter, mein Junge! Wir wollen sehen, was du für einen Kopf aufhast! Bei den Ansichten! Zweite Stimme: von oben: Kappe herunter! Der tschuchische Anwalt nimmt die Kappe ab: So rund wie Ihrer, ist der meine noch lange! Die Stimme von oben: Vielleicht fragst du deinen Klienten, wer von ihrem Vater so viel Pacht ver­ langt, daß sie sich verkaufen muß? Zweite Stimme von oben: Immer von vorn anfangen! Der Richter zu Nanna: Setzen Sie sich endlich auf die Anklagebank, damit wir anfangen können! Die Stimme von oben: Du, setz dich nicht! Wir sind hierhergekommen, damit du recht kriegst, und nicht, damit du auf der Anklagebank sitzt! Der tschuchische Anwalt: Auf der Straße kann man nicht verhandeln. Es stehen so subtile Fragen zur Entscheidung. Hier sind Köpfe nötig. Die Stimme von oben: Wohl spitze? Gelächter. Zweite Stimme von oben: Da muß eben der Iberin her! Stimmen: Wir verlangen, daß folgende Personen auf der Anklagebank sitzen: der Pachtwucherer, die Kuppelmutter und der Rechtsverdreher! Die Stimme von oben: Und daß der Iberin geholt wird. Der ist sich wohl zu gut? Stimmen: Iberin! Iberin! Iberin! Iberin ist kurz vorher unbemerkt eingetreten und hat sich abseits hinter den Richtertisch gesetzt. Andere Stimmen Da ist ja der Iberin! Einige: Hoch Iberin! Der Richter zu Iberin: Exzellenz, ich stütze mich auf die Aussagen einiger der bedeutendsten Pacht­ herren des Landes. Iberin: Stützen Sie sich lieber auf die Meldungen vom Kriegsschauplatz! Leuchtschrift: „Die mangelhafte Ausrüstung der regierungstreuen Armee macht sich noch stark bemerkbar! Munitionsmangel und dürftige Verpflegung hemmen sichtbar den prächtigen Kampfgeist der Truppen.“ Es entsteht eine Unruhe. In einem Haufen Leute betritt der Pächter Callas den Hof. Die Stimme von oben: Und hier ist der Vater des Mädchens. Nanna: Oje, mein Vater! Ich muß mich verstecken, damit er mich nicht sieht, denn diesmal hab ich eine Dummheit gemacht, die die zu Hause jetzt ausbaden müssen. Der Richter zu Callas: Was suchen Sie hier? Die Stimme von oben: Er sucht sein Recht! Begleiter des Pächters Callas: Wir haben den Mann auf der Straße getroffen. Er fragte uns, wann und

bertolt brecht_die rundköpfe und die spitzköpfe

wo der Fall de Guzman verhandelt würde. Wir sag­ ten ihm, daß die Verhandlung eben jetzt stattfinde und er nur im Strom der Leute weiterzugehen brauche, denn sie gingen alle hierher Der Pächter Callas: Das stimmt. Ich bin von mei­ nem Pachthof hierhergekommen, um im Verfahren gegen meinen Pachtherrn, welcher wegen Pacht­ wucher vor Gericht steht, als Zeuge aufzutreten. Der Richter: Es handelt sich nicht um Pachtwucher. Der Pächter Callas: Doch: ich kann bezeugen, daß die Pacht unerschwinglich war. Der Boden ist sumpfig und die einzelnen Äcker liegen weit ausei­ nander, aber das Ackergerät ist primitiv, und für das Fuhrwerk mußten wir die Kuh verwenden. Wir arbeiteten den ganzen Sommer von drei Uhr früh an, auch die Kinder halfen uns. Die Getreidepreise konnten wir nicht bestimmen, sie waren jedes Jahr verschieden, aber die Pacht war die nämliche. Un­ ser Pachtherr tat nichts und schob das Geld ein. Ich beantrage daher, daß die Pachtsumme ein für allemal gestrichen wird und der Getreidepreis so ist, daß wir von unserer Arbeit leben können. Die Stimme von oben: Sehr richtig. Klatschen. Der Mann steht auf und spricht nach hinten zur Straße: Der Vater des belästigten Mädchens, der der Päch­ ter des Angeklagten ist, verlangt die Streichung der Pacht und gerechte Getreidepreise. Hinten Beifall einer großen Menschenmenge. Der Richter zu Iberin: Exzellenz, wie wünschen Sie diesen Fall behandelt? Iberin: Tun Sie, was Sie für richtig halten. Leuchtschrift: „Aus allen Teilen des Südens kommen Meldungen über widerrechtliche Aneignungen der Ländereien durch die Pächter.“ Der Richter: Nach den Paragraphen des Gesetzbu­ ches hat allein das Mädchen sich schuldig gemacht. Sie darf außerhalb der Schankstätte, in der sie ar­ beitet, keinen Herrn ansprechen. Iberin: Mehr haben Sie nicht zu sagen? Das ist wenig. Die Stimme von oben: Bravo! Habt ihr gehört, wie der Statthalter dem Richter über das Maul gefah­ ren ist? Er sagt ihm, das ist wenig. Der Mann nach hinten zur Straße: Der Statthalter hat eingegriffen. Er hat dem Obersten Richter be­ reits einen Verweis erteilt. Er bezeichnete die Rechtskennisse des Richters als sehr gering. Es geht weiter. Iberin: Vernehmen Sie den Vater des Mädchens genauer! Und kommen Sie endlich auf den Kern der Sache. Der Richter: Sie behaupten also, daß Ihr Pachtherr bei der Bemessung des Pachtzinses über das ge­ setzlich zulässige Maß hinausging?

Der Pächter Callas: Sehen Sie, die Pacht konnte nie und nimmer hereinkommen. Wir lebten von Holz­ abfällen und Wurzeln, da wir das Getreide in der Stadt abliefern mußten. Unsere Kinder sind fast das ganze Jahr unbekleidet. Die Schäden am Haus können wir nicht reparieren, so daß es langsam über unseren Köpfen zusammenfällt. Die Steuern sind ebenfalls zu hoch. Ich beantrage auch die voll­ ständige Streichung aller Steuern für diejenigen, die sie nicht bezahlen können. Allgemeiner Beifall. Der Mann nach hinten zur Straße: Der Pächter be­ antragt die vollständige Streichung aller Steuern für die, die sie nicht zahlen können! Es geht aber noch weiter. Ungeheurer Beifall hinten. Der Richter: Wie hoch ist die Pachtsumme? Wie hoch ist die Steuer? Iberin steht so heftig auf, daß der Stuhl umfällt: Wis­ sen Sie nichts Wichtigeres zu fragen? Sagt Ihnen keine innere Stimme, was das Volk wirklich braucht? Der Pächter Callas: Gäule! Zum Beispiel Gäule! Iberin streng: Ruhe! Was sind da Gäule? Hier geht’s um mehr! Zum Richter: Sie können gehen. Verlas­ sen Sie diesen Platz, den auszufüllen Sie nicht im­ stande sind. Diese Verhandlung führe ich zu Ende. Der Richter packt seine Papiere zusammen. und verläßt in schrecklicher Betretenheit den Richtertisch und den Hof. Der Mann nach hinten zur Straße: Der Statthalter hat den Obersten Richter seines Amtes enthoben und übernimmt selbst die Führung der Verhand­ lung. Der Oberste Richter verlässt den Saal. Hoch Iberin! Der Pächter Callas: Habt ihr’s gehört: Was sind Gäule? Es geht um mehr! Mann hinten: Jetzt, wo der größte Pachtwucherer, der Vizekönig, verjagt ist, warum soll da das Land nicht aufgeteilt werden? Beifall. Leuchtschrift: „Auch aus den nördlichen Bezirken werden jetzt kleinere Aktionen aufständischer Pächter gemeldet.“ Iberin: Da das Gericht den Kern der Sache nicht herausfinden konnte, übernehme ich den Fall. Im Namen des tschuchischen Volkes. / Als einfaches Beispiel tschuchischer Rechtspflege soll / Dieser Fall uns dienen. Ein bestimmter Geist / Soll hier bekämpft werden. So wie unsere Truppen / Den aufsässigen Pächter zügeln werden / Wird das ­Gericht den zügellosen Pachtherrn / Verweisen in die Schranken tschuchischen Rechts. / Hier gilt nicht die Person, ob arm, ob reich: / Ist gleich der

Anne Duk Ziggy on the Land of Drunken Trees Hee Jordan

Kuratiert von Solvej Helweg Ovesen und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung im Rahmen von UP (Unsustainable Privileges)

14.09. bis 27.10.2018

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Übergriff, sei auch das Urteil gleich. / Auf der An­ klagebank nehmen Platz: der Pachtherr de Guz­ man sowie – auf Frau Cornamontis zeigend – diese Person und den Sitz des Klägers nehmen ein: die­ ses Mädchen und ihr Vater. Der Mann nach hinten zur Straße: Der Statthalter will ein Beispiel tschuchischer Rechtspflege geben. Er bringt zunächst Ordnung in das Prozeßverfahren. Er weist Angeklagten und Klägern ihre Plätze zu. Iberin zu Callas: Treten Sie vor! Sehen Sie sich ihre Tochter an! Der Pächter Callas: Ach, du bist hier, Nanna? Iberin: Erkennen Sie sie wieder? Der Pächter Callas: Natürlich. Iberin: Ich frage Sie deshalb, weil sie sich doch ­sicher verändert haben muß. Der Pächter Callas: Nicht besonders. Iberin: Sind das die Kleider, die Sie ihr gekauft h ­ aben? Der Pächter Callas: Nein, natürlich nicht. Iberin: Nicht wahr, das sind nicht die Kleider, die ein einfacher Bauer, der mit der schwieligen Hand die Scholle bearbeitet, seiner Tochter kauft. Der Pächter Callas: Das kann ich ja gar nicht. Bei der Pacht! Iberin: Und Sie würden es auch nicht, wenn Sie könnten? Ihrem einfachen und geraden Ge­ schmack sind solche Fetzen zuwider. Wieso kann Ihre Tochter solche Kleider kaufen? Der Pächter Callas: Sie verdient doch ganz gut. Iberin schärfer: Furchtbare Antwort! Ich frage Sie noch einmal: Erkennen Sie in diesem nach der Mode des Tages gekleideten Mädchen das fröhli­ che Kind wieder, das an Ihrer Hand über die Felder ging? Der Pächter Callas glotzt verständnislos. Ahn­ ten Sie, daß Ihre Tochter schon im zarten Alter von sechzehn Jahren mit Ihrem Pachtherrn sträfliche Beziehungen einging? Der Pächter Callas: Jawohl, die Vorteile, die wir davon hatten, waren aber ganz unbedeutend. Wir konnten einige Male die Pferde zum Holzfahren benutzen. Aber wenn Sie – zu den Umstehenden – eine Pacht zahlen sollen, die zehnmal zu groß ist, dann nützt es Ihnen gar nichts, wenn Ihnen hier und da ein Drittel erlassen wird. Und das noch ­unregelmäßig! Was ich brauche, das sind eigene Pferde. Iberin: Der Pachtherr mißbrauchte also seine wirt­ schaftliche Machtstellung, um Ihre Tochter ins Unglück zu stürzen? Der Pächter Callas: Unglück? Den ganzen Vorteil hatte das Mädchen! Sie bekam wenigstens anstän­ dige Kleider! Die hat nie gearbeitet. Aber wir! Pflü­ gen Sie einmal ohne Gäule! Iberin: Wissen Sie, daß es jetzt mit Ihrer Tochter so weit gekommen ist, daß sie sich im Haus der Frau Cornamontis aufhält? Der Pächter Callas: Jawohl, Guten Tag, Frau Corna­ montis. Iberin: Wissen Sie, was das für ein Haus ist? Der Pächter Callas: Jawohl. Ich möchte noch hin­ zufügen, daß sogar die Benutzung der Pferde des Gutshofs extra berechnet wurde. Und zwar ganz unverschämt. Und die Benutzung anderer Pferde war uns verboten. Iberin zu Nanna: Wie kamen Sie in dieses Haus? Nanna: Ich hatte keine Lust mehr zur Feldarbeit. Da ist man mit fünfundzwanzig Jahren wie eine Vierzigjährige. Iberin: Das Wohlleben, das Sie durch Ihren Ver­ führer kennenlernten, hat Sie dem einfachen ­Leben in Ihrem Elternhaus entfremdet. War der Gutsherr Ihr erster Mann?

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Nanna: Jawohl. Iberin: Schildern Sie das Leben in dem Kaffeehaus, in das Sie kamen. Nanna: Ich beklage mich nicht. Nur die Wäsche­ gelder sind hoch und die Trinkgelder bleiben uns nicht. Wir sind alle sehr an die Besitzerin verschul­ det, dabei mußte ich bis spät in die Nacht hinein servieren. Iberin: Aber Sie sagen, Sie beklagen sich nicht über die Arbeit. Wir alle müssen ja arbeiten. Aber es gab da anderes, worüber Sie sich beklagen müssen. Nanna: Nun ja, es gibt auch Schankstätten, in de­ nen es dem Personal freigestellt ist, bestimmte Gaste zu bevorzugen. Iberin: Aha! In diesem Haus waren Sie also ge­ zwungen, die Umarmungen jedes bezahlenden Gastes zu erdulden? Nanna: Jawohl. Iberin: Das genügt. Zum Pächter Callas: Was für eine Anklage erheben Sie als Vater gegen den An­ geklagten? Der Pächter Callas: Pachtwucher. Iberin: Sie haben Grund, sich über mehr zu bekla­ gen. Der Pächter Callas: Ich denke, das ist gerade genug. Iberin: Ihnen ist furchtbareres Unglück zugefügt worden als nur Pachtwucher. Sehen Sie das nicht? Der Pächter Callas: Jawohl. Iberin: Was ist Ihnen angetan worden? Der Pächter Callas schweigt. Iberin zu de Guzman. Geben Sie zu, daß Sie Ihre wirtschaftliche Macht mißbraucht ha­ ben, als Sie die Tochter Ihres Pächters verführten? Herr de Guzman: Ich hatte den Eindruck, daß es ihr nicht unangenehm war, als ich mich ich ihr nä­ herte. Iberin zu Nanna: Was sagen Sie dazu? Nanna schweigt. Iberin zum Inspektor: Führen Sie den An­ geklagten hinaus! De Guzman wird hinausgeführt. Iberin zu Nanna: Wollen Sie sich jetzt darüber äu­ ßern, ob Ihnen die Annäherung des de Guzman angenehm war oder nicht? Nanna unwillig: Ich kann mich nicht erinnern. Iberin: Entsetzliche Antwort! Der tschuchische Anwalt zu Nanna: Vielleicht war’s Liebe? / Herr, undurchsichtig ist der Men­ schen Handeln. / Sie selbst kaum kennen ihre Gründe meist / Und jetzt erst andere! Auch der schärfste Blick / Durchdringt oft nicht die uner­ klärliche Wirrnis / Der menschlichen Natur. Hier steht ein Mann, beschuldigt / Daß er ein Mädchen einst verführt und dann bezahlt / Und so gekauft hab, was nicht käuflich ist. / Herr, wer dies sagt, beschuldigt Mann und Mädchen. / Denn wurd von ihm gekauft, so wurd verkauft von ihr. / Nun frage ich: ist nur durch Kauf und Verkauf / Erklärbar die­ ses dunkle, süße, ewige / Spiel zwischen Mann und Weib? Kann’s nicht auch Liebe / Und nichts als Liebe sein? / Herr, in dem Fall / Der uns be­ schäftigt hier, war’s Liebe. Setzt sich. So. Iberin zum Inspektor: Man muß ihn wieder holen! De Guzman wird hereingeholt. Nun, wenn es Liebe war, hat dieser sie erregt! Allgemeines Gelächter. Der tschuchische Anwalt: Herr, was ist Liebe? War­ um liebt der Mensch? / Der eine findet einen Men­ schen und / Er liebt ihn. Und der andere will lie­ ben / Und sucht sich einen Menschen dazu. So / Liebt einer den Geliebten und der andere / Das Lieben. Doch das eine nenn ich Schicksal / das an­ dere Brunst. Vielleicht war’s in dem Fall / Der uns beschäftigt, niedere, trübe Brunst?

Frau Cornamontis steht auf: Ich möchte eine Aussage machen. Iberin nickt. Ich muß sagen, daß Nanna Callas eines meiner anständigsten Mäd­ chen ist. Sie spart und schickt das Geld nach Hause. Iberin zum Anwalt: Sie können gehen. Eine ge­ rechte Sache verteidigt sich selbst. Der Anwalt packt seine Papiere zusammen und verläßt den Hof. Iberin zu de Guzman: Angeklagter, geben Sie zu, daß Sie ihre wirtschaftliche Macht mißbraucht ha­ ben? De Guzman schweigt. Iberin plötzlich: Was sind Sie? Herr de Guzman: Pachtherr. Iberin: Was sind Sie? Herr de Guzman: Mitglied des Landadels. Iberin: Ich frage, was Sie sind? Herr de Guzman: Katholik. Iberin langsam: Was sind Sie? De Guzman schweigt. Sie sind Tschiche, und Sie haben Ihre wirtschaftli­ che Macht mißbraucht, um ein tschuchisches Mädchen zu verführen. Zu Frau Cornamontis: Und Sie, eine Tschuchin, haben sich nicht entblödet, dieses tschuchische Mädchen an Tschichen zu ver­ kaufen. Das ist der Kern der Sache. Zu de Guzman: Seht ihn jetzt stehn mit seinem spitzen Kopf! / Er­ tappt auf niederm Mißbrauch seiner Macht! / Denn nicht die Macht ist schlecht; der Mißbrauch ist’s. / Ihr, die ihr kauft, was da nicht käuflich ist / Und nicht entstand durch Kauf; ihr, die nur kennt / was Wert hat, wenn’s entäußert wird, und nichts kennt / was unveräußerlich ist, wie dem Baum das Wachstum / Untrennbar von ihm wie die Form der Blätter; / Ihr, die ihr selber fremd, uns uns ent­ fremdet habt: / Das Maß ist voll! Zu den andern: Ihr aber seht, wie schwer dies ist, das Recht / heraus­ zuschälen aus dem Wust des Unrechts / und zu erkennen unter all dem Schutt die / Einfache Wahrheit. Ein Hua: Heil Iberin! Iberin: Ich urteile so: Das Mädchen wird freige­ sprochen. Das Kaffeehaus der Frau Cornamontis wird, da in ihm ein tschuchisches Mädchen mit Tschichen verkuppelt wurde, geschlossen ... Frau Cornamontis halblaut: Das kommt gar nicht in Frage. Iberin: ... für Tschichen. Der tschichische Verfüh­ rer aber wird zum Tode verurteilt. Der Pächter Callas schreit: Und die Pacht wird ge­ strichen! O Lopez, jetzt sage noch was gegen die­ sen großen Mann! Iberin: Was redest du von Pacht? / Das ist das kleinste / Was dir geschah. So nebensächlich ist‘s? / Und du erhebst dich nicht zu mehr, wo mehr ist? / Ein tschuchischer Vater du! Und du die tschuchi­ sche Tochter! / Bedrückt von Tschichen! Immer­ fort! Nun frei! Der Pächter Callas: Frei! Da hör her, Lopez! Iberin: Dir gebe ich dein Kind zurück, das einst / An deiner Hand auf tschuchischen Feldern ging. / Ihr aber sagt: das ist ein tschuchisches Urteil. / Dies ist der Sinn: hier teil ich Schwarz von Weiß / Und teil dies Volk jetzt in zwei Teile ein / Und rott den einen aus, damit der andere / Genesen kann. Denn diesen andern heb ich / Empor wie diesen Pächter aus seiner Dumpfheit / Und seine Tochter, die ich aus dem Sumpf hol. / So handelnd aber teil ich Tschuch von Tschich / Unrecht von Recht! Miß­ brauch von Brauch! Die Menge: Hoch Iberin!


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Die Menge klatscht wie besessen. Während Nanna auf den Schultern hinausgetragen wird, berichtet der Mann nach hinten zur Straße. Der Mann nach hinten zur Straße: Der Statthalter hat gegen den Tschichen de Guzman wegen Ver­ führung eines tschuchischen Mädchens das Todes­ urteil ausgesprochen. Das Mädchen, das Genug­ tuung erhielt, wird eben auf den Schultern aus dem Gerichtssaal getragen. Hoch Iberin! Die Menge nimmt den Ruf auf, Iberin geht rasch weg. Der Abt von San Stefano laut zu den Umstehenden: Das ist ein ungeheuerliches Urteil: die Familie de Guzman ist eine der vornehmsten in ganz Jahoo. Man wagt, sie dem Straßenpöbel preiszugeben! Und die Schwester des Verurteilten steht vor ihrem Eintritt ins Kloster! De Guzman wird weggeführt. Er kommt an der Gruppe reicher Pachtherren vorbei, welche wegschauen. Herr de Guzman: O Don Duarte, hilf mir! Und ihr Herren / Ihr müsst mir beistehn heut! Erinnert euch / Wie wir an manchem Tisch gemeinsam aßen. / Alfonso, du kannst für mich sprechen! Du / Hast einen runden Kopf! Drauf kommt’s heut an. / Sag, daß du das, was ich getan, auch tatest! / Was schaut ihr weg? Schaut nicht weg! Oh, nicht gut / Ist’s, was ihr an mir tut! Schaut diesen Rock an! / Wenn ihr mich preisgebt, kommt ihr morgen dran! / Und euer runder Kopf hilft euch nichts mehr! Die Pachtherren tun weiter, als kennten sie ihn nicht. Er wird abgeführt. Iberinsoldaten indem sie ihn schlagen: Ein alter Pachtwucherer! Tschuchische Mädchen schänden! Haut ihn auf den Spitzkopf! – Und betrachtet euch seine Freunde etwas genauer! Die Pachtherren gehen eilig weg. Der Pächter Callas auf de Guzman zeigend: Und das war einmal mein Pachtherr! Frau Cornamon­ tis, meine Tochter kündigt Ihnen! Sie hat in einem Hause wie dem Ihren nichts mehr zu ­ schaffen. Der Tabakhändler Palmosa: So etwas ist nie dage­ wesen! Das ist die neue Zeit. Der Pachtherr muß hängen! Der Pächter steigt auf, Frau Cornamon­ tis! Frau Cornamontis: Herr Palmosa, ich höre Sie im­ mer so gern reden: Sie haben sich Ihren reinen Kinderglauben bewahrt. Der Hausbesitzer Callamassi: Meinen Sie nicht, Frau Cornamontis, daß auch einmal ein armer Mann im Kampf mit einem reichen siegen kann? Frau Cornamontis: Ich werde euch meine Mei­ nung über solche Fälle sagen. Frau Cornamontis singt „Die Ballade vom Knopfwurf“.

bertolt brecht_die rundköpfe und die spitzköpfe

DIE BALLADE VOM KNOPFWURF 1 Kommt zu mir ein krummer Mann Und fragt schüchtern bei mir an Ob ihn wohl mein schönstes Mädchen liebt Sag ich ihm, daß es das manchmal gibt. Aber dann reiß ich ihm einen Knopf vom Kragen Und sag: laß uns, Freund, das Schicksal fragen! Wollen sehn: Wenn die Löcher aufwärts schauen Kannst du ihr vielleicht nicht trauen Und mußt ein Haus weitergehn. Laß mich sehen, ob du ohne Glück bist! Und ich werf den Knopf und sag: du bist es. Sagen sie dann: aber diese Löcher Gehen doch durch! Dann sage ich: so ist es. Und ich sag: das Glück hat gegen dich entschie­ den! Siehst du’s ein, ersparst du dir nur Qualen. Dir wird Liebe nicht geschenkt hienieden Wenn du Liebe brauchst, mußt du bezahlen. 2 Kommt zu mir ein dummer Mann Und fragt zweifelnd bei mir an Ob sein Bruder ehrlich teilen mag Sage ich: das gibt es. Ohne Frag. Aber dann reiß ich ihm einen Knopf vom Kragen Und sag: laß uns, Freund, das Schicksal fragen! Wollen sehn: Wenn die Löcher oben liegen Wird er dich vielleicht betrügen Und nach seinem Vorteil gehn. Laß mich sehen, ob du ohne Glück bist! Und ich werf den Knopf und sag: Du bist es. Sagen sie dann: aber diese Löcher Gehn doch durch! Dann sage ich: so ist es. Und ich sag: das Glück hat gegen dich entschie­ den! Wenn du zweifelst, gibt’s für dich nur Qualen. Wenn du Ruhe willst und halbwegs Frieden Mußt du deinem Bruder das bezahlen. Sie nimmt den Pachter Callas beim Arm und führt ihn einige Schritte nach vorn. Daraufhin demonstriert sie an ihm die dritte Strophe. 3 Kommt zu mir ein armer Mann. Meldet zornig bei mir an: Reicher Mann zerstört mir Heim und Herd Ob ich wohl dafür was kriegen werd? Reiß ich ihm zuerst mal einen Knopf vom Kragen Und sag: laß uns, Freund, das Schicksal fragen! Wollen sehn:

SPIELZEITERÖFFNUNG 27.09.– 06.10.2018

Wenn die Löcher oben liegen Wirst du vielleicht gar nichts kriegen Und brauchst nicht herumzustehn. Laß mich sehen, ob du ohne Glück bist! Und ich werf den Knopf und sag: du bist es! Sagen sie dann: Einige Zuhörer bücken sich nach dem Knopf und sagen aufschauend: Aber diese Löcher / Gehn doch durch! Frau Cornamontis: Dann sage ich: so ist es! Und ich sag: das Glück hat gegen dich entschieden Und das wirst du sehn zu vielen Malen. Was du immer anfängst, Freund, hienieden Unrecht oder Recht: du wirst bezahlen! Der Pächter Callas: Sie haben wohl Dreck in den Ohren liebe Frau! Der Statthalter hat ausdrücklich betont, die Pacht ist nebensächlich! Jetzt noch Gäule und ich bin gerettet! Frau Cornamontis bricht in ein schallendes Gelächter aus und zeigt mit dem Finger auf den Pächter Callas, der sich genauso benimmt, wie man es von einem mit Blindheit geschlagenen Mann erwarten kann. Leuchtschrift: „Die Schlacht im Süden tobt mit unverminderter Hefigkeit.“

Textauszug aus: Bertolt Brecht, Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und reich gesellt sich gern. Ein Greuelmärchen, in: ders., Gesammelte Werke in 20 Bänden. Band 3. © Bertolt-BrechtErben / Suhrkamp Verlag 1967.

8 1 0 2 T OK

STATE OF THE ARTS u.a. mit Tianzhuo Chen, Royce Ng, (The Famous) Lauren Barri Holstein, God‘s Entertainment, Ute Rauwald

NICO AND THE NAVIGATORS DIE ZUKUNFT VON GESTERN URSINA TOSSI BLUE MOON A WIE ANONYM – KONFERENZ

R ABIH MROUÉ SAND IN THE EYES SK ILLS WELCOME TO HELL - EINE DOKUMENTARISCHE KONZERT-PERFORMANCE

KA

AMB H L E G A MPN

URG

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Magazin In der Selbstfindungsphase Das Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg setzt gerne auf volles Risiko – in diesem Jahr jedoch sind viele Arbeiten konzeptionell unentschlossen  Theater ohne Wände Matthias von Hartz präsentiert in Zürich ein Theater Spektakel, dessen diverses Programm auch im Vorbeigehen zu erleben ist

Geschichten vom Herrn H.

Die Quadratur des Tanzes Wie dreißig Jahre Tanzhaus in Berlin zusammenhängen  Optimierung im

In Bewegung kommen

Tanz im August und dreißig Jahre Kampf um ein

Geiste des Reiskochers Das Maschinen  Fausts Mittelfinger

Wiener Festival ImPulsTanz zeigt einsame Menschn und höchst lebendige Der Schriftsteller Werner Fritsch über den dritten Teil seines monumentalen

Filmgedichts „Faust Sonnengesang III“

Ein Riss, der durch die Welt geht

Dokumentarfilm „Familie Brasch“ zeigt eine zerrissene Familie in den Widersprüchen ihrer Zeit

Annekatrin Hendels

Baggerfahrer in

wüster Landschaft Der Schauspieler und Sänger Alexander Scheer ist das Ereignis in Andreas Dresens Film „Gundermann“  Nomen est omen? Sönke Wortmanns Verfilmung des französischen Theaterstücks „Der Vorname“ verliert sich in platten Klischees  Sonny Boy Prinzipiell nicht ohne Humor – Ein Nachruf auf Neil Simon, den König des Broadway  Bücher Hanno Rauterberg, Stephen Parker, Heiner Goebbels


magazin

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In der Selbstfindungsphase Das Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg setzt gerne auf volles Risiko – in diesem Jahr jedoch sind viele Arbeiten konzeptionell unentschlossen

Mit Festivals ist das so eine Sache. Wenn es

eine ermüdend ironisierende Spielweise

melt ebenso wie die Erzählungen deutscher

gut läuft, erlebt man geballt grandioses Thea­

nimmt die Figuren der ohnehin etwas

Soldaten in der Wüste Namib. Herausgekom-

ter in wenigen Tagen oder Wochen – so ge­

schwachen Vorlage nicht ernst.

men ist eine Art szenisches Konzert mit der

schehen in den Vorjahren beim Internationa­

Direkt im Anschluss das Kontrast­

namibischen Poetry-Künstlerin Nesindano

len Sommerfestival auf Kampnagel. Leider

programm mit „The Mysterious Lai Teck“, Teil

„Khoes“ Namises, der Hamburger Band

hatte ich dieses Jahr Pech: Von fünf besuch­

des Langzeitprojektes „The Critical Dictionary

Kante mit ihren Grenzgängen zwischen Rock,

ten Vorstellungen waren drei konzeptionell

of Southeast Asia“, in dem Ho Tzu Nyen eine

Jazz und Elektronik sowie den perkussiven

ungewohnt unentschieden. Allerdings fährt

kollektive Identität der Region Südostasien

Stücken der Südafrikaner Khoi Konnexion,

dieses Festival volles Risiko. Kurator András

zu fassen sucht. Der reduzierte, hochkonzen-

eingerichtet

Siebold lädt nicht nur bewährte Produktionen

trierte Abend basiert auf einer historischen

Mitglied Nikola Duric. Völkerverständigung

der Festivallandschaft ein, sondern setzt auf

Figur: Lai Teck war von 1939 bis 1947

in Ehren, aber wenn am Ende alle Kante-

langjährige Partnerschaften mit den Künst­

Generalsekretär der malaiischen Kommunis­

Musiker den Mundbogen spielen, ein einfach-

lern. Dass viele Produktionen im Rahmen des

tischen Partei und wurde später als Triple-

es Einsaiteninstrument der Khoisan, muss

Festivals entstehen und dass auf Kampnagel

Agent für Frankreich, Großbritannien und

man sich vor lauter Harmoniebedarf schüt-

im wahrsten Sinn des Wortes nicht nur ge­

­Japan mit rund fünfzig Decknamen enttarnt. ˙ von Hô Chí Minh“, be„Ich bin der Schatten

teln. Ohne szenisches Konzept und funktion-

probt, sondern probiert wird, ist Teil des ­Konzepts.

ginnt die Erzählerstimme, während sich wie-

samt vielleicht ein Drittel der Texte – bleibt

„Eine musikalische Dramödie über die

der und wieder auf Gaze projizierte Vorhänge

der Abend ein Konzert, das angestrengt ver-

Hamburger Musik-Subkultur zwischen Iden-

öffnen, die den Blick auf weitere Vorhänge

sucht, mehr zu sein als das.

titätssuche und Gentrifizierung“ ist der Unterti-

freigeben. Ein simples Bild für die undurch­

Als glücksbringender Grenzgang er-

tel von „König der Möwen“. Leider verschenkt

sichtige Geschichte einer Region ebenso

weist sich „Big Bears Cry Too“ der bildenden

das Team um Dada-Pop-Star Andreas Dorau

wie für endlose Identitätsvarianten der histo-

Künstlerin Miet Warlop, die einen Reigen

nicht nur die Anspielung auf Hamburgs Cash-

rischen Figur.

skurriler,

von

Showcase-Beat-Le-Mot-­

ierende Übertitelung – man versteht insge­

komischer,

teils

tiefschwarzer

cow „König der Löwen“, sondern auch das

Man lässt sich fangen von der Erzähler-

Szenen liefert. Performer Christian Bakalov

Thema Idealismus gegen finanzielle Sicherheit.

stimme und rutscht so immer tiefer in die

als Mischung aus Rumpelstilzchen und ko-

Der Liebhaberplattenladen Rillenreiter

komplexe Geschichte eines Landes hinein.

mischem Anarcho im Hoodie tritt in Inter­

im linksalternativen Hamburger Schanzen­

Als der letzte Vorhang sich öffnet, blicken die

aktion mit Warlops Bühnenobjekten: einem

viertel soll – so die Idee des Hamburg Marke­

Zuschauer auf eine reglose Figur, eine über-

Riesenbunny, der aufgepumpt wird, fliegen-

ting – anlässlich des Besuchs des US-Präsi-

lebensgroße Puppe, auf die wiederum eine

den Augäpfeln, Kugeln, aus denen weiße

denten in die Speicherstadt umziehen – für

Vielzahl erzählender Gesichter projiziert wird.

Farbe rinnt, und einem überlebensgroßen

kurze Wege und mehr Sicherheit. Besitzer

Komplex und vielschichtig ist diese fokussi-

Gebiss. Albtraumhaft-schräge Momente ent-

Hans muss sich entscheiden: Ideale vertreten

erte Arbeit, die nach einer knappen Stunde

stehen, wenn Bakalov mit verzerrter Stimme

oder Authentizität gegen 24 Stunden Kulisse

ein atemloses Publikum entlässt. Ho Tzu

kichert, mit einem Mega-Wischmopp astrein

und eine durchaus verlockende Bezahlung

Nyen hat mit seinem „Critical Dictionary“ ein

einen fiktiven Catwalk entlangschreitet und

tauschen? Den Soundtrack zur Handlung lie­

Lebenswerk begonnen. Eine erste Ahnung,

mit großer Begeisterung alles zerstört, was

fert eine Band, die laut Textvorlage im Rillen-

wie er die Historie aufarbeitet, bietet sein

geht. Die eigentlich als Kinderstück dekla­

reiter auftreten soll und in der musikalischen

Online-Lexikon www.cdosea.org, in dem er

rierte Produktion birgt so viel hintergründige

Selbstfindungsphase steckt. Dorau hat dafür

Begriffe mit tausenden Stunden audiovisuel-

Zweideutigkeit, dass Eltern, die ihre Kinder

einen ziemlich großartigen Parforceritt durch

len Materials verschneidet.

ab sechs – so die Altersempfehlung – mit­

sämtliche musikalischen Genres geschrieben.

Als „Musiktheater“ angekündigt ist

gebracht haben, sicher schlaflose Nächte er-

Leider fehlt dem Abend der Rhythmus, und

„Das Haus der herabfallenden Knochen“

warten. Für alle anderen ist es eine verrückte

über die blutigen Spuren des niederländisch-

Stunde, überraschend, voll Fantasie und von

en und deutschen Kolonialregimes. Für das

oft düsterer Bildgewalt. //

Fusion der Bands Kante und Khoi Konnexion – in „Das Haus der herabfallenden Knochen“ auf Kampnagel. Foto Anja Beutler

Projekt sind deutsche und afrikanische Künst­ ler gemeinsam durch Südafrika und Namibia gereist, haben Mythen über Untote gesam-

Natalie Fingerhut

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Theater ohne Wände Matthias von Hartz präsentiert in Zürich ein Theater Spektakel, dessen diverses Programm auch im Vorbeigehen zu erleben ist Es kann auch ganz unspektakulär sein, Ende

den man als verwegenes Bekenntnis zum Un­

„Spektakel“ auch den „Unterhaltungszwang“

August am Zürichsee. Passanten können auf

spektakulären lesen könnte: Forced Enter­

ins Spiel. Und ob aus Interesse, Vergnügungs­

der Kulturwiese am Westufer vorbeischlen­

tainment, die britischen Postdramatiker vom

notstand oder Zeitüberfluss – der Besucher­

dern, an der Roten Fabrik, am 39. Zürcher

Dienst, stellen innerhalb von acht Tagen 36

andrang ist mit 26 000 verkauften­Tickets so

Theater Spektakel, können mit Badehand­

Shakespeare-Dramen nach oder fragen einan­

hoch wie üblich im spätsommerlichen Zürich.

tuch oder Tickets für eine der internationalen

der in ihrem Fünfstünder „Quizoola!“ Löcher

Wie gewohnt verhält sich aber das restliche

Produktionen promenieren, mit spätsommer­

in den Bauch. Das und Ähnliches macht die

Laufpublikum sehr wetterempfindlich. Und

licher Absicht oder Neugier. Streifzüge sind

Truppe seit über dreißig Jahren und brilliert

die Natur hat dieses Jahr nicht dauerhaft so

ebenso möglich wie ausdauernde Vertiefung,

auch während dieser langen Retrospektive

gut mitgespielt wie beim Zeitlupen-Tanzstück

denn keine Wände trennen dieses große Foyer

immer wieder mit den einfachsten Mitteln

„Crowd“ von Gisèle Vienne, zu dessen Beginn

als Theater von seiner Umwelt ab.

und insbesondere auf sprachlicher Ebene. In

hinter der Seebühne pünktlich ein Vollmond

Das Ungezwungene durchzieht auch

„Quizoola!“, der stundenlangen Improvisati­

seinen Platz einnimmt.

die Aussagen von Matthias von Hartz, der in

on nach Protokoll, sucht Terry O’Connor nach

Kurzstücke, Performances und noch

diesem Jahr die Programmgestaltung des

Antworten auf Jerry Killicks Fragen und sagt

nicht fertig entwickelte Arbeiten sind in den

Zürcher Theater Spektakels übernommen

dabei, das ganze Theater könne ihretwegen

Räumen der Roten Fabrik zu sehen. In Zürich

hat: „Ich möchte die Wahrscheinlichkeit,

auch im Radio stattfinden. Die Beleuchtung

selbst entstanden ist Teresa Vittuccis „Hate

dass man mit Kunst in Berührung kommt, ein

sei zweitrangig, eine Pirouette drücke besten­

Me, Tender“, untertitelt als Solo für einen zu­

bisschen erhöhen“, erzählte er dem Schwei­

falls aus: „Schau mich an.“ Viel mehr Poten­

künftigen Feminismus. Nackt nimmt sich Vit­

zer Fernsehen. „Aber das heißt nicht, dass

zial biete das gesprochene Wort, doch Killick

tucci der Mutter Jesu und der unbefleckten

jeder ein Programm konsumieren soll, das ich

kontert mit der chronisch juckenden Frage:

Empfängnis an, ergründet und zerrüttet die

vorschreibe.“ Nach einem Jahrzehnt unter

„Zu welchem Zweck das alles?“ Die Antwor­

darin wurzelnden Stereotype und schafft eine

Sandro Lunins Leitung präsentiert von Hartz

ten darauf bleiben Versuche, vielleicht sogar

ebenso komische, wie körperlich nahegehen­

nun ein diverses und wenig zentriertes Pro­

eine „Zeitverschwendung: das ist doch unser

gramm, eine Festspielanordnung mit ver­

Job“.

mehrt bildender Kunst, mehr Gesprächsfor­

Mit Forced Entertainment bringt von

maten und mit einem Programmschwerpunkt,

Hartz also nebst den Begriffen „Theater“ und

Doch nicht die Farbe der Liebe? – Teresa Vittucci in „Hate Me, Tender“. Foto Christian Altorfer


magazin

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de Erfahrung. Langsam richtet sie sich auf unter ihrem Schleier in Neon-Apricot, geißelt sich damit später selbst, wedelt mit Blumen

GESCHICHTEN VOM HERRN H. In Bewegung kommen

und geißelt sich auch damit, prügelt sich jedes einzelne „Ooh“ aus Donna Summers ­ „I Feel Love“ aus dem Körper. Während sie sich den Schleier einführt, bricht sie die

Die Welt ist dringend verbesserungswürdig,

gemeinsame Aufgabe, erkennbar werden.

Spannung durch beiläufigen Witz und lässt

doch die herrschenden Verhältnisse verhin­

Das Feld, auf dem die Linke mehr als nur

das Publikum in ihren Gesang einstimmen.

dern dies. Wie man es trotzdem bewerkstel­

kurzfristig siegen kann, ist das der Ökono­

Bis sie irgendwann in Metaphern spricht, in

ligen könnte, darüber streiten die daran In­

mie – und nicht das der Identität oder Kul­

Sinnbildern der Penetration und des Besit­

teressierten seit Jahrhunderten. Es geht um

tur. In der Kritik der ökonomischen Grund­

zes. Beim Kauf eines neuen MacBooks ent­

Ziele und Mittel, um Strategie und Taktik,

lagen aller herrschenden Politik wäre sie

ferne man schließlich genüsslich die Plastik­

und das angesichts der sich in Widersprü­

Ausdruck der berechtigten Unzufriedenheit

versiegelung, und überhaupt beschädige man

chen vollziehenden Geschichte. Um bei al­

mit den Verhältnissen. Denn gegen die

gerne Dinge, um sie zu besitzen. Dann ist

ler Widersprüchlichkeit die richtigen Dinge

Macht des Kapitals steht die Ohnmacht de­

Vittucci fasziniert von ihren pinken Stiefelet­

zu tun und die Konsequen­

rer, die ihre Arbeitskraft ver­

ten, krempelt sie um zu einer Art Vulva und

zen von Handlungen ab­

kaufen müssen, und die Lö­

lässt Hände hineingleiten und zur Faust bal­

schätzen zu können, hat

sung dieses Konflikts kann

len, was am Wesen des Schuhs im Nachhin­

man die Dialektik erson­

und darf nicht die Scheiner­

ein nichts ändert. Gegenständlich und vage

nen. In der Antike schon

mächtigung der nationalen

zugleich öffnet sie damit verschiedenste

erprobt, wurde sie in der

Reaktion sein.

­Gedankenräume.

Moderne von Hegel und sei­

Zumindest Vorsicht ist

Ganz anders der Festivalhit „Campo

nen Schülern wieder zur

geboten, wenn inzwischen

Minado“ von Lola Arias, der dieses Jahr vom

Blüte gebracht. Einer der

auch aus den Reihen der re­

Auawirleben in Bern zum Theaterfestival

Vorzüge der Dialektik ist,

gierenden Sozialdemokratie

­Basel bis nach Zürich durchgereicht wurde.

dass sie Wirklichkeit und

die Kritik zu hören ist, dass

Falkland-Kriegsveteranen argentinischer so­

Ideal

man sich in den letzten Jah­

wie britischer Seite wurden von der Argen­

dieser Aspekt scheint in­

tinierin gecastet, das daraus resultierende

zwischen gründlich in Vergessenheit gera­

für Minderheiten konzentriert hätte. Man

Dokumentartheaterstück bleibt in der Mach­

ten zu sein. Realität und Utopie stehen in­

wünschte es fast! Im Gegenteil wurde ja

art leicht bekömmlich und emotionalisierend,

zwischen vermittlungslos nebeneinander.

Politik gegen Minderheiten gemacht, solan­

dabei perfekt ausgeleuchtet und in stilisier­

Fortschritt wird als Problem individueller

ge sie nicht zufällig reich waren, gegen Ar­

ten Kapiteln zu beschauen wie auf Netflix.

Anerkennung, nicht als gesellschaftliche

beitslose, Geringverdiener, Wohnungslose,

Als Rockband („Have you ever been to war?“)

Frage verstanden. Doch was passiert, wenn

Alleinerziehende, Sozialhilfeempfänger, Arme.

überzeugen die sechs Herren nicht gerade,

Ideal und Wirklichkeit auseinanderfallen?

Vorsicht ist deswegen geboten, weil auch

und die starken Momente sind die unharmo­

In Peter Hacks’ Aristophanes-Bearbeitung

eine treffende Kritik nicht davor gefeit ist,

nischen – etwa, wenn sie schildern, wie sie

von „Die Vögel“ sollen alle im Namen der

statt dem nötigen Wechsel der Politik nur

während der Proben vermieden haben, die

„Vogelfreiheit“ von einem Turm springen –

einem Wechsel der Sprache zu dienen. Ein

Zugehörigkeit der Falklandinseln anzuspre­

was natürlich scheitert, scheitern muss. Das

neuer Aufbruch, wie er von der unter anderem

chen. Oder wenn David Jackson – beruflich

Thema des Stücks sei, schrieb Hacks, dass

von dem Dramaturgen Bernd Stegemann

heute Therapeut – seine Nachkriegstraumata

„eine neue Linke das Denken aufgibt und

­initiierten linken Sammlungsbewegung „Auf­

schildert. Doch zunehmend dreht sich Lola

von der Vollkommenheit schwärmt; unaus­

stehen“ gefordert wird, hätte sich daran zu

Arias’ Vorhaben um sich selbst und um die

rottbar wird das Äußerste verlangt und das

beweisen, dass der Aufbruch auch tatsäch­

Harmoniestiftung, gepaart mit einem mulmi­

Tunlichste missachtet“.

lich ein Bruch mit der bisherigen Politik dar­

vermittelt.

Gerade

ren zu sehr auf die Politik

Wann also lohnt es, vom Unmögli­

stellt. Man könnte das nach Michael Hardt

Der Festivalmacher Matthias von Hartz,

chen und wann vom Möglichen zu spre­

und Antonio Negri einen „antagonistischen

der zuvor die Foreign Affairs für die Berliner

chen? Eine Rhetorik, die beides vermittelt,

Reformismus“ nennen. Das wäre die Bedin­

Festspiele und das Athens & Epidaurus Festi­

müsste die Welt auf eine Weise darstellen,

gung der Möglichkeit, sich politisch über­

val kuratierte, kommt gerade in Zürich an und

dass sie als veränderbare hervortritt; nur

haupt wieder in die Nähe der Vermittlung

wird für die nächsten Ausgaben mehr Zeit

Realismus rettet die Utopie vor ihrer Verjen­

von Realität und Utopie zu bewegen. In Be­

haben, was die Zürcher hoffnungsvoll stim­

seitigung. Eine ideologiekritische Verwen­

wegung kommen, das ist für das Denken wie

men kann. Denn ob Zirkus, Tanz, Disput, Fa­

dung politischer Rede hätte auch vor Paro­

die Politik eine Nötigung, die von den Um­

milienstücke oder Sprechtheater – der Strauß

len nicht zurückzuschrecken. Die Aufgabe

ständen ausgeht, aber auch eine Möglich­

war bereits dieses Jahr politisch bunt und

ist, gesellschaftliche Konflikte so zu artiku­

keit, diese zu ändern. //

üppig, aber locker gebunden. //

lieren, dass sie als politische Konflikte, als

gen Rest an Soldatenstolz.

Maximilian Pahl

Jakob Hayner

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Die Quadratur des Tanzes Wie dreißig Jahre Tanz im August und dreißig Jahre Kampf um ein Tanzhaus in Berlin zusammenhängen „‚Berliner Tanzzentrum‘ – Die von der Berli-

struktur die wichtigsten Themen zu sondie-

dann „Kulturstadt Europas“, es gab Aufwind

ner Ballettensembles, freien Tanzgruppen

ren. Das Ergebnis wird Ende des Jahres vorge-

durch zusätzliche Gelder. Um internationalen

und anderen mit dem Tanz befassten Einrich-

stellt. Wichtiger Punkt: ein Tanzhaus – nicht

Tanz präsentieren und in Workshops neue

tungen geplante Gründung eines Berliner

unbedingt als zentrale Institution, sondern

Techniken erproben zu können, wurde von

Tanzzentrums soll durch ein Projekt begleitet

möglicherweise auch als modulares Objekt,

mehreren Trägern die Tanzwerkstatt gegrün-

werden, das Informationen über Geschichte

das die zahlreichen Tanzorte, die inzwischen

det, aus der sich im Folge­jahr Tanz im August

und Gegenwart des Tanzes sammelt und an-

entstanden sind, verbindet und ergänzt.

entwickelte. Nele Hertling, die damals das

bietet, Modellversuche und Kurse vorbereitet

Eine Kuppelorganisation aber braucht

Programm „Pantomime – Musik – Tanz – The-

und sich als Koordinationsstelle für das Tanz-

es, und hier liegt der Clou der Sache: Das ein-

ater“ an der Akademie der Künste leitete,

geschehen in Berlin versteht. (Träger: Akade-

leitende Zitat ist fast dreißig Jahre alt. Es ist

wurde Festival­direktorin sowie auch Direkto-

mie der Künste; 2 ABM-Kräfte).“

Teil einer Pressemitteilung des Kultursenats

rin des neu erschlossenen Hebbel-Theaters

vom November 1990 und wurde von der Jour-

und schuf damit der Sparte ein Profil. Für

So ungefähr könnte die Pressemitteilung des

nalistin Claudia Henne zum dreißigjährigen

ihren lebenslangen diesbezüglichen Einsatz

Berliner Senats für Kultur und Europa lauten,

Bestehen des Festivals Tanz im August aus

wurde ihr im vergangenen Monat der Deut-

wenn im nächsten Winter der Doppelhaushalt

den Archiven gefischt. Die Forderung, neben

sche Tanzpreis verliehen.

für 2020/21 beschlossen wird. Denn die Ber-

fünf staatlich betriebenen Sprechtheatern

Zum 30. Jubiläum von Tanz im August

liner Tanzszene, eine der rührigsten auf dem

und drei Opern auch einen Ort für die Tanz-

in diesem Jahr steht das Festival so gut da

Kontinent und dafür verantwortlich, dass die

kunst in Berlin zu haben, wurde bislang nicht

wie nie: Das Budget wurde, dank des Engage-

deutsche Hauptstadt inzwischen eine Welt-

umgesetzt.

ments von Annemie Vanackere als Intendan-

stadt des Tanzes ist, wurde in diesem Jahr

Vor vierzig Jahren, 1978, begann in

von der Politik an einen runden Tisch gebe-

Berlin eine neue Ära und der zeitgenössische

ten. Seit Anfang des Jahres traf sich die Sze-

Tanz in der Stadt wurde mit der Eröffnung der

ne zu verschiedenen Arbeitsgruppen, um für

Tanzfabrik als Ausbildungsstätte und Kunst-

Critical Dance Mass – Lisbeth Gruwez und ihre Kompanie Voetvolk mit „The Sea Within“.

eine kulturpolitische Stärkung ihrer Infra-

kompanie wiedergeboren. 1988 wurde Berlin

Foto Danny Willems


magazin

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tin des veranstaltenden HAU Hebbel am Ufer,

neben „familienfreundlichen“ und gratis zu-

­Brüsseler Kompanie Voetvolk sowie der fran-

seit 2012 fast verdoppelt, es gab dreißig Auf-

gänglichen Performances im öffentlichen

zösische Choreograf Noé Soulier für eigene

führungen und eine hervorragende Auslas-

Raum – vor allem durch die Treue zu Stücken

Bewegungssprachen im Hinblick auf Gruppen­

tung. Dabei hat in den letzten Jahren, insbe-

aus dem Kontext postkolonialer Theorie und

dynamiken, die sich aus einem Zusammen-

sondere seit Virve Sutinen 2014 die Leitung

critical whiteness, die sich mit Blickpolitiken

wirken von inneren und äußeren Kräften stän-

übernahm, eine interessante Zielgruppen­

auseinandersetzen. Sutinen legt Wert darauf,

dig neu formen.

verlagerung eingesetzt: Das Festival hat sein

dass es sich hierbei nicht um Mode-Ästheti-

Eine überraschende neue Tendenz

Publikum in der kulturinteressierten Stadt­

ken handelt, sondern um einen langwierigen

zeichnete sich im kuratorischen Zugriff Suti-

gemeinschaft gefunden, während das Fach-

Prozess der Auseinandersetzung des Publi-

nens ab: Seit den 1980ern geriet die Pan­

publikum – vor allem die in Berlin arbeiten-

kums mit den eigenen durch die Kolonialge-

tomime in den zeitgenössischen Bühnen-

den Künstlerinnen und Künstler – sich nur

schichte geprägten Sehgewohnheiten. In die-

künsten ins Abseits. In diesem Jahr war sie

sehr punktuell interessiert. Diese Entwick-

sem Jahr bot Nora Chipaumire, die in New

zurück: Der in Athen arbeitende Euripides

lung ist irritierend, aber auch spannend für

York und Simbabwe lebt, die bisher stärkste

Laskaridis zeigte mit „Osmosis Titans“ ein

eine Kunst wie den zeitgenössischen Tanz,

Arbeit zum Thema. „Portrait of myself as my

komplett surreal-pantomimisch angelegtes

die bislang nicht im Mainstream angekom-

father“ in afrofuturistischer Boxergarderobe

Stück, Cons­tanza Macras’ Choreografie „Chats­

men war. Sutinen arbeitet der Abschottung in

und mit einem angeleinten Sklaven, der an

worth“ über indische Einwanderertraditionen

ein abgekoppeltes Expertentum klar entge-

sadomasochistische Butō-Performances der

in Südafrika brachte Bollywood-Pantomime

gen. Auch muss im Tanz, anders als in der

1980er Jahre erinnert, ist eine kolonialis­mus-

ins Spiel, und Michiel Vandevelde und sein

Musik, nicht die „Klassik“, sprich das Ballett,

und paternalismuskritische Polemik, die ener­

Jugendtheater fABULEUS spulten fünfzig

dafür Pate stehen, dass dem Bürgertum als

getisch und intellektuell nie zur Ruhe kommt.

Jahre Geschichte entlang von Pressefoto-

„Entreact“ auch einmal eine zeitgenössische

In einem Boxring wird kulturelle Erbmasse

Enactments rückwärts: „Paradise Now (1968–

Position verkauft wird. Der zeitgenössische

bearbeitet, der Champion, Chipaumire, ist ein

2018)“, das auf die gleichnamige Anarchie-

Tanz soll, auch in seinen durchaus diversen

Hybrid, der letztlich gegen sich selbst kämpft,

und Anti-Vietnam-Performance des New Yorker

und diskursiven Ästhetiken, für sich sprechen

gegen all die Anteile, die Kolonialisierte von

Living Theater von 1968 verweist, war die

können.

Kolonialisten in sich tragen. Ein Kampf, der

Entdeckung des Festivals: Jugendliche, die

Um das auf einem Niveau zu errei-

nur durch die Versöhnung mit dem sie konsti-

sich durch einen Geschichtsabriss auf die

chen, auf dem das Publikum dann auch den

tuierenden Sarkasmus gewonnen werden

­Suche nach ihren eigenen Visionen machen

Anschluss an das Angebot der Berliner Szene

kann – eine absurde und nervöse Position, die

und in körperlichen Imaginationstechniken

finden kann, braucht es einiges Kombinations­

an Achille Mbembes Grundlagenwerk „Kritik

aus der Tanzgeschichte einen angedeuteten

talent: Die Themen müssen breit genug sein,

der schwarzen Vernunft“ denken lässt.

Ausweg aus Hoffnungslosigkeit und Unüber­

um möglichst viele Zielgruppen zu erreichen

Auch Arbeiten, die, abgeleitet von

und sie müssen aktuell und aufgeladen genug

Siegfried Kracauers „Ornament der Masse“,

Was in der Jubiläumsausgabe von Tanz

sein, um auf ihr virulentes Potenzial zu

als postornamental bezeichnet werden kön-

im August nun doch fehlte, auch das lässt

­verweisen. Virve Sutinen bevorzugt in dieser

nen, waren in den vergangenen Jahren The-

sich am Living Theatre-Experiment fest­

Hinsicht eher Gutgemachtes als Werke mit

ma: Alle machen zur selben Zeit das Gleiche,

machen: der Werkstatt- und Experimentier-

Werkstattcharakter und Experimentalanord-

aber anders. Hier stoßen postmoderne Tech-

charakter, der den Anfang von Tanz im August

nung und schafft damit ein Panoptikum des

niken auf das Anthropozän. Organische Be-

prägte. Das Ankommen in der bürgerlichen

internationalen

zwischen

wegungsabfolgen ordnen sich in Schwärmen

Mitte ist für die Forderung nach einem zent-

Fußballchoreografie, Tanztheater und B-Boy-

oder Rhizomorganisationen und formen eine

ralen Tanzhaus sicherlich eine wertvolle

ing, zwischen Postmodernem, Postornamenta-

Wechselwirkungen unterworfene Menschen-

Ausgangs­position. Für die Zukunft aber wür-

lem, body politics und Pantomime.

Tanzgeschehens

sichtlichkeit finden.

materie. In diesem Jahr standen vor allem die

de etwas mehr Baustelle dem Festival in der

Dass ästhetische Erziehung dabei als

Berliner Choreografin Isabelle Schad sowie in

Bau­ stellenstadt Berlin genauso guttun wie

kuratorische Richtlinie gelten kann, zeigt sich –

Ansätzen auch Lisbeth Gruwez mit ihrer

der Profiszene. //

»Warte nur ab die Zeit kommt wo wir es wieder zeigen können es spricht alles dafür daß wir es wieder zeigen können und nicht nur zeigen.« VOR DEM RUHESTAND von Thomas Bernhard

Astrid Kaminski

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Optimierung im Geiste des Reiskochers Das Wiener Festival ImPulsTanz zeigt einsame Menschen und höchst lebendige Maschinen Abwegig ist die Idee nicht, dass „smarte“ Kü-

in Wort und Videobildern über die Mutatio-

tigen Leistungssteigerung durch Einnahme

chengeräte

werden

nen der südkoreanischen Gesellschaft seit

von psychoaktiven Substanzen. Choy zieht

könnten, sich miteinander zu unterhalten.

der Wirtschaftskrise im Jahr 1997. Die Re-

noch eine weitere Ebene ein: Er lässt sein Pu-

Eher absurd erscheint die Beschwörung des

gierung fasste diese als nationale Schande

blikum in eine als optimistisch vorgeführte

Geistes eines verstorbenen Künstlers, um ein

auf und ließ die Bevölkerung ausbluten, um

Optimierungshölle blicken, die Kunst in

Stück mit ihm zu produzieren. Und eindeutig

einen Kredit des Internationalen Währungs-

messbare Parameter zerlegt und von einem

erschreckend wirkt die Vision von einer Pri-

fonds

Diagnose-Automaten auswerten lässt.

vatklinik, in der sich Tänzer von einer künstli-

Seither ist die Lebensrealität der Südkorea-

Es geht unter anderem um Präsenz, also

chen Intelligenz untersuchen lassen, wenn

ner von brutalem Leistungsdruck bestimmt,

um Charisma, Aura oder schlicht Wirkung, im

sie an einer Schaffenskrise leiden.

der vom Wirtschaftssystem auf die Individuen

Endeffekt also um die „Performance“ des Per-

Das

darauf

programmiert

diesjährige

schnellstmöglich

zurückzuzahlen.

Wiener

formers, etwa einer Tänzerin oder ei-

Tanz- und Performancefestival

nes Schauspielers. Oder aber um die

ImPulsTanz servierte drei Stü-

Inspirationsleistung von Kunstschaf-

cke, in denen mit den Zutaten

fenden in einer Zukunft der allgegen-

Dystopie, Esoterik und Technolo-

wärtigen Optimierung. An diesem

gie Diagnosen gesellschaftlicher

Punkt berührt „Dance Clinic“ Choys

Erosionen gekocht werden. Die

zweite Arbeit, die bei ImPulsTanz zu

Küchengerätevision mit dem Ti-

sehen war: „UnBearable Darkness“.

tel „Cuckoo“ kam von dem süd-

Der Geist des verstorbenen Choreogra-

koreanischen Musiker und Per-

fen Tatsumi Hijikata tritt dort als digi-

formancemacher Jaha Koo. Die

taler Avatar auf, der auf der Projekti-

Beschwörung

onsleinwand

Begründers

des

Butō-Tanz-

Tatsumi

Hijikata

seine

Präsenz

ins

Uferlose steigert.

(1928–1986) in „UnBearable

Hijikatas Geist sprach angeb-

Darkness“ und die Inszenierung

lich, wie Choy im Video zeigt, durch

einer „Dance Clinic“ stammten

eine Schamanin in einem Tempel im

von dem in Berlin lebenden, in

Norden Japans, dort, wo Osore-zan,

Singapur

der „Berg der Angst“, aufragt und in

geborenen

Künstler

Choy Ka Fai.

dessen Nähe im japanischen Bud-

Ans Mystische rührt das

dhismus der Eingang zur Hölle (Jigo-

industrielle Basteln an künstli-

ku) vermutet wird. Der Künstler ima-

cher Intelligenz erst, seit einige

Fürsorgliche Freunde – Jaha Koo und sein Ensemble in „Cuckoo“

giniert so eine Zusammenführung

Algorithmen-Zauberlehrlinge ge-

Foto Radovan Draga

von Unterwelt und Cyberspace, die den Eindruck erweckt, dass Jaha

stehen, sie verstünden nicht

Koos intelligente Reiskocher, die

mehr, was in manchen selbst­ lernenden Maschinen vor sich gehe. Einen

ausgeübt wird und viele von ihnen zerbrechen

künstliche Intelligenz in der Tanzklinik und

solchen Zustand imaginiert Jaha Koo auf der

lässt.

der zum sich multiplizierenden Superkörper mutierende Hijikata-Avatar in gewisser Weise

Bühne mithilfe zweier sprechender Reis­

Die Reiskocher der südkoreanischen

kocher, die erst einmal gegenseitig ihre Iden-

Marke Cuckoo sind im Übrigen keine beliebi-

tität feststellen, um dann sofort miteinander

gen Produkte. Sie gehörten in der Krisenzeit

Diese unheilige Trinität enthält eine ge-

in Streit zu geraten. Klingt ziemlich mensch-

zur Propaganda des neuen nationalen Auf-

meinsame politische Prognose: Die Vereinsa-

lich, auch wenn der Dialog der Geräte im Ver-

schwungs: Die Ware wurde politisch, als sich

mung des unter Druck gesetzten Individuums

lauf des Stücks implodiert und in unverständ-

die Politik den Prämissen der Wirtschaft er-

(Jaha Koo) und die Suspendierung freien künst-

liches Gedudel mündet.

gab. An diesem Punkt hakt auch Choy Ka Fai

lerischen Schaffens zugunsten einer Superkrea-

Richtig unheimlich an dieser ironi-

mit seiner Performance „Dance Clinic“ ein.

tivität (Choy Ka Fai) könnten zur „Ent-Setzung“

schen Maschinenperformance ist aber erst

Seine Klinik ist eine Parodie auf den Wirt-

ganzer Gesellschaften führen. //

ihre dokumentarische Ebene. Jaha Koo erzählt

schaftszweig des Enhancement, also der geis-

miteinander verwandt sind.

Helmut Ploebst


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Fausts Mittelfinger

Filmstill aus „Faust Sonnengesang III“. Foto Werner Fritsch

Der Schriftsteller Werner Fritsch über den dritten Teil seines monumentalen Filmgedichts „Faust Sonnengesang III“ im Gespräch mit Thomas Irmer Werner Fritsch, nach der Uraufführung beim

Mir scheint, der jetzt abgeschlossene Amerika-

welt in zwölf Stunden, worauf Leben und Er­

Faust-Festival 2018 in München erlebt Ihr Film

Teil ist autobiografischer und persönlicher.

innerung zurückkommen. Somit auch ein

„Faust Sonnengesang III“ am 4. Oktober in der

Das würde ich nicht sagen. Im zweiten Teil

Versuch, mit Faust zu den ältesten Zeichen

Brotfabrik jetzt seine Berlin-Premiere. Es han-

habe

vorzustoßen und sie wieder zum Sprechen zu

delt sich dabei um den dritten Teil einer groß

geschichte behandelt und an meine Großel­

angelegten Arbeit, der den Blick nun nach

tern in der Oberpfalz erinnert, die bei Kriegs­

Amerika richtet, sodass allmählich, nach der ­

ende in ihrem Haus vor den Augen ihrer

Wo geht die nächste Reise hin?

Ouvertüre und dem Teil über Europa, eine Karto-

Kinder erschossen wurden. Das hat mich seit

Nach Asien. Wenn man die sich öffnende

grafie des Faust-Projekts erkennbar wird. Wie

der Kindheit beschäftigt. Ich habe neulich

Faust als Ouvertüre nimmt und dann den drit­

kam es zu dieser Konzeption?

Aleida Assmann gefragt, ob es möglich ist,

ten Finger, also genau die Mitte.

Ich denke dabei – ausgehend vom deutschen

dass Räume ein eigenes Gedächtnis haben,

„Faust“-Stoff – an das Öffnen einer Faust mit

indem ihre Aura das Geschehen nie vergessen

Alle Teile zusammen werden einmal 24 Stunden

ihren fünf Fingern zu fünf Kontinenten hin.

lässt. Was ist persönlicher als eine solche

umfassen. Welche Qualitäten müssen Ihre Zu-

Jeder Finger ist in gewisser Weise Empfänger

Ahnenbeschwörung? Amerika ist dagegen ­

schauer mitbringen? Schlaflosigkeit?

und auch Sender. Das Empfangen und Sen­

eine Prägung anderer Art, die viel mehr im

Die größten Erlebnisse, die ich im Theater hatte,

den findet in fünf verschiedenen Medien

künstlerischen Erlebensbereich geformt wurde.

waren mehrtägige Aufführungen. Das Orgien-

ich

ausführlich

meine

Familien­

bringen.

Mysterien-Theater von Hermann Nitsch, die

statt: als Filmgedicht, als Hörgedicht, Teile als Theateraufführung, demnächst als Lang­

Es werden Wahlverwandte aufgerufen: Jimi Hen-

„Orestie“ von Ariane Mnouchkine, Wagners

gedicht in Buchform und am Ende auch als

drix, Laurie Anderson, Nico und bei ihr sitzt Jim

„Ring“. Wenn ein Stück nach zwei Stunden

multimediale Installation.

Morrison im Feuerschein. Das Verweben der

aus ist, kommt man doch erst richtig in einen

Faust-Reisen mit kulturellen Ikonen findet hier

Flow. Das will ich, diesen magischen Augen­

Was verstehen Sie unter einem Filmgedicht?

anders statt als in den vorangehenden Teilen.

blick, wo die Zeit sich aufhebt.

Es gibt da durchaus prominente Vorgänger,

Früher waren das Verbündete, die mit einem

etwa die cinepoems als experimenteller Film,

reden, die es mit einem gut meinen. Das wird

Flow ist sicherlich der zentrale Begriff, denn

allerdings ist bei diesen die Sprache nie so

ja immer seltener, dieser Moment des Zu­

Ihre Handkamera, die Sie auch als Faust-Keil

präsent wie in meiner Arbeit. Stan Brakhages

spruchs und der Kräftigung. Das finde ich

begreifen, schafft immer wieder über lange

„Dog Star Man“ zum Beispiel kommt ja sogar

heute vielleicht noch, wenn ich die Stimme

Strecken meditative Flimmerbilder, die keiner

ganz ohne Worte und Musik aus, wobei er den

Alexander Kluges höre.

mimetischen Abbildung folgen, sondern vor

den Gattungen betrachtet. Ich setze dagegen

Kontrastiert werden diese Ikonen mit apokalyp-

­lassen.

einen starken Akzent auf die Tonspur mit Mu­

tischen Bildern vom Mount Rushmore, dessen

Ich möchte dem Zuschauer den Raum lassen,

sik, Soundeffekten und meinen Texten.

riesige, in den Fels geschlagene Präsidenten-

durch meine Bilder hinweg eigene Bilder evo­

porträts für ein kritisches Amerikabild stehen …

zieren zu können. Unsere konventionelle

Diese Texte haben zum Teil schon ein Eigen­leben

… in das Mephisto sich in einer Francis-­

Filmdramaturgie ist auf Spannung gebaut,

auf der Bühne und im Hörspiel geführt. Nun wer-

Bacon-haften Verzerrung einreiht und als Im­

die einen zwingt, das zu sehen, was der Film

den sie in einen neuen Zusammenhang gebracht.

mobilienmakler unterwegs ist …

zeigen will. Ich aber möchte Entspannung er­

allem viel Raum für eigene Assoziationen

Film selbst als Ausdruck dieser anderen bei­

Was passiert, wenn ich die Augen schließe

möglichen. Im alten Ägypten gab es die Un­

und diesen faustischen Augenblick anrufe?

Ist denn das Motiv der Reise um die Welt tat-

terscheidung zwischen schwarzer und weißer

Da sind die Filme, die ich schon gemacht

sächlich die Hauptanalogie zum zweiten Teil

Magie. Schwarze Magie ist die Manipulation

habe, zusammen mit den Texten in gelebten

von Goethes „Faust“?

des anderen. Die weiße Magie will, dass man

Augenblicken und Tagträumen. Wenn man so

Das ist ein wichtiger Aspekt. Sonnengesang

zu sich kommt. Ein Versuch, Faust mit weißer

will, sind diese Texte die Highlights der eigenen

bezieht sich indes auf das ägyptische Toten­

Magie in die Welt und zu den Zuschauern zu

Produktion in dieser filmischen Bewegung.

buch: die Reise der Sonne durch die Unter­

schicken. //


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magazin

/ TdZ Oktober 2018  /

Ein Riss, der durch die Welt geht Annekatrin Hendels Dokumentarfilm „Familie Brasch“ zeigt eine zerrissene Familie in den Widersprüchen ihrer Zeit

Die Familie Brasch – Klaus, Peter, Marion, Gerda und Thomas. Foto Salzgeber&Co

Vor einer klassizistisch anmutenden Kulisse

Hendel collagiert für „Familie Brasch“ Auf­

ist eine Personengruppe versammelt, man­

nahmen von Interviews, Auszüge aus dem

che stehen, manche sitzen, dazu ein impo­

Hörbuch von Marion Braschs Familienroman

santer Hund. Sie sind verschiedenen Alters.

„Ab jetzt ist Ruhe“, historische Fotografien,

Die meisten blicken den Betrachter an. Doch

Film- und Tonaufnahmen sowie Mitschnitte

ein Schatten liegt über der Szenerie, eine

von den am Deutschen Theater Berlin gezeig­

davon. Ein Staat, den sein Vater Horst Brasch

eigentümliche Spannung erfüllt sie. Ein äl­

ten Theaterabenden „Die Brüder Brasch“ und

mit aufgebaut hatte, als er als jüdischer Kom­

terer Herr zeigt mit energischer Geste auf

„Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin –

munist mit katholischer Erziehung aus der

einen jüngeren Mann, der die Arme ausbrei­

Ein Abend für Thomas Brasch“. Marion Brasch,

Emigration zurückgekehrt war. 1946 gründete

tet. Ein Streit? Gar Zerwürfnis? Zu sehen ist

mit Volksbühnen-Shirt in New York, berichtet

er zusammen mit Erich Honecker die FDJ,

die Familie Brasch auf einem Gemälde von

aus der Innenperspektive. Dazu kommen Ge­

schickte seinen ältesten Sohn gegen dessen

Leif Heanzo. Immer wieder begegnet das

liebte, Freunde und Weggefährten zu Wort:

Willen auf eine Kadettenschule und zeigte

Bild dem Betrachter in dem Dokumentarfilm

Die Sängerin Bettina Wegner, Christoph Hein,

ihn wegen des Verteilens von unerwünschten

„Familie Brasch“. Nach und nach ver­

Katharina Thalbach und viele andere. Bemer­

Flugblättern höchstselbst bei der Polizei an.

schwinden die gestorbenen Protagonisten

kenswert ist ein Kommentar von Florian Have­

Das sind Konflikte mit furchtbaren Folgen.

aus der Szene, sie hinterlassen nur den

mann, der einst zusammen mit Thomas Brasch

Horst und Thomas Brasch sind es auch, die

Blick in den immer leerer werdenden Raum.

Flugblätter gegen den Einmarsch der Truppen

auf dem eingangs erwähnten Gemälde heraus­

Es bleibt die Erinnerung. Die Filmemacherin

des Warschauer Paktes in die Tschechoslowa­

stechen.

Annekatrin Hendel hat sich der Geschichte

kei verteilt hatte und daraufhin inhaftiert wor­

Von der Härte und Kälte der Eltern ist

der Familie Brasch angenommen, angefan­

den war. Havemann hat kein Interesse, sich

im Film die Rede. Das mag auch an den von

gen vom Ehepaar Horst und Gerda über die

als Opfer eines nicht mehr existierenden

ihnen gemachten Erfahrungen liegen. Die

Kinder Thomas, Klaus, Peter, Marion und

Staates zu inszenieren, sondern verweist dar­

Mutter Gerda wurde in Wien von den Nazis

deren Tochter Lena, und hat so auf die ihr

auf, dass man gehandelt und dafür Konse­

gezwungen, auf allen vieren kauernd die Straße

eigene, behutsame Weise das Porträt von

quenzen getragen habe.

mit einer Zahnbürste zu putzen, zur Erheite­

Menschen in zerrissenen Zeiten geschaffen.

Handelnde Personen zu zeigen, die sich

rung derer, die bereit waren, Juden noch ganz

Hendel hat in den vergangenen Jahren ge­

innerhalb verschiedentlicher Zwänge verhal­

andere Behandlungen zukommen zu lassen;

zeigt, dass man sich der Geschichte der DDR

ten, das ist das Anliegen des Films. So ist

davor rettete sie die Flucht ins englische Exil,

ohne reißerische Mittel nähern kann, wenn

man selbst aufgefordert, die gezeigten Hal­

wo sie Horst Brasch kennenlernte. Der Film zeigt

man sich denn für gesellschaftliche und his­

tungen und Handlungen zu überprüfen; das

eine Familiengeschichte, durch die ebenso

torische Widersprüche interessiert. Das war

hebt sich wohltuend von einfältigen Dämoni­

ein Riss geht wie durch das Jahrhundert und

schon bei Hendels Filmen über Literaten so,

sierungen ab. Stattdessen ahnt man etwas

den Einzelnen. Dass Hendel dies durch die

die für das Ministerium der Staatssicherheit

von der Tragik großer geschichtlicher Wider­

Protagonisten selbst erzählen lässt und nicht

der DDR inoffiziell tätig waren: „Vaterlands­

sprüche. Thomas Brasch schrieb 1989 an

äußerliche Thesen heranträgt, macht ihren

verräter“ (2011) über den kürzlich verstor­

seinen im Sterben liegenden Vater mehrere

Film zu einem gelungenen. //

benen Schriftsteller Paul Gratzik und „An­

Briefentwürfe. Er wolle den Staat, in dem er

derson“ (2014) über Sascha Anderson. Es

nicht leben konnte, den er verlassen musste

sind Filme, die auf Ambivalenzen statt pau­

und in dem er sein Herz gelassen habe, trotz­

schale Verurteilungen setzen.

dem nicht untergehen sehen, heißt es in einem

Jakob Hayner


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/ TdZ  Oktober  2018  /

Baggerfahrer in wüster Landschaft Der Schauspieler und Sänger Alexander Scheer ist das Ereignis in Andreas Dresens Film „Gundermann“ Alexander Scheer oder Gerhard Gundermann? – In Andreas Dresens Film über den disparaten DDR-Künstler ist das kaum zu unterscheiden. Foto Peter Hartwig

wahrscheinlich

der offenbar zu den nach der Wende gut Ange­

nicht der interessanteste Künstler aus der

kommenen gehört. Der Theaterkünstler mit sei­

DDR, an den man erinnern sollte. Erst nach

ner dicken Akte, fein säuberlich im Leitzordner

deren Ende wurde der Liedermacher zu einer

verstaut, ist, anders als andere, im Bilde über

Figur, die sich praktisch aus ihrer Vergangen­

Gundermann und zu keinerlei Nachsicht be­

heit heraus auf widersprüchliche Weise mit

reit. Das Drehbuch von Laila Stieler (einst Ko-

den verschiedensten Anschlussmöglichkeiten

Autorin von Dresens Debütfilm „So schnell es

Es gibt im Film, und das verkörpert Scheer

entfaltete. Eine der Identifikationsfiguren ist

geht nach Istanbul“ an der Babelsberger Film­

ebenso großartig, auch den Gundermann der

der aus dem geschundenen Lausitzer Braun­

hochschule) stellt hier den Zuschauern die

Arbeitswelt, der bei einer erfahrenen Bagger­

kohlenrevier stammende Gundermann, der

spannende Frage „Wie würde ich mich ver­

pilotin (Eva Weißenborn) lernt, sich durch

als Chef der Band Die Seilschaft mit Bruce

halten?“ – und zwar raffinierterweise für beide

Betriebsversammlungen schnoddert und ei­

Springsteen als Vorbild in gefühligen Texten

Figuren. Der sich rückwärts verwickelnde Held

nem hohen Parteifunktionär ob der Missstän­

das Pathos der DDR-Rock-Lyrismen, samt ih­

wird so unter der wichtigen Frage durch den

de im Braunkohlerevier die Stirn bietet. Gran­

rer großen Metaphern vom Leben an sich, mit

ganzen Film geführt, wie sein Handeln mora­

dios sind die Tagebaubilder, die die Kamera

der eigenen Erfahrung als Baggerfahrer in

lisch zu bewerten ist.

von Andreas Höfer in einer leuchtenden Jeff-

Gerhard

Gundermann

ist

den wüsten Landschaften verknüpft. Das war

Wer Gundermann wenig oder gar nicht

Wall-Ästhetik zeigt. Das Zermahlen der Land­

ein Osttrotz, der in den neunziger Jahren

kannte, hat nun seinen schauspielerischen

schaft steht als Bild auch für die DDR-Welt,

selbst ins ARD-Radio ausstrahlte und wegen

Doppelgänger unvergesslich auf der Leinwand.

die Gundermann in seinen melancholischen

seiner sensiblen, auch in der Literatur damals

Alexander Scheer ist das Ereignis des Films.

Texten aufruft.

nur selten vernommenen magischen Poesie

Die linkischen Bewegungen, das Nesteln an

Ein solcher Film über die Spätzeit der

des Alleinseins viele ansprach. Andererseits

der Siebziger-Jahre-Großrahmenbrille, der ei­

DDR wird in seiner Glaubwürdigkeit letztlich

war Gundermann wirklich ein Tölpel, der sich

gens eingeklebte schiefe Zahn, mit dem er

auch an seiner Ausstattungsauthentizität ge­

an der Oberschule zur Ausbildung als Politof­

eine ganz eigene Mimik entwickelt, die Gun­

messen. Da gebührt Susanne Hopf ein ganz

fizier bei der NVA überreden ließ und später

dermann-Songs, die er selbst singt, die eigen­

großer Kranz. Als Beispiel sei nur die Neu­

als überzeugter, aber unangepasster Kommu­

tümliche Dialektverschmelzung (in Thüringen

bauhöhle mit ihrem Schrankwand-Pokalnip­

nist gegen den DDR-Schlamassel sogar um

geboren, dazu das Brandenburgisch-Sächsi­

pes genannt, in die sich der schlaganfallver­

sein SED-Parteibuch kämpfte. Da ist er schon

sche Mischmasch der Niederlausitz) – das ist

sehrte Führungsoffizier (ein abgründiger Axel

als IM angeworben und liefert – was der

alles sehr genau gearbeitet und zugleich zum

Prahl) nach der Wende zurückgezogen hat.

­Gundermann in dem neuen Film von Andreas

Hinknien. Scheer glaubte ja mitunter, dass er

Gundermann besucht ihn, wie anfangs den

Dresen sichtlich bedauert.

eigentlich bei den Rolling Stones und nicht am

Puppenspieler: vergeblich. Das Stasi-Thema

Wie nur wenige damals suchte Gunder­

Theater sei. Vor allem bei Castorf aber machte

ist zudem eingebettet in die Erinnerung an

mann die einst Bespitzelten persönlich auf,

er in den letzten zehn Jahren immer wieder

die damals aggressiv vorgetragenenen An­

und das gibt dem biografischen Film eine

große Sprünge. Nun konnte er all das in einer

schuldigungen gegen Christa Wolf und Heiner

überzeugende

Grundlage,

reifen Rolle vereinen. Auch die Gags sitzen:

Müller, die im Hintergrund kurz mit den

Gundermanns Leben in zum Teil sprunghaf­

Als Gundermann Bob Dylan trifft (der echte

Nachrichten aus einem Fernseher einfließen.

ten Rückblenden zu erzählen. Gleich die ers­

Gundermann war tatsächlich einmal als Vor­

Auch das gehört zu der Genauigkeit dieses

te Szene zeigt ihn beim Geständnisbesuch

band ausersehen), hat er diesem nur mitzu­

großen, schönen Films. //

bei einem Puppenspieler (Thorsten Merten),

teilen, dass Springsteen der Größte sei.

dramaturgische

Thomas Irmer

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Nomen est omen? Sönke Wortmanns Verfilmung des französischen Theaterstücks „Der Vorname“ verliert sich in platten Klischees Hauptsache an der frischen Luft – Iris Berben in „Der Vorname“. Foto Constantin Film

In einer Zeit, in der Rechtsextreme auf die

Erstgeborener heißen, ohne „ph“, ohne Ak­

Straße gehen und den Hitlergruß zeigen,

zent, gibt Thomas bei einem Treffen unter

scheint Sönke Wortmanns neuer Film „Der

Freunden bekannt. „Wie Adolf Hitler?“, bleibt

Vorname“, ein Remake des französischen Ge­

Stephan (Christoph Maria Herbst) das Essen

heimtipps „Le Prénom“, genau zum richtigen

fast im Hals stecken. Exakt so. Namenswahl

Chance, ein künstlerisches Plädoyer für

Zeitpunkt über die Leinwände zu flimmern.

als politisches Statement, das den negativen

emanzipatorische Selbstbestimmung zu halten.

Darf man sein Kind Adolf nennen? Oder an­

Beigeschmack konsequent zu eliminieren

ders gefragt: Ist der Name Adolf ein Zeichen

versucht.

Die toughe Geschäftsfrau des franzö­ sischen Originals, die dem Diskussionseifer

gegen oder für den Nationalsozialismus? Und

Wo es in der französischen Verfilmung

ihres Schwagers auf Augenhöhe begegnet,

wer mythisiert Hitler eigentlich? Die furcht­

wirkt, als lasse sich der Schauspieler Patrick

verkommt bei Wortmann und seinem Dreh­

samen Verdränger, die beim Aussprechen des

Bruel in seiner Rolle als zukünftiger Vater zu

buchautor Claudius Pläging zu einer erfolg­

bloßen Namens zusammenzucken und Hitler

einem Dummejungenstreich hinreißen, der völ­

losen Möchtegern-Schauspielerin, die auf

zu einer „Ikone des Bösen“ erheben, wie

lig aus dem Ruder läuft, fährt das deutsche Ge­

den großen Durchbruch wartet und derweil

Wortmanns Filmfigur Thomas (Florian David

genstück andere Geschütze auf: Florian David

von ihrem Mann finanziert wird. Der Film ver­

Fitz) es bezeichnet, oder rechte Sympathisan­

Fitz lockt das Gegenüber durch seine provo­

sucht sich in einem Angriff auf abgedroschene

ten, die den Namen gar nicht laut genug her­

kante Coolness gekonnt aus der Reserve, als

Stereotypen („Ich bin also schwul, weil ich ab

ausbrüllen können?

for­ dere er den Wutausbruch seines Schwa­

und zu orangefarbene Hemden trage?“, fragt

gers Stephan geradezu diabolisch heraus.

Justus von Dohnányi in seiner Rolle als René

Um diese Fragen kreist das französi­ sche Salonstück von Matthieu Delaporte und

Trotzdem zeichnen sich Wortmanns

entgeistert), verliert sich jedoch gerade in sei­

Alexandre de la Patellière, das 2010 in Paris

Figuren nicht gerade durch Tiefgang aus, ­

ner Figurenzeichnung selbst darin. Und wäh­

zur Uraufführung kam und 2012 verfilmt

wenn der Schlagabtausch zwischen Thomas

rend die französische Version deutlich an

wurde. Irgendwo zwischen gesellschaftskriti­

und Stephan in ein testosterongeladenes,

­Brisanz gewinnt, wenn es um die Frage geht,

scher Komödie, politischem Stimmungsbild

intellektuelles Alphatiergehabe abzudriften ­

wer denn nun in Elternzeit geht, schlittert das

und Familiendrama oszillierend, erinnert es

droht. Besonders Stephan wirkt in seiner

deutsche Pendant in eine peinliche Kausal­

in seiner Anlage stark an Yasmina Rezas „Der

ewigen Pedanterie ungewollt komisch, vor ­

kette: Berufliche Erfolglosigkeit führt zu

Gott des Gemetzels“ oder „Geächtet“ von

allem aber hoffnungslos überzeichnet. Da­ ­

Mutterschaftsurlaub auf unbestimmte Zeit. ­

Ayad Akhtar. Leider fehlt der deutschen Ver­

durch haftet den Diskussionsbeiträgen immer

Auf eine kritische Reflexion oder ein süffisan­

filmung die Leichtigkeit, mit der das französi­

eine gewisse Lächerlichkeit an, sodass sie

tes Zwinkern wartet man vergeblich.

sche Pendant durch den Abend führt. Wäh­

genauso zäh wirken wie der Kaugummi zwi­

Am Ende gibt es eine gute und eine

rend Vincent (in der deutschen Fassung

schen Annas Zähnen. Janina Uhse spielt

schlechte Nachricht. Die schlechte ist, der Film

Thomas) kokett und mit Charme rekapituliert,

­Thomas’ Frau Anna als primitives Dummchen,

hat seine Schwächen, die gute, Wortmann

wie die Liebe zu seiner Frau Anna bei Gesprä­

deren Vokabular sich auf Adjektive wie „geil“,

macht einen Cut, bevor der Name des Neugebo­

chen über den romantischen Helden Adolphe

cool“ und „krass“ zu beschränken scheint.

renen feierlich verkündet wird. Und da ist es

des gleichnamigen Romans von Benjamin

Als Stephan seiner Schwägerin auf dem Höhe­

endlich: das langersehnte Zwinkern, das man

Constant begann, verzichtet Wortmann ge­

punkt seines verbalen Rundumschlags an

sich beim Regisseur das eine oder andere Mal

trost auf den pseudointellektuellen Kitsch der

den Kopf schmet­tert, sie sei „der fleischge­

so sehr gewünscht hätte, wenn Thomas uns als

Bildungsbürgerelite und begibt sich von vorn­

wordene Beweis dafür, was beim Bildungs­

frischgebackener Vater keck von der Leinwand

herein auf politisches Terrain. Adolf solle sein

auftrag schiefläuft“, verspielt Wortmann seine

zublinzelt. //

Angelika Meyer-Speer


/ TdZ  Oktober  2018  /

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Sonny Boy Prinzipiell nicht ohne Humor – Ein Nachruf auf Neil Simon, den König des Broadway Nach Tantiemen gerechnet, war er der erfolg­ reichste amerikanische Dramatiker aller Zeiten. 1966 liefen, ein weiterer Rekord, vier Neil-­ Simon-Stücke gleichzeitig am Broadway, wäh­ rend das süffige Boulevardfutter mit garantiert hoher Lachfrequenz auch in Europa und an deutschen Bühnen die Kasse klingeln ließ und so gut wie jedes seiner großen Stücke in Holly­ wood verfilmt wurde. So richtig diese Sicht auf den kommerziell erfolgreichen Komödien­ schreiber ist, so unvollständig ist sie aber auch. Denn Neil Simon, 1927 in der Bronx geboren und in Manhattan aufgewachsen, ­gehörte einer Generation von jüdisch-ameri­ kanischen Autoren an, die ab den fünfziger Jahren in der Literatur und im Theater ton­ angebend wurden. Zu ihr zählten Saul Bellow, Bernard Malamud, Arthur Miller und nicht zuletzt Philip Roth, mit dessen Werk die Stücke Simons einiges gemein haben. Diese Autoren begleiteten und beschrieben den Aufstieg der jüdischen Mittelklasse, wobei sie noch die Am Broadway zuhause – Neil Simon (Mitte) mit dem damaligen New Yorker Bürgermeister Ed Koch (links) und Schauspieler Matthew Broderick (1983). Foto dpa

Großeltern aus Europa im Ohr hatten sowie

heit und in dem seinen Armeedienst erin­

die Große Depression der dreißiger Jahre und

nernden „Biloxi Blues“. Da war er längst ein

das Schicksal ihrer Eltern in der Erinnerung.

Klassiker, der mit „Barfuß im Park“ (1963)

Die Ankunft im Wohlstand, was hieß, im

seinen ersten großen Verfilmungshit (mit Ro­

Nachkriegsamerika als Arzt, Rechtsanwalt

bert Redford) gelandet hatte und dessen

oder Künstler zu arbeiten, verlief nicht bruch­

„Odd Couple“ („Ein seltsames Paar“, konge­

los. Die nostalgische Verklärung der jüdischen

niales Kino mit Jack Lemmon und Walter

Figurenkomik hier heutzutage längst verloren­

Herkunft und das Ausprobieren von neuen

Matthau) zahlreiche länderspezifische Adap­

gegangen ist – oder aber fälschlich als Boule­

Lebensweisen in den sechziger Jahren mün­

tionen generierte. Im deutschen Theater wur­

vard geschmäht wird.

deten – wie bei den Figuren Philip Roths – in

den besonders die „Sonny Boys“ geschätzt,

Als Bill Clinton für seinen Präsident­

einen Seelenslapstick, an dem sich dann vor

zwei herrliche Entertainer-Altersrollen zu dem

schaftswahlkampf Hollywood um sich schar­

allem Woody Allen für seine frühen Filme be­

subkutanen Thema, ob nicht früher alles bes­

te, war auch Neil Simon mit dabei. Das Ange­

diente. Simons Komödienfiguren wurzeln in

ser war: die Spielkunst, das Publikum, der

bot, als running mate, also Mitkandidat, mit

dieser Mentalität, die freilich in New York City

Schwung der alten Gags. Hier ist Simons

einzusteigen, soll er, ganz Theatermann, mit

ihr Zuhause hatte, aber auch weit entfernt

Nostalgiethema in Reinform vorhanden. Le­

der Begründung abgelehnt haben, dass er im

von diesen Milieus verstanden wurde. Die

gendär die Inszenierung mit Harald Juhnke

November immer ein neues Stück für die Ur­

Neurosen der Mittelklasse sind schließlich

am Theater am Kurfürstendamm 1993, erin­

aufführung am Broadway zu betreuen hätte.

universell.

nerungswürdig auch die mit Christian Grashof

That’s Entertainment!

Am eindrucksvollsten hat Simon diese

2005 am Deutschen Theater Berlin. Eine

Herkunft in einigen autobiografischen Stü­

gute deutsche Simon-Inszenierung erinnert

cken in den 1980er Jahren geschildert, in

auch immer daran, dass diese Tradition des

„Brighton Beach Memoirs“ über seine Kind­

Wortwitzes für eine psychologisch grundierte

Neil Simon starb am 26. August 2018 in Manhattan. // Thomas Irmer


magazin

/ TdZ Oktober 2018  /

Hanno Rauterberg. Foto privat

/ 80 /

Stellung bringt, haben das bürgerliche Kunst­

seinen Intellekt weiterbilden musste, anstatt

verständnis samt Kunstfreiheit immer wieder

seinen wilden und gefährlichen Instinkten

angegriffen und sich oft konsequent auf

nachzugehen“, schreibt Stephen Parker über

der Seite der Anti-Kunst, politischen Kunst

einen Wendepunkt in Brechts Leben im Som­

oder Populärkultur verortet. Erst in Wechsel­

mer 1925 und fährt fort: „Kritiker und Bio­

wirkung mit einem ordentlichen öffentlichen

graphen haben diesen entscheidenden Mo­

Skandal konnte ihr Anspruch gesellschafts­

ment in Brechts Leben nicht angemessen

zersetzender Wirkkraft als eingelöst gelten.

erfassen können, weil ihnen die grundsätz­

Ist das „Neue“ also wirklich die öffent­

liche Problematik von Brechts körperlichem

liche Erregung und Politisierung – der Kultur­

Dilemma entgangen ist. (…) Probleme wie

kampf –, oder handelt es sich nicht vielmehr

Brechts Aneignung des Marxismus, wichtig

um ein Problem aufseiten der Kunstprodu­

wie sie sind, hatten Vorrang vor der Frage, wel­

zenten, Sammler, großen Kunstinstitutionen

che Konsequenzen sein problematisches Ver­

und bürgerlichen Kunstrezensenten, für die

hältnis zu seinem Körper auf seine geistige

Kunstfreiheit letztlich Widerspruchslosigkeit,

und künstlerische Entwicklung und auch auf

sicheres Investment, sichere Arbeitsplätze

seine Beziehung zu anderen Menschen hatte.“

und bedingungslose gesellschaftliche Hoch­

Das ist die Kernthese dieser neuen

achtung, also Besitzstandswahrung bedeutet?

Brecht-Biografie, und man fragt sich: Worin

Diese Option klingt bei Rauterberg durchaus

bestand denn Brechts Körperdilemma, das

an, dennoch wird bei allem Abwägen als

alle anderen Biografen übersehen haben und

Schuldige letztendlich eine „sich selbst hy­

das angeblich so wichtig für sein Werk war

Hanno Rauterberg rührt mit seinem Essay

sterisierende Öffentlichkeit der Digitalmoder­

wie der Marxismus? Parkers Antwort: Brecht

„Wie frei ist die Kunst?“ an ein Thema, das

ne“ ausgemacht.

hatte es schwer mit Herz und Nieren, und

Kunst und Hysterie

gerade in den letzten Jahren die Feuilletons

Im Fall Dana Schutz und Sam Durant,

zwar sein ganzes Leben lang. Also Körper-

beschäftigt hat. Über weite Teile gleitet der

die im Essay als prominente Opfer des neuen

krampf statt Klassenkampf? Eine postdrama-

Essay geschmeidig vom halbherzigen Einer­

Kulturkampfs besprochen werden, bleibt die

tische Lesart, um ein bisschen Aufsehen zu

seits hinüber zum Andererseits. Bei aller

Kritik am moralisierenden Eingriff von „politi­

erregen und das Buch besser zu verkaufen?

Mühe, die sich Rauterberg gibt, als selbst

scher Korrektheit“ oder „Identitätspolitik“

So einfach ist die Sache nicht.

nicht

dem

seltsam verkürzt, wenn sie nicht mit dersel­

Stephen Parker, Germanistikprofessor

Schlachtfeld zu schweben: Das Festhalten am

ben Schärfe den moralischen Anspruch der

in Manchester und durch seine Biografie über

bürgerlichen Kunstbegriff und die Genervtheit

Werke selbst seziert. Beide meinten, auf die

Peter Huchel als Kenner ostdeutscher Nach-

von der viel beschworenen „politischen Kor­

Verbrechen gegen marginalisierte Bevölke­

kriegsliteratur ausgewiesen, hat sich intensiv

rektheit“ lassen sich durchaus ausmachen.

rungsgruppen aufmerksam zu machen, in­

mit Brechts Krankengeschichte beschäftigt

In eine ähnliche Kerbe schlägt die obligatori­

dem sie Symbole des Leids der Anderen zu

und ihre Spuren in Leben und Werk einer

sche Rede von der Neuheit des Kulturkampfs.

ihren Kunstwerken verarbeiteten.

akribischen Diagnose unterzogen. Er tut das

verorteter

Beobachter

über

Die alarmistische Konzentration auf das Neue

Letztendlich soll es eben der allgemei­

aber ohne jenen akademisch-auftrumpfenden

am Schlechten lässt wiederholt das Bild von

ne Wert der Kunstfreiheit sein, den es zu ver­

Ton, mit dem seine Kollegen ihren Vorgängern

einer unproblematischen Vergangenheit der

teidigen gelte, nicht aber das einzelne Werk.

gern nachweisen, das Thema ein Leben lang

„freien“ Kunst aufscheinen. Im Rückblick auf

Was bleibt, ist die Frage, ob die Kunstfreiheit

verfehlt zu haben. Durch seine gründliche

die von Rassismus, Imperialismus, kapitalisti­

unter Absehung von spezifischen Kunstwer­

und kombinatorisch scharfsinnige Lektüre

scher Ausbeutung und Kriegen geprägte Ge­

ken verteidigt werden kann oder ob sie als

des literarischen Werks, der Journale und

schichte des 19. und 20. Jahrhunderts ist

abstrakte Größe nicht vielmehr zur Mobilisie­

Briefe sowie der Erinnerungen sämtlicher

das schwer nachvollziehbar. Gerade Künstler

rung gegen eine vermeintlich alles ersticken­

Brecht-Freundinnen und -Freunde gelingt

der guten alten Moderne, die Rauterberg als

de „politische Korrektheit“ dient und so auf

Parker ein komplexes Persönlichkeitsbild,

Kontrastmittel gegen die „Digitalmoderne“ in

ihre Weise zur problematisierten Selbsthyste­

das tatsächlich neue Blickwinkel auf das

risierung der Öffentlichkeit, nur eben auf der

­Leben des Stückeschreibers eröffnet.

Hanno Rauterberg: Wie frei ist die Kunst? – Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus. edition suhrkamp, Berlin 2018, 141 Seiten, 14 EUR.

anderen Seite, beiträgt. //

Luise Meier

Besonders eingehend widmet sich das Buch den Kindheits- und Jugendjahren und

Neues vom Hydratopyranthropos

geht den Prägungen Brechts durch frühe Krankheits- und Todeserfahrungen nach. Dabei be-

„Gerade mal 27, aber über alle Maßen fragil,

zieht er stets das historische und künstlerische

hatte Brecht einen Punkt erreicht, wo er sich

Umfeld ein und zeichnet ein höchst lebendiges

eingestehen musste, dass er in Zukunft wie

Bild von Familie, Freundeskreis und Zeitgeist

ein vernünftiger älterer Mann innerhalb selbst

gegen Ende des wilhelminischen Deutschland.

gewählter Grenzen zu leben hatte, dass er auf

Vor einem weitgespannten Horizont

sein körperliches Wohlergehen aufpassen und

aus europäischer Kultur- und Sozialgeschich-


bücher

/ TdZ  Oktober  2018  /

te lässt Parker das Drama des jungen Brecht

ein äußerst komplexer Künstler, der die Welt

beginnen und führt es so detailgenau wie un-

durch einen deutlich funktionsgestörten Or-

terhaltsam von Augsburg und München nach

ganismus erfuhr“, lautet Parkers Diagnose.

Berlin, über die Jahre der Weimarer Republik

Es ist das Verdienst seiner Biografie, diese

ins Exil und bis zur Rückkehr in das zerstörte

Komplexität neu zur Diskussion gestellt zu

und geteilte Deutschland, in dem Brecht

haben. Die „Deutsche Misere“, von Marx und

noch vor seinem frühen Tod der Abstieg in

Engels beschrieben und von Brecht und sei-

den Ruhm und der Aufstieg zum gefeierten

nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf

und geschundenen Klassiker gelingt.

die Bühne gebracht, ist immer noch nicht Ge-

Stephen Parker zeigt einen Mann, der

schichte. Es sieht danach aus, als würde sie

sich von Kindheit an bewusst war, dass er mit

vor unseren Augen auf eine neue Katastrophe

einem Bein im Grab stand, und diese bedroh-

zusteuern und Brechts Stücke wieder so ge-

liche Lage mit Kunst auszubalancieren ver-

genwärtig machen wie zu den Jahren ihrer

suchte. Mit Gedichten, Theaterstücken und

Entstehung. //

„Landschaft mit entfernten Verwandten“. Festschrift für Heiner Goebbels. Hg. von Lorenz Aggermann, Eva Holling, Philipp Schulte, Bernhard Siebert, Gerald Siegmund und Katharina Stephan. Neofelis Verlag, Berlin 2018, 290 Seiten, 28 EUR.

Holger Teschke

Theorien, aber auch mit Frauen, schnellen Autos und poetischen Provokationen. Diese

Der Band ist keine Goebbels-Werkschau, keine

legten sich aber oft wieder auf Herz und

Den Zeitraum formen

Nieren und beschleunigten die Berg-und­

„Tja. Das ist das Ende meiner Geschichte.“

die laut Leander Ripchinsky und Maximilian

Tal-Fahrt zwischen Erfolgsrausch und Todes-

Ein einsamer Cowboy eröffnet diese Fest-

Zahn eben keine „HG-Ästhetik-Schmiede“

angst in riskantem Tempo. Brecht selbst hat

schrift voller Erinnerungen, Bilder und wis-

geworden sei – und keine rein wissenschaftli-

die Ursprünge dieser Erfahrung in Form von

senschaftlicher Beiträge, die unter dem Titel

che Abhandlung (wobei es an Positionen ge-

Erinnerungscollagen festgehalten und in den

„Landschaft mit entfernten Verwandten“ zur

genwärtiger Theaterforschung neben den er-

„Flücht­ lingsgesprächen“ versteckt, wo der

Emeritierung von Heiner Goebbels am Gieße-

wähnten Autoren wahrlich nicht mangelt,

geflüchtete Physiker Ziffel dem Arbeiter Kalle

ner Institut für Angewandte Theaterwissen-

u. a. von den Herausgeber sowie von André

aus seinen Memoiren vorliest. Eine freie

schaft (ATW) erschienen ist. Was der post­

Eiermann, Helga Finter, Stefan Hölscher und

­Assoziation aus Kinderspielen, sexuellen Fan-

heroische Cowboy aus der Performance „Live

Bojana Kunst). Vielmehr handelt es sich um

tasien und Augenblicken der Todesangst, die

Tonight!“ des Ex-Gießener Kollektivs Monster

ein Erinnerungsalbum mit Rück-, Voraus- und

an Joyce und Dos Passos erinnern. Kalle ist

Truck beginnt, setzt sich fort: Die Lesenden

Seitenblicken. Nicht zuletzt tragen zu diesem

beeindruckt und fragt: „Wie machen Sie das,

werden mitgenommen in eine Vielzahl ver-

Eindruck das ausgefallene Querformat und

daß das zusammengeht?“ Ziffel antwortet:

gangener und neuer Geschichten, die sich

die hochwertigen farbigen Abbildungen bei.

„Ich arrangiere. Aber mit dem Material.“ Die-

um das vielfältige Schaffen von Goebbels

Was den Band inhaltlich ansprechend macht,

ses dramaturgische Verfahren hat Parker von

gruppieren, der eben nicht nur Hochschulleh-

sind die Vielfalt der Beiträge und zugleich die

Brecht übernommen, und dadurch gelingt es

rer und Präsident der Hessischen Theateraka-

subtile Dramaturgie bei Verzicht auf ein In-

ihm, dessen Kampf mit seinem geschwäch-

demie war, sondern auch Komponist, Regis-

haltsverzeichnis Dazu zählen auch die Um-

ten Körper und gegen Ausbeutung und Ge-

seur und Musiker ist sowie von 2012 bis

schlagabbildung, die den Blick aus Goebbels’

waltherrschaft als einander ergänzend darzu-

2014 die Ruhrtriennale leitete.

Büro auf Bäume und Rasen des Gießener

Einführung in die „Heiner-Goebbels-ATW“ –

stellen. Der „Hydratopyranthropos“, also der

Dass Goebbels zum neuen und eigen-

Unicampus zeigt, sowie die Bezugnahmen

Wasser-Feuer-Mensch, als den Caspar Neher

ständigen Denken aufforderte, statt auf ein so-

der Beiträge untereinander, in denen die für

seinen Freund Brecht gezeichnet hat, wird so

genanntes Handwerk zu vertrauen, wird insbe-

Goebbels wesentlichen Themen auftauchen:

in seiner inneren und äußeren Widersprüch-

sondere in den Gedanken und Grüßen seiner

Abwesenheit, Polyfonie, die Heterogenität der

lichkeit sichtbar. Parker widerspricht auch

ehemaligen Studierenden deutlich (darunter

Elemente, der Eigensinn des szenischen Mate-

dem Bild des skrupellosen Rationalisten, der

u. a. die Künstler und Gruppen: Auf­trag:Lorey,

rials, die Abkehr vom Psychologismus (Stich-

seine Mitarbeiter wie seine Stückfiguren ma-

Alexander Giesche, Herbordt/Mohren, Mobile

wort: die Zwiebel, die Goebbels verteilt, „wenn

nipulierte, um zu kalt berechneten Effekten

Albania, Boris Nikitin, Rimini Protokoll, SKART,

ich möchte, dass ein Schauspieler weint“) und

und Erfolgen zu kommen. „Brecht war kein

Swoosh Lieu und Susanne Zaun). Hinter dieser

vor allem eine Arbeitsform in Kollektiven.

systematischer philosophischer Denker, eher

Aufforderung zur Offenheit stehen eine Utopie

Das muss und kann sich nicht allen

und ein politischer Einsatz, wie viele der Beiträ-

Lesenden sofort erschließen, doch umso viel-

ge oft en passant zeigen. Ein Einsatz, der sich

schichtiger zeichnet sich dann für diejenigen,

durchaus als Gegenmodell zum Glauben an den

die sich auf Streifzüge durch diese Landschaft

sogenannten Realismus verstehen lässt: als Ar-

einlassen, ein Eindruck von Goebbels’ ver-

beit an der Form, „als formale Öffnung“, wie

schiedenen Wirkkreisen, Einsätzen und Inter-

Philipp Schulte hervorhebt. Just an die Bedeu-

essen ab – von denen nur die Geschichte des-

tung der Form knüpft dann entsprechend auch

jenigen Zeitraums zu Ende gegangen ist, der

Jörn Etzold an, wenn er das timing beleuchtet,

am Institut für Angewandte Theaterwissen-

und zwar als eine künstlerische, nachsouveräne

schaft verortet war. //

Stephen Parker: Bertolt Brecht. Eine Biographie. Suhrkamp, Berlin 2018, 1030 Seiten, 58 EUR.

„Formung des Zeitraums“.

Leon Gabriel

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aktuell

/ TdZ Oktober 2018  /

Meldungen

■ Die Dramaturgin Judith Werner wird ab Be­

■ Kritiker in der Umfrage der Welt am Sonn-

ginn der Spielzeit 2018/19 Geschäftsführen­

tag wählten das Theater Dortmund zum dritten

de Dramaturgin sowie stellvertretende Inten­

Mal in Folge zum besten Theater des Jahres

■ Benedikt von Peter wird ab der Spielzeit

dantin am Stadttheater Ingolstadt. Sie löst

in NRW. Daneben wurden sowohl Ersan

2020/21 das Theater Basel leiten. Er tritt die

damit Donald Berkenhoff ab.

Mondtags „Das Internat“ als auch Kay Voges’ „Der Theatermacher“ jeweils drei Mal als

Nachfolge von Andreas Beck an. Der Regie­

■ Oliver Graf wird ab der Spielzeit 2020/21

beste Inszenierung genannt. Die Bezirks­

die Wahl des neuen Intendanten. Der Regis­

neuer Intendant und Geschäftsführer des

regierung unterstützt das Theater Dortmund

seur von Peter gelte als „Theatererneuerer“

Theaters für Niedersachsen Hildesheim. Jasmina

mit mehr als 1,3 Millionen Euro. Damit erhält

und erfülle „höchste künstlerische Ansprüche

Hadžiahmetović erhält den Posten der Schau-

das Theater deutlich mehr als die Häuser in

in den drei Sparten Oper, Schauspiel und

spieldirektorin. „Inklusiv statt exklusiv“ lau-

allen anderen Städten im Regierungsbezirk.

Ballett“, heißt es in der Begründung. Seit

tet die Devise des neuen Intendanten. Dabei

Das Theater Dortmund habe sich unter Inten­

2016/17 ist er Intendant des Luzerner Thea­

setzt Graf nicht nur auf die Programmatik des

dant Voges „inzwischen ein deutschlandweit

ters.

Hauses, sondern auch auf seine künftige Lei­

anerkanntes Renommee erarbeitet“, begrün­

tungspolitik.

det die Bezirksregierung ihre Entscheidung.

■ Der Vorstand des Vereins Theaterfestival ­Basel hat Sandro Lunin zum neuen künstleri­ schen Leiter des Festivals gewählt. Er tritt damit die Nachfolge von Tobias Brenk an, dessen Einsatz lediglich für eine Ausgabe des Festivals vorgesehen war. Lunin leitet seit dieser Spielzeit außerdem die Kaserne Basel und war von 2008 bis 2017 für das Zürcher Theater Spektakel verantwortlich. Die nächs­ te Ausgabe des Theaterfestivals Basel findet vom 26. August bis 6. September 2020 statt.

Miroslava Svolikova. Foto Max Zerrahn

rungsrat des Kantons Basel-Stadt begrüßte

■ Der Schauspieler Paul Behren erhält den diesjährigen Boy-Gobert-Preis der Körber-Stiftung für den schauspielerischen Nachwuchs an

Hamburger

Bühnen.

Der

27-jährige

Schauspieler ist seit der Spielzeit 2016/2017 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg en­ gagiert. In der Begründung der Jury heißt es, Paul Behren sei „ein spielender TheaterÜberdenker, der an die weltverändernde Kraft des Theaters glaubt und zugleich seinen Fi­

Annette Kuß. Foto Thomas Braub

guren skeptisch über die Schulter schaut“. Die Verleihung findet am 9. Dezember im Thalia Theater statt.

■ Für ihren Stückentwurf „Der Sprecher und

Paul Behren. Foto Daniel Cramer

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die Souffleuse“ erhält die österreichische Dramatikerin

Miroslava

Svolikova

den

Autor*innenpreis 2018 der österreichischen Theaterallianz. Der Wettbewerb stand in die­ sem Jahr unter dem Thema „Die Stunde der Diktatoren“. Svolikova ist damit die zweite Dramatikerin, die den mit 9500 Euro dotier­ ten Preis entgegennehmen darf. 2016 wurde Thomas Köck ausgezeichnet.

■ Die Regisseurin und Theaterpädagogin

■ Die Schriftstellerin Sibylle Berg wird mit

­Annette Kuß leitet seit September das Junge

dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor

Ensemble in der BOXX sowie die Abteilung

ausgezeichnet. Die Stadt Kassel vergibt den

■ Das Bündnis internationaler Produktionshäu-

Theaterpädagogik am Jungen Theater Heil-

Preis seit 1985 zusammen mit der Stiftung

ser e. V. bietet zum zweiten Mal ein Programm

bronn. Kuß war zuvor fünf Jahre am Theater

Brückner-Kühner. Er ist mit 10 000 Euro do­

an, das sich der Vermittlung von Kompeten­

Magdeburg tätig.

tiert. Mit der Auszeichnung würdige man die

zen für das Produzieren im deutschen und

Autorin „für den grotesk-komischen und

internationalen Kontext der Performing Arts

■ Herbert Föttinger, Direktor am Theater in der

­aufklärerischen Katastrophenschutz ihrer Ro­

widmet und die Rolle freier Produzent*innen

Josefstadt Wien, wird das Haus noch bis 2026

mane, Theaterstücke und Kolumnen“. Berg

im partnerschaftlichen Dreieck zwischen

leiten. Sein Vertrag wurde verlängert. Der

schreibe „klug und mit provozierendem Witz

Künstler*innen und Produktionshäusern in

Schauspieler und Regisseur ist seit der Spiel­

über desolate menschliche Existenzen in

den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. Eine

zeit 2006/07 künstlerischer Direktor des

einer kapitalistisch dekadenten Welt“. Die ­

Bewerbung ist noch bis zum 22. Oktober

Theaters. Föttinger will das Profil des Hauses

Preisverleihung findet am 9. März 2019 im

möglich.

weiter schärfen und das Theater zu ­ einem

Kasseler Rathaus statt. Die Laudatio auf

„modernen, zeitgemäßen Haus der ­lebenden

Sibylle Berg wird die Schauspielerin Katja ­

■ Für die neunte Ausgabe der Treibstoff Thea-

Autoren“ machen.

Riemann halten.

tertage Basel suchen die Kaserne Basel, das


aktuell

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ROXY Birsfelden und das junge theater basel

jährige Intendant der Volksbühne, Frank

Stralsund, ab 1989 unter anderem in Alten­

innovative Projektideen. Die Projekte sollen

­Castorf, hatte das Rad zu seinem Abschied

burg, Basel, Freiburg und Dortmund. Von

im Sommer 2019 in Basel realisiert und wäh­

nach 25 Jahren abbauen lassen und zu einem

1993 bis 2001 war er Ausstattungsleiter am

rend der Treibstoff Theatertage zur Urauffüh­

Gastspiel nach Frankreich mitgenommen.

Staatstheater Oldenburg. Griep war vor allem bekannt für die „atmosphärische Tiefe“ sei­

rung gebracht werden. Die Treibstoff Theater­ tage Basel 2019 finden vom 27. August bis

■ Der Theater- und Hörspielregisseur Götz

1. September 2019 statt. Bewerbungsschluss

Fritsch ist nach langer, schwerer Krankheit am

ist der 15. Oktober 2018.

12. August im Alter von 75 Jahren verstor­

■ Der Schauspielpädagoge und ehemalige

ner Bühnenbilder.

ben. Der gebürtige Berliner studierte in Wien

Theaterleiter Peter Förster ist am 16. August

■ Wie die Frankfurter Rundschau berichtet,

Theaterwissenschaften und zählte 1967 zu

nach längerer Krankheit verstorben. Er wurde

verlängert die Stadt Frankfurt den Mietvertrag

den Gründern des Wiener Cafétheaters.

79 Jahre alt. Als Regisseur und Professor für

des ­Theaters Willy Praml mit der Naxoshalle

Nachdem er mehrere Jahre am Theater gear­

Schauspieltheorie und -praxis war Förster als

um weitere zehn Jahre. Insgesamt gibt es

beitet hatte, wandte er sich dem Hörspiel zu

­Dozent und seit 1975 als Leiter an der ehe­

rund 370 Veranstaltungen pro Jahr in der

und inszenierte weit über dreihundert Stücke.

maligen Theaterhochschule Hans Otto Leip­

denkmalgeschützten ehemaligen Fabrikhalle.

Fritsch wurde für seine Arbeiten mehrfach

zig tätig. Von 1988 bis 1990 war er Inten­

Die Verlängerung des Mietvertrags mit Beginn

ausgezeichnet und 2010 als Mitglied in

dant des damaligen Landestheaters Halle an

im nächsten Jahr sichere das Theater in sei­

die Deutsche Akademie der Darstellenden

der Saale. Danach arbeitete er als Pädagoge

ner Planung ab, so Intendant Willy Praml.

Künste aufgenommen.

an einem sozialpädiatrischen Institut in Ham­

■ Wie der Tagesspiegel vermeldete, soll das

■ Der Bühnenbildner und Regisseur Joachim

berühmte Räuberrad vor der Volksbühne

Griep ist nach langer, schwerer Krankheit am

Berlin wieder aufgestellt werden. Noch in die­

15. August verstorben. Griep wurde 1958 im

sem Monat wird die Skulptur, die der Schwei­

mecklenburgischen Boizenburg geboren und

zer Bildhauer Rainer Haußmann nach den

schloss 1985 ein Studium für Bühnenbild

Plänen des verstorbenen Bühnenbildners

und Kostüm an der Dresdener Hochschule für

Bert Neumann gebaut hatte, restauriert und an

Bildende Künste ab. Danach arbeitete er als

­ihren alten Platz zurückgebracht. Der lang­

Bühnen- und Kostümbildner zunächst in

burg.

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aktuell

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Premieren Aalen Theater G. Dyrek: Venedig im Schnee (T. Brüggemann, 06.10.); B. Stori: Die große Erzählung (W. Tobias, 07.10.) Annaberg-Buchholz Eduard-von-Winterstein-Theater D. Donat/ P. Grünig: Die Olsenbande II – Der große Theatercoup (U. A. Schleiff, 07.10.) Augsburg Theater P. Dempf: Tatort Augs­ burg Folge 4: „Ein Paket mit Sprengkraft“ (D. Ortmann, 26.10.) Baden-Baden Theater J. Masteroff: Ca­ baret (I. Otto, 13.10.) Bamberg E. T. A.-Hoffmann-Theater N. Haratischwili: Das achte Leben (Für Bril­ ka) (S. Broll-Pape, 06.10.); R. Woelfl: Überfluss Wüste (D. Kunze, 11.10., UA) Basel Theater n. W. Shakespeare: Othel­ lo X (N. D. Calis, 26.10., UA) Bautzen Deutsch-Sorbisches Volkstheater O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz (F. Ritter, 07.10.) Berlin Ballhaus Ost N. Rampen: Svall (N. Rampen, 04.10.); S. Altbauten: Aufs Maul (S. Altbauten, 05.10.); E. Becker: The Bitter End. Eine Stand-up Tragedy (A. K. Becker, 18.10.) Deutsches Theater S. Berg: Mein ziemlich seltsamer Freund Walter (S. Dastmalchi, 02.10.); P. Handke: Publikumsbeschimpfung (M. La­ berenz, 06.10.); n. H. Ibsen/ K. Hamsun: Hunger. Peer (S. Hartmann, 19.10.); R. Sanchez/J. Wachowiak/E. Petschinka: Jutta Wachowiak erzählt Jurassic Park (R. Sanchez, 21.10., UA) Maxim Gorki Theater M. Górnicka: Grundgesetz. Ein chori­ scher Stresstest (M. Górnicka, 03.10., UA); S. M. Salzmann: Außer sich (S. Nübling, 12.10., UA); D. Tavadze: After Party / After Life (D. Tavadze, 16.10.); K. Bomami: What happened here (K. Boma­ mi, 16.10.); H. Kroesinger/ R. Dura: Kul­ tur Verteidigen (H. Kroesinger, 16.10., UA); D. Kok: Rules of Engagement (Versi­ on1) (D. Kok, 25.10., UA) RenaissanceTheater J. T. Binkley: Präsidentensuite (G. Warns, 07.10., DSE); T. Fischer/H. Schäfer: LENYA STORY - Eine Hommage an Lotte Lenya und Kurt Weill (T. Fischer, 18.10.); R. Gebhardt: PINK– Manchmal braucht`s nur einen Lippenstift (M. Hoff­ mann, 30.10., UA) Schaubühne am

Lehniner Platz P. Preuss: Voyage (P. Preuss, 03.10., UA); G. Feydeau: Cham­ pignol wider Willen (H. Fritsch, 24.10., UA) Theater an der Parkaue T. Storm: Schimmelreiter (D. Czesienski, 02.10.); 1.210 km – the space between us (S. Kramer/R. Reid/G. S. Sigurdardottir, 15.10.) theaterdiscounter J. Tibbe/F. Brunken/M. Brunken/D. D. Kopp/F. Scheer: Stolz und Vorurteil / Thermoboy FK frei nach Jane Austen (L. Boehm, 18.10.) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz B. Park: Drei Milliarden Schwestern (B. Park, 12.10., UA); n. V. Woolf: Die Fahrt zum Leuchtturm (M. Schleef, 25.10.) Biel / Solothurn TOBS n. G. Orwell: Ani­ mal Farm (M. Merker, 26.10.) Bonn Kleines Theater Bad Godesberg S. Krause: Lili Marleen – Ein Lied geht um die Welt (J. Knipp, 25.10.) Theater A. Koch: Wer ist Walter (S. Blattner, 05.10., UA); Linie 16 (S. Solberg, 12.10.) Bozen Freies Theater B. Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder (R. Auer, 07.10.) Bregenz Vorarlberger Landestheater R. W. Fassbinder: Welt am Draht (N. Ritter, 04.10., ÖEA) Bremen Theater J. v. Düffel/n. T. Storm: Der Schimmelreiter (A. Zandwijk, 07.10.); K. O. Knausgård: Knausgård V: Träumen (F. Abt, 27.10.) Bremerhaven Stadttheater P. Wekwerth: Akt mit Lilie (B. Poppe, 13.10.) Celle Schlosstheater M. Kiyak/E. Schmitt: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Ko­ ran / Aufstand (Nimr, 04.10.); A. Steinhö­ fel: Die Mitte der Welt (A. Döring, 05.10.) Chemnitz Theater A. Ayckbourn: Schöne Bescherungen (B. Koca, 13.10.) Cottbus Staatstheater F. Schiller: Kabale und Liebe (J. Fabian, 13.10.) Darmstadt Staatstheater R. Bolaño: 2666 (C. Bossard, 07.10.) Dortmund Theater n. L. Penny: Everything Belongs to the Future (L. N. Junghanns, 12.10., UA); A. Hamdoun/T. Šljivar/Y. Ekinci u.a.: ICH, EUROPA (M. Lobbes, 13.10., UA) Dresden Staatsschauspiel A. Akhtar: Ge­ ächtet (N. Sykosch, 06.10.); F. Fischer:

WHO RUN THE WORLD: DAS EVANGELIUM NACH MARIA / DIE APOKALYPSE NACH LILITH (UA) VON NICOLETA ESINENCU

Oktober 2018 Operation Kamen (F. Fischer, 20.10., UA) Theater Junge Generation A. Steudt­ ner/n. S. Wolfrum: Leon zeigt Zähne (P. Besson, 20.10., UA) Düsseldorf Schauspielhaus L. Vekemans: Momentum (R. Vontobel, 12.10., UA); L. Hübner/S. Nemitz: Abiball (R. Lehniger, 19.10., UA) Frankfurt am Main Künstlerhaus Mousonturm Prometheus/25 Jahre Unab­ hängigkeit (Data Tavadze/Royal District Thea­tre, 02.10., DEA); Parents Meeting (Elternversammlung) (Open Space En­ semble for Experimental Art, 03.10., DEA); I love you, I love you, I love you (Avto Varsimashvili/Liberty Theatre, 04.10., DEA); Summerless (Besik Kupreishvili/ Fingertheater, 06.10., DEA); Navigator (Marjanishvili State Drama Theatre u., 06.10., DEA); Die Erde ruft (Alex Chig­ vinadze/Avtandil Diasamidze, 07.10., DEA); Styx (Shota Rustaveli State Drama Theatre u., 08.10., DEA); Egzersis (Exer­ cise) (Music a. Drama Theatre u., 12.10., UA) Theaterhaus K. Grønskag: Runter auf Null (R. Vriens, 25.10., DEA) Gera Theater & Philharmonie Thüringen D. Gieselmann: Herr Kolpert (P. Kugler, 13.10.) TheaterFABRIK D. Gieselmann: Herr Kolpert (P. Kugler, 13.10.) Göttingen Deutsches Theater M. Delapor­ te/ A.d. l. Patellière: Alles was Sie wollen (G. Münzel, 11.10.); M. A. Yasur: In der Schwebe (J. Weiss, 19.10., DSE); L. Lin­ der: Die melancholische Seite meines Steuerberaters (E. Sidler, 27.10., UA) Junges Theater H. Fallada: Kleiner Mann – was nun? (P. C. Grünberg, 20.10.) Graz Schauspielhaus n. F. Wedekind/The Tiger Lillies: Lulu – Eine Mörderballade (M. Bothe, 05.10., ÖEA); F. Zeller: Ge­ spräche mit Astronauten (S. Gürler, 12.10., ÖEA); F. Schiller: Maria Stuart (S. Rottkamp, 25.10.); D. Macmillan: All das Schöne (C. Pirnat, 27.10.) Greifswald Theater Vorpommern K. Abe: Die Frau in den Dünen (K. Grehn, 05.10.); A. Tschechow: Der Kirschgarten (R. Göber, 06.10.) Halle Neues Theater J. Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

(A. Gamnitzer, 05.10., DEA) Thalia ­Theater C. Kracht: Faserland (H. Ritschel, 26.10.) Hamburg Schauspielhaus. Sophokles: Antigone (A. Bader, 13.10.); W. Shakes­ peare: König Lear (K. Beier, 19.10.) Hannover Schauspiel C. Wolf/B. Wegner: Ich wollt‘ ein Lied, DAS Lied, und kann’s nicht schreiben. Eine literarische-musi­ kalische Suche (C. Haupt, 02.10., UA); W. Shakespeare: Macbeth (T. Örn Arnars­ son, 18.10.) Heidelberg Theater und Orchester C. Nußbaumeder: Im Schatten kalter Ster­ ne (B. Mikeska, 06.10., UA) Heilbronn Theater S. Stephens: Harper Regan (U. Koschel, 06.10.) Hildesheim TfN • Theater für Niedersachsen n. Firdosi: Schahname – Das Buch der Könige (R. Müller, 18.10., UA); M. Svoboda: Einmal rund um die Welt (S. Kiselev, 25.10.) Innsbruck Tiroler Landestheater F. Grill­ parzer: Das goldene Vlies (E. Gabriel, 05.10.); F. Mitterer: Vomperloch (F. Krauß, 07.10., UA); F. Melquiot: Die Zertrenn­ lichen (G. Lukas, 07.10., ÖEA) Jena Theaterhaus Jena macht es selbst (Wunderbaum, 25.10.) Karlsruhe Badisches Staatstheater M. Svolikova: europa flieht nach europa (dramatisches Gedicht in mehreren tab­ leaus) (A. Luque, 07.10., DEA); E. Käst­ ner: Die Konferenz der Tiere (V. Nagel, 14.10.); I. Bergman: Szenen einer Ehe (A. Bergmann, 27.10.) Kiel Theater S. Massini: Occident Ex­ press (J. Rösing, 05.10.); B. Brecht: Die Dreigroschenoper (A. Pullen, 06.10.) Klagenfurt Stadttheater W. Shakespeare: König Lear (S. Mohr, 04.10.) Köln Schauspiel A. Tschechow: Drei Schwestern (P. Karabulut, 06.10.); W. Borchert: Draußen vor der Tür (C. Spren­ ger, 26.10.); R. Grebe: Effzeh! Effzeh! (R. Grebe, 27.10., UA) Leipzig Cammerspiele Wagner/Rex: Allerlei Ungewöhnlichkeiten oder Die wundersame Relativität des Findens (Wagner/Rex, 26.10., UA) Theater der Jungen Welt n. K. Schneider: Wenn ich das 7. Geißlein wär

REGIE: NICOLETA ESINENCU / MARIE BUES SPIELZEITERÖFFNUNG: 3.10.18 IN KOPRODUKTION MIT TEATRU SPALATORIE

THEATERRAMPE.DE


aktuell

/ TdZ  Oktober  2018  /

(C. Fuchs, 07.10., UA) Schauspiel S. Beer / G. Burger n. H.C. Andersen: Die Nachtigall (S. Beer, 14. 10., UA); T. Melle: Ännie (Y. Hinrichs, 19.10.); J. Hetzel: all inclusive (J. Hetzel, 24.10.) Magdeburg Theater Y. Reza: Drei Mal Leben (D. Schliesing, 06.10.); G. Hauptmann: Die Ratten (M. Fontheim, 18.10.); E. Kálmán: Gräfin Mariza (O. Klöter, 20.10.) Mainz Staatstheater n. W. Herrndorf: Bil­ der deiner großen Liebe (M. Naujoks, 07.10.); P. Calderón d. l. Barca: Das Le­ ben ein Traum (K. Schmidt, 19.10.); Hörtheater: Zerbrechliche Gespräche (A. Dalferth, 26.10., UA) Marburg Hessisches Landestheater Z. Huber: Easzy Rider – Drama Schrägstrich (Z. Huber, 02.10.); Wartesaal der Träume (L. Jakschas / M. Lohmann, 13.10., UA); F. Kruckemeyer: Der Junge mit dem längsten Schatten (P. Lütgenau, 19.10.) Meiningen Staatstheater F. Schiller: Die Räuber (G. Gillert, 26.10.) Mönchengladbach Theater M. Alhaggi: Your love is fire (R. Alzakout, 27.10., DEA) Mülheim an der Ruhr Theater an der Ruhr M. Alhaggi: Farah (M. Alhaggi, 04.10., UA) München Metropol Theater A. Bovell: Das Ende des Regens (J. Schölch, 04.10.) Kammerspiele Unheimliches Tal /Uncanny Valley (Rimini Protokoll/T. Melle, 04.10.); Morning in Byzantium (T. Harrell, 05.10.); Dionysos Stadt (C. Rüping, 06.10.); Yael Ronen & Exil Ensemble: #Genesis – a star­ ting point (Y. Ronen, 28.10.) Residenztheater M. Frayn: Der Nackte Wahnsinn (M. Kušej, 19.10) Münster Wolfgang Borchert Theater S. Stephens: Heisenberg (T. Weidner, 11.10.) Neuss Rheinisches Landestheater W. Hauff: Kalif Storch (N. Erbe, 28.10.) Neuwied Landesbühne Rheinland-Pfalz H. Spoerl: Die Feuerzangenbowle (J. Bo­ dinus, 02.10.) Nürnberg Staatstheater A. Eisenach: Der Zorn der Wälder (K. Joel, 05.10.); . Euri­ pides: Die Troerinnen, Poseidon-Monolog (J. P. Gloger, 07.10.); H. Lewis/J. Sayer/ H. Shields: Komödie mit Banküberfall (C. Brey, 20.10., DSE) Oberhausen Theater F. García Lorca: Bernarda Albas Haus (J. Friedrich, 05.10.); holtschulte/ loos/ schmitz/ vo­ gel: Drei Farben (C. Holtschulte, 07.10.) Oldenburg Staatstheater H. Hesse: Der Steppenwolf (C. Fromm, 06.10.) Osnabrück Theater D. Gieselmann: Der brave Soldat Schwejk (T. Dannemann, 13.10., UA); C. Ludlam: Das Geheimnis der Irma Vep (D. Schnizer, 14.10.) Pforzheim Theater L. Hübner: Das Herz eines Boxers (S. Mey, 12.10.) Potsdam Hans Otto Theater I. v. Zadow: Haus Blaues Wunder (U. Müller, 06.10.); B. Brecht: Der gute Mensch von Sezuan (M. Kreutzfeldt, 06.10.); S. Massini: Occident Express (E. Hatten­ bach, 19.10.); K. Küspert: Europa ver­ teidigen (A. Zacek, 25.10.); W. Shakes­ peare: Othello (M. Holetzeck, 27.10.) Reutlingen Theater Die Tonne B. Brecht: Die Dreigroschenoper (E. Urbanek, 20.10.)

Rostock

Volkstheater P./ Frank/ F. Schulz: Die Drei von der Tankstelle (T. Goritzki, 12.10.); N. Stuhler/ J. Koslow­ ski: Utopie 1 (N. Stuhler u. J. Koslowski, 27.10., UA) Schleswig Schleswig-Holsteinisches Lan­ d­es­theater und Sinfonieorchester M. Chase: Mein Freund Harvey (H. Bock, 21.10.); J. W. v. Goethe: Faust (A. Frick, 26.10.) Wasserburg a. Inn Belacqua Theater R. Kipling: Das Dschungelbuch (U. Bertram/ F. Piotraschke, 27.10.) Weimar Deutsches Nationaltheater n. A. Burgess: A Clockwork Orange (H. Weber, 05.10.) Wien brut the que_ring drama project: Ghost Times A Queer Journey Through Theatre (G. Müller, 11.10.); irreality.tv: Nachtwache – Galapremiere (irreality.tv., 19.10., UA); Nesterval: Das Dorf (Herr Finnland, 25.10., UA) Burgtheater M. Svolikova: europa flieht nach europa (F. Mayr, 02.10.) Kosmos Theater Paula Thielecke u. Ensemble: Mütter Eine eks­ tatisch-matriarchale Kosmologie (M. Michalek, 30.10., UA) Wiesbaden Hessisches Staatstheater H. Pinter: Betrogen (M. Schaller, 01.10.); D. Schalko: Toulouse (C. Stolz, 02.10., DEA) Wilhelmshaven Landesbühne Niedersachsen Nord C. Hampton: Gefährliche Liebschaften (S. Bunge, 20.10.); A. Rode: Genauso. (A. Rode, 28.10., UA) Würzburg Mainfranken Theater K. Šagor: Patricks Trick (T. Egloff, 02.10.); F. Dür­ renmatt: Der Besuch der alten Dame (M. Kindervater, 05.10.); T. Dopler: Unsere blauen Augen (K. Barz, 12.10., UA) Zittau Gerhart-Hauptmann-Theater H. Müller: Quartett (S. Wegner, 27.10.); Der Neurosen Kavalier Eine „PsychoKomödie“ in vier Sitzungen (D. Szalma, 13.10.) Zürich Schauspielhaus S. Kucher: Eine Version der Geschichte (M. Milling, 04.10., UA) Theater Neumarkt A. Jarry: König Ubu (A. Eisenach, 11.10.); M. Daisey: Trump Card (T. Theater Neu­ markt, 18.10.) Zwickau Theater Plauen-Zwickau W. Shakes­ peare: Hamlet (T. Weinheimer, 20.10.) FESTIVAL Berlin Maxim Gorki Theater War or Peace – Crossroads of History 1918/2018 (03.10.27.10.) Karlsruhe Badisches Staatstheater Geor­ gia Made by Characters (03.10.–21.10.); Radikal weiblich (06.10.–07.10.) Köln Freihandelszone – ensemblenetzwerk köln Urbäng! (10.10.–14.10.) Saarbrücken Überzwerg – Theater am Kästnerplatz Spielstark (13.10.–27.10.)

06. Nov. – 11. Nov. 2018

»Bühnen – Klang – Welten« Musik in Theater und Tanz aus dem alten und neuen Europa Unter der Schirmherrschaft von Burkhard Jung, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig Alain Platel / les ballets C de la B , Gent

»Requiem pour L.« (»Requiem für L.«) Fabrizio Cassol nach W. A. Mozart (Festivaleröffnung) _ _ 06. Nov.

Schauspiel Graz

»Böhm« Nikolaus Habjan / Paulus Hochgatterer _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 07. / 08. Nov.

Compagnie Dessources , Brüssel

»Double« (»Doppelt«) Nono Battesti / Quentin Halloy _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 07. / 08. Nov.

Via Negativa , Ljubljana

»Deveta« (»Die Neunte«) Bojan Jablanovec / Ludwig van Beethoven _ _ _ _ _ _ _ _ 07. / 08. Nov.

Nikolaus Habjan, Wien

»Ich pfeife auf die Oper« _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 09. Nov.

Pygmalion Theater Wien

»Die Schachnovelle« Geirun Tino nach Stefan Zweig _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 09. / 10. Nov.

Compagnie Erratica , London

»Remnants« (»Überreste«) Patrick Eakin Young _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 09. / 10. Nov.

Compagnie zOrozora , Grenoble

»Une histoire de la musique« (»Eine Musikgeschichte«) Richard Navarro (für Kinder ab 7 Jahre) _ _ _ _ _ _ _ _ _ 10. / 11. Nov.

G. Celestino & A. Derossi, Luxemburg

»Duo con piano – Tanzstück für zwei Pianisten« _ _ _ _ 10. / 11. Nov.

Ferenc Fehér, Budapest

»Állomás« (»Station«) _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 10. / 11. Nov.

Compagnie dernière minute, Toulouse

»Scandale« (»Stolperfallen«) Pierre Rigal (Festivalabschluss) _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 11. Nov.

Rahmenprogramm:

ARTE-Filmaufzeichnung »Oberon, König der Elfen« Oper von Carl Maria von Weber / Inszenierung: Nikolaus Habjan Münchner Opernfestspiele 2017 _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 09. Nov. außerdem: Workshop, Publikumsgespräche, Technische Führung

TdZ ONLINE EXTRA

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Täglich aktuelle Premieren finden Sie unter www.theaterderzeit.de

Hauptförderer

Kulturpartner

Kontakt _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ euro-scene Leipzig // Ann-Elisabeth Wolff, Festivaldirektorin

_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Tel. +49-(0)341-980 02 84 // info@euro-scene.de // www.euro-scene.de

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tdz on tour

/ TdZ Oktober 2018  /

EUR 10 / CHF 12 / www.theaterderzeit.de

TdZ on Tour

August 2018 – Sonderausgabe

n 22.11. Buchpremiere Partizipation Stadt Theater, Kleist Forum, Frankfurt (Oder)

Sonderausgabe August 2018

ISBN 9783957491725

9 783957 491725 >

Wie steht es um den Mythos Volksbühne? Über 25 Jahre galt der eindrückliche Bau am RosaLuxemburg-Platz als eines der einflussreichsten Schauspielhäuser im deutschsprachigen Raum. Vorsicht Volksbühne! Nun soll und muss nach der geDas Theater. Die Stadt. Das Publikum. scheiterten Intendanz von Chris Dercon die Zukunft des Hauses neu verhandelt werden. Auf dem zweitägigen, aus gegebenem Anlass einberufenen Kongress an der Akademie der Künste Berlin diskutierten im Juni unter dem drängenden Titel „Vorsicht Volksbühne!“ zahlreiche Wegbegleiter des geschichtsträchtigen Hauses über die Vergangenheit, die Gegenwart und vor allem über die Zeit, die der Volksbühne nun bevorstehen wird. Das im August erschienene Theater der ZeitSonderheft dokumentiert unter dem gleichnami­ gen Titel „Vorsicht Volksbühne! Das Theater. Die Stadt. Das Publikum.“ den Kongress und versammelt zudem Beiträge unter anderem von Wolfgang Engler, Thomas Köck und Guillaume P ­ aoli. Am 22. August wurde das Heft in der Theaterbuchhandlung Einar und Bert präsentiert. Mitherausgeber Erik Zielke moderierte den Abend. Musikalische Begleitung gab es von Sir Henry an der Heim-Orgel. ER E ND AB SO USG A

Vorsicht Volksbühne! Das Theater. Die Stadt. Das Publikum

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TdZ_VB_Sonderheft_COVERinkl.Ruecken_RZ.indd 3

n 23.11. Buchpremiere Florian Evers – Theater der Selektion, Theaterbuchhandlung Einar & Bert, Berlin n 25.11. Präsentation und Lesung TdZ Spezial Tschechien und Dialog 29 – Neue Theaterstücke aus Tschechien, Goethe Institut Prag

03.07.18 14:48

n 18.01.2019 Buchpremiere 300 Jahre Theater Erlangen, Theater Erlangen Sir Henry. Foto Theater der Zeit

Das Symposium in der AdK, hier Hannah Schopf, Nils Bunjaku (Staub zu Glitzer), Christian Grashof, Silvia Fehrmann, Amelie Deuflhard, Klaus Dörr und Janis El-Bira. Foto Marcus Lieberenz

www.theaterfest.net

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Weitere Termine und Details unter www.theaterderzeit.de

03/09/18 11:17


impressum/vorschau

AUTOREN Oktober 2018 Otto Paul Burkhardt, Theater- und Musikkritiker, Tübingen Natalie Fingerhut, freie Autorin, Hamburg Jens Fischer, Journalist, Bremen Friederike Felbeck, Regisseurin und Autorin, Düsseldorf Thomas Irmer, freier Autor, Berlin Leon Gabriel, Theaterwissenschaftler, Bochum Björn Hayer, Kritiker, Lemberg (Pfalz) Theresa Luise Gindlstrasser, freie Autorin, Wien Nino Haratischwili, Autorin und Regisseurin, Hamburg Astrid Kaminski, freie Autorin, Berlin Martin Krumbholz, freier Autor und Theaterkritiker, Düsseldorf Luise Meier, freie Autorin, Berlin Angelika Meyer-Speer, Theaterwissenschaftlerin, München Maximilian Pahl, Kritiker, Bern Helmut Ploebst, Tanzkritiker, Wien Kathrin Röggla, Schriftstellerin, Berlin Shirin Sojitrawalla, Theaterkritikerin, Wiesbaden Holger Teschke, Schriftsteller und Regisseur, Berlin Sascha Westphal, freier Film- und Theaterkritiker, Dortmund Erik Zielke, Lektor, Berlin TdZ ONLINE EXTRA Viten, Porträtfotos und Bibliografien unserer Autorinnen und Autoren finden Sie unter www.theaterderzeit.de/2018/10

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IMPRESSUM Theater der Zeit Die Zeitschrift für Theater und Politik

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Vorschau

Neustarts Was haben Mannheim und Potsdam gemeinsam? Im­ posante Schlösser, zahlreiche Sehenswürdigkeiten, Flüsse und Parks, die zum Flanieren und Verweilen einladen? Stimmt genau! Beide Städte wagen in dieser Theaterspielzeit außerdem einen fri­ schen Start: Von Ost nach West, an das Nationaltheater in Mann­ heim, zog es den ehemaligen Kunstfest-Weimar-Intendanten Christian Holtzhauer. Von West nach Ost hingegen wechselte die ehemalige Intendantin des Rheinischen Landestheaters Neuss, Bettina Jahnke, an das Hans Otto Theater in Potsdam. Wir waren bei den ersten Premieren dabei.

Bettina Jahnke. Foto Ursula Kaufmann / Christian Holtzhauer. Foto Candy Welz

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Redaktionsanschrift Winsstraße 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-0 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44 Redaktion Dorte Lena Eilers +49 (0) 30.44 35 28 5-17, Harald Müller (V.i.S.d.P.) +49 (0) 30.44 35 28 5-20, Paula Perschke +49 (0) 30.44 35 28 5-18 redaktion@theaterderzeit.de Dr. Gunnar Decker, Jakob Hayner Mitarbeit Annette Dörner, Eva Merkel (Korrektur) Verlag: Theater der Zeit GmbH Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@theaterderzeit.de, Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@theaterderzeit.de Verlagsbeirat Dr. Friedrich Dieckmann, Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte, Prof. Heiner Goebbels, Dr. Johannes Odenthal, Kathrin Tiedemann Anzeigen +49 (0) 30.44 35 28 5-20, anzeigen@theaterderzeit.de Gestaltung Gudrun Hommers Bildbearbeitung Holger Herschel Abo / Vertrieb Dennis Depta, +49 (0) 30.44 35 28 5-12, abo-vertrieb@theaterderzeit.de Einzelpreis € 8,50 Jahresabonnement € 85,– (Print) / € 75,– (Digital) / 10 Ausgaben + 1 Arbeitsbuch Preis gültig innerhalb Deutschlands inkl. Versand. Für Lieferungen außerhalb Deutschlands wird zzgl. ein Versandkostenanteil von EUR 25,– berechnet. 20 % Reduzierung des Jahresabonnements für Studierende, Rentner, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises. Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen die Herausgeber. Druck: Kollin Medien GmbH, Neudrossenfeld 73. Jahrgang. Heft Nr. 10, Oktober 2018. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft: 05.09.2018

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Protagonisten Kennen Sie eigentlich schon Inka Löwendorf, Johan­ na Morsch und Britta Steffen­hagen? Die „drei trinkfesten Tresen­amazo­ nen“ sind wohl besser bekannt als die Rixdor­ fer Perlen – stets fröh­ lich beisammen in ihrer Hauskneipe Zum Feuch­ ten Eck an der Berliner Sonnenallee. Mit herz­ lichem Schwank und Altberliner Schnauze haben sie die Herzen der alteingesessenen Neuköllner längst erobert. Nachdem ihre Lieblingskneipe nach einer durchzechten Nacht jedoch vollständig verwüstet wurde und sich niemand mehr an irgendwas erinnern kann, steht für die ­Perlen eindeutig fest: Sie müssen ihren geliebten Kiez vor dem Untergang bewahren! Mit ihrer neuen Show „Keine Angst vor Niemand!“ sind die Perlen ab Oktober wieder im Heimathafen Neukölln zu sehen. Unsere Autorin Renate Klett hat die drei Künstlerinnen bei der Arbeit besucht.

Rixdorfer Perlen, v.l.n.r. Britta Steffenhagen, Inka Löwendorf und Johanna Morsch. Foto Verenda Eidel

1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer und Harald Müller

Die nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. November 2018.


Was macht das Theater, Sebastian Schwarz? Sebastian Schwarz, Sie sind im thüringi-

geholfen hat, den Erfolg der politischen

schen Greiz aufgewachsen. Wie sind Sie

Rechten zurzeit zu verstehen?

mit der Politik in Berührung gekommen?

Ebenwald ist kein Überzeugter, son-

Mein Elternhaus war immer politisch.

dern ein Karrierist. Das macht ihn

Mit meinen Eltern führe ich bis heute

nicht weniger gefährlich. Man weiß

politische Diskussionen. Sie sind sehr

überhaupt nicht, was schlimmer ist:

„rot“, haben also immer Sozialdemo-

die überzeugten Nazis oder die rück-

kraten oder Linke gewählt. Sie halten

sichtslosen Karrieristen. Obwohl sie es

das auch weiterhin hoch, obwohl in ih-

behaupten, setzen sich weder die ei-

rem Wohnort in der Nähe von Greiz

nen noch die anderen für die Belange

viele Menschen inzwischen die AfD ­

der Arbeiterklasse ein, im Gegenteil.

wählen. Als der Greizer Theaterherbst

Schafft man es nicht, jemanden mit

abgeschafft werden sollte, hat sich die

einem Hinweis auf die dort verbreite-

SPD für den Erhalt eingesetzt. Das war

ten Ressentiments zu überzeugen, so

für mich wichtig, auch weil ich dort mit

doch vielleicht mit einem Hinweis auf

Theater angefangen habe. Ich habe

die wirtschaftspolitische Dimension.

Schauspielerei immer politisch begrif-

Jene, die heute AfD wählen, wählen

fen. Das meint, dass der Schauspieler

ihren eigenen Schlächter. Das neolibe-

ein politisch denkender Mensch sein

rale Programm verschärft die Lage der

soll. In dieser Haltung haben mich

arbeitenden Klasse, man kann es in

Thomas Ostermeier und auch der Kol-

Österreich am Beispiel der Sozial­

lege Josef Bierbichler bestätigt. Das

kürzungen und der Einführung der

bedeutet auch, eine Offenheit für Fra-

Sechzigstundenwoche sehen.

gen zu haben, die vielleicht nicht das Was muss eine linke Bewegung machen,

Theater oder die, die es machen oder schauen, direkt betreffen. Ich habe immer auch Kontakt zu den Leuten gehalten, die ich aus Greiz kenne und die dort einen Strukturwandel erleben, von dem in Berlin wenig zu sehen oder zu spüren ist. Der ländliche Raum wird bei der urbanen Themensetzung in der Politik oft vergessen, das Thema liegt mir sehr am Herzen. Sie sind als 18-Jähriger in die SPD einge-

Die Rolle ist ihm auf den Leib geschnitten: In Thomas Ostermeiers Inszenierung von Horvaths „Italienische Nacht“, die am 23. November an der Schaubühne Berlin Premiere haben wird, spielt der Schauspieler Sebastian Schwarz die Hauptfigur Martin. Einen Mann, der sich von der erstarrten Sozialdemokratie löst. Auch Schwarz kehrte nach einem langjährigen Engagement für die SPD der kriselnden Partei den Rücken und trat jüngst der neuen linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ bei. Was er sich von dieser Bewegung erhofft, erzählt er in diesem Gespräch. Foto Franziska Sinn

und wo muss sie zu finden sein? Ich lese gerade von Sebastian Haffner „Die deutsche Revolution 1918/19“, ein Buch, das mir sehr gut gefällt. Die SPD unter Ebert verbündet sich mit den monarchischen Kräften, und dagegen gehen Hunderttausende auf die Straße, die USPD wird gegründet und dann auch die KPD unter Liebknecht und Luxemburg. Auch damals gab es schon den Verrat der SPD, die sich an

treten, haben sich auch in Wahlkämpfen

die Gegenrevolution verkauft hat. Eine

engagiert. Wie ist Ihr Verhältnis zur

Bewegung muss sich auch auf der

Sozial­demokratie?

Straße zeigen und vor Ort sein. Man

Ich bin zunächst zu den Jusos gegangen. Die

Idealen der sozialen Gerechtigkeit und des

muss mit den Leuten diskutieren. Ich glaube

Gründe lagen in der lokalen Politik, dem En-

friedlichen Zusammenlebens. Deswegen bin

an die Sprache und das Argument. Ich schätze

gagement für den Theaterherbst und gegen

ich aus der SPD ausgetreten und engagiere

deswegen die Schaubühne, weil dort Stücke

Nazis. Es gab Dorffeste, bei dem um 22 Uhr

mich nun bei „Aufstehen“. Ich finde die Idee,

gezeigt werden, die wie „Professor Bernhar-

die Glatzen kamen – und das wusste man

Linke und Progressive zusammenzubringen,

di“ eine Situation sehr deutlich zeigen. Man

auch. Die Jusos setzten dem etwas entgegen.

für eine linke Idee zu werben und sich gegen

sieht die Tendenz einer Gesellschaft in all ih-

Als ich nach der Zeit auf der Schauspielschu-

die Rechte zu positionieren, richtig. Über die

ren Intrigen und Niedrigkeiten. Ein T ­ heater

le in Berlin durch ein paar größere Rollen im

Einzelheiten des Programms wird auch künf-

ist ja kein Umerziehungsort, sondern kann

Theater und im Film bekannter wurde, kamen

tig noch zu streiten sein, aber der Impuls ist

nur einen Beitrag zur Debatte leisten. In

SPD-Politiker wie Peer Steinbrück und Heike

wichtig.

Ödön von Horváths „Italienische Nacht“ spie-

Taubert auf mich zu, für die ich mich einge-

le ich die Hauptfigur Martin, die sich von der

setzt habe. Ich habe allerdings damals schon

Sie haben in Ostermeiers Inszenierung von

erstarrten Sozialdemokratie löst. Genau das,

gemerkt, dass ich mich für vieles entschuldi-

„Professor Bernhardi“ Doktor Ebenwald ge-

was ich gerade gemacht habe. Und so trifft

gen muss, was die Partei gemacht hat. Der

spielt, den gewieften Gegenspieler Bernhardis,

sich die Bühne mit der Wirklichkeit. //

Sozialabbau und die immensen Waffenexpor-

der aggressiven Aufstiegswillen mit rechter

te waren für mich nicht vereinbar mit den

Rhetorik verbindet. Ist das eine Figur, die Ihnen

Die Fragen stellte Jakob Hayner.


PREMIEREN 18|19 MUSIKTHEATER RIGOLETTO von Giuseppe Verdi | Regie Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka 22. September 2018 | Marguerre-Saal IDOMENEO von Wolfgang Amadeus Mozart Regie Peter Konwitschny 16. November 2018 | Marguerre-Saal LA VERITÀ IN CIMENTO von Antonio Vivaldi Regie Yona Kim 30. November 2018 | Schwetzingen BENJAMIN Musiktheater in sieben Stationen von Peter Ruzicka Regie Ingo Kerkhof 9. Februar 2019 | Marguerre-Saal DIE LUSTIGE WITWE von Franz Lehár Regie Holger Schultze 6. April 2019 | Marguerre-Saal KATA KABANOVA von Leoš Janáček Regie Andrea Schwalbach 24. Mai 2019 | Marguerre-Saal SCHAUSPIEL JUSTIZMORD DES JAKOB MOHR Deutschsprachige Erstaufführung von Eva Koťátková | Regie Eva Koťátková 15. September 2018 Haus der Johannesgemeinde IM SCHATTEN KALTER STERNE Uraufführung | von Christoph Nußbaumeder Regie Bernhard Mikeska 6. Oktober 2018 | Alter Saal

MEIN KAMPF von George Tabori Regie Nick Hartnagel 23. November 2018 | Zwinger 1 PEER GYNT von Henrik Ibsen Regie Alexander Charim 6. Dezember 2018 | Zwinger 1 AUERHAUS nach Bov Bjerg Regie Ekat Cordes 22. Februar 2019 | Alter Saal ISTANBUL – HEIDELBERG (IN PLANUNG) Uraufführung | von Zinnure Türe Regie Zinnure Türe 1. März 2019 DER PROZESS nach Franz Kafka Regie Moritz Schönecker 2. März 2019 | Marguerre-Saal JUNK von Ayad Akhtar Regie Brit Bartkowiak 25. April 2019 | Marguerre-Saal ERÖFFNUNG DES HEIDELBERGER STÜCKEMARKTS Uraufführung oder Zweitaufführung Regie N. N. 26. April 2019 | Zwinger 1 DIE DREIGROSCHENOPER von Bertolt Brecht und Kurt Weill Regie Holger Schultze 23. Juni 2019 | Marguerre-Saal DRACULA nach Bram Stoker Regie Christian Brey 29. Juni 2019 | Heidelberger Schloss

TANZ THE INHABITANTS Deutsche Erstaufführung Konzept und Choreografie Iván Pérez 14. September 2018 | Am OctapharmaGebäude, Technologiepark IMPRESSION Uraufführung Regie und Choreografie Iván Pérez 7. Dezember 2018 | Marguerre-Saal BECOMING Deutsche Erstaufführung Konzept und Choreografie Iván Pérez 22. März 2019 | Zwinger 1 JUNGES THEATER VERSCHWOMMEN Uraufführung | Stückentwicklung Regie Natascha Kalmbach | 12+ 21. September 2018 | Altes Schwimmbad, Bürgerhaus HeidelBERG RONJA RÄUBERTOCHTER nach Astrid Lindgren Regie Yvonne Kespohl | 6+ 4. November 2018 | Alter Saal ICH BIN FÜR MICH! Uraufführung | von Martin Baltscheit Regie Cédric Pintarelli | 4+ 11. November 2018 | Zwinger 3 MOBY DICK nach Herman Melville Regie Manuel Moser | 10+ 10. Februar 2019 | Zwinger 3 MIYU UNSAHIRO Uraufführung | von Flo Staffelmayr Regie Nora Bussenius | 12+ 30. März 2019 | Zwinger 3 DIE CHINESISCHE NACHTIGALL nach Hans Christian Andersen Regie Natascha Kalmbach | 6+ 23. Juni 2019 | Heidelberger Schloss

Fotos Ludwig Olah

DON KARLOS von Friedrich Schiller Regie Isabel Osthues 13. Oktober 2018 | Marguerre-Saal

JOSEF UND MARIA von Peter Turrini Regie Fabian Appelshäuser 21. November 2019 Kaufhof Bismarckplatz

IDOMENEO

DON KARLOS

BECOMING


16. JANUAR 2019

URAUFFÜHRUNG / AUFTRAGSWERK

HOTEL STRINDBERG Schauspiel von Simon Stone nach den Kammerstücken von August Strindberg Inszenierung Simon Stone Eine Koproduktion des Theater Basel mit dem Burgtheater Wien

2. FEBRUAR 2019 PREMIERE

DIE DREI MUSKETIERE Nach Alexandre Dumas In einer Fassung von Antonio Latella und Federico Bellini Inszenierung, Raum, Musik: Antonio Latella

28. MÄRZ 2019 PREMIERE

DIE RÄUBER Schauspiel von Friedrich Schiller

Inszenierung Thorleifur Örn Arnarsson

FRÜHJAHR 2019

URAUFFÜHRUNGEN / AUFTRAGSWERKE

13. SEPTEMBER 2018

31. OKTOBER 2018

KÖNIG ARTHUR Semi-Oper von Henry Purcell

SPUREN DER VERIRRTEN Begehbare Installation

PREMIERE / AUFTRAGSWERK

und John Dryden; In einer Textbearbeitung von Ewald Palmetshofer nach John Dryden Inszenierung Stephan Kimmig Musikalische Leitung Christopher Moulds Eine Produktion von Oper, Ballett und Schauspiel

14. SEPTEMBER 2018

URAUFFÜHRUNG / AUFTRAGSWERK

TARTUFFE Komödie von PeterLicht nach Molière

SCHWEIZER ERSTAUFFÜHRUNG

von Schorsch Kamerun nach Peter Handke Inszenierung Schorsch Kamerun

2. NOVEMBER 2018

URAUFFÜHRUNG / AUFTRAGSWERK

DIE VERSCHWÖRERIN Schauspiel von Joël László

Inszenierung Claudia Bauer

Inszenierung András Dömötör Entstanden im Rahmen des Autorenförderprogramms «Stück Labor Basel» am Theater Basel

AB 15. SEPTEMBER 2018

16. NOVEMBER 2018

Konzept Katrin Michaels

DAS VERSPRECHEN Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman

ACH, 68! Eine Revolutionsreihe 50 Jahre später 27. SEPTEMBER 2018 PREMIERE

DER MENSCH ERSCHEINT IM HOLOZÄN Schauspiel nach der gleichnamigen

PREMIERE

von Friedrich Dürrenmatt Inszenierung Nora Schlocker

30. NOVEMBER 2018 PREMIERE

HERR DER DIEBE Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman von Cornelia Funke Inszenierung Daniela Kranz

Erzählung von Max Frisch Inszenierung Thom Luz Eine Koproduktion des Theater Basel mit dem Deutschen Theater Berlin

11. JANUAR 2019

26. OKTOBER 2018

HEXENJAGD Schauspiel von Arthur Miller

URAUFFÜHRUNG / AUFTRAGSWERK

OTHELLO X Schauspiel von Nuran David Calis

PREMIERE

Inszenierung Robert Icke

nach William Shakespeare Inszenierung Nuran David Calis

Billettkasse 0041 61 295 11 33; billettkasse@theater-basel.ch

DAS THEATER DER BILDER Theaterparcours mit neuen Texten

zu Werken aus der ständigen Sammlung des Kunstmuseum Basel Inszenierung Daniela Kranz Eine Koproduktion des Theater Basel mit dem Kunstmuseum Basel

11. APRIL 2019 PREMIERE

YERMA Schauspiel von Federico García Lorca Inszenierung Mateja Koležnik

MAI 2019

PREMIERE

WUNSCHKONZERT Schauspiel von Franz Xaver Kroetz Inszenierung Thom Luz

MAI 2019

URAUFFÜHRUNG

RADIOREQUIEM Eine Installation von Thom Luz Inszenierung Thom Luz Eine Kooperation mit dem SRF (Schweizer Radio und Fernsehen)

HAUSAUTOR

THIEMO STRUTZENBERGER


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