Theater der Zeit 11/2019

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30 Jahre Mauerfall: Thomas Krüger, Wolfgang Engler und das Theater 89 / Theater in Afghanistan René Pollesch im Friedrichstadt-Palast / Ralph Hammerthaler: Von Moral umstellt / Ruhrtriennale

EUR 8,50 / CHF 10 / www.theaterderzeit.de

30 Jahre Mauerfall

November 2019 • Heft Nr. 11

Test the East Henrike Naumann


ab 08. 11. 19


editorial

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E

Extra Der Aboauflage liegt bei double – Das Magazin für Puppen-, Figuren und Objekttheater

in Traum: „Aus Kellern, U-Bahnschächten, Klobecken kam Wasser geschossen. Jeder macht sich bereit. Hals über Kopf stieg es. Der Führer im Rundfunk erklärte, die Mauer halte.“ Die Mauer aber hielt nicht. Dreißig Jahre ist es her, dass sich 1989 die Grenze zwischen DDR und BRD öffnete. Für ihn, schreibt Einar Schleef über sein Stück „Berlin ein Meer des Friedens“ 1974 in sein Tagebuch, sei die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nur in braunem Schlamm möglich. Eine Behauptung, die „verstört“, „politisch zunächst undenkbar“ ist. Auch alle West-Kritiker hätten so reagiert, als das Stück 1983 am Theater Heidelberg uraufgeführt wurde. Schleef aber hatte sogar davon geträumt. Von steigendem Wasser. Schlamm. Rutschender Erde. Als Erinnerung an einen der wichtigsten und radikalsten Universalkünstler Deutschlands drucken wir Einar Schleefs „Berlin ein Meer des Friedens“ in diesem Heft. Was aber passiert, wenn der Boden, auf dem man steht, plötzlich nachgibt? Es stört die Identifizierung mit dem Rahmen, in dem man sich bewegt. Genau dies, schreibt der Soziologe Wolfgang Engler, passierte in den vergangenen dreißig Jahren. „Freiheitsgewinn und Freiheitsverlust gingen vielfach Hand in Hand … Ohne Kenntnisnahme dieses Grundwiderspruchs wird die gesamte nachfolgende Entwicklung unverständlich.“ In unserem Schwerpunkt „30 Jahre Mauerfall“ arbeiten wir dezidiert an einem Verstehen. Während Anja Nioduschewski mit Thomas Krüger, dem Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, über die Erfindung des Ostdeutschen und den „kulturellen Kolonialismus“ Westdeutschlands sprach, reiste Gunnar Decker mit dem Theater 89, der einstigen Ost-Berliner Szenebühne, quer durch Brandenburg auf den Spuren der „Luftwurzeln der eigenen Existenz, die man nicht vorschnell kappen darf“. Für Henrike Naumann ist die DDR indes „fast schon prähistorisch lang her“, wie sie im Gespräch mit Ute Müller-Tischler erzählt. Daher ließ die bildende Künstlerin, deren Arbeiten über Ästhetik und Politik alltäglicher Privaträume wir in unserem Künstlerinsert zeigen, in ihrer Ausstellung „Ostalgie (Urgesellschaft)“ die DDR als Steinzeitszenario wiederauferstehen. „Gleichzeitig“, sagt sie, „umgeben uns die Trümmer überall und wurden irgendwie nie richtig weggeräumt.“ Es sei daher höchste Zeit zur Besinnung, zur Umkehr, resümiert Wolfgang Engler in seinem Essay. Um nicht denjenigen die Verfestigung des Bodens zu überlassen, die darauf Gewalt und Terror säen wie jüngst in Halle an der Saale. „Darüber wäre zu reden, ist zu reden, ohne Herablassung, ohne Bevormundung und also mit den Wählern vom rechten Rand.“ Verhandeln also, was ist. Ginge es nach den Vertretern „der gerade mal richtigen Seite“, hätten wir das Künstlerinsert von Henrike Naumann mit einem „Erklärzettelchen“ versehen müssen: „Die Reichskriegsflagge wird hier in kritischer Absicht verwendet.“ „Ach so. Hätte ich jetzt nicht gedacht“, kommentiert Ralph Hammerthaler in seiner Kolumne einen ähnlichen Zettel in einer Ausstellung von Jörg Immendorff. „Für wie dumm hält der Kunstbetrieb eigentlich sein Publikum?“ Doch nicht nur die bildende Kunst sei von Moral umstellt, sondern auch das Theater und die Literatur. Ohne Ambivalenz, ohne Widersprüchliches, ohne Schmerz aber sei die Kunst nicht zu haben, so Hammerthaler, „weil sie vom Leben da draußen und von der Welt erzählt“. Einer Welt, so schließt auch Thomas Krüger, in der das Austragen von Konflikten und Kontroversen eine Art Lebensmittel und kein Verhängnis sei. Über den Verlust des Bodens unter den Füßen ging es auch in der sehnsüchtig erwarteten Pre­ miere von René Polleschs neuestem Stück mit Fabian Hinrichs im Berliner Friedrichstadt-Palast, einem Revue-Tempel von beachtlichem Ausmaß. Doch angesichts der gesellschaftlichen Zerstörungswut des Kapitalismus bietet in „Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt“ auch ein 38 Meter breiter und 37 Meter tiefer Bühnenboden keinen Halt. Wo aber findet das moderne Individuum dann „ein Zuhause“? Diese Frage entschlüsselt Jakob Hayner in seiner Uraufführungskritik. Etwas weniger Plätze, lediglich 1700, bot das Auditorium maximum der Ruhr-Uni Bochum, in dem, wie Martin Krumbholz berichtet, Christoph Marthaler bei der diesjährigen Ruhrtriennale mit „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“ eine eindrucksvolle Inszenierung ablieferte, einzig übertrumpft von der intelligenten Arbeit des belgischen Regisseurs Jetse Batelaan mit dem wundervollen Titel „(…..)“. … Diese Punkte könnten als schmerzlich ungewisse Lücke auch hinter unserem Auslands­ beitrag in diesem Heft stehen. Der Theatermacher Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn berichtet aus ­Afghanistan. Seit vielen Jahren ist der Regisseur in Kabul aktiv, um in einem extrem komplizierten Umfeld, bedroht durch alltägliche Gewalt und Selbstmordanschläge, Theater zu machen. Sein B ­ ericht ist ein erschütterndes Beispiel dafür, wie Künstler versuchen, dem alltäglichen Wahnsinn etwas entgegenzusetzen. In diesem Fall: Theater. // Die Redaktion

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Inhalt November 2019 thema 30 jahre mauerfall

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Deutsch-deutsche Asymmetrien Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, über die Erfindung des Ostdeutschen und koloniale Aspekte der Wiedervereinigung im Gespräch mit Anja Nioduschewski

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Wolfgang Engler Rache ist Blutwurst Worüber dreißig Jahre nach den Um- und Abbrüchen im Osten zu reden wäre – und mit wem

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Gunnar Decker Unter Kleinstädtern Das Theater 89, die einstige Ost-Berliner Szenebühne, reist heute durch Dörfer und Städte Brandenburgs

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künstlerinsert

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Installationen von Henrike Naumann

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Die Ideologie der Schrankwand Die bildende Künstlerin Henrike Naumann über Ästhetik und Politik alltäglicher Privaträume vor und nach der Wende im Gespräch mit Ute Müller-Tischler

festivals

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Martin Krumbholz Sturzflüge in die Metaphysik Bei der diesjährigen Ruhrtriennale sticht neben Produktionen von Marthaler, Lauwers und Goebbels vor allem das intelligente (Jugend-)Theater von Jetse Batelaan hervor

aktuelle inszenierung

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Jakob Hayner Lob der Liebe Im Berliner Friedrichstadt-Palast zeigen René Pollesch und Fabian Hinrichs, woran es sich noch zu glauben lohnt – trotz der Kälte des Kapitalismus

protagonisten

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Hartmut Krug Bilaterale Gespräche Der neue Intendant André Nicke bringt theatrale Bewegung an die Uckermärkischen Bühnen Schwedt und eröffnet mit einem umstrittenen polnischen Stück

kolumne

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Ralph Hammerthaler Besserwisser*innen Das Theater ist von Moral umstellt – wenn das mal gut geht

ausland

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Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn Niemand wartet auf Godot Theater und Aktivismus in Afghanistan

look out

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Martin Krumbholz Im Fluss der Begriffe Der Dramaturg Frederik Tidén präsentiert im Düsseldorfer Schauspielhaus Spielarten einer pluralen Gesellschaft

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Bodo Blitz Schmetterlingsschlag des Politischen Der Regisseur Sascha Flocken bringt Spielprozesse zum Leuchten

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inhalt

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auftritt

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Berlin „Anna Karenina oder Arme Leute“ nach Lew Tolstoi und Fjodor Dostojewski in der Regie von Oliver Frljić (Jakob Hayner) Bremen „Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig“ (UA) von Mehdi Moradpour in der Regie von Pınar Karabulut (Jens Fischer) Cottbus „Warten auf Sturm“ (UA) von Peter Thiers in der Regie von Volker Metzler (Thomas Irmer) Düsseldorf „Thyestes Brüder! Kapital. Anatomie einer Rache“ von Claudia Bosse/theatercombinat nach Seneca in der Regie von Claudia Bosse (Martin Krumbholz) Halle „Der Tempelherr. Ein Erbauungsstück“ von Ferdinand Schmalz in der Regie von Ingo Kerkhof (Jakob Hayner) Hamburg „Serotonin” (UA) von Michel Houellebecq in einer Fassung und in der Regie von Falk Richter (Anja Nioduschewski) Heidelberg „Der sechste Kontinent“ von Lothar Kittstein, Bernhard Mikeska und Maria Schneider in der Regie von Bernhard Mikeska (Björn Hayer) Leipzig „Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist in der Regie von Dušan David Pařizek (Gunnar Decker) Schaan / Liechtenstein „Identität Europa“ (UA), von Daniel Batliner, Clàudia Cedó, Vedrana Klepica, Guy Helminger, Dirk Laucke, Rebecca C. Schnyder, Csaba Székely und Andra Teede in der Regie von Katrin Hilbe und Rafael D. Kohn (Elisabeth Maier) Wilhelmshaven „Caligula / Julius Caesar“ (DSE) von Albert Camus und Peter Verhelst in der Regie von Robert Teufel (Jens Fischer)

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Einar Schleef „ich habe etwas geschrieben, was keiner verstehen will“ Einar Schleef über sein erstes Theaterstück „Berlin ein Meer des Friedens“

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Einar Schleef Berlin ein Meer des Friedens

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Apokalyptisches Savoir-vivre Das Vielspartenfestival steirischer herbst präsentierte unter dem Motto „Grand Hotel Abyss“ eher ortsspezifische und installative als szenische Arbeiten Jeden Abend Uraufführung Das Festival Grenzenlos Kultur am Staatstheater Mainz lotet aus, warum unser Begriff von „Normalität“ einer dringenden Erweiterung bedarf Interventionistische Hologrammfamilie In „Stonewall Uckermark – ein queerer Heimatfilm“ erteilen Tucké Royale und Johannes Maria Schmit bisherigen identitätspolitischen Vorstellungen eine Absage Klarheit, Wahrheit, Gegenwart 100 Jahre Württembergische Landesbühne Esslingen – ein Abstecherbetrieb mit gesellschaftspolitischem Auftrag Jenseits des Opernuniversums Das Berliner Festival für aktuelles Musiktheater Bam! zeigt die performativen Potenziale experimentellen Musiktheaters – auch indem es Konventionen unterläuft Geschichten vom Herrn H. Vom Nō lernen heißt Kunst lernen Bücher Christoph Schlingensief, Sergej M. Tret’jakov

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Meldungen

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Premieren im November 2019

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TdZ on Tour in Berlin, Bern, Detmold, Konstanz und Paris

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Autoren, Impressum, Vorschau

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Emre Akal im Gespräch mit Sabine Leucht

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stück

magazin 64

aktuell

was macht das theater?

Titelfoto: Henrike Naumann. Foto privat / Tapete Ladislav Zajac

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Fotos Ladislav Zajac / Mathias Völzke (rechts) / Courtesy the artist and KOW

Installationen von Henrike Naumann: „Das Reich“ (links oben, 2017), „Anschluss '90“ (rechts, 2018), „Ostalgie (Urgesellschaft)“ (links unten, 2019).



Installationen von Henrike Naumann: „Triangular Stories“ (links, 2012) und „Ostalgie (Urgesellschaft)“ (2019). Foto Stefan Haehnel / Ladislav Zajac / Courtesy the artist and KOW



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künstlerinsert

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Die Ideologie der Schrankwand Die bildende Künstlerin Henrike Naumann über Ästhetik und Politik alltäglicher Privaträume vor und nach der Wende im Gespräch

mit Ute Müller-Tischler

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enrike Naumann, gerade sind Sie schwer zu erreichen, weil eine Ausstellung die nächste jagt. Kürzlich haben Sie im Wiener Belvedere 21 einen Raum gebaut, der ein fiktives Szenario der Machtergreifung der Reichsbürger nach der Wende zeigt. Die Arbeit spielte bereits im Rahmen des Herbstsalons 2017 des Maxim Gorki Theaters in Berlin eine Rolle, wo Sie einen Raum im Kronprinzenpalais Unter den Linden bis unter die Decke als begehbares Ensemble vollgerempelt hatten mit Schrankwänden und Vitrinen, angeordnet wie die Kultstätte in Stonehenge. Warum lässt Sie das Thema nicht los? Die Ausstellung in Wien war eine gute Gelegenheit, mehrere Recherchestränge zusammenzuführen. Zum einen ist das die erwähnte Arbeit „Das Reich“, welche ich für das Kronprinzenpalais entwickelt habe. In dem dortigen Bankettsaal wurde 1990 der Vertrag zur „Deutschen Einheit“ unterzeichnet, was die Anhänger der Reichsideologie zum Anlass nehmen, die Rechtmäßigkeit der Bunde­s­ republik anzuzweifeln. Nach ihrer Argumentation hätte, wie im Grundgesetz von 1949 festgeschrieben, ein Friedensvertrag ausgehandelt werden müssen. Ich habe mit der historischen und ideologischen Aufladung des Ortes gearbeitet und dort ein Stonehenge aus Schrankwänden errichtet – ein Ort zwischen kommissarischer Reichsregierung und völkischer Kultstätte. Die verschiedenen ­Ebenen deutscher Geschichte, die an diesem Ort eingeschrieben sind, fügen sich zu einem verschrobenen Bild zusammen. Diese Installation habe ich nun in Wien mit der Arbeit „Anschluss ’90“ in Beziehung gesetzt. Entwickelt habe ich sie 2018 für die erste Edition des steirischen herbstes in Graz unter der neuen Leiterin Ekaterina Degot. Die Arbeit bezieht sich auf den Anschluss Österreichs 1938 ans Deutsche Reich, doch es geht auch um die Frage, inwieweit die „Deutsche Einheit“ 1990 nicht vielmehr ein Anschluss der DDR an die BRD war. In meiner Fiktion behaupte ich, dass 1990 nicht nur Ost- und Westdeutschland vereinigt wurden, sondern sich im Freudentaumel auch Österreich wieder angeschlossen hat. Indem sich Österreich in meiner Fiktion

„wiederanschließt“, wird es Teil der Debatte um Schuld und Verantwortung im „Dritten Reich“. Doch anders als 1938 gab es daraufhin keine Militärparaden, sondern es wurden nur überall neue Möbelhäuser eröffnet – eine Anspielung darauf, dass Möbelhäuser vielerorts das Erste waren, was in den neuen Bundesländern gebaut wurde. Meine Diplomarbeit von 2012, „Triangular Stories“, spielt auch eine Rolle in der Wiener Ausstellung. Hier haben Sie sich mit der Radikalisierung des Nationalsozialistischen Untergrundes im Jahr 1992 beschäftigt. Ja, genau. Die Enttarnung des NSU, auch als Zwickauer Zelle ­bekannt, war ein großer Einschnitt für mich, da ich selbst in ­Zwickau geboren und aufgewachsen bin, und im November 2011, als Beate Zschäpe die konspirative Wohnung in Brand gesetzt hat, vor Ort in der Stadt war, nur wenige Straßen entfernt bei meiner Oma in Weißenborn. Das war eine Initialzündung für mich, ich wusste, dass ich mit meiner Diplomarbeit das Erlebte verarbeiten und eine künstlerische Form dafür finden muss, um über Rechtsterrorismus zu diskutieren – auf persönlicher, alltäglicher Ebene. Ent­standen sind zwei auf VHS gedrehte Homevideos, eines aus der Jugend des NSU, das zweite zeigt drei Jugendliche im ­Hotelzimmer auf Ibiza. Diese Arbeit nun im Jahr der Ibiza-Affäre um die FPÖ in meiner Ausstellung in Wien zu integrieren, war für mich unausweichlich. Es zeigt die hedonistischen Party-People auf Ibiza als potenzielle Repräsentanten einer neuen, veränderten Rechten in Europa. Ästhetisch ein großer Bogen, vom Klischee des ostdeutschen Baseballschlägers hin zum neurechten FincaPopulismus. Ihre Räume sind meistens Wohnlandschaften, Jugendzimmer aus den 1990ern, wie man sie aus Einrichtungsdiscountern kennt. In das plüschige Design stellen Sie politische Botschaften und ­machen aus dem alltäglichen Umfeld ein unheilvolles, dystopisches Narrativ, das Ihre Werke durchzieht, egal, ob Sie sich mit dem NSU, den Reichsbürgern oder der DDR beschäftigen. Sehen Sie da eine ästhetische Verbindung? Eine Anziehungskraft und ­Empfänglichkeit etwa für das, was jenseits dessen liegt, was wir einen gutbürgerlichen Geschmack nennen würden?


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Auf diese Frage muss ich eine Gegenfrage stellen: Wer ist denn dieses Wir, von dem Sie sprechen? Es macht einen Raum auf, in welchem ganz klar zwischen uns und denen unterschieden werden soll. Und da möchte ich mit meinen Arbeiten gegensteuern, ich möchte die Grenzen verschwimmen lassen und verdeutlichen, wie komplex und verwoben gesellschaftliche Entwicklungen und Bruchlinien sein können. Und dass jede Radikalisierung inmitten unserer Gesellschaft auch etwas mit dir und mir zu tun hat. Als gelernte Bühnenbildnerin ist Ihnen das szenische Denken im Raum vertraut. Und doch arbeiten Sie außerhalb des Theaters. Warum eigentlich? Theater und Film haben mich sehr geprägt, doch nur im Kunstraum kann ich alles machen, was ich will. Dort kann ich mich frei zwischen allen Formaten bewegen. Und ich habe die dunklen Publikumsräume im Theater oder Kino oft als zu einsam empfunden. Da ist man irgendwie mit seinen Emotionen allein, und wenn das Licht wieder angeht, ist alles wieder vorbei. Im Ausstellungsraum bleibt das Licht immer an, und die Besucherinnen und Besucher machen eine gemeinsame Erfahrung, die direkt besprochen werden kann. So kommen die Diskussionen zustande, die mir wichtig sind. Bevor der Begriff der Immersion die Runde machte, haben Sie Ausstellungen und Filme zusammengestellt, die deutsche Traumata immer wieder nacherleben lassen, indem wir uns mittendrin befinden und Teil der Handlung sind. Sollen wir zumindest symbolisch schuldig gesprochen werden? Für meine Ausstellung am Haus der Kunst in München beschäftige ich mich gerade intensiv mit der Frage nach Schuld und Verantwortung im Hinblick auf die komplexe deutsche Vergangenheit. In vielen meiner Arbeiten sehe ich mir Möbel und Objekte, die uns sehr vertraut sind, genauer an und frage danach, was sie über Politik und Gesellschaft aussagen können. Da sind für mich Möbel aus der DDR genauso interessant wie Möbel aus der direkten Nachwendezeit oder von heute. Alle sind für mich Zeichen unserer Gesellschaft, die ich versuche, zu enträtseln und daraus eine eigene künstlerische Formensprache zu entwickeln. Im Haus der Kunst habe ich nun die Möglichkeit, mit den Originalmöbeln von 1936 zu arbeiten, welche von Hitlers Innenarchitektin Gerdy Troost entworfen wurden. Bei Architektur und Möbeln aus dem „Dritten Reich“ wird oft versucht, das „Böse“ in der Ästhetik zu erkennen, das Design ist also extrem aufgeladen. Es ist nun sehr spannend, was passiert, wenn ich diese Möbel mit den Möbeln der Nachwendezeit zusammenbringe. Denn auch diese Möbel klopfe ich auf ihre politische Bedeutung ab. Es geht mir um die Verantwortung von Design, inwieweit uns die Objekte, die uns umgeben, prägen und sogar radikalisieren können. In der Installation „14 Words“, die ich 2018 für das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt entwickelt habe, habe ich einen ehemaligen Blumenladen benutzt, um auf räumlicher Ebene über rechtsextreme Ideologiekonstruktionen zu sprechen. Beschäftigt habe ich mich mit der Ideologie der „14 Words“, nach welcher durch gezielte terroristische Anschläge – wie die NSU-Morde – ein vermeintlicher „Rassenkrieg“ ausbrechen soll. Dieser soll, der Ideologie folgend, zur Errichtung einer Gesellschaft unter Vorherrschaft von White-Supremacy-Kräften führen. Dies ist vermutlich meine bislang härteste Arbeit.

henrike naumann

Dreißig Jahre nach dem Mauerfall haben wir noch immer keine Erinnerungskultur für das geteilte Deutschland. Sie wollen die DDR-Geschichte deshalb verkomplizieren. Welche Erfahrungen konnten Sie mit dieser Methode machen? Dreidimensionale Installationen erlauben mir, komplexe Fragen räumlich zu stellen. Aus jeder Perspektive des Raumes wird sich ein anderes Bild ergeben. Damit sind wir sehr nah dran an der Komplexität gesellschaftlicher Vorgänge. Und es zeigt auch, aus welch unterschiedlichen Perspektiven wir oft auf die gleichen Dinge blicken. Im vergangenen Jahr habe ich in meiner Arbeit einen Fokus auf die Geschichte der DDR gelegt. Dies ist ein Kapitel, von dem man meinen kann, es wurde schon „alles gesagt“. Wenn man dann anfängt zu graben und merkt, wie viel da noch schlummert und vielleicht gerade jetzt, dreißig Jahre nach dem Ende der DDR, das erste Mal besprochen werden kann, dann ist das sehr interessant. Für meine Ausstellung „Ostalgie“ in der Galerie KOW Berlin habe ich die DDR als Steinzeitszenario wiederauferstehen lassen. Denn aus meiner Perspektive ist sie fast schon prähistorisch lang her, gleichzeitig umgeben uns die Trümmer überall und wurden irgendwie nie richtig weggeräumt. Als ich die Arbeit in diesem Jahr am Karl-Marx-Monument in Chemnitz ausgestellt habe, hatte ich ein Gespräch mit einer aufgebrachten AfD-Wählerin, die mich wütend zur Rede stellte: „Ich habe im Fernsehen gesehen, dass Sie die DDR als Steinzeit darstellen. Deswegen bin ich hergekommen, um Ihnen zu sagen: Das können Sie nicht machen. In der DDR ging es uns doch allen gut.“ //

Henrike Naumann wurde 1984 in Zwickau geboren. Sie studierte Bühnen- und Kostümbild an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und Szenografie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Heute ist sie Installationskünstlerin. In ihren Arbeiten kombiniert sie Video und Sound mit szenografischen Räumen. Zu ihren neusten Installatio­ nen gehören „14 Words“ (2018), „DDR Noir“ (2018) und „Ostalgie“ (2019). International wurden ihre Arbeiten auf der 4. Ghetto Biennale in Port-au-Prince (2015), der Busan Biennale (2018), der Riga Biennale (2018) und dem steirischen herbst in Graz (2018) gezeigt. Wie bereits 2017 ist Henrike Naumann auch 2019 Teil des Berliner Herbstsalons des Maxim Gorki Theaters in Berlin, ihre Installation „Tag X“ ist vom 4. bis 17. November im Haus der Statistik am Alexanderplatz zu sehen. Im Belvedere 21 in Wien wird bis zum 12. Januar ihr Projekt „Das Reich“ ausgestellt. Foto Nele Jakob

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Erst kam der Freiheitsgewinn. Dann der Freiheitsverlust. Ohne Kenntnisnahme dieses Grundwiderspruchs, schreibt der Soziologe Wolfgang Engler, werde auch dreißig Jahre nach dem Mauerfall die gesamte nachfolgende Entwicklung ­unverständlich. In ­unserem Schwerpunkt „30 Jahre Mauerfall“ geht Engler dem ­dreifachen Fehler nach, der in der Analyse der Nachwendesituation gemacht worden ist, und wir sprechen mit Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, über den „kulturellen ­Kolonialismus“ Westdeutschlands. Gunnar Decker porträtiert das Theater 89, das als einstige Ost-Berliner Szenebühne ­heute in Dörfern und Städten Brandenburgs spielt.


Deutsch-deutsche Asymmetrien / TdZ  November 2019  /

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, über die Erfindung des Ostdeutschen und koloniale Aspekte der Wiedervereinigung im Gespräch

mit Anja Nioduschewski

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homas Krüger, Sie haben 2017 in einem Interview für die Berliner Zeitung gesagt: „In der Fläche wird die Dominanz der Westdeutschen in den Eliten immer noch als kultureller Kolonialismus erlebt.“ Das Stichwort „kultureller Kolonialismus“ hat sehr viel Unmut auf sich gezogen. Später meinten Sie, Sie würden das so nicht wieder sagen. Im April waren Sie in Dresden auf einer Tagung unter dem Titel „Kolonie Ost?“, die sich mit Aspekten von „Kolonisierung“ nach 1990 im Osten Deutschlands auseinandersetzte. Ist der Begriff doch gerechtfertigt? Mit dem Begriff des „kulturellen Kolonialismus“ wollte ich eigentlich an die lateinamerikanische Dependenztheorie des Soziologen

Aníbal Quijano anknüpfen. Dieser spricht von „Kolonialität“ als Praktik, bei der bestimmte Asymmetrien, die existiert haben, fortbestehen und sich unter den neuen ökonomischen Bedingungen reproduzieren. So ähnlich ist dies kulturell nach 1989/90 auch hier zu beobachten: dass Asymmetrien sich eingeschrieben und zu einer kompletten Unterrepräsentanz Ostdeutscher und auch zu einem Rauserzählen ostdeutscher Diskurse im wiedervereinigten Deutschland geführt haben. Das betrifft alle Institutionen, in der Wirtschaft, in der Politik, an Universitäten und so weiter. Bevor sich der ideologische Betonblock in Einzelteile zerlegte – Die Berliner Mauer am sogenannten Lenné-Dreieck im Ostteil der Stadt, das vom Westen aus frei zugänglich war. 1988 wurde das Areal kurzzeitig von linken Autonomen besetzt. Foto Fritz Engel / Archiv Agentur Zenit

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thema

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Überall sind Ostdeutsche in leitenden Positionen unterrepräsentiert. Es entstehen Asymmetrien, Dependenzen, einseitige Machtstrukturen. Dieser Mechanismus ist viel zu wenig reflektiert worden. Ich bin, wenn man so will, selber eine große Ausnahme. Und das wiederum auch nur im Feld des „Gedöns“.

thek, mit der man zu leben lernen muss, die aber als wache Hypothek eigentlich erst zum Zuge kommt, wenn sie historisiert wird.

Sie glauben also nicht, dass man jetzt durch das Bewusstmachen ein Gegennarrativ entwickeln kann, das aus dem Osten heraus erzählt wird und vielleicht in den Geschichtskanon eingeht, der bis dato ja auch eine westdeutsche Lesart ist? Doch, ein Gegennarrativ macht schon Sinn, aber eben im Sinne von Sisyphos. Und Sisyphos muss man sich, wie Camus gesagt hat, „als einen glücklichen Menschen vorstellen“. Insofern ist es eine Aufgabe, auf die man nicht verzichten kann, die allerdings auch nicht von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein wird. Es ist eine Hypo-

Die Ostdeutschen werden seit den 1990er Jahren unentwegt auf die Analytikercouch gelegt. Dabei entsteht ein fast pathologischer Blick, der ihnen psychische und soziale Deformationen als Folge der Diktatur zuschreibt und diese wie einen Gendefekt auch auf die nach 1989 Geborenen überträgt. Oder sie erscheinen als Mangelwesen, die noch lernen müssen. Trägt das zum Missverständnis bei? Wir leben ja auf der Schnittstelle zur Spätmoderne, mit entsprechenden Kulturalisierungsprozessen. Ein Teil davon ist, dass Konflikte in erster Linie nicht mehr um sozioökomische Verteilungs-

Heiner Müller sagte in einem Spiegel-Interview kurz nach dem Mauerfall, im Juli 1990: „Was hier abläuft, ist ja keine Vereinigung, sondern eine Unterwerfung.“ Eine ökonomische Unterwerfung, Sie sind einer der wenigen in der DDR Geborenen, der eine bundie sich die Ostdeutschen so aber nicht vorgestellt hätten. Und: „Ich desdeutsche Institution leitet. habe nie einen Zweifel daran gehabt, daß diese DDR nicht existiert Nur 4,2 Prozent der Elitepositionen in Wirtschaft, Politik, Justiz außer in Abhängigkeit von der Sowjetunion und daß die Bevölkerung hier in einem Status von Kolonisierten lebt.“ Waren die DDRund Wissenschaft sind von Menschen mit „Osthintergrund“ beBürger so gewöhnt an ein kolonialisiertes Dasein, dass die Untersetzt, das hat gerade eine Studie der Universität Leipzig im Auftrag von WDR und MDR gezeigt. Dabei werfung – Lothar Späth nannte es aus wird deutlich: Kein einziger Rektor oder Westperspektive „bedingungslose KapiDer Ostdeutsche tulation“ – ihnen gar nicht so aufstieß? Präsident der 81 öffentlich-rechtlichen Kommt die Auseinandersetzung jetzt Hochschulen in Deutschland stammt ist erfunden worden, als es mit dreißigjähriger Verspätung? aus dem Osten. Und auch bei den 190 Das ist eine gute Frage. Ich habe mich an Dax-Vorständen sieht es mit lediglich die DDR nicht mehr gab. dieses Zitat auch erinnert, als ich dieses vier Ostdeutschen ziemlich mau aus. Das heißt: Viele Weichenstellungen, die Thema, zugespitzt, in dem oben angesprochenen Interview aufgegriffen habe – allerdings als Metapher. seit 1990 bei der Rekrutierung von Elitenpersonal stattgefunden Denn man darf heute nicht alles auf die Erfahrung vor 1989/90 haben, verstärken sich sogar noch. Soziologen nennen das „das Prinzip der Ähnlichkeit“. Auch durch die nächste Generation wird reduzieren. Eigentlich ist es doch so, dass heutiges Verhalten und die Reflexion dessen, was mit den Menschen passiert ist – auch diese sich das nicht lösen lassen. Aber noch einmal zum Begriff Kolonialität im Gegensatz zu Form von unterworfen sein oder unterwürfig sein –, vor allem mit den letzten dreißig Jahren zu tun haben und nicht so sehr mit der Kolonialismus, der historisch durch die Zeit der territorialen und auch rassistischen Unterordnung konnotiert ist: Die Vokabel „kulZeit davor. Mir scheint der Rekurs auf die Zeit der DDR nur ein Teil der Wahrheit zu sein, der zudem auch nicht auf alle Menschen gleitureller Kolonialismus“ hebt eben aus meiner Perspektive eher auf das Strukturphänomen von Kolonialität ab, also das Fortbestechermaßen zutrifft. Ich gehörte einer Generation des Auslauf­ modells DDR an, als sich in den 1980er Jahren dieser ideologische hen von Abhängigkeiten. Betonblock in Einzelteile zerlegte. Für mich war die DDR eine Art Trainingslager, in dem ich mich an den Verhältnissen abgearbeitet Lassen sich diese Machtsymmetrien überhaupt noch korrigieren? Und wie, wenn man nicht Quotenvorgaben macht? habe, weshalb sich meine Haltung und auch mein Lebensentwurf nicht als Leidensgeschichte des Unterworfenseins interpretieren Ich bin mir nicht sicher, ob durch Quoten dann die „richtigen“ Ostdeutschen zum Zuge kommen und ob eine Quotierung nicht lassen. Eher als grundsätzliche Erfahrung des Widerstehens, der Selbstbehauptung. Hannah Arendt spricht von der „Freiheit, frei zu letzten Endes sogar kontraproduktiv ist. Ich glaube, dass sich das Problem in der Erfahrungsgeneration und deren unmittelbaren sein“. Und auch wenn ich mir in den 1980er Jahren nicht vorstellen konnte, dass es jemals etwas anderes als die DDR geben könnte, Nachkommen schwer lösen lässt. Es wird eigentlich erst lösbar, gehörte es aber zum Beispiel zu meinem Sport, die Reisefreiheit in wenn der Prozess der Historisierung eingetreten ist. Also nach der dritten Generation. Wir wissen das aus vielen anderen Beiden Osten auszudehnen. Also „unerkannt durch Freundesland“, Transitvisum besorgen und so weit wie möglich in die Sowjetunion spielen, wie bei den sudetendeutschen Vertriebenen und jenen vordringen. Das erzählt vielleicht auch heutigen Westdeutschen, aus Ostpreußen. Sie erzählten ihr Vertreibungstrauma im Grunde dass diese Dichotomie, die DDR nur als Opfer- oder Tätergesellschaft nicht weiter. In der zweiten Generation, der sogenannten traumazu vermessen, einfach kompletter Schwachsinn ist. In den 1990er tisierten, neurotischen Generation, versiegelte sich das Thema. Jahren ist man auf diese Täter- und Opferrollen runtergebrochen Der dritten, der Enkelgeneration, wurde es noch mal als Hypothek worden. Aber ich war kein Opfer, ich habe mich nie als Opfer gemitgegeben, erst danach nivellierte sich das Ganze beziehungsweise historisierte sich. fühlt, und Täter war ich irgendwie auch nicht.


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fragen kreisen, sondern in hoch emotionaler Weise über Fragen von Identität, Zugehörigkeit, Anerkennung, Herkunft oder Heimat gestritten wird; und das spielt auch zwischen Ost und West eine ganz gravierende Rolle. Ich habe den Eindruck, dass die Perspektive des Westens die ist, ostdeutsche Identität oder Versatzstücke davon unsichtbar zu machen. Das beste Beispiel und das unerforschteste dafür sind Millionen von Leuten, die aus dem ­Osten in den Westen gegangen sind. Das prosperierende Wirtschaftssystem in Deutschland hat maßgeblich zu tun mit Binnenmigrationseffekten, die seit 1990 stattfinden. Aus westdeutscher Perspektive wird diese Leistung überhaupt nicht anerkannt. Die Frage bei Identitätsdiskursen ist ja auch, ob sie in ihrer Betonung der Unterschiede eher zu einer größeren Spaltung der Gesellschaft führen. Sollten wir aufhören, zwischen Ost- und Westdeutschen zu unterscheiden? Im Zweifel: Diversität. Aber man muss sich ja erst einmal darüber klar werden, dass der Ostdeutsche als politisches Subjekt oder als kulturelles Subjekt erst erfunden worden ist, als es die DDR nicht mehr gab. Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich mich zu DDRZeiten als Ostdeutscher identifiziert habe. Eine Affinität zum Westdeutsch-Sein gab es auch nicht. Eher eine Affinität, was Grundrechte betraf. Das stand oben auf der Tagesordnung. Der Anerkennungskampf der Ostdeutschen bettet sich heute in viele Identitätsdiskurse ein. Naika Foroutan hat in diesem Zuge Ostdeutsche und Migranten in ihren Erfahrungen gleichgesetzt … … gleichgesetzt stimmt nicht ganz. Naika Foroutan und ich haben das mehr oder weniger zusammen ausgeheckt. Ich hatte ihr zwei Forscher empfohlen, die sich mit Ostdeutschen in der Transformation beschäftigen, Raj Kollmorgen aus Görlitz und Lars Vogel aus Leipzig, die ein Forschungssetting entwickelt haben, das zu einem Vergleich von Migrationserfahrung und ostdeutschen Erfahrungen als Migrationserfahrungen führt. Dieser Vergleich ergibt unter anderem, dass es gravierende Unterschiede gibt. Einer ist die Frage von Staatsbürgerschaft, ein anderer die von Sprache. Es gibt eine ganze Reihe von signifikanten Unterschieden, die man nicht kleinreden sollte. Wenn die Ostdeutschen sagen, „Integriert doch erst mal uns“, steckt darin die Behauptung, dass Leute vorgezogen werden, denen es eigentlich genauso geht wie einem selbst. Und das stimmt, wenn man genau hinsieht, eben nicht. Aber der Vergleich erbringt auch Gemeinsamkeiten. Und das sind Situationen der Unterworfenheit, der Abhängigkeit, der Unterordnung, der Abwertung und natürlich auch der Prekarität, um auch den Klassenbegriff mit in den Blick zu nehmen. Es geht also darum, beide Komponenten, die Klasse und das Identitätsthema, in den Blick zu nehmen. Es macht auch keinen Sinn, beides gegeneinander auszuspielen, handelt es sich doch um eine Erfahrung von Intersektionalität, um Mehrfacherfahrungen, die sich ineinander verschränken. Nelli Tügel, eine in Ostdeutschland geborene Journalistin, hat kürzlich im Freitag gefragt, ob diese ostdeutschen Anerkennungskämpfe jetzt zu einer critical westness führen würden. Haben Sie den Eindruck, dass der Westdeutsche anfängt, seine Privilegien zu hinterfragen?

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Die aktuelle Debatte drückt sich ja auch in einer Art Revolte aus. Da ist das sehr volatile Wahlverhalten. Man hat sich in den letzten dreißig Jahren als Subjekt in prekären Situationen erfahren, und Protest ist eine Form, sich zu wehren, zum Ausdruck zu bringen, dass Abwertung nicht das letzte Wort sein kann. Es gibt diese ­Revolte, wir wählen jetzt alle AfD – aber: Was sieht man auf der repräsentativen Ebene, auf der institutionellen Ebene, auf der Macht­ ebene? Es sind wieder überwiegend Westdeutsche, die diese Geschichte kontrollieren und bestimmen. Zu denken, der Protest sei ein emanzipativer Akt, ist der größte Irrtum, den man sich draufziehen kann. Ich glaube nicht, dass wir es mit einer critical west­ ness zu tun haben. Alle Indikatoren sprechen dafür, dass es nach wie vor eine unhinterfragte Asymmetrie gibt, auf der man sich ausruht. Im Rahmen der Tagung „Kolonie Ost?“ haben Sie in einem Interview gesagt, dass man aus Ostperspektive „ruhig auch ein bisschen zündeln“ sollte, „weil man durch die Kontroversen am Ende des Tages vielleicht ein bisschen schlauer wäre“. Kann das Zündeln auch gefährlich werden? Definitiv. Mit dem Zündeln meinte ich natürlich nicht, rassistisch zu werden oder rassistisch zu sein oder die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Mit dem Zündeln meinte ich, dass Kontroversen und kontroverse Konflikte nichts per se Schlechtes sein müssen. Man ist ja sehr oft in den Diskursen und in der Politik harmoniebestrebt, möchte möglichst keine Konflikte. Kontroversen und Konflikte zu haben ist aber eine Qualität. Der Soziologe Aladin ElMafaalani meint sogar, um noch einmal auf die Migrations- und Integrationsdebatte zurückzukommen, dass innergesellschaftliche Konflikte nicht etwa deshalb entstehen, weil die Integration von ­Migranten und Minderheiten fehlschlägt, sondern weil sie eben zunehmend gelingt. Gesellschaftliches Zusammenwachsen erzeugt Kontroversen und populistische Abwehrreaktionen – in Deutschland und weltweit. Wenn wir ins Theater gehen und ein Drama sehen, dann lebt es von dem Konflikt, von der Auseinandersetzung, von dem Schicksal, von den Abgründen. Das ist auch in der politischen Bildung so. Wir bilden uns nicht, indem wir uns indoktrinieren lassen oder uns irgendeine Ideologie reinziehen, sondern wir bilden uns, indem wir uns abgrenzen zu anderen Positionen. Kontroversen und Konflikte und Auseinandersetzungen sind deshalb eine Art Lebensmittel und kein Verhängnis. // Die politische Karriere von Thomas Krüger, geboren 1959 in Buttstädt, Thüringen, begann 1989 als eines der Gründungsmitglieder der Sozialdemokraten in der DDR (SDP). Er blieb bis 1990 deren Geschäftsführer in Ost-Berlin. Als Erster Stellvertreter des Oberbürgermeisters in Ost-Berlin war er bis 1991 tätig. Bis 1994 war er Senator für Jugend und Familie in Berlin und in den folgenden vier Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages für die SPD. Seit Juli 2000 ist er Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Zusätzlich ist er seit 1995 Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes und seit März 2018 Mitglied im Rat für kulturelle Bildung. Foto bpb / Martin Scherag

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Rache ist Blutwurst Worüber dreißig Jahre nach den Um- und Abbrüchen im Osten zu reden wäre – und mit wem von Wolfgang Engler


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randenburger und Sachsen haben gewählt. Kein Weltereignis, auch keine großen Überraschungen im Ergebnis. Rund jeder Vierte entschied sich für die AfD, die nun zweitstärkste Kraft in diesen Bundesländern ist. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, triumphierte der sächsische Spitzenkandidat am Wahlabend, und seinen Worten darf man Glauben schenken. Denn einen neuen Trend förderten Wahlanalysen dann doch zutage: Jung- bzw. Erstwähler verteilten sich in hohem Maße auf die Grünen, das war schon bei früheren Wahlen zu beobachten – erstmals aber auch auf die AfD. Da wächst sich offenbar so leicht nichts aus. In Thüringen zeichnet sich ein ähnlich starkes Abschneiden der Neuen Rechten ab. Kommt es dazu, steht womöglich eine politische P ­ remiere ins Haus. Um eine Regierungsbeteiligung der AfD mit stabilen Mehrheiten zu verhindern, müssten Linkspartei und CDU miteinander koalieren und noch einen Dritten in dieses Bündnis ziehen. Schwer vorstellbar. Aber die Entwicklung im ­Osten Deutschlands hat schon so manche Erwartungen durchkreuzt, Denkverbote aufgelöst, ­warum nicht auch dieses? Wenn nicht jetzt, dann bei nächster Gelegenheit. Der Osten ist diesbezüglich Avantgarde, seit dem ­ ­Aufschwung der Neuen Rechten mehr denn je. Über die Gründe dieser Vor­reiterrolle herrscht Streit. Eine lange dominierende Sicht begreift sie als Ausdruck einer Vergangenheit, die einfach nicht vergehen will, als Spätfolge Jahrzehnte währender Diktaturen. Anders als die Westdeutschen seien die Menschen im Osten nach 1945 binnen Kurzem von einem „totalitären Regime“ ins nächste gestolpert. Sie hätten sich an die Üblichkeiten „geschlossener Gesellschaften“ äußerlich wie innerlich angepasst, einen kollektiven Habitus entwickelt, der unverkennbar autoritäre Züge getragen habe. Nach dem Aufbruch von 1989 und dem nachfolgenden Beitritt zur Bundesrepublik unversehens in die „offene Gesellschaft“ entlassen, erlebten sie diese jähe Wende vielfach als Schock und klammerten sich, damit zurechtzukommen, an ihr mentales Erbe. Derart blockierten sie die innere Ankunft im Westen, ihre Integration in die „freiheitlichdemokratische Grundordnung“. Ihre Aversion gegen Neues, Fremdes und Fremde, ihre Phobien, ihr bald latenter, bald manifester Rassismus seien Ausdruck des Fortschleppens ihres in der DDR erworbenen und seither nicht abgeworfenen Gepäcks. Angenommen, es verhielte sich so, wie diese Betrachtung es nahelegt, drängt sich sogleich eine Frage auf: Warum wurde diese toxische Mitgift im Verlauf der zurückliegenden drei Jahrzehnte gesamtdeutscher Geschichte nicht zumindest etwas aufgezehrt? Diese Frage richtet sich an die Überzeugungskraft der neudeutschen Gesellschaft für die Ostdeutschen. Ihr dadurch auszuweichen, dass man dieses Geschichtskapitel kurzerhand überspringt, als wäre es keiner eingehenderen Untersuchung wert, und stattdessen stur auf die DDR als einzigen Grund des Übels rekurriert, verfehlt den Ernst der Lage. Gewiss, die OstdeutGenese einer gesellschaftlichen Spaltung – von oben nach unten: Montagsdemonstration 1990 in Leipzig, junge Neonazis bei einer Montagsdemonstration 1990 in Leipzig, Proteste gegen ein Asylan­ten­ heim in der sächsischen Kleinstadt Glashütte 2015. Links: Eine AntiPegida-Demo in Magdeburg 2015. Foto Fritz Engel / Archiv Agentur Zenit

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Höchste Zeit zur Besinnung – Anti-Pegida-Demo in Magdeburg 2015. Foto Fritz Engel / Archiv Agentur Zenit

schen lebten bis 1989 in einer ethnisch und kulturell sehr homogenen Gesellschaft. Deren hochbeschleunigte Verwandlung in ­einen Schauplatz ökonomischer Globalisierung, kultureller, religiöser Vielfalt verstörte vielfach, verunsicherte, führte zu Abstoßungsreaktionen, die in den frühen 1990er Jahren eskalierten. Dass seinerzeit vor allem Jugendliche und junge Erwachsene an der Front der fremdenfeindlichen Ausfälle standen, weist in der Tat auf die DDR zurück, insbesondere auf deren letzte Dekade. Um ihre Ablehnung des Staates, der alltäglichen Enge und Gängelung des Lebens unmissverständlich zu markieren, griffen Teile der Jüngeren zu radikalen Ausdrucksmitteln. Hooligans skandierten rassistische Slogans, verwüsteten Züge, prügelten sich mit Ordnungshütern. Andere richteten ihren Frust gegen linke Bands oder Umweltbewegte, staffierten sich mit NS-Symbolen aus und gerierten sich offen als „Faschos“. Die Ausschreitungen der frühen Umbruchjahre verweisen auf Wurzeln in der (späten) DDR. Aber je weiter man sich von dieser Zeit abstößt und auf die jüngere Gegenwart zubewegt, desto fragwürdiger wird diese Art der Zurechnung. Das Durchschnittsalter der heutigen Ostdeutschen liegt deutlich unter fünfzig Jahren. Die meisten haben den Großteil ihres Lebens unter den gewandelten Verhältnissen geführt, jene insbesondere, die ihre rechte, rechtsradikale Gesinnung auf die Straße tragen.

Der dreifache Fehler Wer deren Einstellung und Haltung unbeirrt und exklusiv der DDR zuschreibt, begeht einen dreifachen Fehler: Er infantilisiert die im Osten lebenden Menschen, indem er die Erfahrungen, die sie seit 1989 sammelten, für irrelevant, zumindest nachrangig erklärt; so, als hätten die Umstände ihres Lebens nach der DDR keine seelischen Abdrücke hinterlassen. Er betrachtet, des Weiteren, das habituelle Erbe der DDR nicht in seiner Widersprüchlichkeit, vielmehr eindimensional als Handicap, Ballast, den es nun endlich abzuwerfen gilt. Schließlich rechtfertigt er, fast wie auf Bestellung, die Fehlentwicklungen, Ungerechtigkeiten, Kränkungen, die mit dem Umbruch einhergingen, zahllose Menschen aus der Bahn warfen, in

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Windeseile vom Citoyen zum Klienten des Sozialstaats degradierten. Die notorische Ausblendung der Nachwendegeschichte bei der Ergründung der Ursachen für die Rechtslastigkeit des ostdeutschen Wahlvolks ist interessengeleitet, ist pure Ideologie. Zur Versachlichung der Debatte empfiehlt sich eine Weitung des Blickfelds. Rechtspopulistische Parteien befinden sich seit den 1980er Jahren weltweit auf dem Vormarsch. Rassemblement National in Frankreich, die FPÖ in Österreich, die Tea-Party-Bewegung in den Vereinigten Staaten, Ukip in Großbritannien, Figuren wie Marine Le Pen, Jörg Haider, Donald Trump, Boris Johnson mischten und mischen die politischen Machtverhältnisse in diesen Kernländern des Westens kräftig auf. Was diesen Umbruch bewirkte, war eine historische Zäsur – die Abkehr der Eliten vom sozialen Ausgleich zugunsten einer härteren, neoliberalen Gangart des ­Kapitalismus. Maximierung der Gewinne, Lohndruck, Abbau sozialer Rechte, flächendeckende Schließung von Unternehmen minderer Rentabilität, Auslagerung ganzer Branchen in Billiglohnländer, ökonomische Entblößung weiter Landstriche, Verfall der Infrastruk­turen, des sozialen Zusammenhalts, wachsender Drogenkonsum, jäh ansteigende Kriminalität, fallende Immobilienpreise, nun sitzt man fest in diesem Elend, noch eben angesehen, Bürger unter Bürgern, jetzt abgehängt, im Stich gelassen, so ging das Jahr um Jahr. In allen vom Neoliberalismus umgegrabenen Gesellschaften herrscht mas­ senhafte Wut. Die Neue Rechte, ihre Wortführer muss­­ten nur einsammeln, was im Unterbau, aber auch in der Mitte der Gesellschaft an Hoffnungen rücksichtslos zertreten worden war und nach Erlösung, nach Rache Ausschau hielt. Keiner von denen, die nach Rache dürsteten, hatte je auch nur einen Tag in einer Diktatur gelebt. Dieses Szenario hielt auch im Osten Deutschlands nach 1990 Einzug, nur dass sich die Um- und Abbrüche hier auf wenige Jahre konzentrierten; ein wirtschaftlicher, sozialer, kultureller Kahlschlag ohne Anlaufzeit; eine große, kollektive Kränkung mit einer Tiefenwirkung, die erst zeitversetzt zum Tragen kam. Als sie im Maßstab von Millionen ihre Arbeit verloren, kam den Menschen im Osten sehr viel mehr abhanden als nur ihr Broterwerb. Hier waren die Betriebe Wirtschaftsunternehmen und zugleich Träger vielfältiger Einrichtungen, Leistungen, Angebote. Das alles fiel jetzt zusammen mit der Stelle weg und konnte auf kommunaler Ebene aufgrund klammer Kassen nicht ansatzweise ausgeglichen werden. Schlagartig prekär, verkümmerte das Leben auch in seinen nichtökonomischen Bezügen. Wer konnte, suchte das Weite. Und viele konnten, wollten, mussten, weil es so nicht weiterging. Ein unerhörter Aderlass gleich zu Beginn der 1990er Jahre, der an die unglücklichste Tradition der DDR als Auswanderungs- und Fluchtgesellschaft anschloss. Er dezimierte vor allem die Mitte der Gesellschaft. Ohnehin weit ärmer an ökonomischen Ressourcen als ihr westliches Pendant, kamen ihr bis in die Gegenwart fortlaufend auch die jeweils Jungen, Risikobereiten, Weltoffenen, gut Ausgebildeten abhanden, voran die jungen Frauen, was eine Vermännlichung der „Restgesellschaft“, deren Überalterung nach sich zog. Repräsentanten, Anhänger und Mitläufer der Neuen Rechten treten umso selbstbewusster auf, als sie um die Stärke wissen, die ihnen aus der Schwäche von ostdeutscher Mittelschicht und Zivilgesellschaft erwächst. Je mehr von denen, die ihnen die Stirn bieten könnten, weggehen, desto ausschlaggebender wird ihr politisches Gewicht vor Ort, in Wahlkreisen und Kommunen. Das


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wiederum verleiht Menschen, die das schwer erträglich finden, den letzten Anstoß zur „Flucht“; ein Teufelskreis. Den letzten Zweifel an diesem Zusammenhang räumte das ebenso umfäng­ liche wie detaillierte Dossier zur Ost-West-Wanderung im wiedervereinigten Deutschland aus, das Die Zeit in ihrer Ausgabe vom 2. Mai 2019 veröffentlichte. Je gravierender der Abgang, je strukturschwächer die Stadt oder der Landkreis, desto stärker färbt sich die politische Landschaft in der Farbe der AfD ein, das heißt blau, tiefblau zuweilen. Der Rekurs auf die DDR als Hort des Übels geht an dieser unbestreitbaren Korrelation kilometerweit vorbei. Die Lehre aus diesem Dilemma ist einfach, jeder, der seinen Verstand gebraucht, kann sie verstehen. Ein derart umfassender und tiefgreifender gesellschaftlicher Umbruch, wie er sich im ­Osten Deutschlands nach 1990 vollzog, muss in allererster Linie die Ressourcen und die Kraft der einheimischen Bevölkerung stärken. Die schnell um sich greifende sozialökonomische Demobilisierung der Ostdeutschen war ein Unglück, das sich nicht hätte ereignen dürfen und dessen nun sichtbare Spätfolgen das ganze Land betreffen. Die Vita activa ist die Mutter der Demokratie, und dieser Geist, diese Haltung, dieses Mittun, in erster Reihe, aus eigenem Vermögen, kam in viel zu vielen Fällen zum Erliegen, kaum dass das Hauptwerk, die Eroberung der Demokratie, verrichtet war. Freiheitsgewinn und Freiheitsverlust gingen vielfach Hand in Hand. Der Boden, auf dem man sich bewegte, gab nach, und genau das untergrub die Identifizierung mit dem Rahmen, in dem man sich bewegte. Ohne Kenntnisnahme dieses Grundwiderspruchs wird die gesamte nachfolgende Entwicklung unverständlich.

Weder versteht man den harten Kampf um Selbstbehauptung in der ersten Hälfte der 1990er Jahre noch die aufkeimenden anti­ demokratischen Affekte der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts, die sich bereits damals weit ungemütlicher hätten äußern können, wenn die Tränen der Enttäuschung und auch der Wut nicht auf den Kissen der parlamentarischen, demokratieaffinen Linken getrocknet wären. Spätestens seit der Flüchtlingskrise von 2015 litt dieses Zweckbündnis Schaden, ob dauerhaften, bleibt abzuwarten. Seither adressieren veritable Teile der Frustrierten und Verprellten ihren Protest an den rechten Gegenpol der politischen Landschaft. Nun schreiten sie zur Generalabrechnung mit dem „System“ und seinen Trägerschichten. Treuhandpolitik, Hartz-Gesetze, Bankenrettung, offene Grenzen für Flüchtlinge – alles über ihre Köpfe hinweg beschlossen und ins Werk gesetzt, „Schluss damit, jetzt reden wir“. Und mit einem Mal strömen Politiker, Journalisten, Wissenschaftler in den von ihnen so lange verschmähten Osten und ­wollen wissen, was da los ist. „Dann haben wir das doch richtig gemacht“, sagen sich die bis dato Abgeschriebenen. „Genau das war der Zweck unseres Radikalprotestes: die öffentliche Wahrnehmung unserer Lage, der Misere, die hier herrscht.“ Sie haben es nicht richtig gemacht; politische Kräfte gestärkt, die den Boden für Gewalt bereiten; der Terror in Halle, auf offener Straße, widerlegt sie brutal. Höchste Zeit zur Besinnung, zur Umkehr. Darüber wäre zu reden, ist zu reden, ohne Herab­ lassung, ohne Bevormundung und also mit den Wählern vom rechten Rand. Es geht, wie die längste Zeit, seit je, auch über sie hinweg. Doch Vorsicht, jetzt erst recht: Rache ist Blutwurst.//

Hilfe, die Mauer fällt! Komödie von Karsten Laske und Steffen Mensching (Mitarbeit Michael Kliefert) Uraufführung anlässlich des Mauerfalls vor 30 Jahren

Premiere 16.11.2019 Karten: (0 36 72) 42 27 66 / www.theater-rudolstadt.de

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Unter Kleinstädtern Das Theater 89, die einstige Ost-Berliner Szenebühne, reist heute durch Dörfer und Städte Brandenburgs von Gunnar Decker

und überall mit hin – aber immer nach eigenen Maßgaben. Als Achtjähriger stand er in Meiningen das erste Mal auf der Bühne, das war 1962. Mit 16 kam er auf die Berliner Schauspielschule, und mit 19 engagierte Ruth Berghaus den Absolventen ans Berli  um Geheimnis einer über dreißigjährigen Dauerpräsenz ner Ensemble. Dort spielte er 1973 gleich einen junger Arbeiter in gehört, sich nicht immer nur zeigen zu wollen, sondern sich der Uraufführung von Heiner Müllers „Zement“, im Jahr darauf auch verbergen zu können. Hans-Joachim Frank kann das war er Pawel in Gorkis „Die Mutter“. Beides von Ruth Berghaus inszeniert, ein großartiger sehr gut, dieses Zurücktreten ins Unsichtbare, Beginn. um dann plötzlich wieder Doch mit 32 Jahren, gut sichtbar da zu sein. nach 14 Jahren am BerliUnd verwundert stellt man ner Ensemble, kündigte er, das war 1987. Ruth Bergfest: Er war ja nie weg. Im Moment jedoch haus war von den BrechtErben und dem ans Haus ist er gerade wieder unsichtbar. „Kommen Sie zurückgekehrten Manfred ins Berliner Theaterhaus Wekwerth verdrängt worMitte“, hatte er am Teleden – und auf die nun ­an­brechende Langeweile, fon gesagt. Dort proben sie gerade die Wiederauf„das Gefangen-gesetzt-Wer­ den in lauter Statik“, wie nahme von „Das Ende der SED“ aus dem Jahr 2012. Hans-Joachim Frank es nennt, hatte er keine Lust. In welchem Raum, das wisse er nicht, da müsse Er wollte seine ei­ gene freie Theatertruppe. ich beim Pförtner fragen. Mache ich, aber der weiß Mit den Dorfbewohnern als Hauptdarstellern – Ehm Welks „Die Heiden Damals in der DDR ein oft von Kummerow“ (2017), ein Projekt des Theaters 89, dauerte ganze Tage geträumter Traum von Nivon nichts. Kennt auch von früh bis spät. Rechts: Theaterplakate des Theaters 89 von Volker Pfüller kein Theater 89 und keischenexistenz, eine Form (siehe auch „Bilderlust“ von Volker Pfüller, hg. von Stephan Dörschel, gelebten Eigensinns: Bau nen Hans-Joachim Frank, erschienen bei Theater der Zeit). Foto Theater 89 / Plakate Volker Pfüller hat er nicht auf der Liste. dir eine Gegenwelt, in der du dein eigener Herr bist Vielleicht wurde es unter einem anderen Namen angemeldet? Das kann gut sein. Seit Jahund das Wort Entfremdung nicht vorkommt! Nicht vielen gelang das dann auch umzusetzen, ihm schon. Am 1. Mai 1989 gegründet, ren proben sie hier, man kann sich hier problemlos für wenig Geld einmieten. Das sei ideal, weil die meisten Schauspieler des spielte das Theater 89 zum ersten Mal in einem Schulgebäude in der Berliner Wilhelm-Pieck-Straße, in dem es dann immer noch Theaters 89 in Berlin wohnen, auch wenn das Theater selbst 2015 weit aufs Land hinausgezogen ist und jetzt seinen Sitz in der spielte, als sie längst Torstraße hieß. Dort gab es den Club Jojo, den der Schwiegersohn von Hans Modrow ihnen vermittelt hatte. Mit Nordwestuckermark hat, im Ortsteil Naugarten in einem alten „Lenz“ und „Woyzeck“ starteten sie – eroberten dann bald, wie Bauernhaus, in der Dorfstraße 7. Klingt erst einmal nicht gerade Hans-Joachim Frank sagt, das größere „Pausendeck“ desselben nach künstlerischen Höhenflügen. ­Gebäudes, das dann zum eigentlichen Theater 89 wurde. Ist der Aufsteiger von einst zum Aussteiger geworden? VielUta Wilde, die zweite Geschäftsführerin des Theaters 89, leicht liegt die Flucht aufs Land aber auch daran, dass Hans-Joakommt und bringt mich in den Probenraum im dritten Stock. Die chim Frank sozusagen im Theater aufgewachsen ist – und so auch keine Angst haben muss, es jemals zu verlieren. Er trägt es in sich Leseprobe von „Das Ende der SED“ lief bis eben. Eine Collage aus

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protokollierten Tonbandmitschnitten der letzten Sitzungen des Zentralkomitees im Herbst 1989. Es hat etwas von Peter Weiss’ „Ermittlung“. Dazu gibt es Musik, vor allem von Hanns Eisler. Zu diesem hat Frank eine besondere Beziehung, vielleicht auch, weil er 1982 in dessen „Johann Faustus“ (Regie Manfred Wekwerth und Joachim Tenschert) am Berliner Ensemble spielte. Darum sei es auch sinnvoll gewesen, „Auferstanden aus Ruinen“, die Nationalhymne der DDR (1949), mit dem Text von Johannes R. Becher oder auch die „Kinderhymne“ (1950) mit dem Text von Brecht zu diesen Protokollen einer Staatsauflösung zu stellen. Anspruch traf Realität: „Anmut sparet nicht noch Mühe / Leidenschaft nicht noch Verstand / Dass ein gutes Deutschland blühe / wie ein andres gutes Land.“ Hans-Joachim Frank erkennt im Sturz Erich Honeckers durch seinen politischen Ziehsohn Egon Krenz, der den Untergang aber ebenfalls nicht mehr verhindern konnte, Parallelen zu einem antiken Tragödienstoff. Plötzlich bricht die Mauer zusammen, die die Funktionäre in sich selbst aufgebaut hatten, um ihre Hoffnungen und Ängste zu verbergen. Da ist schließlich bloß noch blanke Panik. Die Herrschenden, das zeigen diese Protokolle, waren selbst ganz und gar unfrei, gefangen in ihrer eigenen Ideologie. Immerhin, derjenige, dem man gemeinhin die größte Schuld am unrühmlichen Ende der DDR gibt, Egon Krenz, offenbart – so zeigen die Tondokumente – so etwas wie Würde beim Blick in den Abgrund. Nachdem die führenden Genossen ihre Ohnmacht herausgeschrien oder gar herausgeschluchzt hatten, machte er das Licht im Zentralkomitee aus, schickte die alten ­Kader mit ausgestellter Gelassenheit nach Hause, oder eher ins Ungewisse, um dann selbst hinterherzugehen. Eine erstaunliche Moderationsleistung. Denn weder das Militär noch Polizei oder Staatssicherheit griffen im November und Dezember 1989 zu ihren Waffen, um die „Konterrevolution“ abzuwehren. Statt ­ Dank für staatlichen Gewaltverzicht erwartete Krenz & Co im vereinigten Deutschland das Gefängnis.

Ein Theater ohne Theater „Das Ende der SED“ hatte vor sieben Jahren im ehemaligen Gebäude des Zentralkomitees (heute Teil des Auswärtigen Amtes) Premiere, nun spielen sie es erstmals seit 2014 wieder zum dreißig­ jährigen Wendejubiläum, mitsamt der Singakademie Frankfurt/ Oder – aber eben nur in Brandenburg, vor allem in Schulen und Kirchen. Warum nicht in Berlin? Hans-Joachim Frank erinnert daran, dass sie nun vom Land Brandenburg finanziert werden. Ist es nicht bitter, dass ein Theater, das wie kein zweites den Wendegeist in der Berliner Theaterszene verkörpert, ins brandenburgische Exil vertrieben wurde? Der noch recht junge Schauspieler, der Egon Krenz spielt, schaut mich mit strengem Blick an, Hans-Joachim Frank aber lacht: Nein, so wolle er das nicht sehen. Immerhin habe das Land Berlin sie 25 Jahre lang finanziert, am Ende dann allerdings nicht mehr mit dem vollen Zuschuss von 400 000 Euro, sondern nur noch der Hälfte. Doch solcherart ­Förderdauer sei für eine freie Gruppe, die sie immer geblieben seien, überaus ungewöhnlich. Dennoch, widerspreche ich, das Theater 89 galt als feste Institution – und sein Weggang ist vor allem für Berlins Theaterlandschaft ein großer Verlust.

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Aber eben auch ein Gewinn für das Land Brandenburg, in dem sich das Theater 89 seit über zwanzig Jahren ein zweites Standbein aufgebaut hat. Und wenn man bedenke, so Frank, dass es in Berlin ungefähr 350 Theater aller Art gibt, dann ist Brandenburg doch eine Region, die es für das Theater zu erobern lohnt. Sie praktizieren dort längst, was die Häuser in Senftenberg und Schwedt, die 2017 zu Landesbühnen umgewandelt wurden, erst noch erreichen sollen – sie sind auf dem Land vernetzt, reisen in kleine Städte und Dörfer. Sie haben die Logistik dafür, kennen die bühnentechnischen Gegebenheiten – auch weil sie jeden Handgriff selber machen müssen, vom Auf- und Abbau der Bühne, Kostüme, Ton und Licht. Auch der Theaterleiter muss mit anfassen. Sie sind jetzt eben ein „Theater ohne Theater“, eine fahrende Truppe! Sie machen es gern – das spüren die Leute. Das sei eine wesentliche Voraussetzung, unter diesen bescheidenen Voraussetzungen zu arbeiten. Mit den verschiedenen Förderungen vom Land und auch der Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen“, zu der 31 Städte in Brandenburg gehören, ­haben sie ein Jahresbudget von etwas über 200 000 Euro. Das entspricht ungefähr dem, womit sie zuletzt auch in Berlin auskommen mussten – aber nun, ohne sich um ein festes Haus kümmern zu müssen, das auch dann Geld kostet, wenn es nicht bespielt wird. Der Haken dabei: Sie wissen immer nur für ein Jahr im Voraus, ob und wie viel Förderung sie bekommen werden. Aber HansJoachim Frank sieht nicht aus, als ob ihn das allzu sehr belastet. Er beklagt sich nicht. Spielen werden sie immer irgendwie. In diesem Sommer sind sie mit „Die deutschen Kleinstädter“ von August von Kotzebue in Brandenburg unterwegs gewesen. Es ist eine Groteske über die Allüren der Provinz. Krähwinkel heißt die Kleinstadt, wo ein Mensch ohne Amt und Titel kein Mensch ist und die Frau Untersteuereinnehmerin das Sagen hat. Das kam bestens an, eben auch, weil das Publikum meinte, dass die Kleinstadt als solche sich in den letzten zweihundert Jahren nicht sonderlich verändert hat. Gut, wer über die eigenen konservierten Marotten lachen kann! Wanderbühne und Freilufttheater, da vermutet man erst einmal nicht einen ambitionierten Theaterbegriff, das klingt nach Spektakel für jedermann. Aber solcherart herablassend formulierte Vorurteile ärgern Hans-Joachim Frank, denn sie sind für ihn ein Teil des gegenwärtigen Problems. Die Menschen, die in Dörfern oder Kleinstädten leben, als provinziell abzukanzeln und bloß für einen urbanen Zirkel Kunst zu machen, das sei billig. „Wir müssen mit dem Theater dahin, wo es knirscht“, ist seine Position. Mancher nennt das Theater 89 auch schon eine „schnelle Eingreiftruppe“ für Brandenburg. Am Ende der DDR hatte Hans-Joachim Frank mit einem Kurt-Schwitters-Abend einen riesigen Erfolg. 180 Vorstellungen, Gastspiele in der ganzen Welt. Das traf damals den Nerv des Publikums. Aber dieser Nerv ist eben nicht immer und überall derselbe. Um ihn zu treffen, muss man Teil haben an dem, was das Publikum beschäftigt. Das heißt nicht, ihm nach dem Munde zu reden, aber es, so wie es ist, ernst zu nehmen. Und das ist manchmal schwerer als gedacht. Schaut man auf die Geschichte des Theaters 89, dann erstaunt es immer wieder, wie vielen Hans-Joachim Frank eine ­Möglichkeit bot, sich auszuprobieren, auf ihre Weise die Bühne


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zu entdecken. Oliver Bukowski hatte hier immer Heimspiele, zehn Inszenierungen von ihm brachte Frank heraus, beginnend 1992 mit der Uraufführung von „Das Lachen und das Streicheln des Kopfes“ und dem Erfolgsstück „London-L.Ä.-Lübbenau“ von 1993, in dem die hinreißende Simone Frost in einer Hauptrolle zu sehen war. Die 2009 gestorbene Schauspielerin, Star in Lothar Warnekes Defa-Film „Unser kurzes Leben“ von 1980, war die Frau von Hans-Joachim Frank. Insgesamt vier Stücke von Ralf-Günter Krolkiewicz, darunter „Herbertshof“ und „mein taubentraum“, brachte er auf die Bühne, zudem von Georg Seidel „Kondensmilch­ panorama“. Wer spielte in den neunziger Jahren (von heute nicht zu reden) denn sonst noch diese wichtigen Stücke? In den ersten Jahren dabei: Annekatrin Hendel als Kostümund Bühnenbildnerin, inzwischen eine der wichtigsten Dokumentarfilmerinnen des Landes, oder Janina Bukowski im Organisationsbereich, heute Filmgeschäftsführerin unter anderem für Andreas Dresen. Alexander Langs bevorzugter Bühnenbildner, Volker Pfüller, entwirft weiterhin Plakate für das Theater 89. Und Dramaturg Jörg Mihan, mit dem Frank vom Berliner Ensemble kam, ist immer noch sein engster Mitarbeiter. Sein Credo lautet: „Wir nehmen die Sache ganz ernst, daraus kommt der Spaß.“ Reich oder berühmt wird man so nicht. Dennoch sind sehr gute Schauspieler wie Matthias Zahlbaum oder Sonja Hilberger seit langem dabei. Das Theater 89 ist eben auch so etwas wie eine Familie: Man freut sich aufeinander, wenn man zusammen auf Reisen geht. Die Abendgage beträgt 125 Euro, immerhin kann eine

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Probenpauschale bezahlt werden. Dennoch, wer hier mitmacht, will vor allem eins: spielen.

Kollektivträume Ein Großprojekt, das ab 2017 über drei Jahre lief, war Ehm Welks „Die Heiden von Kummerow“, am Originalschauplatz in Biesenbrow, mit den Dorfbewohnern als Hauptdarstellern. Mit welcher Leidenschaft diese dabei waren, hat auch Hans-Joachim Frank überrascht. Man lebte den Roman mit aller Intensität und Liebe zum Detail. Diese Aufführungen dauerten ganze Tage, man ging von früh bis spät von Station zu Station – und am Abend mündete alles in ein großes Fest. So kann es sein, das Theater auf dem Lande. Hans-Joachim Frank sagt, er selbst komme aus einem kleinen Dorf in Thüringen, das habe ihn geprägt. Gern denkt er an seinen Großvater, der der Schlachter des Dorfes war, ein von einem Bruchleiden gebeugter Mensch, den er als Kind begleitete und der viele aberwitzige Geschichten kannte. Wie die Heiden von Kummerow ritt er als Junge auf einer Kuh. Wenn große Bäume gefällt wurden, erschütterte ihn das. Solcherart Szenen des dörflichen Lebens vergisst er nicht, es sind die „Kindheitsmuster“, die in ihm stecken. Wir reden von Kollektivträumen, die man lebenslang mit sich trägt. Luftwurzeln der eigenen Existenz, die man nicht vorschnell kappen darf. Man muss etwas damit anfangen – im besten Falle mit ihnen spielen. //

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Sturzflüge in die Metaphysik

Bei der diesjährigen Ruhrtriennale sticht neben Produktionen von Marthaler, Lauwers und Goebbels vor allem das intelligente (Jugend-)Theater von Jetse Batelaan hervor

von Martin Krumbholz

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spekte europäischer Selbstkritik“ hat Stefanie Carp ihrem Festival in diesem Jahr verordnet, nachdem die Intendantin der Ruhrtriennale in ihrer ersten Saison ihrerseits in die Kritik geraten war, weil sie eine der BDS-Kampagne nahestehende Band ein-, aus- und wieder eingeladen hatte. Man lernt aus Fehlern, jedenfalls wenn es sich eher um Fehler auf dem diplomatischen Parkett

handelt, weniger um politische Fehlgriffe im engeren Sinn. Zum Job einer Triennale-Intendantin gehört es auch, möglichst jährlich neue attraktive Spielorte im dicht besiedelten Ruhrgebiet auf­ zutun, die ja keine originären Theaterspielstätten sein sollen: ­Welcher Ort eignet sich besser für eine kritische Selbstbefragung als das Auditorium maximum einer Universität, das schon von seiner amphitheatralen Anordnung her einem großen Parlament mit 1700 Plätzen ähnelt? Die Ruhr-Uni Bochum, erst Ende der sechziger Jahre gegründet, wurde also zum Schauplatz der Eröffnungspremiere mit


ruhrtriennale

Beschwörung eines diffusen Schreckens – „Everything that Happened and Would Happen“ von Heiner Goebbels. Foto Heinrich Brinkmöller-Becker / Ruhrtriennale

dem Titel: „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“ von Christoph Marthaler, dem artiste associé der Ruhrtriennale. Von den 1700 Plätzen im weiten Rund war freilich höchstens die Hälfte besetzt, denn auf der gegenüberliegenden Seite tagte ein bizarres Parlament, bestehend aus zehn Spielern der Marthaler-Company, darunter Walter Hess, Josef Ostendorf, Bettina Stucky, die im 22. Jahrhundert, 200 Jahre nach dem Genozid, noch (oder wieder) einen Kaiser in ihrer Mitte begrüßen, den „Kaiser von Hohenzollern-Europa“. Der Rassismus, so heißt es in einer Proklamation, werde zum „Weltkulturerbe“ erklärt – was für ein Einfall! –, in sei-

ner hergebrachten Form sei er zwar ausgestorben, inzwischen gebe es jedoch weit feinere Instrumente der Selektion. Das fik­ tive Europaparlament, das Marthaler und seine Dramaturgin und ­Co-Autorin Stefanie Carp hier im Bochumer Audimax platzieren, ist alles andere als eine utopische Projektion in die Zukunft; die nationalistischen Töne, die ungehemmt laut werden, basieren großenteils auf Originaltönen der Gegenwart, auf ­Reden von Viktor Orbán, Beatrix von Storch, Matteo Salvini, ­Boris Johnson, die ihre eigenen archaischen Ängste aggressiv nach außen wenden. Marthaler hat ein ähnliches Format schon einmal während der Wiener Festwochen realisiert; man hätte es für das Bochumer Remake ohne Weiteres noch entschiedener aktualisieren können – auf die berüchtigte Rede zur „Judenfrage“ des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger von 1894 hätte man kaum mehr zurückgreifen müssen; sie wird von Ostendorf allerdings grandios performt. Die hirnrissigen Einlassungen einer Grazer Stadträtin zur „Rassismustheorie“ im Disput mit einem erbosten, aber dezidiert höflichen Nigerianer sind mindestens ebenso bizarr. Auch der Schlagertext „Meine Heimat“ strotzt vor Dummheit, wird aber von Tora Augestad so hingebungsvoll gesungen, dass die Audimax-Orgel ganz zu Recht zu ihrem einzigen Einsatz an diesem Abend kommt. Doch im Mittelpunkt des „Spätabends“ stehen nicht die real­satirischen Einlagen, so köstlich sie auch dargeboten werden, sondern die (ernsthafte) Musik – Kompositionen beinahe ver­ gessener jüdischer Musiker wie Erwin Schulhoff, Viktor Ullmann, Pavel Haas, von denen viele nach Theresienstadt deportiert und in Auschwitz ermordet wurden. Die ausgewählten Kompositionen (oder Ausschnitte aus ihnen) werden von einem feinen kleinen Kammerorchester unter Leitung von Uli Fussenegger interpretiert, sofern sie nicht, wie Luigi Nonos „Chöre für Tonbänder“ von 1966, ein ergreifendes Auschwitz-Requiem, technisch zu reproduzieren sind. Eindrucksvoll verklingt der Abend mit Felix Mendelssohn Bartholdys wunderbarem Choral „Wer bis an das Ende beharrt (wird selig)“ aus dem Oratorium „Elias“: In einer zeitlupenhaften Prozession verschwinden die Spieler und Musiker hoch oben aus dem Saal, ihr Gesang jedoch ist noch lange aus dem Off zu hören – er beschwichtigt nicht, überstrahlt jedoch im besten Sinn das schrille Dummgeschwätz, das im Lauf des Abends sozusagen aktenkundig und kabarettistisch verformt wurde.

Ästhetischer Eintopf Was man als Zuschauer von alldem zu halten hat, ist keine offene Frage. Während also Marthalers Spätabend eine deutliche ­Botschaft überbringt, wollen andere Künstler wie der flämische Theatermacher Jan Lauwers oder der Komponist Heiner Goebbels genau dies vermeiden. „Die Menschen auf der Bühne wollen uns nicht etwa vorgeben, was wir zu denken haben“, schreibt Goebbels

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festivals

mahnend in einer Notiz zu „Everything that Happened and Would Happen“, uraufgeführt im letzten Jahr in Manchester und nun in der Bochumer Jahrhunderthalle zu erleben. Keine gültige Auffassung von der Welt vorschreiben zu wollen ist sicher ein löblicher Vorsatz; allerdings droht auf der anderen Seite die Gefahr, dem Publikum einen ästhetischen Eintopf vorzusetzen, in dem der alltägliche Horror beispielsweise neben einem privatistischen Familienalbum bequem Platz findet. Dieser Gefahr erliegt Jan Lauwers leider mit seinem Projekt „All the Good“. Der belgische Künstler ist durchaus ein „älterer weißer Mann“ (wie Marthaler und Goebbels auch), der diesen prekären Status mit viel Selbstironie aushebeln möchte und sich in der Gladbecker Maschinenhalle Zweckel gleich anfangs als „irreführender Erzähler“ vorstellt – offenbar in Anlehnung an den „unzuverlässigen Erzähler“ in der Prosa, dessen Ansichten vom Autor diskreditiert werden können. Darum geht es bei Lauwers aber nicht. Er schiebt ein Stellvertreter-Ich auf die Bühne, Benoît Gob, hält sich selbst genüsslich am Rand der Szene auf und lässt in ­einer losen Folge die Mitglieder seiner Needcompany erzählen, was auch immer sie aufgrund ihrer Biografie mitschleppen. Etwa eine exhibitionistisch inszenierte Liebesgeschichte zwischen Romy Lauwers und dem früheren israelischen Soldaten und AntiHisbollah-Kämpfer Elik Niv, der später dazu befragt wird, wie viele Menschen er getötet habe und ob das Töten im Krieg nicht ein Töten wie jedes andere sei. Das ist alles furchtbar rechtschaffen, authentizitätsgläubig und gut gemeint, aber letztlich wird nur eine aktuelle Agenda abgeklappert, von der Palästina- bzw. Terrorproblematik bis hin zum Feminismus, womit Jan Lauwers als Patron seiner Truppe, mag er nun ein alter weißer Mann sein oder nicht, identitätspolitisch hundertprozentig aus dem Schneider ist. Ganz anders, mit weit größerem Ernst, geht Heiner ­Goebbels an seine Sache heran, die indes auch ihre Tücken hat. „Everything that Happened …“ ist eine raumgreifende Tanz­ performance mit Texten des Tschechen Patrik Ouředník („Europeana“) und einer explosiven Komposition von John Cage ­(„Europeras 1 & 2“), die Goebbels während der von ihm selbst verantworteten Triennale schon einmal aufgeführt hat. Die ­Musik ist großartig und wird auch überzeugend interpretiert – insbesondere die atemberaubende ­ Perkussionistin Camille Emaille ist hervorzuheben. Die Bilder, die Goebbels mit seinem Bühnenbildner Klaus Grünberg gefunden hat, sind teilweise

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Provokanter Auszeit-Modus mit philosophischer Tiefe – „(.....)“ von Jetse Batelaan mit Willemijn Zevenhuijzen, Carola Bärtschiger und Elias De Bruyne. Foto Volker Beushausen/Ruhrtriennal

­eeindruckend, von zwanzig Performern virtuos und kräfte­ b raubend ausgeführt, etwa wenn auf Rollen schnell bewegte Kästen sich imaginär in Schlauchboote verwandeln. Der Witz des Textes aber, von einem wohltönenden ­Sprecher (John Rowley) durchweg in englischer Sprache vorgetragen, geht weitgehend verloren. Ouředníks „Kurze Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“ (2002) versucht, eine quasi staunende oder

Künstlerhaus Mousonturm November 2019 „Kunst und Kultur sind Ausdrucksformen von Vielen und von Vielem – aber unter einer Voraussetzung: dass wir in einer pluralen Gesellschaft leben. Diese unsere demokratische und künstlerische Freiheit ist nicht ohne Widersprüche und ist niemals einfach. Aber wir verteidigen sie gegen alles, was sie bedroht: völkisch-nationalistische, fundamentalistische, populistische oder autoritäre Weltbilder. Wir verteidigen sie gegen Stimmungsmache, Ausgrenzung und Abwertung anderer Menschen, wie z.B. jede Form von Rassismus, Homo- und Transphobie, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus oder Islamophobie, und geben solchen Positionen keinen Raum.“ aus der Frankfurter Erklärung der Vielen Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main GmbH, Waldschmidtstr. 4, 60316 Frankfurt/Main


ruhrtriennale

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pseudonaive Distanz zu den überwiegend schauerlichen Ereignissen zu wahren, wobei Dramatisches virtuos mit Banalem gemischt wird. Der salbungsvolle Ton passt dazu nicht, das Englische rückt den Inhalt unnötig in eine Distanz, und die aktuellen Euronews-Bilder, die unkommentiert zugespielt werden, beschwören einen diffusen Schrecken herauf – ihr Gestus ist ­jedenfalls ein anderer als der des Autors. Letztlich entsteht auch hier der Eindruck eines Mixtum compositum, dessen Schwermut und Düsternis den Betrachter weniger begeistern als niederdrücken – obwohl die wilde, expressive Musik gerade dieses nicht intendiert.

Die Drei von der Quatschstelle Tröstlich, dass es bei all dem Pathos, bei der etwas plumpen Selbstironie auch im Rahmen der Ruhrtriennale in der Essener Zeche Carl ein intelligentes Jugendtheater gibt, das durchaus selbstreferenziell auftrumpft, diesen Gestus jedoch mit eminentem Witz überhöht: „(…..)“ heißt das „Stück, dem es scheißegal ist, dass sein Titel vage ist“; der Niederländer Jetse Batelaan, der auf der diesjährigen Biennale in Venedig mit dem Silbernen ­ Löwen ausgezeichnet wurde, hat es mit seiner ­jungen Truppe A ­ rtemis realisiert. Wenn drei Figuren sich auf einer leeren Bühne eine Stunde lang die Beine in den Bauch stehen, ist das normalerweise tödlich. Desgleichen, wenn mehrmals minutenlang das Licht verlöscht und das Theater sich in ein Hörfunkstudio verwandelt. Nicht bei Batelaan: Der

Über das schrille Dummgeschwätz der Gegenwart – „Nach den letz­ ten Tagen. Ein Spätabend“ von Christoph Marthaler und Ensemble. Foto Matthias Horn/Ruhrtriennale

scheinbar provokante Auszeit-Modus, mit dem die drei Performer sich quasi verabschieden, überhaupt der minimalistische Ansatz des Stücks dient als Sprungbrett für einen immer wieder verblüffenden Sturzflug durch alle erdenklichen Höhen und Tiefen der Metaphysik. Und das kommt beim jungen ­Publikum erfreulich gut an. Wobei sich dieser Abend ebenso gut für ein erwachsenes Publikum eignet (darunter „die Goethe-Institut“, wie es im Holland-Deutsch heißt). Ob die kauzigen, superlakonischen Drei von der Quatschstelle sich in die Rolle der Zuschauer versetzen, die sich darüber auskotzen, ob die „Undeutlichkeit“ der Introduktion – Licht aus, Licht an – irgendeinen Sinn abwirft, oder ob sie über die Frage räsonieren, ob man gleichzeitig „hier“ (die Bühne: was für ein Ort ist das) und woanders sein kann – das hat Tiefgang und einen wunderbaren Humor. Während die Schweizerin Barbara Frey zu ihrer Nachfol­ gerin ab 2021 gekürt wurde, hat Stefanie Carp nach dem etwas ­holprigen Anfang längst ihre Meriten. Die diesjährige Ausgabe bot einige Höhepunkte, manches andere war unbedingt ambitioniert und teilweise gelungen. Im nächsten Jahr soll sich das G ­ anze runden. //

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aktuelle inszenierung

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Lob der Liebe Im Berliner Friedrichstadt-Palast zeigen René Pollesch und Fabian Hinrichs, woran es sich noch zu glauben lohnt – trotz der Kälte des Kapitalismus

von Jakob Hayner

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in Abend über Liebe und Einsamkeit? Ist das nicht ein wenig fad, ein bisschen privat? Allzu intim kann es allerdings bei „Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt“ nicht werden, das liegt schon an der Bühne des Berliner FriedrichstadtPalasts. 38 Meter breit, 37 Meter tief ist sie, sagt Fabian Hinrichs. Er erkundet die Bühne, in seinem goldenen Glitterkostüm mit bunten Federn – eine Reminiszenz an die an diesem Ort üblicherweise aufgeführten Revuen mit ihren opulenten Ausstattungen. Weit entfernt, fast nur noch ein goldenes Scheinen im dunklen Raum, wirkt der Schauspieler am hinteren Ende, der vordere Rand ist ein Rund, an das sich die Zuschauerreihen anschmiegen. Das gibt der Szene etwas fast Antikes. Die flachen Zuschauer­ tribünen vermitteln den Eindruck von versammelter Masse, eine Wucht und Gleichheit – ganz das Gegenteil der Enge und der ­Logen im benachbarten Berliner Ensemble oder des rotsamtenen Saals im Deutschen Theater, an dem René Pollesch zurzeit beschäftigt ist. Am nächsten kommt dem noch der Saal der Volksbühne. Nicht unpassend, konnte Pollesch in dem Theater am Rosa-Luxemburg-Platz seine Bühnensprache entwickeln. Auch ­ Tabea Braun, die gemeinsam mit Stefano Canulli und Philip Treacy die Kostüme verantwortete, hat jahrelang an der Volksbühne ge­ arbeitet. Ab 2021 übernimmt Pollesch deren Leitung. Dann wird auch Fabian Hinrichs an die alte Wirkungsstätte zurückkehren. Doch für den Moment steht er da, der schmale Körper mit den krummen Beinen im goldenen Anzug auf der riesigen Bühne, und ruft aus: „Was ist das, diese grundlegende Einsamkeit, dieser unendliche Schmerz, dass es kein Zuhause gibt?“ Eine Anspielung auf den Verlust der Volksbühne? Oder doch die intime Beichte eines leidenden Menschen? In den Stücken von Pollesch gibt es keine solche Eindeutigkeit. Es wäre lang­weilig, wenn die Sprache seiner Texte in ihrem Gemisch aus Alltäglichem, Pop­ kultur und Theorie nicht auch etwas Metaphorisches hätte. Eine Metapher hat etwas Eigenständiges, sie tastet die Welt nach ­Bedeutungen und Ähnlichkeiten ab, legt sich nicht fest auf eine Bezeichnung, bewahrt eine Offenheit gegenüber den Phänomenen. Für die Einsamkeit, nach deren Grund Hinrichs fragt, findet sich ein Bild, der einzelne Mensch auf der Bühne, der seine Lebensform befragt. Aus welchem dunklen Grund ist es gewachsen, das

Subjekt? Hinrichs durchstreift den Saal, verfolgt vom Schein­ werfer, erzählt von einer Kindheit, von der Angst vor Verlust der Eltern, von Liebesentzug, Schlägen des Vaters, der ersten Zigarette, Fernsehen, Urlaub. Und Scheiße. Aus der Psychoanalyse weiß man das als Symptom der Angst vor Entäußerung und Kontrollverlust zu interpretieren. Der anale Charakter will nach Sigmund Freud alles bei sich behalten. „Zuhause, das kann doch nicht für alle Dunkelheit bedeuten“, spricht Hinrichs ungläubig in den Saal. Was ist denn dieses Zuhause? Der Schutz der Familie, der einen aber den väterlichen Schlägen aussetzt? Die Liebe der Familie, die auf panischer Angst vor ihrem Entzug und folglich Unterwerfung beruht? Was ist es dann? „Der Kapitalismus ist doch kein Zuhause“, sagt Hinrichs, um hinzuzufügen: „Das Zuhause ist doch kein Zuhause.“ Ist es doch nur eine abgenutzte Phrase, illusorischer Fluchtpunkt des an Vereinzelung leidenden modernen Subjekts? Von Gertrude Stein ist die Gedichtzeile überliefert, in der sich Rose an Rose reiht. Das zeigt zum einen, wie leer die Symbolisierung der Liebe durch eine zufällige Blume schon geworden ist. Zum anderen zeigt es durch die Wiederholung das Wesen des Symbolischen selbst. Gesten, ­deren Sinn sich aus dem Wechselspiel von wiederholtem Gebrauch und allgemeiner Anerkennung ergeben. Das Zuhause ist ein Zuhause ist ein Zuhause … Hinrichs steht nicht mehr allein auf der Bühne, um ihn herum sind 26 Tänzerinnen und Tänzer des Friedrichstadt-Palasts in bunten Trikots. Sie bilden eine Reihe, die Beine schwingen nach oben und unten, man hört die bloßen Füße auf der Bühne. Ohne Musik, erst später wird Ravels „Bolero“ eingespielt. Ein Bein ist ein Bein ist ein Bein … Es ist ein eindringliches Bild, es zeigt die Bewegung, aber es fehlt doch etwas. Erinnerungen an „Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia“ von 2012 werden wach, eine der legendären Arbeiten von Pollesch, Hinrichs und dem verstorbenen Bühnenbildner Bert Neumann. „Mehrwert!“, rief Hinrichs damals, während Turner auf eine Matte hüpften, mal mit und mal ohne Musik und Licht. Doch können wir diese Beinreihe noch als ein „Ornament der Masse“ begreifen, wie es Siegfried Kracauer anhand der Tiller Girls beschrieb? Für ihn entsprach der Rhythmus der Beine dem der Fabrik im fordistischen Zeitalter. Ist das noch ein Signum unserer Zeit? Oder sind wir möglicherweise vertrauter mit dem Versuch, sich selbst zu umarmen, wie es die Tänzer tun? Die Sorge um das eigene Selbst scheint charakteristischer für die Epoche der vereinzelten Arbeitskraftunternehmer und der Selfies zu sein.


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­ egenüber den perfekt choreografierten Bewegungen der Tänzer G wirkt Hinrichs fast ebenso verloren wie zu Beginn auf der leeren Bühne. So sehr er sich bemüht, die Bewegungen nachzuahmen, sich anzupassen, es mag nicht gelingen. Die Masse erlöst nicht aus der Einsamkeit, sie macht sie vielleicht vergessen, wenn man sich in sie einfügt. Doch umso größer wird die Panik, wenn die Masse zerfällt oder ihre Ansprüche an den Einzelnen unerfüllbar werden. „Wir haben dich verlassen“, ist einer der wenigen Momente, in denen der Chor zu Sprache findet. „Es gibt kein Zuhause.“ „Warum soll man überhaupt noch Hoffnung haben“, fragt Hinrichs. Er humpelt über die Bühne. Niemand kann die Selbstbefragung und -erkundung des beschädigten modernen Subjekts so spielen wie er – zudem vor Tausenden Zuschauern. Er spricht nicht nur für sich, er bringt etwas zum Ausdruck. Wissen will er, „was man aus mir gemacht hat, was man aus der Welt gemacht hat“. Er ist einer, der zweifelt, der beobachtet, der infrage stellt. Der sich nicht zufrieden gibt, der mehr will von der Welt als die bloße Existenz, der ein nicht totzukriegendes Begehren hat. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte Hinrichs geschrieben, das Theater aus dem freien Spiel heraus Gefühlsgedanken entwickeln müsse, ein von Immanuel Kant entlehnter Begriff. Und tatsächlich, was Hinrichs spielt, das berührt das Fühlen und Denken, auch weil es viele Menschen etwas angeht, weil hier einer für uns spielt, damit wir uns besser kennenlernen. Auf einer hereingefahrenen Brücke mit Neonröhren steht Hinrichs im Kreise der Tänzer, eine Gitarre umgehängt. „Sie hören nun“, kündigt er in der Diktion von Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ an, „das Lied vom Netto-Einkäufer oder Warum man sich nichts mehr anderes vorstellen kann als diese Wirtschaftsordnung“. Und dann? Dann geht es um die Liebe.

Die Masse erlöst nicht aus der Einsamkeit – Fabian Hinrichs (im Glitzeranzug) in René Polleschs „Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt“ mit Tänzerinnen und Tänzern des Friedrichstadt-Palasts. Foto William Minke

„Ich will mit dir zu Decathlon“, mit diesen Worten beginnt Hinrichs umadressierte Hymne auf die Liebe. In der dem Zufälligen entrissenen Verbindung, der man gemeinsam eine selbstgewählte Form gibt, ist das Modell einer gelingenden Lebensform angelegt. In der Moderne denkt man seit Hegel und Hölderlin so über die Liebe in Verbindung mit Philosophie, Wahrheit und Politik. Oder auch dem Theater: Die Liebe ist eine „Bühne für zwei“, wie es der Philosoph Alain Badiou formulierte. Keine Flucht, sondern Widerstand gegen die Einsamkeit. Oder Vorbote einer „sozialistischen Situation“, wie es in dem Stück heißt. „Liebe ist kälter als das Kapital“, stellte Pollesch einst fest. Eine Gegenthese oder Synthese? Gerade weil der Kapitalismus alles nivelliert, müssen wir an die Liebe wie die völlige Erneuerung der Welt glauben, müssen unser Leben einrichten, als ob es möglich wäre, um nicht dem Zynismus zu verfallen. Als Hinrichs vor einem Sternenhimmel zu Céline Dions „All By Myself“ schwebt und von einem Licht spricht, das niemals erlischt, ist das zweifelsohne purer Kitsch. Und doch irgendwie schön. Man beginnt zu ahnen, dass jene Kunst, die nur argwöhnisch darüber wacht, nicht solchen Momenten zu verfallen, insgeheim nicht an die eigenen Mittel und deren Kraft glaubt. Oder wie es Hinrichs sagt: „Nur Gefängniswärter haben etwas gegen Eskapismus.“ In siebzig Minuten zeigen Pollesch und Hinrichs, dass die theatrale Vorbereitung auf den Ausbruch durchaus glanzvoll und unterhaltsam sein darf. //


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schwedt Vorspann

Bilaterale Gespräche Der neue Intendant André Nicke bringt theatrale Bewegung an die Uckermärkischen Bühnen Schwedt und eröffnet mit einem umstrittenen polnischen Stück von Hartmut Krug

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ie Lüge ist das Fundament des Kommunismus.“ Die Situation ist voller Spannung. Auf der einen Seite Hanna Stachowska, eine polnische Journalistin mit einem Aufnahmegerät in der Hand, die einen Oberst im Ruhestand aufgesucht hat, um ihn über seine politische Arbeit in der Vergangenheit zu interviewen. Auf der anderen Seite eben jener polnische Oberst Stefan Kołodziej, der so einiges über politische Untaten zur Zeit der Volksrepublik Polen (1944–1989) zu berichten hat, aber auch erstaunlich viel über das Leben der Journalistin weiß. Etwa, welchen Namen diese vor ihrer Heirat besaß und warum und wie ihr geschiedener Mann eine gescheiterte Figur wurde. Zugleich trainiert er vor der Ankunft seiner Besucherin das Wort „Auschwitzlüge“. Er scheint mehr Täter als Opfer zu sein, hat dreißig Mal seinen Lebenslauf neu geschrieben. So agierte er zunächst in einer Untergrundorganisation, zuständig für Sabotage und antikommunistische Propaganda, die gegen den massiven Einfluss der Sowjetunion in Polen agitierte („Porträts von Stalin, Bierut und Rokossowski herunterreißen. Und dergleichen.“). Später wurde er verhaftet, gefoltert, verpfiff viele Menschen. In der Todeszelle wurde er angeworben und wechselte auf die Seite der moskautreuen Regierung. Eine Zeit des Völkermords sei dies gewesen, erklärt der Oberst.

In seiner Wohnung sind alle Türen und Schränke mit Vorhängeschlössern gesichert, denn er traut aus Erfahrung niemandem. Schon die Tatsache, dass seine Besucherin darauf beharrt, ihren Kaffee ohne Zucker zu trinken, verunsichert ihn. Und da der Oberst seine Kenntnisse offen ausbreitet, von erlittenem und begangenem Unrecht berichtet, wird das Gespräch schnell zu einem Kampf. Dabei kann er sich souverän geben, denn „wir waren alle zu jung, um im Wald zu verrecken, und jedoch zu alt, um noch an Väterchen Stalin zu glauben“. „Nürnberg“ heißt der Politthriller von Wojciech Tomczyk, der an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte. Er ist eine Auseinandersetzung mit politischen Taten und Untaten in der neueren Geschichte Polens. In der Schwedter Spielstätte intimes theater sitzt eine kleine Schar von Zuschauern auf beiden Seiten der Kampfszene, während rechts und links über der Bühne die polnische Übersetzung eingespielt wird. Das Stück rief 2006 recht kontroverse Reaktionen in Polen hervor und kann zurzeit nur in Schwedt gesehen werden, denn wenngleich Wojciech Tomczyk in den Augen der seit 2005 regierenden nationalkonservativen PiS-Partei, die Mitte Oktober bei den Parlamentswahlen erneut bestätigt wurde, einer der wichtigsten polnischen Theaterautoren ist (Stücke von ihm laufen als Fernsehtheater im Staats­ fernsehen), besteht an „Nürnberg“ momentan scheinbar kein Interesse.


protagonisten

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Regisseurin Sonja Hilberger verlässt sich ganz auf den Text, inszeniert nicht Effekte, sondern Fragen und tiefere Bedeutungen. Der Oberst will eine Art Nürnberger Prozess für sich erzwingen, will büßen, damit die Verbrechen des Stalinismus offengelegt und die Täter, die auch ihn in ihren Fängen hatten, angeklagt werden. Schauspielerisch ist nicht viel aus den Szenen herauszuholen, Vortrag mit intensivem Ausdruck ist wohl die richtige Beschreibung für die solide Spielweise der Darsteller Sebastian Reusse und Adele Schlichter. Zu einem zweiten Nürnberg kommt es am Ende nicht. Ein Freund verletzt den Oberst auf einem Jagdausflug tödlich. Oder lief Kołodziej absichtlich in die Schusslinie? Die Aufarbeitung bleibt jedenfalls aus. Wenn am Ende Ines Venus Heinrich als Ehefrau des Obersts es für wichtiger hält, statt über „diese betrüb­ lichen Dinge“ zu sprechen, den Enkeln zu vermitteln, dass ihr Großvater ein „guter Pole“ gewesen sei, verdeutlicht dieser Schluss ganz beiläufig das gesellschaftliche Desinteresse an der Aufarbeitung der Verbrechen in Polen. Das Thema des Antikommunismus indes trifft voll und ganz das Narrativ der jetzigen Regierung. Ein spannendes Thema also für das direkt an der polnischen Grenze gelegene Schwedt, dessen Publikum sich auch aus dem Nachbarland generiert. Wo in Schwedt einst das drittgrößte Schloss der Hohenzollern stand, wurde 1978 ein großes Kulturhaus errichtet. Nachdem die Stadt zum Ende des Zweiten Weltkriegs fast völlig zerstört worden war, kam mit der Schwerindustrie auch die Kultur. Das Kulturhaus, von den Kombinaten zunächst ohne Baugenehmigung errichtet, wurde finanziell fast so gut ausgestattet wie der Palast der Republik in Berlin. Es gibt drei Spielstätten, eine davon ist ein riesiger Saal, der vor allem für Musicals genutzt wird. Neben dem intimen theater fürs Schauspiel und einer Theaterklause bleibt viel Raum für Ausstellungen. Statt einst 150 000 leben jetzt noch 30 000 Einwohner in

Auf beiden Seiten der Kampfszene – „Nürnberg“ von WojciechTomczyk in der Regie von Sonja Hilberger (hier mit Adele Schlichter und Sebastian Reusse). Links: Schwedts neuer Intendant André Nicke. Fotos Udo Krause

der Stadt. Deren Wünsche nach vor allem Unterhaltung erfüllte ­ihnen der ehemalige langjährige Intendant Reinhard Simon mit Rock- und Pop-Musicals. Gerade hat er, nun als Gast, ein Musical über Till Eulenspiegel herausgebracht. Sein Nachfolger, der 1966 in Bautzen geborene André Nicke, arbeitete zunächst 15 Jahre am Stadttheater Cöpenick in Berlin, bevor er 2017 in Schwedt Schauspiel­ direktor wurde. Seit dieser Spielzeit hat er den Inten­dantenposten inne. Unter ihm scheint theatrale Bewegung ins Schwedter Theater gekommen zu sein. „Vielleicht liegt das daran, dass ich die Menschen im Osten besser verstehe als die im Westen“, sinniert Nicke. Die Landesbühnentage, die 2021 an seinem Haus stattfinden werden (seit 2017 ist das Theater eine Landesbühne), will er unter den Begriff „Der wilde Osten“ stellen.

André Nicke, geboren 1966 in Bautzen, studierte an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Mitte der neunziger Jahre gehörte er zum ersten Ensemble des Stadttheaters Cöpenick in Berlin und realisierte zeitgleich erste eigene Regiearbeiten. Es folgten Engagements als Schauspieler und Regisseur am Theater der Altmark in Stendal und am Landestheater Detmold. In der Spielzeit 2000/01 übernahm André Nicke die Intendanz des Stadttheaters Cöpenick, ab der Spielzeit 2015/16 arbeitete er freiberuflich als Regisseur und Kabarettist. Seit September 2019 ist André Nicke Intendant der ­ Uckermärkischen Bühnen Schwedt.

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protagonisten

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15.11. - 01.12.2019 Frankfurt am Main

ُ ‫اﻟﻌﺮيب‬ ‫ﻬﺮ‬ ‫ﰲ اﳌ‬ IM

ARABISCHEN RÖSSL

ehemals IM WEISSEN RÖSSL

Operette von Ralph Benatzky u.a.

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THEATER WILLY PRAML, NAXOSHALLE Waldschmidtstraße 19, 60316 Frankfurt am Main

Schon als Schauspielchef brachte Nicke in Schwedt spannende Projekte heraus. So inszenierte er 2018 unter anderem das Stück „Ein Knochenjob“, eine deutsch-polnische Komödie von Fred Apke, in der die Gespaltenheit der polnischen Existenz deutlich gemacht wird. Im Stück kommt ein Deutscher ins ­polnische M ­ asuren, wo ein Geschwisterpaar in einem verfallenden Haus und ohne Jobs lebt. Er möchte, gegen Geld, die Ge­ beine seiner Großeltern exhumieren. Der Bruder wittert einen guten Deal, will aber gleichzeitig keine Geschäfte mit Deutschen machen. Die Uckermärkischen Bühnen müssen sich durch Vermietungen, Messen und Aufführungen auch Eigenmittel verschaffen. Wenn Theaterstücke angesetzt werden, die nicht im Lehrplan der Schulen stehen, ist es nicht einfach, dafür ein Publikum zu finden. Zwar hätten sie, auch durch die Musicals, jährlich 120 000 Zuschauer, doch habe es Theater als interpretierende Kunst schwer, so Nicke. Kein Grund jedoch, auch von ungewöhnlicheren Lesarten abzusehen. Friedrich Schillers „Die Räuber“ (2018), ausverkauft wie das Musical „Die Schatzinsel“ in jeweils 28 Vorstellungen, zeigte in Nickes Inszenierung den Aufwiegler Spiegelberg als eine Frau. Am Ende waren alle Räuber tot, Spiegelberg wurde gleich dreimal ermordet, denn die Demagogie bekommt man nicht leicht aus der Welt. Weitere Stücke, die in Planung sind, sind „Antigone“ von Sophokles, inszeniert von Jörg Steinberg, „Der zerbrochene Krug“ in der Regie der neuen Schauspieldirektorin Uta Koschel, Goethes „Faust“ in einer Version von André Nicke sowie die im Fonds ­Doppelpass gefördert Produktion „Das Blaue vom Himmel“, eine „radikal-bunte Trash-Schlager-Revue“ mit Alltagsexperten aus Schwedt in Kooperation mit dem Kanaltheater, einer freien Gruppe aus Eberswalde, deren Themen sich dezidiert aus der Region speisen, der Bürgerstiftung Barnim Uckermark und dem TNT Marburg. Zudem arbeitet das Schwedter Theater mit der Musical-Fakultät der Universität Danzig zusammen, deren Studenten ein Praktikum in Deutschland absolvieren können. Durch die polnische Übertitelung können viele deutsch-polnische Inszenierungen angeboten werden. Selbst das Weihnachtsmärchen in Schwedt zieht polnische Besucher an, weil es eine zweisprachige Figur mit einer Art Wundersprache gibt. „Der Blick in den Osten muss ­gestärkt werden“, meint André Nicke, „und wir müssen uns fragen, was Theater tun kann, um den Menschen dabei zu helfen.“ Es wäre noch auf viele Inszenierungen hinzuweisen, die aus der Zusammenarbeit zwischen norddeutschen und polnischen Theatern entstanden sind beziehungsweise entstehen. Ende Oktober beherbergte das Haus die Deutsch-polnischen ­Theatertage 2019 des Theaternetzwerks viaTeatri, einem gemeinsamen Projekt der Uckermärkischen Bühnen, der polnischen Opera na Zamku in Stettin und des Theaters Vorpommern. Die Interreg-Förderung durch die EU hatte dem Haus bereits unter Reinhard Simon 2017 dieses interkulturelle Netzwerk ermöglicht, bei dem es nicht nur um Koproduktionen und Gastspiele geht, sondern beispielsweise auch Austauschworkshops für die technischen Abteilungen veranstaltet werden. Nicht nur in Schwedt, sondern auch in der Theaterlandschaft zwischen Deutschland und Polen ist also viel in Bewegung. //


kolumne

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Ralph Hammerthaler

Besserwisser*innen Das Theater ist von Moral umstellt – wenn das mal gut geht

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oral macht der Kunst zu schaffen, nicht weil die Kunst unmoralisch wäre, sondern weil sie moralische Fragen lieber umspielt als beantwortet, lieber in tausend Teile zerlegt als in eindeutige (und damit einfältige) Botschaften kleidet. Letztes Jahr war in München im Haus der Kunst eine große Jörg-Immendorff-Ausstellung zu sehen, „Für alle Lieben in der Welt“, darunter Gemälde aus dem Zyklus „Café Deutschland“. Weil sich der Künstler nicht mehr wehren konnte, ließen die Kuratoren ihrem moralisch korrekten Einfältigkeitsverstand freien Lauf und klebten unters „Café Deutschland“, auf dem sich ein Hakenkreuz befand, ein pädagogisches Erklärzettelchen: „Das Hakenkreuz wird hier in kritischer Absicht verwendet.“ Ach so. Hätte ich jetzt nicht gedacht. Für wie dumm hält der Kunstbetrieb eigentlich sein Publikum? Für sehr dumm, muss man annehmen, denn Einfältigkeitsverstand und Erklärzettelchen lauern seit Neuestem überall, auch im Blick auf Theater und Literatur. Ganz so, als ginge es darum, die anarchische Kraft der Künste einzuhegen und zu domestizieren. Was Immendorff betrifft, so müsste man seine Kuratoren bloßstellen mit der Ironie von Martin Kippenberger: „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken.“ In der Berliner Volksbühne hat Stefan Pucher Wedekinds „Lulu“ inszeniert, offenbar auf der Moralhöhe der Zeit und so mit dem ganzen feministischen Diskurs gewappnet. Im Programmheft wird nicht weniger als das Theater an sich beklagt, seine von Männern für Männer entworfene Kultur. Intendant, Regisseur, Autor, Dramaturg, allesamt auch hier beklagenswert männlich. Formuliert werden „Fallen“, in welche die Männer auf keinen Fall tappen sollten, zum Beispiel die Falle der Melancholie, „die manische Euphorie mit Traurigkeit, Selbstekel und affektiver Ambivalenz paart und auf widersprüchliche Weise an den Allmachtsphantasien festhält“. Das genau aber wäre es gewesen. Euphorie, Traurigkeit, Ambivalenz, Widersprüchliches. Dafür gibt es die Kunst. Wem Lulu zu heiß ist, der sollte die Finger von ihr lassen. Die Domestizierungsoffensive erfasst mittlerweile auch die Kritik. Im Spiegel berichtet Wolfgang Höbel, wie die Jury des Berliner Theatertreffens, der er angehört, vorsorglich einer Fortbildungsmaßnahme unterzogen wird, damit sie sich in Fragen des Rassismus sensibilisiere. „Um konkrete soziale Benachteiligung oder institutionellen Ausschluss in der Kulturwelt geht es erstaunlich wenig. Eine zentrale Frage der antirassistischen Sensibilisierung ist: Wer nennt wen wie?“ Dazu geben die Trainerinnen klare

Anweisungen, weil alles andere verwirrend und womöglich noch Kunst wäre. Höbel gesteht eine verstörende Erfahrung ein, die darin liegt, dass er für ein paar Stunden die Kontrolle über die Bedeutung seiner Worte abgeben muss. Das trifft es ganz gut, das trifft die neue moralische Besserwisserei, die den eigenen Standpunkt gern zum Maß aller Dinge erklärt. Bitte jetzt alles auf Linie. Da stören die Künste nur. Wenn wer etwas besser weiß, dann lass ich mich gerne belehren. Aber wenn er oder sie es so gut zu wissen vorgibt, dass alle Komplexität verblasst, weil er oder sie dazu nicht fähig ist und allein den Vorteil genießt, auf der gerade mal richtigen Seite zu stehen, nein danke, dann ohne mich. Die gerade mal richtige Seite versteigt sich in ans Theater gerichtete Gebote und Verbote, um einer unübersichtlichen Welt Herr zu werden. Darum sollen Vietnamesen in einem Stück nur noch von Vietnamesen auf der Bühne gespielt werden dürfen, wie der Vorwurf an Philipp Preuss und seine „rein weiße“ Inszenierung von Thomas Köcks „Atlas“ heißt, letzten Sommer im Schauspiel Leipzig. Dass ein solcher Quatsch überhaupt diskutiert wird, entlockt mir ein krampfiges Joker-Lachen. Dieser Vorwurf kann nur von Leuten kommen, die kein Theater mehr haben wollen, die es ablehnen, dass die einen sich in die anderen hineinversetzen, alles, was die Welt zusammenhält, noch dazu die Freiheit des Spiels, die Essenz der Bühnenkunst. In den Vereinigten Staaten sind sie wie immer schon weiter, in diesem Fall auf dem Feld der Einfältigkeit. In Universitäten und Colleges erhalten Studierende trigger warnings, Alarmzettelchen, die sie vor der Lektüre von Shakespeares oder Dostojewskis Werken warnen, vor dem Blutrünstigen zumal. „Die Stelle, die Sie gleich lesen werden, enthält verstörende Inhalte und kann eine Angstreaktion auslösen, besonders bei Personen mit einer Vorgeschichte an Traumata.“ Verständlich ist, dass sie Menschen vor Verletzungen schützen wollen. Aber ohne Schmerz ist Kunst nicht zu haben, weil sie vom Leben da draußen und von der Welt erzählt. Das ist die verdammte Wahrheit. Inzwischen hat eine Studie herausgefunden, dass jene trigger warnings selbst Ängste auslösen, angeblich größere Ängste als die beargwöhnten Stellen im Lektürekanon. Generell spricht die Soziologin Cornelia Koppetsch von schwindender Ambiguitätstoleranz, von dem Bedürfnis nach Vereindeutigung und affektiver Entmischung. Beinahe zwanghaft sei unsere Gesellschaft auf das Saubere und Reine fixiert – eine große Zeit für Eiferer. Doch der gute Mensch, sagt der Philosoph Martin Seel und nennt es sein Humphrey-Bogart-Theorem, ist nicht ganz so gut wie der nicht ganz so gute Mensch. //

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Niemand wartet auf Godot Theater und Aktivismus in Afghanistan von Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn

Afghanistan, ein Land im ewigen Krieg. Seit dem Einmarsch der Sowjet­ union vor rund vierzig Jahren befindet sich das Land am Hindukusch in einer nicht enden wollenden Spirale der Gewalt. Nach dem Stell­ vertreterkrieg zwischen der sowjetischen Besatzungsmacht und den von den Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien und Pakistan unterstützten Mudschahedin von 1979 bis 1989, kämpfte sich die radikalislamistische

Taliban-Miliz an die Macht. 2001 überzogen die Vereinigten Staaten das Land mit einem Vergeltungskrieg für die Terroranschläge vom 11. September. Trotz internationaler Truppen bleibt die Lage in Afgha­ nistan lebensgefährlich. Auch die Präsidentschaftswahlen, die am 28. September 2019 stattfanden, wurden von Angriffen der Taliban überschattet. Zuvor hatte der amerikanische Präsident Donald Trump die Friedensverhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban abgebrochen. Das Ergebnis der Wahl wird für den 7. November erwartet. Die Gewalt geht unvermindert weiter – wie auch an diesem Tag, an dem in Kabul ein Theaterstück geprobt wird.


afghanistan

„Das Schlimmste von allem ist, dass ein gewaltsamer Tod für uns immer mehr zur Norm wird“ – Ein improvisierter Friedhof in Kabul. Foto AHRDO

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nter den unendlich vielen Möglichkeiten, wie ich mir einen mit künstlerischen Mitteln arbeitenden Aktivisten vorstelle, nimmt zurzeit das Bild des Künstlers als Totengräber, des Künstlers als menschlicher Bagger einen besonders großen Platz in meiner Vorstellung ein. Dieses Bild ist das Resultat eines weiteren Selbstmord­ anschlags in Afghanistans Hauptstadt Kabul im August 2018. Damals wurde eine lokale Bildungseinrichtung angegriffen, in der

sich zahlreiche jungen Menschen eifrig auf eine unmittelbar bevorstehende Universitätszulassungsprüfung vorbereiteten. Boom. In einem einzigen Akt menschlicher Barbarei wurden Dutzende von aufstrebenden und talentierten Jugendlichen, die Zukunft eines jeden Landes, in Stücke gerissen, und mit ihnen ihre Träume, Wünsche und Berufungen. Zur exakt gleichen Zeit, als der Anschlag passierte, wurde nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt an einem neuen Theaterstück gearbeitet. Einige Künstlerinnen und Künstler der Afghanistan Human Rights and Democracy Organization (www.ahrdo.org), eine im Jahr 2009 als politische Theaterplattform konzipierte Organisation der afghanischen Zivilgesellschaft, befanden sich mitten in den Proben ihrer neuen Produktion „Zwanzig Wege des Sterbens und ein Funken Leben”, ein Antikriegsstück, inspiriert von Pablo Nerudas berühmtem Gedichtband „Zwanzig Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung“. Absurderweise hatten wir die meiste Zeit des Nachmittags damit verbracht, eine Szene zu proben, in der ein Selbstmordattentäter sich für seine Mission und den damit verbundenen Aufstieg in den Himmel vorbereitet. Trotz dieses eher finsteren Themas ist die allgemeine Stimmung unter uns hervorragend. Es ist ein Tag voller Freude und Kreativität, voll wilden Herumexperimentierens, aber auch künstlerischer Entschlossenheit, mit dem Ziel, ein Stück zu produzieren, dass den alltäglichen Wahnsinn der Menschen in einem Kriegsgebiet wie Afghanistan auf ehrliche, ungeschönte Weise darstellt. Wir beenden unsere Probe in bester Laune und freuen uns auf ein paar Stunden mit Freunden oder Familie, um das Leben ein wenig zu genießen in einem ansonsten immer weniger erträglichen Gesamtkontext, dominiert von vierzig Jahren Krieg und menschlicher Grausamkeit. Dann klingelt plötzlich ein Handy. Boom. Uns wird mitgeteilt, dass soeben ein Selbstmordanschlag stattgefunden habe, und zwar mitten in einem Wohnviertel Kabuls, in dem die allermeisten der Künstlerinnen und Künstler, ihre Familien und viele unserer Freunde leben. Die Atmosphäre im Raum ist erdrückend. Die ersten Krankenwagensirenen ertönen, und unter uns macht sich die Erinnerung an den Geruch nach verbranntem menschlichem Fleisch breit. Der Übergang zwischen Freude und Qual ist nahtlos in einem Kriegsgebiet. Absurdes Theater. Was in den darauffolgenden 24 Stunden passiert, ähnelt einer afghanische Version von Audre Lordes „Die Verwandlung von Schweigen in Sprache und Aktion“. Umgehend beginnen diejenigen, die noch vor wenigen Minuten Zusammenarbeit und Solidarität auf der Bühne probten, dieselben Qualitäten jetzt als Teil eines schnell zusammengestellten, kollektiven Notfallkomitees zu zeigen, das den Opfern und ihren Familien zu Hilfe kommen soll. Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Menschen aller Couleur melden sich freiwillig zum Dienst. Die Atmosphäre ist fieberhaft. Telefongespräche. Tweets. E-Mails. Und zwischendurch immer wieder Seufzer der Wut und der Verzweiflung. Was soll mit den Leichen

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ausland

geschehen? Wo sollen sie begraben werden? Viele von ihnen sind noch nicht einmal identifiziert, weil ihre Familien oft weit entfernt auf dem Land leben und sie erst in einigen Tagen oder sogar Wochen erfahren werden, dass die sterblichen Überreste derer, die die Zukunft der gesamten Familie symbolisierten, in diesem Moment von einem unbekannten, aber mitfühlenden morda shoye (Totenwäscher) für die Beerdigung am morgigen Tag vorbereitet werden. Die Zeit rennt. Die Körper müssen schnellstmöglich beerdigt werden. Zum einen, weil es von Seiten der Religion so vorgesehen ist. Zum anderen, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Regierung sich ihrer annimmt, was im Regelfall bedeutet, dass sie versuchen wird, ihre eigene Verantwortung für die Fortsetzung der scheinbar unendlichen Gewaltspirale im Land zu vertuschen. Es folgen noch mehr Telefongespräche, noch mehr Tweets und E-Mails. (Nur keine Seufzer mehr. Jeder Atemzug wird benötigt, um für die Gerechtigkeit der Opfer zu kämpfen). Schließlich wird eine Entscheidung getroffen. Am nächsten Morgen soll es zu einem Massenbegräbnis auf einem Hügel in der Nähe des Nationalparlaments kommen. Bis vor ein paar Stunden war dieser Hügel noch ein beliebter Ausflugsort für ein Picknick, aber wer hat schon Hunger, wenn soeben deine Brüder und Schwestern ausgelöscht wurden? Der Hügel wird besetzt, und niemand wird die Menschen daran hindern, das zu tun, was getan werden muss. Ganz nach dem Motto: „Wir sind beschädigt und gefährlich“, wie es in unserem Stück heißt. Trotzdem ist das Thema Sicherheit natürlich ein wichtiges. Schon zu häufig war es in der Vergangenheit so, dass die, die gekommen waren, um ihren Familienmitgliedern die letzte Ehre zu erweisen, dann selbst Opfer eines Selbstmordanschlags wurden. Aus diesem Grund sprechen wir auch

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Tausend Funken Leben – Künstlerinnen und Künstler der Afghanistan Human Rights and Democracy Organization (Dritter von rechts: Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn). Foto AHRDO

mit der lokalen Polizei, die uns verspricht, unsere Sicherheit zu gewährleisten, dann aber am nächsten Tag einfach nicht auftaucht. Wer hingegen erscheint, sind Hunderte von Menschen, unter ihnen meine Künstlerfreunde, bewaffnet mit Schaufeln, Spitzhacken und anderen Buddelwerkzeugen (sogar einem Bagger), entschlossen, diejenigen zu ehren, „deren Leben nicht zu einem natürlichen Ende gekommen sind, sondern auf brutale Weise ­verkürzt wurden“ (Quentin Meillassoux). Die Stimmung ist erdrückend. Es ist einer der heißesten Tage des Jahres, aber niemand hier schert sich um die Hitze. Es ist die seit Jahrzehnten in Afghanistan anhaltende Kultur des Todes und der Straflosigkeit, großzügig „unterstützt“ von der internationalen Staatengemeinschaft, die das Blut der Versammelten zum Kochen bringt. Dies und die plötzlich auftauchenden bewaffneten Polizisten, die gewaltsam versuchen, die Menge zu sprengen, dabei zwei Personen verletzen, sich dann aber schnell darüber klar werden, dass ihre Mission zum Scheitern verurteilt ist. Hier lässt sich niemand von ein paar Schüssen unterkriegen. Im Gegenteil, das kollektive ­Graben beginnt umgehend. Überall sind Schaufel und Spaten zu sehen und zu hören. Dann werden die verstümmelten Körper der Opfer (im Afghanischen als „Märtyrer“ bezeichnet) gebracht. Es fließen Tränen des Schmerzes und der Wut, aber auch Tränen der Rebellion und revolutionären Würde. Wir werden euch nicht vergessen. Es reicht jetzt mit diesem ewigen Krieg.


afghanistan

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Einige Minuten später befinden wir uns wieder in unserem Büro. Die menschlichen Bagger haben sich überall ausgebreitet. Einige von ihnen liegen auf dem Fußboden. Andere sitzen zusammen­ gesunken auf Stühlen. Ein weiterer kauert erschlagen auf einem Sofa und lässt sich den Blutdruck messen, während er es irgendwie schafft, weiterhin Tweets und WhatsApp-Nachrichten über das Begräbnis in die Welt hinaus zu senden. Ihre Augen sind leer. Erschöpftes Schweigen. Die Seufzer sind zurück. Beckett hätte in Afghanistan wohl seinen Verstand verloren. Es wird Tee gebracht. Allmählich kommen die Lebensgeister zurück. Ich frage meine Kolleginnen und Kollegen schüchtern, wie es ihnen auf dem ­Hügel ergangen ist. Ihre Antworten verursachen einen Schmerz wie von Schlangenbissen: „Ich habe mich während des Grabens die ganze Zeit gefragt, wer wohl mein Grab ausgraben wird, wenn ich demnächst bei einem weiteren verdammten Anschlag selbst ums Leben kommen werde.“ – „Das Schlimmste von allem ist, dass ein gewaltsamer Tod für uns immer mehr zur Norm wird. Ich frage mich ständig, wann es mich endlich treffen wird. Ich hoffe nur, dass der Tod schnell eintritt und ich nicht tagelang langsam verrecke.“ – Und dann schließlich: „Wie lange noch können wir von den Menschen in Afghanistan erwarten, dass sie immer wieder aus der Asche ihrer verstümmelten Träume auferstehen? Wie oft noch kann der Phönix aus der Asche steigen, bis er vor Müdigkeit und Verzweiflung an Hoffnungslosigkeit krepiert?“ Boom. Da ist sie also. Die ultimative Frage bezüglich der menschlichen Existenz in einem Kontext von niemals endender

­ ewalt, Verlusterfahrungen, Entmenschlichung und ständig ver­ G ratener Hoffnungen. Boom. Boom. Boom. Beckett hätte zweifellos seinen Verstand im heutigen Afghanistan verloren. Oder wer weiß? Vielleicht auch nicht. Jedenfalls sind meine Künstlerfreunde definitiv noch nicht bereit, ihre mit Blut getränkten Handtücher zu werfen. Ganz im Gegenteil. Frei nach James Baldwin: Ich habe sie oft erschüttert und manchmal auch gebrochen gesehen, aber ich habe noch nie gesehen, dass sie aufgegeben haben. Ihre Flügel mögen müde sein, aber ihr innerer Phönix steigt weiterhin jeden Tag wieder auf. Am Leben zu bleiben ist (auch) eine politische Frage. // PS: Die Erstaufführung unseres Stücks fand nur 48 Stunden nach dem Attentat in einem Blackbox-Keller von Kabul statt. Die Schauspielerinnen und Schauspieler wollten unbedingt spielen, da sie sich sicher waren, dass dies der perfekte Moment sei, um diejenigen in Afghanistan und im Rest der Welt anzuklagen, die lieber töten, weil sie zu feige sind zu leben. PPS: Natürlich haben meine Künstlerfreunde auch Namen. Allerdings haben sie mich gebeten, anonym zu bleiben, da sie nur ein kleiner Teil einer übermenschlichen, kollektiven Anstrengung waren.

Der deutsch-bolivianische Theatermacher Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn arbeitet seit 2007 in Afghanistan. Er ist Mitglied des Direktoriums der ­ ­Afghanistan Human Rights and Democracy Organization.

fast forward europäisches festival für junge regie

14.–17.11.2019 Anna Klimešová, Tschechische Republik 14. + 15. November � Megfigyelők / beobachter Kristóf Kelemen, Ungarn 14. + 15. November � Mikado Remix Louis Vanhaverbeke, Belgien 14. + 15. November � One Bertrand Lesca & Nasi Voutsas, Großbritannien 15. + 16. November � Medea Rieke Süßkow, Deutschland 16. + 17. November � Hlapec Jernej in njegova pravica / Knecht Jernej und sein recht Žiga Divjak, Slowenien 16. + 17. November � Great Depressions Jan Philipp Stange, Deutschland 16. + 17. November � Du Sale ! Marion Siéfert, Frankreich 16. + 17. November VladaŘ / Herrscher

mit Unterstützung von Förderverein des Staatsschauspiels Dresden, Goethe Institut, Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds, Institut français und Französisches Ministerium für Kultur/ DGCA in Zusammenarbeit mit HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste, Hochschule für Bildende Künste Dresden, Semper Zwei, Kulturhauptstadt Dresden 2025

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Look Out

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Von diesen KünstlerInnen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern.

Im Fluss der Begriffe Der Dramaturg Frederik Tidén präsentiert im Düsseldorfer Schauspielhaus Spielarten einer pluralen Gesellschaft

W

ie Sie unschwer erkennen können“, erklärt Frederik Tidén ziemlich kokett, „bin ich Dramaturg an diesem Haus.“ Nun, wenn man es nicht wüsste, würde man es kaum erraten, denn Tidén steht in diesem Augenblick im Outfit einer Dragqueen vor seinem Publikum, mit allem Drum und Dran, und präsentiert im Unterhaus, einer neu eingerichteten Spielstätte des Düsseldorfer Schauspielhauses, sein Soloprogramm „The New World“. Die Schleife seines charmant vorgetragenen Monologs reicht von aktuellen politischen Debatten (Trump!) bis hin zu intimsten Bekenntnissen, alles elegant verwoben. An der Rampe liegen ein paar Blätter mit Stichworten, ab und zu wirft der Performer einen Blick darauf. Die Fans sind begeistert. Der 1987 in Stockholm als Kind eines schwedischen Vaters und einer deutschen Mutter geborene Tidén ist gar nicht von selbst auf die Idee gekommen, Dramaturg zu werden, berichtet er beim Kaffee. Nach einem Regiestudium an der Münchener Otto-Falckenberg-Schule, einem Master of Arts in Theater an der Zürcher Hochschule der Künste und ein paar freiberuflichen Jahren ließ er sich für eine Produktion des ­schwedischen Regisseurs Linus Tunström als Dolmetscher ans Staatsschauspiel Dresden engagieren; dort „entdeckte“ ihn die Dramaturgin Felicitas Zürcher und bot ihm an, 2016 mit ihr ans Düsseldorfer Schauspielhaus zu wechseln. Als Dramaturg. Eine ganz neue Perspektive tat sich auf. Und inzwischen also auch ein weiteres Aufgabenfeld: Tidén wird das Programm des Unterhauses, das von der Lecture Performance zum Afrofuturismus über feministische Diskursreihen bis hin zu DEFA-Filmpräsentationen reicht, künftig kuratieren und hofft, dass diese Abende spürbar ins Haus ausstrahlen. Kurz vor seiner Berufung zum Dramaturgen hatte Tidén zusammen mit dem Schauspieler Nicolaas van Diepen ein ScienceFiction-Stück entwickelt, in dem es irgendwie um Sexroboter und Öko-Atombomben ging und das im Berliner Ballhaus Ost aufgeführt wurde („Feelings from the Future“, 2015). Aus einem klei-

nen Budget wurden Perücken, Korsagen und eben alles angeschafft, was man so für eine Dragqueen benötigt. Nach und nach eignete Tidén sich diese Kunstfigur an und merkte, wie effektiv sie sein Selbstbewusstsein stärkte. „Der Zuschauer bekommt schon was geboten, ohne dass ich auch nur den Mund auftue“, sagt er. Am 20. Januar 2017, dem Tag der Amtseinführung von Donald Trump, präsentierte Tidén in der sogenannten NachtCentrale auf der Brücke des Ausweichquartiers Central des Düssel­ dorfer Theaters einen weiteren politischen Diskurs. Das Outfit wurde zur „Kriegsbemalung“: Die Trump-Wahl hatte den erklärten Amerika-Freund und pas­ sionierten New-York-Jetter schockiert. Die tiefe Ambivalenz seines Bildes von den USA, das einst so rosarot gefärbt war, durchdringt heute auch das Programm „The New World“. Die Ambivalenz ist nicht aufzulösen, denn die Faszination für den Glamour des amerikanischen Showbusiness und den liberalen Style of Life bleibt durchaus bestehen. Eine „neue Welt“ stellt aber auch der Komplex der Queerness dar, die den Begriff „schwul“ weitgehend abgelöst hat. Das Wort „queer“, erklärt Tidén, enthalte eine akademisch-politische Aufladung, während „schwul“ inzwischen einen fast biederen, affirmativen Anstrich habe. „Queer“ bringe die Begriffe in Fluss. Das weite Feld der Transsexualität sei eingeschlossen. Tidéns Umgang damit ist freilich ein betont spielerischer. Er lässt eine Person namens Sophia-Sophia Muhammad Ali Walker lebendig werden, eine hysterische, aber liebenswerte USA-Exilantin. Die hat mit dem Land ihrer Herkunft definitiv gebrochen. Bei der berührenden Schilderung einer Liebesnacht in New York lässt Frederik Tidén den Song „Child of Vision“ vom Supertramp-Album „Breakfast in America“ einspielen. Schade, dass es nicht, wenn schon Siebziger, doppeldeutiger und damit weniger kitschig, „Waiting for the Man“ von Velvet Underground ist. Doch bekanntlich ist nichts auf der Welt prekärer als eine ästhetische Entscheidung im Kontext libidinöser Offenbarungen. // Foto Ema Sturlese

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Martin Krumbholz


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Look Out

Schmetterlingsschlag des Politischen Der Regisseur Sascha Flocken bringt Spielprozesse zum Leuchten

in junger Student fragt sich am Ende seines Politik- und Philosophiestudiums: „Ist es das jetzt?“ Seine Ansprüche an sich und die eigene ­ ­Lebensaufgabe sind so allgemein wie anspruchsvoll: „Menschen erreichen, ­ Welt erzählen, etwas – verändern.“ Die Konsequenz des eigenen ­Anspruches? Sascha Flocken gibt dem Theater eine Chance. Ihn begeis­ tert bereits als Regieassistent eine ästhe­ tische Praxis, welche politisch wirkt. Ab 2013 arbeitet der 1985 in Fran­ kenthal Geborene als Regisseur an den Theatern Freiburg und Konstanz, auch in Essen und Stuttgart. Verkopfte und theorielastige Inszenierungen sind ebenso wenig sein Anliegen wie ein Schauspiel, das von der Form her dominiert wird. Es geht ihm darum, ­ „etwas hinzustellen“, das aber „mit Leichtigkeit“. Das Große, Politische sucht und findet er im Kleinen, Menschlichen. Seine Neugier für das, was Schauspieler­ innen und Schauspieler in eine Inszenierung mitbringen, ist enorm. Es verwundert deshalb nicht, dass Sascha Flocken auf herausragende Weise mit jungen Menschen und Laien zu arbeiten versteht. In der Spielzeit 2018/19 reißt seine Inszenierung eines Stückes über die Pflege die Zuschauer vor Begeisterung regelmäßig von den Sitzen. „Silent Service“ am Theater Freiburg ist ein Inszenierungsprojekt mit Auszubildenden der Pflege über die Pflege. Es passt in die allgemeine politische Debatte zum Pflegenotstand und kommt doch eminent positiv, ja energiegeladen daher. Aus biografischen Narrationen und choreogra­ fierten Alltagsabläufen spinnt Flocken eine eigen­ständige, sehr dynamische künstlerische Form. Sie gründet in der durch­ gängigen Bezogenheit der Darsteller aufeinander und i­hrem an­ steckenden Enthusiasmus. Flocken braucht und setzt auf Schauspieler, die sich einbringen, in die Materie eigenständig hineindenken und das verstehen wollen, was auf der Bühne verhandelt wird. Ein autoritärer Gestus als Regisseur ist ihm fremd. Der Regisseur wirkt in seinen Schilderungen eher als Suchender und Impulsgeber

Foto Michael Kaiser

E

denn als Deutender. Wesentlicher Spielpartner bleibt für Flocken die Textvorlage. Kleists anspruchsvolle „Penthesilea“-Verse bilden Rahmen und Mittelpunkt der aktuellen Inszenierung „Penthesilea – love is to die“ des Theaterkollektivs Bambi Bambule, bei der Flocken Regie führt. Kleists Konzept einer bedingungslosen Liebe wird auch jenseits des Originals kritisch befragt, etwa aus feministischer Sichtweise oder von der modernen, zu Kleists Dramenschluss konträren Perspektive eines Miteinanders der Geschlechter. Die dabei vollzogenen Ausstiege aus dem Stücktext führen aber keineswegs weg von Kleist, im Gegenteil. Sie sorgen für Offenheit und bringen letztlich die Textvorlage über das Spielen und Reflektieren der Schauspielerinnen und Schauspieler zum Schwingen. Wie häufig bei Flocken, transportiert sich die von Beginn an dichte Atmosphäre über von Schauspielern live gespielte Musik: ein Klangteppich, der jenseits der fußnotengenauen Begrifflichkeit assoziativ definiert, in welcher Emotion die Begegnungen auf der Bühne stattfinden. Was für andere schwer erscheint, fällt Flocken beim Inszenieren leicht: „Ich weiß, was ich will und wohin ich will.“ Beim Roman „89/90“, seiner jüngsten Arbeit am Theater Freiburg, ist dies nicht zuletzt die irritierende Gegenwärtigkeit rechter Gewalt. Peter Richters breit angelegtes Erinnerungsnarrativ ist ein Stoff wie geschaffen für Sascha Flocken. Der Regisseur als Remix-Künstler: Ebenen suchen, auch jenseits des Textes, und diese neu zusammensetzen. Er kann so im Mikrokosmos individueller Biografien und Begegnungen den Schmetterlingsschlag des Politischen aufspüren, erzählen und reflektieren. // Bodo Blitz

„89/90“ von Peter Richter in der Regie von Sascha Flocken ist wieder am 10. November am Theater Freiburg zu sehen. „Penthesilea – love is to die“ des Theaterkollektives Bambi Bambule gastiert am 1. und 2. November im Theaterdiscounter in Berlin.

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/ TdZ November 2019  /

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auftritt

/ TdZ  März    /  / November  20182019

Buchverlag Neuerscheinungen

Dem Leben der Puppen, wenn ihre Bühnenzeit vorbei ist, geht das berühmte Objekttheaterduo Gyula Molnár und Francesca Bettini mit „Bin nicht im Orkus“ nach. 2009 entwickelten die Künstler das Theater­ stück „Kasperls Wurzeln“. In Zusammenarbeit mit dem Münchner Stadtmuseum wurde sein Entstehungs­prozess in einer Ausstellung räumlich abgebildet. Mit der letzten Vorstellung des Theaterstücks fand das Figurenensemble seinen Weg von der theatra­len in die museale und nun in die Welt der Bücher, in einen bilderreichen Collagen-Comic.

Die Theatermusik ist ein oft überhörtes Phänomen, obwohl sie gerade im Zuge der Digitalisierung zu einem kreativen Motor für die Spielformen und Dramaturgien der Theaterlandschaft avanciert ist. David Roesner gibt einen Überblick über Praxis und Ästhetik der heutigen Theatermusik und lässt in knapp zwanzig Interviews die Künstlerinnen und Künstler selbst zu Wort kommen. So entsteht ein umfassendes und vielschichtiges Bild dieser elementaren Ausdrucksebene des Theaters und des damit verbundenen Berufsbildes.

Francesca Bettini und Gyula Molnár Bin nicht im Orkus. Eine kurze Collage aus einem zerschnittenen Textbuch und sechs abgespielten Figuren Hg. von Sammlung Puppentheater/Schaustellerei des MünchnerStadtmuseums

RECHERCHEN 151 David Roesner Theatermusik Analysen und Gespräche

Hardcover mit 40 Seiten ISBN 978­3­95749­264­7 EUR 10,00 (print) / 8,99 (digital)

Taschenbuch mit 396 Seiten ISBN 978-3-95749-239-5 EUR 22,00 (print) / EUR 17,99 (digital)

Dinu Tamazlacaru gehört zu den Stars der internationalen Ballettwelt. Geboren und ausgebildet in Moldawien, dann am Wiener Konserva­to­ rium, gewann er 2002 den renommierten Prix de Lausanne und wurde mit 18 Jahren an der Staatsoper Unter den Linden engagiert. Zwei Jahre später holte ihn Vladimir Malakhov ans fusionierte Staats­ ballett Berlin, wo er 2012 Erster Solotänzer wurde. Das Buch spürt dem Antrieb seiner einzigartigen Karriere nach. Es besteht aus einem exklusiven Gespräch und zahlreichen, bisher unveröffentlichten Abbildungen.

Mark Lammert, bekannt als Maler, Zeichner, Grafiker, dann auch als Schöpfer unverwechselbarer Bühnenräume, legt hier erstmals seine gesammelten Schriften zum Theater vor. Ähnlich wie in seinen Bühnenarbeiten entwirft er in seinen Texten komplexe Denk- und Assoziationsräume, in denen er in der literarischen Form des zitatreichen Fragments grundsätzliche Fragen künstlerischer Entwicklung von Raum, Farbe und Licht in Theater und Film erörtert.

Dinu Tamazlacaru von Jan Stanislaw Witkiewicz

Mark Lammert Rot Gelb Blau Texte zum Theater

Taschenbuch mit 238 Seiten Zweisprachig deutsch / englisch ISBN 978-3-95749-112-1 EUR 18,00 (print) / EUR 14,99 (digital)

Taschenbuch mit 120 Seiten ISBN 978-3-95749-161-9 EUR 15,00 (print) / 11,99 (digital)

Erhältlich in der Theaterbuchhandlung Einar & Bert oder portofrei unter www.theaterderzeit.de

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Auftritt Berlin „Anna Karenina oder Arme Leute“ nach Lew Tolstoi und Fjodor Dostojewski in einer Fassung von Oliver Frljić und Ludwig Haugk  Bremen „Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig“ (UA) von Mehdi Moradpour  Cottbus „Warten auf Sturm“ (UA) von Peter Thiers  Düsseldorf „Thyestes Brüder! Kapital. Anatomie einer Rache“ von Claudia Bosse / theatercombinat nach Seneca  Halle „Der Tempelherr. Ein Erbauungsstück“ von Ferdinand Schmalz Hamburg „Serotonin” (UA) von Michel Houellebecq in einer Fassung von Falk Richter  Heidelberg „Der sechste Kontinent“ von Lothar Kittstein, Bernhard Mikeska und Maria Schneider  Leipzig „Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist  Schaan / Liechtenstein „Identität Europa“ (UA) von Daniel Batliner, Clàudia Cedó, Vedrana Klepica, Guy Helminger, Dirk Laucke, Rebecca C. Schnyder, Csaba Székely und Andra Teede  Wilhelmshaven „Caligula / Julius Caesar“ (DSE) von Albert Camus und Peter Verhelst


auftritt

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BERLIN Klassenkampf und Eisenbahnromantik MAXIM GORKI THEATER: „Anna Karenina oder Arme Leute“ nach Lew Tolstoi und Fjodor Dostojewski in einer Fassung von Oliver Frljić und Ludwig Haugk Regie Oliver Frljić Bühne Igor Pauška Kostüme Sandra Dekanić

Bevor es gegen Ende des dreistündigen

zur Wirklichkeit, sind noch ferner als das

Abends doch noch etwas furios wird, muss

Schicksal von Anna Karenina. Zugleich haben

man eine lange Zeit Geschehnissen folgen,

sie keine Bedeutung für unser Leben. Wie das

die ungefähr so spannungs- und abwechs-

Zerreißen eines weit entfernten und hierzu-

lungsreich sind wie eine Doppelfolge „Eisen-

lande sowieso nicht gut beleumundeten Poli-

bahn-Romantik“. Es gibt die Armen, geklei-

tikers stören sie nicht den Konsens, sondern

det in einfache Kleider aus grobem Stoff, und

erhalten ihn, indem sie kraft- und wirkungs­

die Reichen, umhüllt von grotesk-goldenen

lose Bilder als Opposition inszenieren. Frljićs

Gewändern und Pelzen (Kostüme Sandra

Angriff auf die Klassengesellschaft ist derart

Dekanić). Jene, die nach dem Brot gieren und

schlecht vorgetragen, dass er kaum zu ihrer

sich für noch den kleinsten Bissen zu ernied-

Kritik oder ihrem Sturz beitragen wird. Eher

rigen bereit sind, und die, welche es in einer

im Gegenteil. //

Jakob Hayner

der ausschweifenden Ballnächte der russischen Aristokratie als Unterlage benutzen und darauf herumtreten. Im Programmheft fehlt nicht die pflichtschuldige Angabe der heutigen Lebensmittelverschwendung, ein-

BREMEN Selbstverliebte Weltuntergangsparty

Dieser Abend ist wie der neueste Film von

hundert Brotlaibe auf der Gorki-Bühne ent-

Quentin Tarantino. Man glaubt zu wissen, wie

sprechen dem Brotabfall von zwei Personen

die Geschichte ausgeht, aber dann kommt al-

pro Jahr. Fehlt nur noch der Hinweis auf den

les anders. Oliver Frljić eröffnet mit „Anna

CO2-Ausstoß der Nebelmaschine, die auch

Karenina oder Arme Leute“ nach Lew Tolstoi

nicht zu wenig zum Einsatz kommt, um etwas

und Fjodor Dostojewski die Spielzeit auf der

düstere Atmosphäre herzustellen, unterstützt

großen Bühne des Berliner Maxim Gorki The-

von eingespielten tiefen Streichern. Abgegrif-

aters. Dort sind Schienen auf Schwellen ver-

fene Hintergrunddramatik, während die Drai-

legt, eine kleine Gleisanlage mit Kreuzung,

sinen auf den Schienen nach vorn und hinten

Spurwechsel unmöglich (Bühne Igor Pauška).

fahren und der Spot die Sprecher aus dem

Das Leben verläuft auf vorgegebenen Bahnen,

dunklen Bühnenraum hervorhebt. Alles zielt

wobei auch manche unter die Räder geraten.

auf einen Effekt, der sich trotzdem nicht ein-

Anna Karenina ist es an diesem Abend nicht,

stellen mag. Und der als Anklage der Gewalt

Mit eindrücklichem Theaterdonner als pro-

so viel sei verraten.

der Klassengesellschaft in seiner karikatures-

grammatischem Versprechen die Aufmerk-

ken Überspitzung auch nicht funktioniert.

samkeit des Publikums nach der Sommer-

Frljić nimmt die beiden Klassiker der

THEATER BREMEN: „Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig“ (UA) von Mehdi Moradpour Regie Pınar Karabulut Bühne Bettina Pommer Kostüme Bettina Werner

russischen Literatur, um deren Personal in ei-

Die Schauspieler haben auf der Bühne

pause zurückzugewinnen ist Aufgabe der

ner neuen Anordnung auftreten zu lassen – als

keinen einfachen Stand. Aufgrund der Schie-

Saisoneröffnungsproduktion. Klug vorbereitet

Vertreter des Widerspruchs der Klassen und der

nen und des Brots auf dem Boden im wörtli-

schien das Theater Bremen. Es engagierte die

Geschlechter. Zwei sich kreuzende Logiken, die

chen Sinne nicht, als Repräsentanten von

als super feministisch, super lustvoll durch-

in der Überschneidung nicht ineinander aufge-

Abziehbildern ohne Psychologie aber auch im

geknallt geltende Jungregisseurin Pınar Kara-

hen. Der Regisseur, sowieso nicht als ein Meis-

übertragenen nicht. Sie bebildern einen Regie-

bulut, die mit ihrer Vorliebe für trashiges Pop-

ter der feinen Nuance bekannt, demonstriert

einfall. Aus sich heraus kommt keine Bewe-

theater eine „humanoide Komödie“ des im

mit „Anna Karenina oder Arme Leute“ einmal

gung zustande, auch Motivationen sind nicht

Iran geborenen und seit 2001 in Deutschland

mehr, wie man mit dem Holzhammer insze-

zu erkennen. Über allem hängt ein Flügel in-

lebenden Autors Mehdi Moradpour unter dem

niert. A girl and a gun, auf diese einfache, aus

klusive Pianist, und wenn gerade keine dra-

Titel „Attentat oder frische Blumen für Carl

dem Film bekannte Formel verlässt sich am

matischen Bässe aus der Konserve kommen,

Ludwig“ zur Uraufführung bringen sollte.

Ende auch Frljić. Und die von Lea Draeger ge-

klimpert es gefällig aus der Schwebe. Die

Bettina Werner entwarf ihr in einem Fanta-

spielte Anna Karenina als Angehörige der obe-

Gegenüberstellung von „Arme Leute“ und ­

sierausch extravagante Kostüme einer ausge-

ren Klassen darf sich entscheiden, ob sie mit

„Anna Karenina“ soll nach Frljić zeigen, dass

flippt dystopischen Zukunft. Bettina Pommer

ihresgleichen sterben oder lieber gemeinsam

erst das Fressen kommt, dann die Liebe. Und

stellte unter ein Kettenkarussell und Plane-

mit den Frauen zunächst die Männer erschie-

dann Heiner Müllers „Mauser“ vor übergroßem

ten-Ballons eine Anrichte für Schaumwein-

ßen will. Der Ausgang ist kaum überraschend.

Lenin-Porträt. Und dann die Schüsse. Und

kelche auf die Bühne – als prunkvollen Altar

dann noch Wladimir Putin, dessen Porträt

der Sektschlürfer. Vor diesem verneigt sich

aber von der feministischen Sozialrevolutio-

nun ein mönchisch vermummtes Darsteller-

närin Warwara, gespielt von Anastasia Guba-

quartett zur Anbetung. Die Szene glitzert und

reva, zerrissen wird. Es ist, wie schon bemerkt,

wird aus dem Boden benebelt. Optisch ist

wenig subtil. Aber auch kaum nachvollzieh-

also alles reizvoll vorbereitet. Schon beginnt

bar. Die pathetischen Gesten der Revolte sind

die Rede vom weltverdunkelnden Vulkanaus-

nicht ernst zu nehmen. Sie haben keinen Bezug

bruch auf Indonesien des Jahres 1815;

Abziehbilder einer Idee – Oliver Frljić inszeniert mit „Anna Karenina oder Arme Leute“ nach Lew Tolstoi und Fjodor Dostojewski am Maxim Gorki Theater nur kraft- und wirkungslose Bilder als Opposition. Foto Ute Langkafel

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/ TdZ November 2019  /

Themendropping entlang des Zeitgeists – Pınar Karabuluts Inszenierung von Mehdi Moradpours „Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig“ am Theater Bremen. Foto Jörg Landsberg

nutzten Textbausteine. Die Regie weigert sich dementsprechend konsequent, einen Weg durch den Wortdschungel zu schlagen, und doppelt stattdessen die Dramaturgie des ­Autors in einem folgenlosen Nebeneinander von Szenen. Karabulut bebildert selbstverliebt kunterbunt den selbstverliebt schlaubergernden Text. Verschluckt ihn auch mal und macht Witzchen dazu. Lebt dabei das aus, was der Autor „postdramatische Belastungsstörung“ nennt. Dabei mutiert der Abend zunehmend zu einer Art Insiderveranstaltung für Theatermacher. Befreit von der Sprachcollage, wäre das gefeierte Weltuntergangspartygefühl, für das Daniel Murenas Soundscapes zunehmend bedrohlicher grooven, prima zu vertanzen gewesen. Dargeboten als Sprechtheater bleibt nur die große Spiellust der Darsteller zu loben. Damit hätten aber auch dringliche Inhalte als künstlerisch überzeugender Theaterdonner realisiert werden können … // Jens Fischer ­Hunger, Seuchen, Auswanderung, Revolutio-

liert über Frankenstein als die Zukunft des

nen sollen die Folge gewesen sein. „Wir sind

Menschen in Zeiten seiner technischen

archaische

­Reproduzierbarkeit. Karabulut garniert dieses

Wesen, ­

steinzeitliche

Visiten­

karten“, so stellen sich Zeitzeugen der um-

verbale

weltverschmutzenden Naturkatastrophe vor:

­Musicals „The Rocky Horror Picture Show“.

ein Chor der Staub­flocken. Der will zum Zeit-

Und weil immer noch mehr geht, erleben

punkt der Handlung, 2067, durch einen

­zwischendurch nerv­tötende Plapperarien der

„summer of love“ wirbeln, wie Moradpour

Gute-­Laune-Diktatur heutiger Radio-Morgen-

schreibt, während eine Friedensparty unter

Shows ihre Parodie.

Palmen im dank K ­ limawandel als Hafenstadt

Sammelsurium

mit

Songs

COTTBUS

des

Sprachspielerisch mit einschüchternd

Bergwerk ohne Tiefen STAATSTHEATER COTTBUS: „Warten auf Sturm“ von Peter Thiers (UA) Regie Volker Metzler Ausstattung Claudia Charlotte Burchard

Die

belesenem Anspielungsreichtum tippt Morad-

Renaissance der Nationalstaaterei hat das ­

pours assoziativer Schreibstil überreichlich

Konstrukt Europa längst in Diktaturen und

angesagte Zeitgeist-Sujets an, verzichtet dabei

Monarchien zerbröseln lassen, der Aufstieg

aufs Flechten roter Fäden, sodass der Text-

„völkisch-nationaler Gespenster“ wird verkün-

fluss an der Oberfläche des Namen- und The-

Mit Heiner Müllers „Prometheus“, vom Bür-

det, auch der Mord an August von Kotzebue

mendroppings dahinmäandert und sich nicht

gerchor als Prolog gesprochen, und einer dem

durch den im Stücktitel erwähnten Burschen-

um Verständigung mit dem Theaterpublikum

Stück mit allen Figuren vorangestellten Abend­

schaftler vermerkt. Weiter fallende Stichworte

bemüht. Dabei haben die Darsteller während

mahlsszene wird die Latte für diese Ur­auf­

sind Sklaverei, Turnvater Jahn, die NSU-Uwes,

der Proben recherchiert, beispielsweise die

führung von Regisseur Volker Metzler gleich

Zwickau, Chemnitz, Industrie 6.0 usw. usf.

Bezüge der von Moradpour komponierten Zitat­

auf Gipfelhöhe gelegt und eine entsprechen-

Dass plötzlich Lord Byron dunkelromantische

schleifen zur Genese rechtsnationalen Den-

de Erwartung erzeugt.

Verse rezitiert, irritiert dann kaum noch. Seine

kens. Jedoch halten sie diese Fußnoten den

Peter Thiers’ mit dem Kleist-Förder-

Tochter Ada Lovelace stellt sich als „Pionierin

Besuchern ebenso vor wie all die anderen

preis 2019 ausgezeichnetes Stück „Warten

der Programmierung“ vor. Mary Shelley fabu-

analysierten historischen Kontexte der ge

auf Sturm“ zeigt eine düstere Szenerie. Ein

reüssierenden

Hannover

stattfindet.


auftritt

/ TdZ  November 2019  /

Alles Bedrohliche ausgetrieben – Volker Metzlers Uraufführung von Peter Thiers’ Stück „Warten auf Sturm“ am Staatstheater Cottbus, hier mit Boris Schwiebert (vorn) und dem Bürgerchor. Foto Marlies Kross

Coltan-Bergwerk in verdorrter Landschaft, in der keiner mehr weiß, was Regen ist, verweist zugleich auf die Klimakatastrophe wie auf eben jenes Erz, das in der Elektronik unentbehrlich ist. Werkleiter Winter, der auch der Besitzer der Mine ist, will seinen Sohn in die künftigen Aufgaben einweisen. Unter Tage schuften die namenlosen Cleaner in einer Art Sklavendasein, das sie aber auch zu einer auf gegenseitige Solidarität angewiesenen Kaste hat werden lassen. Oben, auf einem Hof über der Mine, leben der versehrte Metallschmelzer Noon, der das wertvolle Erz verhüttet, und seine Tochter Lara, die als „Rostgeburt“ bereits die ökologischen Schäden in sich trägt, aber ebenso wie der Vorarbeiter Zlatan sich zwischen oben und unten bewegen kann. Die Atmosphäre in diesem sich über weite Strecken wie ein Drehbuch lesenden Dreiakter erinnert an dystopische Filmklassiker wie Andrej ­Tarkowskis „Stalker“ oder Ridley Scotts „Blade Runner“ mit ihrer Ästhetik der postapokalyptischen Industrieverrottung. Das Bergwerk-

Innen und Außen, die Dachflächen entspre-

ist Theater.“ Dass die Schlusswendung darin

motiv ist wiederum ohne die Literatur der

chend eine vertikale Öffnung nach oben und

besteht, dass sich Lara (Ariadne Pabst) über-

deutschen Romantik nicht zu denken. Inso-

unten

den

raschend zu einer neuen Führerin ausruft,

fern hat auch der Autor für sein letztlich als

Ganzkörper­anzügen wie bei Katastrophenein-

wurde mit diesem ästhetischen und erzähleri-

soziale Parabel angelegtes Stück die Latte

sätzen wird angedeutet, worum es gehen

schen Durcheinander nicht ansatzweise vor-

hoch gelegt. Was als Nord-Süd-Konflikt in der

könnte. Wie wenig sich Metzler für die vom

bereitet. Am Ende war gar keine Latte mehr

Welt bekannt ist, wird hier als Aufstand der

Autor vorgestellte Welt interessiert, zeigt

da, die gerissen hätte werden können, und

Cleaner von unten erzählt, wenn mit dem heran-

auch, dass die Cleaner durchweg als „Kleh-

man wünscht dem Autor eine zweite Urauf-

ziehenden und vielleicht den Hof vernichten-

aner“ angesprochen werden, was irgendwie

führung. //

den Sturm auch der Regen kommt – die Kata-

an Außerirdische in einschlägigen Welt-

strophe ist hier die Hoffnung.

raumepen erinnert, aber hier den Kern der

Die Regie hat dem Stück alles Bedroh-

ermöglichen.

Lediglich

mit

Sache verfehlt.

Thomas Irmer

DÜSSELDORF

liche ausgetrieben, sodass man sich die Augen

Nach der Pause bricht der Aufstand

reibt, was Volker Metzler dazu bewogen ha-

los. Der Prometheus-Chor der Cleaner drängt

ben mag. Im ersten Teil vor der Pause, in dem

aus dem Inneren der Quader, während oben

die Figuren- als Machtbeziehungen zu etab-

Winters Sohn (Lisa Schützenberger), der in-

lieren und vor allem Laras besondere Rolle in

zwischen mit den Aufständischen sympathi-

ihnen herauszustellen sind, verwendet Metz-

siert, als populistischer Tribun in der Flücht-

ler viel Energie auf szenische Arrangements

lingskrise erscheint, indem Metzler bei dem

zu ziemlich beliebiger Musik. Da wechseln

im Stücktext stehenden Wort „Alternative“

Ennio Morricones Western-Melodien aus „Spiel

ein denunziatorisches „für Deutschland“ hin-

mir das Lied vom Tod“ zu Ravels „Bolero“,

zufügt. Aber wenigstens ist diese Szene ein-

später wird auch noch Vivaldi eingerührt.

mal groß und opernhaft gemacht, und mit

Dass es um ein Bergwerk in der Hölle geht,

dem Bezug zum Anfang springen auch ein

davon lässt Claudia Charlotte Burchards

paar Gedanken über. Sofort aber folgt der

Performances von Claudia Bosse sind eine

­Bühnenbild nichts ahnen. Es besteht aus opak

Bruch ins Meta-Theater-Kabarett, wenn es

Herausforderung. Als Zuschauer wird einem

verschalten Quadern, deren Schiebetüren ein

nach diesem Sturm lakonisch heißt: „Ja, das

nichts geschenkt, nicht einmal eine Sitz­­

Nackte Textexegese FORUM FREIES THEATER: „Thyestes Brüder! Kapital. Anatomie einer Rache“ von Claudia Bosse / theatercombinat nach Seneca Regie und Raum Claudia Bosse

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auftritt

/ TdZ November 2019  /

Das Zelebrieren von Texten – rhetorisch beeindruckend, aber auch erschöpfend bei „Thyestes Brüder! Kapital. Anatomie einer Rache“ von Claudia Bosse/theatercombinat nach Seneca in Düsseldorf. Foto Robin Junicke

rationen fort, die Tantaliden sind eben ein verfluchtes Geschlecht. Aischylos wusste Rat, der Moralist Seneca hingegen interessiert sich vor allem für die moritatenhaften Züge der Story, die nicht ­krude und blutig genug sein konnte, um das Publikum im alten Rom zu verschrecken und einzuschüchtern. Der junge Shakespeare (Marlowe erst recht) hat sich hier manches abgeschaut. Es fragt sich allerdings, ob die Unmengen von Text, oft im Chor gesprochen, sich tatsächlich dazu eignen, für heute gültige gesellschaftliche oder dezidiert politische Rückschlüsse herzuleiten. Für Seneca ist das Erzählte eben nicht exemplarisch, sondern gelegenheit: Ist man nach zwei Stunden des

animalische Schreie aus. Später ziehen sie

ein krasser Spezialfall. Wenn im Schlussteil

Herumstehens und -gehens in der Botschaft

sich in die T ­iefe des Raums zurück, das

des Abends ein Performer auf eine Leiter

am Worringer Platz müde, kann man sich an

­Publikum folgt.

steigt und mit anrührender Gestik lange Pas-

eine Säule lehnen oder auf den Boden setzen.

Auf dem Programm steht „Thyestes“,

sagen aus Marxens „Kapital“ herbetet, in de-

Die Trennung zwischen Publikum und den

hier in der Version des Seneca aus dem ersten

nen sich die Wörter „Produktion“, „Konsump-

fünf Performern (später kommt ein Chor hin-

nachchristlichen Jahrhundert, die sich ihrer-

tion“ und „Distribution“ wie in einem Loop

zu) soll fluid werden, das Publikum bewegt

seits auf griechische Vorlagen stützt; über-

dauernd wiederholen, hat dieser Exkurs einen

sich mit den Spielern im Raum: Die Botschaft

setzt von Durs Grünbein. Es geht um den üb-

absurden, geradezu parodistischen Sog. End-

ist ein weitläufiger ehemaliger Kinosaal in

lichen Kreislauf der Rache: Thyestes hat

lich wird es komisch – nur bleibt die Frage

­einer nach wie vor notorisch vernachlässigten,

seinen Bruder Atreus mit dessen Frau betro-

offen, was genau hier erzählt, verhandelt oder

inzwischen von zahlreichen türkischen Res-

gen; bei einem vorgeblichen Versöhnungses-

auch: behauptet werden soll.

taurants besiedelten Ecke Düsseldorfs. (In

sen setzt der Betrogene dem Bruder dessen

Im letzten Drittel des Abends vor allem

Wien spielte das Stück später im Kasino am

Söhne beziehungsweise das, was in der

findet Claudia Bosse haftenbleibende Bilder.

Kempelenpark.) Übersehen kann man die

Schlächterküche aus ihnen wurde, als Nacht-

Wenn etwa bei der Eskalation des Zwistes

Per­ former allerdings nicht: Sie zeichnen

mahl vor; natürlich nicht, ohne dem Gast zu

­Atreus und Thyestes (Mun Wai Lee und Nic

sich durch (bis auf die Schuhe) komplette

gegebener Zeit Auskunft über die Provenienz

Lloyd) ihre Worte wie bei einer Mund-zu-

Nacktheit aus. Und der Einstieg in den

des Gerichts zu geben. Rache ist süß. Atreus

Mund-Beatmung in das Gesicht des anderen

Abend gleicht einer atavistischen Übung:

und Thyestes sind die Enkel des von den Göt-

strömen lassen. Der Clinch oder die Umklam-

Fünf nackte ­ Menschen unterschiedlichen

tern verstoßenen Tantalus und die Vorfahren

merung ist die Metapher für die Unmöglich-

­Alters und ­Geschlechts stoßen zu einer rhyth­

von Agamemnon, Orest & Co: Der Zyklus von

keit, sich aus der Fixierung auf den Feind zu

mischen, von Trommeln geprägten Musik

Rache und Gegenrache setzt sich über Gene-

lösen. Oder wenn die Brüder das Modell eines


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Verse durch ein Feld von Phrasen auf dem Weg zur Poesie – Ferdinand Schmalz’ beeindruckender Text „Der Tempelherr. Ein Erbauungsstück“, von Ingo Kerkhof am Neuen Theater Halle in Szene gesetzt.

Herzens (oder ist es das Gehirn?) wie auf eine

gebracht. Fünf Personen sprechen über eine

Nabelschnur gefädelt zwischen sich bewe-

sechste – die eigentliche Hauptfigur namens

gen. Ist Kannibalismus Männersache? Kris-

Heinar. Der hat ein Stück Boden auf dem

tallisiert sich bei „Thyestes Brüder“ ein femi-

Lande erworben, nach herrschendem Brauch

nistischer Ansatz heraus? Das bleibt dann

will er für sich und seine schwangere Frau

doch zu vage. Die drei Frauen spielen Neben-

Petra ein Eigenheim bauen. Und zwar ganz

rollen, Tantalus, Furie und Bote. Der Laien-

allein, ohne die Hilfe des befreundeten Archi-

chor, der gegen Ende hinzutritt, verstärkt den

tekten Markus und ohne die Ratschläge sei-

lautem Knacken zwei Techniker, die die Glas-

Eindruck, dass an diesem Abend rhetorisch

nes Schwiegervaters Kurt, der das Projekt nur

wand beiseitetragen und den Kasten zum

beeindruckende Texte zelebriert werden – bis

finanziert, damit auch seine Tochter in ihrem

­Publikum hin öffnen. Wenn es frei erfunden

zur restlosen Erschöpfung der Performer wie

Liebsten den Idioten erkennt, den er schon

ist, kann, was auch immer sich in diesem Kas-

Martin Krumbholz

länger in ihm sieht. Markus und Kurt betrach-

ten verbirgt, nicht besonders gefährlich sein.

ten und kommentieren Heinars Treiben eben-

Die Schauspieler kämpfen sich durch das

so wie Christina und Thomas, ein befreunde-

Feld, nach und nach werden die Halme nie-

tes Paar, reichlich skeptisch. Erst recht, als

dergetreten, es gibt eine Szene in der Nacht

das erste Resultat sichtbar wird: ein Tempel

mit Lagerfeuer, dann wieder einen Morgen. Im

nach antikem Vorbild. Es geht keineswegs nur

Stück vergehen Monate. Und weder eine Bau-

um einen schnöden Hausbau, sondern viel-

stelle noch einen Tempel bekommt man zu

mehr um die Frage der Einrichtung der Welt

Gesicht. Wirkt das Bühnenbild zunächst natu-

als solcher und den möglichen Sinn, der dar-

ralistisch, hat es doch keine bebildernde

in zu finden wäre. Was Heinar selbst über

Funktion. Im Vordergrund steht das Sprechen.

sein Vorhaben denkt, erfahren wir nicht. Er

Durch den eigentümlichen Rhythmus der

bleibt ohne Sprache, wird in diesem Stück als

Sprache, das Nachgestellte sowie die übermä-

abwesend geführt. Petra, Markus, Kurt, Chris-

ßige Verwendung von Konjunktiven und indi-

tina und Thomas versuchen sein Verhalten zu

rekter Rede wirken die Sprechenden ihrer ei-

ergründen.

genen Sprache entfremdet, die zugleich eine

des Auditoriums. //

HALLE Die Inneneinrichtung der Welt NEUES THEATER: „Der Tempelherr. Ein Erbauungsstück“ von Ferdinand Schmalz Regie Ingo Kerkhof Ausstattung Jessica Rockstroh

Foto Nina Gundlach

Die Bühne von Jessica Rockstroh ist ein

eigene Bewegung entwickelt, sich selbst zu

Feld, goldgelb stehen die Halme des Getrei-

befragen beginnt. Verse wie ein Gang durch

„Der Tempelherr. Ein Erbauungsstück“, das

des hinter einer Plexiglaswand wie im Terrari-

ein Feld von Phrasen auf dem Weg zur Poesie.

neueste Stück des österreichischen Dramati-

um. Doch bei dieser wie im Zoo fein säuber-

Was das Stück neben der Sprache aus­

kers Ferdinand Schmalz, wurde im März

lich getrennten Anordnung bleibt es nicht.

zeichnet, ist die Mehrdeutigkeit des zwar kur-

­dieses Jahres am Deutschen Theater Berlin

Nach dem Prolog, der erläutert, dass alles,

zen, aber konzentrierten Geschehens. S ­ ati­risch

uraufgeführt. Nun hat es Regisseur Ingo

was man nun zu sehen und zu hören be-

wirkt es, wenn die häuslebauende Mittelklasse

­Kerkhof im Neuen Theater Halle auf die Bühne

kommt, frei erfunden ist, nähern sich unter

gezeigt wird, der Inneneinrichtung zum


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­Lebensausdruck wird. Die versteht das Bauen als Arbeit am eigenen Ich, dem privaten

HAMBURG

Glück: Selbstverwirklichung als narzisstisches Programm. Das wiederum hat etwas Wahnhaftes. Je mehr man um das eigene Ich

Ohne Liebe

Der Mann als Feindbild – Auf diese Lesart hat Falk Richter Michel Houellebecqs Roman „Sero­­to­nin” in seiner Uraufführungsbearbeitung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg zusammengestrichen. Foto Arno Declair

kreist, desto mehr verliert man sich – wie der Tempelherr zuletzt in seinen Bauten. Das Stück urteilt nicht im Voraus über das Handeln Heinars, der mit einem Ernst am Bau des Tempels und damit an einer neuen Idee und Gemeinschaft zu arbeiten beginnt, der vollendet lächerlich wirkt – zugleich aber ebenso kühn und gewagt ist. Durch diesen tragischen Aspekt bekommt das Stück die

DEUTSCHES SCHAUSPIELHAUS HAMBURG: „Serotonin” (UA) von Michel Houellebecq in einer Fassung von Falk Richter Regie Falk Richter Bühne Katrin Hoffmann Kostüme Teresa Vergho

provozieren zu wollen, versperrt Richter die Sicht zu einer genaueren Lesart. Er hat sich für seine Bühnenfassung ein Feindbild Mann zusammengestrichen, um es anschließend denunzieren zu können. Hat dabei nur übersehen, dass sich dieser Mann schon selbst zerlegt, die Lächerlichkeit seines sexuellen

Kraft, die es im Zusammenspiel mit der poe-

Begehrens zur Schau stellt und seine Asozia-

tischen Sprache zu einem der interessantes-

lität und Liebesunfähigkeit nicht als Errun-

„Es ist eine kleine, weiße, ovale, teilbare Tab-

genschaften sieht, vielmehr wie ein krankes

Getragen wird die Sprache durch die

lette.“ Mit diesem Satz beginnt und endet der

Tier umherstreunt und die Liebe anruft. Doch

Schauspieler. Gerade Marie Ulbricht als Petra

jüngste Roman von Michel Houellebecq. Die-

der Glaube an die Liebe als einziges sinn­

hat eine Wucht, die man unter anderem in

se Pille sorgt für eine erhöhte Ausschüttung

stiftendes Element des Daseins und damit die

einem Monolog von nahezu antiker Größe ge-

des Glückshormons Serotonin bei dem hoch-

Leerstelle, die ihn antreibt, passte nicht ins

gen Ende bewundern kann. Überzeugen kön-

depressiven Agraringenieur Florent-Claude

Anti-Chauvi-Regiekonzept. Weg damit.

nen auch Andreas Range als schmieriger

Labrouste, dessen Geschichte hier von ihm

Der Labrouste des Romans ist ein

Schwiegervater, Harald Horvath als kleingeis-

selbst erzählt wird. Nach der Uraufführung

­Romantiker, dem die Liebe, durchaus selbst-

tiger Architekt und Sybille Kreß und Till

durch Falk Richter am Schauspielhaus Ham-

verschuldet, abhandengekommen ist. Auf ei-

Schmidt als Christina und Thomas. Premiere

burg könnte man diese Pille ganz gut gebrau-

ner Farewell-Tour in den Suizid sucht er die

feierte die Inszenierung beim Eröffnungs-

chen. Denn man erlebt nicht nur eine depri-

emotionalen Wegmarken seines Lebens auf –

spektakel des Neuen Theaters Halle, zeit-

mierende Inszenierung, die in karikaturhafter

ehemalige Geliebte, den einzigen Freund. Die

gleich zu „Nathan der Weise“ in der Regie

Überzeichnung alle Figuren an plumpe Witzig-

Enttäuschung ist vorprogrammiert. Aber er

von Ronny Jakubaschk mit Petra Ehlert in der

keit verrät und plakative Theatermittel auf-

wirkt wie ein Masochist, der die Erniedrigung

Hauptrolle. „Der Tempelherr“ zeigt in bildhaf-

fährt. Der seit Jahren ausgiebig exerzierte

sucht, um sich sein Scheitern vorzuführen. Er

ter Verdichtung die tragische Konstellation

Vorwurf an Houellebecq, mit seinen chauvi-

wird den Kreis seiner „eigenen Hölle“ abschrei-

der gegenwärtigen Selbstverwirklichung. //

nistischen, rassistischen oder sexistischen

ten und sein Verschwinden vorantreiben, bis

Positionen mittelalter Männer ausschließlich

zum Sturz vom Hochhaus (vielleicht). Er kün-

ten Bühnentexte der letzten Zeit macht.

Jakob Hayner


auftritt

/ TdZ  November 2019  /

digt seinen Job, seine Wohnung, er lässt seine

scher Protest aber mehr aus der Verzweiflung

Die Schwüle steigt ihnen zu Kopf, überall

japanische Geliebte sitzen, über deren Sex

des von seiner Frau Verlassenen resultiert,

sind gefährliche Mücken, „die Hitze ist wie

mit Hunden er sich schon gar nicht mehr

genauso wie Houellebecqs Kritik an moder-

eine Decke Blei“. Wo sich die Protagonisten

aufregt. Ein gleichgültiges, desillusioniertes

nen liberalen Gesellschaften stets nur an ein

des Stücks „Der sechste Kontinent“ befin-

Wrack, n ­ ikotin- und tablettenabhängig.

privatistisches Midlife-Crisis-Schema anknüpft,

den, ist tiefster Urwald, irgendwo im Nirgend-

Auf der Hamburger Bühne, deren Raum-

das wären Ansatzpunkte für eine kritische Aus-

wo der einstigen Kolonie Deutsch-Ostafrika.

tiefe zunächst von weißen Stellwänden abge-

einandersetzung gewesen. Zumal der Autor

Um ein Mittel gegen eine grassierende

schirmt ist, wird dieser Antiheld gleich von vier

seinen Protagonisten am Ende mit Jesus ver-

­Tropenkrankheit zu finden, reist eine Medizi-

Schauspielern (Jan-Peter Kampwirth, Carlo

gleicht, der sich allerdings für die erbärmliche

nerin Ende des 19. Jahrhunderts in die gott-

Ljubek, Tilman Strauß und Samuel Weiss) in

Gesellschaft nicht opfern will. In Hamburg?

lose Prärie. Doch ihre Bemühungen erweisen

schwarzen Bademänteln gegeben. Aus diesen

Erscheinen Männer am Ende wie eine ausge-

sich als vergeblich. Was bleibt, ist die Ge-

steigen sie bald in allerlei Kostüme und Rollen,

storbene Spezies, röchelnd im wollsplissigem

schichte einer zuletzt delirierenden Frau, die

um kabarettistisch im Schnelldurchlauf Episo-

Pelz oder in pinken Fatsuits ihrem Ende ent­

wiederum eine Künstlerin der Gegenwart zu

den durchzuspielen. Dabei herrscht ein Aktio-

gegentapsend. //

einem Ausstellungsprojekt vor Ort inspiriert. Anja Nioduschewski

nismus, der eher einer ADHS-Erzählung ent-

Un­ fähig, mit der lediglich schimärenhaften

spricht. Irgendwann tragen sie, in Gleichsetzung

Überlieferung etwas anfangen zu können,

von Autor und Werk, Houellebecq-Masken und

kommt jedoch auch sie nicht voran und muss

torkeln zuckend auf übergroßen Schamlippenkissen herum. Dazu werden (Video-)Bilder ent-

HEIDELBERG

sich gegenüber dem Drängen ihrer Finanziers

Fiebertraum im Elefantenhaus

der „szenischen Installation“, wie Lothar Kitt-

­Zigarette, sich auflösende Tablette, japanische Manga-Figur, Hochhaus ... Fast erleichtert ist man, als Sandra Ger-

Kraft losrappen „Jetzt sind die Fotzen wieder da“ – und mit einem weiblichen sexuellen Agens für Momente auch ein paar komplexere Gedankengänge die Bühne entern. Die beiden, die sonst nur chorisch aus dem Zuschauerraum kommentieren durften, müssen nun allerdings die Beziehung zwischen Labrouste und seiner großen Liebe Camille als bösen männlichen Besitzanspruch in einem kitschigen kleinen rosa Haus nachspielen. Die Frauen klagen bei Falk Richter an. Gut. Aber um den Preis des Missverstehens zwischenmensch­ licher Bindungen, wenn ein Mann nicht mehr „meine Frau“ sagen darf. Was Houellebecq erneut den Ruf des Orakels einbrachte, die Schilderung eines Protests normannischer Bauern gegen die EU-Agrarpolitik, indem sie Straßen blockieren – was als Vorwegnahme der GelbwestenProteste gesehen wurde –, wird im zweiten Teil mit viel Nebel, Flammenvideos und Nachrichtenfeeds im nun nach hinten geöffneten Bühnenraum in einer Assemblage aus Bauernhaus, Autobahnbrücke und Getreidefeld hergestellt. Dieser Aufruhr endet mit dem Selbstmord von Labroustes Freund Aymeric, eines gescheiterten Hofbesitzers ­ und verlassenen Ehemannes, der sich vor den anrückenden Polzeikohorten den Kopf wegballert. Carlo Ljubek sucht hier zitternd und fast tänzerisch den Tod. Dass Aymerics politi-

stein, Bernhard Mikeska und Maria Schneider ihre Uraufführung am Theater ­ Heidelberg überschreiben, in zwei parallel verlaufenden

ling und Josefine Israel, und damit die zwei Darstellerinnen des Casts, mit ungekünstelter

rechtfertigen. So weit zur recht dürftigen Story, die in

lang des Gesagten projiziert. Nahaufnahme

THEATER HEIDELBERG: „Der sechste Kontinent“ von Lothar Kittstein, Bernhard Mikeska und Maria Schneider Regie Bernhard Mikeska Bühne Bernhard Mikeska und Selina Termath Kostüme Justina Klimczyk

Handlungssträngen erzählt wird. Weitaus reiz-

Die Szenerie reizvoller als der Plot – Die installative Outdoor-Inszenierung von „Der sechste Kontinent“ von Lothar Kittstein, Bernhard Mikeska und Maria Schneider im Heidelberger Zoo bemüht sich um kolonia­ les Setting. Foto Susanne Reichardt

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auftritt

/ TdZ November 2019  /

voller als der Plot mutet die Szenerie an.

sechste Kontinent“ sich zur Aufgabe setzt,

Die Bühne ist steil, leer und glatt – so wie

Denn in der Perle am Neckar erwartet das

die Entwicklung kolonialer Muster aufzu­

das politische Parkett seit zweitausend

Publikum Outdoor-Theater at its best, näm-

zeigen, mag eine gute Ambition sein – gera-

­Jahren. Hermann der Cherusker glaubt dar-

lich im Zoo. Nachdem die Zuschauer am Ein-

de in einer Epoche globaler Ungleichheiten

auf balancieren zu können, wie jeder, der

gang von mit Seuchenschutzanzügen beklei-

und Konflikte. Gleichwohl bleibt das Stück

seine Mission im Herrschen gefunden zu ha-

deten Mitarbeitern in Empfang genommen

diesbezüglich im Ungefähren und bisweilen

ben meint. Nur seine Frau Thusnelda, hier

werden, führt sie der Weg direkt ins Elefan-

allzu Plakativen. Die kurz aufgeworfene

nur „Thusschen“ genannt, die Urgestalt ­aller

tenhaus, wo sie an zwei Stationen die beiden

­Frage „Wo sind die Neger hin?“ zeigt letzt-

Tussen, gleitet umstandslos die Schräge

aufeinander aufbauenden Geschichten ken-

lich mehr Unbeholfenheit als eine reflexive

herab, als sei diese eine Rutsche. Ist es ­

nenlernen. Via Kopfhörer werden sie von

Auseinandersetzung mit rassistischen Denk-

auch, das weiß sie viel eher als ihr bedeu-

Anfang an in die Geschehnisse hineinge­ ­

strukturen.

tungstuerisch-intriganter Mann, der nie ab-

zogen. Statt der klassischen Idee vom Thea-

Nun denn, allzu intensive politische

wärts, immer nur aufwärts will. Ein Sieger

ter als Gemeinschaftserlebnis wird hier Im-

Reflexion liefert das Werk nicht. Trotzdem hat

der Geschichte, ein Kriegsheld, der keine

mersion forciert – ein inzwischen häufig zu

es eine beachtliche Qualität, insbesondere in

Ahnung von der Tücke der Dialektik hat. In

beobachtender ästhetischer Inszenierungs-

der konzentrierten Herstellung einer authen­

heutiger Lesart ein Populist mit hehren Wor-

ansatz. ­Neben dem dadurch bedingten Weg-

tischen Atmosphäre. Es ist ein kurzer, ein-

ten und miesen Absichten, der alle und je-

fall der Grenze zwischen Publikum und

stündiger Fiebertraum, eine imaginäre Reise

den für seine trüben Zwecke benutzt. Seriös

­Darstellern fällt in dieser Inszenierung auch

in eine vergangene Epoche und in ein frem-

an ihm ist nur sein taubenblauer Anzug, mit-

jene zwischen den Zeiten. Einmal ist es

des ­Gebiet, dorthin, wo die Zivilisation einst-

samt weißem Hemd und rotem Schlips. Ein

so, als würden die beiden Protagonistinnen,

mals noch Grenzen vorfand. Der Zoo erscheint

Manager in eigener Sache, das scheint

also jene aus dem 21. und jene aus dem

vor diesem Hintergrund längst nicht mehr nur

schnell klar.

19. Jahrhundert, einander begegnen – wie in

als nette Bildkulisse, er entpuppt sich in ei-

Leider ist in Dušan David Pařízeks

einem Traum oder besser: im Fieber.

ner kritischen Lesart vielmehr als Sinnbild

Insze­ nierung von Kleists „Die Hermanns-

Doch sind es nicht nur die Kopfhörer,

einer Unterwerfungslogik. Die Elefanten be-

schlacht“ sehr früh alles allzu klar. Aus lauter

die einen sofort in diese eigenartige Dschun-

finden sich an diesem Abend im Freigehege-

Angst, missverstanden zu werden, verlegt er

gelwelt hineinziehen. Vielmehr erzeugt die

bereich und sind zugleich die stillen Zeugen

sich auf eine Form von Persiflage. In ihr hat

sprachliche Komposition einen tranceartigen

einer spätkapitalistischen Gesellschaft, die

die innere Widersprüchlichkeit des Textes,

Zustand. Schleifenartig wiederholen sich die

sich jedwede Form des Fremden zu eigen ge-

aus der Dramatik erwachsen könnte, keine

immer gleichen Wendungen und Bilder. Die

macht hat – um es zu kontrollieren. //

Chance. Dies ist ein Abend der deut­ lichen

Björn Hayer

Rede ist von der „Zeit … aus Leder“, von an-

Ansagen und unmissverständlichen Gesten.

einanderklebenden Sekunden, der „Uhr im

Am Anfang verteilt Hermann kleine Flaschen

Wald“. Alles gerät in einen einzigen Wahrneh-

Kräuterlikör und schüttelt den Z ­uschauern

mungssumpf, in den die Frauenfiguren, gespielt von Christina Rubruck und einer ausdrucksstarken Sophie Melbinger, sinken. Ihnen gegenüber stehen jeweils die weißen,

LEIPZIG Ein Held, was ist das?

(Andreas Uhse) und einmal der schleimige ­ Bankier mit gegeltem Haar (Benedict Fellmer). Was sie verkörpern, ist der imperiale Gestus, der so ahnungslose wie gleichsam machtvolle

SCHAUSPIEL LEIPZIG: „Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist Regie und Bühne Dušan David Pařízek Kostüme Kamila Polívková

Blick des Nordens auf den Süden. Dass „Der

BANANA ISLAND

PERFORMANCE VON DIE APOKALYPTISCHEN T‡NZER*INNEN PREMIERE: 28.11.2019 WEITERE TERMINE: 29.+30.11.2019 THEATERRAMPE.DE

Ende, nach der siegreichen Schlacht im ­Teutoburger Wald, gibt es Bier fürs Publikum. Ja, ein Ranschmeißer ohne Wenn und Aber ist das, aber einer mit Hang zur perfiden

distinguierten Männer aus Europa, einmal der Consultant im Anzug und mit Tropenhut

der ersten Reihen ausgiebig die Hände, am

Grausamkeit. Will Pařízek nun Kleists im Stück durchaus vorhandenen Vorbehalt gegen Hermann den Cherusker zuspitzen oder den Autor selbst als blindwütigen Nationalisten ­ und Franzosenhasser bloßstellen? Mehr und


auftritt

/ TdZ  November 2019  /

SCHAAN / LIECHTENSTEIN Vom Sterben der Schmetterlinge THEATER AM KIRCHPLATZ: „Identität Europa“ (UA) von Daniel Batliner, Clàudia Cedó, Vedrana Klepica, Guy Helminger, Dirk Laucke, Rebecca C. Schnyder, Csaba Székely und Andra Teede Regie Katrin Hilbe und Rafael D. Kohn Ausstattung Alexander Grüner

Ein sicheres Netz bietet Europa nicht mehr. Für das Autorenprojekt „Identität Europa“ hat Bühnenbildner Alexander Grüner deshalb eiMehr Wirkungsgeschichte als Geschichte – Dušan David Pařízeks Inszenierung von Kleists „Die Hermannsschlacht“ am Schauspiel Leipzig. Foto Rolf Arnold

nen Raum geschaffen, der die traurigen Überbleibsel des politischen Konstrukts auf dem zerris­ senen Kontinent zeigt: Die Bühne ist ­eingegrenzt von Zäunen, die mit dehnbaren

mehr gewinnt man den Eindruck, dass es ihm

Pařízek setzt auf ironisierende Elemente, pro-

Bändern kreuz und quer verstrebt sind wie

vor allem um die propagandistische Wirkungs-

biert Dialekte aus, lässt die Beteiligten sich

­abstrakter Maschendraht. Acht Autorinnen und

geschichte geht. Tatsächlich wurde die „Her-

gegenseitig die Aussprache von „Teutoburg“

Autoren – aus Deutschland, Estland, Kroatien,

mannsschlacht“, die zu Kleists Leb­ zeiten

korrigieren, führt Hermann überdeutlich als

Liechtenstein, Luxemburg, Rumänien/Ungarn,

ungespielt blieb, im Ersten Weltkrieg für kriegs-

heimtückischen Lügner und Manipulator vor –

der Schweiz und Spanien – hat Thomas Spiecker-

verwendungsfähig befunden und dann so et-

eine gedankliche Anstrengung verlangt dies

mann, der Intendant des TAK Liechtenstein,

was wie ein Ideologieträger für die National-

nicht vom Zuschauer. Da drängt sich eine

für das Projekt gewonnen, das als Koproduk-

sozialisten. Christa Wolf hat in „Kein Ort.

Szene aus Brechts „Leben des Galilei“ auf.

tion mit dem Natio­naltheater Weimar und Les

Nirgends“ dagegen die innere Boden­losigkeit

Nachdem Galilei vor der Inquisition abge-

Théâtres de la Ville de Luxembourg den Blick

Kleists verteidigt: „Napoleon. Kleist spürt, wie

schworen hat, empört sich sein Schüler Andrea:

auch auf ­landesspezifische Gegensätze lenkt.

das gräßliche Wort anschwillt, sich vollsaugt

„Unglücklich, das Land, das keine Helden

Unterschiedlicher könnten die Blickwinkel der

mit seinem ganzen Haß, seiner ganzen Miß-

hat.“ Galilei erwidert: „Unglücklich das Land,

15-minütigen Texte kaum sein.

gunst und Selbstmißachtung. Und er spürt

das Helden nötig hat.“ Ein Held, was ist das?

Auf eine inhaltliche Klammer haben

auch – aber das darf nicht wahr sein –, wie

Auch dieses Thema birgt das Stück. Stattdes-

die Regisseure Katrin Hilbe und Rafael D.

alle trüben Ströme seiner Seele von ­diesem

sen hören wir am Ende martialische Sprüche

Kohn verzichtet. Gerade das vergrößert die

Namen angezogen werden, ihm gierig zutrei-

der ideologischen Nachfahren Hermann des

Gräben. Ein Ebenbild der Helvetia schickt die

ben als dem Ort, der ihnen bereitet wird.“

Cheruskers, die den Schlussapplaus unter-

Schweizer Autorin Rebecca C. Schnyder auf

Da zeigt sich, dass es beim Romantiker

brechen – bis hin zu Hitlers Kriegsansage

die Bühne. Ihren Monolog „Liebe Europa“

Kleist um Ahnungen geht, in denen der Traum

vom Sommer 1939: „Seit fünf Uhr fünfund-

setzte die liechtensteinische Regisseurin Hilbe

zum Albtraum wird. Leider interessiert sich

vierzig wird jetzt zurückgeschossen.“

in Szene. Als Braut stolpert Thomas Beck

Pařízek nicht für diese immanenten Um-

Dirk Lange als Hermann der Cherusker

herein. Klug meißelt der Schauspieler die ­

schlagpunkte. Handelt es sich bei dem

und Bettina Schmidt als Thusnelda befreien

Sehnsucht des Landes nach Eigenständigkeit

Kampf der Germanen gegen die Römer im

sich in dieser von dreißig Rollen auf fünf Dar-

im europäischen Kontext heraus, die hier als

Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. nun um

steller reduzierten Kurzfassung immer wieder

Beziehungsdrama abläuft. Schnyder schürft

einen Befreiungskrieg mit all seinen Wider-

aus dem allzu engen Regiekorsett. Im Zusam-

tief in Angstträumen ihrer Landsleute. Diese

sprüchen, als den etwa Claus Peymann die

menprall zweier, die keine Spielfiguren, son-

Tiefenschichten fördert Beck schön zutage.

„Hermannsschlacht“ 1982 inszenierte, oder

dern Sieger der Geschichte sein wollen, zei-

Kühl und distanziert geht er zu dem weibli-

um die Urszene aller nationalen Hybris? Auf

gen sie eindrucksvoll, dass sie genau das

chen Part auf Distanz.

diese zentrale Frage wagt die Inszenierung

bleiben: ewige Verlierer. //

keine Antwort.

Nah am Leben bewegt sich Dirk Laucke Gunnar Decker

mit seinem Monolog „Eiserne Liebe“. Mit einer

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auftritt

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Träume und Ängste der Europäer – Das Projekt „Identität Europa“ am TAK in Liechtenstein, das Monologe euro­päischer Autoren präsentierte. Foto Ilja Mess

mänien neue Eltern findet, berührt und schockiert. Regisseurin Hilbe nähert sich der jungen Frau in packenden Nahaufnahmen. Christiani Wetter zeichnet das Bild einer starken Frau, die Identitäten wechseln muss wie Turnschuhe. Als Sprecherin der Rechtspopulisten in Ungarn lullt sie Menschen ein – „mit fundierten Argumenten und roten Fingernägeln“. Székely ist eine der Stimmen seiner Generation, deren Texte aufrütteln. „Piri“ ist eine kluge Analyse des Rechtsrucks auf dem Kontinent. Die Vielfalt der Inhalte und der ästhetischen Formate macht den Reiz des Projekts aus, an dem auch Andra Teede (Estland), Guy Helminger (Luxemburg) und Vedrana Klepica Bierflasche in der Hand sitzt Krunoslav

hausen von den Zeiten, als ihre Gatten noch

(Kroatien) mitwirken. Trotz der so unter-

Šebrek auf einem Bücherstapel. Er will dem

Schmetterlinge im Bauch hatten. Batliners

schiedlichen Qualitäten der Texte glückt dem

Sohn bei den Hausaufgaben helfen, ihm nach

allegorische Vision vom Zerfall Europas ver-

Regiegespann Hilbe und Kohn ein aufwüh-

dreißig Jahren Nachwende die Geschichte der

mittelt sie ebenso leicht wie klug. Regisseur

lendes Gesamtkunstwerk über Träume und

DDR nahebringen. Dabei stellt er fest, dass

Kohn lässt den sinnlich aufgeladenen Text

Ängste der Europäer, die sich gegen den Ver-

Historie radikal verfälscht wird. Der luxem-

zwischen Wirklichkeitsebenen treiben.

lust ihrer gemeinsamen Werte stemmen. //

burgische Regisseur Rafael D. Kohn setzt hier

Die spanische Autorin Clàudia Cedó ist

auf die Sprachkraft des politischen Autors

in ihrem Stück „Angels in Europe“ wiederum

Laucke, der in der Geschichtslosigkeit der

dem Rassismus, der europäische Gesellschaf-

Deutschen Ursachen für radikale Tendenzen

ten mehr denn je zerreißt, nachgegangen.

ausmacht. Zornig und klar ist Lauckes Thea-

Allerdings auf sehr plakative Weise. Regisseu-

tersprache. Seine Ästhetik des Politischen

rin Hilbe gelingt es nicht, den dozierenden

lenkt den Blick auf Diskurse, die in der Öf-

Duktus des Textes aufzulockern. Thomas Beck

fentlichkeit in Unschärfen versanden.

spielt einen Regisseur, der einem weißen

„Verliebt sind sie nicht mehr. Nur noch

Spieler die Rolle eines Schwarzen geben will.

verheiratet.“ Mit dieser frustrierten Erkennt-

Eine Stimme aus dem Off appelliert an sein

nis lässt der Liechtensteiner Autor Daniel

Gewissen. Cedós Text bleibt im langweiligen

Batliner die Gorgone Euryale zurück. Der Satz

Lehrtheater stecken.

bezieht sich auf ihre Ehemänner, die für die

Schroffer und realistischer zeichnet der

europäischen Staaten stehen. Auf schmutzi-

ungarisch-rumänische Autor Csaba Székely

gen Überresten einer feuchtfröhlichen Feier

­seine Figur im Monolog „Piri“. Die Geschichte

träumt die Schauspielerin Katharina Hack-

einer jungen Romni, die im Waisenhaus in Ru-

Elisabeth Maier

WILHELMSHAVEN Die Macht des Autoritären LANDESBÜHNE NIEDERSACHSEN NORD: „Caligula / Julius Caesar“ (DSE) von Albert Camus und Peter Verhelst Regie Robert Teufel Ausstattung Angelika Wedde

THEATER WINKELWIESE Moravagine.Idiot nach Blaise Cendrars/F.N.O. Urs Jucker, Nico Delpy 6. – 16. November 2019

www.winkelwiese.ch office@winkelwiese.ch +41 (0)44 252 10 01


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Chiffren der Machtpolitik – Als diese liest Regisseur Robert Teufel „Caligula / Julius Caesar“ von Albert Camus und Peter Verhelst an der Landesbühne Niedersachsen Nord.

Macht macht Lust auf mehr Macht. Wie das

sie mal dezent weicher zu modellieren, verfällt

dem machtlosen Volk zu verkaufen ist, ohne

dann wieder einem martialischen Kläfferton.

dass es rebelliert? Das trainiert Julius Caesar

Immer deutlicher lugt der Killerinstinkt zwi-

in der nach ihm benannten deutschsprachi-

schen den Zeilen hervor. Während mit Brutus

gen Erstaufführung eines Textes von Peter

als Proband getestet wird, wie am wirkungs-

Verhelst, den Robert Teufel an der Landes-

vollsten die Verkündigung gelingen könnte:

bühne Niedersachsen Nord als Prolog für

dass Cäsar tun müsse, was getan werden

einen klugen Männerabend im Herrscher­ ­

müsse. Wie kann er das Volk in Angst halten,

faszinieren weiß, s­ ondern eher einen gecken-

gewand nutzt. Macht macht auch mächtig

sich gleichzeitig aber als Garant der Sicher-

haft in einer Toga herumstolzierenden Ego-

frei, so frei, eine Willkürherrschaft zu errich-

heit inszenieren? Indem er ihm aus reiner

manen. Die Verführungskraft der Macht, ihr

ten, wie ein paar Jahre später der wahnwitzige

Taktik einen Feind spendiert und den Ruf

Versprechen auf Glückserfüllung, und Camus’

Imperator Caligula in dem nach ihm benann-

nach Blut anstimmt.

Diskurs über die Absurdität des Lebens in ei-

Foto Volker Beinhorn

ten Drama von Albert Camus. Zwei Aspekte

Unbeirrt, stahlhart, unheimlich wirkt

ner Welt ohne Bedeutung werden hier so-

des aktuellen Phänomens zunehmender Au-

dieser Cäsar als cool-moderne Tyrannen­

gleich diskreditiert. Es wäre also gar nicht

tokratie in der Politik. Teufel widersteht aber

variante. Laut Dramaturgin Kerstin Car ist

notwendig gewesen, die hart gegeneinander

der Versuchung, die beiden römischen Poten-

sein Text eine Collage von Zitaten Mächtiger

geschnittenen Szenen mit Zahnschmerz aus-

taten als Geistesverwandte von Erdoğan, Pu-

so unterschiedlicher Couleur wie etwa Mahat-

lösenden Klängen eines Betonhäckslers zu

tin, Trump, Orbán & Co. zu inszenieren. Son-

ma Gandhi, Barack Obama und Heinrich

trennen, um Distanzierung zu ermöglichen.

dern verdichtet mit kühlem Minimalismus

Himmler. Vor allem auf dessen Posener Reden

Allerdings ist die pädagogische Drama-

und kompromisslosem Formwillen die histori-

würde Bezug genommen, in denen der Holo-

turgie des Stücks klar ausgebreitet: Wenn

schen Figuren zu Chiffren der Machtpolitik.

caust 1943 erstmals offiziell angekündigt

­alles sinnlos ist, ist alles erlaubt, man darf

Die Bühnenmusik sorgt für eine Be-

und glorifiziert wurde. Nur erfährt der Zu-

wirken wie ein Gott – weil es keinen Gott gibt.

drohlichkeitskulisse. Weiße Stellwände be-

schauer davon nichts, da alle Passagen uni-

Muss geradezu das Unmögliche verlangen,

grenzen die Spielfläche, an denen sich Bru-

dentifizierbar miteinander vermengt und auf

um das Absolute des Todes auszugleichen.

tus als Beobachter, Sprecher und Versteher

der Bühne nicht kontextualisiert werden. Da-

Darüber will Caligula angeblich aufklären, in-

des Volkes herumdrückt. Wie zum Verhör

bei wäre es höchst spannend zu erleben, wie

dem er zeigt, wohin das führt – nämlich zu

hochgedimmtes Weißlicht lenkt alle Konzent-

sich die Macht der Rhetorik als Rhetorik der

seiner grausam die Natur nachahmenden

ration auf Hauptdarsteller Simon Ahlborn.

Mächtigen verfestigt hat. So bleibt nur die

Willkürherrschaft. Lohnt sich nicht, so resü-

Stolzsteif und doch in voller Körperspannung,

Erkenntnis: Macht lohnt sich nicht. Denn

miert auch Teufels „Caligula“. Schließlich

wie ein schwarzer Panther in Absprungerwar-

schon erledigt Brutus seinen mörderischen

wird er bereits im vierten Amtsjahr ermordet.

tung, gibt er den einsamen, von Emotionen

Job an ihm. Vorhang zu. Vorhang auf.

Umso drängender verweist die Inszenierung

gereinigten Caesar. Kontrolliert fanatisch jede

Philipp Buder gibt den Thronfolger

auf Fragen nach den Grenzen der Freiheit,

Pose und seine geradezu maschinelle Artiku-

Caligula im Kreise devot sich verbiegender ­

also ihrer Verbindung zu Vernunft und Moral

lation. Als wäre er gerade bei einem Redner-

Höflinge. Aber leider so gar nicht den Künst-

im Kant’schen Sinne. Und erweist sich so als

Workshop für demagogische Einpeitscher.

ler als Kaiser, der mit der radikalisierten

Gedankenspieltheater auf der Höhe unserer

Mehrfach wiederholt er seine Sätze, versucht

­Logik seiner ungeheuer­lichen Rationalität zu

Zeit. //

Jens Fischer


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stück

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„ich habe etwas geschrieben, was keiner verstehen will“ Einar Schleef über sein erstes Theaterstück „Berlin ein Meer des Friedens“

„Schleef war als Dichter und als Theater­

und Westberlin in einer Braunen Sturmflut

einandersetzung im NEUEN DEUTSCHLAND:

mann die herausragendste Erscheinung, die

untergehen. Der Untergang entwickelt sich

Harte Devisen für Kitsch! Das Programm wird

ich kennengelernt habe. Es hat nur zwei

folgerichtig aus der DDR-Behauptung, daß

variiert, in den Finalen sowjetische Ensemb-

­Genies in Deutschland nach dem Krieg ge­

der Westen uns durch seine Propaganda, hier

les und Klassisches Ballett eingesetzt. Die

geben, im Westen Fassbinder, im Osten

stellvertretend die Glotze, kaputtmacht, prak-

Intershopware verpackt. Nach Dieter Thomas

Schleef“, schrieb Elfriede Jelinek 2001,

tisch unterstützt das die DDR, indem sie den

Hecks SCHLAGERPARADE starten die Sän-

nachdem sie vom frühen Tod Schleefs erfah­

Westimport einführt, die Destruktion dadurch

ger von Westberlin in den KESSEL BUNTES,

ren hatte.

noch erhöht, zum anderen sind die Lebens-

2. Auftritt. Nach 77 nimmt das Programm

Einar Schleef war zweifelsohne einer

umstände, hier die Beziehungen einer Durch-

eindeutig Kurs auf die Ulbricht-Devise: Über-

der wichtigsten und radikalsten Universal­

schnittsfamilie nicht mehr entwickelbar dh

holen ohne Einzuholen. Angleichung. Die

künstler in Deutschland, vielleicht auch der

sie stagnieren, da findet nichts mehr statt als

Sendereihe wird zum offiziellen Gradmesser

größte Außenseiter. Während sein Monumen­

bloßes Vegetieren, was bei den dargestellten

des Westimports.

talroman „Gertrud“ wie auch seine ästhetisch

Beziehungen notgedrungen zur Zersetzung

richtungsweisenden wie umstrittenen Theater­

führt, der Untergang ist aus beiden Quellen

inszenierungen enorme Spuren hinterlassen

unvermeidbar, nicht mehr zu stoppen. Wegen

haben, gerät sein dramatisches Werk zuneh­

dieser Erkenntnis, Feststellung, vielleicht

mend in Vergessenheit. Wir nehmen unseren

mehr aus Übermut oder Freude am Unter-

Ich habe geträumt. Aus Kellern, U-Bahn-

Themenschwerpunkt „30 Jahre Mauerfall“ zum

gang, der sich selbstverständlich auch an mir

schächten, Klobecken kam Wasser geschos-

Anlass, dieses Werk wieder in die öffentliche

vollzog, begann ich zu schreiben. Vorallem

sen. Jeder macht sich bereit. Hals über Kopf

Wahrnehmung zu rücken, und drucken sein

die Behauptung, daß eine Wiedervereinigung

stieg es. Der Führer im Rundfunk erklärte, die

erstes Theaterstück ab – noch geschrieben in

der beiden Deutschen Staaten nur in Brau-

Mauer halte. Die Flut ändert die Richtung.

der DDR 1973/74, uraufgeführt in der alten

nem Schlamm möglich ist, verstört, ist poli-

Eine Frau im Treppenflur schrie: Im kleinen

BRD 1983 –, dem wir hier zwei kontextualisie­

tisch zunächst undenkbar, so gehen auch alle

Karton habe ich mein wertvolles Gut. Katzen-

rende Passagen aus Schleefs Tagebüchern

West-Kritiker damit um, als das Stück im

köpfe und Silberpapier. Jedes Jahr häng ichs

voranstellen.

Westen, in einem Provinztheater uraufgeführt

in meine Kirschen. Sitzt mein Schwimm­

wird, später am Schiller-Theater Berlin mit

gürtel. Im Hof schwappt das Wasser. Was wird

gleichen Reaktionen. Schon der Druck berei-

mit dem Parteiorgan wenn ich sterbe. Bug-

tete Schwierigkeiten, FILMKRITIK Nr. 259

siert die Waschmaschine aufs Dach. Ich über-

1974

TRAUM BERLIN EIN MEER DES FRIEDENS

Juli 78 versucht den Schluß, die Sturmflut zu

legte wegen der Kirchensteuer, wie das mit

GEBURTSTAGSGESCHENK FÜR GABRIELE

streichen. Die Angst, die sich in diesen politi-

meiner Beerdigung. Das Wasser einen Stock

Kommentar Anfang April 2001

schen Reaktionen spiegelt, macht mich be-

höher. Wo ist Kurt. Die Nachbarschaft in ei-

troffen und schreckt mich von meinen Thea-

nem Kahn: Steig zu Genossin Karin. Ich blei-

In diesen Monaten arbeite ich an meinem

tertexten ab, ich habe etwas geschrieben, was

be hier, warte auf Elfi.

1. Theaterstück. Das ich mehrmals weglege,

keiner verstehen will: Also, lieber Shakes-

Dann mußte ich schwimmen. Das

erneut hervorhole, ich habe nichts anderes

peare inszenieren, der ist absolut todsicher.

Dach weggesackt, der ganze Hoftrakt. Hielt

für Gabriele, die sich sicher freuen wird, aber

Der Titel meines 1. Theaterstücks wurde

mich in den hohen Wellen, tapfer die braune

ich komme mit meiner Schreiberei nicht an,

SHILOHRANCH UND CARLYLEBANK in EIN

Suppe ausgespuckt. Weiter. Hans Moser warf

auch als der Text endlich fertig ist, ich ihn

KESSEL BUNTES in BERLIN EIN MEER DES

einen Rettungsring. Aber wo ist Kurt. In

Müller, Brasch, Trolle zeige, überall die glei-

FRIEDENS geändert. Der Abdruck 78 be-

einem anderen Boot, wollte zur Baustelle ­

che Reaktion, blöd, Wiedervereinigung unter

ginnt: Honecker schenkt der Bevölkerung die

­Leninplatz, dort fester Boden, das Denkmal

Wasser. Die Geschichte ist einfach, ich hatte

Liveübertragung aus dem Friedrichstadt­

Granit. Schwer mich über den Bootsrand zu

TARZAN RETTET BERLIN breiter ausgeführt,

palast.

ausgezeichnete

hieven, nasse Klamotten, mußte meine Stie-

jetzt in einer Berliner Proletenfamilie, wo die

Kollektive als Zuschauer. Höhepunkt West­ ­

fel opfern. Zu gerne behalten für nachher den

Tochter studiert, was Höheres wird, Ostberlin

interpreten. Nach den ersten Sendungen Aus-

Schlamm. Näherten uns stillem Wasser. Tiefe

Geladene

Gäste,


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einar schleef_berlin ein meer des friedens

Bäume. Wege, ein Pissoir, ein Gehege, der Friedrichshain, keine Elfi. Wir ankerten am geplanten Denkmal. Schon einige Leute, rutschten. Kleidung ausgewrungen, manche rauchten. Guter Mut. Nasser Arsch. Alle Grippe. Ich machte Kniebeugen so gut es ging, ab und zu kippte jemand nach hinten um, gurgelte, abgetrieben. Apfelsinen und Kisten vorbei, nichts angefaßt, könnte vergiftet sein. Der Führer warnte. Jeder Husten. Qualm aus den Wohnblocks vom Wind aufs Wasser gedrückt, bis zur Brust im Dreck, gar nicht unsere Füße zu sehen. Wer sich bückte mitgerissen. Rutschig auf dem Leninkopf, schmale Kante der Kragen, seine Glatze bot wenig Platz. Neue dazu. Ohne Bewegung. Hörte Stimmen, ein Boot mit kleinen Idioten. Sauber angezogen. Brottasche um. Spielzeug. Gottseidank verzog sich der Rauch, in den Wohnsilos stürzte das Wasser von Etage zu Etage. Langsam versackten die Fundamente. Das Boot schaukelte in den Wellen. Endlich Sonne. Wasserwüste. Der Funkturm, mehrere Masten. Hans Moser ein kleines Transistor­ radio mit. Der Führer spricht über Radio DDR: Die Mauer wird halten. 1000 Jahr. VEB Zement läßt uns nicht im Stich. Am Himmel Wolkenberge, dunkelblau, verschlucken die Sonne. Setzte Regen ein. Im Kinderboot wurden Schirme verteilt, leise gesungen. Wieder Qualm. Wir mußten schwimmen. Moser hatte irgendwie ein Boot erwischt, nochmal hievte er mich rüber. Wir suchten Elfi. Theo Lingen hatte es auch geschafft, er hing an einem Balken, bißchen abgekämpft, sonst munter. Seinen Schlips gerückt, überlegte welche Richtung. Wir waren weit rausgetrieben. Ein Vater nahm seine Schreibmaschine: Wenigstens dem Jungen zu melden, wo wir sind. Moser hustete am Ruder. Meine Stiefel futsch. Schade. Er klebte die Briefe zu, warf sie ins Wasser. Die kommen an. Hast du Hunger.

© Einar Schleef: Tagebuch 1964–1976. Ostberlin. Hg. von Winfried Menninghaus, Sandra Janßen und Johannes Windrich, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, S. 358 und 364/365

Einar Schleef wurde am 17. Januar 1944 in Sangerhausen geboren und starb am 21. Juli 2001 in Berlin. Schleef war Autor, Maler, Fotograf, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner sowie Darsteller. Am bekanntesten wurde er als Regisseur. Bis 1976 arbeitete er als Bühnenbildner und Regisseur in Ost-Berlin. Nach dem Verlassen der DDR lebte er in WestBerlin und widmete sich hauptsächlich dem Schreiben. Zu seinen zentralen Werken zählen der Roman „Gertrud“ und später Theaterstücke wie „Mütter“, „Die Schauspieler“, „Nietzsche Trilogie“ oder „Totentrompeten 1–4“. Ab 1985 begann er wieder zu inszenieren, u. a. in Frank­ furt am Main, nach 1990 in Wien, Düsseldorf und Berlin. Der Chor, den er im Rückgriff auf die Antike neu in die Theaterpraxis einführte, wurde zu seinem Markenzeichen. Er wurde mit seinen Stücken und Inszenierungen mehrfach zum Theatertreffen eingeladen – u. a. 1983 mit „Berlin ein Meer des Friedens“ zum Stückemarkt. Das Theaterstück wurde am 4. November 1983 von Sigrid Wiegenstein am Theater Heidelberg uraufgeführt. Einar Schleef erhielt zahlreiche Preise, unter anderem den Mülheimer Dramatikerpreis, den ­Alfred-Döblin-Preis, den Bremer Literaturpreis, den Fritz-Kortner-Preis (zusammen mit B. K. Tragelehn), die Josef-Kainz-Medaille der Stadt Wien und posthum den Else-Lasker-Schüler-­ Dramatikerpreis. Foto David Baltzer / bildbühne.de

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Einar Schleef

Berlin ein Meer des Friedens Personen: der Vater · die Mutter · die Tochter, Karin · die Enkelin, Elfi · Stimmen Zunächst eine Wohnung, später Wasser MUTTER raucht: Mußt du dich immer so benehmen, wenn eins der Kinder da ist. Ungehobelter Klotz. Jedesmal die gleiche Tour. So warst du schon früher, zum Kotzen. Denkst du das merke ich nicht. Das merken alle. Verstehst du. Vater hustet. Huste nur. Deinen Lungenknacks haste auch ohne mich weg. Er hält ihr Pralinen hin. BONANZA kommt in einer halben Stunde. Er knurrt. Du weißt, daß ich Pralinen nicht gern esse, die machen dick. Aber dir zuliebe. Huch da ist ja Flüssigkeit drin. Die mußt du auch probieren. Er lehnt ab. VATER Ich will nur ihr Bestes. MUTTER Du mästest mich und dann trampelst du auf mir herum. Freischwimmen sollen sie sich, nicht an Vater und Mutter kleben. VATER Dann iß keine. MUTTER Nur gut, daß Karin gegangen ist. Gleich kommt BONANZA. Ich will euch nicht länger zur Last fallen. Wie weh das tut. Schläfst du Du Walter. VATER Nimm die Pfoten weg. Wer pennt denn immer gleich ein. Du oder ich. MUTTER So war das doch … VATER nicht gemeint. Ich weiß, wie du es meinst. MUTTER Ich muß mich ja als Mutter schuldig fühlen. VATER Bei deiner Zukunft. MUTTER Da staune ich aber. VATER Mach deine Glotzaugen auf. Ihren Kuchen frißt du. MUTTER Was VATER Ihren Kuchen frißt du. Eine Cremeschnitte nach der anderen. Vier Stück. MUTTER Hoffentlich hast du dich nicht verrechnet.

VATER Und zahle. Wer hätte dich verurteilen können. MUTTER Trink nicht so viel. VATER Was MUTTER Bier. Bier. VATER Zwei Flaschen MUTTER Warum trinkst du keinen Wein. VATER Acht Mark die Flasche. Bier ist Bier. MUTTER trinkt: Das ist doch die Höhe. Weißt du, Nachbars fahren wieder. Sonnenstrand. Am Neunundzwanzigsten. Ja wenn zwei arbeiten und die Kinder. Voriges Jahr soll es aber sehr dreckig gewesen sein. Ich möchte da nicht hin. Sonnenstrand. Das laß ich mir gefallen. Und die Farbe im Prospekt, so ein Blau gibts gar nicht. Ißt Praline. Das läuft die Finger runter. Taschentuch. VATER Ruhe MUTTER Unter den Westtouristen kommst du dir wie ein armes Schwein vor. Das ist der Sozialismus. Alles haben die besser. VATER Gesiebten Sand. Was. Wir haben den Krieg verloren. MUTTER lacht: Was Walter. VATER Ich bleibe in meinen vier Wänden. MUTTER Hier VATER Halt die Schnauze. MUTTER Als ob ich den Krieg gemacht habe. VATER Schluß. Sonst mach ich kurzen Prozeß. MUTTER Jetzt ist dir schlecht. Wo sind die Pillen. Die Pillen. VATER Tropfen MUTTER Jedesmal was anderes. Gibt ihm Medizin. VATER Pfui Deibel. Ein Scheißzeug. Hilft nichts. MUTTER Mach keine Sperenzien, schluck. VATER Laß mich in Ruhe. Mir wird schlecht. Wer sagt dir, was ich will. MUTTER Du. Noch undankbar. Schlechtwerden. Nimm dich zusammen. Wie ich dich pflege. VATER Feine Pflege. Verrecke bald. Bier. MUTTER Prost VATER Muß das schreckliche Zeug runter kriegen.

MUTTER Um acht kommt KESSEL BUNTES. Trink nicht mehr. Mach Pause. VATER Pause mach ich, wann ich will. Das lasse ich mir nicht vorschreiben. Nirgendwo. Sie nimmt ihm die Flasche weg. Zum letzten Mal, gib das Bier her. MUTTER Brüll rum, du bist hier nicht in deinem Betrieb, schnauz an, wen du willst. Hier sagst du BITTE. Sonst mach ich kurzen Prozeß, das schreib dir hinter die Ohren. Und laß endlich die Vergangenheit begraben, ich weiß auch nicht, wo du das wieder her hast. Gibt ihm die Flasche zurück. Und Kurt trichterst du nichts mehr ein. Karin hat das nicht gern. Das weißt du ganz genau. Eure Sauftouren. Nachts ist der im Bett. Hör ich das nochmal. Trinke ich was. Ab und zu ein Schlückchen. Na Vati. Gehts besser. VATER Aber paffen was das Zeug hält. Was verstehst du von der Vergangenheit, du stehst immer abseits. MUTTER Du hast die frische Decke schmutzig gemacht. Immer die Wäsche. Karin und Kurt essen in der Küche. Wäscht du das. VATER Du hast eine Maschine, ich hab sie dir gekauft. Fünf Programme wie mein Fernseher. MUTTER Daß ich nicht lache. Ich hab den Rest zugelegt. VATER Jaja, zugelegt. Die Knochenarbeit mache ich. Ich. Das schreibe dir hinter die Ohren. MUTTER Von wegen. Acht Stunden im Büro und die ganze Hausarbeit. VATER Ich trage den Mülleimer runter. Immer ist die Tonne voll, eine halbe Stunde dauert es bis ich deinen Mist drin hab. MUTTER Da machst du dich aber nicht tot. VATER Laß die Finger von Karin, die soll sich ihre Ehe selber zurechtbiegen. Wieder der Sündenbock sein. MUTTER Sagst du jedesmal und tatscht ihr auf den Arsch.

Theater der Jungen Welt Leipzig

BERGKRISTALL – ZWISCHEN DEN FELSEN Von Theo Fransz frei nach »Bergkristall« von Adalbert Stifter | Inszenierung: Jürgen Zielinski | Uraufführung [6 plus] Premiere: 16. November Karten 0341.486 60 16 | www.tdjw.de


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Kaserne

VATER Ich hab genug Scheiße um mich. MUTTER Schluß jetzt. Ich will am Sonnabend meine Ruhe. VATER Und ich. Ich nicht was. MUTTER Wasche ich deine Scheißunterhosen oder nicht. VATER Jeder an seinem Platz. Au mein Herz. MUTTER Mein Herz. Das Herz hat keine Schmerzen. VATER Du wackelst nur mit dem Arsch im Büro rum. MUTTER Du mußt ja Schmerzen haben. VATER Chef vorn Chef hinten. Herr Doktor bitte. Kriech ihm doch gleich in den Arsch eurem Doktor. Ich mach die Knochenarbeit. MUTTER Gehts dir gut. VATER Mir. Ganz schlecht. Wie lange soll ich das aushalten. Kein Friede in den vier Wänden. Ich bin krank. Hier es drückt mir die ganze Seite ab. MUTTER Du säufst. Mach bloß kein Theater, ich erwische dich. Nächste Woche gehen wir zum Arzt. Wie ein Kleinkind: Mutti hier tuts weh. Verbrennt sich. Au. In den Arsch kriechen. Noch lange nicht, laß das mal die anderen machen. Da bin ich nicht scharf. Ein Loch. Tatsächlich Kunststoff. VATER Du hast den Umschwung nicht geschafft. MUTTER Ich liebe meine Arbeit. Im Büro bin ich zu Hause. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft. VATER Eine richtige kleine Familie. MUTTER Da kennt jeder jeden und weiß wo der Schuh drückt. VATER Mir drückt er schon lange. MUTTER Aus dem Alter bist du raus. Karin ist Lehrerin. Hochschulabschluß das ist doch was. Damals habe ich nicht nachgegeben, du wolltest sie nicht zur Universität lassen. VATER Schuften wie wir alle. Lehrer. Pauker. MUTTER Ein schöner Beruf Vorbild sein. VATER Vorbild. Du willst auch fressen. MUTTER Die Kinder sollen es einmal leichter ­haben. VATER Hätte ich das alles in meiner Jugend ­gekriegt. MUTTER Das war die schlechte Zeit. Als der Qualifizierungslehrgang war, ward ihr in der Kneipe. Ich dachte wenn der Alte abends noch studiert, kann ich nicht vor der Glotze sitzen, zackzack die Abrechnungen mit nach Hause gebracht, bis eins saß ich an der Maschine und unser Männe. Knallblau. Nur ein kleines Helles. Du brauchst nichts weiter zu sagen. VATER Es wird mir jedes Wort abgeschnitten. MUTTER Na. Du hast doch ganz von vorne angefangen.

Do 7.11. Carl Craig & Sinfonieorchester Basel Mi 13.11. Deniz Yücel Agentterrorist

VATER Ich bin Facharbeiter. MUTTER Huhu weiter. VATER Wir sind ein sozialistisches Arbeitskollektiv … MUTTER mit Dreck am Stecken. VATER Wir haben dreimal hintereinander den Titel Kollektiv der Sozialistischen Arbeit errungen. MUTTER Auf dem Papier. Papier ist geduldig. Frag mal deine Lunge. Die hatten wohl keine anderen. Ich habe 175 Mark mehr. VATER Ich bin Facharbeiter. Facharbeiter ist Facharbeiter. Ich stehe überall meinen Mann. MUTTER Was ist aus eurer Qualifizierung geworden. Nichts. Schlapp gemacht. Mutti ich kann nicht mehr. Den Meister hättest du machen können. Ich werde verrückt, da würdes hier aber anders aussehen. Nachbars da verdient der Mann was. VATER Ich hab Schmerzen. MUTTER Ja die Wahrheit willst du nicht hören. Soll ich dir eine Wärmflasche machen. VATER Halt endlich die Fresse. Entweder Karin beim Studium unterstützt oder eine Datsche. Eins zu null. MUTTER Morgen hast du Nachtschicht. Sonnenstrand ist Sonnenstrand. VATER Was für ein Tag. MUTTER Wenn BONANZA ist Sonntag. VATER Das kann nicht sein. MUTTER Was VATER Daß Sonntag ist. Hast du die Zeitung. Mit den Wochenenden komme ich immer durcheinander. MUTTER Kannste überhaupt noch Tag von Nacht unterscheiden. VATER Keine Augen im Kopp. MUTTER Du hast sie gehabt. Die Sportseite das weiß ich genau. VATER Seit wann interessiert mich die Sportseite. MUTTER Alle Männer interessiert die Sportseite. Du bist eben kein richtiger Mann, sag ich doch. VATER Wo die Zeitung ist. MUTTER Karin schreibt das Kochrezept ab. VATER Von unserer Zeitung. MUTTER Dir schmeckt ja nicht was ich koche. VATER Esse was auf den Tisch kommt. MUTTER Ein gemütlicher Abend. VATER Morgen hab ich Nachtschicht. MUTTER Da muß ja Sonntag sein. VATER Ich hab die ganze Woche Nachtschicht. MUTTER Auch das noch. KESSELS BUNTES kommt. Wo ist das Programm. VATER Hat Kurt

Fr 15.11. Sa 16.11. Cezary Tomaszewski Cezary zieht in den Krieg

Sa 16.11. So 17.11. Mo 18.11. Patrica Nocon

Fr 15.11. Sa 16.11. So 17.11. Janek Turkowski Margarete

Fr 22.11. Ola Maciejewska Bombyx Mori

Premiere:

MUTTER Da haben wirs. Du gibst unser Programm weg. Kurt kann es sich auch im Betrieb abschreiben. VATER Kurt kann keinen darum bitten. Ein leitender Ingenieur macht sich nicht verdächtig. MUTTER Jetzt ist es nicht da. Unverschämtheit. Merk dir das. Ich bin empfindlich. Also welcher Tag ist heute. VATER Für mich ist immer Sonntag. MUTTER Für Faulpelze ist immer Sonntag. Wenn KESSELS BUNTES kommt ist Samstag. VATER Sonnabend MUTTER Samstag VATER Wart bis acht. MUTTER Die sagen kein Datum. VATER Aber das Wort zum Sonntag. MUTTER Da lieg ich im Bett. VATER Wenn die alten Filme kommen. Da hast du doch deine Jugend am Lagerfeuer. Wo du so fröhlich die Gruppe organisierst. MUTTER Ich bin müde. VATER Du willst mich einfach ärgern. Wo ist die Zeitung. MUTTER Du willst mich nur ärgern. Das ist ein für alle mal vorbei, das kommt nicht wieder. VATER Kann ich auch mal vergessen. MUTTER Du vergißt noch den Kopf wenn er nicht angewachsen ist. VATER Was wollte Karin überhaupt hier. MUTTER Drei Bier schon. Kurt schenkt ihr zu Weihnachten einen Pelzmantel. Der weiß was sich gehört. VATER Hoffentlich du auch. Wie spät. Die sollen sparen. Das ist nie sicher. MUTTER Licht anmachen. Karin kommt nachher. VATER Ich denke die ist verheiratet. Das geht doch nicht. Nie zu Hause. MUTTER Kurt hat Nachtschicht. Kurt ist in der Partei. Gesellschaftliche Arbeit. Das muß gemacht werden. Das Auto. Das Boot. Man muß sich nach allen Seiten absichern. Und jetzt bauen die, auf festem Grund mit meinem Anteil, das mußt du verstehen. Die Kinder sollen es einmal besser haben als wir. Das hast du gesagt. VATER Und ficken MUTTER Ein Kind genügt. VATER Ich spreche nicht von Kindern. Ich spreche laut und deutlich vom Ficken. MUTTER Karin nimmt die Pille. Ich auch. VATER Ist noch Bier im Kühlschrank. MUTTER Hinterm Rotkohl. VATER Jeden Tag Rotkohl. Oben rein unten raus. Kurt hat dich ganz schön vorgeknöpft.

Di 26.11. Mi 27.11. Gravity & Other Myths A Simple Space

Die Polnischstunde Sa 30.11. So 1.12. Alexander Vantournhout CH-Premiere: Red Haired Man

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MUTTER Rotkohl den gabs vorige Woche, ich muß auf Vorrat kaufen. Das tun alle. Morgen mach ich Rohkost. VATER Dann friß keine Pralinen. MUTTER Du schenkst sie mir. Und ich muß sie fressen. Stellt TV ein. VATER Viel zu laut, daß du das ertragen kannst. Ich kriege Ohrenschmerzen. MUTTER Guck mal Orgel, Glocken, Küchengeräusche im TV. VATER Der Priester brät Eier. MUTTER Die müssen auch essen. Wenn du dir Eier braten könntest. TV männliche Stimme: Was halten Sie von inter­ disziplinär gelenkten Fakultäten. Männliche Stimme: Im Grunde würde ich sie bejahen, aber im Sinne einer strukturellen Erneuerung für zu eng befinden. Wie würden Sie auf die Bildung von Interessengruppen innerhalb Ihres Seminars reagieren. MUTTER Wie der die Gabel hält. Wieviel ist die Uhr. TV Ich würde sie rückhaltlos befürworten. Ich zum Beispiel arbeite vorwiegend meditativ und ver­ suche meine Erfahrungen in der Praxis zu bestätigen. Wie sieht das aus. VATER Prost TV Darf ich Ihnen ein Ei auflegen. Bitte MUTTER Die essen auch in der Küche. Daß auch keine Uhr geht, du mußt doch die richtige Zeit ­haben. VATER Ein Ei, ein Gebet. Ich hab was gegen das alte Wachstuch. MUTTER Kauf neues. Betet. Und segne was du uns bescheret hast. Amen. VATER Pßt TV Hochhaus. Wie verhält sich die Kirche in dieser Situation. Ich komme mir wie ein Hausierer vor, der an die Tür klopft. Ich weiß, die da drinne denken jetzt kommt der Priester. Wenn beide Ehepartner arbeiten. Ja Wie komme ich an die ran. Der Hauswirt sagt Gelobt sei Christus und sieht die Kirche als Hindernis zu Gott. Taufscheinchristen. VATER Schalt mal um. Du willst doch die Uhr sehen. MUTTER Ach ist das Brautpaar nett. Orgel. VATER So ein nettes Gesicht wie unser alter Pfarrer. MUTTER Fang nicht wieder an, das waren schwere Zeiten. Drücken dir doch in der Kampfgruppe die Knarre in die Hand, was machst du. Du schießt.

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Und dann hängt die Scheibe im Schlafzimmer. Da solltest du Schützenkönig sein. Das kommt mir nicht wieder ins Haus. Und die braunen Dreckanzüge wasch ich auch nicht. Im Schlamm rumkriechen, den stech ich nochmal Bescheid, egal was passiert. VATER Hab ich den Modder bestellt. Überall ist das Wetter unbeständig. In den Alpen ist zu heiß. MUTTER Ich bin kein Duckmäuser. Weißt du was hier los ist. VATER Ich habes mit eigenen Augen gesehen. Vor mir haben sie gelegen hier auf dem Fuß­ boden. MUTTER Damals. Heute machst du sie zu. Wenn das hier alles vorbei ist Stalin und Konsorten, möcht nicht wissen was da los ist. Du hast doch die Wahl gehabt. VATER Welche Wahl MUTTER Die Betten waren schon drüben. Du hast am Radio gesessen jeden Abend, Mutti, die können die Grenze nicht zumachen, die kontrollieren nur die Züge, das riskieren die nicht, da sieht der Ami nicht zu. Karin könnt ich in den Arsch treten im Blauhemd. Mutti hier liegt meine Zukunft. Manfred hat noch den richtigen Zug erwischt. VATER So schlimm kanns nicht werden. Wer saß auf seinen Geschirrkisten. Unser Silberbesteck. Das kann ich nicht hier lassen. Nicht schlimm werden, jetzt sind wir hier. Und die Mauer ist da. MUTTER Feierabend VATER Denkst du ich will hier bleiben. Ja. MUTTER Du brauchst um die Leute nur einen Zaun machen, da halten sie die Fresse. Jeder ist gleichgültig. VATER zeigt im TV: Der ist der BH zu eng. Ich bin nicht gegen die Mauer. Das ist selbstverständlich, daß der Staat mich schützt. MUTTER Und die anderen vor dir. Nur Titten im Kopp. VATER Was sonst MUTTER Walter VATER Und du TV männliche Stimme: So geht hin und mehret Euch. Der Friede welcher höher ist … sei mit Euch. Orgel. MUTTER Jetzt wird fotografiert. Glocken. VATER Scheißdreck. Schaltet um, sie weint. Ich weiß bescheid. MUTTER Was VATER Das vergesse ich dir nie. MUTTER Dann vergißt du es nicht. Da kann ich mich auch nicht aufhängen.

FREISCHWIMMER*INNEN THE FUTURE IS FEMALE*

MIT HANNSJANA, CAROLINE CREUTZBURG, FOLLOW US, JAMILA JOHNSON-SMALL, ADRIENNE TRUSCOTT, URSULA MARTINEZ, ZOË COOMPS MARR UVM.

FESTIVAL NOVEMBER 29 — DEZEMBER 08

VATER Sollst du auch nicht liebes Kind. MUTTER Ich bin nicht dein liebes Kind. VATER Mein liebes Arschloch. MUTTER Drück dich gefälligst besser aus wenn Karin kommt, vielleicht bringt die ihre Arbeits­ kollegin mit, die kleine blonde … VATER die fette … MUTTER Fett ist die nicht, Kurt … VATER der besteigt gerade eine andere. MUTTER Wo. In der Nachtschicht. VATER Sich mit dem Betriebsleiter des eigenen Mannes einlassen. Du. Wenn wenigstens was bei rausgekommen wäre. Aber das lernst du noch. MUTTER Das möchte ich nicht gehört haben. Ich bin nicht so eine. Ich hab paarmal mit ihm getanzt, bißchen flott. Betriebsfest ist Betriebsfest … VATER da wollen die Kollegen feiern. Man kann nicht immer abseits stehen. Müde. Was man in deinem Alter flott nennt, die Augen sind allen rausgefallen. MUTTER Siehst du, was ich noch hermache. Ich bin attraktiv. Zeigt ihre Brüste. VATER Mensch du kriegst die Beine nicht mehr auseinander. MUTTER Und du. Eins zu Eins. Sieht auf die Uhr. BONANZA. VATER am TV: Aber der Betriebsleiter. MUTTER Was kurbelst du, du wirst nicht besser. Wir leben in einer neuen Gesellschaft. VATER Die das Erbe antritt. MUTTER Da ist doch Bild, stell den Ton an. TV weibliche Stimme: Längste Dürre in Kina seit 1905. Australischer Premierminister verschwand im Meer. Ein Verband sowjetischer Kriegsschiffe zu einem Freundschaftsbesuch in Finnland. Schwere Unwetter an der amerikanischen Ost­ küste. Südvietnam. MUTTER Dreh ab. BONANZA. VATER Kann gar nicht so schlimm sein. MUTTER Ein Bier Vati. Gibt ihm neue Flasche. VATER Warm. Bleib sitzen. Trink das schon. Zieht Strumpf aus, reibt die Zehen, riecht. MUTTER Dein fünftes. VATER Mein drittes. MUTTER Schrei nicht. Dein fünftes. VATER dreht laut die Titelmusik von Bonanza auf, es klingelt, sie hört es nicht: Es klingelt. MUTTER erschrocken: Was VATER Es klingelt. Sie rennt zur Tür, öffnet. MUTTER Karin. Komm rein. Bist ja völlig durchgeweicht. BONANZA fängt gerade an. Vati es regnet ununterbrochen. Leise. Ist was. Kurt. Kurt. Ich weiß alles. Hände vorm Mund. Schlimm.

TICKETS SOPHIENSAELE.COM FON 030 283 52 66 SOPHIENSTR.18 10178 BERLIN


VATER ruft: Das ist Schnee. MUTTER Walter Karin ist da. Leise. Scheidung. VATER Was MUTTER Unsere Karin ist da Vater. Leise. Kurt will sich scheiden lassen. Und der Pelzmantel. Was. Die aus der Betriebsverkaufsstelle. Kind ich bin sprachlos. Kurt betrügt dich. Seit wann. Schon die ganze Zeit. Sechs Monate. Das weißt du nicht. Ich hab ihm das Geld vorgestreckt. VATER ruft: Das regnet schon den ganzen Tag. MUTTER Ist was passiert Walter. VATER Die Formans wollen ihren Viehtrieb über die Felder der neuen Farmer machen. Pause. Ein Killer kommt. MUTTER Was. Ich versteh kein einziges Wort. VATER ruft: Die Formans wollen die neuen Farmer vertreiben. MUTTER Was. Leise: Das tut Kurt uns nicht an. VATER laut: Leck mich am Arsch. Wer ist das. MUTTER Seit sechs Monaten sagst du. Wissen es die Kinder. In eurem Bett. Nein die Schande. VATER lacht: Der Deibel soll mich. MUTTER Ist was. Vati hatte schon recht. VATER Der Killer hat was mit der Schwester vom neuen Farmer. Die Weiber. Klasse. Der Bruder hats geschafft. Klug, daß der auf die Wasserrechte pocht. MUTTER Was für Wasserrechte. VATER Die vom Tal. Laß mich. Klasse. Der Bruder schmeißt ihn raus. Musik. MUTTER Vater begeistert sich immer so. Kaffee. Laut. Karin will das auch wissen.

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VATER Mutter Forman unterschreibt, aber der läßt dem Killer freie Hand. Pfeift. MUTTER Was die sich alles einfallen lassen, vorigen Sonntag … VATER jetzt brennt das Haus. MUTTER Letzten Sonntag … VATER der Killer vertreibt den Boß. Peng. Peng. Der ist erledigt. MUTTER Schrei nicht was sollen Nachbars sagen. VATER Die werden mit ihrer Vergangenheit ­fertig. MUTTER gießt ein: Heiß Kleines. VATER Endlich kommen die anderen. Unerhört einer gegen so viele. Peng. Peng. Getroffen. Was quatscht ihr da draußen. MUTTER Bitte sei nicht so laut. VATER Jetzt gehts erst richtig los. Die anderen wollen ihm an den Kragen. MUTTER laut: Ist das der Killer. VATER Ja der hat heute Zielwasser gesoffen. MUTTER Willst du heute hier schlafen. Ja. Hat er dich geschlagen. Und das sagst du erst jetzt. Den hätte ich nicht mehr reingelassen. Karin reagiert nicht. Was du machen sollst. Abhauen. Links liegen lassen. Elfi. Das Geld, da wird sich auch ein Weg finden. VATER Die glauben dem Killer die guten Absichten nicht, der will das Mädchen. Au Backe. MUTTER Karin reagiert nicht. Vati Karin verträgt den Krach nicht. VATER Was macht ihr Weiber nur in der Küche. MUTTER Karin ihr beide kommt her. Elfi und du.

Wissenschaft trifft Kunst EINE KOOPERATION DER EXPERIMENTA UND DES THEATERS HEILBRONN

06. BIS 09.11.2019 MEHR INFOS UNTER WWW.SCIENCE-THEATRE-FESTIVAL.DE

Du und ich im Schlafzimmer. Elfi auf der Couch. Vater in der Kammer. Für die paar Tage. Wir stellen das Klappbett auf. Heul doch nicht. Weint. VATER Der Killer ist getroffen. Sein Mädchen und der Bruder. Endlich. Er liegt am Felsen. Der stirbt. Muß der Schmerzen haben. Daß die ihm nicht helfen. Mensch hat der Mensch Töne. Zupacken Göre, zupacken. MUTTER Reg dich nicht auf Walter. Der Blutdruck. Hast du die Pillen schon genommen. Vor dem Essen. Vorhin war ihm schlecht, jetzt kann er brüllen. Bis ihn der Schlag trifft. Weint. Ja Mädchen so ist das. VATER Der Killer macht die Schweinerei gut. Das ist nochmal gut gegangen. Abspannmusik. Jetzt ist die Grenze begradigt. MUTTER Nur Schießereien. VATER Siehst du doch auch gern. Karin geht schnell ab, die Mutter rennt hinterher. MUTTER Aber Kind. Kurt. Karin. VATER ruft: Emanzipation. Alles Quatsch ihr ­Weiber. TV weibliche Stimme: Möchten wir Sie bitten den Sendeausfall im Bereich des Senders Kreuzberg zwischen 19 Uhr 17 und 19 Uhr 23 zu entschuldigen. Wir bitten um eine kurze Pause. VATER Bist du im Schlafzimmer. Du die haben wieder ihre Schleierschwänze. Mals nur nicht an die Wand. MUTTER ruft: Guppys. VATER Schleierschwänze. Ca-ras-sius au-ra-tus. Latein.

Designkonzept: www.jungkommunikation.de

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JEAN GENET

DAS TOTENFEST Theatrale Installation unter Verwendung von Auszügen aus dem Roman “Das Totenfest” von Jean Genet Regie: Max Pross

SchauSpielHaus Hamburg

Premiere: 22. November 2019

MERLIN VERLAG

21397 Gifkendorf 38 Tel. 04137 - 810529 info@merlin-verlag.de www.merlin-verlag.de

MUTTER Elfi hat welche fürs Schulaquarium gekauft. VATER Elfi. Du. Du schmeißt das Geld zum Fenster raus. Überall wird gespart. Solidaritätsspendenkonto. Ich will einen neuen Sessel. MUTTER Die in Vietnam haben auch keine. VATER Hier ist auch Vietnam. In meiner Bude. Mach das Fenster auf. Siehst wo keine Mauer. Guppys fürs Schulaquarium. MUTTER Wofür arbeite ich überhaupt. VATER Was flennst du. MUTTER Er betrügt sie. VATER Wenn ich nicht wüßte, daß du Spaß machst. TV Und melden uns nach kurzer Pause wieder. VATER Kein Bild mehr. MUTTER Kaputt VATER Doch das natürlichste von der Welt sich anderswo seinen Ausgleich verschaffen. Der Mann kann doch was. MUTTER Du stehst noch unter Kurt. VATER Aber rumkurbeln du und die Kinder. Mit euren ungewaschenen Pfoten. TV Und melden uns nach kurzer Unterbrechung wieder und melden uns nach kurzer Unterbrechung wieder. VATER Da stimmt doch was nicht. Schaltet am TV, reißt versehentlich den Stecker raus. Nun ist ganz duster. Röhre futsch. So ein merkwürdiger Ton. Streifen. MUTTER Bist du verrückt, du gehst da nicht dran. Die Antenne drin. Verstehst nichts davon. Das ist ein Mann. Muß ich wieder aufstehen. Die Dauerwelle vertrag ich auch nicht. Wieder 30 Mark. Die

Goldkrone oben ist abgebrochen, nur Fusch. Fusch wo du hinguckst. Na Alter. Du machst noch alles kaputt. Bist du eine gewischt kriegst. Der Stecker ist raus. VATER Was MUTTER Der Stecker. TV männliche Stimme: Beim Versuch den Ärmel­ kanal in einem Kanu ... VATER Weg. Das flimmert. TV männliche Stimme: Dieses Jahr gibt es keine ­Pilze ... MUTTER Lauter Unsinn. VATER Schrei nicht. TV Bitten zu entschuldigen. VATER Technische Störung kommt überall vor, was dir beim Abwasch alles hinknallt. MUTTER Kein Vergleich. Au. Mußt du mir immer weh tun. Kneifen. Überall blaue Flecken. Krebs. Hier. Hier. Das willst du nicht sehen was. Nur ­quälen im Kopf. Er kneift wieder, beide kabbeln, es klingelt, beide schrecken auf, sie rennt zur Tür. Ihr Männer seid doch alle gleich. TV Sender Kreuzberg bittet um eine weitere Unterbrechung. Wir danken für Ihr Verständnis. MUTTER öffnet: Elfi. So spät noch. Alles in Ordnung. Sollst du mir von Mutti was sagen. ELFI Das Fernsehprogramm. MUTTER Praline. Vater Elfi hat das Fernseh­ programm gebracht. Was ist mit deiner Mutti. ELFI Schönen Gruß von Vati. MUTTER Heile Welt. ELFI Ja Oma. Häkelst du meine Hausaufgabe. MUTTER Beim besten Willen, ich bin nicht dazu gekommen. Hat Vati Mutti geschlagen? ELFI Ja aber Mutti bleibt zu Hause. MUTTER Wann mußt du die Topflappen fertig ­haben. ELFI Montag für den Solidaritätsbasar. MUTTER Ich setz mich gleich nachher hin, mußt deine Eins kriegen. Tüchtiges Mädchen. ELFI Ich weiß alles von Mutti und Vati. MUTTER Wichtig ist, daß ihr beide jetzt zusammenhaltet. Laut. Hörst du eigentlich zu Walter. Das interessiert dich nicht. Elfi ist da. VATER Die Elfi. Kommt. Na, Kind Küßt sie. MUTTER Und richtig abschlecken. VATER Er schlägt deine Tochter. MUTTER Deine Tochter meine Tochter, wenn was passiert. Jedesmal. VATER Ja Elfi deine Tochter. Der du den Pelz­ mantel bezahlst.

01./02.11.2019 Ljod. Das Eis Proton Theatre/ Kornél Mundruczó (HU) Im Rahmen von „89/19 – Vorher/Nachher” 05.11.2019 ACTIONS Cilins, Duyvendak & Sugnaux Hernandez (CH)

www.hellerau.org

22.11.2019 Powerhouse Planningtorock (DE)

ELFI Hast du gestern die Pawlowa gesehen Vati hat die Sportschau angestellt. VATER Kind Totozahlen, da gewinnt man was. Wenn wir hier System spielen. ELFI tanzt den Sterbenden Schwan, stolpert, tanzt weiter: Jetzt ist der Schwan tot. Bleibt liegen, Mutter klatscht, holt Pralinen. VATER bückt sich, streichelt sie: Ist was passiert. Kleine Tänzerin. Mutter schaltet am TV. TV männliche Stimme: Züchten wir über eine Million Rosen, die wir verkaufen, außerdem keltern wir unseren eigenen Wein und unser eigenes Olivenöl, das wir überall in die Häuser mitnehmen. MUTTER kommt zurück: Hier. Nimm gleich 2. Aber Vorsicht. Die sind mit Füllung. ELFI Danke. Abbeißen Opa. Er beißt ab. VATER salutiert: Kopf hoch. Schultern zurück. Bauch rein. Brust raus. Lächeln. Damit jeder weiß wer du bist. Marschiert. Und links zwei drei. Augen geradeaus. Links links schwenk. Marsch. Links links. ELFI Parademarsch Parademarsch der Hauptmann hat ein Loch im Arsch. VATER Damals. Einundvierzig. Jeder Schuß ein Ruß. Hauptsache es knallt, Mädchen. MUTTER Der will vergessen, vergessen. Die Vergangenheit kommt immer wieder wie ein Kind geboren wird. ELFI Wie zum 1. Mai. Da warst du aber nicht auf dem Panzer. VATER Aber getroffen ELFI Versprochen ist versprochen. Pionierehrenwort. MUTTER Der Alte blamiert sich Elfi. VATER im Liegestütz: Los Elfi das wäre doch gelacht. Hundert. ELFI im Liegestütz: Ohne schummeln, Oma zählt. Auf Los gehts los. VATER Wie lange sollen wir denn noch warten. MUTTER Achtung, fertig. Zählt lustlos. Eins zwei drei vier fünf na. Aus. VATER bleibt liegen: Elfi mein Herz. Nichts für mein Alter. Aber fünf. Fünf Liegestütz. Mutter das noch in meinen Tagen. Eine Leistung. MUTTER Verloren. Elfi wieviel schaffst du. ELFI Fünfunddreißig MUTTER Elfi Schluß, ab zu Mutter. ELFI Nicht vergessen, den Solidaritätsbasar ... MUTTER ich setz mich nachher hin. VATER Mir ist schlecht. MUTTER Meine Güte. Schon wieder. Elfi Wasser, die Tropfen dort. Mach schon. Gibt ihm die Medizin. Mund auf. Los. Schlucken. Reißt ihm den Mund auf.

23.11.2019 dgtl fmnsm Labor #disconnect 29./30.11.2019 Granma. Posaunen aus Havanna Stefan Kaegi/Rimini Protokoll (CH/DE)


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VATER Das tut weh. MUTTER Soll es. VATER Elfi da siehst du was die Weiber mit den Männern machen. MUTTER Du bist krank. Du bist gesund. Du bist müde. VATER Jetzt reichts, alles vorm Kind. Macht sich locker. Was Sportsmann, das kommt in jeder Familie vor. ELFI Klar Opa. MUTTER So Kleine hau ab, sonst krachts. Deine Mutti wartet. Nacht. Schiebt ihr mehrere Pralinen in den Mund. ELFI Nacht. Opa wollen wir trainieren. Wir fangen von vorne an … MUTTER hau schon ab. Schön Gruß. Elfi ab. VATER Machst du ihr die Hausaufgaben. Das geht alles von meiner Betreuung ab. MUTTER Karin arbeitet. Wer kümmert sich denn um das Kind, seine Zukunft. Du. Natürlich ich. Jetzt wo Karin das schöne Geld verdient. VATER Markier heut abend nicht den starken Affen, kriegst was in die Fresse aber saftig. Ich spreche mit Kurt. MUTTER Das läßt du. VATER Wie das Kind aussieht. MUTTER Das sehe ich auch, heute wird was in der Schule verlangt, kann nicht jeder auf die Oberschule wie früher. Leistung entscheidet. TV Und da sagte mein Gärtner, er brauche ein großes Wasserreservoir für die Rosen und ich sagte: Bauen Sie einen Swimmingpool. Und so hat sich alles nacheinander ergeben. Mein kleines Maler­atelier, die Töpferwerkstatt meiner geliebten Simone, alles ist für sich gebaut. Da noch ein original Finnenhaus mit Räumen über der Sauna, wo ich oft am Tage zu arbeiten pflege … VATER Mich kotzt das an. Stellt ab. MUTTER Karin. Das ist überall schlimm. Das wird besser. VATER Ich kann nicht mehr. Bei jedem Schritt bricht man ein. MUTTER Schmerzen. VATER Scher dich raus. Wirft mit der Flasche. Hau ab. Tobt, zerstört die Einrichtung. Ich schlage alles kurz und klein. MUTTER Vati sei doch ruhig. VATER Laß mich in Ruhe mit eurer Scheiße eurer Partei eurem Sozialismus.

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MUTTER Was kann die Partei dafür wenn du Schmerzen hast. VATER Ich habe die Schnauze voll. So voll. Schmerzen. Ich werde verrückt. MUTTER Ich kann das nicht mehr hören. Wo ist das anders. Such dir den Staat. Die Funktionäre sind überall. Das ist der neue Mensch. VATER Jeden Tag dieselbe Scheiße. Gewerkschaft, Brigadeversammlung, Normenkonferenz, Abendschule, Parteigruppe. Elternaktiv, Schiedskommission. Die Augen tun mir weh. MUTTER Jeden Abend vor der Glotze. VATER Ich kann nicht mehr ficken. Mein Schwanz sieh ihn dir doch an. Los sieh hin hier. Das ist mein Schwanz. Öffnet die Hose. MUTTER Wer ein Gewissen hat, hat Schwierigkeiten. VATER Ich will nur noch schreien, schreien, laut schreien, damit ihrs hört. Aufwachen. Aber du grunzt weiter. Ja … MUTTER ich bin das Schwein auf dem du hockst. VATER Familie. Glückliches Leben auf der Titelseite. Mein Leben. Wessen Leben. Die Oben. Lieber krepieren als so weiter. Immer gegen die Mauer. MUTTER Welche Mauer. Die eigene. VATER nimmt Pokal: Zur Erinnerung an unsere Auszeichnung mit dem Titel Hervorragendes Kollektiv der Sozialistischen Arbeit. Brigadefahrt ins Elbsandsteingebirge. 1974. Wirft ihn nach ihr, sie weicht aus. MUTTER klatscht: Hervorragendes Kollektiv der Sozialistischen Ausbeutung. Das sind Wir. Ausbeutung macht stark. VATER Sonderschicht, Leistungsschicht, Solidaritätsschicht, was noch. MUTTER Karin sagt: Die Familie ist unser kleinster Produktionsbetrieb. VATER Karin. Das Funktionärsschwein. Einer hockt auf dem anderen. MUTTER Und drüber die rote Fahne. VATER Du armes Schwein. Modernes Wohnen. Geruchloser Müllschlucker. Kein Wasser. Prost Mahlzeit. Der Fahrstuhl kaputt, die Decke platzt. Im Sommer kannstes nicht aushalten, im Winter heizen die nicht. Unten zerkloppen alles die Kinder. MUTTER Deine kleine Elfi. VATER Meine Tochter deine Tochter. Der Feind steht vor der Tür. MUTTER Ja. Muß jeder aufpassen. Rotz dich aus. Unsere Karin weiß was sie will, das brauchst du ihr nicht zu sagen. Mit dem Kopf durch die Wand. VATER Durch die Mauer.

Mainzer Str. 5 · 80804 München Tel. +49 (0)89 36101947 info@theaterstueckverlag.de www.theaterstueckverlag.de

Charles Way

STERNENSTAUB (2 D, 2 H; 7+)

La Grenouille – UA: 30.11.2019 Theaterzentrum junges (Auftragswerk) Publikum, CH-Biel

MUTTER Bin fix und fertig, wenn ich vom Büro komm. Warum verstehst du mich nicht. VATER Weil ich die Vergangenheit bewältige. MUTTER Scheißpolitik. Alles wird Besser, Schöner, Teurer. Überall wird geduckt. VATER Und du erkennst jeden. MUTTER Schlag acht auf der Couch. VATER Woher weißt du die Uhr. Selbst eine Köchin muß den Staat regieren können. Ich kontrolliere alles. Faßt ihr unter den Rock. MUTTER Weißt was für Schwierigkeiten ich mit dem Unterleib hab. Erst zertrümmerst du die Wohnung, jetzt zerreißt du den Schlüpfer. VATER Mir fehlt das Sexuelle. MUTTER Du siehst den politischen Faktor nicht. VATER Willst du auch aus dem Fenster springen. MUTTER Damit dus am Balkon einkerben kannst. VATER Ich kann dich nicht aus dem fünfzehnten Stock auffangen. MUTTER Dann guck nicht hinterher. Du bist schwerer. Vor mir unten. VATER hat sich vorhin verwundet: Leck ab. MUTTER Dein Blut. Aber gern. leckt. VATER Ende der Vorstellung. Mach den Fernseher an. Räumt auf. MUTTER Du wirst dich für nichts entscheiden. VATER Dafür hat man gespart. MUTTER Die Glotze geht nicht. Er tritt dagegen. VATER Deine Glotze MUTTER Faß ihn nicht an, ich hacke dir die Hände ab. Schluß mit der Sozialistischen Arbeit.

Helena Waldmann

Der Eindringling – eine Autopsie 29. + 30.11.

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VATER Mutti hinter Gittern. MUTTER Eine mehr oder weniger. Da näh ich Westoberhemden und lecke die Polente. VATER Den Gummiknüppel. Ich mach das nicht mehr mit. Will zum TV. KESSEL BUNTES Geschenk zum 7. Parteitag. Unsere erschufteten Devisen aus dem Fenster schmeißen. Raus den Kasten. MUTTER Meine einzige Verbindung zur Welt. VATER lacht: Ich bin so verlassen ... MUTTER unsere Republik wächst und gedeiht. VATER Aber einsam bin ich. Laß den Apparat los. MUTTER Nie. Meiner. Der gehört mir. Mir allein. VATER Deine. Dein KESSEL BUNTES. Deine Westmark. MUTTER Laß los. Dann betonier mich gleich mit ein. Schlag mich tot. VATER Ich schlage dich tot. Na Mutter ... MUTTER endlich fällt der Satz. Darauf habe ich nur gewartet. Gibt ihm ein Stuhlbein. Schlag zu. Ich zähle bis drei. VATER Du kommandierst MUTTER Eins zwei drei ... VATER Feigling. Gibt ihr das Stuhlbein. Die Dame hat den Vortritt. Eins zwei … Sie schlägt zu, verfehlt ihn aber. MUTTER dir gehört hier überhaupt nichts, vergiß das nicht. VATER Alles kaputtmachen und mich umbringen. MUTTER lacht: Kurzen Prozeß. Du Mitläufer du. VATER Mit dir. Schluß. Packt sie und schlägt sie mit dem Kopf gegen TV. So jetzt hast du deine Mattscheibe, jetzt gehört sie dir. MUTTER Du kannst dich nicht reinwaschen. VATER Prost MUTTER Wenn du Nachtschicht hast aus jeder Pore leuchtet die Unschuld.

VATER Mama ich weiß gar nicht was über mich gekommen ist. MUTTER Du wirst nicht jünger. VATER Jetzt ist der Fernseher im Eimer. Zeig mal. Untersucht ihren Kopf Flenn nicht, noch nicht mal ne Prellung. Jod. Wimmere nicht, glaubst du das mit Karin. MUTTER Kein Wort. Gehirnerschütterung. VATER Kleine wozu bin ich in der Kampfgruppe. Verbindet sie. Na. MUTTER Immer vornweg. Au. VATER Schlappschwanz. Kannst dich auf mich verlassen, weiß was du wert bist. Auf die Zähne beißen. Aber zuschlagen tust du nicht mehr, sonst gehst du auf die Bretter. MUTTER Endgültig. VATER Du fängst wieder von vorne an. Einen Glauben hast du nicht verloren. MUTTER Wer glaubt dir. Es hat keinen Sinn weiter zu hoffen. So schlimm ist es auch wieder nicht. Wann können Frauen krank sein, da steht doch ­alles still. VATER Nein du bist unser Stehaufmännchen. Du die Couchgarnitur ist nicht mehr modern. Ich will da was anders hin haben. MUTTER Die Schrankwand hat auch was abgekriegt. VATER Kriegt Kleinelfi. Mahagoni. Neu. Vier Monate Nachtschicht. MUTTER Mache Sonntagsvertretung da kommt was rein. VATER Na doch noch aktiv unser Kleines. MUTTER Kein altes Eisen. Faß an. Beide räumen auf. Da wirds gemütlich. Das ist der Stillstand, ­jeden verdirbt das. VATER Na Invalide MUTTER Beweg dich Philosoph. VATER Siehst aber fesch aus General. MUTTER am TV: Ist der wirklich kaputt. Steck mal rein. Andersrum. Vorsicht. Such den Schraubenzieher. Wenn du alles rumschmeißt. VATER Mit der Nagelfeile geht das auch. MUTTER repariert: Das kann die Alte. Wickel das Häkelgarn auf. VATER Ich stinke MUTTER Unsinn VATER Muß acht durch sein. MUTTER Acht. Jetzt sehen die vier Wände gleich freundlicher aus. VATER Durchschwitzen. Einmal in der Woche Sport jeder Mann an seinem Ort. MUTTER Laß den armen Ulbricht, der guckt sich alles von unten an.

JUNGE MARIE

VATER Den kriegen wir wieder hin. Güteklasse 1. MUTTER Gymnastik tut gut. VATER Kann nicht ohne Fernseher leben, siehste nichts mehr von der Welt. MUTTER Gib mirs Bier rüber. VATER Prost. Ißt Praline. Wie häkelst du das. Gucken alle über die Mauer. MUTTER Glotze an. Als ob da eine Hoffnung wäre. VATER Da kann nichts dran sein. Soll ich. MUTTER Steck rein. lacht. Ich halte mir die Ohren zu. TV weibliche Stimme: Wichtige Durchsage unterbrochen und schalten zurück zur Originalübertragung unserer Veranstaltungsreihe EIN KESSEL BUNTES aus dem Friedrichstadtpalast in Berlin, der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. VATER Das ist ein Bild. MUTTER Wenn ich einstelle. Trink. Hoffnung. VATER Wie lange dauert das noch. MUTTER an seiner Hose: Na Mauseschwänzchen. Schnipp schnapp das merke dir. Kleiner Hemdenmatz. VATER Mutti Mutti Heesters in Berlin. TV Heesters: Gehe ich über den Alex und frage ­einen Herrn: Bitte entschuldigen Sie, wissen Sie wie spät es ist. Sie lachen, lachen Sie nicht verehrtes Publikum. Ach den kennen Sie schon. Ich auch. Stürmischer Beifall. Na und den mit dem Milchmann. Beifall. Den kennen Sie auch. Aber kennen Sie das. Herr Kapellmeister. Orchester, er singt. ­Heute geh ich ins Maxim mit Zissi und Jeannien, da bin ich sehr intim. VATER Laß mich nicht absaufen. TV Ein Lied aus meiner Heimat: Moje Mole. Beifall. Moje Mole. Mitsingen. Mitsingen. Singt vor. VATER Jetzt. Das Wasser schwappt richtig ins Zimmer. MUTTER Ein Liebestod VATER Wie 33. Die rote Fahne mit den schwarzen Balken. TV Vierstimmig VATER Es kommt. Die Nordsee besucht uns. MUTTER Na endlich. Für den Solidaritätsbasar. VATER Vietnam MUTTER Jede Kolonie ist mir recht. TV Von hier bis dort der erste Part, hier der zweite, drüben der dritte. Ganz hinten bei der älteren Dame. Beifall. Der vierte. Achtung C C. VATER Und da haben wir geballert was das Zeug hielt. Die Russen kippten nur so. Läßt sich umfallen, röchelt. Mein Kamerad.

Rebekka Kricheldorf Rosa und Blanca Lucien Haug Heroes of the Overground / Die Erben www.theatermarie.ch


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MUTTER Ja dein Kamerad im Handgelenk. Erst die Russen abknallen und jetzt in den Arsch kriechen. Solide Arbeit. Küßt ihn. VATER Das war Krieg. MUTTER lacht: Das war Krieg, jetzt ist Frieden. Was. VATER Ja 30 Jahre. TV Bitte C meine Herrschaften. Einsatz. Bitte nochmal. Einstimmig. Orchester und Chor, Mutter und Vater singen mit. Moje Mole. Alles versinkt langsam im Wasser. VATER singt: Ach bin ich glücklich, bißchen benommen wie spät, willst du noch das Eislaufen sehen. MUTTER Wenn du willst, weißt du, wir richten uns ganz neu ein. VATER Da kommt die Schrankwand hin, hier der Zeitungsständer. MUTTER Du das große schöne Bett, hoffentlich müssen wir nicht zu lange auf die Bestellung warten, schalt mal um oder leise … VATER schön, sich an alte Tage erinnern, damals … lange vermißt. MUTTER Ich bin einfach dankbar. VATER Man knüpft an Traditionen an. MUTTER Daß wir das erleben durften, trinkst du … VATER mach bitte keine Flecke. Nimmt die Flasche und trinkt. MUTTER Schon genug, ich bin einfach begeistert, komm mal, auf was du uns anschaffen möchtest …

einar schleef_berlin ein meer des friedens

VATER auch die neuen Stühle MUTTER Du denkst an mich, liebst du mich noch immer VATER Ewig MUTTER Nein sag das nicht Walter. VATER Doch Hilde es muß einfach heraus, wann sollte ich es dir sonst sagen. MUTTER Wirklich VATER Endlich weiß man wohin man gehört, endlich eine Heimat gefunden. MUTTER Was wir auch durchgemacht. VATER Wir sind nicht die einzigen, es hat sich gelohnt. MUTTER Ja die Mühe war nicht vergeblich, schalt mal an, was sagen die. VATER am TV: Vorbei MUTTER Dacht ichs doch, irgendwas unvorhergesehenes … VATER Wasserstände … MUTTER an Elbe und Ruhr … VATER ich bin keiner Schiffer. MUTTER singt: Ja aber einmal, horch wollte nicht Elfi kommen … VATER die schläft … MUTTER oder Karin VATER Niemand da MUTTER Wer soll jetzt noch kommen, jetzt ist das Fernsehen aus, heute ist Nachtschicht. MUTTER So ein Abend bricht rein wie der Weltuntergang, still und unvermeidlich. Wie überall so auch vor unserer Tür, weil wirs nicht mehr aushalten können.

Uraufführung Roland Schimmelpfennig

Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin 16. November 2019

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VATER Ich lasse mir meine kleine Insel nicht verärgern. Da bin ich König. MUTTER Wie lange noch. Und schwingst erbärmlich das Zepter. VATER Gehorchen mußt du. MUTTER Nichts erlaubst du mir, der Fernseher ist beschlagnahmt, die Zeitung nimmst du mir weg, auf dem Klo ja, du schneidest mich von allem ab, von der Welt, was da draußen vorgeht, man muß sich ja schließlich informieren. VATER Wems schlechter geht als uns. MUTTER Wos brennt und wieder ein Volk ansetzt. VATER Sich der Vernichtung preiszugeben. MUTTER Jetzt klopft es auch an unsere Tür. VATER Hörst dus MUTTER Was VATER Dein Unglück MUTTER Es ging immer an uns vorbei. VATER Aber einmal MUTTER Wir sind nicht gerüstet, keiner und die Nachrichten geben keinen Bescheid. VATER Das wird keine Regierung dir sagen. MUTTER Wenn das Wasser bis zum Hals steht, dann ist es zu spät. VATER Ich sag es dir. MUTTER Mein Sturmgepäck ist bereit, du bist nicht versichert. VATER Du stehst auf meinem Krankenschein. MUTTER Blind bist du immer gewesen. Deine Kinder unterscheidest du auch nicht. Wenns erst richtig schneit kommt plötzlich das Tauwetter. VATER Da machen sie wieder das Kittchen auf. MUTTER Und du mußt dich als Haifisch benehmen.

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VATER Prost. Du lachst nicht mehr, wenn dir so einer alles wegschnuddelt. MUTTER Du noch weiter zähneknirschend Solidarität miemen mußt. VATER Wozu jetzt dran denken. Das Staatsschiff wankt nicht. Sturmböen. Mildes Wetter. Der Dezember schneit. MUTTER Eine Heilige Nacht unter Wasser. VATER Es regnet nicht jedes Jahr. Als die Kinder noch … MUTTER brauchst nichts mehr zu sagen, deinen Sohn schreibst du ab, der ist ja … VATER im Parteiaktiv … du wolltest die Lohntüte voller. MUTTER Gib mir die Schuld … dem Großen geht es bestens. VATER Red dirs ein und friß seine Pralinenschachteln, meine nimmst du ja nicht, heimlich steckst du den Westen in die Ostschachtel, alles Austauschware. MUTTER Junge du bist blau, gehörst ins Bette. Da draußen ist jemand. VATER Merkes auch, jemand schleicht rum, horch mal, sei still, hallo ist da jemand. MUTTER Es hat doch uns keiner in Verdacht. VATER Daß die uns jetzt ausgerechnet beschnubbern. Hallo. Geh mal zur Tür. MUTTER Du Vater VATER Hallo zu wem möchten Sie denn. Ist jemand draußen. MUTTER Schließ schon auf. Vater Courage. VATER sieht nach: Keiner da, mal erst Licht­ machen.

MUTTER Sonst erschrickst du. Geht zu ihm. Na haben wir uns vertan, passiert alle Tage, das schlechte Gewissen schlägt an die Tür, das sagen die mir in der Abteilung auch alle. Einmal … VATER aber hier ändert sich nichts, absolut sicher, nach über 30 Jahren, ja früher … MUTTER als deine Fahne noch stand … VATER unterbrich bitte nicht, früher hat man ja gedacht, es kommt die Wende, aber heute. Das Schiff läuft nicht auf Grund. Ist da jemand auf der Treppe. MUTTER Der klingelt doch, Elfi darf nicht mehr so spät auf die Straße. VATER Unruhig heute, schlafe auch schlecht. MUTTER Aber das Fernsehen ist besser, scheinbar steht uns was bevor, aber wir wissen doch gar nichts, was mögen die wieder fragen. Ich weiß bestimmt nichts. Meinen Nachbarschreibtisch verpfeifen. MUTTER Das eigene Kind ist schon abgemeldet. Gut, daß Karin parteiaktiv ist. MUTTER Freust du dich. VATER Außerordentlich Das Wasser steigt. VATER Ich liebe mein Enkelkind. MUTTER Das weiß ich. VATER Im maliziösen Ton. Wollen wir nicht streiten, Sonntag ist gleich. MUTTER Geisterstunde VATER Wenn du nur besoffen bist … weißt du, ich fühle mich oft so einsam, gar nicht geliebt. MUTTER Wieder die alte Leier. VATER Unverstanden, was ich spreche versteht das einer, lieber sage ich nichts mehr, höre gerne zu, still bin ich geworden, im Betrieb, auf der Arbeit, keiner fragt mich, sie wissen ja alles bereits, deshalb will ich überhaupt nichts mehr wissen. MUTTER Hier kreischst du. VATER Vielleicht weil ich alt bin, jung, aber da ist es auch nicht besser gewesen, weil die Zeit jetzt wegläuft, weil nichts passiert, ginge es dreckig, wäre man wenigstens bewußt, man hat Hunger, aber so vollkommen im Stillstand. Die Maschine läuft ohne sich festzufressen. Bis ein Teil ausgewechselt wird, einfach ins Feuer geworfen, zu unterst liege ich dann irgendwo auf dem Schrottplatz, wenn du nach mir siehst, im schwarzen Mantel, den kleinen Pelzkragen gewendet, den neuen dunklen Hut, deine Tränensäcke, da liege ich dann, du klagst nicht Mutti. MUTTER Vorhin hast du gesungen.

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VATER Ich singe auch jetzt, hier ganz bei mir ­drinne. MUTTER Ich auch, morgen räume ich weg die Scherben. VATER Heute ist auch noch ein Tag, komm laß uns tanzen, irgendwo ist noch bißchen Musik, keine Notstandsberichte. Schaltet Radio ein. Hörst du überall Gequatsche Sturmflut, das ist doch jedes Jahr an der Nordsee, Holland in Not schon ein Sprichwort. MUTTER Laß das, komm, aber laß uns nicht stolpern. Sie tanzen zur Radiomusik, die plötzlich ab­ bricht. RADIO männliche Stimme: Ich hoffte, daß die Gegend mit Radar abgesucht würde, und daß sie, wenn sie ein Ziel auf dem Radarschirm hätten, am nächsten Morgen wiederkommen würden. Und wenn du sterben wirst. Weibliche Stimme: Aber das haben Sie doch wirklich nicht angenommen. MUTTER Schalt ab, man kommt überhaupt nicht mehr zur Besinnung, was denken die sich bloß, wer soll das verdauen, was überall passiert, lähmend ist das einfach, schrecklich was über dich reinbricht. VATER Wie der Fernsehabend in jede Wohnung. Was einen verschluckt und früh ausspeit, schon in der Bahn einen einholt und fragt: Wie ist die Sendung gewesen. Als ob zwischendurch nichts passiert in keiner Familie. Sie lähmen uns, mit allem was du über deinen Gegenüber weißt verliere ich mich nur selber. MUTTER Heute geht es dir gut, das freut mich, setz dich zu mir, nur ewig streiten, rutsch richtig hin. Er setzt sich auf ihren Schoß. Nicht Walter, Ablenkung brauchst du. Sollst du auch haben. Ich sehe das ein. So ein Vögelchen braucht Bewegung. Wenn da nur nicht die liebe kleine Katze kommt, schwapp ist es verschwunden. VATER Gleich werde ich böse. MUTTER Das sage ich ihm auch immer. VATER Eigentlich liebe ich dich wirklich. MUTTER Wenn du zudrischst … VATER dann ganz besonders. MUTTER Ich weiß es, aufschlitzen möchtest du mich, das wäre besser und anscheinend ganz zur Genüge wieder flicken, zusammenschieben … VATER und wieder in den Arsch treten. MUTTER Sei still, das ist so eine Stunde bevor alles anfängt draußen. Jetzt schaltet unsere Abteilung Sparlicht ein, eure doch auch oder seid ihr besser. Er schüttelt den Kopf. Ich mag den Betrieb

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nicht vergessen, ich arbeite gern, du Vati bist ganz meine Erziehung, früher wolltest du nicht so recht. Er nickt. Aber heute ist es bestens. VATER Setz dich mal auf meinen Schoß. MUTTER Da kannst du besser kniepen, au, das tut doch weh. VATER Krebs die braunen Flecken. MUTTER Wenn ich nur nicht zu müde wär, hörst du jemand ist draußen. Sie scheinen ihren Sohn zu erkennen. MUTTER Der Junge. VATER Manfred. MUTTER zum Vater: Was will er nur. VATER sieht sich um, zuckt die Schultern: Weiß ichs, vermutlich Hilfe. Streckt die Hand aus. Kalt ist es geworden. MUTTER friert: Das wird doch wärmer. VATER Das mußt du einsehen, Manfred du hast genug gelebt, wir haben den Urlaub verdient. Genug geschuftet. MUTTER Ja Vati wenns Wetter noch hält. VATER Darin wirst du doch Verständnis zeigen. Wo standest du deinen Mann. Bist abgehauen. Ja der Betrieb hat immer nach dir gefragt, deine Arbeitskraft eintreiben, was wir ausstehen mußten, ich und deine Mutter bis die Wellen beruhigt, nur Nachteile einstecken müssen. Was andere einem übriglassen, hast du dich das nicht einmal gefragt, was du uns antun konntest, jetzt kommst du wieder angekrochen, hier ist kein Platz, schon aus ideologischen Gründen, sicher wir werden nicht mehr überprüft, niemand zwingt uns mehr dir nicht die Hand zu reichen, aber ich tus trotzdem nicht. MUTTER Kind das verstehst du. Also schwimm weiter. Sieh das ein. VATER Deine Mutter weint, aber da ist nichts zu machen. MUTTER Sag wenigstens Auf Wiedersehen. VATER Hörst du der Fernseher gibt Notstands­ bericht. MUTTER In welcher Sprache. VATER Es gibt keine Grenze, nur offenes Meer, gurgele ruhig, wir sind keine Kinder, keine Verwandte, kein Staatseigentum, Wasser literweise reicht für Millionen Badewannen. Kein Schiff in Sicht. Kein Mensch geschwommen. Da schau mal. Karin erreicht mühsam die Eltern. MUTTER Von wo kommen Sie. Ich kenne keine Partei. Wo soll ich die suchen. VATER Hier ist kein Platz. Also bitte schwimmen Sie weiter.

einar schleef_berlin ein meer des friedens

MUTTER Not. Ich kann keine erkennen. Kalt. Ich trinke jetzt Kaffee. Karin läßt nicht los. VATER Ich rufe die Polizei, das ist Hausfriedensbruch. Ordnungsstörer. Karin schluckt viel Wasser. Es ist mir alles bekannt. Aber auch hier müssen die Gesetze eingehalten werden Genosse. MUTTER Also machen Sie schon. Tritt Karin auf die Hände, die Tochter läßt endlich los und schwimmt weiter. VATER Der Strom scheint auszufallen. MUTTER Der Transistor geht noch. VATER Das freut mich. MUTTER Zigarette. Halbiert und steckt sie ihm in den Mund, beide kuscheln sich aneinander, lange Pause. MUTTER Wir müssen wieder Kinder kriegen, die leben dann im Meer, kriegen Kiemen, Flossen und kriegen wieder Tiere, das ist der neue Weltanfang, von hier wird alles geboren. VATER Hier beginnt der Weltentag. MUTTER Stille. Horch das Rauschen ferne, an euch wird Deutschland die Welt genesen, das ist der Arbeiterchor der Stalinallee, wir sind lange geschlingert, endlich sind wir angekommen. VATER Vorsicht MUTTER Achtung VATER Nur ein Windstoß, keine Arbeiterlieder, nur graue See. Lange Pause, am Horizont treibt Elfi vorbei. MUTTER Elfi, Elfi VATER Laß doch das Kind, es ist selbständig geworden. VATER Braun ist der Schlamm wenn das Wasser zurück, wird lange dauern bis trocken. MUTTER Viele bleiben stecken. Opfer. VATER Sind alle Opfer. MUTTER Das muß sein. Alles wird reinge­ waschen. Und dann … VATER fängts von vorne an. Gibt keine Ruhe. Muß sich vieles ändern … MUTTER damits bleibt wie es ist. Grundlegend. Wird jeder Verständnis zeigen müssen. Die Vergangenheit unter Wasser ertränken. VATER Ich fühle mich reingewaschen. MUTTER Neu. Mit Freuden gehe ich unter. Das Wasser ist kalt. VATER Doch Lüge. Wann sagt je ein Kind seinen Eltern die Wahrheit. Nur Nase zuhalten, dann nimmts dich auf. Versuchs … MUTTER es ist eine Wonne …

Berlin – Lagos 2019 Antoinette Yetunde Oni, Dane Komjlen, Katrin Winkler

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VATER ja eine Leidenschaft. Das Ende wird genossen. Wir räumen freiwillig das Feld. MUTTER Wollen uns schwimmen sehen in der großen Gemeinde die heimwärts treibt, erfüllt von ihrer Aufgabe getragen. VATER Jeder tut seine Pflicht. Nur aus unseren ­Kadavern läßt sich das Neue formen, das neue Glied, die neue Geschichte. MUTTER Vorwärts … VATER Hand in Hand MUTTER Ein fröhliches Untergehen. Ein Liebestod so in eins im dreckigen Wasser. VATER Das führt den Schmutz doch verständlich, von unten treibts hoch. MUTTER Dann aber ist Ruhe, so leise Schlaf, der Schlaf gebärt eine neue Einheit. VATER Genug BEIDE Wir werden pünktlich erwartet.

© Einar Schleef © Alle Rechte bei und vorbehalten durch den Suhrkamp Verlag Berlin

08.11. bis 23.11.2019 kuratiert von Solvej Helweg Ovesen im Rahmen von SoS (Soft Solidarity)

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Magazin Apokalyptisches Savoir-vivre

Das Vielspartenfestival steirischer herbst präsentierte unter dem Motto

„Grand Hotel Abyss“ eher ortsspezifische und installative als szenische Arbeiten

Jeden Abend ­Uraufführung

Das Festival Grenzenlos Kultur am Staatstheater Mainz lotet aus, warum unser Begriff von „Normalität“ einer ­dringenden Erweiterung bedarf

Interventionistische Hologrammfamilie In „Stonewall Uckermark –

ein queerer Heimatfilm“ erteilen Tucké Royale und Johannes Maria Schmit bisherigen identitätspolitischen

Klarheit, Wahrheit, Gegenwart 100 Jahre Württembergische Landesbühne Esslingen – ein Abstecherbetrieb mit gesellschaftspolitischem Auftrag  Jenseits des Opernuniversums Vorstellungen eine Absage

Das Berliner Festival für aktuelles Musiktheater Bam! zeigt die performativen Potenziale experimentellen Musik­ theaters – auch indem es Konventionen unterläuft   Kunst lernen

Geschichten vom Herrn H. Vom Nō lernen heißt

Bücher Christoph Schlingensief, Sergej M. Tret’jakov


magazin

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Apokalyptisches Savoir-vivre Das Vielspartenfestival steirischer herbst präsentierte unter dem Motto „Grand Hotel Abyss“ eher ortsspezifische und installative als szenische Arbeiten Wir kennen ihn alle: den Schau-

(Jula Zangger, Werner Halbedl).

spieldramaturgen, der jeden zwei-

Ganz ähnlich verhält es sich

ten Tag Bilder seines Mittag­essens

mit „Manaraga – Tagebuch

auf Instagram teilt. Oder den

­eines Meisterkochs“, einer Ge-

Herausgeber der Kulturzeitung, ­

meinschaftsproduktion mit dem

der Jahr für Jahr eine Reportage

Schauspielhaus Graz. Vladimir

über sein selbst kreiertes Weih­

Sorokins Text bündelt zentrale

nachtsmenü veröffentlicht. Potente

dramaturgische Fäden des Fes-

­Distinktionsmechanismen sind heute

tivals, wenn er eine dystopi-

eben eher dem gepflegten Hedo-

sche Zukunftsvision entwirft, in

nismus, dem Savoir-vivre ver-

der ausgesuchte Bücher der

pflichtet als einem wie immer

Weltliteratur dazu benutzt wer-

­gearteten Bildungskanon: Der Som-

den, auf ihnen Kobe-Rind oder

melier hat den Musikkenner abge-

Langusten zu grillen. Gezeigt

löst. Und das nicht erst seit ges-

wird das von einem soliden

tern. Aber seit heute steht diese

Schauspielerduo (Mathias Lodd,

Entwicklung in scharfem Kontrast

Lukas Walcher) an einer großen

zur Klimawandel-Diskussion, die

leeren Tafel in den Prunkräu-

uns als Memento mori dieser Tage mit der Forderung nach Ent­ sagung konfrontiert. Auf eben dieses Spannungsfeld fokussiert die brillante russische Theoretikerin und Intendantin des Vielspartenfestivals

men des ehemaligen Stadt­ Traditionell gehäkelt und dargereicht oder formal spannend, aber uninspiriert – Vladimir Sorokins dystopisches Stück „Manaraga – Tagebuch eines Meisterkochs“ in der Regie von Blanka Rádóczy, eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Graz (links), und Ariel Efraim Ashbels Performance „no apocalypse not now“ (oben). Fotos Johanna Lamprecht / Mathias Völzke

palais Herberstein (Regie, Bühne: Blanka Rádóczy). Für sich genommen steht da jedoch ein sehr

traditionell

gehäkelter

Text, der ebenso traditionell dargereicht wird.

steirischer herbst, Ekaterina De-

Umgekehrt begegnen wir

got, mit ihrem diesjährigen Festi-

der Performance „no apocalypse

valthema „Grand Hotel Abyss“, das als Georg-

im Grazer Congress, einem historistischen

not now“ von Ariel Efraim Ashbel, die sich for-

Lukács-Referenz zugleich die Verschränkung

Bankhaus-Palast, der heute Konzert- und

mal spannend, in ihrer Bezugnahme auf das

von Ost und West postuliert. Feiern am Ab-

Ballsäle beherbergt. Wunderschön, wie hier

Thema aber lieblos und uninspiriert präsen-

grund! Dieses Bild zeigt auch, dass Degot die

das dekadente Tanzen am Abgrund sichtbar

tiert. Oder dem Grazer Theater im Bahnhof,

Steiermark verstanden hat und zu einer kriti-

wird, wenn die Eröffnungsgäste sektschlür-

das mit „MEN / SCH / EN / MAR / KT“ zu einem

schen Auseinandersetzung mit dem Ort „ihres“

fend das Gebotene ignorieren. Offen bleibt,

Live Action Role Playing nach dem Vorbild

Festivals einladen will. Hier, im Südosten

ob das Intention war oder veranstalterische

von „Spiel des Lebens“ lädt, ­ welches sich

Österreichs, wo jedes Dorf mindestens zwei

Unbedarftheit.

von der Vorlage vor allem durch die vorgege-

„Genusswanderwege“ aufbietet, hat der Hedo­

„Ein Ort, der zwar als letzter kollabie-

benen Lebensrahmenbedingungen unterschei­

nismus die Kultur längst auch als touristische

ren wird, jedoch unweigerlich kollabieren

det: Hier sind es jene von Unterprivilegierten.

Markenbotschaft abgelöst.

wird“, sollte das Haludovo Palace Hotel in

Zu erleben ist eine kluge Aneignung neuerer

Und so funktioniert das Programm ge-

Kroatien sein, das mit US-Geld mitten im real

performativer Praktiken. Aber nur ganz am

nau dort am besten, wo der Ort selbst eine

existierenden Sozialismus installiert wurde.

Rande von Degots Themenbogen zu verorten.

Geschichte erzählt. Allen voran bei der Eröff-

Bojan Djordjev inszenierte für den steirischen

Szenische Kunst, so lässt sich konsta-

nung, wo Degot ihre packende Ansprache im

herbst den gleichnamigen Text von Goran

tieren, war auch im zweiten steirischen herbst

eindrucksvollen Ambiente der Landhaushof-

Ferčec in einer Suite des Grazer Grand Hôtel

unter Degot eher Nebensache. Das wurde

Arkaden hält: einem Gruß des Renaissance-

Wiesler, das ganz dem Shabby Chic der Bobo-

nicht nur quantitativ sichtbar, sondern auch

Menschen als „Stein gewordene Demonstra­

Ära verpflichtet ist. Ein schöner Text für ge-

oder vor allem in ihrem Verhältnis zur Ge-

tion von Macht“, wie sie betont. Es folgt ein

nau diese Location, stimmig, aber unspekta-

samtdramaturgie. //

Reigen von Installationen und Interventionen

kulär umgesetzt von zwei Grazer Darstellern

Hermann Götz

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Jeden Abend Uraufführung Das Festival Grenzenlos Kultur am Staatstheater Mainz lotet aus, warum unser Begriff von „Normalität“ einer dringenden Erweiterung bedarf

Normalisierung des vermeintlich Unnormalen – darum geht es beim Theaterfestival Grenzenlos Kultur am Staatstheater Mainz mit Blick auf Menschen mit Behinderung, hier Rimini Protokolls „Chinchilla Arschloch, waswas“. Foto Robert Schittko

„Miau!“, „Heil, H…!“, „Nautische Nutte“ –

gungen immer wieder Raum ein. „Chinchilla

wer der von Rimini Protokoll (Helgard Haug)

Arschloch, waswas“, das Stück zu dessen Er-

arrangierten Performance-Inszenierung „Chin­

öffnung, dokumentiert leichtfüßig, worum es

chilla Arschloch, waswas“ beiwohnt, dürfte

dem innovativen Format geht: Normalisierung

sich sicherlich an konkrete Poesie erinnert

des vermeintlich Unnormalen, Integration je-

fühlen. Wild wirbeln Sätze und Wörter durch

ner, die allzu oft am Rande der Gesellschaft

den Raum. Allerdings nicht, weil dies die

stehen. „Es war schon mit dem ersten Festi-

Textfassung vorsähe, sondern weil ein Teil der

val, dem etliche in 24 Jahren folgten, unser

Schauspieler mit dem Tourettesyndrom lebt.

Ziel, uns selbst abzuschaffen“, sagt der

Tümay Kilincel) loten die vier Protagonisten

Insofern „ist jeder Abend eine Uraufführung“,

Künstlerische Leiter Andreas Meder. Man

verschiedene Strategien in ihrem jeweiligen

wie einer von ihnen verschmitzt sagt. Worum

­fasse sich hier als „politisch subversive Kraft

Ausdrucksvermögen, also gestisch oder mit-

geht es? Die Personen auf der Bühne, darun-

auf“ und wolle zeigen, dass trotz vieler Ver-

tels des gesprochenen Worts, aus. Man übt

ter neben anderen Christian Hempel und

besserungen „Barrierefreiheit in der Gesell-

vor der an die Herzblatt-Fernsehshow erin-

Benjamin Jürgens, erzählen von ihren Erfah-

schaft und auch im Theaterbetrieb zwar von

nernden Kulisse die richtigen Blicke zur

rungen im Umgang der Gesellschaft mit ihrer

vielen gewollt, aber eben noch nicht überall

Kontakt­ aufnahme, tauscht sich über das

Besonderheit. Sie berichten von Urlauben,

umgesetzt ist“.

passende Quantum Coolness aus. Wer hier

Friseurbesuchen, Nachbarschaftskriegen und

Und das Unterfangen gelingt mit Bra-

Frau oder Mann ist, sprechen kann oder

dem „Parlamentstourette“, das etwa die AfD

vour. Nicht zuletzt, weil der Anspruch der

nicht, spielt keine Rolle mehr. Es gibt keine

veranstalte. Dazwischen wird gesungen, mit-

Künstler über die bloße Verhandlung von

Grenzen, nicht einmal für das Verlieben auf

unter eine Pizza ins Schauspielhaus bestellt

Handicaps hinausgeht. Statt bei den Zu-

der ­Bühne.

oder gespielt, wer es länger ohne seinen Tick

schauern Mitleid einzufordern, gilt es viel-

Die Inszenierung verrät viel über die

aushält. Obgleich das Publikum bei alledem

mehr, sie durch neuartige ästhetische Ent-

großartige Bewusstseinsarbeit dieses Festi-

lachen darf, befindet man sich sowohl als Zu-

würfe zu überraschen. Man fasst sich – zu

vals. Man findet dort keine Behinderten, son-

schauer als auch als Akteur anfangs doch ein

Recht – als Forum der Avantgarde auf. An-

dern nur Individuen – im Publikum wie auch

wenig auf dünnem Eis – eine Redewendung,

schaulich wird die experimentelle Ausrich-

auf der Bühne. Ganz nach der Devise: Jeder

die übrigens das Bühnenbild aufgreift. Denn

tung auch in Wera Mahnes bunter Realisie-

von uns hat seine Schwächen, ohne dass wir

die Figuren bewegen sich auf nachgebauten

rung „Flirt“. Wie schon der Titel verrät, geht

dafür sogleich Schubladen finden müssen.

und verschiebbaren Eisschollen.

es um die Partnersuche. Dass dabei neben

Was uns hingegen alle eint, ist das Vorstel-

Was in diesem Bild zum Ausdruck

der Konversation auch nonverbale Signale ge-

lungsvermögen. Wenn in „Flirt“ etwa von an-

kommt, ist die Frage, wie man sich gegenüber

braucht werden, birgt durchaus Potenzial für

ziehenden Körperstellen bis zur Erotik des

Menschen mit Behinderung auf dem Parkett

die Gebärdensprache. Nach einem anfäng­

Essens erzählt wird, dann entstehen in uns

verhalten soll und wie diese sich wiederum in

lichen Konkurrenzkampf zwischen den bei-

allen die Bilder des Begehrens. Beim Wün-

der Öffentlichkeit fühlen. Bei dem am Staats-

den gehörlosen (Pia Katharina Jendreizik und

schen, Träumen und Hoffen gibt es eben kei-

theater Mainz ausgerichteten Theaterfestival

Pavel Rodionov) und den nichtgehörlosen

ne Unterschiede. //

Grenzenlos Kultur nehmen diese Überle­

Schauspielern (Kathrin-Marén Enders und

Björn Hayer


magazin

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Interventionistische Hologrammfamilie In „Stonewall Uckermark – ein queerer Heimatfilm“ erteilen Tucké Royale und Johannes Maria Schmit bisherigen identitätspolitischen Vorstellungen eine Absage Markus Hawemann ist zerrissen. Ohne das

als Gründungsmythos queerer emanzipatori-

Sie seien nicht per se Expertinnen und Exper-

queere Potenzial der nahe liegenden Groß-

scher Kämpfe gesehen und heute vor allem

ten für Genderfragen. Ebenso wenig wie

stadt jemals ausgetestet zu haben, lebt der

von Schwulen und Lesben als Christopher

Menschen mit Migrationshintergrund, die in

erwerbslose Endzwanziger ziemlich unaufge-

Street Day gefeiert werden, starteten sie im

Theaterproduktionen vorrangig Menschen mit

regt in der idyllischen Uckermark, im Platten-

Frühjahr 2019 einen Aufruf: Gesucht wurden

Migrationshintergrund darstellen sollen, oder

bau. Zusammen mit seiner Großmutter und

Menschen, die sich mit den Aufständen iden-

jüdische Künstlerinnen und Künstler, die im-

deren Partnerin bestreitet er seinen Alltag.

tifizieren können und gemeinsam mit einem

mer wieder zum Nahostkonflikt befragt wer-

Eines Tages verliebt sich Markus Hawemann,

Filmteam einen Tag lang in einer Autokolonne

den, anstatt über ihre Arbeit sprechen zu kön-

gespielt von Tucké Royale, in Duc, einen Weg-

quer durch die Uckermark fahren wollen.

nen. Tucké Royale selbst ist in Quedlinburg

gezogenen, der aus der Hauptstadt kurzzeitig

„Die Vielzahl der Bewerbungen war überwälti-

im Harz geboren und bekam 2018 ein Sti-

in die Uckermark zurückgekehrt ist. Gemein-

gend!“, erinnert sich Tucké Royale.

pendium im Denk- und Produktionsort Lib-

sam nach Berlin kann Markus mit ihm jedoch

Schließlich zogen sie mit knapp sieb-

ken, einem ehemaligen LPG-Plattenbau im

nicht gehen, die Sorge für seine Großmutter

zig Personen, in 16 Autos und einem Party-

uckermärkischen Böckenberg. Für ihn ist es

steht für ihn unverhandelbar an erster Stelle.

bus durch die unendlichen Straßen rund um

wichtig, mit Menschen zusammenzukommen,

In den Momenten seiner Einsamkeit

den Oberuckersee. Die Teilnehmenden der

die er in der Stadt nicht treffen würde, um

imaginiert sich der junge Mann Gleichgesinnte.

Kolonne wurden zu Statistinnen und Statisten

offen zu bleiben und sich nicht in der Berliner

Menschen, wie sie in Berliner Szene­ kneipen

des Films, zur Hologrammfamilie von Markus

Künstlerblase einzurichten.

leicht zu finden sind. Nahezu fabelhaft, eupho-

Hawemann. Gemeinsam umfuhren sie die

Im HAU – Hebbel am Ufer Berlin war

risch und ausgedehnt hedonistisch erscheinen

Gerswalder Dorfkirche, bevölkerten die örtli-

Ende Oktober das Making-of des Projekts zu

sie immer wieder in seinen Gedanken. Halluzi-

che Gaststätte Zum Rasselbock in Haßleben

erleben. Der Spielfilm „Stonewall Uckermark –

nationen einer offeneren und schillernden Welt.

und sprangen schließlich in einen Badesee.

ein queerer Heimatfilm“ wird Anfang 2020

Eine weit entfernte Community, zu der Markus

Tucké Royale und Johannes Maria

Premiere haben. Er ist eine nichtbürgerliche

Hawemann gern ge­hören würde. „Hologramm-

Schmit rufen mit ihrer Arbeit das Zeitalter der

Erzählung vom Leben auf dem Land, die den

familie“ nennt Hauptdarsteller und Autor Tucké

„Neuen Selbstverständlichkeit“ aus. Sie ver-

familiären Alltag in einer Region beschreibt,

Royale diese Erscheinungen. Wie schön wäre

missen die Vielstimmigkeit queerer Akteure

in der Queerness oder Anonymität schwer

es, wenn die Uckermark statt von unzähligen

in künstlerischen Vorgängen. Queere Menschen

möglich sind – und dabei auf erklärende Nar-

Seen und Alleen mit feierfreudigen, gender-

sollten auf der Bühne vertreten sein können,

rative verzichtet. Vor allem ist er nicht nur für

queeren Menschen bevölkert sein könnte!

ohne dass jedes Mal Themen wie Homopho-

die Berliner Community gemacht, sondern

Diese Idee hat das Künstlerduo Tucké

bie, Diskriminierungserfahrungen und die ei-

soll auch für junge Menschen in Brandenburg

Royale und Johannes Maria Schmit, die seit

gene sexuelle Identität im Zentrum stünden.

funktionieren. //

einigen Jahren zusammenarbeiten, fasziniert. Deshalb sind sie genau dort hingegangen, wo Queerness und Kunst vielleicht nicht primär vermutet werden, aber trotzdem existieren. Anlässlich des 50. Jahrestages der Aufstände von schwarzen Transsexuellen und Dragqueens gegen die ständige Polizeigewalt im New Yorker Szenelokal Stonewall Inn, die

Künstlerische Intervention und Filmdreh zugleich – „Stonewall Uckermark – ein queerer Heimatfilm“ des Künstlerduos Tucké Royale und Johannes Maria Schmit wird Anfang 2020 Premiere haben. Foto Philipp Rühr/Schuldenberg Films 2019

Paula Perschke

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Klarheit, Wahrheit, Gegenwart

100 Jahre Württembergische Landesbühne Esslingen – ein Abstecherbetrieb mit gesellschaftspolitischem Auftrag Mit Technosound aus dem Kopfhörer dröhnt

ist die Liebe in einer Welt der Macht und der

Stephan Kimmig, Christof Loy, Martin Kušej

sich Luise Miller zu. Die liebeskranke Tochter

Hierarchien, Judith Philipps Bühnengerüst

oder Jacqueline Kornmüller hat Schirmer die

des bürgerlichen Geigers in Friedrich Schillers

mit Rampe zeigt Standesgrenzen auf. Ein

Szene geprägt. Mit seiner Rückkehr ans Lan-

„Kabale und Liebe“ ist in Christine Gnanns In-

Staubsauger-Roboter, mit dem die Gegen-

destheater samt seinem kräftezehrenden Rei-

szenierung ein Kind der Generation X, die keine

spielerin Lady Milford die Leere ihres Lebens

sebetrieb setzte der heute 68-Jährige ein spek-

Perspektive findet. Mit der aktuellen Lesart

füllt, offenbart die Dekadenz der zerfallenden

takuläres Zeichen.

von Schillers Klassiker des Sturm und Drang

Welt. Jeiter und Imboden verkörpern Schillers

Die Jubiläumsspielzeit fordert den

schließt die Württembergische Landesbühne

verzweifeltes Paar zwar zu unterkühlt, klug

Theaterchef heraus. Da steht für ihn der ge-

Esslingen (WLB) zum 100-jährigen Bestehen

kitzelt die Inszenierung jedoch die politische

sellschaftspolitische

einen Kreis. 1919 begann ihre Geschichte als

Ebene heraus. Wenn Martin Theuer als Präsi-

„Wichtig ist uns, den Gründungsgeist des

Wandertheater, das damals Schwäbische Volks-

dent von Walter Luise zwingt, den Abschieds-

Theaters zu vermitteln. Auch heute verfins-

bühne hieß, mit eben diesem Drama in der

brief an Ferdinand zu schreiben, schwingt da

tern sich die Zeiten. Es geschehen unglaubli-

Kleinstadt Göppingen. Da spielte die Truppe im

jene strukturelle Gewalt mit, wie sie Frauen

che Dinge, von denen wir uns vor zehn Jahren

Apostelsaal des ersten Hotels am Platze.

heute in der #MeToo-Debatte anprangern.

niemals vorstellen konnten, dass sie je ge-

Auftrag

weit

oben.

Um den historischen Bogen zu schla-

Mit starken Bildern von Macht und Ohn-

schehen würden.“ Da denkt Schirmer an den

gen, hat die Esslinger Bühne nun die erste

macht spiegelt Gnann die Krise unserer Gesell-

Mob, der in Chemnitz Menschen durch die

Premiere ihrer Jubiläumsspielzeit in die

schaft. Zum Gründungsjahr 1919 beobachtet

Straßen hetzte. „Inzwischen nennt man das

Stadthalle der 25 Kilometer entfernten Nach-

Intendant Marcus Grube heute „erstaunlich

‚nacheilen‘, die Sprache beschönigt.“ Schir-

barstadt verlegt. Anders als die alte Reichs-

viele Parallelen“. Der 46-jährige Chefdrama-

mer hat von seinen jungen Dramaturginnen

stadt mit ihrem verträumten Fachwerk-Flair

turg und Regisseur leitet die WLB seit Septem-

den Begriff „Shifting Baselines“ gelernt: Die

hat Göppingen kein Theater. Statt Pathos in

ber dieses Jahres gemeinsam mit Theatergröße

Grenze dessen, was bisher tolerabel war und

der Sprache wummern heute Techno-Beats.

Friedrich Schirmer – als Doppelspitze. Der ehe-

was nicht, verschiebe sich langsam. „Da-

Mit Nathalie Imboden als Luise und Felix

malige Theaterchef des Staatsschauspiels

mals wie heute ist es unsere Aufgabe als

­Jeiter in der Rolle des Ferdinand, des auf-

Stuttgart und des Deutschen Schauspielhau-

Theater, Klarheit zu schaffen – und in der

müpfigen Sohns des Feudalherrn Walter, heu-

ses Hamburg ist 2014 an die Abstecherbühne

Gegenwart der Bühne bei der Wahrheit zu

te CEO eines Konzerns, erzählt Regisseurin

nach Esslingen zurückgekehrt, wo er 1985

bleiben.“

Gnann das Scheitern einer Liebe an gesell-

seine Laufbahn als Intendant begonnen hatte.

Die Geschichte des Theaters aus den

schaftlichen Schranken zeitgemäß. Erfroren

Als Entdecker einflussreicher Regisseure wie

Anfängen in der Volksbühnenbewegung bis


magazin

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zur Neugründung unter dem Hakenkreuz

on WLB-Freunde und ihres damaligen Vorsit-

sich mehr Unterstützung vom Land, etwa ei-

1933 hat der Esslinger Stadtarchivar Joachim

zenden Bernd Daferner war es zu verdanken,

nen Ausgleich für die jüngsten Tarifabschlüs-

Halbekann aufgearbeitet – dazu haben die

dass solche Pläne schnell vom Tisch waren.

se, die die Theater schultern müssen. Mit

Theatermacher die Festschrift zum zehn­

Obwohl die WLB 2018/19 mit mehr

dem Konzept, regionale Stoffe und Bühnen-

jährigen ­Bestehen aus dem Jahr 1929 neu

als 113 000 Besuchern in Esslingen und in

fassungen erfolgreicher Filme wie Helmut

a­ufgelegt. Da wird neben historischen Sze­nen­

den Gastspielorten auf Erfolgskurs liegt,

Dietls und Ulrich Limmers „Schtonk“ und

bildern der Abstecherbetrieb dokumentiert.

„Backbeat – Die Beatles in Hamburg“ nach

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt denLast­

dem Film von Iain Softley und Stephen Jef-

­wagen der Wanderbühne nach einer Reifen-

freys auf die Bühne zu bringen, erreichen

panne.

Schirmer und Grube Zuschauer aller Genera-

Fest nach Esslingen kam das Theater

tionen. Auch mit Erfolgsautor Robert See­

erst am 5. Juli 1926. Da schlossen die Stadt

thaler verbindet die Verfechter eines an den

und die Volksbühne einen Vertrag, der den Sitz

Schauspielern orientierten Erzähltheaters eine

in der umgebauten Zehntscheuer in der Stroh-

enge Zusammenarbeit. Hervorragend gebucht

straße garantierte. Marcus Grube erinnert an

ist das Stück über die frühen Jahre der Bea-

den besonderen Auftrag, den die Bühnen in

tles in den Abstecherorten, eine Koproduk­

der brüchigen Weimarer Republik hatten: „Da-

tion mit der Jungen WLB. Regisseur Marcel

mals haben die Theatermacher gesagt, das

Keller und die Spieler haben für die Musik-

Land liegt in Schutt und Asche – auf welche

theaterproduktion ein Jahr lang geprobt.

Werte wollen wir uns besinnen? Was begründet

Ganz wesentlich zum Erfolg trägt das

die Demokratie? Und was sind die Grundlagen,

Kinder- und Jugendtheater bei, das Marco

dass wir in einer Gesellschaft ein neues Leben

Süß seit 15 Jahren leitet. Mitte der 1970er

anfangen können? In diesem Moment spielte

Jahre gab der damalige Intendant Achim

das Theater eine wesentliche Rolle.“ Das Kon-

Thorwald den Impuls, eine eigene Kinder- und

zept, Theater in der Kleinstadt am Neckar zu

Jugendtheatersparte zu gründen. Damals ge-

machen und gleichzeitig den ländlichen Raum

hörten die Esslinger nicht nur in Baden-Würt-

auf Abstechern mit anspruchsvoller Kunst zu

temberg, sondern auch bundesweit zu den

versorgen, ging auf. Mit der Machtergreifung

Vorreitern. „Ich glaube, es ist kein Zufall, dass

der Nationalsozialisten änderte sich der An-

an einem Ort, an dem vor hundert Jahren die ­Landesbühne ihre Anfänge nahm, in den sieb-

spruch. „Die Neugründung der Württembergischen Landesbühne am 11. September 1933 war ein bewusster Akt der Nationalsozialisten, die demokratischen Wurzeln des Theaters in der Weimarer Republik zu kappen“, sagt Schirmer. Erst 1969 habe der damalige Intendant Joachim von Groeling sich der ursprünglichen Wurzeln wieder erinnert.

Statt Pathos in der Sprache wummern heute Techno-Beats – Mit „Kabale und Liebe“ startete die Württembergische Lan­desbühne Esslin­gen (oben) 1919 als Schwäbische Volksbühne, Christine Gnann inszenierte das Stück (links, hier mit Nathalie Imboden und Felix Jeiter) zum Jubiläum. Fotos Patrick Pfeiffer / Jutta Ortelt

ziger Jahren der Impuls kam, neue Bildungspolitik zu machen, indem man Theaterkunst für Kinder etabliert.“ Das betrachtet Süß als „gesellschaftliches Bedürfnis“. Mit dem Kinderbuchautor Paul Maar, Vater des Sams, baute Thorwald die Sparte auf. Im Oktober hat er die Uraufführung von Maars neuestem Kin-

Um die Existenz ringen musste die WLB

derbuch „Snuffi Hartenstein“ inszeniert. Die-

auch in jüngerer Vergangenheit. 1998 erwo-

se Arbeitsfreundschaft pflegt Süß weiter – zu-

gen die Verantwortlichen des Landes, mit Ess-

mindest bis ihm 2020 Regisseur und

lingen eine der drei Landesbühnen in Baden-

­haben die Kämpfe nicht nachgelassen. „Wir

Bühnenbildner Jan Müller als Leiter der Jun-

Württemberg zu schließen. Nicht zuletzt dem

sind ein armes Theater“, bringt es Friedrich

gen WLB nachfolgen wird. //

beispiellosen Protest der Zuschauerorganisati-

Schirmer auf den Punkt. Deshalb wünscht er

RABIH MROUÉ MIT DEM DANCE ON ENSEMBLE ELEPHANT & YOU SHOULD HAVE SEEN ME DANCING WALTZ

INSTITUTIONELLER RASSISMUS TEIL 3: JUSTIZ

JAN PLEWKA SINGT TON STEINE SCHERBEN & RIO REISER ( 2 ) WANN, WENN NICHT JETZT – NEUES PROGRAMM

DIGIFEM

QUEER-FEMINISTISCHE POSITIONEN ZUR ÜBERWINDUNG DES DIGITALEN STEINZEITALTERS

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Musiktheater wider die Business-Männlichkeits-Performance – „Woerkerpolis“ der niederländischen Gruppe Project Wildermann auf dem diesjährigen Bam!. Foto Marcus Lieberenz

komischer Wal aus dem Deklamieren verschiedenster Texte und einer verwickelten Geschichte in ergreifenden Gesang aus. Mit Novoflots konstruktivistischer Ästhetik erhärtete sich der Verdacht, dass die Operntradition des 19. Jahrhunderts, die noch heute Bühnenarchitektur und Spielpläne bestimmt, sich zum Musiktheater verhält wie die Newton’sche Physik zur Relativitäts- oder Quantenfeldtheorie von Einstein oder Hawking. Novoflot zeigt, wie sich mit Verdichtungen von Figuren und Gesangsweisen, mit zeitversetzten Videoprojektionen und Stimmen – ob elektronisch disloziert oder mit ganz „analoger“ Fernchortechnik – unerwartete räumliche und zeitliche Situationen herstellen lassen, die jenseits des gewohnten Opernbesuchs liegen. Ein äußerst schlüssiges Konzept war es, die Berliner Volksbühne zum Zentrum dieses Universums zu machen, aber auch an unerwarteten Orten Aufführungen in Szene zu setzen. Bam! hat sich dazu aufgemacht, der über­ raschenden Vielfalt von ästhetischen Entwürfen nachzugehen, die allesamt fragen, was Musik, Theater und Musiktheater sein könnten. Und so fanden einige der (musik-)theatralen Ästhe-

Jenseits des Opernuniversums

tiken der Volksbühne ihren Widerhall in den Aufführungen des Festivals. Etwa mit der unglaublich virtuosen Tanz-Klavier-Performance „Duo con Piano“. Die frühere Marthaler-Performerin A ­ nnalisa Derossi und ihr Partner Gianfranco Celestino kreierten aus den Interferenzen von Tanz, Instrument und Spiel ein Musikthea­

Das Berliner Festival für aktuelles Musiktheater Bam! zeigt die performativen Potenziale experimentellen Musiktheaters – auch indem es Konventionen unterläuft

ter, in dem sie zugleich die Zurückweisungen des Nicht-Dazugehörens oder, je nach Perspektive, der mehrschichtigen Zugehörigkeiten thematisierten, mit der das Musiktheater selbst auf institutionellen Ebenen zu kämpfen hat. Eine weitere Perspektive des Festivals war der Blick auf die internationale Szene,

Beim Versuch, das antike griechische Theater

universum entfaltete, um andere mögliche

bei dieser Ausgabe waren einige niederländi-

zu rekonstruieren, erfanden Claudio Monte-

Entwicklungslinien der Geschichte des Musik-

sche Gruppen eingeladen, die hier eigene

verdi und andere an der Schwelle zum

theaters sichtbar zu machen, wandten sich

­Akzente setzten. Dabei ergaben sich erstaun-

17. Jahrhundert die Gattung, die wir heute

Hauen & Stechen mit großer Spielfreude einem

liche Resonanzen: zum Beispiel zwischen der

als Oper kennen. Beim Festival für aktuelles

Haufen kultureller Versatzstücke der Opern-

witzigen Performance der niederländischen

Musiktheater mit dem klingenden und ener-

geschichte zu und versetzte sie in komische

Gruppe Project Wildemann und den Nonsense-

gievollen Namen Bam! integrierten gleich

wie rührende szenische Konstellationen: Da

Performances von Herbert Fritsch. Während

zwei Performances Stücke von Monteverdi.

brechen eine Sängerin im Robbenkostüm, ein

in „Woerkerpolis“ die starre Business-Männ-

Während die Gruppe Novoflot eine Art Parallel­

Meeresgott mit Sopranstimme und ein tragi­

lichkeits-Performance mit Rappen, Tanzen und


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Trommeln aus der Form gebracht wurde, bot „Man on the Wire“ der niederländischen Gruppe Club Gewalt mit feiner Ironie eine feministi-

GESCHICHTEN VOM HERRN H. Vom Nō lernen heißt Kunst lernen

sche Perspektive auf die Körperzurichtungen, die die populäre Kultur mit Musikvideos und Fitnessstudios propagiert. Jenseits von performativ postdrama-

Wie unterschiedlich doch die Erlebnisse im

zum Teil mit nicht weniger prachtvollen Mas-

tisch fundierten Ästhetiken wurde auch Musik-

Theater sein können. Am Tag zuvor saß ich

ken. Ihre Bewegungen sind reduziert, spar-

theater präsent, das sich in der Berliner Szene

noch in einer der inzwischen nicht unübli-

sam und doch ausdrucksvoll. Ihre Sprache

für experimentelle Musik entwickelt hat: Lange

chen

Erklär-und-Belehr-Perfor-

bewegt sich zwischen Rezitativ und Gesang.

schon ist hier aus dem Experimentieren mit

mances. Man wird bis ins Detail informiert:

Musik und Chor setzen eigene Impulse, sie

analogen wie elektronischen Mitteln, mit Licht,

welche Bücher Regisseur und Schauspieler

rahmen und erweitern das Spiel. Das Tanz-

mit außergewöhnlichen Materialien und Spiel-

konsultiert haben, welche Gedanken sie

spiel ist eine Ode an den Reiswein, die Ko-

weisen eine eigene Theatralität entstanden,

sich gemacht haben und vor al-

mödie zeigt den Fall eines Gottes

bei Bam! vertreten durch Burkhard Beins’

lem welche nicht, wie das ein-

vom Himmel und seine Heilung

und Michael Vorfelds leicht entrückte Per­

zuordnen

welche

durch einen Arzt auf Arbeits­

formance „Klirrfaktor“. Der Rote Salon der

Schlüsse man daraus zu ziehen

suche, und das Drama handelt

Volksbühne entwickelte sich dabei zu einem

hat. Der Informationsgehalt sol-

von der schweren Last der Liebe.

hypnotischen ­

Raum.

cher Abende liegt meist noch

Zwischen Realität und Phantasmen schwebte

unter dem eines Wikipedia-Arti-

„Schwere Last der Liebe“ wird

auch die intensive Performance „The Body

kels, und der künstlerische Ei-

hereingetragen. Wie ein über-

Memory“ des deutsch-chinesischen Kompo-

genwert

großes Geschenk steht es am

nisten Hang Su, in der aus eher introvertierter

überschaubar. Doch an diesem

Bühnenrand.

Perspektive mit feinem Flüstern, poetischen

Abend ist alles anders: Jede Be-

narrt einen Gärtner, der sich in

Texten und eindringlichen Bildern über männ-

wegung auf der Bühne ist streng choreogra-

sie verliebt hat. Sollte er die Last tragen

liches homosexuelles Begehren reflektiert

fiert, alles folgt einer präzisen Dramaturgie.

können, die nur leicht aussieht, es aber

wurde. Dies stand im Kontrast zu einer eigen-

Man versteht alles und zugleich nichts. Denn

nicht ist, würde sie ihm, dem Mann aus

willigen, exaltierten Verwendung der Stimme,

jegliches hat eine Bedeutung, aber nur in

dem niederen Volk, ihre Aufmerksamkeit

die der Performer in ihrer Körperlichkeit ent-

Bezug der einzelnen Elemente aufeinander.

schenken. Es gelingt nicht, der Gärtner

faltete, und die wiederum auf Techniken des

Das Ensemble der Umewaka Kennōkai Foun-

stirbt. Die Liebe ist unmöglich, „da mein

Authentic Movements aus dem Tanz deutete.

dation Tokio ist im Rahmen des Musikfests

Stand unbedeutend und schwach ist, ist es

Bam! gelang es nicht nur, verschiedene

in Berlin zu Gast. In der Philharmonie wer-

vergeblich“, sagt er, der an den unverrück-

Szenen zusammenzubringen und die Beson-

den drei Stücke des japanischen Nō-Theaters

baren sozialen Grenzen zerbrochen ist. Was

derheit des Musiktheaters in Berlin und darüber

gezeigt: ein kultisches Tanzspiel, eine

für ein Drama! Und was für eine Kunst!

hinaus sichtbar zu machen. Es zeigte auch

Kyōgen-Komödie und ein dramatisches Nō-

Denn das Beeindruckendste am Nō-Theater

das Potenzial, mittels neuer Konstellationen

Spiel. Das Nō-Theater ist über sechshundert

ist, dass es im höchsten Maße artifiziell ist.

der performativen Künste stereotype Vorstel-

Jahre alt und wird heute noch aufgeführt.

Bewegung, Sprache, Tanz, Musik, Kostüme,

David-Lynch-artigen

plumpen

ist

ist

und

ebenfalls

recht

Das

zentrale

Eine

Requisit

Hofdame

lungen und Rezeptionskonventionen zu un-

Zahlreiche Künstler wurden vom Nō-

Masken, Bühne, alles folgt selbstgegebe-

terlaufen. Um dies zu verwirklichen, eigneten

Theater beeinflusst. Unter ihnen auch Bertolt

nen, aber deswegen nicht weniger strengen

sich die weiteren Spielorte Ballhaus Ost,

Brecht, der sich für seine Lehrstücke inspi-

Gesetzen. Nichts am Nō-Theater ist natura-

Ackerstadtpalast oder Elisabethkirche beson-

rieren ließ, unter anderem für den „Der Jasa-

listisch, und doch bleibt die soziale Realität

ders gut. Der Austausch zwischen niederlän-

ger“ und die „Die Maßnahme“. Das Nō-

nicht ausgeschlossen. Zeami Motokiyo sag-

dischen und Berliner Gruppen machte zudem

Theater als eine der Quellen des epischen

te, dass es auf der Nō-Bühne nicht um das

deutlich, dass im Unterschied zu den festen

Theaters? Das wollte ich mit eigenen Augen

im Alltag Sichtbare geht. Im Gegenteil soll

Strukturen der großen Häuser die freien

überprüfen. Die Bühne folgt einem festgeleg-

dem eigentlich Unsichtbaren zu einem

Gruppen für das Musiktheater neue Arbeits-

ten Aufbau, der sich an den traditionellen

sichtbaren Ausdruck verholfen werden.

weisen entwickeln, die weniger an festen

Freiluftbühnen orientiert. Vom Spiegelzim-

So steht die „Schwere Last der Liebe“

Hierarchien als an wechselnden Verantwor­

mer, verborgen hinter einem fünffarbigen Vor-

als ein Requisit auf der Bühne und ist doch

tungsbereichen orientiert sind, und somit ein

hang, führt eine mit drei kleinen Kiefern de-

zugleich mehr, sichtbarer Ausdruck einer so-

anderes ästhetisches Potenzial freisetzen. Es

korierte Brücke zur Hauptbühne. Auf der

zialen wie psychischen Realität. Und wer

ist zu wünschen, dass in diesem Sinne das

Rückwand eine aufgemalte Kiefer, darüber

würde sich dabei nicht an Brechts Bemer-

Bam! auch zukünftig ein Ort sein kann, an

eine Überdachung für den hinteren Teil. Dort

kung über die AEG erinnert fühlen, dass blo-

dem sich unterschiedliche Szenen begegnen

sitzen die vier Instrumentalisten mit Trom-

ße Abbildung nicht das Wesen ist – Theater

und über ihre verschiedenen Erfahrungen und

meln und Flöte, daneben der Chor. Die Spie-

aber das Wesentliche zeigen soll? Vom Nō

Fähigkeiten in Hinsicht auf Musik und Theater

ler treten in prachtvollen Gewändern auf,

lernen heißt Kunst lernen. // Jakob Hayner

in Austausch kommen. //

Irene Lehmann

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Udo Kier und Christoph Schlingensief in „Kunst und Gemüse. A. Hipler“ an der Volksbühne 2005. Foto David Baltzer / bildbuehne.de

und Arno Waschk, teil. Den wissenschaft­lichen Beiträgen vorangestellt ist die finale Diskussion der Teilnehmer, in der sich zwei gegensätzliche Ansätze zum Teil witzig und mit vielen Fragezeichen gegenüberstehen: derjenige der Wissenschaftler, bemüht um Einordnung und Zuordnung, und derjenige der künstlerischen Mitarbeiter, die aus der Praxis heraus belegen und bekräftigen, dass sich Schlingensief jeder Kategorisierung entziehen wollte. In den folgenden Beiträgen von Kuhlbrodt, van der Horst, Schlaich und Waschk wird eine avantgardistische Programmatik Schlingensiefs wiederholt infrage gestellt. Sie beschreiben einen Künstler, der im Stundentakt seine Stoßrichtung änderte, der alles im Spiel halten wollte, mittels Zufall, Kombina­ torik, Überlagerung, bewusster Störung, der Avantgarde nur zitierte, als Gebrauchsmaterial benutzte, auch parodierte und ausgewie-

Avantgarde kann auch ein Ghetto sein

sen spontan agierte. Es sei ihm vielmehr um könne sie nur noch als Gespenst, unsichtbar,

die Provokation des Unvorhergesehenen ge-

im Untergrund herumspuken. Christoph Schlin-

gangen, die Herstellung von authentischen

gensief begann zu arbeiten, als die Avantgar-

Situa­tionen.

„Zeige deine Wunde …“ Diese Empfehlung

de demnach lange tot war. Er selbst starb

Dennoch ist die Frage nach der Avant-

von Joseph Beuys (ein allegorisches Heilungs-

2010 an einer Krebserkrankung, die Thema

garde nicht unbegründet. Wenn Jörg van der

versprechen für die Krankheit der Gesell-

vieler Werke werden sollte. Zwei Tote also, aber

Horst betont, Schlingensiefs Arbeit „wider-

schaft) könnte auch das Credo des Bandes

dieses Buch ist glücklicherweise kein Toten-

setzt sich jedem Epigonentum“, so stellt sich

„Christoph Schlingensief und die Avantgar-

gespräch. Es verhandelt diese kunsttheoreti-

angesichts dessen massiver und durch die

de“ der gleichnamigen Forschungsgruppe ge-

schen wie auch andere Widersprüche.

Jahrzehnte andauernder Bezugnahme auf die

wesen sein, deren Beiträge zu einer Tagung

Denn auch ein zweites Paradox wird

Avantgarden umgekehrt die Frage, ob Schlin-

an der Universität Bielefeld im Jahr 2017

durch die Herausgeber gleich zu Beginn des

gensief in einer (epigonalen?) Tradition stand.

nun gesammelt im Wilhelm Fink Verlag er-

Buches auf charmante Weise als Wunde of-

Dieser Frage wird in dem Band von wissen-

schienen sind.

fengelegt. Bei der Tagung der Arbeitsgruppe,

schaftlicher Seite nachgegangen. Joseph Beuys,

Denn da ist zunächst einmal das Para-

die sich mit Schlingensiefs vierzigjährigem

die Wiener Aktionisten wie Günter Brus, Yves

dox, dass Peter Bürger in seiner 1974 erschie-

Schaffen, seinen Filmen, Performances, Insze-

Klein, Jackson Pollock, Allan Kaprow, Her-

nenen, wirkmächtigen „Theorie der Avantgar-

nierungen, Aktionen und Installationen in ihren

mann Nitsch, Paul McCarthy, die Fluxus-Be-

de“ die künstlerischen Avantgarden schon für

Bezugnahmen auf avantgardistische Kunst-

wegung – ihre Aktionen tauchen vielfach in

gescheitert erklärt hatte, sowie der Fakt, dass

formen auseinandersetzte, nahmen sowohl

Schlingensiefs Arbeiten auf, oft als Formzitat

nach den historischen und Neo-Avantgarden

Wissenschaftler wie auch Mitarbeiter und

oder inkonsequentes Reenactment. Oder die

des 20. Jahrhunderts auch keine mehr in

Künstler Schlingensiefs, namentlich Dietrich

Avantgarderichtungen firmieren gleich als

Erscheinung getreten beziehungsweise als ­

Kuhlbrodt, Jörg van der Horst, Frieder Schlaich

Untertitel seiner Werke wie bei „Mea Culpa.

solche anerkannt worden sind – vielmehr die

Eine ReadyMadeOper“ (2009), „Eine Kirche

Frage im Raum steht, ob es heute überhaupt

der Angst vor dem Fremden in mir. Fluxus-

noch Avantgarden geben kann. Noch erstaunlicher aber ist, dass sich hier wissenschaftlich diesem Thema gewidmet wird, nachdem Paul Mann 1991 mit seiner Schrift „The TheoryDeath of the Avant-Garde“ gerade dem Theoriediskurs vorgeworfen hatte, die Avantgarde beerdigt zu haben. Nach ihrem „Theorie-Tod“

Christoph Schlingensief und die Avantgarde. Hg. von Lore Knapp, Sven Lindholm und Sarah Pogoda, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2019, VIII + 341 S., 89 EUR.

Oratorium“ (2008) oder „Zweites Surrealistisches Manifest von André Breton“ (1996). Der Frage nach dem Warum nähert sich in den 21 Beiträgen am ehesten der Romanist und Avantgardeforscher Wolfgang Asholt an, wenn er fragt, ob diese Re-Aktualisierungen auch als Rückversicherungen auf den Kunst-


bücher

/ TdZ  November 2019  /

charakter der Aktion oder als Autoritätsbe-

umfassende historische und aktuelle Sekun-

weise fungieren.

därliteratur bereitstellt, wird von den Heraus-

Aber die eigentliche Frage, ob Schlin-

gebern Tatjana Hofmann und Eduard Jan

gensief selbst Avantgarde war, bleibt auch für

­Ditschek gegen das Desinteresse angearbei-

die von Jasmin Degeling, Lore Knapp, Sven

Sergej M. Tret’jakov: Ich will ein Kind! Band I: Zwei Stückfassungen und ein Film-Libretto. Band II: Aufführungen und Analysen. Hg. von Eduard Jan Ditschek und Tatjana Hofmann, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2019, Band I: 296 S., 24,90 EUR, Band II: 359 S., 29,80 EUR.

Lindholm, Sarah Pogoda und Anna Teresa Scheer geleitete Arbeitsgruppe kaum zu beantworten. Eine Entgrenzung und Politisierung von Kunst: Ja. Die Überführung von Kunst in das Leben: Ja. Aber in Bezug auf das Künstlerische? Lore Knapp sieht anstelle einer künstlerischen Avantgarde eine For­ schungsavantgarde am Werk. Der Germanist Heinz-Peter Preußer konstatiert, dass es bei Schlingensief wahrscheinlich einen frühen biografischen Überschuss gegeben habe,

tet. Schwer zu überschauen ist die Fülle an Material. Ein fokussierter Blick und Konzentration, was die Dokumentation der verschiedenen Inszenierungen angeht, hätten der Publikation sicher gutgetan. In einer Zeit, die von Genderdiskursen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weiblicher Selbstbestimmung und Geburtenkontrolle insbesondere, von Diskussio­ nen über Wohnungsknappheit und über sexuelle Gewalt geprägt ist, sollte der Stoff allerdings mehr als willkommen sein. Tretjakows Stück, den „neuen Men-

Avantgardekünstler sein zu wollen, dass er

Meyerhold. Seine internationalen Arbeitsbe-

schen“ im Blick, dreht sich um Milda, eine

sich davon aber distanziert habe, weil es ja

ziehungen reichten bis zur deutschen Avant-

Proletarierin, die mit der Geburt eines Kindes

eine Zuschreibung gewesen wäre. Sein Ein-

garde: John Heartfield, Hanns Eisler und Ber-

ihren Dienst für den Sozialismus leisten will.

druck sei, dass beide Tendenzen in ihm ange-

tolt Brecht, dessen „Maßnahme“ Tretjakow,

Dafür benötigt sie einen Mann – auf seinen

legt waren. Oder mit Schlingensief: „Avant-

wie erst kürzlich bekannt wurde, ins Russische

Körper und seine Reproduktionseigenschaften

garde kann auch ein Ghetto sein.“ //

übertragen hat, waren mit ihm im künstleri-

reduziert. An einer Lebensgemeinschaft hat sie

schen Austausch. Als Tretjakow 1937 von ei-

kein Interesse. Das Kind gibt sie in eine staat-

nem

Erschießungskommando

liche Einrichtung, wo es im Sinne der kommen-

hingerichtet wurde, hatte die politische Füh-

den Gesellschaft herangezogen werden soll.

rung bereits dem künstlerischen Experiment

Dem Vater entsagt sie das Sorgerecht, wie sie

Wer war Sergej Tretjakow? „Brechts sowjeti-

den Kampf angesagt. Technokratie, Reglemen-

auch für sich selbst einen anderen, einen sinn-

scher Lehrmeister“, 1892 im heutigen Lett-

tierungswahn und Fantasielosigkeit waren tief

volleren Platz in der Welt sieht denn als Mutter.

land geboren, schloss sich jung den russi-

vorgedrungen in den Kulturbetrieb.

Anja Nioduschewski

Auch du, Arbeiterin!

Stalin’schen

Tretjakow wollte die Revolutionierung

schen Sozialrevolutionären an. Kunst und

Ist Tretjakows Biografie auch von un-

nicht nur von Kunst und Gesellschaft, son-

Revolution waren seine Lebensthemen, sie

glaublicher Produktivität gezeichnet, ist der

dern des Lebens selbst. Die Überlegungen

waren eins für ihn. Als umtriebiger Publizist

Blick auf sein Nachleben ernüchternd:

der 68er westlicher Spielart, das Konzept der

und herausragende Figur des Futurismus rus-

Schwer hatten es seine Schriften in der DDR,

bürgerlichen Kleinfamilie aufzugeben, wirken

sischer Prägung wurde er Zeuge der Oktober-

wenn sie auch ihren Weg zum Publikum fan-

reichlich halbherzig, wenn man liest, von wel-

revolution und Bolschewik. Als Theoretiker –

den; in der BRD hieß der Zensor Desinteres-

chen Gedanken fortschrittliche Kräfte vierzig

seine Arbeit galt vor allem den Möglichkeiten

se. Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer

Jahre zuvor in Russland getrieben waren –

einer neuen, revolutionären Kunst – und als

sieht es kaum besser aus; Tretjakow ist ein

und wie sich derartige Überlegungen in Kunst

Schriftsteller – sein Werk umfasst Dramen,

Phantom, kein vielgelesener Autor.

übersetzen ließen. Tretjakow bemerkte selbst

Prosa, Lyrik und Reportagen – wurde er be-

Mit einer zweibändigen Ausgabe „Ich

kühl: „Das Stück Ich will ein Kind! legt die

deutender Teil des sowjetischen Kulturlebens

will ein Kind!“, die erstmals gebündelt in

Liebe auf den Operationstisch und untersucht

der zwanziger und dreißiger Jahre. Hier wirkte

deutscher Übertragung die zwei Stückfas­

sie auf ihre sozial bedeutsamen Auswirkun-

er als gleichberechtigter Partner und Weg­

sungen des gleichnamigen Dramas und das

gen.“ Mutige Dramaturgen müssten nur zu-

begleiter von Majakowski, Eisenstein und

Filmlibretto aus den zwanziger Jahren sowie

greifen, das Material liegt vor. //

Erik Zielke

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aktuell

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Meldungen

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■ Nachdem Berlins Kultursenator Klaus

spiel- und Opernregisseurin Andrea Breth. In der

­Lederer den Intendanten des Theaters an der

Jurybegründung zur Auszeichnung heißt es,

Parkaue Kay Wuschek aus gesundheitlichen

sie bekomme den Nestroy-Preis als „Würdi-

■ Anna Mülter, derzeit Leiterin der Tanztage

Gründen von seinem Vertrag entbunden hat-

gung einer großen Theatermacherin, deren

Berlin, wird ab 2021 Künstlerische Leiterin

te, wird nun der geschäftsführende Direktor

Lebenswerk noch lange nicht vollendet ist“.

des Festivals Theaterformen. Die erste Aus­

des Hauses Florian Stiehler bis auf Weiteres

Autorin und Dramatikerin Sibylle Berg erhält

gabe des internationalen Theaterfestivals (mit

die kommissarische Leitung des Theaters

den A ­utorenpreis in der Kategorie Bestes

wechselnder Heimat in Hannover und Braun-

übernehmen.

Stück für ihr „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“. Die Verleihung aller vierzehn Katego­

schweig) unter der Leitung der Kuratorin und Dramaturgin findet im Sommer 2021 in Han-

■ Nach zehn Jahren als Generalintendant

rien wird am 24. November 2019 im Theater

nover statt. Sie löst mit ihrer neuen Position

des Theaters Münster beendet Ulrich Peters

an der Wien stattfinden.

Martine Dennewald ab, die das Festival seit

seinen Vertrag zum Ende der Spielzeit 2021/22. Peters, der das Haus seit 2012 lei-

■ Die drei Autoren Rafael Ossami Saidy (1. Platz),

tet, begründete seine Nichtverlängerung in

Carina Eberle (2.  Platz) und Hannah Zufall

■ Die Generalversammlung des Festivalver-

einer Pressemitteilung damit, dass er sich

(3.  Platz) wurden beim Eröffnungsfest des

eins Belluard Bollwerk International ent-

wieder mehr der Regie widmen wolle.

Prinz Regent Theaters Bochum für den Dra-

2015 leitet.

schied im September, Laurence Wagner von

matikwettbewerb Spiel.Frei.Gabe ausgezeich-

2020 bis einschließlich 2022 mit der Lei-

■ Ab Beginn des Jahres 2020 wird Ulrike

net. Der erste Preis ist mit 1000 Euro und

tung des ­ Belluard Festivals im schweizeri-

Seybold die Geschäftsführung des NRW Landes-

einer Inszenierung des Stückes am Prinz

schen Fribourg zu betrauen. Sie tritt ihr Amt

büros Freie Darstellende Künste übernehmen.

­Regent Theater dotiert. Der zweite und dritte

im Oktober 2019 an und folgt damit auf Anja

Sie tritt damit die Nachfolge des amtierenden

Platz erhalten ebenfalls eine Inszenierung.

Dirks, die die vergangenen fünf Ausgaben

Geschäftsführers Harald Redmer an, der die

leitete. Seit 2018 koordiniert Wagner das ­

Leitung 2013 übernahm.

Watch & Talk Residency Programm beim ­Zürcher Theater Spektakel.

■ Nach zwanzig Jahren Intendanz hat sich Brigitte Dethier gegen eine Vertragsverlän­ gerung entschieden und verlässt das Junge Ensemble Stuttgart (JES) im Sommer 2022. Jetse Batelaan. Foto Phile Deprez

Dem JES möchte sie durch eine neue Leitung frische Perspektiven ermöglichen.

■ Carola Lentz wird ab November 2020 die neue Präsidentin des Goethe-Instituts. Die ­Professorin für Ethnologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wurde vom PräRuth Heynen. Foto privat

sidium des Goethe-Instituts am 27. September einstimmig gewählt. Lentz übernimmt ab dem 19. November 2020 das Amt des derzeitigen Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann.

■ Jetse Batelaan erhält den Preis des Interna­ tionalen Theaterinstituts 2020. Diese Entscheidung wurde vom Vorstand des Internationalen

■ Der österreichische Autor und Dramatiker

Theaterinstituts (ITI) nach einer Umfrage un-

Peter Handke erhält den Literaturnobelpreis

ter den Mitgliedern des deutschen Zentrums

■ Die Dramaturgin Ruth Heynen soll nach Plä-

2019. Nachholend für 2018 wurde die Polin

getroffen. Der Preis des ITI wird seit 2016 an

nen des designierten Intendanten des Staat­s­

Olga Tokarczuk ausgezeichnet. Die Schwedi-

Künstler*innen „zur Würdigung und Unter-

theaters Cottbus Stephan Märki ab 2020/21

sche Akademie lobte Peter Handke „für ein

stützung ihrer begonnenen internationalen

neue Schauspieldirektorin am Haus werden.

einflussreiches Werk, das mit sprachlichem

Arbeit“ verliehen.

Heynen würde damit Jo Fabian folgen, dessen

Einfallsreichtum die Randbereiche und die

Vertrag als Schauspielchef 2020 ausläuft.

Besonderheit der menschlichen Erfahrung

■ Fritz Kater erhält den Ludwig-Mülheims-

­erforscht“ und Olga Tokarczuk für eine „erzäh­

Thea­terpreis 2019. Die mit 25 000 Euro dotierte

■ Bodo Busse, der Generalintendant des Saar-

lerische Vorstellungskraft, die mit enzyklopä-

Auszeichnung wird am 25. November in Köln

ländischen Staatstheaters, verlängert den Ver-

discher Leidenschaft das Überschreiten von

verliehen. „Mit Fritz Kater würdigt die Jury

trag von Schauspieldirektorin Bettina Bruinier

Grenzen als Lebensform“ repräsentiere.

einen der produktivsten Geschichtenerzähler der vergangenen Jahrzehnte“, so die Begrün-

bis 2021/2022. In seiner Begründung heißt es: „Sie hat Mut, auch politische Themen

■ Die Preisträger in den ersten zwei Katego­

dung der Jury. Der Preisträger und Autor Fritz

aufzugreifen und inszeniert emotional, ein-

rien des Nestroy-Theaterpreises stehen fest.

Kater ist die Schreibexistenz und das Alter

fühlsam und mit großer Intensität.“

Der Preis für das Lebenswerk geht an Schau-

Ego des Theatermachers Armin Petras.


aktuell

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■ Die Stücke „Schwarze Schwäne“ von Christina

treffens möglich. Aus allen Einsendungen

Kettering, „Girl in the Machine“ von Stef Smith

werden fünf Arbeiten ausgewählt und im

und „Endstation Leben“ von Charles Way sind in

Programm des Theatertreffens 2020 vorge­

die Endauswahl des Dramen­ wettbewerbs des

stellt. An einen der Künstler*innen dieser

internationalen Heilbronner Festivals „Science &

Auswahl wird ein Werkauftrag vergeben, der

Theatre“ gewählt worden, wo sie nun um Preis-

mit 10  000 Euro für die Realisierung einer

gelder und eine Uraufführung konkurrieren.

Arbeit am Schauspiel Dortmund dotiert ist. Außerdem gestartet ist der Open Call für das

TdZ on Tour n 03.11. Buchvorstellung backstage KLAUSSNER, St. Pauli Theater Hamburg n 09.11. Buchvorstellung Res publica Europa – Networking the performing arts in a future Europe, Schauspielhaus Leipzig / Rangfoyer

Theater der Zeit freut sich über die Auszeich-

Internatio­nale Forum, eine Förderung junger

nung mit dem Deutschen Verlagspreis. Der

Künstler*in­ nen bis 35 Jahre durch ein

Preis wurde am 18. Oktober auf der Frank-

18-­tägiges Stipendienprogramm. Bewerbun-

furter Buchmesse zum ersten Mal verliehen.

gen hierfür sind bis zum 8. Dezember möglich.

n 14.11. Buchpremiere Theatermusik – Analysen und Gespräche, Einar & Bert Theaterbuchhandlung Berlin

lage Gütesiegel und Prämien in Höhe von

■ Das Theater und Orchester Heidelberg lädt

n 18.11. Buchpremiere Volker Pfüller: Bilderlust, Deutsches Theater Berlin

jeweils 60 000 Euro. Sechzig weitere Ver­

ein, bis 1. Dezember Stücke für den deutsch-

lage wurden für ihre hervorragende Leistung

sprachigen Autor*innenwettbewerb des Heidel-

mit einem Gütesiegel und jeweils 15 000

berger Stückemarkts einzusenden. Das Gewin-

Euro ausgezeichnet.

nerstück des mit 10   000 Euro dotierten

Insgesamt erhielten drei herausragende Ver­

Preises wird beim Heidelberger Stückemarkt

■ Ab der Spielzeit 2019/20 startet am Thea-

2020 ausgezeichnet, seine Ur- oder Zweitauf-

ter Bielefeld das Bielefelder Studio. In ihm

führung durch das Theater Heidelberg ­eröffnet

haben drei junge Künstler*innen aus den Be-

das Festival im Folgejahr. Im Rahmen des

reichen Gesang, Tanz und Schauspiel jeweils

Wettbewerbs wird zudem der mit 2500 Euro

eine Spielzeit lang die Gelegenheit, ihre fach-

dotierte Publikumspreis vergeben.

spezifische Ausbildung zu vervollständigen

n 21.11. Buchvorstellung Theatermusik – Analysen und Gespräche: Gespräch nach der Vorstellung NIRVANAS LAST, Münchner Kammerspiele / Kammer 1 n 01.12. Buchvorstellung backstage KLAUSSNER, Schauspielhaus Düsseldorf Weitere Termine und Details unter www.theaterderzeit.de

ten Inszenierungen könne Hans Theonies zu

und zu erweitern. Der spartenübergreifende

■ Für das Augenblick mal! Festival 2021 können

Recht als „Theatervollblut“ bezeichnet wer-

Aspekt macht das Studio zu einer Neuheit

bis 14. Februar 2020 (und dann wieder vom

den.

gegenüber bereits etablierten Formaten.

15. Februar bis 15. August 2020) Inszenierungsvorschläge von professionellen Theatern

Erratum: In der Oktober-Ausgabe von Theater

■ Die Komödie am Kurfürstendamm im Schiller

aller Sparten in Deutschland gemacht werden,

der Zeit wurde der Intendant des Schauspiels

Theater sucht per Ausschreibung Konzepte

die sie für junges Publikum produziert haben.

Frankfurt, Anselm Weber, in der Kolumne von

für „junge, frische Komödien“ zu aktuell rele-

In den zwei aufeinanderfolgenden Zeiträumen

Kathrin Röggla fälschlicherweise als Inten-

vanten Themen. In Zusammenarbeit mit der

können jeweils eine Kinder- und eine Jugend-

dant des Schauspielhauses Bochum betitelt.

Heinz und Heide Dürr Stiftung wird dem Gewin-

theaterinszenierung vorgeschlagen werden.

Dies ist er bereits seit 2017 nicht mehr. Die

ner-Konzept ein Stipendium in Höhe von 5000

Verwechslung ist während des Redigats ent-

Euro zur Fertigstellung des Stücks verliehen.

■ Der ehemalige Intendant des Scharoun

standen. Die Redaktion bittet diesen Fehler

Dieses soll schließlich als Produktion in den

Theaters Hans Theonies verstarb am 16. Sep-

zu entschuldigen.

Spielplan der Komödie am Kurfürstendamm

tember in Wolfsburg im Alter von 86 Jahren.

aufgenommen werden. Bis zum 28. Januar

Das Scharoun Theater Wolfsburg erinnert sich

2020 können Arbeiten eingesendet werden.

an Theonies als aufgeschlossenen und zugänglichen Theatermann mit einem stets

■ Bis 17. November sind Bewerbungen für

­offenen Ohr für sein Publikum. Mit mehr als

den Stückemarkt des 57. Berliner Theater­

dreihundert eigenen auf die Bühne gebrach-

TdZ ONLINE EXTRA Täglich neue Meldungen finden Sie unter www.theaterderzeit.de

www

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aktuell

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Premieren Aachen Theater S. Rogge/V. Bocks/n. E. A. Poe: Edgar Allan Poes Unheimliche ­Geschichten (S. Rogge, 14.11.); R. Hüve/ n. R. Kipling: Das Dschungelbuch (J. Nordalm, 15.11.); L. Hübner/S. Nemitz: Furor (L. Hoepner, 22.11.) Aalen Theater der Stadt C. Fillers/S. Schnitzler: Zwei Tauben für Aschenputtel (B. Plöger, 24.11.) Altenburg Theater L. Hübner/S. Nemitz: Furor (A. Flache, 24.11.) Annaberg–Buchholz Eduard-von-Winter­ stein-Theater M. Ende: Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch (A. Ingenhaag, 17.11.) Baden–Baden Theater R. Gaul/n. B. Schröder: Der Fall Hau (R. Gaul, 08.11., UA); P. Löhle/n. G. v. Bassewitz: Peterchens Mondfahrt (P. Löhle, 24.11.) Bamberg E. T. A.-Hoffmann–Theater G. Kunz/n. H. C. Andersen: Die Schneekönigin (K. Draeger-Ostermeier, 16.11.); R. Al Khalisi/V. Weich/n. S. Strauß: Sieben Nächte (A. Ritter, 22.11.); S. Schug/n. O. Wilde: Bunbury – Erst sein ist alles (S. Schug, 29.11.) Basel Theater n. A. Frank: Im Hinterhaus (H. Müller, 08.11.); S. Berg/n. Aristophanes: In den Gärten der Lysistrata Teil II (M. Lolić, 16.11.) Bautzen Deutsch-Sorbisches Volkstheater D. Jacobs/M. Netenjakob: Extrawurst (L. Hillmann, 01.11.); C. Niewöhner: Das leere Haus (E. Undiszs, 22.11.); n. R. v. Volkmann: Pechvogel und Glückskind (B. Wirtz, 24.11.) Berlin Ballhaus Naunynstrasse R. Z. Caval­ canti/R. G. Schenck/A. D. Wiegers/ S. AlGassani/Y. Elorza/J. Papke/K. Flavienne: Queer & Quer (L. R. Cañénguez, 01.11., UA); N. Nedsreal: New Growth (N. Nedsreal, 08.11., UA); M. Korsinsky: Patterns (M. Korsinsky, 21.11., UA); TRVANIA: Porträtperformance: TRVANIA (TRVANIA, 29.11., UA) Ballhaus Ost F. MeyerChristian/C. Johnston/G. Pratt: Between Worlds (F. Meyer-Christian, 07.11.); B. Lenartz: Parzelle 62 (B. Lenartz, 09.11.); Hysterisches Globusgefühl: The Workshop (Hysterisches Globusgefühl, 22.11.); Das Helmi & Gäste: Giraffen und Schakale (Das Helmi & Gäste, 28.11.) Berliner En­ semble S. v. Batum: Pussy – Eine Ode an die Männlichkeit (S. v. Batum, 14.11., UA) Deutsches Theater n. B. Reimann: Franziska Linkerhand (D. Löffner, 02.11.); A. Hacke: Der kleine König Dezember (A. Bader, 03.11.); T. Šljivar: Regime der Liebe (N. Noori, 06.11.); n. A. Camus: Die Pest (A. Dömötör, 15.11.); n. Euripides/ n. Homer: Hekabe – Im Herzen der Finsternis (S. Kimmig, 22.11.); E. Jelinek: Wolken.Heim. (M. Laberenz, 29.11.) Maxim Gorki Theater S. B. Yishai: Oder: Du verdienst deinen Krieg (Eight Soldiers Moonsick) (S. M. Salzmann, 08.11.) RambaZamba Theater F. Wedekind: Lulu – Eine Monstretragödie (J. Höhne, 07.11.) Schaubühne am Lehniner Platz A. Vandalem: Die Anderen (A. Vandalem, 28.11., UA) Sophiensaele hannsjana: Die große M.I.N.T.-Show (29.11., UA) christians// schwenk, riebensahm, kompliz*innen: SWEAT (29.11., UA) Volksbühne n. A. Ginsberg: Howl – Ein Abend für Allen Ginsberg (D. Marton, 21.11., UA) Bielefeld Theater I. Calbérac: Jugendliebe (M. Heicks, 08.11., UA); L. F. Baum: Der

November 2019

Zauberer von Oz (C. Schlüter, 09.11.); S. L. Awe: TransitTage – Ein Anna-SeghersProjekt (S. L. Awe, 16.11., UA); J. Zeh: Neujahr (D. Yazdkhasti, 21.11., UA) Bonn Junges Theater A. Lindgren: Michel aus Lönneberga (B. Niemeyer, 02.11.) Kleines Theater Bad Godesberg D. Kehlmann: Draußen vor der Tür (S. Krause, 02.11.); B. Slade: Nächstes Jahr, gleiche Zeit (F. Oppermann, 30.11.) Bremen shakespeare company D. Hare: Die Wahl (I’m not running) (O. Stein, 22.11., DEA) Theater H. Ibsen: Schloss Rosmersholm (A. Petras, 08.11.); J. v. Düffel/n. K. Held: Die rote Zora und ihre Bande (S. Kara, 24.11., UA) Bremerhaven Stadttheater G. Grass: Die Blechtrommel (M. Zurmühle, 09.11.); V. Vorlíček/F. Pavlíček: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (M. Diaz, 21.11.) Bruchsal Badische Landesbühne J. v. Düffel/n. O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete (J. Bitterich, 01.11.); P. Barillet/J. Grédy: Das Schmuckstück (C. Ramm, 14.11.); B. Wilpert: nichts, was uns passiert (R. Messing, 16.11.); F. Plüschke: #Hungerkünstler (F. Plüschke, 30.11., UA) Chemnitz Theater B. Bell/Ensemble: Feindliche Übernahme (B. Bell, 08.11., UA); R. Hutchinson: Mondlicht und Mag­ nolien (K. Kurze, 22.11.); S. J. Fischer/ n. M. Ende: Die unendliche Geschichte (S. J. Fischer, 23.11.) Cottbus Staatstheater J. W. v. Goethe: Faust (J. Fabian, 30.11.)

Darmstadt Staatstheater G. Büchner: ­Leonce und Lena (J. Prechsl, 01.11.); O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz (J. Weiss, 17.11.); D. Laucke: Amy4Eva (U. Goerke, 24.11., UA) Dessau Anhaltisches Theater J. Schlachter/ n. H. C. Andersen: Die Schneekönigin (J. Weigand, 17.11.); Y. Reza: Kunst (W. Hagemann, 22.11.) Detmold Landestheater n. A. T. Jensen: Adams Äpfel (M. Paulovics, 08.11.); A. Strindberg/A. Gundlach: Fräulein Julie (A. Schilling, 14.11.); n. Gebrüder Grimm: Hans im Glück (S. Behrendt, 19.11.) Dinslaken Burghofbühne N. Bongard: Robin Hood oder Ein Dieb wird gesucht (N. Bongard, 08.11., UA) Döbeln Mittelsächsisches Theater S. Beckett: Warten auf Godot (E. Emig, 16.11.) Dortmund Theater A. Gruhn/n. W. Hauff: Zwerg Nase (A. Gruhn, 14.11., UA); S. Hawemann/D. Baumann/n. F. M. Dostojewski: Die Dämonen (S. Hawemann, 29.11.) Dresden Staatsschauspiel n. A. Seghers: Transit (D. Tavadze, 08.11.); C. Funke: Geisterritter (N. Sykosch, 10.11.); L. Hübner/S. Nemitz: Richtfest (T. Kühnel, 23.11.); G. Tabori: Mein Kampf (D. Löffner, 30.11.) Theater Junge Generation N. Dietz/Ensemble: What ever love means – Ein Forschungsprojekt zur Liebe und zum Lieben (N. Dietz, 08.11., UA); J. v. Kan/F. Loewe/n. A. M. Schmidt/n. R. Oehlke: Pluck (J. v. Kan, 23.11., DSE) Eggenfelden Theater an der Rott Cinderella (09.11.); J. v. Düffel/n. O. Preußler: Der

An der Landesbühnen Sachsen GmbH ist zur neuen Spielzeit 2019/2020, die Stelle eines

Schauspielers zu besetzen. Weitere Informationen entnehmen Sie bitte der Stellenbeschreibung auf unserer Homepage. Bitte richten Sie Ihre Bewerbung an: bewerbung@landesbuehnen-sachsen.de

Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete (M. Steinwender, 09.11.) Essen Schauspiel V. Ring/n. C. Funke: Hinter verzauberten Fenstern (A. Spaeter, 16.11.) Esslingen Württembergische Landesbühne M. Kruse: Urmel aus dem Eis (J. Lyons, 16.11.); F. Dürrenmatt: Frank der Fünfte (M. Bartl, 30.11.) Frankfurt am Main Schauspiel L. Spit: Und es schmilzt (M. A. Schäfer, 15.11., UA); J. P. Sartre: Geschlossene Gesellschaft (J. Wehner, 30.11.) Theaterhaus E. d. Koning: Ping (R. Vriens, 03.11., DEA) Freiberg Mittelsächsisches Theater F. K. Wächter/ n. Gebrüder Grimm: Die Bremer Stadtmusikanten (A. Beutel, 13.11.) Freiburg Theater P. Maar: In einem tiefen, dunklen Wald ... (M. Götz, 24.11.); F. Schmalz: Der Tempelherr (E. Weinreich, 29.11.) Göttingen Deutsches Theater Göttingen S. Beckett: Warten auf Godot (E. Sidler, 02.11.); M. Ende: Jim Knopf und die Wilde 13 (K. Ramser, 17.11.); M. Milisavljevic: Geteilt (M. Beichl, 30.11., UA) Junges Thea­ter Göttingen H. Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen (T. Sosinka, 02.11.); N. Dietrich/C. Vilmar: Fridays.future. (N. Dietrich/C. Vilmar, 20.11.); J. Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke (S. Wirnitzer, 29.11.) Graz Schauspielhaus F. Schmalz: Jedermann (stirbt) (D. Foerster, 14.11.); N. Tranter: The Hills are alive (N. Tranter/N. Habjan, 15.11., UA); C. Jeß: Bookpink (A. M. Wohlfahrt, 29.11., UA) Greifswald Theater Vorpommern D. Böh­ ling/­n. H. Lofting: Dr. Dolittle – Der Arzt, der mit den Tieren spricht (D. Böhling, 20.11., UA); A. Steinhöfel: Rico, Oskar und die Tieferschatten (F. Jens, 24.11.) Halberstadt Nordharzer Städtebundtheater O. Preußler: Das kleine Gespenst (M. Fischer-Hartmann, 19.11.) Halle Neues Theater S. Seidel: Vier Sterne (D. Rahnefeld, 14.11.); H. Heine: Denk ich an Deutschland (D. Pfluger, 23.11., UA); A. Asper: Akt ohne Worte (A. Asper, 27.11.) Thalia Theater S. Gößner: Wegklatschen – Applaus für Bonnie und Clyde (G. Lukas, 08.11., UA); Gebrüder Grimm: Der Wolf und die sieben Geißlein (S. Cholet, 29.11.) Hamburg Schauspielhaus n. J. Genet: Das Totenfest (M. Pross, 22.11.); C. Hein: Trutz (D. D. Pařízek, 29.11.) Thalia Theater N. Kermani: Die Nacht der von Neil Young Getöteten (S. Nübling, 16.11., UA) Hannover Schauspiel A. Ranisch: Nackt über Berlin (M. Rippert, 08.11.); A. Lind­ gren: Ronja Räubertochter (N. Mattenklotz, 10.11.); F. Aydemir: Ellbogen (A. Riemenschneider, 15.11.); M. d. Cervantes Saavedra: Don Quijote (J. Suske/H. Tuschy, 20.11.); F. Kruckemeyer: Die Wut, die uns vereint (W. Mahne, 23.11., DEA) Heilbronn Theater E. Placey: WiLD! (A. Kuß, 02.11.); U. Jäckle/n. V. Vorlíček/n. F. Pavlíček: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (T. Winter, 03.11.); A. Shaffer: Revanche (M. Everding, 16.11.); J. W. v. Goethe: Faust (M. Kreutzfeldt, 23.11.) Hildesheim TfN – Theater für Niedersach­ sen J. Leprince d. Beaumont: Die Schöne und das Biest (T. Ladwig, 22.11.); S. Vögel: Bella Donna (A. Hailer, 30.11.) Ingolstadt Stadttheater Ein Zwei-in-EinemTheaternachmittag (J. Landsberg, 03.11.); T. Arzt/N. Segal: Big Guns (M. Mikat, 15.11., DSE); O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz


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RETZHOFER DRAMAPREIS EInREIcHFRISTEnDE

9 Februar 2020

(T. Hofmann, 16.11.); L. Hübner/S. Nemitz: Furor (S. Dworaczek, 29.11.) Innsbruck Tiroler Landestheater W. Shakes­ peare: The Tempest (E. G. Valga, 02.11., UA); n. M. Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (T. Krauss, 16.11.); S. Berthiaume: Nyotaimori (S. Schmelcher, 24.11., ÖEA); G. Adami/G. Forzano: Il trittico (Das Triptychon) (C. Wagner, 30.11.) Jena Theaterhaus n. A. Verbeke/H. Baryga: Geht das schon wieder los – White Male Privilege (Wunderbaum, 21.11., DEA) Kaiserslautern Pfalztheater M. Kaun: Von dicken fetten Pfannkuchen (M. Kaun, 05.11.); C. Martin/n. W. Hauff: Zwerg Nase (J. Kracht, 10.11.); A. Miller: Tod eines Handlungsreisenden (T. Tonndorf, 23.11.); T. Arzt: Und morgen streiken die Wale (M. Kamp, 28.11., UA) Karlsruhe Badisches Staatstheater O. A./ Thoß n. W. Busch: Max und Moritz (O. A. Thoß, 10.11., UA); W. Lotz: In Ewigkeit Ameisen (C. Maschner, 13.11.); A. Habermehl/n. G. Büchner: Woyzeck (A. Habermehl, 28.11., UA); L. Hübner/S. Nemitz: Frauensache (A. Liedtke, 30.11., UA) Kassel Staatstheater W. Weermann: I am providence (W. Weermann, 08.11., UA); A. Miller: Tod eines Handlungsreisenden (M. Priebe, 16.11.) Kiel Theater M. Ende: Momo (K. Wunderlich, 08.11.); H. Wells: The Island (C. Busche, 09.11.); H. Ibsen: Rosmersholm (D. Karasek, 15.11.); n. L. F. Baum/A. Hartmann/J. Paulsen: Der Zauberer von Oz (F. Engel, 16.11.) Köln Schauspiel D. Kehlmann: Die Reise der Verlorenen (R. Sanchez, 07.11., DEA); E. O‘Neill: Eines langen Tages Reise in die Nacht (L. Perceval, 15.11.) Konstanz Theater B. Brecht: Die Tage der Commune (J. Schall, 08.11.); R. Kohn: Ngunza – Der Prophet (R. Alfa, 17.11., UA); C. Nix/n. Gebrüder Grimm: Die Bremer Stadtmusikanten (M. Bleiziffer, 24.11., UA); Herzrasen – Luft und Liebe im Schlagergetriebe (J. Nix, 30.11., UA) Krefeld Theater B. Winzen/n. D. Ungureit/n. H. C. Andersen: Des Kaisers neue Kleider (B. Winzen, 09.11.); U. Proschka: Let´s Stop Brexit! – Keep Calm and Drink Tea (U. Proschka, 27.11., UA); F. u. P. v. Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen (T. Goritzki, 29.11.); A. Dorfman: Der Tod und das Mädchen (R. Alzakout, 30.11.) Landshut Landestheater Niederbayern P. Shaffer: Amadeus (S. Tilch, 02.11.); A. Lindgren: Karlsson vom Dach (V. Wolff, 24.11.) Leipzig Cammerspiele schaefer||scher­ pinski: Fallsucht (schaefer||scherpinski, 03.11., UA) Schauspiel D. Kötter/S. Israel/E. Limberg: Gold & Coal (D. Kötter/S. Israel/E. Limberg, 22.11.); B. Brecht: Der gute Mensch von Sezuan (M. Sostmann, 23.11.); A. Pâzgu: Fluss, stromaufwärts (G. Kämmerer, 24.11., UA) Theater der Jungen Welt T. Fransz/n. A. Stifter: Bergkristall – Zwischen den Felsen (J. Zielinski, 16.11., UA); Janosch: Oh, wie schön ist Panama (M. Firlus, 22.11.) Linz Landestheater H. C. Andersen: Die Schneekönigin (N. Neitzke, 10.11.); J. Flügge: Ich bin nicht Siegfried (L. Müller, 16.11.) Theater Phönix F. Hirsch/n. F. Schiller: Schiller. Aufruhr und Empörung (G. Schmiedleitner, 28.11., UA) Lübeck Theater A. Woltz: Hundert Stunden Nacht (K. Ötting, 06.11., UA); T. Kushner: Engel in Amerika (M. Štorman, 08.11.); C. Funke: Tintenherz (A. Werner, 29.11.); E. Palmetshofer/n. G. Hauptmann: Vor Sonnenaufgang (M. Biel, 30.11.) Magdeburg Puppentheater L. Schubert/ n. O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz (L. Schubert, 23.11.)

neu! ... auch für TheaTerTexTe für junges Publikum DRAMA FORUM

Mainz Staatstheater J. C. Bach: Zanaida (M. Hopp, 07.11.); n. A. Lindgren: Ronja Räubertochter (A. Kislal, 13.11.); J. Vetten/Ensemble: Nach dem Olymp (J. Vetten, 28.11., UA) Mannheim Nationaltheater C. Tschirner/ n. B. Meinhardt: Brüder und Schwestern (H. Weber, 10.11., UA); U. Günther/I. Tetzner: Oldtimer – Als der Mauerfall, mein Ford Fiesta und ich 30 wurden (U. Günther, 16.11., UA); J. Raschke: Petty Einweg – Die fantastische Reise einer Flasche ans Ende der Welt (J. Kerbel, 26.11., UA); S. L. Kleff/L. Evers/n. C. Dickens: A Christmas Carol (S. L. Kleff, 30.11.) Marburg Hessisches Landestheater C. Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick (N. Pichler, 02.11.); A. Frank: Das Tagebuch der Anne Frank (T. Cymerman, 03.11.); H. C. Andersen: Die Schneekönigin (E. Lange, 10.11.); N. Haratischwili: Die Barbaren (T. Zuschneid, 16.11.) Memmingen Landestheater Schwaben J. Schnarre: Liebe!!! (J. Schnarre, 02.11., UA); C. Nöstlinger: Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse (I. Gündisch, 17.11.) Mülheim an der Ruhr Theater an der Ruhr W. Ali: Reine Formsache (M. Alhaggi, 09.11., UA) München Metropol Theater L. Vekemans: Schwester von (D. Maslov, 20.11.) Kam­ merspiele Shout Out Loud (K. Breece, 17.11.); n. F. Schiller: Die Räuberinnen (L. Böhm, 23.11.) Residenztheater R. Schimmelpfennig: Der Riss durch die Welt (T. Köhler, 08.11., UA); n. A. Lindgren: Ronja Räubertochter (D. Kranz, 16.11.); F. Wedekind: Lulu (B. Kraft, 22.11.) Münster Theater F. Heinrich: Frerk, du Zwerg! (S. L. Kleff, 06.11.); T. Dorst/W. Killmayer: Yolimba oder Die Grenzen der Magie (U. Peters, 26.11.) Wolfgang Borchert Theater D. Jacobs/M. Netenjakob: Extrawurst (M. Hess-Zanger, 28.11.) Neuss Rheinisches Landestheater E. Albee: Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (K. Neumann, 09.11.); A. Ayckbourn: Schöne Bescherungen (C. Stolz, 16.11.) Nürnberg Staatstheater H. Ibsen: Nora (A. Kriegenburg, 02.11.); n. R. Tokko: Das Automatenzeitalter (K. Joel, 21.11., UA); Alpha (M. Schmitt, 22.11., UA); P. Handke: Kaspar (J. P. Gloger, 30.11.) Oldenburg Staatstheater T. Freyer/n. Gebrüder Grimm: Der gestiefelte Kater (K. Tuschhoff, 10.11.); F. Kruckemeyer: Eine lacht, eine weint, eine bleibt (F. Stuhr, 16.11.); B. Brecht: Herr Puntila und sein Knecht Matti (M. V. Linke, 23.11.) Osnabrück Theater S. Berg: Und jetzt: Die Welt (K. Ehinger, 02.11.) Parchim Mecklenburgisches Staatstheater Gebrüder Grimm: Das tapfere Schneiderlein (T. Kleine-Möller, 03.11.); Adventsge-

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schichten 2019 – Jingle Bells, der schnellste Schlitten der Welt (R. Reiniger, 30.11.) Passau Landestheater Niederbayern P. Shaffer: Amadeus (S. Tilch, 16.11.) Pforzheim Theater Y. Reza: Bella Figura (H. Hametner, 02.11.); M. Delaporte/A. d. l. Patellière: Alles was sie wollen (S. Krumscheidt, 08.11.); n. M. Kruse: Urmel aus dem Eis (M. Löchner, 26.11.) Potsdam Hans Otto Theater C. Higgins: ­Harold und Maude (B. Jahnke, 08.11.); F. Schubert/C. Vivier: Lazarus – Lonely Child (F. Wake-Walker, 22.11.); A. Czesienski/ W. Buhss/n. Gebrüder Grimm: Der Frosch­ könig (K. Schmidt, 29.11.) Regensburg Theater A. Neilson/B. Christ: Sex oder Ex (K. Kusenberg, 09.11., DEA). Molière: Tartuffe (P. Wittenberg, 16.11.); J. v. Düffel/n. O. Preußler: Die kleine Hexe (M. Hackbarth, 24.11.) Rendsburg Schleswig-Holsteinisches Lan­ destheater und Sinfonieorchester O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz (L. v. Buren, 07.11.); D. Runyon/F. Loesser/J. Swerling/A. Burrows: Guys and Dolls (M. Hertel, 16.11.) Reutlingen Theater Die Tonne Die Tonnellis: Gegensätze stoßen sich an (K. Schultze, 01.11., UA); Y. Shamir: Urban Wolves (Y. Shamir, 07.11., UA) Rostock Volkstheater P. Dehler/n. Gebrüder Grimm: Brüderchen und Schwesterchen (P. Dehler, 16.11.) Rudolstadt Theater E. Robert–Espalieu: Das letzte Mal (N. Felden, 01.11.); M. Baltscheit/n. Gebrüder Grimm: Frau Holle (K. Stahl, 02.11.); S. I. Nørgaard: Geheimcodes (C. Hofer, 07.11.); F. Roger-Lacan: Die Tür nebenan (P. Bernhardt, 15.11.); S. Mensching/K. Laske: Hilfe, die Mauer fällt! (S. Mensching, 16.11., UA) Schwedt/Oder Uckermärkische Bühnen J. Kirsten: Die Schöne und das Biest / Piekna i Bestia (D. Heinz, 20.11., UA); H. v. Kleist: Der zerbrochne Krug (U. Koschel, 29.11.) Schwerin Mecklenburgisches Staatsthea­ ter Gebrüder Grimm: Das tapfere Schneiderlein (T. Kleine-Möller, 09.11.); K. Bunje: Dat Hörrohr (J. Schade, 09.11.); Das Land dazwischen: Looking for Freedom (13.11.); A. Wolkow: Neue Abenteuer in der Smaragdenstadt – Der schlaue Urfin und seine Holzsoldaten (T. Egloff, 28.11.); H. Schmidt/ Ensemble: Wildes Land – Der große Dreesch (H. Schmidt/Ensemble, 29.11.) St. Gallen Theater A. Horst/n. L. Carroll: ­Alice im Wunderland (A. Horst, 09.11., UA) Stendal Theater der Altmark J. Fritz: 4 Min 12 Sek (J. Gehle, 02.11.); O. Preußler: Die kleine Hexe (N. Bussenius, 10.11.) Stuttgart Junges Ensemble H. Paauwe: Als der Baum mit den roten Haaren weinte (H. Paauwe, 09.11., UA); n. V. Wyatt: Die Bade-

mattenrepublik (G. Pagan/F. Lilje, 29.11., UA) Schauspiel A. Stelling: Schäfchen im Trockenen (S. a. d. Heyde, 16.11.); A. Tschechow: Iwanow (R. Icke, 17.11.) Schauspielbühnen A. Husson: Wir sind keine Engel (R. Telfer, 22.11.); C. Fillers/S. Schnitzler/n. Gebrüder Grimm: Zwei Tauben für Aschenputtel (C. Baumann, 28.11.) Thea­ter tri–bühne T. Krischke/n. Ö. v. Horváth: Das Fräulein Pollinger (E. Koerber, 20.11.) Tübingen Landestheater L. Carroll: Alice im Wunderland (O. Zuschneid, 08.11.); P. Shaffer: Komödie im Dunkeln (J. Jochymski, 29.11.); Y. Ronen: Lost and Found (C. Roos, 30.11.) Zimmertheater P. Ripberger/ A. Dörre: Nee, ich bin bloß fett geworden… (P. Ripberger, 16.11., UA) Ulm Theater n. G. v. Bassewitz: Peterchens Mondfahrt (M. Borowski, 06.11.); P. Turrini: Josef und Maria (C. Van Kerckhoven, 22.11.); I. Lausund: Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner (M. Kraushaar, 23.11.) JUB – Junge Bühne A. d. Lastrade: Die große Wörterfabrik (M. S. Bednarsky, 10.11.) Wasserburg Theater C. Laufs/W. Jacoby: Pension Schöller (N. Mayr, 15.11.) Wien brut M. Sögner: Speaking Volumes (M. Sögner, 07.11., ÖEA); G. Müller/R. Patulova/S. S. Stritzel: Dark Revolutions (14.11., UA); Nesterval: Die dunkle Weihnacht im Hause Grimm (Herr Finnland, 17.11., UA); T. El Khoury: Gardens Speak (T. El Khoury, 28.11., ÖEA) Burgtheater H. v. Kleist: Die Hermannsschlacht (M. Kušej, 28.11.) TAG – Theater an der Gumpendor­ fer Straße G. Plass/n. Euripides: Medea – Ich, ich, ich, ich! (G. Plass, 30.11., UA) Wilhelmshaven Landesbühne Niedersach­ sen Nord J. v. Düffel/n. O. Preußler: Die kleine Hexe (A. Flache, 03.11.); A. Christie: Die Mausefalle (F. Ritter, 16.11.); H. v. Kleist: Amphitryon (S. Bunge, 23.11.) Würzburg Mainfranken Theater S. Hornbach: Schwalbenkönig (A. Schroeder, 22.11.); O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz (B. Martinek, 24.11.); G. Koren: 5 Kilo Zucker (M. Milling, 29.11.) Zittau Gerhart-Hauptmann-Theater C. Collodi: Pinocchio (S. Bestier, 16.11.); D. Mamet: Die Anarchistin (C. Müller, 30.11.) FESTIVAL Berlin Ballhaus Naunynstrasse Postcolonial Poly Perspectives (01.04.–31.12.) Hebbel am Ufer (HAU) No Limits – Disability & Performing Arts Festival (06.11.–16.11.) thea­ terdiscounter Monologfestival 2019 (14.11.– 24.11.) Maxim Gorki Theater 4. Berliner Herbstsalon (26.10.–17.11.) Dresden Staatsschauspiel Fast Forward – Europäisches Festival für junge Regie (14.11.17.11.) Frankfurt am Main Künstlerhaus Mouson­ turm Wagner Project – Die Meistersinger von Nürnberg (29.11.–08.12.) München Spielart (25.10.-09.11.) Theater Leo17 JULA Internationales Jugend-, Thea­ ter- und Musikfestival (13.11.–17.11.) Potsdam T–Werk UNIDRAM 26. Internationales Theaterfestival (29.10.-02.11.) Salzburg ARGEkultur Open Mind Festival (14.11.–23.11.)

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v. l. n. r. Harald Müller, Intendant Georg Heckel und Verwaltungsdirektor Stefan Dörr. Foto Theater der Zeit

v. l. n. r. Annette Kurz und Laura Cappelle. Foto Goethe-Institut Paris

Herausgeberin Julia Kiesler in Bern. Foto Theater der Zeit

„Immer ein Fest für Geist und

Das Buch „Szenische Ob­jekte / Objets

Die

Sinne“ lautet der Titel eines neu erschienenen Bandes, der das

scéni­ques“ der Büh­nenbildnerin Annette Kurz erschien 2017 im Thea­ter der Zeit

geht in eine neue Runde. „Praktiken des

100-jährige Jubiläum des Landestheaters Detmold feiert. Das als größtes Reisetheater Europas geltende Landestheater eröffnete

Verlag und dokumentiert ihre eindrucksvollen Arbeiten, wie die Rauminstallationen für Luk Percevals Schauspiel- und Operninszenierungen, die sie bekannt machten. Am 24. September war sie im

Sprechens im zeitgenössischen Theater“ entstand auf Basis eines Forschungsworkshops

seinen Spielbetrieb 1918 mit der Oper „Undine“. Ganz in der Tradition des Hauses zeigt das Buch, dass ambitio­ niertes Theater abseits der Großstädte stets möglich war und ist. Die gesamte Leitung des DreiSparten-Hauses feierte mit TdZ am 20. September in Detmold die Buchpremiere.

Goethe-Institut in Paris zu Gast und traf im Gespräch auf Theater- und Tanzjournalistin Laura Cappelle. Schwerpunkt waren Kurz’ großformatige Bühnen­ arbeiten, die sie »Ich glaube, dass meine Bühnenbilder eine Art Atmosphäre schaffen. Und als diejenige im Theater, die das Bild produziert, habe ich meist zwei Stunden, einen Raum und eine Portalöffnung, um einen Text sinnlich erfahrbar zu machen.«

« Je crois que mes décors déploient une sorte d’atmosphère. Au théâtre, c’est à moi de créer l’image scénique, et afin de rendre un texte sensible, on n’a souvent à sa disposition que deux heures, un espace et un cadre de scène. »

Annette Kurz gehört zu den bemerkenswer­ testen Bühnenbildnerinnen ihrer Generation. Ihre großformatigen Bühnenarbeiten, die sie selbst als szenische Objekte bezeichnet, entfalten ein Höchstmaß an materieller Dichte. Insbesondere ihre Rauminstallationen für Luk Percevals Schauspiel­ und Operninszenie­ rungen sind stilbildend und wurden vielfach ausgezeichnet.

Annette Kurz compte parmi les scénographes les plus intéressantes de sa génération. Ses travaux à grande échelle, qu’elle qualifie elle­même d’ objets scéniques, témoignent d’une densité matérielle hors du commun. Les installations spatiales qu’elle a créées, notamment pour les mises en scènes de théâtre et d’opéra de Luk Perceval, sont considérées comme des œuvres pionnières en matière de style et lui ont valu de nombreux prix.

selbst als szenische Objekte bezeichnet, und die Beziehung von bildender Kunst Annette Kurz

Das Buch dokumentiert erstmals die wichtigsten Bühnenarbeiten von Annette Kurz mit zahl­ reichen Abbildungen und Erläuterungen im Gespräch mit Ute Müller­Tischler und Anna Viebrock sowie Texten von Georges Banu, Till Briegleb, Bernd Grawert, Joachim Lux und Luk Perceval.

Cet ouvrage, qui documente pour la première fois les plus importants travaux scéniques d’Annette Kurz, comporte de nombreuses illustrations, un dialogue de la scénographe avec Ute Müller­Tischler et Anna Viebrock, ainsi que des textes de Georges Banu, Till Briegleb, Bernd Grawert, Joachim Lux et Luk Perceval.

und Szenografie. ISBN 978-3-95749-009-4

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ANNETTE KURZ SZENISCHE OBJEKTE OBJETS SCÉNIQUES

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SZENISCHE OBJEKTE OBJETS SCÉNIQUES ANNETTE KURZ

Recherche-Reihe

an

der Hoch­ schule der Künste Bern und wurde nun am 18. September ebenda vorgestellt. In den Beiträgen dieses von Julia Kiesler herausgegebenen Tagungsbandes reflektieren Theaterpraktiker, Sprechwissenschaftler sowie Pädagogen der Schauspielausbildung über künstlerische Strategien des Sprechens und des Einsatzes der Stimme im Theater der Gegenwart. 14.11.17 09:53

v. l. n. r. Luk Perceval, TdZ-Verlagsleiter Harald Müller und Patrycia Ziółkowska. Foto Theater der Zeit

Das diesjährige TdZ-Arbeitsbuch ist Ausnahmeregisseur Luk Perceval gewidmet. Es bilanziert Percevals Theater­ arbeit und gibt Einsicht in sein Verständnis eines Künstlertheaters für das 21. Jahrhundert. Luk Perceval hat nach zwanzig Jahren Arbeit im deutschen Theater ein großes Kapitel abgeschlossen und mit der Rückkehr nach Belgien zugleich ein neues eröffnet. Am 7. Oktober wurde das Arbeitsbuch in der Berliner Botschaft von Belgien in einem Gespräch zwischen Luk Perceval, TdZ-Verlagsleiter Harald Müller und Schauspielerin Patrycia Ziółkowska vorgestellt.

v. l. n. r. Harald Müller, David Bruder, Christoph Nix, Daniel Grünauer und Jürgen Leipold. Foto Theater Konstanz / Antonia Rosenthal

Die Wechselwirkungen und die immer wieder konfliktträchti­gen Beziehungen zwischen Stadtgesellschaft und Thea­ter waren stets Thematik am Kons­tanzer Theater, der ältesten dauerhaft bespielten Bühne des europäischen Kontinents. Am Ende der Intendanz von Christoph Nix gibt die Publikation „Theater_Stadt_­Politik – Von Konstanz in die Welt“ einen Einblick hinter die Kulissen und in die Historie des Theaters. Vorgestellt wurde das Buch am 11. Oktober im Theater Konstanz von Autor Jürgen Leipold, Intendant und Herausgeber Christoph Nix, ­Harald Müller und den Mitherausgebern David Bruder und Daniel Grünauer.


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Wolfgang Engler, Soziologe und Publizist, Berlin Jens Fischer, Journalist, Bremen Hermann Götz, Theaterkritiker, Graz Ralph Hammerthaler, Schriftsteller, Berlin Björn Hayer, Kritiker, Lemberg Thomas Irmer, freier Autor, Berlin Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn, Autor und Regisseur, Hamburg / La Paz Hartmut Krug, Theaterkritiker und Publizist, Berlin Martin Krumbholz, freier Autor und Theaterkritiker, Düsseldorf Irene Lehmann, Theaterwissenschaftlerin, Hamburg Sabine Leucht, Journalistin und Theaterkritikerin, München Elisabeth Maier, Journalistin, Esslingen Ute Müller-Tischler, Kunstwissenschaftlerin und Kuratorin, Berlin Paula Perschke, freie Autorin, Berlin Erik Zielke, Lektor, Berlin

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IMPRESSUM Theater der Zeit Die Zeitschrift für Theater und Politik 1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer und Harald Müller Redaktionsanschrift Winsstraße 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-0 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44

Thema Bereits für Oktober angekündigt und aus redaktionellen Gründen verschoben, widmen wir uns nun endlich im Dezember in einem Schwerpunkt dem Thema Digitalität und Theater. Seit die ­digitale Revolution alle öffentlichen und privaten Lebensbereiche durchdringt, stellt sich nicht nur die Frage der technischen Innova­ tion der Theatermittel und -infrastruktur, vielmehr zeitigen die Möglichkeiten von Virtual oder Augmented Reality, von interaktiver Vernetzung, Gaming-Dramaturgie, Robotik oder KI bereits jetzt neue Formate, Ästhetiken, Erzählstrukturen und Inhalte. Unser Schwerpunkt verschafft sich einen Überblick über aktuelle Produktionen sowie Protagonisten und geht der Frage nach, was Digitalisierung für die bis dato analoge, orts- und zeitgebundene Kunstform bedeutet.

Redaktion Dorte Lena Eilers +49 (0) 30.44 35 28 5-17, Harald Müller (V.i.S.d.P.) +49 (0) 30.44 35 28 5-20, Anja Nioduschewski +49 (0) 30.44 35 28 5-18 redaktion@theaterderzeit.de Dr. Gunnar Decker, Jakob Hayner Mitarbeit Annette Dörner, Eva Merkel (Korrektur), Marietta Weber (Hospitanz) Verlag: Theater der Zeit GmbH Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@theaterderzeit.de, Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@theaterderzeit.de Verlagsbeirat Dr. Friedrich Dieckmann, Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte, Prof. Heiner Goebbels, Kathrin Tiedemann Anzeigen +49 (0) 30.44 35 28 5-20, anzeigen@theaterderzeit.de Gestaltung Gudrun Hommers Bildbearbeitung Holger Herschel Abo / Vertrieb Yann Bachmann, Paula Perschke +49 (0) 30.44 35 28 5-12, abo-vertrieb@theaterderzeit.de Einzelpreis € 8,50 Jahresabonnement € 85,– (Print) / € 75,– (Digital) / 10 Ausgaben + 1 Arbeitsbuch Preis gültig innerhalb Deutschlands inkl. Versand. Für Lieferungen außerhalb Deutschlands wird zzgl. ein Versandkostenanteil von EUR 25,– berechnet. 20 % Reduzierung des Jahresabonnements für Studierende, Rentner, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises. Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen die Herausgeber. Druck: PieReg Druckcenter Berlin GmbH 74. Jahrgang. Heft Nr. 11, November 2019. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft: 04.10.2019

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Neustart Nach der siebenjährigen Intendanz von Martin Kušej erlebt das Münchner Residenztheater einen Neustart unter der Leitung von Andreas Beck. In einer Gegenüberstellung klassischer und moderner Stoffe verhandelt der ehemalige Intendant des Theaters Basel in seinem ersten Münchner Spielplan mensch­ liche Abgründe aus vielfältiger Perspektive. Eröffnet wurde mit der Uraufführung von Ewald Palmetshofers „Die Verlorenen“, inszeniert von Nora Schlocker. Beck will mit Blick auf die Stoffe neue Wege gehen. Welche, d ­ arüber berichtet Theater der Zeit in der nächsten Ausgabe. Die nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. Dezember 2019.

Nora Schlocker und Ewald Palmetshofer auf der Pressekonferenz zum Neustart des Residenztheaters. Foto Cordula Tremel

Bodo Blitz, Kritiker, Freiburg

Theater Dortmund, „4.48 Psychose“ von Sarah Kane. Foto Edi Szekely

Vorschau

AUTOREN November 2019

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Was macht das Theater, Emre Akal? Emre Akal, wofür braucht Deutschland ein

innen und unten entstehen kann. Auch

neues Staatstheater?

beim Publikum: Viele Theater versu-

Weil das Theater ein Ort sein sollte, der

chen unterschiedliche Communitys ei-

allen Mitgliedern der Stadtgesellschaft

ner Stadt­ gesellschaft über „niedrig-

gleichermaßen zugänglich ist und gleich-

schwellige Angebote“ ins Theater zu

zeitig Wert legt auf Diversifizierung und

bekommen, um sie nur wieder in das

faire Produktionsweisen. Wie genau

vorherrschende System zu pressen. Das

das funktionieren kann, erprobe ich ge-

heißt: Ich kaufe eine Karte und besu-

rade zusammen mit Antigone ­ Akgün

che eine Vorstellung. Unserer Meinung

und Azeret Koua.

nach müssten Theater wirklich öffentliche Orte sein, die räumlich jederzeit

Ist dieses Label nicht sehr gewichtig für

zugänglich sind und ihre Prozesse und

etwas, das wie das Ayşe X Staatstheater

Entscheidungen transparent machen.

keinen festen Ort hat und vorwiegend aus Mitgliedern der freien Szene besteht?

Wie sehen die ersten Schritte zur Umset-

Der Begriff „Staatstheater“ steht für

zung Ihrer Ideen konkret aus?

traditionsreiche, aber auch festgefahrene

Bei den Proben zu dem Stück, das ich

Machtstrukturen und zugleich für et-

für unsere Eröffnung inszeniere, achte

was, das viele als das Theater schlecht-

ich darauf, dass alle Beteiligten auf

hin begreifen. Deshalb benutzen wir

Augenhöhe miteinander kommunizie­

ihn. Aber erst durch die Kombination

ren. Dass die Proben öffentlich sind, ist

mit „Ayşe X“ gerät der wichtige Bruch

ebenfalls Teil des Konstrukts. Da kön-

ins Label. Es geht um die Frage, wem

nen auch Zuschauerinnen und Zu-

dieses Theater in Zukunft gehören soll,

schauer kommen und Feedback geben.

hinter dem übrigens auch Menschen stehen, die an größere Institutionen angebunden sind, sich aber ebenfalls strukturelle Fragen stellen und größere kreative Freiheiten wünschen – wie die designierte Intendantin des Schauspiels Dortmund Julia Wissert oder Sivan Ben Yishai, derzeit Hausautorin am Nationaltheater Mannheim. Wer genau ist Ayşe X? Der Name geht zurück auf Ayşe Çetin, die mit zwölf Jahren nach Deutschland kam, hier als Filmschauspielerin gearbei-

Der Begriff „Staatstheater“ stehe für das Theater schlechthin, gleichzeitig aber auch für festgefahrene Machtstrukturen. So formuliert es Autor und Regisseur Emre Akal. Grund genug für ihn und seine Mitstreiterinnen Antigone Akgün und Azeret Koua, ein neues zu gründen, mit gewichtigem Namen, aber mobilen Strukturen: das Staatstheater Ayşe X. Akals eigene Arbeiten waren bereits am Bakirköy Belediye Tiyatrosu in Istanbul, den Münchner Kammerspielen und am Maxim Gorki Theater Berlin zu sehen. Sein neuestes Stück „Nur ihr wisst, ob wir es geschafft haben werden!“ wird am 21. November das Staatstheater Ayşe X im Münchner Hoch X eröffnen. Foto Jean-Marc Turmes

Klingt „Konstrukt“ nicht sehr starr für eine neue Theateridee, die ja vor allem Impulse setzen will? Es ist natürlich nichts fest betoniert, sondern wird dauernd überprüft. Der Spielplan, den wir erstellen, ist nur die Ausgangsbasis, um daran weiter zu wachsen. Alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler geben Input. Wir sind gerade deutschlandweit mit Spielorten im Gespräch darüber, ob und wie sich das Ayşe X dort manifestieren könnte.

tet, aber aufgrund von für sie schwierigen

Der Startschuss fällt am 21. November im

Rollenzuschreibungen damit aufgehört

Münchner HochX, wo sich das neue Thea­ ter vier Tage lang in einer Matinee, Kurz-

hat, um sich zukünftig für Gleichberechtigung, Gender- und LGBTQ+-Themen zu enga-

letzten sechs Monaten viel geforscht und uns

vorträgen und Workshops vorstellt. Und Ihr n­ eues

gieren. Wir ehren damit eine reale Person, die

zum Beispiel mit Leuten vom Schauspiel

Stück wird uraufgeführt. Worum geht es darin?

es wert ist, ein Theater nach ihr zu benennen.

Frankfurt getroffen, die an den Mitbestim-

In „Nur ihr wisst, ob wir es geschafft haben

Ayşe steht für ganz viele marginalisierte Men-

mungsmodellen der 1970er Jahre beteiligt

werden!“ geht es um mögliche Gesellschaf-

schen in dieser Gesellschaft – nicht nur in der

waren, sind aber auch zu Menschen unter-

ten von morgen und unsere Verantwortung

PoC-Community –, ist extrem gut vernetzt und

schiedlichster Schichten und Herkünfte ge-

dafür. Ich habe gemeinsam mit den Schau-

hat sich nie in eine Ecke stellen lassen.

gangen und haben gefragt: Was wäre euer

spielerinnen und Schauspielern sowie dem

Theater?

Dramaturgen unterschiedlichste Gesellschafts­

Die Fragen nach Mitbestimmung und Diversifi-

Diversifikation bedeutet im Theater

systeme daraufhin untersucht, welche Aus-

kation liegen ja gerade in der Luft und werden

bislang oft nur das Implantieren von Men-

wirkungen sie auf die Körper haben, auf Aus-

von Berlin bis Zürich sehr unterschiedlich an-

schen mit anderen Hautfarben und fremd

sehen und Struktur der Städte oder die

gegangen.

klingenden Namen in eine bestehende Struk-

Zwischenmenschlichkeit. Es geht darin um

Wir beziehen uns dabei auf Vorbilder der Ver-

tur. Wir aber sind an der Diversifizierung der

die Zukunft, wie im Ayşe X auch. //

gangenheit und Gegenwart. Wir haben in den

Struktur selbst interessiert, sodass Kunst von

Die Fragen stellte Sabine Leucht.


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