Theater der Zeit – 11/2018

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Künstlerduell: Thomas Thieme und Falk Richter / Skadi Jennicke und Wolfgang Engler über Leipzig / Kolumne Josef Bierbichler / Neustart Mannheim / Kunstinsert: Die neue Ernst-Busch-Hochschule

EUR 8,50 / CHF 10 / www.theaterderzeit.de

November 2018 • Heft Nr. 11

Haus Rotes Wunder Die neue Potsdamer Intendantin Bettina Jahnke


Die Jubiläumsfestwoche 2. bis 11. November 2018 175 Jahre Thalia Theater – 175 Jahre Gegenwart thalia-theater.de/175jahre


editorial

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Extra Der Aboauflage liegt bei double– Das Magazin für Puppen-­, Figuren- und Objekttheater

elches Theater braucht eine Stadt wie Potsdam, die in Nachbarschaft zum übervollen und alles abdeckenden Theaterdschungel Berlin gelegen ist? Bettina Jahnke, die neue Intendantin des Hans Otto Theaters Potsdam, hat da reichlich Ideen. Sie selbst ist eine in den Osten Zurückgekehrte. Nach ihrer zehn­jährigen Intendanz am Rheinischen Landestheater Neuss stellt sich die gebürtige Wismarerin lustvoll den Herausforderungen eines neuen Hauses, von dem sie fordert, stets Haltung zu zeigen. Was sich hinter dem gleichnamigen Spielzeitmotto verbirgt und wie sich der Neustart mit seinen drei Eröffnungspremieren entfaltete, berichtet Gunnar Decker. Auch am Nationaltheater Mannheim fand jüngst ein spannender Personalwechsel statt: Von Ost nach West zog es den ehemaligen Intendanten des Kunstfests Weimar Christian Holtzhauer. Sein Theater soll „ein Versuchslabor für die Bundesrepublik“ werden. Die deutsch-deutsche Geschichte, aber auch zeitgenössische Stoffe und eine Vielzahl an Perspektiven sind dabei die Leitmotive zukünftiger Spielpläne. Zu Holtzhauers Einstand gab es die Uraufführung von Lukas Bärfuss’ „Der Elefantengeist“ – eine irrlichternde Abrechnung mit der Ära Helmut Kohl. Otto Paul Burkhardt war bei der Premiere dabei, Elisabeth Maier sprach mit Christian Holtzhauer über bewährte Traditionen und neue Ideen. Mit dem Namen Kohl nahtlos verbunden ist auch der Prozess der Wiedervereinigung, vor allem der fadenscheinige Begriff der „blühenden Landschaften“. In Leipzig trafen sich der Soziologe Wolfgang Engler und die Kulturbürgermeisterin von Leipzig, Skadi Jennicke, um über Nachwende­ erfahrungen und den steigenden Rechtsdruck in Sachsen zu diskutieren. „Vieles von dem“, sagt ­Jennicke, „was in Sachsen geschieht, weist über Sachsen hinaus, hängt damit zusammen, dass sich sehr viele Menschen offenbar über Jahre hinweg nicht hinreichend wahrgenommen gefühlt haben in ihrem Impuls, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.“ Kultur und Kunst könnten da die Dialog- und Wandlungsfähigkeit der Gesellschaft befördern und positive Erfahrungen mit Veränderung ermöglichen. Leipzig ist in dieser Hinsicht bereits Vorbild. Hier gedeiht eine herrlich motzige und rebellische freie Theaterlandschaft, in der sich zahlreiche Protagonisten einer Anpassung an verstaubte Theatertraditionen erwehren – so wie das Theater der Jungen Welt, das Paula Perschke besucht hat. Die großen, widersprüchlichen und bei Weitem nicht immer sympathischen Männer der Weltgeschichte stehen ebenfalls in unserem Stückabdruck im Mittelpunkt. Anlässlich des 70. Geburtstags von Thomas Thieme am 29. Oktober baten wir ursprünglich den Autor und Regisseur Falk Richter um ein Gespräch mit dem ehemaligen Star der Berliner Schaubühne. Herausgekommen ist ein ­furioser Schlagabtausch über Geschichte, Politik und Schauspielkunst, den wir unter dem Titel „Wahrscheinlich wollte ich Marlon Brando werden“ als Stück veröffentlichen. „Falk Richter: Machen wir mal eine Liste der interessanten lebenden Figuren, die für dich infrage kämen, zu spielen. Harvey Weinstein? – Thomas Thieme: Nein. Aber typmäßig das richtige Angebot. – Richter: Donald Trump? – Thieme: Nein. Vom Typ falsch. – Richter: Steve Bannon? – Thieme: Ja. Sehr interessant. Schlau und schmierig. Ganz mein Fall.“ Ebenfalls ein Jubilar ist in diesem Monat der Filmregisseur und Autor Herbert Achternbusch. Die Regisseurin Pınar Karabulut, die im vergangenen Jahr Achternbuschs Stück „Dogtown Munich“ zur Uraufführung brachte, gratuliert ihm zu seinem 80. Geburtstag am 23. November mit einer ­liebevollen Hommage. Auf neuen Wegen befindet sich derweil die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Nach vielen Jahren der Auseinandersetzung um einen dringend nötigen und sehnlich erwarteten Neubau kann nun endlich asbestfrei durchgeatmet werden. Am 26. Oktober öffnete die Schule ihre Pforten am neuen Standort in Berlin-Mitte. Wir haben vorab schon mal ein paar Eindrücke vom minimalis­ tischen Design des imposanten Gebäudes eingefangen, bevor die Studierenden aller Abteilungen das neue Gebäude stürmen und dem edlen Grau die letzten und doch entscheidenden Farbtupfer verleihen. // Die Redaktion

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Inhalt November 2018 thema: neustarts

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Gunnar Decker Utopien im Abendlicht Bettina Jahnke, die neue Intendantin des Hans Otto Theaters Potsdam, stellt sich lustvoll dem ambivalenten Erbe der Stadt

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Otto Paul Burkhardt In den Trümmern einer primitiven Kultur Neustart am Nationaltheater Mannheim – Intendant Christian Holtzhauer stellt mit Schiller und Bärfuss deutsche Mythen auf den Prüfstand

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Ein Versuchslabor für die Bundesrepublik Der Mannheimer Schauspielintendant Christian Holtzhauer im Gespräch mit Elisabeth Maier

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künstlerinsert

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Paula Perschke Fertig! Nach jahrelangen Auseinandersetzungen öffnet die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ nun endlich ihre Pforten am neuen Standort in Berlin-Mitte

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Die neuen Räume der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin-Mitte

kolumne

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Josef Bierbichler Ein Jegleiches hat seine Zeit

protagonisten

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Ihr seid die Stadt! Leipzigs Kulturdezernentin Skadi Jennicke über den Druck von rechts und die Chancen einer Kultur, die alle anspricht, im Gespräch mit Wolfgang Engler

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Paula Perschke Meckern und Motzen Das Theater der Jungen Welt in Leipzig bietet ein rebellisches Programm und hält auch sonst nicht viel von Anpassung

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Friedrich Dieckmann Die geschenkte Mauer Nachtrag zum Khrzhanovsky-Projekt

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Renate Klett Aber uff uns hört ja keener! Oder doch? Die Rixdorfer Perlen erörtern in ihrer Stammkneipe Zum Feuchten Eck in Berlin-Neukölln begnadet komisch und anarchisch den Lauf der Welt

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Pınar Karabulut Massenpanik Für einen, der im Hässlichen die Schönheit erkennt – Zum 80. Geburtstag von Herbert Achternbusch

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Johanna Lemke Energie und Unruhe Der Dresdner Schauspieler Moritz Kienemann bannt in seinem Ausdruck die Essenz einer Inszenierung

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Sabine Leucht Seltsame Menschen Die Münchner Schauspielerin Mathilde Bundschuh besetzt auf schlichte Weise das Zentrum jeder Bühne

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look out


inhalt

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auftritt

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Berlin „Kosa La Vita – Kriegsverbrechen“ von Flinn Works und Quartett Plus 1 in der Regie von Sophia Stepf (Tom Mustroph) Chur „Das Camp der Zukunft“ der Digitalbühne Zürich (Maximilian Pahl) Freiburg „Wir sind die Guten (Shoot / Get Treasure / Repeat)“ von Mark Ravenhill in der Regie von Bojana Lazić (Bodo Blitz) Halle „Nackt über Berlin“ (UA) nach dem Roman von Axel Ranisch in der Regie von Henriette Hörnigk (Jakob Hayner) Köln „Tyll“ (UA) nach dem Roman von Daniel Kehlmann in der Regie von Stefan Bachmann (Sascha Westphal) Leipzig „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe in der Regie von Enrico Lübbe (Jakob Hayner) Luzern „Kindertotenlieder“ von Gustav Mahler und Matthew Herbert in der Regie von Benedikt von Peter (Simone von Büren) Mülheim an der Ruhr „Othello“ von William Shakespeare in der Regie von Roberto Ciulli (Friederike Felbeck) Senftenberg „Der Sturm“ von William Shakespeare in der Regie von Frank Düwel, Manuel Soubeyrand und Jan Mixsa (Johanna Lemke) St. Gallen „Versetzung“ von Thomas Melle in der Regie von Jonas Knecht (Harald Müller)

anstelle eines stücks

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Wahrscheinlich wollte ich Marlon Brando werden Ein Gespräch zwischen Thomas Thieme und Falk Richter

magazin

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Ästhetik des Vagen Das Favoriten Festival 2018 in Dortmund bietet eine klare Absage an die Mechanismen des Marktes und setzt auf ein Theater der Verunsicherung Sedimente aus dem Sound der Stadt Das BAM! – Berliner Festival für aktuelles Musiktheater zeigt zum ersten Mal einen Überblick über die florierende freie Szene jenseits der großen Opernhäuser Geschichten vom Herrn H. NSU – und kein Ende Sein oder Hologrammsein Auf der diesjährigen Ars Electronica in Linz werden neue Tools für ein Theater der Zukunft vorgestellt Text und Raum Die Performance-Reihe „the dead are losing or how to ruin an exhibition“ entdeckt mit der Ruine der Franziskaner Klosterkirche in Berlin einen bislang wenig bespielten Ort Meditation mit Sensoren Das Projekt „Eadweard’s Ear“ von Penelope Wehrli in der Akademie der Künste Berlin ist ein akustisch-anatomisch-performatives Wahrnehmungsexperiment Knallbunte Operette Joachim A. Langs „Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm“ wirkt trotz Starbesetzung wie aufgeblasener Filmindustriekitsch Alte Strukturen und frischer Wind Der Showcase Belarus Open in Minsk zeigt, dass das Land zwischen Litauen und der Ukraine auch auf der Bühne einige Entdeckungen zu bieten hat Eine Stimme, durch die Literatur erklingt Zum Tod des Burgtheater-Schauspielers Ignaz Kirchner Zwischen den Zeilen In Gedenken an den Schriftsteller, Übersetzer und Dramatiker Werner Buhss Aus dem Bauch heraus Ein Nachruf auf den Puppenspieler Dieter Brunner Bücher Wolfgang Engler / Jana Hensel, Ronald Weber, Annett Gröschner / Christian Hippe

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Meldungen

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Premieren im November 2018

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TdZ on tour in Berlin

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Autoren, Impressum, Vorschau

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Daniel Kehlmann im Gespräch mit Erik Zielke

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aktuell

was macht das theater?

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Titelfoto: Bettina Jahnke auf dem Dach des Hans Otto Theaters Potsdam. Foto Ben Wolf

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Fertig! Nach jahrelangen Auseinandersetzungen öffnet die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ nun endlich ihre Pforten am neuen Standort in Berlin-Mitte von Paula Perschke

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o vor sechs Jahren noch bunte Zelte den einst leeren Baugrund in der Zinnowitzer Straße 11 im Herzen Berlins nahe der ehemaligen Mauergrenze zierten, steht heute das prachtvolle und strahlend helle Gebäude der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Wie frisch gegossen wirkt der eben fertiggestellte Neubau, um den es viele Jahre lang heftige Auseinandersetzungen zwischen der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, der Hochschulleitung (ehemals unter Wolfgang Engler) und nicht zuletzt den leidtragenden Studierenden gab. Einer der wesentlichen Konflikte im Baustellendrama: eine Überschreitung innerhalb der Kostenkalkulation von gerade mal sechs Prozent (1,85 Millionen Euro). Dabei hatte das Charlottenburger Architekturbüro Ortner und Ortner alles in Bewegung gesetzt, um die kostengünstigste Variante aller eingereichten Projektentwürfe zusammenzustellen. Torsten Schneider, Sprecher für Finanzen und Haushalt der SPDFraktion, lehnte die bereits zugesicherte K ­ ostenbewilligung darauf-

hin ab. Doch so schnell sollte die Hochschule sich nicht geschlagen geben. Nicht umsonst steht auf dem Stundenplan der Schauspielstudierenden ganz traditionell das Erlernen der Fechtkunst. Sie zogen in einen bunten, aber zornigen Kampf: So besetzten zahlreiche Studenten den Baugrund auf dem verwaisten Gelände der ehemaligen Opernwerkstätten und schlugen ihre ­ Zelte zu einem Protestcamp auf. Unterstützt wurden sie von Prominenten und ehemaligen Absolventen wie Jan Josef Liefers, Nina Hoss, Devid Striesow und Iris Berben. Es folgten Petitionen, Demonstrationen und TV-Auftritte. Die Aktionen verschafften ­ den Studierenden Gehör und, wie es sich für angehendes Bühnenpersonal gehört, auch eine ordentliche Portion mediale Aufmerksamkeit. „Holt uns nach Mitte!“, „Spart uns nicht weg!“, Bettlaken zu Transparenten, Eindrücke, die blieben. Der Aufschrei

„Alles zum Anfang – Anfang für alle“ – So lautet das Motto des historischen Neuanfangs der Ernst-Busch-Hochschule. Abbildung Finest Images / 0 & 0 Baukunst


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zeigte Wirkung: So wollte Talkmaster Günther Jauch in seiner Sendung in der ARD wissen, was den Protestierenden am Herzen lag. Als ein Ernst-Busch-Student seine Talkshow durch Zwischenrufe störte und vom Sicherheitspersonal des Studios verwiesen wurde, holte er diesen zurück und bat die anwesenden Gäste um Aufklärung. Später lud Thomas Gottschalk neunzig der Wütenden in seine Sendung „Gottschalk Live“ ein, um sie selbst zu Wort kommen zu lassen. 2012 revidierte der Hauptausschuss des Berliner Senats seinen Beschluss, die Pläne eines zwingend notwendigen Neubaus einer der renommiertesten Theaterschulen Deutschlands auf Eis zu legen. 2014 konnten die Bauarbeiten schließlich beginnen. Endlich aufatmen! Und nachdem die Schule noch die über­ raschende Zusage bekam, dass der Bund das Bauvorhaben mit 850 000 Euro Zuschuss unterstützen wolle, war sogar noch eine Mensa drin. Wunderbare Aussichten, nicht nur für die Studierenden, sondern auch für die künftigen Theaterbesucher der neuen Studiobühnen, dem Herzen der Ernst-Busch-Artischocke. Doch womöglich wurde zu früh auf Holz geklopft. Das Unternehmen, welches 2015 mit den Rohbauarbeiten beauftragt wurde (die Arbeiten waren ohnehin schon längst im Verzug), meldete Insolvenz an. Die langersehnte Neueröffnung wurde um ein Jahr verschoben, und die Studierenden mussten noch eine ganze Weile länger zum damaligen Hauptstandort bis nach Niederschöneweide, einem Ortsteil fernab vom aufregenden Leben der Berliner Mitte, pendeln. Inzwischen ist Herbst. Die letzten Bauarbeiten sind abgeschlossen, ein paar Kisten stehen noch herum, es wird eilig geputzt und ausgepackt – auch das massive Namensschild der ­Schule steht noch, in Plastikfolie gewickelt, in einer Ecke und wartet auf den großen Auftritt. Hochschulrektor Holger Zebu Kluth zeigt sich sichtlich erleichtert. Stolz präsentiert er die weiträu­ migen Hallen des neuen Gebäudes. Hier wird einmal Großes passieren – so viel ist sicher. Durch die kleinen Fenster in den massiven Feuerschutztüren bekommt man den Eindruck, einmal durch die ganze Schule hindurchschauen zu können. Die Architektur wirkt klar und einheitlich. Doch überall haben sich kleine Spielereien versteckt: Verwinkelungen, kleine Treppen, Galerien oder futuristisch wirkende Heizkörper. In einem edelmatten Mausgrau zeigen sich die Innenwände, Bestandteile des alten Gebäudes sind im Neubau verwoben. Ebenfalls grau: die offene, aus Beton gegossene Treppe, die alle Etagen miteinander verbindet. Das ganze Design wirkt modern und fast ein bisschen hip. Mitte Oktober beginnt das neue Schuljahr, in dem zum ersten Mal alle Sparten (Schauspiel, Regie, Dramaturgie, Tanz, Puppenspielkunst, Spiel und Objekt) zusammen unter einem Dach noch einmal ganz von vorn beginnen sollen. Zu den älteren Semestern werden sich knapp vierzig neue Studierende gesellen, das Innendesign und der Willkommensgedanke der Schule dürften ihnen wohl gefallen. „Alles zum Anfang – Anfang für alle“ lautet das Motto dieses historischen Neuanfangs. Ein schöner Gedanke. Ein paar Wände sind mit schwarzer Tafelfarbe verkleidet, hier können Botschaften mit Kreide hinterlassen werden. Schmale Neonröhren sorgen für elegante Lichtakzente. Farbenfroh hin­ gegen erscheinen die Spinte der Studierenden, die den Umzug aus Schöneweide miterleben durften. Premierenglückwünsche,

ernst-busch-hochschule

alte Theaterflyer, Erinnerungsfotos und vertrocknete Blumen ­zieren ihre Türen. Zwischen dem Industrial-Look, der sich in den weiten, grauen Hallen und den hohen Räumen immer wieder ­bemerkbar macht, sticht die gut bestückte Bibliothek hervor. Der helle Lesesaal mit seiner Höhe von elf Metern ist der Traum jedes Studierenden, der mit der Verschriftlichung seiner Abschluss­ arbeit zu kämpfen hat. Das Kämpfen allerdings ist man hier ja gewohnt. Der lichtdurchflutete Bewegungssaal und die großzügig geschnittenen Unterrichtsräume bieten beste Gelegenheit, sich bei Turnübungen auf den Alltag zukünftiger Theaterberufe vor­ zubereiten – Kondition ist alles! Von außen wirkt die Hochschule auf den ersten Blick dabei zunächst wie eine Behörde, wäre da nicht der mit Holz verkleidete Studiobühnenturm, der das Gebäude überhaupt erst von den anderen Häusergiganten rund um den Nordbahnhof unterscheidet. Zwei Bühnen übereinander, modernste Ausstattung und vor a­ llem eine ganze Menge Platz: Mit einer Grundfläche von jeweils dreihundert Quadratmetern pro Bühne lässt der Bühnenturm so manche Berliner Theaterhäuser blass aussehen. Das neue Schulgebäude zeigt sich offen für Gäste. Neben der Mensa, die Besucher und Besucherinnen der Studiobühnen nutzen können, sind außerdem Veranstaltungen und Vorlesungsformate geplant, die öffentlich zugänglich sein sollen. Durch die neue Verortung in den Bereich der Innenstadt und die Zusammenlegung der vormals gesplitteten Standorte einzelner Abteilungen tritt die Hochschule nun als Einheit in ­Erscheinung. Es entfallen Raumwechsel über weite Strecken, die früher dafür gesorgt hatten, dass die Studierenden zu spät zum Unterricht kamen. Von jetzt an gibt es keine Ausreden mehr. Seit ihrer Gründung durch Max Reinhardt 1905 stand die Schule bis 1951 schon einmal in Berlins Mitte. Nun ist sie dorthin zurückgekehrt und hat den maroden DDR-Bau hinter sich ge­ lassen. Das ehemalige Gebäude in Niederschöneweide war von Asbest befallen – das Trinkwasser angeblich bleiverseucht. Das neue Gebäude erfordert neue Regeln. Die Infrastruktur muss von allen erst erlernt und verstanden werden. „Das Haus ist eine Maschine“, bemerkt Kluth. So gibt es etwa programmierbare Türen: Die Studierenden können sich nun ungenutzte Räume über ihre Smartphones buchen. Wer in der Freizeit nicht nur Szenen üben will, kann sich von nun an auch am gemeinsamen Morgensport beteiligen. Im großen Bewegungssaal können unter professioneller Leitung alle, auch die, die sonst hinter ihren Schreibtischen sitzen, zusammenkommen. Mit dem gemeinsamen Morgensport hat die Schule ein klein wenig DDR-Mentalität beibehalten. Für Rektor Kluth geht nun ein sehnlicher Wunsch in Er­ füllung: dass seine Studierenden durch den neuen Standort zusammenwachsen, sich rege austauschen, vielleicht Kollektive bilden. Seine Tür steht ihnen immer offen. Schön wären allerdings noch mehr Orte zum Abhängen, Sichentspannen und Pläneschmieden. Wenn schon keine Beachbar auf dem Dach, dann vielleicht gemütliche Couchecken. Ein neues Haus bringt neue Ideen, die Vergangenheit soll mit der Zukunft entlohnt werden. Schließlich haben sich „die Studierenden die Hochschule selbst geschenkt“. //

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Die neuen Räume der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin-Mitte. Fotos Holger Herschel (Seite 6–8 / Harald Müller (Seite 9)



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Welches Theater braucht die Stadt? Diese Frage steht unweigerlich am Anfang einer jeden neuen Stadttheaterintendanz. Hans Otto Theater-Chefin Bettina Jahnke etwa muss sich in Potsdam mit einer aus Ost-West-Quellen gespeisten Stadt auseinandersetzen, in der viel Neues entsteht – die aber auch von ihren Traditionen lebt. Mannheim wiederum, sagt Schauspielintendant Christian Holtzhauer, sei ein spannendes Versuchslabor für die Bundesrepublik: mit der für eine Hafenstadt typischen hohen Dynamik, dem Widerspruch zwischen Universitätsstandort und Arbeiterstadt, der hohen Zahl von Menschen mit Migrationsgeschichte. Gunnar Decker, Otto Paul Burkhardt und Elisabeth Maier haben die ersten Premieren in Potsdam und Mannheim verfolgt.


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Utopien im Abendlicht Bettina Jahnke, die neue Intendantin des Hans Otto Theaters Potsdam, stellt sich lustvoll dem ambivalenten Erbe der Stadt

von Gunnar Decker

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in ICE rast quer durch Europa, die Passagiere aber bemerken erst nach und nach, dass der Zug jeden vorgesehenen Halt überfährt. Die Notbremse funktioniert nicht, heilloses Erschrecken folgt. Das ist eines der Leitmotive in Thomas Köcks „paradies spielen (abendland. ein abgesang)“, das zu den Eröffnungspremieren des Hans Otto Theaters unter der neuen Intendanz von Bettina Jahnke gehört. Moritz Peters lässt diese kompakte Textvorlage, in der „Schnee, Eis, Erinnerungen“ durcheinanderwirbeln, in einer aus bläulich schimmerndem Licht herauswachsenden Szenerie (Bühne Nehle Balkhausen) spielen. Ein Graben oder ein Grab? Es frappiert die unerhörte Wucht, mit der ein Chor, aus dem immer mal wieder ein Sprecher hervortritt, um dann doch erneut von ihm verschluckt zu werden, tief beunruhigende Sätze herausschleudert: „Europa im Spätherbst, wo die Blätter übers Gleis ­wehen und Lieder erklingen, jenseits vom Menschen.“ Das Gleisbett verwandelt sich in ein Krankenhausbett, wo jemand mit schweren Verbrennungen um sein Leben ringt – bloß ein „Phantomschmerz“? Überhitzt und unterkühlt zugleich seien sie hier alle, die „zu tief ins Sediment geschaut“ haben. Erinnerungsprosa, die aus der Zukunft auf uns zurückgeworfen scheint, uns unter lauter Traumschutt begräbt. Eine großartige Inszenierung des jungen Regisseurs Moritz Peters. Aber was ist das für ein Bild vom sich verwandelnden „Gleisbett“, dem nicht zu stoppenden Zug? Eine Apokalypsemetapher zweifellos, schon reichlich vom Horrorfilmgenre ausgebeutet. Untergänge sind für unbeteiligte Zuschauer zweifellos unterhaltsam.

Haltung zeigen – Bettina Jahnke eröffnet ihre Intendanz unter anderem mit „Der gute Mensch von Sezuan“ in der Regie von Malte Kreutzfeldt. Foto Thomas M. Jauk

Also zugleich eine Apokalypsepersiflage? Dass man es nicht sofort weiß, aber doch wissen möchte, macht den Reiz dieses Stücks aus, für das Köck den Mülheimer Dramatikerpreis erhielt. Denn es verbraucht sich nicht einfach in variierten Schockeffekten, sondern versetzt uns aus der Position der Unbeteiligten in die der Beteiligten – und das verändert die Perspektive grundsätzlich. In welche Zukunft führt unser Weg? Bettina Jahnke besteht auf derart grundsätzlichen Fragen. Sie sind es, die dem Theater erst jenes Gewicht geben, das seine Existenz rechtfertigt. Sie sitzt mir in ihrem Büro gegenüber, unter dem rotgeschwungenen, irgendwie asiatisch wirkenden DoppelBlütenblätterdach des Hauses, das nun nicht mehr Neues Theater, sondern Großes Haus heißt. So erkennt man also das Altern an bis hinein in die Architektur. Neu sind wir nun einmal nicht mehr. Im Muster ihres kurzärmlig grünen Kleides kehren die roten Blüten des Daches wieder. Solcherart Korrespondenzen muss man erst einmal hinkriegen. Auf ihrem rechten Oberarm zeigt sich ein Tattoo. Also doch kein gänzlicher Abschied vom jugendlichen Lebens­gefühl? Heute beginnt das zweite Eröffnungswochenende des Hans Otto Theaters, und pünktlich dazu ist der Spätsommer noch einmal zurückgekehrt. Die 55-Jährige verweigert sich der Gesetztheit der Repräsentanten, strahlt immer noch etwas Mädchenhaftes aus, also etwas ebenso Unbefangenes wie Ungestümes. Gleich muss sie zur Premiere des Kinderstücks „Haus Blaues Wunder“ von Ingeborg von Zadow in der Reithalle. Ein Stück über die Macht der Fantasie – und ihre Berge versetzende Kraft. Kinderthea­ ter ist für sie nichts Marginales, auch da geht es um die Zukunft.

Ostalgie wäre falsch, Vergessen ebenso Sprechen wir über ihren Weg nach Potsdam, der – nach zehn ­Jahren regieführender Intendanz am Rheinischen Landestheater Neuss – für die gebürtige Wismarerin auch eine Rückkehr in den Osten ist. Obwohl der Osten natürlich auch anders geworden ist, aber immer noch mit einer Geschichte beladen, die der Westen so

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thema

nicht kennt – und auch nicht als eigene anerkennt. Ein schwieriges Thema, das man nicht unter Niveau behandeln darf, dann wird es banal. Ostalgie wäre ganz falsch, aber Vergessen ebenso. Es geht um Identitäten, um Erfahrungen, die der Resonanzräume bedürfen – vor allem, so Jahnke, geht es um Haltung. So lautet auch das Spielzeitmotto. Für mich klingt darin immer auch eine Nötigung zum Bekenntnis mit, so etwa wie der Oktoberklub es einst forderte: „Sag mir, wo du stehst und welchen Weg du gehst!“ Bekenntnisverweigerung ist vielleicht auch eine Haltung, die aus der DDR kommt, oder? Jahnke lacht ihr schönes mädchenhaftes Lachen, an den Oktoberklub habe sie ­dabei nun gerade nicht gedacht. Mit Haltung meine sie etwas ­anderes: Wer sich auf die Bühne stellt, macht sich kenntlich. Mit seiner eigenen Biografie, mit all ihren Widersprüchen. Denn Übereinstimmung lebt vom Unterschied. Wenn Kunst die Demo­kratie befördern kann, dann wohl so. Bettina Jahnke wirbt um ihr Motto, aber immer auf eine sehr persönliche und direkte Weise. Es ist immer ein Ausdruck eigener Erfahrung. Und was ist im Osten dabei anders als im Westen, den sie ja nun auch gut kennt? Die Brüche!, ruft sie. Die Endzeit der DDR mit der Gemengelage von Ideal und Ideologie, von Illusion und Lüge. Und trotzdem die Utopien, samt Anti-Utopien, die auch dem Theater ihre Kraft gaben. Die letzten zehn Jahre in Neuss waren anregend und lehrreich, aber doch anders als der Osten, eben wegen des ungebrochenen Selbstverständnisses der Menschen dort, wo das Heute die Verlängerung des Gestern zu sein scheint. Obwohl auch das Ruhrgebiet vor folgenreichen Um­ brüchen steht, war, was 1989 im Osten passierte, eine Zäsur. Darum hat sie auch ihre erste Spielzeit am HOT (so die neue Abkürzung für Hans Otto Theater) mit der Bühnenadaption

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Man gehört nur unter Vorbehalt dazu – Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ in der Regie von Bettina Jahnke. Foto Thomas M. Jauk

von Eugen Ruges Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ eröffnet. In diesem Drei-Generationen-Roman einer kommunis­ tischen Familie, der eine Zerfallsgeschichte zeigt, spiegelt sich auch die Erfahrung jener Generation, die Mitte der sechziger ­Jahre in der DDR geboren wurde. Nicht mehr wirklich in der DDR verankert, verabschiedete sie sich innerlich bereits vor der Wende von ihr – aber im Westen ist sie nie richtig angekommen. Man gehört nur unter Vorbehalt dazu, bleibt im Grunde Außenseiter. Da sind wir uns sofort einig. Wie kommt sie, 1963 in Wismar geboren, eigentlich zum Theater? Mein Vater, sagt Bettina Jahnke, war Hochschullehrer an der Universität Rostock – damals noch Wilhelm-Pieck-Universität –, nicht nur ein Marx-, auch ein Brecht-Kenner, den es zum Theater zog. Aufgewachsen ist sie im Rostocker Neubauviertel Lütten Klein. Aber da am Volkstheater Rostock der weltanschaulich betonfeste Hanns Anselm Perten herrschte, war Schwerin das Ziel, wo Christoph Schroth nicht nur mit seinem legendären „Faust“ von 1979, auch mit den „Erkundungen“ für einen heute schwer erklärbaren neuen Geist sorgte. Aufbruch gewiss, aber in etwas Eigenes, das über das hinausging, was dieses untergehende Land zu denken vermochte. Die sich siegreich dünkende Bundesrepublik, die sich durch diesen Untergang in ihrem Selbstbild ­fatal ­bestätigt sah, dann ebenso wenig. Haben Sie das damals in Schwerin gesehen?, fragt Jahnke. Natürlich, antworte ich, Schwerin war doch für jeden, den eine


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intellektuelle Unruhe trieb, ein Faszinosum. Utopia, melancholisch grundiert. Dort wurde dann ihr Vater Schroths Dramaturg – und sie war immer dicht dran am Theater und auch an Schroth, der einmal ihr Mentor werden sollte. Denn nachdem sie an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig studiert hatte und in der Wendezeit mit dem Poetischen Theater, dem Amateurtheater an der Uni Leipzig, den sich kurzzeitig öffnenden Freiraum genutzt hatte, assistierte sie bei ihm und ­begann schließlich auch, Regie zu führen. Schroth betrieb von Cottbus aus seine „Zonenrandermutigungen“. 2005 wurde sie dort Oberspielleiterin.

Eine aus Ost-West-Quellen gespeiste Stadt Welches Theater kann man für eine Stadt wie Potsdam heute machen, eine Stadt, die Landeshauptstadt und Vorstadt von Berlin gleichermaßen ist? Das Entscheidende, so Bettina Jahnke, sei, dass es keine Stadt der Übriggebliebenen ist. Wer heute hier lebt, der hat sich bewusst entschieden, hier zu leben. Es ist eine aus Ost-West-Quellen gespeiste Stadt, in der viel Neues entsteht – aber die eben auch von ihren Traditionen lebt. Und das endet natürlich nicht bei der DDR, sondern geht zurück bis nach Preußen. Ein ambivalentes Erbe voller Brüche, das anstrengend ist, wenn man es ernst nimmt. „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ wird zur Jahrhundertgeschichte über Exil und Heimkehr in ein fremdes Land. Über die Macht der Lüge und die Ablösung von militanten Ideologien durch bequemen Opportunismus. Nein, die DDR als das „andere Deutschland“ war letztlich kein besseres Deutschland – den moralischen Anfangskredit, von den Gegnern der Nazi-Diktatur gegründet worden zu sein, verspielte man schnell. Die DDR trat aus dem Schatten des Stalinismus erst im Herbst 1989 heraus, zu spät. Auch darum wendet sich Alexander Umnitzer schließlich von dem Land, das die Großeltern und Eltern aufbauten, voller Ekel ab und flüchtet in den Westen. Das bittere Ende eines Experiments – aber auch das Ende aller gesellschaftlichen Experimente, wie Vereinigungstrunkene meinten? Diese Inszenierung lebt von kraftvollen Bildern. Alexander (überzeugend in seiner unbehausten Widerständigkeit: Henning Strübbe) sitzt, nein kauert allein in einem schäbigen Hotelzimmer in Mexiko. Er hat Krebs und fürchtet, bald zu sterben. Dennoch ist er in das Land gefahren, wo die Großeltern im Exil waren, das Land jener Legenden, die Großmutter Charlotte erzählte, das Land, das ihn nicht heilen wird, weil er hier ebenso wenig hingehört wie nach Deutschland Ost oder West. Diese Heimatlosigkeit, die eine auf den zweiten Blick ist, wird für Jahnke zu einem Zentralmotiv ihrer Inszenierung über einen Generationenkampf im Schatten der Geschichte. Die Bühne von Juan León: eine Erinnerung an das vergangene Industriezeitalter, gestellartig-schrottig auf der Rückseite, die die Drehbühne zeigt, wenn die Wohnzimmerfassade der Repräsentanten des Staates niemand mehr erträgt. Am interessantesten in der Familie ist zweifellos Kurt Umnitzer (eindrucksvoll das Paradox der stillen Verweigerung in der Anpassung verkörpernd: René Schwittay). Das Vorbild für ihn war Eugen ­Ruges Vater Wolfgang Ruge. Ein Historiker, der nach der Wende das wichtige Buch „Lenin. Vorgänger Stalins“ schrieb (erschienen bei Matthes & Seitz), der die Erfahrung der Lagerhaft in Sibirien mit

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sich trug, ohne Illusionen die Geschichte der kommunistischen Bewegung samt ihren Verbrechen erforschte – und dennoch die Loyalität dem SED-Staat gegenüber nie ganz aufkündigte. Da sind wir wieder bei dieser Mittelgeneration der DDRIntellektuellen, die ihre eigenen starrsinnigen Väter verachtete, aber wiederum selbst ihre rebellischen Kinder nicht verstand. Das sind wir, die Generation der heute über Fünfzigjährigen. Über ihren Vater sagt Jahnke, er sei 1995 gestorben, „weil er keine Lebenskraft mehr hatte, gegen den Krebs zu kämpfen“. Eine wichtige Facette im Suchen nach Haltungen ist für sie auch Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ (Regie Malte Kreutzfeldt) mit der Musik von Paul Dessau, live von einer Jazzband auf der Bühne gespielt. Die Parabel vom guten Menschen. Shen Te (Alina Wolff) muss sich, weil ihr Mitleid mit noch ­Ärmeren von diesen über alle Maßen ausgenutzt wird, einen Doppelgänger erfinden, der als ihr Vetter ebenso hart und böse ihre Interessen wahrnimmt, wie sie selbst barmherzig und gut ist. Erst kommt nun mal das Fressen, dann die Moral, so Brecht an anderer Stelle. Gute Menschen in einer schlechten Welt sind laut Brecht zum Untergang verdammt. Leider verfehlt diese Insze­ nierung den kalt-phänomenologischen Blick auf die Figuren­ versuchsanordnung, wirkt zu gefühlsbeladen und am Ende sentimental. Wer ihr sehr am Herzen liegt, sagt die Intendantin, sei Hans Otto, der Schauspieler, der zum Namensgeber des Theaters wurde. Ein Kommunist, der – anders als Gustaf Gründgens oder Heinrich George – seine Haltung zum Nationalsozialismus zeigte, was ihn das Leben kostete. Und dabei war er nicht nur ein ­begnadeter Schauspieler, sondern auch ein Lebemann – an ihn will das Theater jetzt wieder stärker erinnern, die erste Matinee ist schon geplant. Bettina Jahnke blickt auf die Uhr – in zwei Minuten muss sie vor der Reithalle zur Eröffnung des Kindertheaters sprechen. Und wenn man jemanden nicht warten lassen sollte, dann sind es Kinder. Also läuft sie los, so leichtfüßig, wie es nur geübte Jogger vermögen, das geblümte Kleid weht im Wind. Ich gehe langsam hinterher – und als ich ankomme, höre ich sie die Sätze zu den Kindern sprechen: „Ihr seid die Erfinder des Spiels, wir Erwachsenen tun immer nur so.“ Aber mehr als Verstellung ist doch wohl in allem Spiel, das von der Sehnsucht nach Verwandlung lebt. //

Bettina Jahnke, geboren 1963 in Wismar, studierte Theaterwissenschaft an der heutigen Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig. 1994 ging sie als Regieassistentin an das Staatstheater Cottbus, wo sie später auch als Regisseurin arbeitete. Ab 1998 war sie als freie Regisseurin tätig, unter anderem in Magdeburg, Leipzig, Rostock und Bern. 2005 wurde sie Oberspielleiterin am Staatstheater Cottbus und 2009 Intendantin am Rheinischen Landestheater Neuss. Seit der Spielzeit 2018/19 ist Bettina Jahnke Intendantin des Hans Otto Theaters in Potsdam. Foto Ben Wolf

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In den Trümmern einer primitiven Kultur Neustart am Nationaltheater Mannheim – Intendant Christian Holtzhauer stellt mit Schiller und Bärfuss deutsche Mythen auf den Prüfstand von Otto Paul Burkhardt

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in Forschertrupp, der aus dem Nebel kommt. Sieben ­ rchäologen aus der Zeit nach der „Großen Einsicht“, einer A ­Zukunftsära, in der nur noch Freundschaft und Wohlwollen herr-

schen, unternehmen eine Expeditionsreise in die Vergangenheit. Stolpern durch eine deutsche Trümmerlandschaft. Suchen in den Ruinen nach Spuren einer früheren Zeit, nach Funden, die „vom falschen Denken einer primitiven Kultur“ künden. Entdecken den Bonner Kanzlerbungalow und werden alsbald von den Dämonen dieser Epoche befallen – beginnen zu tanzen, zu zucken, zu brüllen. Sie streiten sich, entwickeln bizarre Leidenschaften, verwandeln


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Wie man in den Dschungel hineinruft, so schallt es heraus – Von Christian Weises „Die Räuber“ bleibt am Ende kaum mehr als eine Karikatur. Foto Hans Jörg Michel

sich in Figuren jener Zeit. Mit dieser science-fiction-artigen Rahmenhandlung geleitet uns Lukas Bärfuss in sein neues Stück „Der Elefantengeist“. Dessen Glutkern freilich ist eine feurige Abrechnung mit dem System Helmut Kohl. Klar, dass ein Auftragswerk über den verstorbenen Altkanzler, uraufgeführt zum Einstand des Schauspielintendanten Christian Holtzhauer am Nationaltheater Mannheim, also in nächster Nähe von Kohls langjährigem Wohnsitz Oggersheim, viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein Tabubruch? Eher nicht – Johann Kresniks Tanzstück „Hannelore Kohl“, 2004 in Bonn präsentiert, ging da krasser zur Sache. Im Mannheimer „Elefantengeist“ kommt zwar das Wort „Bimbes“ vor, Kohls Lieblingswort für sein „täglich politisch Brot“, doch der Name des Politikers fällt kein einziges Mal. Sandra Strunz führt bei dieser theatralischen Grabungsarbeit Regie ­ und zeigt dabei auch choreografisch, wie der Zusammenhalt der Wissenschaftler, infiziert vom Geist der Kohl-Ära, rapide schwindet. Die sieben Figuren, benannt nach den Vornamen der Schauspieler, muten wie Forscher an, die in gefährliche Nähe des zu erforschenden Gegenstands geraten und mit ihm verschmelzen. Dass es sich bei dieser Art von Anverwandlung um einen giftigen Zauber handelt, vermittelt auch Sabine Kohlstedts düstere Bühne: Der Kanzlerbungalow wirkt wie ein Totenhaus, in dessen verhängten Fenstern ab und zu die gespenstischen Silhouetten der einstigen Bewohner zu sehen sind. Strunz verschärft viele bei Bärfuss angelegte Genreregister – und bewegt sich so zwischen Sci-Fi-Thriller und Vergangenheitsaufklärung, Reenactment und Investigation, Geisterbahngrusel und Polemik. Immer wieder scheint Bärfuss’ zentrale, durch Indizien gestützte, nicht unbedingt neue, aber in neoliberalen Zeiten aus der Mode geratene These durch, dass die Karriere Kohls eng verknüpft sei mit früheren Profiteuren des Naziregimes – etwa mit dem Flick-Konzern. Kernsatz: „Flick gab ihm das Geld der ermordeten Juden, und dieses Geld verhalf ihm zur Macht.“ Vorgebracht wird dies von einem Alter Ego des Stückautors, von Dr. Martin, dem der Schauspieler Martin Weigel viel zürnenden Enthüllungsfuror mitgibt. Er ist es, der den Expeditionsleiter Dr. Matthias, ver­ körpert von Matthias Breitenbach mit Kohl’schen Zügen und grotesker Goldkrone, mit dem ans Licht gebrachten Dreck der Vergangenheit bewirft, und dies nicht nur im übertragenen Sinne. Gleich neben dem Bungalow ist die Grabungsstätte, ein auf-

gewühlter Haufen brauner Erde. Auf dem liegt später die tote ­Ex-Kanzlergattin, der Johanna Eiworth vorher noch einen fulminanten Auftritt verschafft, wie ein Kollateralschaden des Kohl-­ Systems. Fazit: „Seine Frau brachte sich um. Seine Söhne verstieß er. Das war seine Geschichte. Ein verwundeter, böser, alter Elefant.“ Was bleibt? Ein Stück, das in der Regie von Sandra Strunz seltsam irrlichtert – zwischen Geschichtsarchäologie und Thesentheater, perfidem Märchen und politischem Furor. Strunz belebt den Text, der teils wie eine aus Archiven kolportierte, poetisch ondulierte Seminararbeit wirkt, mit Performance-Elementen, Improvisationen und Musik – von Joseph Haydns fragmentierter Nationalhymne bis zu John Cages „In a Landscape“. So sehen wir, wie die Archäologen hilflos auf den Trümmern tanzen, bis sie selbst zur reglosen Machtclique erstarren, die nach langem ­Schweigen – siehe Spendenaffäre – ein unschuldiges Liedlein anstimmt: „Ich bin en echte Pälzer Bu“. Mit dieser Bärfuss-Uraufführung setzt Christian Holtzhauer im Grunde das Autorentheater fort, mit dem sich Mannheim unter Vorgänger Burkhard C. Kosminski profiliert hat. Auch die Institution Hausautor wird es weiter geben: Enis Maci stellt sich mit ihrem preisgekrönten Stück „Mitwisser“ vor – Nahaufnahmen einer verrohenden Welt. Der erste Mannheimer Hausautor, klar, war Friedrich Schiller, dessen „Räuber“-Uraufführung 1782 den vielzitierten Skandal ausgelöst hat. Heute, 2018, führt Mannheims neuer Hausregisseur Christian Weise Regie. Er lässt von dem Rebellenstück übers Für und Wider von Gewalt in der Politik nur

Christian Holtzhauer, geboren 1974 in Leipzig, studierte Theater- und Musikwissenschaft in Berlin und Toronto. Von 2001 bis 2004 leitete er zusammen mit Amelie Deuflhard die Berliner Sophiensaele. Von 2005 bis 2013 war er Dramaturg am Schauspiel Stuttgart, wo er unter anderem mit Regisseuren wie Barbara-David Brüesch, René Pollesch, Ulrich Rasche und Christian Weise zusammenarbeitete. Von 2014 bis 2018 verantwortete er das Kunstfest Weimar. Seit der Spielzeit 2018/19 ist Christian Holtzhauer Schauspielintendant am Nationaltheater Mannheim. Foto Candy Welz

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eine schräge Parodie übrig, verlegt es weit weg, in den Dschungel Brasiliens, in ein von Lianen umwuchertes Fachwerkhäuschen in der 1850 gegründeten deutschen Kolonie Blumenau. Warum gerade dorthin, erschließt sich nicht wirklich – immerhin bringt die Verpflanzung deutscher (Un-)Tugenden in den Urwald einen verfremdenden Charme mit sich. Fern der Heimat döst dort eine Gruppe von Altenheimbewohnern vor sich hin, selbst der Pianist, der später alles stummfilmmäßig untermalen wird, ist auf den Tasten eingenickt. Aus dem Grammophon tönen knarzend Versatzstücke deutscher Geschichte – Willy Brandts Demokratie-Appell, der Jubel beim WM-Tor von Helmut Rahn 1954, Gustaf Gründgens’ raunender Mephisto, Merkel- und KohlO-Töne bis hin zu einem historischen „Räuber“-Mitschnitt, mit hehrem Pathos und kratzender Plattennadel. Weise lässt ein kleines Wunder geschehen: Die Senioren wachen langsam auf, sprechen den Schiller-Text mit, bis der Off-Ton allmählich verschwindet und sie selbst mit ungeahnten Kräften das Spiel übernehmen. Ein starker Beginn, der viel Marthaler-Zauber entwickelt. Doch was dann folgt, ist weitgehend Parodie nach dem Motto: Ältere Knatterchargengang spielt im Dschungel Schiller. Natürlich alles andere als unfallfrei. Aber mit bebendem Ton, mit Klamauk und Slapstick, mit Theaterdonner und gruslig quietschenden Türen. Eine echte Räuberpistole: Franz kaspert bei Christoph Bornmüller als quirliger Fiesling durchs Stück, während Karl bei Nicolas Fethi Türksever wie ein pensionierter Revoluzzer wieder

zu Hochform aufläuft, wenn er als Pyjamazausel im Marx-Look gestenreich von Freiheit schwadroniert. Sarah Zastrau wiederum hat als Amalia große Auftritte als verschmockte Liederabend-Diva. Der Rest: Kaum mehr als Karikatur. Dank eines spielfreudigen Ensembles bleibt der Abend ­unterhaltsam, garniert mit Momenten, in denen alle, gerührt von der eigenen Emphase, auch noch deutsche Fähnchen schwenken und die zweite Strophe der Nationalhymne anstimmen – über Frauen, Treue, Wein und Sang. Und das alles in einer Art Gartenzwerg- oder Puppenstubenidylle, sauber eingezäunt mitten in der Raubtierwildnis. Der politische Impetus indes? Ist hier der Lächerlichkeit preisgegeben – als letzte Aufputschdroge verdämmernder Tattergreise. Alles nur klapprige Klamotte? Ein SchillerBegräbnis dritter Klasse? Immerhin: Punktuell lässt die Regie ein Fünkchen Empathie mit dieser verrückten Zittertruppe aufblitzen, die da wacker und ewiggestrig Schiller-Verse in den dunklen Dschungel ruft. Bis am Ende die Alten wieder verstummen und den knisternden Grammophonstimmen das Feld überlassen. Alles in allem: Holtzhauers Saisonstart stellt, teils in amüsanter Verkleidung, tiefer lotende Fragen nach der viel­ beschworenen deutschen Identität – mit, zugegeben, eher skeptischen, schwarzhumorigen, aber bedenkenswerten Befunden. Hier Schillers „Räuber“, zur nostalgischen Lachnummer geschrumpft, dort der „Elefantengeist“, der mit seinen dunklen Schatten einer selbstzerstörerischen Vergangenheit auch als Zeitkommentar lesbar ist. //

THEATERPREIS DES BUNDES Ausschreibung und Informationen zur Bewerbung auf der Website des Internationalen Theaterinstituts – Zentrum Deutschland: www.iti-germany.de


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Ein Versuchslabor für die Bundesrepublik Der Mannheimer Schauspielintendant Christian Holtzhauer im Gespräch mit Elisabeth Maier

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err Holtzhauer, Sie haben zum Intendanzstart am Nationaltheater Mannheim (NTM) einen Spielplan vorgelegt, dessen Schwerpunkt auf zeitgenössischen Stoffen liegt. Damit setzen Sie eine Linie fort, die Ihr Vorgänger Burkhard C. Kosminski pflegte. Wo liegen die Unterschiede? Selbstverständlich wollen wir weiterhin versuchen, die Gegenwart in einer Sprache unserer Zeit zu beschreiben. Dafür müssen wir neue Texte aufführen und neue Stücke in Auftrag geben. Unser Augenmerk wird aber nicht mehr in dem Maße auf Uraufführungen liegen, wie das bei unseren Vorgängern der Fall war. Das ­große Potenzial des Repertoiretheaterbetriebs besteht für mich darin, dass wir Texte und Stoffe verschiedener Epochen sowie die große Vielfalt der uns heute zur Verfügung stehenden Erscheinungs­formen von Theater zueinander ins Verhältnis setzen können. Mit unserer Eröffnung haben wir versucht, das Feld weit aufzumachen. Die ersten Inszenierungen offenbaren markante, zugleich aber sehr unterschiedliche Regiestile. Ist das ein Leitgedanke Ihrer Spielzeitplanung? Beim Spielplan wie bei der Auswahl des Ensembles war es uns wichtig, viele Perspektiven und Erfahrungswelten vorkommen zu

lassen. Mannheim ist ein spannendes Versuchslabor für die ­Bundesrepublik: mit der für eine Hafenstadt typischen hohen ­Dynamik, dem Widerspruch zwischen Universitätsstandort und Arbeiterstadt, der hohen Zahl – fast fünfzig Prozent – von Menschen mit Migrationsgeschichte. Wer oder was ist denn die heu­ tige Stadtgesellschaft? Lässt sie sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen? Wie können wir sie für das Theater interessieren? Welche Geschichten müssen wir erzählen? Mit Enis Maci haben wir uns für eine sehr junge Hausautorin entschieden, die für viele Perspektiven unserer heutigen Gesellschaft steht. Aufgewachsen in Gelsenkirchen, hat sie in Leipzig und London studiert. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mal mit der zweiten migrantischen Generation, mal mit dem (pop-)kulturellen Gedächtnis Deutschlands und einem weltumspannenden Netz aus Kriminalfällen und dem polyphonen Sound des Internets. Ich möchte aber nicht nur über Texte reden, wenn ich über Theater rede. Mit Christian Weise, Sandra Strunz und Claudia Bauer arbeiten Regisseure mit ausgeprägten Regiehandschriften bei uns. Jüngere Regisseure wie Nick Hartnagel, Anna-Elisabeth Frick oder Roscha A. Säidow haben die Gelegenheit, neue Formen zu erproben.

Die Gegenwart in der Sprache unserer Zeit erkunden – wie in dem Eröffnungsstück „Der Elefantengeist“ von Lukas Bärfuss in der Regie von Sandra Strunz. Foto Christian Kleiner


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Als künstlerischer Leiter des Kunstfests Weimar haben Sie mit internationalen und mit europäischen Künstlern gearbeitet. Verfolgen Sie diesen Weg weiter? Ich werde einige Künstler, die ich in Weimar gezeigt habe, nach Mannheim mitnehmen, wie den russischen Regisseur Maxim ­Didenko, der „Ansichten eines Clowns“ inszenieren wird. Das ist seine erste Regiearbeit an einem deutschen Stadttheater. In Russland blickt man anders auf diesen sehr deutschen Roman ­Heinrich Bölls, der mit dem katholisch-konservativen Geist der 1950er-­ Jahre abrechnet, weil dort die Kirche wieder an Einfluss gewinnt. Wir leben in einer vernetzten Welt – mit all ihren Chancen und Risiken. Dass wir uns auch im Theater international vernetzen, ist unerlässlich. Projekte im Stadtraum entwickeln Sie seit Langem. Welche Pläne gibt es für Mannheim? Wir fangen langsam an, wir müssen ja erst mal ankommen. „Tram 83“, die deutsche Erstaufführung des Romans des kongolesischen Autors Fiston Mwanza Mujila, spielen wir in einem Club. Das von Beata Anna Schmutz geleitete Stadtensemble, mit dem wir das Prinzip Bürgerbühne weiterentwickeln, schwärmt in den Stadtraum aus. Während der Schillertage im Juni 2019 möchte ich das Theater über Mannheim verteilen. Auf die Stadt und ihre Bewohner zuzugehen bedeutet auch, in den öffentlichen Raum zu gehen. Außerdem müssen wir unser Publikum ja auf die anstehende

Generalsanierung und die mehrjährige Schließzeit des NTM vorbereiten. Apropos Sanierung: Das 240-Millionen-Projekt wird vom Bund mit achtzig Millionen Euro unterstützt. Offen ist, welcher Anteil auf die Stadt und auf das Land entfällt. Was erhoffen Sie sich? Das Gebäude von 1957 ist nicht nur dringend reparaturbedürftig. Wir müssen das vom Architekten geplante sehr flexible Raumkonzept wiederherstellen, um unterschiedliche Theaterformen möglich zu machen. Außerdem wollen wir das Haus über den Vorstellungsbetrieb hinaus öffnen. Wichtig ist, dass die Finanzierung schnell geklärt wird, denn nur so können wir die Interimszeit gut planen. Das Nationaltheater ist ja ein kommunales Theater. Die Stadt ist sich ihrer Verantwortung voll bewusst. Die Unterstützung durch den Bund ist ein kulturpolitisch wichtiges Signal. Ich würde mich freuen, wenn das Land auch mit einem substanziellen Betrag einsteigt. Das NTM strahlt weit über die Stadtgrenzen hinaus. Es ist das zweitgrößte Theater Baden-Württembergs, ­unsere Zuschauer kommen aus einem Umkreis von mehreren hundert Kilometern. Und es ist mit seiner Geschichte als erstes kommunales Theater, an dem die im 18. Jahrhundert formulierte Idee einer „Nationalschaubühne“ erfolgreich in die Praxis umgesetzt wurde, Vorbild für die heutige deutschsprachige Theaterlandschaft. Ich hoffe, dass diese Argumente die Landesregierung überzeugen, ein Drittel der Kosten zu übernehmen. //

2018 / 2019 · Eine Auswahl

Moritz Rinke WESTEND Deutsches Theater Berlin · Regie: Stephan Kimmig

Laura Naumann MIT FREUNDLICHEN GRÜSSEN EURE PANDORA Staatsschauspiel Dresden · Regie: Babett Grube

Händl Klaus VIOLETTER SCHNEE Oper von Beat Furrer Nach einer Vorlage von Wladimir Sorokin Staatsoper unter den Linden, Berlin · Regie: Claus Guth

Elfriede Jelinek SCHNEE WEISS Schauspiel Köln · Regie: Stefan Bachmann

Annie Baker THE ALIENS Staatstheater Kassel · Regie: Sebastian Schug

Lisa Danulat KINDER VON NOTHINGTOWN Burghofbühne Dinslaken · Regie: N. N.

Thomas Arzt DIE ÖSTERREICHERINNEN Tiroler Landestheater Innsbruck · Regie: Felix Hafner

René Pollesch CRY BABY Deutsches Theater Berlin · Regie: René Pollesch

Neil LaBute

Tina Müller PLANET DER HASEN Stadttheater Bremerhaven · Regie: Tanja Spinger

Simon Stephens MARIA Thalia Theater Hamburg · Regie: Sebastian Nübling

Lucy Kirkwood

EINE ART LIEBESERKLÄRUNG

MOSKITOS

Theater Münster · Regie: Schirin Khodadadian

Staatstheater Kassel · Regie: Thomas Bockelmann

Feridun Zaimoglu / Günter Senkel SIEGFRIEDS ERBEN Nibelungenfestspiele Worms · Regie: Roger Vontobel

www.rowohlt-theater.de

Marcus Youssef DSCHABBER Grips Theater, Berlin · Regie: Jochen Strauch

Foto-Copyright: Lenore Blievernicht / BNA

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kolumne

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Josef Bierbichler

Ein Jegleiches hat seine Zeit

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in jegliches hat seine Zeit“, sagte der Prediger Salomo. Das ist schon lange her. Die Zeit der Menschenart ist jetzt auch schon bald abgelaufen, sagt Kassandra. Das ist noch frisch. Aber wie immer schon hören ihr nur andere Kassandren zu. Vielleicht sollten wir uns trotzdem Zeit lassen. Aber haben wir überhaupt noch Zeit zum Zeitlassen? Seit Beginn des Maschinenzeitalters hat die abendländische Kultur Zeit immer beschleunigt. Zu dieser Kultur gehören Religion, Kalkül, Krieg, Hollywood, Gartenpflege, Champions League, Christmas, Oktoberfest, Fernsehen, Festgeldkonto, Formel 1 … alles, was mit Ablenkung – Unterhaltung also und Ordnung – zu tun hat und einen allgemeinen Sinn des Lebens verspricht. Den gibt es aber nicht. Drum muss das Tempo hoch sein, dass die wenigsten mitkommen, aber so viele wie möglich mitgerissen werden. Dann hat Kultur funktioniert. Erregung und Zerstreuung münden in Zufriedenheit. Das fühlt sich sinnvoll an. Wenn dieses Triumvirat geis­ tiger Selbstaufgabe unablässig angekurbelt und von Zeit nicht begrenzt wird, gerät es vielen zum Sinn des Lebens. Das zahlt sich aus für wenige. Die fördern dafür Kultur, um bei möglichst vielen diesen gemeinsamen Lebenssinn zu wecken, damit die nicht ihre Konkurrenten werden, sondern um die besten der unteren Plätze rangeln. Dafür spielen sie auch Demokratie, weil die verspricht, dass alles mit rechten Dingen zugeht, also mit Recht und Gerechtigkeit – was Demokratie ja mal im Schilde führte. Zeitverschwendung dieser Art aber kann das Wirtschaftssystem nur brauchen, wenn es nicht das unbegrenzte Wachstum stört. Läuft alles gut, ist Demokratie Legitimation und Kultur ­Dekoration für das Unbegrenzte Wachstum! Dieser Begriff müsste eigentlich eine ungeheure Bedrohung sein. Er ignoriert die Erkenntnis, dass alles seine Zeit hat. Dieses Wortgebilde müsste uns in Panik versetzen. Aber nichts geschieht. Wenn die Anführer in Politik und Wirtschaft mit solchen Begriffen Erfolg haben – und den haben sie –, ist Hoffnung ein verbrauchtes Wort. Wir werden ohne Hoffnung auf den unteren Plätzen auf das Ende warten, wenn wir uns jetzt nicht die Zeit nehmen, um zur Ruhe zu kommen … und danach den größten Aufruhr anzustiften, den es je gegeben hat. Wenn wir nichts tun, werden wir uns in nicht zu ferner Zukunft gegenseitig massakrieren, weil ohne Hoffnung der nackte Überlebenstrieb einsetzt. Wer soll uns retten? – Google? – VW? – Das Bundeskanzleramt? – Die Unterhaltungsindustrie? – Das eine Promille von dem

einen Prozent der Weltbevölkerung, das man ohne Arg, statt­ dessen meist mit unverhohlener Bewunderung, die Superreichen nennt, weil ihnen drei Viertel der ganzen Welt gehören? Sollen wir auf die hoffen?! Wir realisieren nicht mehr, dass Zeitlassen nicht weniger als existenzielles Denken ist. Ist alles eh schon wurscht? Ich wohne an einem See. So viel ungetrübtes Wohlbefinden bei den an- und durchreisenden Sommergästen wie dieses Jahr war schon lang nicht mehr. Auch ihre Zahl war deutlich höher als in den letzten Jahren. Sie haben nicht mehr bis Italien und Spa­nien reisen müssen, wie sonst jedes Jahr immer seit den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts. Die Temperaturen im Wasser und am Strand der deutschen Seen waren korrekt mediterran. Warum also in die Ferne schweifen! Dem Klima hat das eingeschränkte Reisen auch gutgetan, möchte man hoffen. Und die Wetterberichter im Fernsehen waren vor ­lauter Freude an ihrem Beruf fast gar nicht mehr zu halten, weil sie nur Gutes zu berichten hatten: Nur Sonne und Höchsttemperaturen und kein Regen – über Wochen. Später kamen sogar noch ein paar Waldbrände dazu. Bald wird es auch bei uns sein wie in Griechenland und Spanien. Die Seen haben so niedrige Wasserstände mittlerweile, dass man die Steine an den Ufern nur noch mit Schweißsand zudecken muss, dann hat man die gleichen Sandstrände wie die Südländler an ihren Meeren. Man muss nur achten drauf, dass das Einkommensgefälle zwischen Nord und Süd erhalten bleibt. Nicht dass die auf die Idee kommen, bei uns in Zukunft ihren Urlaub zu verbringen. Und so weiter und so weiter. Das ist alles Natur und daraus folgende Wissenschaft. Aber sie glauben alle lieber einer anderen Wissenschaft. Der chemischen zum Beispiel. Sie holen sich Tabletten gegen ihre Angst vor dem, was sie ja auch sehen MÜSSEN, sollten sie nicht schon erblindet sein am kapitalistischen Normalitätsprinzip, denn sogar im Fernsehen berichten sie darüber, was ich da gerade meine. Selbstredend in schmerzfreier Packung. Ich glaube lieber an die Kartoffel, die vor ein paar Jahrhunderten auch zu uns kam und den Wodka gebar. Damit ertrage ich diese Gesichter und hofiere gleichzeitig die Wissenschaft, die meine Augen und mein Empfinden bedient, die Klimawissenschaft, die es noch nicht gibt, die aber Klimawissenschaftler generiert. (Ich hoffe, dass man mich irgendwann zum Idioten erklären wird wegen solcher Texte. Ich hoffe es wirklich. Ich hab Kinder und Enkelkinder. Denen wird die Zukunft auf den Fersen sein, die sie nicht mehr vor sich haben. Aber schriebe ich ihn nicht, den Text, wär ich auch ein Idiot – ein hoffnungsvoller am Ende der Zeit.) //

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Ihr seid die Stadt! Leipzigs Kulturdezernentin Skadi Jennicke über den Druck von rechts und die Chancen einer Kultur, die alle anspricht, im Gespräch mit Wolfgang Engler

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kadi Jennicke, seit geraumer Zeit fragen mich Leute als ­ ebürtigen Sachsen, der aus Dresden kommt, ob ich das bitte g nicht mal erklären könne, was dort passiert. Also Pegida, die AfD, derweil bei dreißig Prozent im Freistaat, oder jüngst die Vorfälle in Chemnitz, da müsse ich doch Auskunft geben können. Ich sage dann allenfalls etwas zur allgemeinen Lage, zur Nachwendeerfahrung in Ostdeutschland, halte mich aber mit konkreten Aussagen, einen bestimmten Ort betreffend, zurück. Es beruhigt mich, zu wissen, dass auch Ihnen Erklärungen schwerfallen. Aber wenn man länger in einer Stadt lebt und arbeitet, so wie Sie in Leipzig als Kulturdezernentin, und Kontakt zu vielen Menschen hat, sucht man sicherlich nach Erklärungen. Nun ist Leipzig eine

Stadt, die gerade nicht für Negativschlagzeilen sorgt, sondern, wenn ich mich recht entsinne, es ist zwei Jahre her oder etwas länger … … Januar 2015 … … dem Versuch, Pegida als Legida hierher zu verpflanzen, mit massivem Bürgerprotest begegnete. Deren Anhänger stießen auf entschiedene Gegenwehr. Was läuft hier anders als anderswo in Sachsen? Erleben Sie das als Ausnahme von der Regel? Ich suche selbst auch täglich mehrfach nach Erklärungsmustern für diese spezielle Situation in Sachsen. Es gibt Momente, da verzweifle ich darüber, dass ich mehr Fragen als Antworten habe. Leipzig nimmt in Sachsen eine gewisse Sonderstellung ein, dennoch müssen wir uns keine Illusionen machen, das Potenzial ist auch hier da. Wir alle leben in unserer Blase, auch ich als Kulturpolitikerin und Mensch. Vieles von dem, was in Sachsen geschieht, weist über Sachsen hinaus, hängt damit zusammen, dass sich sehr viele Menschen offenbar über Jahre hinweg nicht hinrei-


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der Stolz von ’89 nach. Diese Kollektiverfahrung, dass wir als Stadtgesellschaft etwas bewegen konnten, was über unsere Stadt hinausging, hat viele Menschen hier geprägt. Sie haben sich als wirksam erfahren. Und als die Pegida-Abgesandten in Leipzig „Wir sind das Volk“ skandierten, da fühlten sich die Leipziger mehrheitlich heraus­ gefordert, ihr „Erbe“ zu verteidigen? Ich kann das für mich so sagen. Ich gehöre nicht zu der Generation, die ’89 auf die Straße ging und „Wir sind das Volk!“ rief, aber ich empfinde das als Missbrauch. Und diese Stadt, die sehr stark von der Kultur lebt, wie es der Taxifahrer sagt, ist sensibel für ­solcherlei Missbrauch. Kultur ist immer ein Moment des Austauschs, des Dialogs, der Verständigung, des Miteinanders, da geht es ­darum, Anlässe zu schaffen für Gespräche, für Aus­einan­ der­setzungen, für Kritikfähigkeit. Dieses zivilisatorische Moment, das wird hier in Leipzig vielleicht, mit aller Vorsicht, etwas intensiver gelebt als im Rest von Sachsen. Weiter würde ich nicht gehen, da brauche ich Sie als Soziologen.

Wer ist das Volk? – In Leipzig will man das Erbe der Montags­ demonstrationen von ’89 gegen Missbrauch von rechts schützen, hier ein Lichtfest am 9. Oktober 2010. Foto dpa

chend wahrgenommen gefühlt haben in ihrem Impuls, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen, ihre Vorstellung vom Leben umzusetzen, die an Grenzen stoßen, nicht gehört werden. Das gilt auch für Leipzig. Aber zugleich gibt es hier ein großstädtisches Flair, wir sind noch keine Metropole, aber immerhin eine der größten Städte Ostdeutschlands. Gerade eben hat mich der Taxifahrer gefragt, wohin ich will. „Ach, zu Frau Jennicke! Ja, die kennt man hier, wir sind ja eine Kulturstadt.“ Das freut mich zu hören. Wir sind eine Bürgerstadt, eine Handelsstadt, eine Messestadt. Das ist in der DNA Leipzigs tief verankert, und dazu gehört schon seit jeher, seit mindestens achthundert Jahren, Austausch. Und ein mutiger, zupackender Gestus, zu sagen: „Ich mach was draus! Ich geh mal los und schaue, ohne zu fragen, ob ich öffentliches Geld kriege, ohne zu fragen, was daraus wird.“ Der ist möglicherweise hier in Leipzig etwas ausgeprägter als beispielsweise in Dresden, in einer traditionell höfischen, kulturaristokratisch geprägten Stadt. Dann wirkt, glaube ich, auch

Wie Sie es gerade gesagt haben: Man muss es nicht idealisieren. Im Augenblick erfahren wir, dass es die AfD nun geschafft hat, zur stärksten Partei im Osten Deutschlands zu werden mit Sachsen an der Spitze der Bewegung. Ich selbst bin zeitig aus Dresden weggezogen, aber was mir immer wieder auffällt, wenn ich dorthin komme, ist ein sehr besonderes Kulturverständnis. Das hat seine Wurzeln im 18. Jahrhundert, da feierte ein politisch ohnmächtiges Bürgertum desto emphatischer die „Kulturnation“. Der Gegensatz zu Preußen verstärkte diese Betonung noch. Als hätte man Kultur gleichsam für sich gepachtet. Von da ist es nicht weit zur „Nationalkultur“ als Alleinstellungsmerkmal: wir, die Dresdner, mitsamt unserer Kulturtempel, als Bewahrer deutscher Eigen­art für alle Deutschen, als Verteidiger der besten Traditionen des ganzen Abendlands gegen die Gefahr der Islamisierung. Das griff ­Pegida auf. Und blieb in Leipzig ohne Resonanz. Die Leipziger lebten stets in Reibung mit Dresden, traditionell, historisch gesehen, und das hat eine motivierende Wirkung. In Dresden herrschte der klassische Impuls des Bürgertums, sich am Adel zu orientieren und daraus seine Energie und Identifikation zu ziehen. In Leipzig ergab sich daraus der gegenteilige Effekt: es denen in Dresden zu zeigen, sich permanent in Bewegung zu befinden, etwas schaffen zu wollen. Daraus entsteht eine größere gesellschaftliche Agilität, Aktivität und vielleicht auch Widerstandsfähigkeit. Ich habe den Eindruck, viele Leipziger wollen sich nicht vereinnahmen lassen. Der Widerstand stiftet kollektive Identität. Sie verteidigen ihre Heimatstadt gegen den sächsischen Ruf. Zudem sind wir eine sehr junge Stadt. Das städtische Leben ist von jugendlicher Dynamik und Innovationsfreude geprägt. Auch das könnte ein Moment sein, warum Pegida hier k ­eine Chance hat. Wenn man so ein Amt innehat – mit welchen Erwartungen sieht man sich konfrontiert in einer Stadt, die einen ausgeprägten Bürgersinn besitzt, ein weltoffenes Kulturverständnis? Wie wird man insbesondere als linke Kulturpolitikerin wahrgenommen?

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protagonisten

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Nur so sind Reibung, Widerstand, vielleicht Fortschritt möglich – Die von Manaf Halbouni aufgestellten Buswracks in Dresden, sagt Skadi Jennicke, machen den gesellschaftlichen Diskurs sichtbar. Foto dpa

Jeden Tag werde ich mit Erwartungshaltungen konfrontiert, und die häufigste Erwartungshaltung ist – das ist vielleicht auch der Bogen zu den Fragen vorher: „Nimm mich wahr in dem, was ich mache, und unterstütze mich.“ Das ist die klassische Erwartungshaltung, mit der jeder Politiker konfrontiert wird, zu Recht, wie ich finde. Meine Aufgabe ist zuvörderst, diese vielfältigen Ansprüche in einen Ausgleich zu bringen. Da hilft oft nur Ehrlichkeit, auch zu sagen, was nicht geht. Darüber hinaus verstehe ich mein Amt so, dass ich kulturpolitische Impulse setze, und die werden dankbar aufgenommen – als Reibungsfläche, Widerstand. Das ist auch ein Risiko; ich könnte mich auch aufs Reagieren beschränken. Das wäre das Erwartbare im Politikbetrieb. Ich glaube aber, dieses Risiko einzu­gehen wird anerkannt. In der Kultur wollen immer alle mehr Geld. Meist berechtigt. Ich nehme das stets sehr ernst, aber „mehr Geld“ geht häufig nicht. Und dann antworte ich, ohne dem Kern ausweichen zu wollen, mit zwei Gedanken. Meine erste Reaktion beinhaltet selten die Frage, wie ich Geld besorgen kann, sondern ich überlege, wie ich dem Akteur helfen kann, sich selbst zu ­helfen. Mein zweiter Grundimpetus ist: Schau mal, wir sind eine Kulturstadt! Wir brauchen nicht zwingend mehr Angebote, sondern lasst uns das, was ist, gemeinsam besser machen. Wir bewerben uns nicht als Kulturhauptstadt Europas, weil wir diesen E ­ ntwicklungsschub, den man sich davon erhofft, auch diese Integrationswirkung nach innen vielleicht nicht so brauchen. Nicht quantitativ, und ich wage zu behaupten, auch nicht in der Qualität. Was in Leipzig entwicklungsfähig ist, ist die Zusammenarbeit, Kooperation, Vernetzung, Synergie im besten (nicht im Konsolidierungs-)Sinne. Das hilft am Ende allen, davon bin ich überzeugt. Es ist ein zweischneidiges Schwert, Kulturhauptstadt zu werden. Die Musealisierung folgt auf dem Fuße, mitunter. Leipzig hat ein qualitativ und quantitativ überdurchschnittliches Kulturangebot. Wir brauchen nicht zwingend Aufwuchs, sondern unsere Stärke ist die Innovation innerhalb der Strukturen als

­agesgeschäft. Das ist unsere Leipziger Identität, T ­gelernt als Bürger-, Handels- und Messestadt. Kulturpolitisch heißt das: strukturieren, bündeln, fokussieren – ein ganz wichtiger Punkt für mich ist, Akteure zusammenzubringen. Ich empfinde das als essen­ziell, denn es ist leider ein Phänomen, dass sehr viele allein unterwegs sind. Das können Institutionen oder Menschen sein. Sich wechselseitig nicht hin­reichend wahrzunehmen, ist auch im Kulturfeld sehr verbreitet. Kulturpolitisch gestalten heißt auch, Menschen an einen Tisch zu bringen. Da stellt man sehr schnell fest, dass die Unterschiede als Distink­ tionen subjektiv große Bedeutung für den Einzelnen haben. Ich habe das erlebt, ganz konkret, als ich die Intendanten der Eigenbetriebe mit den Akteuren und Sprechern der freien Szene an einen Tisch gebracht habe. Über ein Jahr dauerte dieser Prozess, und er ist nicht abgeschlossen. Ein Verständnis für die Eigenlogik der jeweils anderen Institutionenform zu entwickeln ist ein steiniger Weg und setzt Offenheit voraus. Das geht bis in die sprachlichen Gewohnheiten hinein. Solcherlei Prozesse – der konkreten Verständigung über Institutionen- und Systemgrenzen hinweg – in Gang zu setzen, ist eine zentrale Aufgabe von Kulturpolitik. Das Ziel ist dabei nicht die Auflösung dieser Grenzen, wohl aber gegenseitiger Respekt, Anerkennung. Nur auf dieser Basis ist Kooperation ­ möglich. Wie umfänglich ist das Amt einer linken Kulturdezernentin in ­einer solchen Stadt wie Leipzig? Wie groß ist der Handlungsspielraum für eigene Entscheidungen? Ich würde mal sagen, dass man als Linke definitiv schärfer beobachtet wird und sich weniger Fehler erlauben kann. Aber ich ­mache sukzessive die Erfahrung, dass man mit Offenheit, Transparenz und Aufrichtigkeit nicht wenig erreicht. Ich höre dann oft: „Was, die ist in der Linken? Komisch.“ – Traut man einer Linken nicht zu. Was genau? Pragmatismus vielleicht, Zielstrebigkeit, Verbindlichkeit, Ergebnis­ orientierung. All das wird in der Wahrnehmung offenbar weniger mit Links verbunden. Und dann kommt noch dazu, dass ich eine Frau bin. Doppelbeobachtung also: Linke und Frau? Ja. Wenngleich ich Diskriminierung als Frau im Amt bislang ­wenig erlebt habe. Aber ja, man wird schärfer beobachtet. Als ­linke Politikerin deutlich mehr. Der Ideologieverdacht ist immer da und wird bei kleinsten Fehlern als bestätigt angesehen. Aber dann gibt es auch das Überraschungsmoment: „Die ist von den Linken? Passt gar nicht, die ist ja gar nicht so schlimm!“


leipzig

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Und sagt man sich da: Wie, war ich zu pragmatisch, eine Linke muss da doch zupackender sein? Kann das zu Reibungen mit dem eigenen politischen Milieu führen? Doch, das kann schon dazu führen. Auch die Mitglieder der eigenen Partei haben eine sehr niedrige Toleranzschwelle. Und sie sehen zuweilen zu wenig, dass politische Verantwortung zu übernehmen deutlich mehr heißt, als aus der Opposition heraus Forderungen zu formulieren.

MAILLON THE ATE R STR AS S BURG E UROPÄI SCHE BÜHNE

MAILLON .EU

Es könnte also sein, dass sich die eigene Partei, die einem letztlich den Rückhalt für das Amt gegeben hat, nicht stark genug vertreten fühlt. Ich denke, dass es bestimmt Linke hier in Leipzig gibt, die mich im Amt für zu wenig links halten. Was zeichnet linke Kulturpolitik sachlich aus? In einem Gespräch, das ich mit dem Berliner Kultursenator Klaus L ­ ederer für die ­Februarausgabe von Theater der Zeit geführt habe, gab dieser, ­speziell mit Blick auf die Künste, zur Antwort: Nichteinmischung in die Inhalte. „Ich stelle Infrastrukturen zur Ver­fügung“, lautete sein knappes Fazit. Ich würde es positiver formulieren und sagen, zu einem linken Kulturbegriff gehört das Bestreben, Menschen zu ermächtigen, Kultur zu machen und Kultur zu erleben, und das ist ein bisschen mehr, als nur Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen. Es gehört auch ein Kulturbegriff dazu, der Vielfalt einschließt. Das ist, wenn man sich die kulturpolitischen Programme anderer Parteien ­anschaut, nicht selbstverständlich. Gibt es da keinen Konsens? Es gibt die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt, die ist bindend, aber wie ich sie lebe und wie ich sie befördere, macht den Unterschied. Viel liegt in der Haltung zur Kultur selbst, im Verständnis von Kunst und Kultur. Ich betrachte Kunst und ­Kultur als etwas, das in enger Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Prozessen steht und nicht nur den schönen Schein bedient und aus reinem Ästhetizismus existiert. Das darf es auch geben, aber ich schließe gesellschaftlich engagierte Kunst und Kultur in meinen Kulturbegriff ein. Kultur ermächtigt und emanzipiert politisch denkende und das heißt zunächst dem demokratischen Konsens verpflichtete individuelle Persönlichkeiten. Kultur und Kunst befördern die Dialog- und Wandlungsfähigkeit der Gesellschaft. Sie ermöglichen positive Erfahrungen mit Veränderung – ein e­ssenzielles Moment in einer Welt, die Veränderung und Innovation zum Normativ erklärt und oft vergisst, wem beide dienen (sollten). Kunst als Raum, in dem Gesellschaft verhandelt wird, zugänglich zu ­machen – was denn sonst? Und vor allem: Was wäre die Alternative? Die Kirche ist es im Osten als bindendes Element nicht mehr. Mehr Felder, wo das geht, gibt es doch gar nicht! Wo verhandle ich denn Gesellschaft, ohne dass ich mich selbst in ­Gefahr bringe? Interventionen wie die von Manaf Halbouni aufgestellten Buswracks in Dresden vor der Frauenkirche machen den gesellschaftlichen Diskurs doch sichtbar und ­ kenntlich. Nur so sind Reibung, Widerstand, Überwindung, vielleicht Fortschritt möglich.

LES SPÉCIALISTES

LE VENT DE LA RÉVOLTE Émilie Rousset FR Uraufführung

MY REVOLUTION IS BETTER THAN YOURS Sanja Mitrović RS

BERLIN – SYMPHONIE D’UNE MÉTROPOLE Ruttmann/Tronthaim DE

HYMN TO LOVE Marta Górnicka PL

EINS ZWEI DREI

Martin Zimmermann CH

LEONCE UND LENA Thom Luz CH Frankreichpremiere

RED HAIRED MEN

Alexander Vantournhout BE

BACCHANTES – PRÉLUDE POUR UNE PURGE

Marlene Monteiro Freitas CV, PT

DANS LA PEAU DE DON QUICHOTTE La Cordonnerie / Métilde Weyergans, Samuel Hercule FR

WINTERREISE

Kornél Mundruczó / Proton Theatre HU Orchestre philharmonique de Strasbourg Frankreichpremiere

LE BRUIT DES ARBRES QUI TOMBENT Nathalie Béasse FR

BEYTNA

Omar Rajeh / Maqamat LB

NÄSS (LES GENS) Fouad Boussouf / Compagnie Massala FR, MA

ÇA DADA

Alice Laloy FR

DANS LE PAYS D’HIVER Silvia Costa FR, IT

HUMANOPTÈRE Clément Dazin FR

GOB SQUAD’S KITCHEN CHRONIQUES (YOU’VE NEVER D’UNE RÉVOLUTION HAD IT SO GOOD) ORPHELINE Gob Squad DE, GB Frankreichpremiere

REQUIEM POUR L.

Fabrizio Cassol, Alain Platel, les ballets C de la B BE

£¥€$

Alexander Devriendt / Ontroerend Goed BE Frankreichpremiere

Leyla-Claire Rabih FR

RVP - RITUEL MOTOMACHIQUE François Chaignaud, Théo Mercier FR

PAKMAN

Post uit Hessdalen BE

AUSSERDEM

EMPIRE

Ausstellung

THE WAY SHE DIES

UN SIÈCLE SANS ENTRACTE

OPTRAKEN

ATELIERS EN SCÈNE

Milo Rau CH Tiago Rodrigues / tg STAN BE, PT Galactik Ensemble FR

Une histoire du Wacken, 1924-2019

MAILLON.EU +33(0)388276181

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protagonisten

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Skadi Jennicke, geboren 1977 in Leipzig, ist Kulturbürgermeisterin von Leipzig und Beigeordnete für Kultur. Bevor sie in die Politik ging, studierte sie Dramaturgie in Leipzig und promovierte in Halle. Ihre Doktorarbeit „Theater als soziale Praxis. Ostdeutsches Theater nach dem Systemumbruch“ ist bei Theater der Zeit erschienen. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst als Dramaturgin unter anderem am neuen theater Halle ­sowie am Schauspiel Leipzig. Da­rüber hinaus unterrichtete sie an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig. Ab 2009 war Jennicke Mitglied der Ratsversammlung der

Bezug auf die Trennschärfe linker Kulturpolitik schon mal vorausdenken. In einer solchen gesellschaftlichen Konstellation würde ich mich auch gewählt fühlen mit einem Parteibuch. Nicht für das Parteibuch, aber mit einer gesellschaftlichen Haltung, die Rückgrat und Intervention als Demokratin auch außerhalb des reinen Ver­ waltungshandelns fordert. Und das muss man dann immer im Einzelfall abwägen. Solche Situationen wird es geben. Im M ­ oment finden sie noch eher auf personenbezogener, nicht künstlerischer Ebene statt. Auch in Leipzig leben Künstler, die sich rechts ­äußern. Das führt schon zu Konflikten, ja. Aber sie sind wichtig – sie zwingen zu Entscheidungen, vor allem die Künstlerinnen und Künstler des Umfelds.

Stadt Leipzig sowie Stellvertretende Vorsitzende und kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Stadtrat Leipzig. 2016 wurde sie zur Kulturbürgermeisterin gewählt. Foto Stadt Leipzig

Reibung hilft der Debatte auf die Sprünge, unbedingt. Dieses ­Credo der Nichtintervention verstehe ich ja in gewisser Weise. Das ist ein Unterscheidungsmerkmal zur Kulturpolitik der Neuen Rechten. Wo immer diese zu Einfluss gelangt, interveniert sie inhaltlich und personell. Missliebige Leute werden abgesetzt, ­ ­Institutionen gezielt unterfinanziert oder ganz geschlossen. Vielleicht kann sich linke Kulturpolitik aber auch deshalb auf diese Position zurückziehen, weil man intuitiv annimmt, dass die ­Kulturschaffenden eh links sind und in ihrer Mehrheit ohnehin Projekte machen, die das linke, linksliberale Selbstverständnis ­bedienen. Wo man gar nicht in die Lage kommt, zu sagen, das finde ich jetzt aber problematisch, hier muss ich eingreifen. So weit sind wir in Deutschland nicht oder noch nicht. Oder? Doch. So etwas findet aber selten auf rein künstlerischer Ebene statt. Wir haben hier einen stadtbekannten Musiker, der sich offen für die AfD engagiert, auch Berater von Frauke Petry war. Letztlich kann man nur zivilgesellschaftlich dagegenhalten. Also doch: Nichtintervention. Das Grundgesetz mit seinen Freiheitsrechten, also auch der Kunstfreiheit, würde ich immer schützen wollen. Immer auch im Sinne der Andersdenkenden. Es ist noch kein beherrschendes Thema hierzulande, aber vor dem Hintergrund jüngster politischer Entwicklungen darf man in

Kaserne

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26.11. Propagandagespräche von Boris Nikitin Macht und Verwundbarkeit II – Rita Norma Schulthess (EXITFreitodbegleiterin)

Die deutsche Gesellschaft befindet sich mitten in einem Prozess der Repolitisierung, und das Momentum ist eindeutig ­aufseiten der Neuen Rechten. Lange haben die Menschen im Osten ihren Unmut über den Gang der Dinge seit dem Umbruch der Linken anvertraut. Nun denken viele: Das führt zu nichts. Diese Linke ist in einem Nullsummenspiel gefangen. Sie gewinnt im urbanen Raum und im Westen und verliert im länd­lichen Raum und im Osten. Da müssen wir eben einen Gang zulegen, um endlich ­Gehör zu finden. Das ist ein gefährlicher Prozess, weil er das Zeug zum Selbstläufer hat: Wir hören nicht eher auf, als bis wir diesen Staat in die Knie gezwungen haben. Menschen zurückzugewinnen, die sich auf diesen Weg begeben haben, ist alles andere als leicht. Dennoch muss man es versuchen, mit allen zu Gebote s­ tehenden Mitteln, gerade auch kulturellen, geistigen. Das interessiert mich an der Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht, die wir hier gar nicht eingehend diskutieren müssen. Kann Kulturpolitik irgend­ etwas bewirken bei Leuten, die gleichsam von der Fahne gegangen sind? Kann man deren manifeste Unzufriedenheit auf­ greifen und zugleich entgiften? Ich hoffe. Indem ich diesen Menschen, wie allen anderen, die ­Erfahrung ermögliche, wirksam sein zu können. Das suchen sie sich ja in ihrem rechten Umfeld. Sie erleben sich dort als sehr wirksam. Viele Pegida-Anhänger und Neue Rechte haben auch ganz clever die Mechanismen herausgefunden, auf die alle ­moralisch anspringen. Das ist ein Wettbewerb der Reflexe, der sich manchmal so überbietet, dass man gar nicht mehr weiß, von welcher Seite welche Symbolik gebraucht wird. Ich hoffe, wir strahlen als Stadt, ich als Person, wir als Verwaltung aus:

13.11.–24.11. 14.11. Sebastian Nübling Imarhan & junges theater basel Konzert Sweatshop – Deadly Fashion

www.kaserne-basel.ch


leipzig

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Auch ihr seid g ­ emeint, die Stadt ist für alle da, und ob ihr in ­soziokulturelle Zentren geht, ob ihr euch am Straßenfest beteiligt – ihr seid die Stadt. Die Zivilgesellschaft ist in Leipzig sehr stark, wir haben Bürgervereine, wir haben Stadtteilvereine, wir haben in allen Stadtbezirken Stadtfeste, das ist nicht das übliche Fressbudenfest, sondern tatsächlich etwas, wo sich die Menschen aus der Nachbarschaft mit originellen Ideen zusammenfinden, e­ inen Flohmarkt organisieren oder eine Band aus der Nachbarschaft zusammenstellen. Das sind alles Momente der Gemeinschaft, und diese Momente müssen die Menschen eigen­ verant­wortlich herstellen. Dazu muss man sie ermächtigen. Ich möchte, dass jeder Leipziger diese Art von Erfahrung machen kann. ­Daran glaube ich. Ob es funktioniert? Ich weiß es nicht. Wir sprachen vorhin darüber: Emanzipation und Ermächtigung meint, dass ich unter Kultur nicht nur Oper und Thomanerchor verstehe, sondern dass ich den Anspruch habe, dass jeder Leipziger, egal welcher Herkunft, welcher Religion, welchen ­ Geschlechts oder Alters, die Möglichkeit hat, an Kultur teil­ ­ zuhaben. Und zwar nicht als Luxus, sondern als eine Erfahrung, die das Potenzial hat, den Einzelnen so zu berühren, dass sie ihn verändert. Ob es am Ende reicht, das müssen Sie mich in zehn Jahren fragen. Ich weiß es nicht, ich glaube aber daran. Noch ein Wort zu den ökonomischen Bedingungen kultureller Teilhabe. In einer Stadt mit Mieten ähnlich denen in München sind die Kulturproduzenten selbst zum großen Teil außen vor. Sie können sich das Leben inmitten der Stadt einfach nicht leisten und werden an die Ränder verdrängt oder genötigt, woanders zu leben und zu arbeiten. Berlin ist der nächste Kandidat auf der Liste jener Städte, die für Normalverdiener unbewohnbar werden. Dasselbe bei den Gewerbemieten. In Leipzig läuft die Entwicklung wohl in dieselbe Richtung. Ja, noch nicht flächendeckend, aber es beginnt auch hier. Kann man da auf kulturellem Gebiet gegensteuern, oder steht man diesem Vorgang schlicht ohnmächtig gegenüber? Na ja, das ist eine stadtentwicklungspolitische Aufgabe, wo es ­keine einfachen Rezepte gibt, am Ende stehen Sie immer vor der Eigentumsfrage. Ganz recht. Man sieht sich den heiligen Rechten des Eigentums gegenüber … Wem gehört die Stadt? … und muss mit ansehen, wie der finanzialisierte Kapitalismus über spekulative Strategien Städte in den sozialen Tod treibt, was unfassbar ist. Ja. Und wer Kapital hat, hat Zeit. Und die Zeit arbeitet für den Profit. Und dann denkst du, mein Gott, jetzt spult der Prozess ins 19. Jahrhundert zurück, die soziale Hauptfrage ist abermals die Wohnungsfrage, und nächstens werden wir wieder zu Nomaden, die von Quartier zu Quartier ziehen und für Kultur weiter keine Zeit erübrigen können, das ist doch irre. Ja, das ist irre. //

JOËL LÁSZLÓ DIE VERSCHWÖRERIN Entstanden im Rahmen des Autorenförderprogramms «Stück Labor» am Theater Basel

URAUFFÜHRUNG AM 02. NOVEMBER 2018, THEATER BASEL, KLEINE BÜHNE Regie: András Dömötör Mit freundlicher Unterstützung von: Pro Helvetia, Ernst Göhner Stiftung, Société Suisse des Auteurs, Prof. Otto Beisheim Stiftung, Fondation Jan Michalski

www.theater-basel.ch/verschwoererin www.stuecklaborbasel.ch

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protagonisten

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Meckern und Motzen Das Theater der Jungen Welt in Leipzig bietet ein rebellisches Programm und hält auch sonst nicht viel von Anpassung von Paula Perschke

E

ines Abends. Es ist Mitte September, die letzten warmen Sonnenstrahlen verabschieden sich hinter dem blendend weißen Gebäude des Theaters der Jungen Welt (TdJW) in Leipzig. Ein ­typischer Spätsommer, etwas geht zu Ende, so fühlt es sich an. Was sich dieser melancholischen Stimmung positiv abgewinnen lässt, ist der Beginn einer neuen Spielzeit. Für Theaterliebhaber ohnehin die schönste Zeit im Jahr. Das Theater der Jungen Welt ist das älteste Kinder- und ­Jugendtheater der Bundesrepublik. Seit 2003 ist es am Lindenauer Markt zu Hause, einem Ort, an dem das Ursächsische auf das junge und moderne Leipzig trifft. Wie ein Schloss thront das Haus, das seit 2002 unter der Intendanz von Jürgen Zielinski steht, an seinem schier unverrückbaren Platz. Der Eingang ist an diesem Abend nur schwer zu passieren, kleine Trauben Jugendlicher stehen dichtgedrängt in der Tür. Im Foyer selbst: aufgeregtes Gewusel. Saft- und Sektgläser klirren, Parfumwolken liegen in der Luft. Es ist Premierenabend, der erste in dieser Spielzeit. Ältere Menschen, kleine Menschen, junge Menschen, Gruppen – sie alle wollen heute „Norway.Today“, den Jugendtheaterklassiker von Igor Bauersima (Regie Philipp Oehme), im kleinen Saal des Theaters erleben. Die Stimmung im Raum ist auf beiden Seiten, Bühne und Publikum, durchgängig frenetisch und gleichzeitig hochkonzentriert. Humor, Tragik, Leidenschaft: In dieser Inszenierung ist alles zu finden, was einen Theaterabend anregend macht. Das coole Punkgirl Julie trifft auf ihr ­tra­ditionelles Feindbild: einen spießigen Nerd namens August. ­Zusammen will das ungleiche Duo mal eben nach Norwegen ­reisen, um ihren jungen Leben frühzeitig ein Ende zu setzen. Sie merken zum Glück schnell, dass nicht die Unterschiede sie ­verbinden, sondern ihre Gemeinsamkeiten. Also vergessen die beiden ihren Todeswunsch und feiern eine Party für das Leben, rebellisch und selbstbestimmt. Seither sind ein paar Wochen vergangen. Mittlerweile hat sich der Sommer ganz verabschiedet, es regnet und ist noch früh am Morgen, als sich wieder Scharen junger Menschen im Theaterfoyer tummeln. Vermutlich eine Schulklasse. Ein seltsames Gefühl, unter so vielen Teenagern zu sein, die leicht genervt in der Ecke rumlungern, mit ihren Kaugummis schmatzen und auf ihre Art Unberechenbarkeit ausstrahlen. Werden sie unangenehm laut lachen? Lieber auf ihre Handys als auf die Soloperformance von

Anke Stoppa schauen? Im Saal, nur wenige Momente später, spielt die Schauspielerin eindrucksvoll und gleichsam emphatisch ihre Rolle der Hannah in „Regarding the Bird“ von Nitzan Cohen in der Regie von Jürgen Zielinski. Es ist schon seltsam, dass ­Jugendliche unter ständigem Tatverdacht stehen, wenig Interesse an Theater zu zeigen. Vermutlich, weil sie umgeben sind von ­einer Aura der ungebrochenen Coolness. Das Stück beginnt, ein 45-minütiger Monolog über das Asperger-Syndrom, bei dem die Betroffenen autistische Züge und starke Schwierigkeiten in sozialer Interaktion aufweisen. Von einem unberechenbaren Publikum ist an diesem Theatermorgen keine Spur zu finden. Vielmehr ­Betroffenheit, hier und da ein herzliches Lachen, sich peinlich ­berührt zeigen, wenn eine Sexszene beschrieben wird, oder ein kleines Abducken, wenn die Schauspielerin durch die Reihen läuft, um ein Handyfoto ihrer Tante zu zeigen. Das Thema ist sensibel, der Zugang dabei klug gelegt. Das Thema der neuen Spielzeit heißt „Zum Glück!“, und was draufsteht, ist auch drin, freut sich Intendant Zielinski. Das Motto soll schließlich bildhaft und assoziierbar sein. Die Suche nach dem Glück hat an diesem Haus viel mit Fantasie zu tun. So flog bereits der liebenswerte anarchische Held „Peter Pan“ (Regie Jürgen Zielinski) – die zweite Premiere der Spielzeit – direkt in die Herzen der Zuschauer. Das Besondere am Theater der Jungen Welt ist aber nicht allein die Tatsache, dass hier sehr sorgfältig darauf geachtet wird, welche Stoffe für die jeweilige Spielzeit infrage kommen, sondern auch, wie häufig gespielt wird. Mit 750 Vorstellungen pro Jahr ist das TdJW in der Stadt Leipzig der Kulturbetrieb mit der höchsten Aufführungsrate. Kein Wunder, bei zehn bis zwölf Neuproduktionen pro Jahr und gleichzeitig 38 Produktionen im Repertoire lassen sich Vormittage, Nachmittage und auch die Abende ausgiebig füllen. Das Theater ist dabei nicht nur für Kinder- und Jugend­ liche da, sondern versteht sich mittlerweile als Theater für alle. Die unterschiedlichen Inszenierungsformate, die Vielfalt der Sparten Puppenspiel, Tanz, Schauspiel sowie zahlreiche interna­ tionale Gäste – daraus lässt sich die klare Haltung des Hauses ­ableiten. Intendant Zielinski und seinem Team ist es wichtig, nicht die Augen vor der Welt zu verschließen. Eine Positionierung gegen rechts versteht sich dabei von selbst. Der leidenschaftliche und engagierte Theatermacher begreift das Haus außerdem als Ort der politischen Bildung. Bereits 2015 inszenierte er beispielsweise Willi Fährmanns „Der überaus starke Willibald“ als Puppentheaterstück. Die Geschichte handelt von politischer Verführbarkeit und Macht, übertragen auf ein Rudel Mäuse.


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Doch nicht nur programmatisch sollen die Türen zum kritischen und selbstbestimmten Denken hin geöffnet werden. „Theater muss raus aus dem Turm, dahin, wo es wehtut.“ Als Konsequenz daraus entstand in diesem Jahr ein neues Format, das „Meckerwelttheater“ – ebenfalls ein Einfall Zielinskis. In Zusammenarbeit mit dem Leipziger Marktamt und anlässlich des Jahres der Demokratie 2018, begaben sich die Schauspieler Dirk Baum und Sven Mattke, zusammen mit einem Team (bestehend aus Regisseur Christian Georg Fuchs, den Dramaturgen Winnie Karnofka und Sebastian Schimmel und dem Ausstattungsassistenten Carsten Schmidt), auf die Leipziger Märkte, um allen Interessierten ein Podium zum Meckern und Motzen zu bieten. Zunächst erfolgte eine Recherchephase, in der Bürgerinnen und Bürger gefragt wurden, was sie an ihrer Lebenssituation nervt und was sie daran ­ändern wollen würden. Im zweiten Teil des Projektes, welches sich über zwei Monate und insgesamt sechs verschiedene Orte erstreckte, wurden die dokumentierten Meckereien in comic­ artiger Manier vom „Sachsen-Shäriff“ aka Der Kasper auf einer kleinen, provisorisch wirkenden Puppentheaterbühne auf den Märkten verkündet. Doch nicht nur neue Formate und ein vielfältiges Programm sind wesentlicher Bestandteil des Hauses. Die „Brücken“, so Zielinski, „müssen in jede Richtung geschlagen werden“. Nach 1989 fehlte es dem Theater an Internationalität. Stück für Stück wurde diese Lücke schließlich geschlossen. Ein wichtiger und ständiger Kooperationspartner ist Israel. 2009 zeigte das TdJW die erfolgreiche Theaterinstallation „Kinder des Holocaust“, ein Projekt, bei dem persönliche Berichte von Überlebenden den Assoziationen heutiger Jugendlicher zum Holocaust gegen­ ­ übergestellt wurden. 2010 gastierte die Produktion in Krakau, in

Anarchischer Held – „Peter Pan“ (hier mit Benjamin Vinnen) in der Regie von Jürgen Zielinski. Foto Tom Schulze

­erzlia (Israel) und wurde außerdem zum Heidelberger H Stückemarkt eingeladen. Mit Winnie Karnofka, der Dramaturgin, stellvertretenden Intendantin und Künstlerischen Leiterin internationaler Kooperationsprojekte, gewann das Haus 2013 zudem eine passionierte Mitarbeiterin. So viel Programm und die vielen Ideen müssen bewerkstelligt werden, Pause machen ist bei Zielinski und seinem Team erst einmal nicht drin. Seitdem das freie Theater LOFFT, das als langjähriger Mieter im TdJW eine Spielstätte betrieb, ausgezogen ist, um sich seinem Neustart in der angesagten Baumwollspinnerei zu widmen, ist wieder ein Raum zum Bespielen frei geworden. Der Platz soll genutzt werden, schließlich geht jetzt der „Kampf um die Weihnachtsgans“ los. Das traditionelle Weihnachtsstück steht an, was vielen Theatern dazu dient, die Kassen zu füllen. Zielinski jedoch ist sich sicher: „Nicobobinus oder Die verwegene Reise ins ferne Land der Drachen“ von Katrin Lange nach dem Kinderbuch von Terry Jones (diesmal in der Regie von Boris von Poser) wird der Weihnachtsknaller. Klassische Märchen kann schließlich jeder aufführen. Die autonome Struktur des Hauses ermöglicht ein solch leidenschaftliches, ja, punkig buntes Programm. Im Theater wird schon das nächste Bühnenbild aufgebaut, parallel dazu ­findet eine Beleuchtungsprobe statt. Winnie Karnofka und die Dramaturgin Birgit Lindermayr sind bester Dinge. „Unser Theater muss auf Augenhöhe stattfinden!“, konstatiert Karnofka und verabschiedet sich, während Maneki-neko, die japanische Glückskatze, von den Spielzeitheften winkt. //


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Die geschenkte Mauer Nachtrag zum Khrzhanovsky-Projekt von Friedrich Dieckmann

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erlins Verkehrssenatorin Regine Günther“, schrieb die Süddeutsche Zeitung am 28. September, habe „erneut eine Genehmigung des geplanten Mauerbau-Kunstprojekts DAU in diesem Jahr ausgeschlossen“, und fügte an: „Für die Prüfung eines solchen Großprojekts habe die Zeit gefehlt.“ Hat man daraus zu schließen, dass das Damoklesschwert des Khrzhanovsky-Projekts noch einmal über der Stadt schweben könnte? Wer dem Chef der Berliner Landesregierung nach dem ersten Bekanntwerden des geflissentlich geheim gehaltenen Vorhabens brieflich seinen Protest vortrug, erfuhr aus der Berliner Senatskanzlei, dass der Regierende Bürgermeister das Projekt als spannend bezeichnet habe. Es sei wichtig, dass „junge Menschen wenigstens ein kleines Gefühl von der Enge und Macht­losigkeit bekommen, die viele Menschen in der damaligen DDR erleiden mussten“; das Projekt solle „daran erinnern, wie schlimm Unfreiheit sein kann und dass diese Gefahr bis auf den

heutigen Tag nicht gebannt ist“. Vor allem aber sei es „die verfassungsrechtlich garantierte Kunstfreiheit“ gewesen, die im Vordergrund der Befürwortung des Projekts gestanden habe. Hier liegt, auch im Blick auf die mögliche Wiederholung solcher oder ähnlicher Projektanträge, der springende Punkt, also bei der Frage, ob es sich bei der befristeten Einmauerung eines besonders kostbaren, über Jahrzehnte hin mit enormem Aufwand wiederaufgebauten zentralen historischen Areals zwecks Abhaltung von Filmaufführungen und freiwilligen Überwachungseinübungen wirklich um Kunst gehandelt hätte. Die andere Frage ist, ob, falls es sich um Kunst handeln sollte, die Kunstfreiheit bei der Inanspruchnahme eines öffentlichen Raums von maximaler Bedeutung nicht über Sicherheitsfragen hinaus eine elementare Grenze an der Zugangs- und der Sichtfreiheit in dem betreffenden

PR durch einen Neubau der Berliner Mauer? – Morgengymnastik im DAU-Projekt des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky. Foto Orlova Studio


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Raum haben müsste. Das ist die F ­ rage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Es müsste sich schon um Kunst von einer mit den umstellten Gebäuden vergleichbaren, unstrittigen Bedeutung handeln, um eine so weitgehende Beeinträchtigung zu rechtfer­tigen. Dies war bei dem sogenannten DAU-Projekt keineswegs der Fall, ja es ist fraglich, ob, was sich hier abspielen sollte, überhaupt unter einen wie weit immer gefassten Kunstbegriff zu ­subsumieren gewesen wäre. Die nähere Betrachtung muss dies verneinen. Was hier geplant war, war eine das Stadt­innere rücksichtslos in Mit­leidenschaft ziehende Public-Relations-Aktion, um ein Film­ projekt, das in der ausschweifend-voyeuristischen D ­ oku­mentation einer theatralisch-fiktiven S ­ ituation besteht und von dessen Qualität sich bisher niemand ein stichhaltiges Bild machen konnte, zu pushen, wie es in der ­Werbesprache heißt, mit den Finanzmitteln eines Mannes, der in dem anarchischen Russland der neunziger Jahre ein riesiges Vermögen erwarb und sich durch megalomane Kulturprojekte offenbar eine Art gesellschaftlicher Reputation verschaffen will. Muss man im Blick auf diesen nebulösen Groß­ spender von einem Versuch moralischer Geldwäsche sprechen? Er wäre zu Lasten einer Stadt gegangen, deren Naivität die Betreiber vorausgesetzt und auf deren Eventsüchtigkeit sie spekuliert haben. Ob die sorgfältig geheim gehaltenen Filme (700 Stunden, 13 Spielfilme und mehrere Serien) in ihrem voyeuristischen Naturalismus auch nur einem Minimum künstlerischen Anspruchs gerecht werden, ist von keiner unabhängigen Instanz geprüft worden und völlig ungewiss; von dem Regisseur ist bisher nur ein einziger Film bekanntgeworden. Seine DAU-Filme der Öffentlichkeit bekanntzumachen, würde es genügen, durch die hinter dem Projekt stehende Londoner Firma Phenomen Trust ein Berliner Kino für ein Jahr anzumieten (das von einer Bürger­initiative gerettete und betriebene Delphi in Weißensee käme dafür in Frage) und die F ­ ilme dort der Reihe nach zu zeigen. Für ihre Uraufführung einen realen Nachbau der Berliner Mauer ins Werk zu setzen, aus Beton­ elementen von 2,75 Tonnen Gewicht, die mit ­Kränen auf dem empfindlichen Berliner Bürgersteig abgeladen worden wären, nicht irgendwo, sondern um einen zentralen Teil des ­wiederaufgebauten Stadtkerns, darunter die durch die Fahrlässigkeit – ein mildes Wort! – der Baubehörden schwer beschädigte Friedrichswerdersche Kirche, und die Besucher zu veranlassen, beim Eintritt ihre Identität ab­zugeben und zu Laiendarstellern eines ­ ­ undurchsichtigen Filmprojekts zu werden – ­ dieses Vor­ haben war eine Groteske von so extremem Narzissmus und einer so rücksichtslosen Brutalität, dass die Ambition der Veranstalter, Totalitarismus erlebbar zu ­machen, auf ihr Vorhaben zurückfiel: dieses war an sich selbst totalitär. Auch darum konnte es keinen Kunstanspruch erheben. Wenn ein investigativer Journalist sich in ein Gefängnis einsperren ließe, um dort unter selbstgewählten Bedingungen spezifische Erfahrungen zu machen, dann könnte die Reportage, die er hinterher darüber schriebe, einen – durchaus begrenzten – Kunstanspruch geltend machen, nicht aber das Projekt selbst. Wenn er sich in ein fiktives Gefängnis hätte einsperren lassen, wären auch seine Berichte wertlos. Damit ein wie immer geartetes Gebilde Kunst sein kann, im Gegensatz zu einem Werkzeug, zu einem Gespräch, einem Herstellungsvorgang, bedarf es des Abstands zum Betrachter. Ohne Distanz zu dem Ergebnis, ohne die Wahr-

nachtrag zum dau-projekt

nehmung aus einem Abstand, der den Befund: Das ist Kunst, oder: Das könnte Kunst sein, erst ermöglicht, gibt es keine Kunst. Als ein Protagonist der Moderne eines Tages im Jahre 1917 unter dem Titel „Fountain“ ein Pissoir signierte, stellte er diesen Abstand durch seine Signatur her; mit ihr löste er das Objekt aus seinen Realbeziehungen aus und deklarierte es, den Abstand des anderen Blicks schaffend, als Kunstobjekt. Diese Distanz­ voraussetzung aller Kunst sollte in dem K ­ hrzhanovsky-Projekt bewusst zunichtegemacht werden, und die Prätention des Urhebers bestand darin, dass eben dies, also ­„Immersion“ als Aufhebung der Kunst-Voraussetzung, von der düpierten Öffentlichkeit als neue Kunst akzeptiert werden sollte. Man kann hier von einem Taschenspielertrick großen Stils sprechen, nahe an jenem Taschenspieler- und Betrugswesen, das im Innern der sich propagandistisch, also pseudoartifiziell aufblähenden Diktaturen des 20. Jahrhunderts umging. Ein Drittes kommt hinzu: das Moment suggestiver ­Geschichtsklitterung. Der Nachbau der Berliner Mauer um das kulturhistorisch wertvolle Gelände suggeriert, dass die hinter dieser Schranke fiktiv erneuerten ­Lebensverhältnisse, angelehnt an die des kernphysikalischen Forschungsinstituts des sowjetischen Nobelpreisträgers Lew Landau (1908–1968), eine Ähnlichkeit mit dem ­Leben der Bevölkerung in der DDR hätten. Das ist eine fantastische Irreführung. Das ­Leben der Kernphysiker und ihrer Mitarbeiter in dem geheimdienstlich abgeschirmten ­Areal um ihr Institut war ein räumlich eng b ­ eschränktes (der Nachbau bei Charkiw u ­ mfasste 0,01 Quadratkilometer), zugleich führten die Beteiligten ein besonders privilegiertes, in vieler Hinsicht ­luxuriöses Dasein, nicht viel anders als das der deutschen Mitwirkenden an dem sowjetischen Atomprojekt, das wir aus deren Erinnerungen kennen. Landaus Arbeits- und Lebensweise wird auch nicht wesentlich verschieden gewesen sein von dem geheimdienstlich streng überwachten Dasein der Mitarbeiter am Manhattan-Projekt der US-Army in Los Alamos in der Wüste von New Mexico. Es liegt zutage: Jede Geisterbahn eines kleinstädtischen Vergnügungsparks kann in der unverstellten Ehrlichkeit der von ihr angebotenen „Immersion“ einen höheren kulturellen Wert geltend machen als diese von einem russischen Oligarchen finanzierte Attacke auf das historische Berlin. Der bestürzte Bürger konnte sich vier Wochen lang fragen: Wenn es so leicht ist, mit einem immanent totalitären Projekt von pseudokünstlerischer Ambition Berlins wiederhergestellte kulturelle Mitte vier Wochen lang gegen den Widerstand der Anwohner zu okkupieren – wie steht es dann mit der Widerstandskraft des Gemeinwesens im ­Falle realer Bedrohungen? Die weise Entscheidung der Sicherheitsverantwortlichen in Senat und Bezirk hat solche Fragen ­gegenstandslos werden lassen. Sie hat das Bild der Stadt davor ­bewahrt, in der Weltpresse mit Fotos und Fernsehbildern zu erscheinen, die den Anschein erweckt hätten, Berlin treibe mit den äußeren Formen einer schmerzhaft in sein Dasein einschneidenden und nach fast drei Jahrzehnten wie durch ein Wunder auf­­­ gelassenen Grenzbefestigung eine Art ­Geschichtsspielerei. Es gilt, mit allem Nachdruck darauf hinzuwirken, dass das KhrzhanovskyProjekt damit ein für alle Mal aus dem Bannkreis der deutschen Hauptstadt verschwunden ist. //

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Aber uff uns hört ja keener! Oder doch? Die Rixdorfer Perlen erörtern in ihrer Stammkneipe Zum Feuchten Eck in Berlin-Neukölln begnadet komisch und anarchisch den Lauf der Welt von Renate Klett

ie sind schnoddrig, quietschkomisch und sentimental, haben das Herz auf dem rechten, also linken Fleck und die Berliner Schnauze so voll, dass sie überläuft. Die Rixdorfer Perlen sind drei Freundinnen knapp unter/über vierzig, die in ihrer Stammkneipe Zum Feuchten Eck in Berlin-Neukölln den Lauf der Welt, die Liebe, das Leben allgemein, die Schnäpse und Neukölln im Besonderen erörtern. Für alles finden sie einvernehmliche Lösungen, „aber uff uns hört ja keener!“. Das Publikum schon. Es lacht und johlt und kriegt sich kaum mehr ein. Doch das beeindruckt die Damen nicht. Es ist sowieso das falsche Publikum – „Zu viele Brillenträger heute“ –, schließlich machen sie Kieztheater. Ihr Kiez ist natürlich der beste und umarmt alle Nationalitäten, nur die aus LichterfeldeWest haben es schwer. Und auch ein mütterliches „Du, der ist aus Westdeutschland, sei nett zu ihm“ kann ziemlich vernichtend sein. Marianne Koschlewski (Britta Steffenhagen), Besitzerin der Kneipe, macht ihr Lokal angesichts der Hipster-Invasion, die den Kiez überschwemmt, zur Wärmestube für die Erniedrigten und Beleidigten und zur Bastion althergebrachter Neuköllner Traditionen und Trinkfestigkeit. Ihre Freundinnen Jule (Inka Löwendorf), Animierdame mit der Sehnsucht nach der großen Liebe, und Miezeken (Johanna Morsch), Putzfrau mit dem Sinn fürs Praktische, helfen ihr nach Kräften – und uns Ignoranten gleich mit. „Angefangen hat alles vor zehn Jahren in einem Ladenlokal in der Braunschweiger Straße Ecke Richardstraße – das war der allererste Heimathafen Neukölln“, erzählt Inka Löwendorf. „Julia von Schacky und ich haben immer schon viel Musik zusammen gemacht. Wir wollten Altberliner Lieder singen, die vom Aussterben bedroht sind, und haben dafür auch Johanna und Britta angefragt. Durch die Auswahl der Lieder und unsere Gedanken dazu entstanden allmählich die Charaktere. Die Idee war geboren.“ Regisseurin Julia von Schacky ergänzt: „Das ist so typisch wir: Liederabende machen wollen, aber nicht singen können! Ohne Johanna mit ihrer wunderschönen Stimme wär’ das nichts geworden.“ Im Ladenlokal, später in der alten Neuköllner Post, spielten sie ab 2007 Altberliner Possen wie „Alle haben Angst oder Die Hasen von der Hasenheide“ von 1827 oder knüpften an die frivolen Lieder des Rixdorfer Vergnügungsviertels zu Beginn des 20. Jahrhunderts an. Als 2009 die Ausschreibung für die Neubelebung des Saalbaus Neukölln als Spielstätte für „niederschwelliges Theater“ lief, beteiligten sie sich gemeinsam mit anderen Frauen mit ihrem „Wir sind Volkstheater!“-Konzept. Das Frauenkollektiv bekam den Zuschlag, der Heimathafen einen festen Ort, und die Perlen waren nicht mehr aufzuhalten. Heute sind sie Kult bis hin nach Zehlendorf, ihr lokales Stammpublikum bleibt ihnen trotzdem treu. Weil sie die einen wie die anderen lieben, haben sie eine Berliner Grundphilosophie entwickelt, und die geht so: „Wir wissen alle nicht, was wir hier sollen, deshalb können wir es uns doch gemeinsam richtig schön machen, die täglichen Irritationen zusammen aushalten und mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf unser aller Existenz schauen.“ Das Feuchte Eck ist wie gemacht für diesen Über-Blick. Wenn Wirtin Marianne geduldstreng Auskunft gibt: „Wir öffnen jeden Morgen pünktlich um 15.30 Uhr“, dann schwebt ihre Tonlage zwischen Amtsdeutsch und Telefonseelsorge. Jule


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macht derweil gutaussehende junge Männer im Publikum an, sodass der ganze Saal spürt, wie denen leicht mulmig wird. Miezeken ist da verhaltener, hält es mehr mit Staubtuch, Schnaps, Gießkanne und laktosefreier Scheuermilch. Die drei würden gern die Welt retten, also üben sie schon mal in Neukölln. Was aber geschieht, wenn plötzlich der Investor in der Türe steht? Friedberg Klauke, „der Donald Trump von Lichterfelde-West“, will ebenfalls Neukölln retten, nur eben anders: Gourmettempel statt Eckkneipe. Großalarm! Mit Solidarität, Schnaps und Schnauze wird dieser Angriff vereitelt, aber leicht ist es nicht. Marianne droht: „Wenn der hier reinkommt, kette ich mich an meinen ­Tresen und trete in den Hungerstreik. Bei meinen Reserven kann das jahrelang dauern.“ Das war 2014, als noch niemand ahnen konnte, wohin Klaukes Vorbild mutieren würde. Aber den brutalen Aufstieg des NY-Tycoons hätten wohl selbst die NK-Amazonen nicht verhindern können. Auf den Abend „Zum Feuchten Eck an der Sonnenallee“, der mehrere Wiederaufnahmen erlebte, folgte 2016 „Die Rixdorfer Perlen packen aus“. Da wollen die drei endlich mal Urlaub machen, eigentlich in der Türkei, dann entscheiden sie sich doch für Spanien. „Wir fahren erst wieder in die Türkei, wenn der Präsident dort Cem Özdemir heißt.“ Doch wieder einmal kommt alles anders als geplant. Grund ist ein Paketzusteller aus Wien, der unter der Ausbeuterknute des Piefke-Gewerbes stöhnt und bei Marianne Zuflucht sucht. Sie hat ihm ein Zwischenlager eingerichtet für all die Pakete, die er nicht schafft. Nun nutzt sie die Gelegenheit, sie ans Publikum zu verteilen, damit die Zuschauer sie in ihren jeweiligen Bezirken zustellen können. Aber es gibt noch jede Menge weiterer Verwicklungen, die dem Urlaub ent­ gegenstehen. Das Stück existiert auch in einer Weihnachtsvariante, die naturgemäß besonders böse ist, jedoch auch die Hoffnung auf ein Happy End für Miezeken in Aussicht stellt. Wie bei jeder Serie mit festen Charakteren nimmt man ­Anteil an deren Entwicklung (siehe den anderen Berliner KiezRenner „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“). Seit dem frühen Stück „Die Rixdorfer Perlen retten die Welt“ (2010) haben sich ­Situationskomik und Charakterstudien immer mehr zugespitzt oder wilde Haken geschlagen und die Schauspielerinnen haben sich immer inniger mit ihren Rollen identifiziert. Ob bei „Fête d’ Lametta“, berlinerisch: „Fette Lametta“, im Jahr zuvor oder bei „Schuss mit Lustig“ (ebenfalls 2010), wo sie einen Neukölln-Reiseführer für Schwaben und Spanier entwickeln wollen. Die drei schaffen es, sich immer wieder neu zu erfinden und sich dabei doch treu zu bleiben. „Ich wollte immer schon die Nutte spielen“, platzt Inka Löwendorf heraus, „und ich bin glücklich, dass ich das jetzt für die nächsten zwanzig Jahre machen kann. Dazu die tollen Kostüme, die ich tragen darf! Und die High Heels! – Ich liiiebe High Heels, das sag’ ich viel zu selten.“ Da lachen die Kolleginnen und erfinden gleich eine Bekenntnis- und Erkennungsmelodie. Sie spielen sich die Bälle zu, ob beim Interview oder bei der Probe – so schnell kann man gar nicht zuhören, geschweige -sehen, wie das Ideen-Pingpong hier hin und her fliegt. Es ist diese Lust am Erfinden und Aus­ malen, am Miteinander-Spielen und Aneinander-Wachsen, das den Aufführungen das handfest versponnene Flair gibt, dem sich niemand entziehen kann. Johanna Morsch sagt: „Als ich mit dem

die rixdorfer perlen

Keine Angst vor Niemand! – So wie das neueste Stück der Rixdorfer Perlen (oben) könnte man auch die Grundeinstellung der drei Neuköllner Amazonen nennen (linke Seite, v.l.n.r. Britta Steffenhagen, Inka Löwendorf und Johanna Morsch). Fotos Verena Eidel

Gesangsstudium fertig war und mich entscheiden musste, ob ich jetzt zur Oper will oder zum Heimathafen, musste ich nicht lange nachdenken. Hier kann ich alles selbst entscheiden, niemand sagt mir, wie ich singen muss – es ist herrlich!“ In ihrem neuen Stück „Keine Angst vor Niemand!“, das am 6. Oktober Premiere hatte, räumen sie sich lustvolle Soli ein, in denen sie ihre jeweilige Befindlichkeit zelebrieren. Auch wird sehr viel mehr gesungen als in den letzten Aufführungen. Das ­alles ist begnadet komisch und hinreißend, kann aber nicht verbergen, dass sie diesmal kein richtiges Thema haben. Der (überlange) erste Teil hüpft von Sketch zu Sketch, von Nostalgie über das Berlin nach dem Mauerfall zur Wut darüber, was daraus geworden ist, und zurück zur Nostalgie über die Aufbruchsstimmung der frühen neunziger Jahre. Vieles ist improvisiert, soll es sein, aber die Erinnerungen, Anekdoten und guten Vorsätze liegen wie leere Elektrokabel im Raum herum, weil der Atem zu kurz ist und die Entwicklung nicht stringent genug. Klar, dass sie da noch nachlegen werden. Der zweite Teil reißt es jetzt schon raus. Da wird die Idee der „BVG für umme“ weitergesponnen, und das aufs Feinste, so wie man es von den Perlen gewohnt ist: witzig, hintergründig und unbeirrbar. Die Logik ist schlagend: Wenn wir jeden Fahrkartenautomaten zukleben, müssen alle schwarzfahren, ob sie wollen oder nicht. Am köstlichsten ist die Szene vom versuchten Anruf bei der BVG-Verwaltung, in der Felix Raffel, alter Wegbegleiter der Perlen und formidabler Pianist, die telefonische Warteschleife mit einer Schmerzkurve von „Für Elise“ bis zur „Königin der Nacht“ hochtreibt. Die Verabredung für die Klebeaktion gilt: Jeden Dienstag ab 15 Uhr am U-Bahnhof Hermannplatz. Von da sind’s nur zwei Stationen zum Heimathafen, die schafft man zur Not auch zu Fuß. //

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Massenpanik Für einen, der im Hässlichen die Schönheit erkennt – Zum 80. Geburtstag von Herbert Achternbusch von Pınar Karabulut


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M

eine erste Begegnung mit Herbert Achternbusch hatte ich ganz klassisch durch die Münchner Kammerspiele. Die Inszenierungen seiner Stücke waren immer ausverkauft. Ich erinnere mich, dass bei meinen Münchner Freunden der Name Achternbusch oft fiel, und immer wenn ich fragte, über wen sie sprachen, brach eine halbe Massenpanik aus, wie ich IHN nicht kennen könne, IHN aber doch sicher schon mal auf der Straße gesehen hätte. Mit meinen 21 Jahren hatte ich überhaupt keine Ahnung. Ich war eine Zugezogene aus dem Rheinland, die damals zu Hause nur nieder­ ländisches Fernsehen geguckt hatte. Achternbusch klang für mich im ersten Moment auch sehr niederländisch … Also bestellte ich mir all seine Texte, besuchte die Inszenierungen, die zu der Zeit liefen, suchte seine Filme zusammen, und ich begann, mich zu verlieben. In die Stadt München, die bayerische Mentalität und diesen grantigen alten Mann, der in Bayern nicht einmal gestorben sein möchte. Ich war – und bin es heute noch – fasziniert von Herbert Achternbuschs Erzähltechniken, seinem anarchischen Umgang mit Figuren und Texten. In meiner Münchner Zeit hatte ich mir oft vorgenommen, ein Achternbusch-Stück für meine erste Regiearbeit zu inszenieren. Allerdings war meine erste Inszenierung nicht in München, sondern am Schauspiel Köln, wo ich die Idee schnell wieder verwarf. Als dann das Angebot kam, am Münchner Volkstheater meine erste Regiearbeit in München zu realisieren, tauchte plötzlich dieser Diamant auf: „Dogtown Munich“. Ein Text, welcher länger in Achternbuschs Schublade lag, bevor er veröffentlicht wurde. Das Stück spielt mit Begegnungen am ­ Münchner Marienplatz, einer herabsteigenden Maria und erzählt von einer vergessenen Stadt namens Argos, die mehr mit dem Autor zu tun hat, als ihm lieb ist. Wie in einem schlechten Witz inszenierte eine rheinische Regisseurin mit ihrer ostdeutschen Ausstatterin eine Liebeserklärung eines Ur-Münchner Autors an München mit einer öster­ reichischen Schauspielerin, einem Franken, einem Karl-ValentinLiebhaber und – einem Münchner. Puh, Glück gehabt! In der Probenzeit sprachen wir viel über München und das Leben in dieser Stadt, unternahmen anthropologische Forschungen

herbert achternbusch

am Marienplatz, schauten gemeinsam Achternbuschs Filme, um seinen Humor zu verstehen und ein Gefühl für seine Kunst zu bekommen. Tatsächlich sprachen wir auch über Karl Valentin und Achternbuschs Liebe zu ihm. Oft, wenn wir den Text lasen, riss es die Spielerinnen und Spieler von den Stühlen. Sie schmissen sich bei den Leseproben aufeinander und in die Welt hinein. Da war sie schon, die Achternbusch-­ Anarchie, sie steckte so tief im Text drinnen, dass sie rausmusste. Wir probten sehr körperlich und intensiv. Ich kann gar nicht mehr sagen, in wie viele kleine Szenen wir die 21 Seiten Text eingeteilt haben. Die Inszenierung wurde zum Abriss bayerischer Kuriositäten, gespickt mit Achternbusch-Liebeserklärungen (immerhin flogen Schweiß, Sauerkraut, Kunstblut und Biertischkruzifixe durch die Gegend). Wir hatten keine Chance, aber wir nutzten sie. Meine erste Begegnung mit Achternbusch hatte ich in seinem Wohnzimmer. Seine Tochter Judit öffnete uns die Tür und begrüßte uns freundlich. Herbert Achternbusch stand in der Küche und empfing uns mit seinen großen Augen und einem freudigen Lächeln. Wir setzten uns ins Wohnzimmer, wo alle Wände mit Achternbuschs Zeichnungen bemalt und mit Familienfotos dekoriert sind. Ich kann nicht mehr genau sagen, worüber wir sprachen, aber sein Lächeln und seine Augen vergesse ich nie. Es war eine wirklich besondere Begegnung. Diese Ausstrahlung und Magie seiner Augen waren so ­intensiv, dass wir völlig in Bann gezogen wurden. Bei unserer ­Begegnung habe ich ihn als sehr lustigen, aufgeschlossenen und immer noch politisch sehr schlauen Autor wahrgenommen. Achternbusch ist ein Mensch, der im Hässlichen eine Schönheit erkennen kann, egal ob die einer Stadt oder eines ­Menschen. //

Mit Schweiß, Sauerkraut und der Heiligen Maria – Die Regisseurin Pınar Karabulut brachte am 12. Februar 2017 am Volkstheater München „Dogtown Munich“ von Herbert Achternbusch (hier mit Julia Richter) zur Uraufführung. Fotos Gabriela Neeb/dpa (oben)

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Look Out

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Von diesen KünstlerInnen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern.

Energie und Unruhe Der Dresdner Schauspieler Moritz Kienemann bannt in seinem Ausdruck die Essenz einer Inszenierung

H

inter Moritz Kienemann liegt ein Jahr, das er selbst als überwältigend bezeichnet. Seit der Spielzeit 2017/18 ist er ­Ensemblemitglied am Staatsschauspiel Dresden, er kam nach Sachsen, nachdem er zwei Jahre in seiner Heimatstadt München am Volkstheater gespielt hatte. Kurz davor hatte er die Schauspielausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin abgeschlossen. Es blieb in dem einen Jahr nicht viel Zeit zum Innehalten. Moritz Kienemann prägte die wichtigen Inszenierungen der neuen Intendanz unter Joachim Klement: „Weg ins Leben“ unter Volker Lösch, „Erniedrigte und Beleidigte“ in der Regie von Sebastian Hartmann und als Höhepunkt Ulrich Rasches „Das große Heft“. Nach seiner ersten Saison am Haus bekam Moritz Kienemann den Erich-Ponto-Preis „für herausragende künstlerische Leistungen“, den der Förderverein des Theaters alle zwei Jahre vergibt. Was für ein Start für den 28-Jährigen. Und doch versucht Moritz Kienemann auch zu relativieren. „Es gibt wenig unstetere Dinge als das, was Erfolg genannt wird“, sagt er. Es habe ihn überrascht, dass er gleich so spannende Rollen spielen durfte – er, der eigentlich ja gerade erst von der Schauspielschule kommt, ein Anfänger ist. „Ich kam her mit dem Wunsch, zu zeigen, was ich gelernt habe. Ich bin sehr froh, dass ich das auch kann.“ Moritz Kienemann spielt mit maßloser Energie. Fast vier Stunden geht „Das große Heft“, Rasches monumentale Inszenierung nach dem Roman von Ágota Kristóf. Auf zwei großen Drehscheiben marschieren die ausschließlich männlichen und jungen Spieler. Kienemann ist einer der beiden Darsteller, die am häufigsten auf der Bühne sind, ein Teil des roten Fadens. Er spielt mit gekrümmtem Rücken, die Schultern hochgezogen zur Verteidigungshaltung. Ein Kind, das von seiner Mutter getrennt wurde und nun Terror und Gewalt ausgesetzt ist und das in diesem Schmerz selbst zum Gewalttäter wird: Kienemann bannt in seinem entsetzten Gesicht die Essenz einer ganzen Inszenierung.

Den Text, fast durchgängig im Chor gesprochen, schleudert er heraus, bellt, spuckt. Wer „Das große Heft“ sieht, vergisst diesen Schauspieler nicht so schnell. Wenn man Kienemann trifft, wirkt er viel kleiner als auf der Bühne, fast jugendlich. Er sagt: „Als ich nach der Premiere von ‚Das große Heft‘ von der Bühne ging, sind mir erst mal die Knie weggebrochen. Ich bekam einen Heulkrampf, und ich stürzte nur nicht, weil mich ein Kollege auffing.“ Er schiebt es auf die intensive Probenzeit mit Ulrich ­Rasche, inzwischen sei „Das große Heft“ gar nicht mehr so anstrengend. Heftiger sei „Erniedrigte und Beleidigte“, die Dostojewski-Inszenierung von Sebastian Hartmann. Die Schauspieler haben dort keinen festen Ablauf, sie spielen auf Basis von Rollen-, Themen- und Text­ blöcken, die sie auf der Bühne improvisieren. „Es ist ein wunderbarer Abend! Aber ich verausgabe mich meistens gleich zu Beginn so stark, dass ich am Ende völlig ausge­ powert bin“, sagt Kienemann. Er, der einst zum Theater kam, weil seine Mutter ihn „unausgelastet“ fand, scheint sich nicht viel um eine vernünftige Kräftebalance zu scheren. Im Gespräch hält er seine Hände nie still, lacht laut, sein Blick verliert sich. „Ich habe nichts gegen meine Unruhe. Ich hoffe, ich behalte sie noch eine Weile.“ Ein junger Schauspieler, ganz frisch in Dresden, kommt an den aktuellen politischen Debatten nicht vorbei. „Ich bin schockiert und fasziniert davon, was hier in Sachsen passiert“, sagt er. Im Vergleich zu Dresden komme ihm Theater in München manchmal wie ein netter Luxus vor. „Die Zuschauer fanden gut, was gemütlich blieb. Hier habe ich das Gefühl, dass das Theater eine Relevanz hat.“ // Moritz Kienemann. Foto Stefan Klüter

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Johanna Lemke

Moritz Kienemann ist unter anderem wieder am 3. und 4. November in „Das große Heft“ sowie am 30. November in „Erniedrigte und Beleidigte“ am Staatsschauspiel Dresden zu sehen.


Look Out

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Seltsame Menschen Die Münchner Schauspielerin Mathilde Bundschuh besetzt auf schlichte Weise das Zentrum jeder Bühne

ie wirkt offen und verletzlich; ihre weit auseinanderstehenden Augen sehen ungeschminkt gleich weniger riesig aus, und die Längen ihrer braunen Haare werden von ihrem petrolfarbenen Pullover geschluckt. Auf die Frage, ob sie sich als Neue bei allen am Haus vorgestellt habe, entgegnet sie fast entschuldigend: „Ich bin doch nur Mathilde! Und ich bin sehr schüchtern.“ Weder Mathilde Bundschuhs Erscheinung noch ihr Wesen drängen sich auf. Doch sie ist ungeheuer präsent, auch im Gespräch. Und wenn sie lächelt oder lacht, dann steckt darin die freundliche Einladung, es gemeinsam zu tun. Auch die Figuren, die sie spielt, ziehen einen unaufdringlich zu sich heran. Man glaubt, was sie sagen. Den Rest liest man in Bundschuhs Gesicht, das sich auch sehr fein im Stummfilm machen würde. Oft liegen darin die widersprüchlichsten Emotionen dicht beieinander. Dann wieder ist es ganz blank und leer, eine wächserne Maske. Am Münchner Residenztheater, wo Bundschuh 2016 gleich in ihrem Erstengagement gelandet ist, spielte die damals erst 21-Jährige zum Einstand eine enorm selbstbewusste Lady Marian im Weihnachtsfamilienstück ­„Robin Hood“ und zwei Rollen (Malcom und eine der Hexen) in Andreas Kriegenburgs finsterem „Macbeth“. Ein spannendes Wechselbad für einen Theaterneuling, auch wenn dieser ein ­alter Schauspielhase ist: Den ersten Werbeclip hat sie mit acht Jahren gedreht, spielte jahrelang in der KiKa-Reihe „Krimi.de“ und überhaupt „viel im Öffentlich-Rechtlichen“. 1994 in Plauen geboren, wuchs Bundschuh in Berlin auf und war sich schon mit zwölf Jahren über ihre Zukunft im Klaren. Nach der zehnten Klasse verließ sie das Gymnasium. Und weil ihr Vater selbst Schauspieler ist – „die alte Ostschule mit ihrem Lob auf das Handwerk“, sagt sie –, riet er ihr und ihrem Bruder: „Wenn ihr diesen Beruf wirklich machen wollt, dann studiert.“ Also gingen beide an die Hochschule für Musik und Theater Rostock.

Mathilde Bundschuh. Foto Stefan Klüter

S

In Nikolaus Habjans Inszenierung von Marivaux’ „Der Streit“ feierte Bundschuh im Januar 2018 ihr Debüt als Puppenspielerin. Allein die Art, wie sie sich hinter Habjans Figuren fokussiert, ist ein zweites Ansehen wert. „Dass ich die Puppe vorschicken kann, für sie arbeite und sie für mich, das habe ich total genossen“, schwärmt Bundschuh. „Endlich hatte ich einmal nicht das Gefühl wie sonst oft auf ersten Proben: Uah, jetzt stehe ich hier und hab plötzlich Hände! Hinter einer Figur zu verschwinden, ist eigentlich das Schönste.“ Ganz anders in Ivica Buljans Ins­ zenierung von Jean Genets „Der Balkon“: Dort ist Bundschuh bis zur Pause die weiseste und würdevolls­te Hure der Theatergeschichte, danach der könig­ liche Gesandte, der die Puff-­Gesellschaft als Würdenträger inszeniert und damit die Revolution erstickt. Andere sind auffälliger, exhibitionistischer unterwegs an diesem Abend. Sie aber hält das Zentrum besetzt auf diese souveräne, schlicht wirkende Bundschuh-Weise, die auch in den emotionalsten Momenten ohne Pathos auskommt. Wonach sie strebt? „Im Studium“, sagt sie, „wurde immer von Durchlässigkeit gesprochen“. Ihr aber sei „Ehrlichkeit“ lieber. „Menschen sind so seltsam“, sagt sie fast staunend und preist das Theater als „Ort der Kommunikation, an dem man sich auf besondere Weise sich selbst stellen kann. Auch wenn das das Allerschwerste ist: Kommunikation!“ In München steht Mathilde Bundschuh am Beginn ihres dritten und letzten Jahres. Sie sieht die Zeit am Resi als ­„Geschenk“, hat sich aber entschieden, mit zwei befreundeten Kollegen zurück nach Berlin zu ziehen und vorerst frei zu arbeiten. „Ich will mal wieder meinen Kopf aufmachen. Und mein Herz. Durchatmen! Und Austausch. Das ist wertvoll, immer!“ // Sabine Leucht Mathilde Bundschuh ist unter anderem wieder am 4. November in „Macbeth“ sowie am 9. und 22. November in „Der Streit“ am Münchner Residenz­ theater zu sehen.

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/ TdZ November 2018  /

Zeitschrift für Theater und Politik

Abo-Vorteile

Künstlerduell: Thomas Thieme und Falk Richter / Skadi Jennicke und Wolfgang Engler über Leipzig / Kolumne Josef Bierbichler / Neustart Mannheim / Kunstinsert: Die neue Ernst-Busch-Hochschule

Als Abonnent von Theater der Zeit kommen Sie in den Genuss zahlreicher Vorteile. Sie erhalten:

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November 2018 • Heft Nr. 11

jährlich 10 Ausgaben von TdZ das Arbeitsbuch als Doppelausgabe im Sommer IXYPSILONZETT – Das Magazin für Kinder- und Jugendtheater (3 Ausgaben / Jahr) double – Das Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater (2 Ausgaben / Jahr) Sonderbeilagen wie TdZ Spezial und weitere Inserts nur EUR 85,00 / Jahr (Deutschland)

kostenfreien Eintritt bei TdZ-Veranstaltungen, siehe theaterderzeit.de/tour (bei rechtzeitiger Anmeldung unter vertrieb@theaterderzeit.de)

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Theater der Zeit November 2018

Digitalupgrade für nur EUR 10,00 jährlich

Haus Rotes Wunder Die neue Potsdamer Intendantin Bettina Jahnke

Archiv Sie haben eine Ausgabe verpasst? Alle Einzelhefte (seit 1946!) sind als PDF erhältlich.

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Digitalabo & App Mit dem Digitalabo lesen Sie Theater der Zeit auf all Ihren Geräten – Smartphone, Tablet, Mac und PC. Zugang zum Online-Textarchiv App (iOS, Android, Amazon) Download als eMagazin (PDF) nur 75,00 EUR  / Jahr

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auftritt

/ TdZ  März    /  / November   2018 2018

Buchverlag Neuerscheinungen

Ende der 1920er Jahre setzt Brecht den Bewahrern des kulturellen Erbes die These vom „Materialwert“ der Kunst entgegen. Er verabschiedet die Vorstellung einer überzeitlichen Dauer der Werke und rät, deren einzelne Teile bedenkenlos „herauszuhacken“ für ihre Wiederverwen­ dung in der Gegenwart. Sein Vorschlag betont den Zeitkern von Kunst und zielt auf eine weitreichende Praxis der Wiederholung, Aneignung und Transformation. Diese bisher kaum reflektierte Theorie und Praxis Brechts wird hier rekonstruiert und auf ihn selbst angewendet.

Recherchen 136 Recycling Brecht Materialwert, Nachleben, Überleben Herausgegeben von Günther Heeg

Ein Spiel wie Schilf: Das Zarte ist das Zähe. So betreibt Christian Grashof seine Kunst. Als träfen sich in einer einzigen Seele Clown und Tragöde. Grashof, der in diesem Jahr 75 wird, gehörte über vier Jahrzehnte zu den prägenden Darstellern des Deutschen Theaters Berlin. In Gesprächen mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt erzählt er sein Leben – vom Arbei­ ter­kind im sächsischen Löbau zu einem Unverwechselbaren deutscher Schauspielkunst. Beiträge von Alexander Lang, Volker Pfüller, Gunnar Decker, Ulrich Khuon sowie zahlreiche Abbildungen dokumentieren die Theater- und Filmarbeit Grashofs.

Christian Grashof. Kam, sah und stolperte Gespräche mit Hans-Dieter Schütt

Paperback mit 228 Seiten ISBN 978-3-95749-120-6 EUR 18,00 (print) . 12,99 (digital)

Hardcover im Schutzumschlag mit 328 Seiten Zahlreiche farbige Abbildungen ISBN 978-3-95749-162-6 EUR 22,00 (print). EUR 17,99 (digital)

Buchpremiere am 28.11.2018, BühnenRausch Berlin

Eine Sammlung frecher und anspielungsreicher Anekdoten

Dan Richter, seit vielen Jahren Impro-Spieler und -Lehrer, erläutert in seinem Praxisratgeber auf anschauliche Art Anfängern, fortgeschrittenen Spielern und Lehrern die Grundlagen des Improvisationstheaters. In dieser jungen Kunst geht es um den Flow, das fließend-synchrone Entstehen von Text, Schauspiel und Inszenierung. Und es geht um Selbst­vertrauen und die Fähigkeit, auf den Partner eingehen zu können, in Proben, Workshops und auf der Bühne.

Der Dramatiker Heiner Müller (1929–1995) war auch ein Meister des Bonmots und der überraschenden, oft listigen Erwiderung – das ist vor allem aus seinen Interviews bekannt. Der Band zeigt Müller nun erstmals als lebendiges Gedankenbild. In der Rückschau von Zeitgenossen und in immer wieder oft und gern kolportierten Anekdoten, die bereits in der kollektiven Erinnerung weitererzählt werden. Miniaturen zu einem Porträt des Künstlers mit Hintersinn.

Dan Richter Improvisationstheater. Die Grundlagen

Heiner Müller – Anekdoten Gesammelt und herausgegeben von Thomas Irmer

Paperback mit 280 Seiten ISBN 978-3-95749-157-2 EUR 16,00 (print) EUR 13,99 (digital)

Paperback mit 112 Seiten ISBN 978-3-95749-121-3 EUR 10,00 (print) EUR 8,99 (digital)

Erhältlich in der Theaterbuchhandlung Einar & Bert oder portofrei unter www.theaterderzeit.de

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Ausharren zwischen Historie und Dystopie – „Tyll“ nach dem Roman von Daniel Kehlmann. Foto Tommy Hetzel

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Auftritt Berlin „Kosa La Vita – Kriegsverbrechen“ von Flinn Works und Quartett Plus 1  Chur „Das Camp der Zukunft“ der Digitalbühne Zürich  Freiburg „Wir sind die Guten (Shoot / Get Treasure / Repeat)“ von Mark Ravenhill  Halle „Nackt über Berlin“ (UA) nach dem Roman von Axel Ranisch  Köln „Tyll“ (UA) nach dem Roman von ­Daniel Kehlmann  Leipzig „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe  Luzern „Kindertotenlieder“ von Gustav Mahler und Matthew Herbert  Mülheim an der Ruhr „Othello“ von William Shakespeare  Senftenberg „Der Sturm“ von William Shakespeare  St. Gallen „Versetzung“ von Thomas Melle


auftritt

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BERLIN Mord und Musik SOPHIENSAELE: „Kosa La Vita – Kriegsverbrechen“ von Flinn Works und Quartett Plus 1 Regie Sophia Stepf Komposition Matthias Schubert Kostüme Tatjana Kautsch

Trümmer von Violinen liegen auf der Bühne. Ihre Hälse ragen heraus, Saiten sind verknäuelt. Ab und an ist ein fast noch intakter Korpus dieses Streichinstruments zu sehen, das in seiner Ästhetik ein Sinnbild von Kunst und Kultur ist, von Sinnenverfeinerung und Sublimierung. Drei Musikerinnen, Katharina Pfänder Zerfetzte Partitur – In „Kosa La Vita – Kriegsverbrechen“ thematisieren Flinn Works und Quartett Plus 1 das Morden der FDLR-Miliz im Kongo. Foto Alexander Barta

(Violine), Kathrina Hülsmann (Bratsche) und

wie auch die anderen Stücke in „Kosa La Vita –

Lisa Stepf (Cello), haben sich vor diesem

Kriegsverbrechen“, dem neuen Dokumentar-

Trümmerfeld aufgebaut. Sie streichen und

musiktheaterwerk der Gruppen Flinn Works

zupfen ihre Instrumente. Sie bilden mit den

und Quartett Plus 1. Die Kooperation nimmt

Performern Konradin Kunze und Simon Zigah

sich eines großen und komplexen Themas an:

eine Art Körperskulptur, eine zum Angriff be-

des ab 2011 in Stuttgart geführten Prozesses

reite Truppe. Was sie spielen, lesen sie von

gegen die in Deutschland lebenden politi-

Zentrum der Bühne. Und von ihnen wandert

Notenblättern ab, die sie am Rücken ihrer Mit-

schen Führer der ruandischen Hutu-Miliz

der Blick zurück zu den intakten Instrumen-

spielerinnen und Mitspieler befestigt haben.

FDLR, die im Nachbarland Kongo mordete

ten der Musiker. Es entsteht ein gewaltiger

Die Töne sind zu Signaltönen mutiert – techni-

und ­ vergewaltigte. Massaker aus dem Jahr

Assoziationsraum.

sche

Morse­

2009 waren Gegenstand des Verfahrens. Der

„Kosa La Vita“ ist das Produkt eines

alphabets. Den Inhalt der Botschaft übersetzen

Mammutprozess, Dauer: 320 Verhandlungs-

Reifeprozesses, der ungewöhnlich ist für freie

Münder und Zungen in einem aufgerauten,

tage, wird bruchstückhaft durch gesungene

Gruppen. Bereits 2013 begannen Flinn

fast atemlosen Flüsterton: „Greif Siedlungen

wie gespielte Passagen nacherzählt. Opfer-

Works und Quartett Plus 1 mit dem Projekt.

und die Zivilbevölkerung an, um eine humani-

aussagen, projiziert als Dokumente, führen

Es folgten zwei Residenzen, unter anderem

täre Katastrophe anzurichten.“ Die Übermitt-

aber auch mitten hinein in den Krieg, in die

bei „flausen“ (einem Stipendiatenprogramm

lung dieser Botschaft dauert sehr lange, denn

humanitäre Katastrophe.

für junge Künstler), doch noch immer war die

Zeichen,

Bestandteile

des

Schubert zieht bei seinen Kompositio-

Produktion nicht fertig. Szenen wurden ver-

Komponiert hat die Passage der Jazz-

nen viele musikalische Register. Die Einfüh-

worfen, teils aus gutem Grund. Solche etwa,

musiker und Komponist Matthias Schubert,

rung in den Prozess, das Verlesen juristischer

so erzählt Lisa Stepf, die die private Perform­­er­

Paragrafen, erfolgt im Brecht-Weill-Duktus.

haltung zum Massaker, zur FDLR zum Thema

Die zerfetzte Partitur – die Musikerinnen

gehabt hätten. Andere, in denen die Zer­

spielen von abgerissenen Zetteln ab; die we-

trümmerung der Geigen das Massaker selbst

nigen Noten werden in den Raum projiziert –

­repräsentiert hätte. Vielleicht wäre dies ein

symbolisiert den lückenhaften Charakter der

starker Moment geworden, vielleicht auch nur

Rekonstruktion der Geschehnisse in Afrika.

verfehlt. Die Truppe um Regisseurin Sophia

Immer wieder stockt das Spiel. So gelingt,

Stepf nahm sich die Zeit, zu entwickeln und

was man kaum für machbar hält: die Ver­

zu verwerfen. „Kosa La Vita“ ist ein Plädoyer

tonung von Massakern. Die strenge Form des

für Künstler, sich die Zeit zu nehmen, die das

Kammerkonzerts wird über weite Strecken

Material braucht, auch jenseits der normalen

des Abends beibehalten. Musikerinnen und

Probenzeit von sechs Wochen, sowie ein Plä-

Performer kehren von ihren szenischen Aus-

doyer für ein modifiziertes Fördersystem, das

flügen immer wieder zu ihren Pulten zurück.

auch Entwicklungsabschnitte unterstützt. //

Theater ohne Darsteller_innen: Poetics of Space Workshop mit TRICKSTER-P 15. bis 17. Februar 2019

www.bundesakademie.de

jeder Buchstabe wird einzeln gesprochen.

Sie lassen Klang auf Wort prallen. Die Worte verbinden sich mit den zerstörten Geigen im

Tom Mustroph

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auftritt

/ TdZ November 2018  /

CHUR Abendland, ade! THEATER CHUR: „Das Camp der Zukunft“ der Digitalbühne Zürich

Illusionen sind zerbrechliche Gefüge, und sie zu zerstören, ist an sich noch keine Kunst. Das Theater hat sich heute alle Mittel dazu erworben, muss aber immer noch sehr genau zielen, damit die einfallenden Luftschlösser nicht alles ringsherum in Trümmer legen, die sich womöglich gleich darauf im leeren Feld neu auftürmen. Bertolt Brecht war einer der vortrefflichsten Schützen. Vor siebzig Jahren

weltbezogener Diskussion schon bald nicht

experimentierte er für kurze Zeit in den

mehr zu unterscheiden ist – sowie zwischen

Schweizer Alpen mit der „Antigone“, woran

Samuel Schwarz und „dem Lukullus“, von

das Theater Chur in diesem Jahr mit dem

dem er dauernd spricht, denn die Figur geht

Festival Brecht! / BB18 erinnert. In diesem

offenbar mit ihm durch.

Die Rückkehr der Despoten – „Lukullus“ der Digitalbühne Zürich (hier mit v.l.n.r.: Luc Müller, Ntando Cele und Reverend Beat-Man). Foto Janosch Abel

Rahmen kuratierte die Digitalbühne Zürich

Claus Peymann ist zu Gast, aber war-

um Samuel Schwarz das „Camp der Zu-

um? Um „einen Kuss vom Berliner Ensem­

„Lukullus“ beginnen. „Was fällt dir ein?“,

kunft“, lud die Brecht-Forscher Jan Knopf

ble“ zu überbringen, „das ich fast zwanzig

ruft noch Ute Haferburg, die Direktorin des

und Werner Wüthrich ein, ermöglichte frei

Jahre lang geleitet habe“ – sagt er. Für ein

Theaters Chur, wo Schwarz jetzt Hausverbot hat.

nach Brecht-Stücken sogenannte Experien-

Gespräch über Brechts Theater – denkt das

ces mit Virtual-Reality-Brillen sowie die Teil-

Publikum. Doch Schwarz will den 81-jährigen

sichtlich irritiert die offene Probe, die Süd­

nahme an einer öffentlichen Generalprobe

Theatermann selbst als vermeintlichen Lukul-

afrikanerin Ntando Cele schöpft ihre ganze

ihres mit der Gruppe 400asa erarbeiteten

lus auflaufen lassen, besitzt aber weder die

große performative Kraft aus, um ebenfalls

Stücks „Lukullus“, basierend auf Brechts

nötige Distanz noch die Gelassenheit dazu.

ein Lukullus zu werden. Schwarz tigert durch

Hörstück über den gleichnamigen römischen

Denn wer weiß, vielleicht hätte Peymann ­diesen

das Theater und gibt per Funkmikrofon An-

Kriegsherrn, der in einem weltlichen Gegen-

Job ja selbst erledigt. Er zitiert nach wenigen

weisungen: mehr hier-, weniger davon, „if you

entwurf zum Jüngsten Gericht von Volksver-

Minuten aus Brechts „Die heilige J­ohanna

are in the mood“. „In the mood …“, stichelt

tretern verurteilt wird.

der Schlachthöfe“, es helfe nur Gewalt, wo

Cele daraufhin, deutet damit an, dass nie-

An zwei Tagen kommen also ein paar

Gewalt herrsche, was Schwarz sofort auf

mand hier mehr wirklich Lust hat auf diese

Handvoll Theaterschaffende in Chur zusam-

Machtmissbrauch im Theater und die G ­ e­walt

zwei Stunden im Theatersandkasten, in

men und bringen sehr viel an Erfahrung und

von Peymanns Regie beziehen will. Dieser

­denen nur einzelne Momente ohne vorherige

Wissen mit, doch vor den Augen der wenigen

lässt sich gar nicht erst darauf ein, Schwarz

Brecht-Exegese verständlich sind. Diese lau-

Zuschauer eskaliert die vielversprechende

schimpft ihn einen „dummen, chauvinisti-

fende Arbeit kann vielleicht wie geplant in

Konstellation, weil zwischen Performance und

schen Fickarsch“ und lässt sein Ensemble mit

den nächsten zwei Jahren noch zusammen-

Challenge my fantasy – more Digitales Labor-Festival

Das

„Lukullus“-Ensemble

beginnt

Ab dem 16. Januar im THEATER AN DER PARKAUE


auftritt

/ TdZ  November  2018  /

wachsen, doch hier entsteht der Eindruck, dass das ganze „Camp der Zukunft“ für

FREIBURG

Schwarz nur ein Präludium war, dessen Durchschaubarkeit es zu verhindern gilt. Wäre diese perpetuierende Lukullus-Perfor-

Hinter rosaroten Mauern

mance hingegen vom Brecht’schen real talk abgegrenzt gewesen – und hätte die Organisation des Wochenendes einen festeren Boden für ein solches Unterfangen geboten –, dann hätten die Illusionen auch ohne größeren Kollateralschaden platzen können. Gerade ­ das wäre dem denkwütenden, 47-jährigen

THEATER FREIBURG: „Wir sind die Guten (Shoot / Get Treasure / Repeat)“ von Mark Ravenhill Regie Bojana Lazić Bühne Zorana Petrov Kostüme Gertrud Rindler-Schantl

Regisseur Schwarz zuzutrauen, der auch in den Stellungnahmen mehrheitlich das Wochen­ ende als gescheitert bezeichnet.

Freiburg, Idylle der Gutmenschen? Hoher

In Formatfragen deutlich abgeklärter

Lebensstandard, überdurchschnittlicher Bil-

zeigen sich Internil aus Berlin. In ihrer apoka-

dungsgrad? Tolerant und weltoffen? Ein Selbst-

lyptischen Info-Performance „Gog / Magog 4:

bild, wie gemacht für Mark Ravenhills verstö-

Europa“ über den Untergang des Abendlan-

rendes Epos aus dem Jahre 2007. R ­ avenhills

des lassen sie das Publikum auf einer Art

Fokus liegt auf dem Krieg des Westens gegen

laminierten Sitzkissen in Menschenfleisch­ ­

den Terror. In seinen ins­ gesamt 17 Mini­

optik Platz nehmen. Dann bricht in verschie-

dramen leuchtet er die Widersprüche unseres

denen Streams eine reißende Flut der (Des-)

westlichen Gesellschafts­ modells gnadenlos

Information los, und es wird deutlich, inwie-

aus: Wie lassen sich die Ideale von Liberalis-

fern diejenigen den Untergang mitgestalten,

mus und Demokratie mit Aggression und Ge-

die ihn (etwa auf YouTube) laut ausrufen. Auf

walt vereinbaren?

die gemeinschaftliche Liturgie und das Lieder-

Das Freiburger Bühnenbild lässt sich

singen folgt später eine meditative Reise in

wie eine Parabel auf die Mauern des Westens

den Tod – die Partizipation bleibt aber unter

lesen. Spielort ist eine Gated Community,

Kontrolle, denn wenn Arne Vogelgesang seine

deren Bewohner sich ihre Sicherheit durch ­

einhundert Fragen zum baldigen Zivilisations-

Abschottung erkaufen. Das Leben in einer

bruch herunterrattert, duldet er keinen Ein-

Blase: Der Innenhof hinter Mauern ist rosarot

spruch und auch keine formulierten Antwor-

eingefärbt, mit Pool, Wellnessbereich und Pal-

ten. Erst läuft das Stück, und dann wird

mengarten. Es bedarf vielleicht des Blickes

darüber gesprochen – womit nicht die ganze

von außen, um diese Thematik so bilderreich

rechnet wir bombardiert? Wir, das sind doch

fleischliche Sitzgruppe an diesem Lagerfeuer-

und stringent umzusetzen. Regie führt die

die Guten. Anfangs dringen Nebelschwaden

abend einverstanden ist. Internil beweisen

serbische Regisseurin Bojana Lazić. Die Ex-

durch die einzige kreisrunde Öffnung in die

damit inmitten einer zweitägigen Theater­

position ihrer Inszenierung bleibt eindeutig:

schützenden Mauern ein, parallel zu den ers-

verwirrung, wie viel man wirkungsvoll zusam-

Wir, die ­Gesellschaft hinter Mauern, haben alles

ten durch Lautsprecher erklingenden Terror-

mendenken kann – beinahe zu viel –, wenn

und ängstigen uns gewaltig. Verständnis für

nachrichten. Die Bewohner versuchen, dieses

dabei ein minimaler Abstand bleibt zwischen

Terroranschläge – wie in der Londoner U-Bahn

Loch mithilfe eines architektonisch passen-

Form, Inhalt, Illusion und Realität. //

zur Entstehungszeit des Stückes – gibt es

den Pfropfens zu stopfen. Als ob das so ein-

selbstredend keines. Warum werden ausge-

fach wäre.

Maximilian Pahl

Hinter der Fassade der Wohlanständigkeit – Anja Schweitzer und Thieß Brammer in „Wir sind die Guten (Shoot / Get Treasure / Repeat)“. Foto Marc Doradzillo

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auftritt

/ TdZ November 2018  /

Dramaturg Michael Billenkamp und Regisseurin Bojana Lazić ist das Kunststück gelungen, aus den vielen Dramoletten Ravenhills eine homogene Fassung zu erarbeiten. Den Schwerpunkt bildet die Innensicht auf das Leben im Privaten. Ravenhills Beziehungs­ dialoge sind in ihrer Kürze und in ihrem Zynismus grandios, diese Stärke kommt in der klugen Freiburger Fassung zur Geltung. Hinter der Fassade der Wohlanständigkeit dominiert der Subtext von Aggression und Egoismus. Die Regie lässt dem Ensemble die Freiheit, existenzielle Abgründe auszuloten. Das Spiel darf für kurze Momente hysterisch und radikal ausfallen. Inneres wird nach außen gekehrt. Der Krieg, so Ravenhill, ist im zwischenmenschlichen Mikrokosmos längst zu Hause: sei es über die Fähigkeit, das Gegenüber im Beziehungsstreit grundlegend zu verletzen (Rosa Thormeyer, Thieß Brammer und Hartmut Stanke), oder über monologisches Verhalten voller Autoaggression und Autismus (Marieke Kregel und Anja Schweitzer). Gewalt, so der Bogen der Freiburger Fassung, kann auf die nachfolgende Genera­tion übergehen. Das ist für sich genommen schon har-

HALLE / SAALE Frühlings Erwachen im 24. Stock

Coming-of-Age-Geschichte oder Schuld­ drama? – Henriette Hörnigks Bühnenversion von Axel Ranischs „Nackt über Berlin“ pendelt unentschlossen zwischen beidem. Foto Falk Wenzel

ter Tobak. Doch die Regie will mehr. Sie stellt sich der Frage, wohin diese Aggression führt. Gegen Ende der Inszenierung betritt eine Art Alien die Szenerie, halb Puschel, halb Minion. Zum Knuddeln süß? Ein Element des Kinderund Jugendtheaters, das im Publikum anfänglich für Heiterkeit sorgt. Zunächst wird

NEUES THEATER HALLE: „Nackt über Berlin“ (UA) nach dem Roman von Axel Ranisch Regie Henriette Hörnigk Bühne Sebastian Hannak Kostüme Angela Baumgart

Nun sind Jannik (Alexander Pensel) und Tai (Ali Aykar) keine gewöhnlichen Jugendlichen – und auch ihre Freundschaft hat etwas Außergewöhnliches. In der Schule werden sie wenig schmeichelhaft Fetti und Fidschi genannt. Jannik ist dick, schwul und hat ein außer­ ordentliches Interesse für klassische Musik.

dieser Alien freundlich empfangen und viel-

Unser Tschaikowski, witzelt der von ihm an-

fältig umarmt. Lazićs Parabel auf die sprichwörtliche Willkommenskultur des Flüchtlings-

Anfang dieses Jahres veröffentlichte Axel

gehimmelte Tai. Dass Schambehaarung und

sommers 2015 mündet in Gewalt: Der Alien

­Ranisch sein Romandebüt „Nackt über Ber-

Gliedwuchs trotz seiner 17 Jahre nur wenig

wird erst ausgegrenzt, dann eliminiert. Auf

lin“ – und nur wenige Monate später ist es in

ausgeprägt sind, bekümmert ihn zwar – noch

sichtbare und eindeutige Weise konterkariert

Halle an der Saale schon für die Bühne adap-

mehr aber seine Eltern, die ihn gar zur Hormon-

dieser offensichtliche Tabubruch die stolze

tiert zu sehen. Wer die Filme des Autors

behandlung schicken wollen. Die Mutter

Inschrift der Gated Community: „Wir sind die

kennt, „Dicke Mädchen“ und „Ich fühl mich

(Petra Ehlert) kann mit dem Jungen manches

Guten“. Es bedarf nur eines kleinen Katalysa-

Disco“ zum Beispiel, wird den Grundton und

Mal nicht viel anfangen, zudem mag sie lie-

tors, dem Eindringen des Fremden, um laten-

Motive wiedererkennen: eine Mischung aus

ber ABBA als Schönberg. Der Vater (Jörg

te Aggression auszuleben. Was von der politi-

Familiengeschichte, Coming-of-Age und schwu-

Simonides) ist ein DDR-Schwimmlehrer mit

schen Aussage her mutig und richtig bleibt,

lem Coming-out im Postwendecharme. Die

deutlich konturierten Idealvorstellungen ei-

liest sich angesichts der unterschiedlichen

in Ranischs Filmen vorzufindende leicht

nes gestählten jugendlichen Körpers und der

Spielweisen recht disparat. Die Wucht des

schnoddrige Lakonie überträgt sich auch auf

Vorliebe, die Diskrepanz von Janniks Figur zu

existenziellen Spiels aus dem dialogischen

die Bühne. Regisseurin Henriette Hörnigk war

diesem Ideal bei jeder sich bietenden Gele-

Mittelteil wird vom bilderreichen, darin kon-

nach eigener Aussage von dem Buch nach

genheit hervorzuheben.

kreten Erzählen im Schlussteil regelrecht un-

­einer nächtlichen Lektüre völlig überzeugt. In

In der Darstellung der Charaktere wird,

terbrochen. Lazić versucht, den epischen und

drei Stunden wird die Geschichte der beiden

der Vorlage folgend, an Stereotypen nicht

den dialogischen Elementen aus Ravenhills

jugendlichen Freunde Jannik und Tai erzählt,

gespart. Tais Verwandte sprechen alle mit ­

Stück gleichermaßen gerecht zu werden. In-

die eines Abends ihren besoffenen Schul­

­asiatischem Akzent, essen Hühnerfüße und

einander geht beides allerdings kaum. //

direktor aufsammeln, ihn seiner Schlüssel

andere Absonderlichkeiten, und auch eine

und Kommunikationsgeräte entledigen und in

transsexuelle Thai-Nutte kommt vor. Als Jannik

seiner Wohnung festsetzen.

und Tai ihren Schuldirektor Lamprecht,

Bodo Blitz


auftritt

/ TdZ  November  2018  /

wunderbar hauptstadtzerstört gespielt von ­

Der Abend hat viele komische Pointen, dazu

Matthias Walter, in seinem Hochsicherheits-

noch ein paar musikalische Einlagen. Das sorgt

apartment im 24. Stock in Berlin-Mitte fest-

zusammen mit der Bühne für optische Auf­

setzen, wohin dieser sich vor seiner dysfunk-

regung und Abwechslung. Doch auch wenn

tionalen Mittelklassefamilie mit untreuer

man der Geschichte und den Charakteren zuge-

Frau und Counter-Strike-zockendem Kind ge-

neigt ist, kann man über einige Schwächen

flüchtet hatte, ist das zunächst als Scherz

nicht hinwegsehen. Da ist zunächst die Un-

gemeint. Doch je länger dieser dauert, desto

entschiedenheit

ernster wird die Situation. Zumal Tai sich für

Geschichte und Schulddrama, was zahlreiche

den Suizid einer Mitschülerin rächen will, für

recht unmotiviert erscheinende Umschläge

die er schwärmte. Diese hatte sich aufgrund

von Komik in Tragik zur Folge hat, woraus in

einer Affäre mit einem Lehrer und Leiter der

diesem Falle aber eben nicht Tragikomik ent-

Theater-AG (sinnbildhaft beginnt das Ver­

steht, sondern nur ein diffuses Nebeneinan-

hältnis beim Einstudieren von Wedekinds

der beider Momente. Auch dass die Figuren

„Frühlings Erwachen“) in den Tod gestürzt.

eher szenisch als psychologisch funktionie-

Lamprecht wiederum hatte die Romanze ver-

ren, ist der Komik zwar zuträglich, macht

Wasseroberfläche zerfließen lassen. So wird

tuscht, um den Ruf der Schule nicht zu be-

aber die tragische Ebene zugleich unglaub-

sichtbar, was all die Adeligen und die Gelehr-

schädigen.

würdig. So folgt man dem Ganzen zwar mit

ten, die Soldaten und die Spaßmacher, die

So weit in Grundzügen die Handlung.

Sympathie, Spannung stellt sich aber nicht

in Stefan Bachmanns Bühnenadaption von

Vor allem aber ist es die von Sebastian Hannak

her. Der Abend plätschert vor sich hin – und

Daniel Kehlmanns Roman „Tyll“ über die

in der Oper Halle eingerichtete Raumbühne

die

immer

wölfische Natur des Menschen auftreten,

Babylon, die an diesem Abend beeindruckt.

weiter. //

Jakob Hayner

nicht wahrhaben wollen. Ihr Leben und ihre

zwischen

Drehbühne,

sie

Coming-of-Age-

dreht

sich

Mainzer Str. 5 · 80804 München Tel. +49 (0)89 36101947 info@theaterstueckverlag.de www.theaterstueckverlag.de

Matéï Visniec

DIE TASCHEN VOLL BROT (2 H) DSE: 10.11.2018; Theater mini-art, Bedburg-Hau

MIGRAAAANTEN!

oder Wir sind zu viele auf diesem verdammten Boot (2 D, 3 H) DSE: 22.11.2018; Theater Forum, AT-Schwechat

Das Publikum befindet sich auf der Drehbüh-

Identität sind nicht nur brüchig, sondern vor

ne. Auf der einen Seite ist als Leinwandkulis-

allem auch flüchtig. Schon ein einziger

se eine postapokalyptische Landschaft zu sehen: eine ehemalige Autobahn, zugewachsen und mit Autowracks übersät, davor stehen ein alter VW-Bus und ein zweiter PKW auf der

KÖLN Alles verebbt

Bühne, ein paar rote Neonschriftzüge und ein leuchtender Papierdrachen verleihen der Szenerie zeitweise den Charme eines kleinen Chinatowns. Eine Vierteldrehung weiter im eigentlichen Zuschauerraum befindet sich ein verlassenes Amphitheater, an den zwei restlichen Seiten ragen Gerüste in die Höhe mit nach vorne geöffneten und übereinander­

Schritt reicht aus, um alles zu zerstören. Und was letztlich noch schwerer wiegt: Keiner von ihnen wird die geringsten Spuren hinter­lassen. Auf Olaf Altmanns fluider Bühne bleibt alles ohne Folgen. Der Aufruhr,

SCHAUSPIEL KÖLN: „Tyll“ (UA) nach dem Roman von Daniel Kehlmann in einer Bühnenfassung von Julian Pörksen und Stefan Bachmann Regie Stefan Bachmann Bühne Olaf Altmann Kostüme Jana Findeklee und Joki Tewes

den die Schritte im Wasser verursachen, legt sich auch wieder, und dann ist alles wie ­zuvor. Selbst der Dreißigjährige Krieg, der so viel Leid und so viel Grausamkeit hervorgebracht hat, wird zum Sturm im Wasserglas oder eben zu einer flüchtigen Kräuselung des Wassers. Das ist die bittere Botschaft, die Stefan Bachmann und sein Dramaturg Julian

gestapelten Wohncontainern, die ferne Erin-

Pörksen aus Kehlmanns Narrenepos heraus-

nerungen an die Bühnenbauten von Bert Neumann wecken. Je nachdem wo gespielt

Olaf Altmann hat die riesige Bühne des Depot 1

geschält haben. Und damit sind sie ganz nah

wird, dreht sich die Bühne mit dem Publi-

geflutet. Das Wasser geht den Schauspielerin-

bei Shakespeare, der in „Tyll“ sogar einmal

kum, zahlreiche Monitore übertragen das

nen und Schauspielern bis über die Knöchel.

leibhaftig in Erscheinung tritt. Macbeth’ letz-

­Geschehen, sollte es einmal außerhalb des

Jeder Schritt, den sie machen, erzeugt kleine

ter Monolog fällt einem ein, vielleicht in Heiner

Sichtfeldes liegen.

Wellen, die ihre Spiegelbilder auf der dunklen

Müllers schroffer, das Gefüge der Sprache wie

SKART SIEG ÜBER DIE SONNE ÜBERJAZZ FESTIVAL U.A. MIT PHAROAH SANDERS QUARTET, NENEH CHERRY, GEORGIA ANNE MULDROW & THE RIGHTEOUS, SONS OF KEMET, LEON VYNEHALL, MOCKY

GREATEST HITS FESTIVAL

U.A. MIT WILLIAM BASINSKI, KLANGFORUM WIEN, PHACE ENSEMBLE

MIGRANTPOLITAN TV SHOW KINDERKINDER FESTIVAL

8 1 0 2 NO V KA

AMB H L E G A MPN

URG

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auftritt

/ TdZ November 2018  /

der Welt zerschlagender Übertragung: „Leben

stein, der im Jahr 1648 den kaiserlichen Auf-

glauben keineswegs auseinanderhalten kann.

ein Schatten der umgeht / Ein armer Spieler,

trag bekommt, Tyll aus dem halbzerstörten

Aber das Lachen über ihn und all die anderen

der sich spreizt und sperrt / Auf einer Bühne

Kloster Andechs zu retten und an den Hof

gleicht den kleinen Wellen auf der Wasser-

seine Stunde lang und / Nicht mehr gehört

nach Wien zu holen, in die letzte große Feld-

oberfläche. Es verebbt einfach ohne Ziel und

wird nachdem. Ein Märchen, erzählt / von ei-

schlacht des Dreißigjährigen Krieges. Ein

Bedeutung. Sie alle bleiben arme Spieler, die

nem Irren, voll mit Lärm und Wut / Bedeu-

Auftakt voller Lärm, aber ganz ohne Nachwir-

nicht mehr gehört werden nachdem. Weder

tend nichts.“ Bachmann setzt diesen Gedan-

kungen. Der Schilderung der Schlacht, die in

die formale Brillanz des Abends noch seine

ken höchst eindrucksvoll in Szene. Hartmut

Wahrheit eine Verweigerung ist, eine gezielte

große Bildgewalt können die Leere in seinem

Litzingers grandiose Lichtregie schafft in dem

Kapitulation vor dem letztlich Unbeschreibli-

Zentrum kaschieren. //

dunklen Raum immer wieder überwältigende

chen, fehlt wie auch allen anderen Beschrei-

Tableaus, die auch dank Jana Findeklees

bungen der Verheerungen des Krieges in

und Joki Tewes’ Kostümen an die Gemälde der

Bachmanns Inszenierung das Dämonische,

flämischen Meister erinnern. Doch letztlich

das bei Kehlmann immer mitschwingt. Der

kann die Inszenierung ihrem Fatalismus nicht

Roman ist eine schonungslose Abrechnung

entkommen. Auch sie ist eines dieser Märchen,

mit der Niedrigkeit, der Verlogenheit und der

die nichts bedeuten.

Barbarei der Menschen. Tyll Ulenspiegel

Bachmann und Pörksen bleiben ganz

gleicht mit seinen Spielen und Scherzen ei-

nah an Daniel Kehlmanns Roman dran. Ihre

nem Katalysator, der alles Verdrängte an die

Übertragung bewahrt nicht nur dessen nicht-

Oberfläche bringt. Er hält den Menschen

chronologische Erzählweise, sie spitzt sie so-

­einen Zerrspiegel vor, in dem sie ihre wahre

gar noch zu. Alles beginnt kurz vor dem Ende.

Fratze erkennen müssen.

Sascha Westphal

LEIPZIG Gefangen in der Reflexion SCHAUSPIEL LEIPZIG: „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe Regie Enrico Lübbe Bühne Etienne Pluss Kostüme Sabine Blickenstorfer

Den Anfang macht nicht wie im Roman die

Peter Miklusz’ Tyll bleibt dagegen ein

Erzählung von den Tagen des Jahres 1620, in

Beobachter, einer, der wie sein Regisseur

denen der Müller Claus Ulenspiegel als Hexer

stets abseits steht und alles nur von außen

hingerichtet wird und sein Tyll aus der Enge

betrachtet. Kehlmanns Sarkasmus, der aus ­

seines Heimatdorfes in die Weite der Welt

schierer Verzweiflung geboren ist, weicht einem

Der Faust-Stoff trieb schon Goethe zeit seines

flieht. Sondern bei Bachmann stolpert zu-

mild spöttischen Ton. Marek Harloff, Simon

Lebens um. Knapp sechzig Jahre widmete er

nächst „der dicke Graf“ Martin von Wolken-

Kirsch, Seán McDonagh und Jörg Ratjen, die

der Arbeit an den zwei Teilen, wobei man im

jeweils in mehrere Rollen schlüpfen, gelingen

Grunde nur den ersten als tatsächlich büh-

so einige wunderbare komödiantische Miniatu-

nentauglich bezeichnen kann, verliert sich

ren. Kirschs jesuitischer Gelehrter Athanasius

der zweite doch über eine erhebliche Länge in

Kircher etwa entpuppt sich als aufgeblase-

der Verbindung von Mythologie und Moderne

ner Wichtigtuer, der Wissenschaft und Aber­

mit recht loser Handlung und verstreuten

Ein einziger Schritt reicht aus, um alles zu zerstören – Marek Harloff (l.) und Peter Miklusz in „Tyll“. Foto Tommy Hetzel

­Motiven. Die nahezu unübersichtliche Fülle an Stoff mag allerdings auch der Grund sein, warum man sich an der Bühnenbearbeitung eines solch fragmentarischen Werks versucht. Am Schauspiel Leipzig hat Enrico Lübbe nun seine Annäherung vorgestellt. Über sechs Stunden werden Ausschnitte aus dem ersten und zweiten Teil auf der Bühne gespielt, außerdem gibt es einen Zwischenteil, der aus drei Touren im Stadtgebiet besteht. Der Tragödie erster Teil, wie es bei Goethe heißt, wird im düsteren Zwielicht dargeboten. Auf der Bühne ein dunkler, runder, drehbarer und, wie man im Verlauf der Vorstellung noch eindrucksvoll präsentiert bekommen wird, auch kippbarer Aufbau, auf dem sich das Geschehen abspielt. Die Tragödie liegt hier in der Aussichtslosigkeit der Vorwärtsbewegung, unter höchsten Anstren­ gungen stößt der von Wenzel Banneyer gespielte Faust die Worte „weiter, weiter“ aus, stolpert, strauchelt, schleppt sich weiter. Wortkarg ist er, der Gelehrte, die Klage des „Habe


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ach ...“ endet im unverständlichen Gestammel. Auch verharrt er bewegungslos, während um ihn herum das Gewimmel herrscht. Man kann es tatsächlich ein Gewimmel nennen, denn auf der Bühne befindet sich ein ungefähr 35-köpfiger Chor. Das Chorische nimmt am Schauspiel Leipzig, vor allem in den Arbeiten von Lübbe und Claudia Bauer, einen wichtigen Platz ein. Auch wenn der Einsatz hier zunächst etwas manieristisch wirkt, begreift man alsbald das Thema. Die Menge funktioniert nach ihren eigenen Gesetzen, das Volksfest bildet schon eine Vorform zum „Ornament der Masse“ (Siegfried Kracauer) des 20. Jahrhunderts. Der von der Masse getrennte Intellektuelle erhebt sich auf seiner eigenen kleinen Rundbühne noch Der von der Masse getrennte Intellektuelle, verharrend in seiner Resignation – „Faust“ in der Regie von Enrico Lübbe. Foto Rolf Arnold

über die anderen, verharrend in seiner Resi­

Der zweite Teil ist zunächst gewissermaßen

gnation. Der Untergrund dieses Bühnenteils

das Gegenteil. Nach kurzem Zwischenspiel

ist ein Spiegel, über den sich von oben eine

mit Puppen folgen die Touren, das Publikum

­runde Leinwand neigt, deren Projektionen so

muss sich entscheiden, ob es sich für die Er-

verdoppelt werden. Faust ist gewissermaßen

findung des Reichtums, Schöpfungsträume

gefangen in dieser Reflexion, das ist hier sein

oder Umsiedler interessiert. Das folgt der An-

Schauspielhaus, knüpft dann recht ungebro-

Verhängnis.

nahme, dass die drei zentralen Themen des

chen wieder an den ersten an und präsentiert

Auf die Figur des Mephisto wird ver-

„Faust“ die Wertschöpfung, die Schöpfung

noch einige Verse, deren Sinn eigentümlich

zichtet, stattdessen treten, dem zweiten Teil

und die Landnahme seien. In der ersten Tour

abwesend bleibt. Auf der Scheibe über Faust

entnommen, Sorge, Mangel, Not und Schuld

zur Erfindung des Reichtums läuft man, mit

läuft rückwärts Text, wird geradezu ge-

als eine Art Beraterclique auf. Die von Julia

Kopfhörern versehen, durchs nächtliche Leip-

schluckt. Faust wirkt – wie vielleicht Goethe

Preuß gespielte Margarethe ist betont forsch

zig, ins Alte Rathaus und in die Alte Handels-

gegen Ende seines Lebens – verloren im Text,

und artikuliert ihr eigenes Begehren mit einer

börse, während man einiges Grundsätzliches

auch Helena tritt nicht auf. Kann es Rettung

Direktheit, die doch den Zweifel aufkommen

zu Immobilienspekulation, Kunst als Wert­

geben? Der Chor, inzwischen im Publikum

lässt, wie in aller Welt sie dann an diesen ei-

anlage und Start-ups erfährt. Auch setzt man

verteilt und auf dem Oberrang, ist noch weiter

genartigen wie unbeholfenen Gelehrten-Hein-

ganz im Sinne der neuesten Didaktik auf spie-

vom Protagonisten entfernt. Was vermag der

rich geraten ist. In dem Versuch, den ersten

lerische Anreize, mit Theatergeld sollen die

Einzelne auf der Bühne seines eigenen

Teil von Goethes „Faust“ in düstere Bilder

auf diese Weise aktivierten Zuschauer eine

Selbst? Sehr wenig, legt der Abend nahe, und

mit viel Bühnennebel zu übersetzen, die zu-

Investition tätigen, deren Erfolg oder Miss­

das ist das Faustische Verhängnis, ein sehr

dem mit atmosphärischen Soundflächen un-

erfolg über die neue Platzverteilung – Gewin-

deutsches zudem, ein an den Umständen ver-

terlegt sind, geht die Figurenspannung doch

ner nach vorn, Verlierer nach hinten – bei der

zweifelnder Geist. „Die Menschen sind im

deutlich verloren. Auch die Handlung ist auf

Rückkehr entscheidet.

ganzen Leben blind, so werde du es auch am

wenige Szenen konzentriert, Studierzimmer,

Mit großem Aufwand wird in den Tou-

Ende.“ Und tatsächlich, die Augen brennen

Osterspaziergang, Kerkerszene, das war’s

ren der Fokus vor allem auf die Vermittlung

schon. Das ist aber nur die einsetzende

dann schon fast. Das ist in aller Knappheit

von Information gesetzt, weniger aufs Künst-

­Müdigkeit. //

doch sehr verrätselt.

lerische. Der allerletzte Teil, nun wieder im

Jakob Hayner

Theater der Jungen Welt Leipzig

NICOBOBINUS oder Die verwegene Reise ins ferne Land der Drachen Von Katrin Lange nach Terry Jones | Mit Live-Musik Uraufführung [6 plus] Ab 17. November Karten 0341.486 60 16 // www.tdjw.de


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auftritt

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LUZERN Die Klänge der Trauer LUZERNER THEATER: „Kindertotenlieder“ von Gustav Mahler und Matthew Herbert Regie Benedikt von Peter Bühne Márton Ágh sopranistin Sarah Alexandra Hudarew, die in

Die kollektive Bewältigung des Leidens – „Kindertotenlieder“ von Gustav Mahler und Matthew Herbert. Foto Ingo Hoehn

Friedrich Rückert verlor 1833 innerhalb eines

der schlichten szenischen Anlage mit einem

Monats zwei Kinder an Scharlach und verlieh

von ihm zu ihr wechselnden Stoffhasen als

seiner Trauer in über vierhundert ­Gedichten

einzigem Requisit die Eltern markieren. Diese

Ausdruck. Gustav Mahler wählte rund siebzig

Eltern begleitet man im Verlauf der einstündi-

Jahre später fünf davon aus und vertonte sie

gen Vorstellung durch den „Tag, an dem sie

human position: how it takes place / While

als die berühmten „Kindertotenlieder“.

den Sarg kaufen gingen“, von 7.33 Uhr bis

someone else is eating or opening a window

Als Koproduktion mit dem Lucerne Fes-

21.43 Uhr. Tageszeiten und entsprechende

or just walking dully along.“

tival hat das Luzerner Theater Mahlers Zyklus

Geräusche klingen an in Soundcollagen des

Oft sind diese Geräusche auf dieselbe

in der Kammermusikfassung nun szenisch

britischen Elektromusikers Matthew Herbert,

schwer erträgliche Weise zu laut, wie es die

umgesetzt. Herausragend an der Aufführung

die in die Lücken zwischen Mahlers Liedern

Welt für den Trauernden sein kann. Die Stille

ist nicht so sehr die in Einführung und Pro-

gesetzt sind und deren emotionale Entwick-

zwischen den Liedern ist hier nicht still. Aber

grammzettel als zentral formulierte, aber

lung von Schock zu Transzendenz nachzeich-

sie zeigt das Schweigen und die Sprachlosig-

kaum erkennbare gesellschaftspolitische Fra-

nen. Die vom Luzerner Intendanten Benedikt

keit der Eltern, gespiegelt von deren ausein-

ge nach einer Welt ohne Kinder und also einer

von Peter inszenierte Aufführung fragt, was

anderliegenden oder einander abgewandten

Welt ohne Zukunft, sondern wie hier die Erfah-

zwischen den emotionalen Ausbrüchen liegt,

Körpern. Still sind in diesen Phasen auch die

rung von Trauer fassbar gemacht wird.

die Rückerts Lyrik und Mahlers Musik be-

Musiker des Luzerner Sinfonieorchesters un-

schreiben. Denn Trauer fühlt man nicht 24

ter der Leitung von Clemens Heil, die zwi-

Stunden lang ununterbrochen.

schen den Liedern mit ihren Instrumenten im

Maßgeblich wird das möglich durch den Umgang mit Publikum und Raum: Der einzelne Zuschauer wird bei Einlass von ei-

Herberts Kompositionen machen all-

Saal verteilt am Boden liegen. Während auf

nem Musiker oder einer Musikerin behutsam

tägliche Dinge wie Zähneputzen, Schlüssel-

der Klangebene das Leben – Straßenbahnen,

durch die Dunkelheit zu seinem Platz –

drehen, Kaffeekochen hörbar, die trotz Aus-

hupende Autos, bellende Hunde – dahin-

einem frei stehenden Stuhl – geführt. Die

nahmezustand existieren. Sie enthalten den

braust, sieht man vor sich jemanden in

Stühle sind lose im Kreis um eine Mitte ge-

Klang all des Lebens – Fahrräder, Vogel­

Schwarz hingestreckt, reglos und so nah am

reiht, in der eine kleine Kerze brennt. Man

gezwitscher, Kinderstimmen (Kitschgefahr) –,

eigenen Körper, dass er eine Aufforderung

erlebt die Aufführung so gleichzeitig allein

das vom Unglück nicht betroffen ist und

zum Trösten darstellt.

und eingebunden in ein Kollektiv, das sich

tröstlich oder anmaßend einfach weitergeht,

Gefühlsausbruch und Alltagsklänge,

im Halbdunkel unaufdringlich zu einer Art

wie es W. H. Auden in seinem Gedicht „Musée

Schreien und Schweigen gehen fließend inein­

Trauer­gemeinde fügt.

des Beaux Arts“ so treffend beschrieben hat:

ander über: Die erkennbaren Geräusche

Mitten in dieser Gemeinde stehen und

„About suffering they were never wrong, / The

menschlichen Agierens verschwimmen zu

gehen der Bariton Jason Cox und die Mezzo-

old Masters: how well they understood / Its

abstrakt-sphärischen Klangflächen, die diese

MIT Deepika Arwind // Bishop Black // Dessa Ganda // Quinsy Gario // Tanisha Vicky Germain // Fritz Helder // Mmakgosi Kgabi // Daniel Lima // Eurico Ferreira Mathias // Linda Nabasa // Nasheeka Nedsreal // Zé de Paiva // Lobadys Pérez // Ana Pi // Ricardo de Paula // Shaymaa Shoukry // TR VNI // Biliana Voutchkova // Dusty Whistles // meLê yamomo // 3 Women

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auftritt

/ TdZ  November  2018  /

schwindligen Momente der Innerlichkeit her-

ter liegt ein sich wütend aufbäumender Ras-

Liebe zu Desdemona erlöst ihn nur vorüber­

aufbeschwören, in denen Zeit und Individu-

sismus, der sich – lange totgeschwiegen, ver-

gehend von den eigenen Höllenschlünden.

um kurz die Kontur verlieren. An diesem

kappt und in Schach gehalten – nun wieder

Punkt der Durchlässigkeit stehen jeweils die

Bahn bricht.

Steffen Reuber als Jago, Petra von der Beek als Emilia und Fabio Menéndez als

Musiker auf und gehen mit Notenständer und

Das perfide Gegenmittel: Aussitzen,

­Cassio erstarren in Erwartung von Sodom und

Instrument als stille Prozession in Position

mit geringstmöglichem Einsatz und größt-

Gomorra in ihrer Sofaecke zu Salzsäulen. Ihre

für das nächste Lied. Diese häufigen, zuwei-

möglicher Raffinesse die Konflikte sich selbst

Gesichter sind fahl, die Mienen wie verstei-

len umständlich wirkenden Gänge sind prag-

lösen lassen. Das Problem heißt Othello.

nert. Die feine Intrige, die Othellos Eifersucht

matische Notwendigkeit, um zu vermeiden,

Othello, gespielt von dem nigerianischen ­

befeuert, schütteln sie quasi aus dem Hand-

dass ein Zuschauer den ganzen Abend nur

Schauspieler Jubril Sulaimon, ist schwarz. Sein

gelenk. Klaus Herzog als Desdemonas Vater

Flöte oder Horn hört. Aber mit der Zeit wirken

sportlicher Erfolg ist die Eintrittskarte in die

Brabantio gibt einen prägnanten Gegensatz

die sich erhebenden Figuren auch wie Verkör-

venezianische Gesellschaft. Und noch mehr: Er

zum Ehemann: effeminiert und bestens aus-

perungen der sich anbahnenden Musik bezie-

schafft es sogar, in die Upperclass einzuheira-

gestattet mit allen Attributen einer übersät-

hungsweise der starken Gefühle, die sie aus-

ten, und nun sitzt er neben den anderen auf

tigten selbstverliebten Gesellschaft. Dagmar

drückt und auslöst.

dem schicken Sofa. Was heißt: sitzen! Er lüm-

Geppert ist eine kühle Desdemona. Sie wirkt

Ah, und dann ist da noch ein Kind mit

melt sich, liegt, macht sich breit, als würde al-

beherrscht, fast gelassen, von trotziger Liebes-

Regenjacke, Rucksack und Hasenohren, das

les ihm gehören. Selten, dass in einer Inszenie-

heirat keine Spur. Das ungleiche Paar tanzt zu

beim Einlass Anweisungen in ein Megafon

rung von Shakespeares „Othello“ so deutlich

nostalgischen italienischen Schlagern – er im

nuschelt und am Ende von außen die Wand

wird, warum ein Taschentuch das sinnfällige

dunklen Anzug, sie im weißen Bademantel. Ihre

einreißt, wortlos durch den Raum stapft und

Instrument für die „Reinigung“ der veneziani-

Entscheidung für den Außenseiter, den Frem-

die Kerze ausbläst. Verlorenes Kind, Sehn-

schen Gesellschaft wird. Ein Fleck muss ent-

den scheint fast Kalkül zu sein, ein ­Opfergang,

suchtschimäre, trotz allem hereinstürzende

fernt werden. Der fremde Organismus wird wie-

um ihre Umwelt zu zersetzen. Selbst ihren

Zukunft, die Isolation der Trauer durch­

der ausgespuckt – vorübergehend vereinnahmt,

Tod nimmt sie fast widerstandslos in all sei-

verdaut und wieder abgesondert.

ner inszenierten Schönheit hin, als wäre sie

brechende Hoffnung? //

Simone von Büren

MÜLHEIM AN DER RUHR Othello auf der Couch

Das Schlagende der Aufführung ist ihre

selbst seine Strippenzieherin und Othellos

Textfassung: Das Personal auf sechs Perso-

Liebesmord ein antirassistischer Akt. Wer

nen reduziert, ist es die Essenz des Stückes,

spielt eigentlich mit wem in diesem „Othello“?

der wir in der knapp zweistündigen Inszenie-

Leichte Seidenvorhänge flattern schon

rung begegnen. Die Klarheit und Anonymität

lange vor der Exekution Desdemonas wie weiße

des Raums stellen die Figuren wie unter ei-

Fahnen im venezianischen Seewind. Sie schen-

nem Mikroskop scharf. Jubril Sulaimon arti-

ken dem eiskalten Klima dieser Gesellschaft

kuliert wie jemand, der sich größte Mühe

etwas Liebliches, Versöhnliches. Am Ende

gibt, mitzuhalten, alles richtig zu machen.

THEATER AN DER RUHR: „Othello“ von William Shakespeare Regie Roberto Ciulli Bühne Gralf-Edzard Habben Kostüme Elisabeth Strauß

Das Spiel beginnt unmissverständlich: In einem Umfeld, in dem nach unten getreten wird, Frauen abfällig mal als Hure, mal als Wurfmaschine beschrieben werden, ist nichts Gutes zu erwarten. Der Raum wird markiert durch ein elegantes, rotes, fünfsitziges Sofa und einen abgewetzten ledernen Boxsack, der in der Kuppel des ehemaligen Solbades hängt, in dem sich das Theater an der Ruhr befindet. Angesiedelt in der Welt des Boxsports – der Mülheimer Othello hat nicht das feindliche Heer besiegt, sondern ist ehemaliger Boxprofi –, schaffen der Regisseur Roberto Ciulli und sein sechsköpfiges Ensemble eine symbolkräftige Atmosphäre: Es geht ums Überleben, um Hierarchien und Macht. Darun-

Sein Akzent legt eine geheimnisvolle Farbe auf das, was er sagt. In ihm liegt ein geschunder menschlichen Niederträchtigkeit, das Ur-

K.o. nach der ersten Runde? – Jubril Sulaimon als Othello (im Hintergrund Fabio Menéndez und Dagmar Geppert).

Chaos, wie Othello es selbst nennt, weiß. Die

Foto Franziska Götzen

denes Land, das um die Unausweichlichkeit

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auftritt

schlägt Othello seine Wut und die Qual seiner eifersüchtigen, selbstverzehrenden Fan­ tasien in das Leder des Sandsacks. Desdemona umklammert den Boxsack wie eine Ertrinkende die letzte Planke, die sie noch zu fassen bekommt. Einmal mehr wird das Phallische des fast museal ausgestellten und ausgeleuchteten Boxsacks sichtbar. Die einzige taugliche Liebesszene zwischen Desdemona und Othello gerät zu einem Zusammenprall der Hautfarben, Desdemonas vornehme Blässe gegen ein tiefes Schwarz. Der Mülheimer „Othello“ ist glasklar, entschlackt und unschlagbar. // Friederike Felbeck Nur Senftenberg hält beständig am Spektakel fest, brachte es unter Ex-Intendant Sewan

Lost in Paradise – Anja Kunzmann in „Der Sturm“. Foto Steffen Rasche

Latchinian zu Höchstformen. Legendär ist

SENFTENBERG

sein GlückAufFest von 2010, das zehn Stunden dauerte und einige kleine Schläfchen er-

treffen punktgenau auf das andere Grüppchen,

forderte, wenn man durchhalten wollte. Ganz

um dann gemeinsam auf die große Bühne ge-

so bunt treibt es Manuel Soubeyrand nicht.

führt zu werden. Diese Wanderbewegungen

Der aktuelle Intendant bringt das 2018er-

sind hervorragend organisiert, man findet im-

Spektakel auf zarte sechs Stunden. „Stürme“

mer den passenden Regenschirmführer zum

heißt es, im Zentrum steht Shakespeares

Armbändchen. Aber die Organisiertheit ist

„Sturm“, was sich aufdrängt, wo Senftenberg

auch die Crux: Sie macht fürchterlich unflexi-

doch am See liegt. Und so ist alles aufs mari-

bel. Die Zuschauer sollen theoretisch selbst

time Thema getrimmt, wirklich alles. In sagen-

entscheiden, wann sie welche Minibühne

hafter Detail­ verliebtheit wurde der Hof des

betreten, aber treiben lassen ist nicht, wenn

Theaters als ­ ­ Hafen gestaltet, in dem riesige

alles durchgetaktet ist. Man trottet wohl oder

Segel gehisst werden, Masten quietschen und

übel der zugeteilten Gruppe hinterher. Nichts

Matrosen von ihren Abenteuern erzählen. Über-

ist zu spüren von diesen Trancezuständen an-

haupt wimmelt das ganze Haus von Statisten,

derer Theatermarathonveranstaltungen. Dafür

Vor ein paar Jahren waren sie mal ziemlich

die das Publikum einbinden, vorher und wäh-

ist alles zu kurzweilig hier. Vor der Pause wa-

heiß, diese Theaterspektakel. Theater als

renddessen.

bern schon die Essensgerüche durch den

Humor und Havarie NEUE BÜHNE SENFTENBERG: „Der Sturm“ von William Shakespeare mit einem Prolog von Frank Düwel und einem Epilog von Jan Mixsa Regie Frank Düwel, Manuel Soubeyrand und Jan Mixsa Ausstattung Barbara Fumian und Andreas Walkows

Event, das zieht doch sicher neue Zuschauer,

Theater findet dann nicht nur auf der

Saal. Gleich darauf stehen die Zuschauer brav

überlegte man sich. Und so tingelten Men-

großen Bühne statt. Je nachdem, welche Farbe

in einer Reihe am Buffet. Das Kunsterlebnis

schen mit Bussen durch die Stadt, wanderten

das Bändchen um das Handgelenk hat, erlebt

kriegt den Charakter einer Kaffeefahrt.

von Denkmälern zu Fabrikhallen, und zwi-

man als Prolog in der Regie von Frank Düwel

Und Shakespeare? Der geht etwas, Ver-

schendurch gab es deftige Verpflegung. In

kleinere Stückchen auf der Studiobühne oder

zeihung, unter. Manuel Soubeyrand setzt auf

letzter Zeit haben die meisten Häuser davon

in den Bühnenkatakomben. Diese Kurz­insze­

das Komödiantische des „Sturms“. Prosperos

wieder Abstand genommen. Zu aufwendig

nierungen gehören thematisch zum „Sturm“,

Rache an seinem Bruder Alonso, der ihn vor

und zu teuer, und am Ende wollen die Leute

bleiben aber kontextlose Häppchen. Die Zu-

Jahren aufs Meer hinaustreiben ließ, die Sehn-

dann halt vor allem: Theater sehen.

schauer wandern von Spielort zu Spielort,

sucht des Luftgeistes Ariel nach Freiheit, das

Gibt und braucht es einen »neuen Realismus«? Die Frage ist eine nach der gesellschaftlichen Bedeutung des Theaters, beantwortet werden soll sie – auch mit Peter Hacks:

»Mensch sein ist Ursach sein« Realismus auf dem Theater

Elfte wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft Sonnabend, 10. November, 10 bis 18 Uhr Magnus-Haus, Am Kupfergraben 7, 10117 Berlin-Mitte

Und am Vorabend das Gespräch zum Thema: Welcher Realismus? Eine Diskussion über Realismus im Theater mit Ulrike Krumbiegel, Wolfram Lotz, Armin Petras und Bernd Stegemann; Moderation: Jakob Hayner Freitag, 9. November, 19 Uhr Volksbühne, Roter Salon

Gefördert durch die ALG.

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auftritt

/ TdZ  November  2018  /

Erwachen von Miranda aus der Unschuld: All

beliebte Lehrer Rupp, der vor Jahren an

zugewandten und ihn in seiner Not stützen-

das wird stringent erzählt, aber eben auch

manischer Depression erkrankte, und den ­

den Kollegin hin zu einer erbarmungslosen

ohne große Tiefe. Anja Kunzmann als Miranda

jetzt – kurz vor seiner Ernennung zum Rektor –

Karrieristin zu erspielen. Den Rupp verkörpert

hätte vermutlich mehr gekonnt, wäre ihre

seine bipolare Vergangenheit durch eine

der für die Rolle erstaunlich junge Fabian

Figur nicht so hoffnungslos naiv angelegt. ­

­Denunziation einholt. Seine eigene Geschich-

Müller, ein ­Marek-Harloff-Typ, fast spillerig,

­Ariel erscheint im Körper von drei Darstellerin-

te, die Thomas Melle in seinem Roman „Die

aber sehr energetisch, sehr gestisch, sehr prä-

nen, was wohl als kritischer Blick auf Ge-

Welt im Rücken“ erzählte, ist Hintergrund

sent. Er ist in der Lage, den relativ undefinier-

schlechterrollen gedacht ist, sich aber im

des Stücks, in dem nachdrücklich nach Ver-

ten, halbkreisartigen Riesenraum in der

Spiel nicht fortsetzt. Schwer zu ertragen ist

antwortung und Vertrauen, Anerkennung und

Lokre­mise, der Experimentalbühne in St. Gal-

Sebastian Volk als Prospero: Er bewältigt mit

Erfolg, Leistungsdruck und gesellschaftlicher

len, zu zentrieren, ihm Kontur zu geben. Zu-

großer Geste und ein und demselben Ge-

Ausgrenzung gefragt wird.

sätzlich strukturierend und atmosphärisch

sichtsausdruck den gesamten Abend. Wenn

Um es gleich zu sagen: Der Vorzug

genau wirken die musikalischen Elemente,

das ironisch gemeint war, merkt man es nicht.

dieser Arbeit, auch gegenüber der Urauf­ ­

die Nico Feer an der Gitarre verantwortet.

Generell fehlen die Brüche genauso wie die

führungsinszenierung vor Monaten am Deut-

Aber was störte: Eine fehlende (defekte?) Kli-

großen Themen. „Der Sturm“ erzählt eben

schen Theater Berlin, ist, dass sich Jonas

maanlage verwandelte das Geschehen in eine

auch vom Scheitern an der Welt, vom Irrsinn

Knecht und seine Dramaturgin Julie Paucker

Sauna­ situation. Hoffentlich nur an diesem

der Macht. Doch die Senftenberger Inszenie-

entschlossen haben, die Vorlage wegzurücken

Abend. Trotzdem langanhaltender Beifall für

rung lässt sich sehr zur Klamotte hinreißen.

von emotionaler Geiselnahme und Stim-

einen ziemlich starken Theaterabend, der der

Zwischendurch dürfen die Zuschauer noch

mungsachterbahnen; stattdessen setzen sie

Falle des Didaktischen entkommt. //

einmal durchs Haus wandern und einen Teil

einen analytischeren Ansatz durch, drängen

des Stücks in Grüppchen aufgeteilt auf klei-

episierende Elemente zurück, kappen über-

neren Bühnen sehen – was den alleinigen

lange Monologe, um zu einem kompakten

­Effekt hat, dass man eben den anderen Teil

Textgefüge zu gelangen. So gibt es denn

nicht sieht. Im letzten Teil dann gibt es end-

auch weniger Theater-Theater zu sehen, die

lich etwas Entschiedenheit. Das Spiel wird

naheliegenden Auf- und Ausbrüche der Haupt­

ironisch, die Sprache präzise, die Geste redu-

figur, die zwischen Manie und Depression,

ziert – und schon scheint Shakespeare auf.

Überanpassung und Individualitätstrotz pen-

So einfach ist es manchmal doch. //

delt, werden zurückgenommen und in ein

Johanna Lemke

durchaus beeindruckend zu nennendes Ensemblespiel überführt, das ein eindrückliches Beziehungs- und Bedingungsgeflecht entwirft

ST. GALLEN

und auch schauspielerisch überzeugt. Nicht die Krankheit des Einzelnen wird so zur Metapher des Abends, sondern die der Umwelt,

Manie und Depression

der Gesellschaft. Am meisten profitieren konnten die ­Figuren aus dem unmittelbaren (beruflichen)

THEATER ST. GALLEN: „Versetzung“ von Thomas Melle Regie Jonas Knecht Ausstattung Markus Karner

Umfeld der Hauptfigur, die in der Stück­ vorlage didaktisch-flach als Zulieferfiguren herhalten müssen, in Knechts Inszenierung aber in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit zu sehen sind: Bruno Riedl, als Alt-68er-Rektor gezeichnet, spielt sehr gekonnt seine Fas-

Mit zwei ambitionierten und auch riskanten

sungslosigkeit über das Geschehen aus, bevor

Produktionen startete das Theater St. Gallen

auch er in seiner Hilflosigkeit aufgibt, um für

in die neue Spielzeit. Der Autor und Regis-

Rupp zu kämpfen. Tobias Graupner ist ein

seur Philippe Heule schrieb und inszenierte

boshafter Physiklehrer, der seine intrigante

sein Volkstheaterstück „Spekulanten“, wel-

Figur adäquat auszuspielen vermag. Catriona

ches dem grassierenden Selbstverständlich-

Guggenbühl als Philosophielehrerin hatte

Werden von Unrecht auch in Heules Heimat,

Mühe, ihre Wandlung von einer loyalen, Rupp

der Ostschweiz, nachgeht. Weiter hinaus wagte sich die zweite Produktion, die Schweizer Erstaufführung nierung von Jonas Knecht, dem Schauspiel-

Von der loyalen Kollegin zur Karrieristin – Catriona Guggenbühl in „Versetzung“ (im Hintergrund Fabian Müller).

chef des Hauses. Im Mittelpunkt steht der

Foto Tanja Dorendorf

von Thomas Melles „Versetzung“ in der Insze-

Harald Müller

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Thomas Thieme in „Unter Eis“ von Falk Richter an der Schaubühne Berlin, 2004. Foto Arno Declair

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Wir gratulieren! Am 29. Oktober 2018 feierte Thomas Thieme seinen 70. Geburtstag. Der Theater- und Filmschauspieler blickt auf zahl­ reiche große Rollen zurück. So spielte er 14 Jahre lang den Paul Niemand in Falk Richters Erfolgsstück „Unter Eis“ (uraufgeführt 2004 an der Schaubühne B ­ erlin). Anlässlich seines Geburtstags und dieser jahrelangen Zusammenarbeit trafen sich Thieme und Richter zu einem Gespräch, um gemeinsam über das Leben, die Arbeit und das Dazwischen zu philosophieren.


/ TdZ  November  2018  /

wahrscheinlich wollte ich … _ thomas thieme und falk richter

Wahrscheinlich wollte ich Marlon Brando werden Ein Gespräch zwischen Thomas Thieme und Falk Richter Falk Richter  Es ist wie immer nicht leicht, dich zu erwischen und live zu treffen. Woran arbeitest du gerade? Thomas Thieme  Ich spiele gerade Rudolf Gombrowski in der Verfilmung „Unterleuten“. Regisseur ist Matti Geschonneck. Das ist ein Dreiteiler nach dem Roman von Juli Zeh. Spielt in einem fiktiven Ostdorf in Brandenburg, in dem Gombrowski LPG-Vorsitzender war. Eine sehr starke und sehr sensible Figur.

Falk Richter  Wie kann ich mir dein Leben vorstellen? Wo kommst du zur Ruhe? Woraus ziehst du Kraft? Was machst du in den Momenten, in denen du nicht arbeitest? Thomas Thieme  Mein Leben ist eher langweilig. Alle modernen Ablenkungen einschließlich einschlägiger Hobbys üben keinen Reiz auf mich aus. Beim Drehen ist es mir relativ egal, ob ich im Hotel bleiben muss oder nach Hause gefahren werde. Ich sitze viel da und denke wenig ergebnisorientiert. Kraft muss ich momentan nicht ziehen, es ist noch ein wenig davon da. Zeitlebens bin ich eine Leseratte. Wenn ich zum Beispiel John Reeds oder Bunins Revolutionstagebücher parallel lese, komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus.

Falk Richter  Ein Nachwenderoman. Es geht um die Goldgräberstimmung der Wessis nach dem Mauerfall. Wessis kamen in den Osten, um Gewinne mit alten Ostbetrieben zu machen. Gewissensfrage: Wer kooperiert mit Kohls Freunden und macht mit beim Ausverkauf, und wer stellt sich dem entgegen? Wie verhält es sich damit bei Gombrowski? Thomas Thieme, geboren 1948 in Weimar, besuchte die staatliche Thomas Thieme Gombrowski ist der Selbsthelfer. Eine aussterbende Spezies, ein etwas primitiverer Renais­ sancemensch. Es ist gar nicht so entscheidend, was er tut, entscheidend ist, wie er es tut. Das Auffallendste an ihm ist die Mischung aus Robustheit, Direktheit und Sensibilität, Zartheit. Also eine große Figur, wie sie das Fernsehen selten hinstellt. Falk Richter  Wo lebst du gerade? Thomas Thieme  Mal in Berlin, mal in Weimar, mal in Schmalkalden im Thüringer Wald. Und in diesem und jenem Hotel.

Schauspielschule in Ost-Berlin und war danach an den Theatern in Magdeburg, Zittau und Halle engagiert. 1984 reiste er in die BRD aus und spielte unter anderem am Schauspiel Frankfurt/Main, am Burgtheater Wien sowie an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin. Er arbeitete unter anderem mit Einar Schleef, Robert Wilson, Frank Castorf, Luk Perceval und Falk Richter zusammen. In der Spielzeit 2002/03 inszenierte er am Deutschen Nationaltheater Weimar Bertolt Brechts „Baal“. Seit 2013 ist er mit einer Solo­ fassung von „Baal“ auf Tour, die 2018 zu Brechts 120. Geburtstag vom MDR als Hörspiel adaptiert wurde. Thieme wirkte in zahlreichen Filmen und Serien mit, so zum Beispiel im Oscar-prämierten Film von Florian Henckel von Donnersmarck „Das Leben der Anderen“.

Falk Richter  Was ist das Großartige am Leben im Hotel? Thomas Thieme  Na ja, großartig ist ein bisschen dicke. Sie räumen einem alles nach und bieten bestenfalls auch abends noch etwas zu essen an. ­Ansonsten ist die Qualität des Bettes und des Bades wichtig.

Falk Richter  Was bringt dich da zum Staunen? Thomas Thieme Alles rund um die Oktoberrevolution – auch in Deutschland die Zeit von 1918 bis 1933 – ist für mich von größtem Interesse. Der amerikanische Jour­ nalist Reed und der russische Gutsbesitzersohn Bunin erleben das Gleiche. Der eine triumphiert dabei, der andere hasst und leidet. Ich bin ge­ rade dabei, eine Lesung beider Revolutionstexte vorzubereiten. Was sagte Biermann: HALB MENSCHENBILD, HALB WILDES TIER. Falk Richter Was liest du im Moment?

Thomas Thieme  Ich vergreife mich an allem: Ovid, Jakob Böhme, der ­neuen Brecht-Biografie, Bakunin, Grimmelshausen, Karl Philipp Moritz, Benn – alles auf einmal. Falk Richter  Was hörst du denn im Auto? Hörbücher? Thomas Thieme  Hörbücher lese ich ein. Hören tue ich sie nicht.

Falk Richter  Dein Lieblingshotel? Thomas Thieme  Parkhotel Bremen. Falk Richter  Dein schlimmster Albtraum in einem Hotel? Thomas Thieme  Ich habe immer und überall nur Albträume, das ist in Hotels nicht anders. Falk Richter  Welche Textzeilen aus unterschiedlichen Rollen deines Lebens spuken dir ab und an durch den Kopf? Thomas Thieme  Ich bin über die lange Lebenszeit ein richtiger Spruchbeutel geworden. In den letzten Jahren habe ich es mit Brecht: WAS IST DER EINBRUCH IN EINE BANK GEGEN DIE GRÜNDUNG EINER BANK. Oder: DER SCHOSS IST FRUCHTBAR NOCH, AUS DEM DAS KROCH. Aber auch Shakespeare, Goethe, Schiller, Büchner – alle haben ihre Spuren in meinem Geschwätz hinterlassen. Und da ich seit Jahren mit „Baal“ von Brecht toure, ist natürlich dieses große Gedicht die Hauptquelle meiner Beiträge.

Falk Richter  Welcher Film, welche Filmszene hat dich selbst als Student, als junger Schauspieler beeindruckt, inspiriert? Gab es einen Schauspieler, deutsch oder international, der dich beeindruckt hat, wo du dachtest: „So muss man spielen“? Thomas Thieme  Ach Gott. Lange her. Ich glaube, der erste war Charles Bronson in „Die glorreichen Sieben“, da war ich zwölf. Mit zwanzig Rod Steiger in „Waterloo“. Dann Robert Mitchum, Marlon Brando, Montgomery Clift. Das Gefühl, wie ein anderer spielen zu müssen, hatte ich nie. Ich habe kein Kontinuum, was Beeindruckung betrifft. Meistens ist es körperliche, intellektuelle und persönliche Präsenz. Falk Richter  Welches war deine Lieblingsrolle im Film oder Fernsehen in den letzten Jahren? Thomas Thieme  Rudolf Gombrowski mit Matti Geschonneck kommt der Erfüllung sehr nahe. Erfüllung entsteht durch gemeinsame Schwingungen. Die habe ich mit Geschonneck. Der Kommissar Franck in „Der namenlose

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stück

Tag“ war ähnlich erfüllend. Und natürlich waren auch diese Personen des öffentlichen Interesses, die ich gespielt habe – Borgward, Hoeneß, Kohl –, aus verschiedenen Gründen sehr reizvoll. Der unmittelbare Zugriff auf das Leben anderer, der seitens dieser Herren stattgefunden hat und stattfindet, hat einen ganz anderen Reiz als ein fiktiver Shakespeare-König. Ich habe da den kleinen Helmut, den kleinen Uli gesucht und dann versucht, zu verstehen und zu entwickeln, wie sie diese großen Macker wurden. Falk Richter  Wie hast du dich darauf vorbereitet, Helmut Kohl zu spielen? Er war einer der mächtigsten und korruptesten westdeutschen Politiker der Nachkriegsjahre, „der deutsche Pate“, der mit Geldkoffern auf Autobahnraststätten Politik gemacht hat, der der DDR-Bevölkerung „blühende Landschaften“ versprochen, politische Widersacher ausgeschaltet und das „Ehrenwort“ inhaltlich völlig entleert hat. Macht es Spaß, so einen skrupellosen Machtmenschen zu verkörpern?

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Thomas Thieme  Da musst du Florian Henckel von Donnersmarck fragen. Ich habe eine Mischfigur aus Stasichef und Kulturminister gespielt, die es so in der Realität nicht gab. Das war wahrscheinlich der Reiz, es war keine Dokumentation. Falk Richter  Und dennoch wirkte es unglaublich authentisch. Ich hatte beim Zuschauen den Eindruck, dass dir das, was du da spielst, durchaus bekannt ist: Die Willkür eines einzelnen Menschen, der mit sehr viel Macht ausgestattet ist, kann Karrieren zerstören, Leben vernichten, Beziehungen auseinanderreißen. Und immer wieder stellt der Film die Frage: Wie verhalte ich mich persönlich in einem Unrechtssystem, in welche Widersprüche verstricke ich mich oder werde verstrickt und zerrissen? Gab es politisch oder persönlich problematische Situationen für dich in der Zeit als Theaterschauspieler oder Fernsehund Filmschauspieler in der DDR? Bist du in Konflikte mit dem System geraten?

Thomas Thieme  Beim Kohl-Film lebte er ja noch, und seine neue Frau hat mit allen Mitteln versucht, den Film zu verhindern. Tatsächlich gab es nie einen persönlichen Kontakt, was dem Film letztendlich nicht geschadet hat. Bei Hoeneß war es anders, ich habe ihn getroffen, und er hat sich zwei Stunden sehr freundlich mit mir unterhalten. Es macht wenig Sinn, als Schauspieler den Machtmenschen Kohl oder Hoeneß noch einmal zu ­beglaubigen. Indem man sich aufbläst, wird der nicht mächtiger. Lieber vorsichtig Strukturen aufdecken. Und keinesfalls ­Kopien liefern.

Thomas Thieme  Das Thema ist für mich erledigt.

Falk Richter  Helmut Kohl steht mit seiner Politik für die feindliche Übernahme und den Ausverkauf der DDR. Er war sicher einer der größten ­Wendegewinner. Ohne die ihm zujubelnden überrumpelten Ostbürger, die ihm gutgläubig seine leeren Versprechungen abgekauft haben, wäre er nicht noch einmal Kanzler geworden. Wie hast du selbst den Zusammenbruch des DDR-Systems, die letzten Tage vor dem Mauerfall, den Systemwechsel 1987 bis 1990 wahrgenommen?

Falk Richter  Was hast du gehasst am Leben in der DDR?

Thomas Thieme  Eher emotionslos, ich war ja nicht mehr dabei. Über die Darstellung ihrer Positionen in der DDR habe ich mich bei einigen Leuten dann sehr gewundert, amüsiert oder schwer geärgert. Falk Richter Wer sind die spannendsten, konfliktreichsten, widersprüchlichsten Figuren aus dem realen Leben der DDR, die als Theater- oder Filmfiguren taugen würden? Thomas Thieme Das wird immer schwieriger. Die großen sind durch: ­Honecker, Mielke, Wolf. Sie waren bestenfalls grotesk. Ich sehe Versuche und habe Versuche gesehen, Figuren aus dem Alltag der DDR-Arbeiter, Intellektuelle, Liedermacher filmisch zu porträtieren. Das ist je nach Standpunkt des Betrachters ideologisch ausgegangen. Falk Richter  In „Das Leben der Anderen“ spielst du den DDR-Kulturminister Bruno Hempf, der einem Schriftsteller die Freundin ausspannen will und ihn dafür von der Stasi überwachen lässt, um ihn aus dem Weg räumen zu können. Einen Mann, der über Leichen geht. Woran war diese ­Figur angelehnt?

Falk Richter  Wann fiel der Entschluss, in den Westen zu gehen? Und wie sah dieser Schritt konkret und praktisch aus? Thomas Thieme Auch das Thema ist im Grunde für mich erledigt. Ich dachte damals, bevor ich mich zu Tode langweile, versuche ich mal was anderes. Ich war schon fast dreißig Jahre alt. Dann stellte ich einen Antrag, und nach drei Jahren war ich weg.

Thomas Thieme  Gar nichts. Es war sehr gemütlich und gänzlich reizlos. Falk Richter  Was hat dir gefehlt? Thomas Thieme  Eben nichts. Falk Richter  Gab es besondere Arbeitsbeziehungen oder Freundschaften während der Zeit kurz vor deiner Ausreise? Thomas Thieme  Ich war für innige Freundschaften eher ungeeignet, und die Arbeitsbeziehungen waren nicht der Rede wert. Falk Richter  Wenn du einem jungen nach Berlin zugereisten Menschen heute in wenigen Worten das System DDR beschreiben würdest, was würdest du erzählen? Thomas Thieme  Ich würde ihn an einen westdeutschen Linken verweisen. Die kennen die DDR offensichtlich am besten. Falk Richter  Mein Vater stammt aus Chemnitz, die Familie seines Bruders – also mein Onkel, meine Cousins und Cousinen – lebte und lebt in Templin, meine Großmutter lebte bis zu ihrem Tod in Karl-Marx-Stadt. Mein Vater ist als Einziger in seiner Familie noch vor dem Mauerbau nach Hamburg abgehauen. Du bist weit vor dem Mauerfall ausgereist. Was war anziehend für dich am Westen, als du da ankamst?

THEATER M ARIE


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wahrscheinlich wollte ich … _ thomas thieme und falk richter

Thomas Thieme  Wie der Frankfurter Bahnhof roch. Dann wurde es Alltag. Jetzt gibt es keinen richtigen Westen mehr. Mich hat er nie wirklich gereizt, ich hatte nur das andere satt.

Thomas Thieme  Kraft, Form, Hysterie.

Falk Richter  Wie war deine erste Nacht im Westen? Wo hast du die verbracht?

Falk Richter  Wie habt ihr miteinander gearbeitet? War Schleef ein zugänglicher Mensch? Wart ihr befreundet?

Thomas Thieme  Mit vielen Menschen im Auffanglager Gießen. Ich habe andauernd Pläne gemacht.

Thomas Thieme  Wir haben nur dreimal zusammengearbeitet. Ich musste ihm zweimal etwas absagen, das hat er mir nicht verziehen. Eine Freundschaft war undenkbar, wir hatten zu viele gemeinsame Erinnerungen.

Falk Richter  Worin bestand das Besondere seiner Kunst?

Falk Richter  Was hattest du vor? Thomas Thieme  Wahrscheinlich wollte ich Marlon Brando werden. Falk Richter Was war die größte Ernüchterung oder Enttäuschung im Westen für dich? Thomas Thieme  Dass dauernd schlaue Westdeutsche kamen und mir die DDR erklärten. Falk Richter  Was haben die dir da erklären wollen? Thomas Thieme  Ich habe Kollegen getroffen – wohlhabende notabene –, die mir erklärt haben, wie schön es in der DDR war. Das ist ein grotesker Nebenaspekt dieser Wende. Falk Richter  Hat man im Westen anders gespielt als im Osten? Thomas Thieme Ich habe es am Anfang in Frankfurt/Main geliebt, wie ­wenig technisch gespielt wurde. Das Technische hat mich in der DDR – schon in der Schauspielschule – gründlich verstört. Aber natürlich gab es dort auch Schauspieler, die mit der Seele gearbeitet haben. Irgendwann gingen mir dann im Westen die Einfühlungsarien auf die Nerven. Und heute verstehe ich kaum noch was, wie die Alten zu allen Zeiten.

Falk Richter  Was waren das für Erinnerungen, und inwiefern haben sie eine Freundschaft verhindert? Thomas Thieme  Zwei Thüringer im Westen mit ähnlicher Statur und ganz verschiedenem Habitus. Er kam schließlich mit seinen angepassten Westprotagonisten besser zurecht. Falk Richter  Gab es Momente, in denen er unerträglich wurde? Thomas Thieme  Ich habe ihn nie als unerträglich empfunden, eher seine engeren Mitarbeiter. Ihn habe ich BEWUNDERT. Bewundert und beneidet. Falk Richter Als Regisseur hast du dich in deinen Inszenierungen mit ­Georg Büchner, mit Volksaufständen, mit Revolutionen beschäftigt. Wie siehst du die aktuelle gesellschaftspolitische Stimmung in Deutschland und Europa? Blick auf Dresden, Leipzig, Chemnitz … Was geht da vor? Wie nimmst du das wahr? Thomas Thieme  Ich habe ganz die Hoffnung verloren, dass das Theater noch auf Augenhöhe mit den gesellschaftlichen Verwerfungen ist. Zurück zur Operette. Falk Richter  Erleben wir gerade erneut den Zerfall und Niedergang eines Systems?

Falk Richter  Was befremdet dich denn am meisten? Thomas Thieme  Der Versuch, ohne wirkliche Kenntnis gesellschaftlicher Zusammenhänge mit den Mitteln der eigenen Wohlstandsbiografie große politische Themen auf die Bühne zu bringen. Falk Richter  Was konnte Einar Schleef, was ihn unverwechselbar machte? Thomas Thieme  „Droge Faust Parsifal“ lesen. Falk Richter  Was trieb Schleef an? Was war sein Motor? Thomas Thieme Keine Ahnung. Vielleicht sein Ingenium, vielleicht Geltungsdrang.

Thomas Thieme  Da fehlen mir die Kompetenz und die Naivität, irgendwas rauszuhauen. Das ist das Geschäft des Theaters. Falk Richter  Wer oder was ist gerade dabei unterzugehen? Thomas Thieme  Die Welt. Falk Richter  Du bist im Theater und Film immer der Mann fürs Grobe gewesen. Der Schauspieler, der das Dunkle, Abgründige, Gefährliche und Destruktive im Menschen ausloten kann. Kaum jemand kann die korrupten und niederträchtigen Figuren so spielen wie du. Richard III., Helmut Kohl, Martin Bormann, Paul Niemand aus „Unter Eis“, den fiktiven DDR-Kulturminister Hempf aus „Das Leben der Anderen“ – haben Frauen Angst vor dir? Thomas Thieme  Nein. Sie ignorieren mich.

Falk Richter  Wogegen richtete sich seine Wut? Thomas Thieme  Das habe ich nicht herausgefunden.

Falk Richter  Machen wir mal eine Liste der interessanten lebenden Figuren, die für dich infrage kämen, zu spielen. Harvey Weinstein?

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stück

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Thomas Thieme  Nein. Aber typmäßig das richtige Angebot.

Thomas Thieme  Stalin vor dem Nichtangriffspakt mit Deutschland.

Falk Richter  Donald Trump?

Falk Richter Wie kriegen wir den rebellierenden braunen Mob wieder be­ruhigt?

Thomas Thieme  Nein. Vom Typ falsch. Falk Richter  Steve Bannon?

Thomas Thieme  Wir haben ihn doch erst in Ost und West großgezogen. Frag die Erziehungsberechtigten.

Thomas Thieme  Ja. Sehr interessant. Schlau und schmierig. Ganz mein Fall.

Falk Richter  Woher kommt der aktuelle Hass auf die Demokratie?

Falk Richter Wer liefert abgründigeres Charaktermaterial: Seehofer oder Maaßen?

Thomas Thieme Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, halte ich – außer bei den Chefideologen – Blödheit für den entscheidenden Grund.

Thomas Thieme  Natürlich Seehofer: groß, depressiv, melancholisch. Maaßen ist der Buffo.

Falk Richter  Wer oder was hat da versagt, dass im Osten die AfD auf dem Weg ist, die stärkste Partei zu werden?

Falk Richter  Wer ist gefährlicher und durchtriebener: Gauland oder Höcke?

Thomas Thieme  Ich weiß nicht, ob Versagen der richtige Begriff ist. Was man schon 68 wusste: Man hätte nach 1945 viel rigoroser diese Ideologie bekämpfen müssen. Nicht durch sanfte Entnazifizierung. Diese Ideologie ist für einfache Menschen zu verführerisch, als dass man ihre Chefideologen einfach ins nächste System hätte übernehmen solllen. Um über das Thema in Bezug auf den Osten zu sprechen, benötigten wir ein Sonderheft.

Thomas Thieme  Keiner von beiden wirklich. Wenn es mal eine neue Generation bei der AfD geben sollte, müsste man aufpassen. Falk Richter Ein großer politischer Stoff könnte das Scheitern des Martin Schulz sein. Ein Mann stürzt vor den Augen der Nation komplett ab und verschwindet in der politischen Bedeutungslosigkeit. Was ist da vor­gefallen? Thomas Thieme  Der Fall Schulz hat den Fall SPD aufgedeckt. Bebels Partei als Protagonistin der Mittelstandsbetreuung. Diese Partei muss auf zehn Prozent kommen und es dann mit Künast neu versuchen.

Falk Richter  Wird Sahra Wagenknecht die wütenden, abgehängten Massen aus den Armen der neuen Faschisten befreien und für sich gewinnen können? Thomas Thieme  Wie soll sie das denn machen? Falk Richter  Also die interessanteste Figur für dich hier ist …

Falk Richter  Im Gegensatz zu Maaßen und Seehofer wollte Martin Schulz ja sicher nichts Böses. Warum ist er so gescheitert? Thomas Thieme  Ich nehme an, weil der nichts Böses wollte. Falk Richter Warum gewinnen solche finsteren Gestalten wie Maaßen, Kohl und Seehofer immerzu? Thomas Thieme Das ist eine ausgezeichnete Frage. Wenn das Theater ­intellektuell und begabungsmäßig besser aufgestellt wäre, wäre das seine Kernkompetenz. Natürlich fehlt das Manuskript. Shakespeare kannte diese Typen nicht. Falk Richter  Entwickeln wir mal ein Szenario. Was könnte Seehofer zu Fall bringen? Thomas Thieme  Sein Suizid.

Thomas Thieme  Steve Bannon … Falk Richter  Steve Bannon, der eine leere Entertainmenthülle wie Donald Trump mit Rhetorik und Ideologie versorgt. Gerade baut er neue Schulungszentren in Europa auf. Er will eine völkisch nationale Revolution anzetteln, die demokratischen Parlamente aushöhlen und schreibt, die Menschheit brauche wieder Kriege, auch der Westen, sonst schläft er ein. Wie würdest du dich in die Figur Steve Bannon hineindenken und hineintasten? Thomas Thieme  Eine Rolle ist eine Rolle ist eine Rolle. Siehe Gombrowski. Wie ich es immer halte, so täte ich es auch hier: Links marschiert Thieme los, rechts Bannon. Und irgendwann knallen sie aufeinander. Und dann ist nur noch Thieme da, der den anderen in sich hat. Falk Richter  Was bringt so jemanden wie Bannon dazu, die halbe Menschheit opfern zu wollen?

Falk Richter Was könnte den Rest von Deutschland von der CSU-Herrschaft befreien? Thomas Thieme  Carl von Ossietzky. Falk Richter  Wer oder was könnte die rechtsnationale Revolution, die wir gerade vor unseren Augen erleben, stoppen?

Thomas Thieme  Das wäre die am Premierenabend zu beantwortende Frage. Falk Richter  Bannon ist ja ein alternder, unattraktiver Mann, der kaum öffentliche Auftritte hat und sich etwas linkisch bewegt, aber die mächtigsten Männer der Welt gerade massiv in ihrer Politik beeinflusst. Was treibt den an?

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wahrscheinlich wollte ich … _ thomas thieme und falk richter

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Thomas Thieme  Dass er alt und unattraktiv ist. Irgendwas muss ja jeder irgendwie verkörpern. Falk Richter Wie würde ein Stück mit Steve Bannon in der Hauptrolle enden? Was ist Steve Bannons Endziel? Thomas Thieme  Das kann nur das Ende von Dirty Rich in „Schlachten!“ sein. Er verliert die Sprache und kann nicht sterben. Falk Richter Welche Stoffe reizen dich, sie als Theaterregisseur umzu­ setzen? Thomas Thieme  Zweipersonenstücke an kleinsten Theatern.

14. Stuttgarter europa theater treffen

16. noV. - 9. DeZ. 18

Frauen im Mittelpunkt!

Falk Richter  Wie war deine Erfahrung als Theaterregisseur? Wie war das, die Seiten zu wechseln? Thomas Thieme  Ich habe es geliebt. Das war mein Fehler. Und ich kann es ganz gut. Falk Richter  Als Regisseur, was wäre da dein Traumensemble? Thomas Thieme  Natürlich die Künstler vom Theater HORA in Zürich mit ihrer Protagonistin Julia Häusermann. Falk Richter  Was erwartest du von einem Schauspieler, der bei dir spielt? Thomas Thieme  Dass er keine Romane schreibt.

Programm und Tickets auf www.sett-festival.eu

Falk Richter  Wie soll ein Schauspieler spielen? Thomas Thieme  Gar nicht. Falk Richter  Die Theaterkritikerin Christine Dössel trat vor etwa einem Jahr eine Debatte los, die weitreichende Konsequenzen für den Intendanten der Münchner Kammerspiele hatte. Dössel unterschied in die richtigen, guten Schauspieler, die auch wirklich spielen können. Und in die Performer, die irgendwie nicht spielen könnten und nur als sie selbst dastehen würden und die sich ihrer Meinung nach zu Unrecht in München breit­gemacht hätten. Thomas Thieme  Ich hab nie etwas an den Münchner Kammerspielen seit Frank Baumbauer gesehen. Ich kann Frau Dössels Meinung nicht beurteilen. Ich kann so einen professionellen Theaterkritikerartikel gar nicht verstehen, mir ist das Vokabular unzugänglich. Und wer sich wo breitmacht – zumal in München –, ist mir scheißegal. Falk Richter  Du bist immer du selbst, auch wenn du immer etwas anderes spielst, du sprichst mit Thüringer Einfärbung statt mit einem hochdeutschen Bühnenton, ich habe selten das Gefühl, dass du dich verstellen oder verwandeln würdest – ich sehe da immer Thieme, und trotzdem sehe ich da immer auch Thieme, der mir eine bestimmte Figur nahebringt, ohne je ganz zu verschmelzen. Was ist denn das deiner Meinung nach: „ein rich­ tiger Schauspieler“? Wie soll man spielen? Was bringst du deinen Schauspielstudenten da bei?

Z

hdk

Zürcher Hochschule der Künste

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Theater tri-bühne Eberhardstraße 61A 70173 Stuttgart Infos und Karten: 0711 – 236 46 10

Thomas Thieme  Ich war als Schauspiellehrer eher erfolglos. Ich hatte ganz gute Tage in Frankfurt und mit Studenten der Leipziger Schauspielschule, Horrorzeit bei Ernst Busch in Berlin. Seitdem bringe ich niemandem mehr etwas bei und würde das auch allen Schauspielschulen raten. Die Akademisierung dieses einzigartigen Berufs auf Mittelschulniveau funktioniert nicht. Ein richtiger Schauspieler ist eben kein richtiger Schauspieler. Falk Richter  Du warst der Star der Schaubühne Berlin. Hast dort die großen, komplexen Rollen gespielt, ganze Abende haben sich da um dich gedreht. Dann gab es nach Luk Percevals Produktion „Molière“ einen Bruch mit dem Theater. Was war damals der Auslöser, dich erst mal für eine Weile aus dem Theater zurückzuziehen? Thomas Thieme  Ich musste erkennen, dass ich für den Platz in der Mitte der Bühne mental ungeeignet war. Da stand ich aber immer, stundenlang. Keiner mochte mich, außer mein Luk. Und mein Credo „Ich werde gespielt“ wich dem Stadttheateralltag. Da hatte ich keine Lust mehr. Und ich war

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nach über zehn Jahren in der Mitte etwas überspielt. Und ich konnte mir den Abgang leisten. Falk Richter  Wie hast du die Jahre an der Schaubühne wahrgenommen? Du warst ja bei Andrea Breth und in der Ära Ostermeier dort. Hast du dich dort wohlgefühlt? Was hat die Atmosphäre dort für dich ausgemacht? Thomas Thieme  Wenn man sich an der Schaubühne nicht wohlfühlt, sollte man gehen oder berühmt werden. Ich bin bei Andrea Breth weggegangen, halb rausgeflogen, und nur ein paar juristische Unachtsamkeiten meiner Chefs haben die rote Karte verhindert. Dann bin ich mit Perceval zurück­ gekommen, hatte ein paar glückliche Jahre, war gesund und präsent. Die Atmosphäre dort war offensichtlich immer speziell, von großen persön­ lichen Ehrgeizen bestimmt. Das fand ich eher komisch. Falk Richter  Du hast sehr viel mit Luk Perceval zusammengearbeitet. Kannst du eure Arbeitsweise beschreiben? Was hat ihn als Regisseur ausgemacht?

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Thomas Thieme  Ein abgehalfterter Unternehmensberater. Falk Richter  „Zu alt für einen Neuanfang, zu jung, um sich schon aufzugeben“, wie es im Stück heißt. Ist er dir nahegekommen? Thomas Thieme  Er ist mir nahe. Wir spielen es noch, gefühlt alle fünf Jahre. Falk Richter  Worunter leidet Paul Niemand? Thomas Thieme  Unter sich selbst. Das hat er mit mir gemeinsam. Falk Richter  Was hat Paul Niemand angetrieben? Thomas Thieme  Der Wahnsinn. Auch das hat er mit mir gemeinsam. Falk Richter  Für welche Ideologie steht er? Thomas Thieme  Er hatte nie eine. Da ähnelt er mir.

Thomas Thieme  Ich kann nichts beschreiben. Robert Mitchum hat mal auf eine ähnliche Frage geantwortet: Wir sind zum Set gegangen, haben die Szenen gedreht und sind wieder nach Hause gegangen.

Falk Richter  Paul Niemand lebt allein, ernährt sich von Tütensuppen. Kannst du kochen, oder bist du auch einer dieser Männer wie mein Vater, die ohne Frau im Haus völlig verwahrlosen und sich nicht mal ein Spiegelei braten können?

Falk Richter  Gehen wir noch mal ein paar der Regisseure durch, mit denen du gearbeitet hast. Wie würdest du sie charakterisieren, was ist dir an ihnen auf­ gefallen, was nimmst du mit aus der Arbeit mit ihnen? Thomas Ostermeier.

Thomas Thieme  Verwahrlosen werde ich wohl nicht, aber kochen kann ich auch nicht.

Thomas Thieme  Ein sehr netter Junge.

Falk Richter  Was hörst du eigentlich für Musik?

Falk Richter  Claus Peymann.

Thomas Thieme  Ach du lieber Gott. Ich glaube, ich habe außer Volksmusik schon alles gehört. Es gab und gibt Phasen. Eine der ersten war natürlich Rolling Stones und Bob Dylan. Auf der Schauspielschule hatte ich es mit der Klassik – vor allem Bach und Debussy. Später kam das 20. Jahrhundert – Schönberg, Berg, Webern –, dann Strawinsky, Bartók, Schostakowitsch, zuletzt Schnittke, Pärt, Stockhausen. Auch Jazz, vor allem Chet Baker. Und der sterbende Johnny Cash. Und das alles plus Foo Fighters, PJ Harvey, Future Islands und so weiter höre ich immer noch.

Thomas Thieme  Ich liebte seine Leidenschaft. Falk Richter  Andrea Breth. Thomas Thieme  Das möchte ich nicht kommentieren. Falk Richter  Florian Henckel von Donnersmarck.

Falk Richter  Du spielst auch in einer Band. Thomas Thieme  Sehr intelligent. Falk Richter  Wolltest du mal Intendant werden? Thomas Thieme Ich war eine Woche lang Intendant meines Heimat­ theaters in Weimar. Durch juristische Unachtsamkeit der dortigen Chefs bekam ich dann die rote Karte. Danke, ihr Süßen, ihr habt mich gerettet. Falk Richter  Mit welchen jungen Theaterregisseurinnen oder -regisseuren würdest du gern mal arbeiten? Oder hast du das Theater hinter dir gelassen? Thomas Thieme  Ohne ignorant sein zu wollen, kenne ich gar keine. Mal sehen, wer Shylock mit mir machen will. Falk Richter  Du hast in meinem Stück „Unter Eis“ 14 Jahre lang den Paul Niemand gespielt. Wir sind damit durch ganz Europa getourt. Wer ist Paul Niemand?

Thomas Thieme Ich war mal ganz kurz in einem Dorf bei Weimar als Halbstarker Sänger der Band Villagemen. Wir spielten Coverversionen von den Rolling Stones, The Who, Small Faces und The Hollies. Kein Ruhmesblatt. Seltsamerweise wollte ich nie aus tiefster Seele Rockstar werden. Schon eher Fußballer (siehe FC Energie Schaubühne 97). Aber auch da: krasse Unbegabung. Falk Richter  Wie hältst du es mit Religion? Woran glaubst du? Thomas Thieme  Es gibt ja unendliche Gemeinplätze zu dieser Frage, zum Beispiel: IRGENDEIN HÖHERES WESEN MUSS ES DOCH GEBEN. Das Religiöse kann wohl eine starke Stabilisierung in dramatischen Lebenssituationen darstellen. Dafür ist es wohl auch gut, obwohl sicher nicht dafür kreiert. Es ist eben Glauben, nicht Wissen. Falk Richter  Was kommt nach dem Tod?

Künstlerhaus Mousonturm November 2018 TANZFESTIVAL RHEIN-MAIN IN FRANKFURT Ayla Pierrot Arendt Harmless Being 6./8./9.11. / Emanuel Gat/Emanuel Gat Dance & Ensemble Modern Story Water 7. & 8.11. / Kristin Gerwien Down where the Trees grow together 10./13./14.11. / Saša Asentić Dis_Sylphide 13. & 14.11. / Taulant Shehu Dua 15. & 16.11. / Meg Stuart & Jompet Kuswidananto/ Damaged Goods Celestial Sorrow 16.–18.11. Milo Rau/IIPM Die Wiederholung – Histoire(s) du théâtre (I) 31.10. & 1.11. / Toshiki Okada/chelfitsch Five Days in March 21. & 22.11. / Mapa Teatro La Despedida (Der Abschied) 29. & 30.11. / Susanne Zaun/Judith Altmeyer Schlaflos in… Frankfurt 23.11. Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main GmbH, Waldschmidtstr. 4, 60316 Frankfurt/Main


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wahrscheinlich wollte ich … _ thomas thieme und falk richter

Thomas Thieme  Mal sehen. Kann dir bald Bescheid sagen. Falk Richter  Hast du manchmal Mordfantasien, wenn du schlechte Kritiken liest? Thomas Thieme  Mich hat noch niemals eine Kritik wirklich berührt, weder positiv noch negativ. Ich habe das System nie verstanden: Wir arbeiten, ­Publikum schaut zu. Das scheint mir alles zu sein. Dass da noch welche mit Ringblock sitzen und im Nachhinein dem Publikum mitteilen, was es gesehen haben soll, verstehe ich nicht. Ich finde es weder gut noch schlecht, ich verstehe den Vorgang nicht. Und deshalb bin ich unberührbar, wie ein ­Tauber, den man anbrüllt. Aber viele Schauspieler nehmen das offensichtlich ernst. Ich hatte an der Schaubühne vor hundert Jahren einen sehr eifrigen Kollegen, der die alle kannte und vor der Premiere noch mal schnell ins Foyer gehuscht ist, um zu sehen, ob sie auch alle da sind. Dann hat er ­hyperventiliert und in der Maske ihre Namen veröffentlicht. Falk Richter  Ich glaube, den kenne ich. Themenwechsel: Das perfekte Date mit einer Frau sieht folgendermaßen aus … Thomas Thieme  Sie sagt es ab. Falk Richter  Der perfekte Abend mit einem guten Freund sieht so aus … Thomas Thieme  Hoffentlich nicht perfekt. Falk Richter  Was macht dir Angst? Thomas Thieme Über Angst wird jetzt hier viel geredet, natürlich – ­aufgrund der Nochabwesenheit von ständiger Bedrohung – sehr abstrakt. Ich hatte mal richtig Angst, als ich 1968 während der Pragkrise bei der Nationalen Volksarmee war. Wir bekamen unsere Waffen und scharfe ­ ­Munition ausgehändigt und wurden auf die Lkw kommandiert. Vorher sollten wir noch einen Brief an die Eltern schreiben. Auf den Lastern saßen wir dann die ganze Nacht, irgendwann am Vormittag gab es Entwarnung. Wir gaben Waffen und Munition wieder ab und rückten in die Kaserne ein. ­Damals ging mir – wie es dort hieß – ganz schön die Muffe. Das Verhältnis zur Angst hängt mit der Vehemenz des schon Erlebten und der Fantasie für das Kommende zusammen. Und die sind ganz individuell, wie man an momentanen Angstbeschreibungen ablesen kann. Das reicht von Hysterie bis Gelassenheit. Falk Richter  Der perfekte Tag sieht folgendermaßen aus … Thomas Thieme  Gar nicht wach werden. Falk Richter  Überzeugungen und Eigenschaften meines Vaters, die ich nie teilen wollte, die ich immer abgelehnt habe, sind … Thomas Thieme  Mein Vater war Jahrgang 1897 und Widder. Ich bin Skorpion. Ich habe seine Männlichkeit bewundert und gefürchtet und sie nie erreicht. Falk Richter  Eine Sache, die absolut kein Mensch über dich wissen sollte, ist … Thomas Thieme  Dass ich ein wirklich arroganter Schnösel bin. Falk Richter  Hast du Geschwister? Thomas Thieme  Natürlich Einzelkind. Falk Richter  Hast du als Kind und Jugendlicher anderen Jungs oft auf die Fresse gehauen? Thomas Thieme  Das kam schon vor. Ich habe auch auf die Fresse bekommen. Das ist wie bei der Arbeit: Harmonie ist meine große Liebe, wenn das nicht funktioniert, kann’s mal knallen. Ich habe zeitlebens die psychische Gewalt mehr verachtet als die physische – im Zivilleben. In unserem Umfeld gibt es ja praktisch nur die psychische, eigentlich immer von oben nach unten. Da habe ich viel erlebt und mich sehr geekelt. Ich war nie betroffen, vielleicht weil ich so furchteinflößend aussehe. Regisseure und mancher

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Großschauspieler kompensieren ihr Talentdefizit durch sanktionierte Übergriffe. Der Opa-Intendant schaut weg. Falk Richter  Und nun einmal der Klassiker bitte: Wie bist du zur Schauspielerei gekommen? Thomas Thieme  Über die von mir nicht so geschätzte Tatsache, dass ich schön Gedichte aufsagen konnte. Damit gewann ich eine Kinderrolle bei „Richard III.“ in Weimar. Nachdem sich die Architektur in Luft aufgelöst hatte, wurde ich Kulissenschieber am Theater. Dann hat mich ein befreundeter junger Schauspieler mit seinen einstigen Vorsprechrollen nach Berlin an die Schauspielschule geschickt, und die haben mich gleich genommen. Damit war ich auf der Schiene. Dort wollten sie mich vor allem technisch ausbilden, das ist misslungen. Auch weil ich es nicht wollte. Dann kamen Phasen: vollkommene Verweigerung, Formalismus, Scham, Gleichgültigkeit, Abneigung etc. Bis zu dem Tag, an dem ich etwas verstanden habe: Diese Worte durchzulassen durch den Körper und die Seele, etwa die von Shakespeare, das ist das Schönste. Und da hatte ich eine gute Zeit, ca. 15 Jahre lang. Ich wurde gespielt. Dann entschwanden Teile der Euphorie. Da habe ich aufgehört, jedenfalls mit Theater im Ensemble. Und ich konnte auch nur noch selten beglückt zuschauen. Es bildete sich so ein Rampenpointentheater heraus, natürlich von ein paar Protagonisten angeführt. Das hatte ich schon als Burgtheaterschauspieler ziemlich entsetzt verfolgt. Jetzt gehe ich kaum ins Theater, ich habe zu viel zu lesen. Und wenn ich in ­Berlin mal gehe, sehe ich in dem Wust auch seltsame junge Schauspieler dem Technikdrill entkommen. Aber auch alte Dominanzprotagonisten, angefüllt mit verlogener Emotion und falschen Tönen. Die missbrauchen den Beruf, um öffentlich wahrgenommen zu werden. Aber Schauspieler ist nicht ursächlich ein ADHS-Beruf. Falk Richter  Gab es mal einen anderen Berufswunsch? Thomas Thieme  Ja, ich hatte mal einen richtigen Berufswunsch: Architekt. Kompliziert in der DDR. Falk Richter Du warst Fußballcoach der Schauspielerfußballmannschaft. Das war doch sicher toll: am Rand stehen und die Kollegen zusammenpfeifen, wenn sie Fehler machen. Was waren die schönsten Momente da für dich als Trainer? Thomas Thieme Ich BIN der Coach der Schaubühnenmannschaft. Aber meine besten Spieler ziehen es vor, als Schauspieler Karriere zu machen. Und das ist auch gut so. Als sie mich mit damals 120 Kilo nach dem fünften Turniergewinn in der Volksbühne genommen und in die Luft geschmissen haben – das war großartig! Falk Richter  Wie stellen wir uns den jungen Thomas Thieme vor? Hast du jemals so Rollen gespielt wie Romeo? Oder Ferdinand? Warst du jemals der junge, romantische Liebhaber? Und wie hat sich das angefühlt? Thomas Thieme  Das habe ich nie gespielt, und es hat sich damals scheiße angefühlt. Dann habe ich verstanden, dass die anderen Rollen schöner sind. Jetzt im Film nennt man das wohl Charakterschauspieler. Damit kann ich leben.

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Falk Richter  Als wir die Proben zu „Unter Eis“ anfingen, saßen da bei der Konzeptionsprobe Thomas Thieme, Mark Waschke, André Szymanski und ich. Nachdem wir das Textmaterial gelesen hatten, meintest du zu mir: Falk, diese beiden da, die können wir doch auch auf Video haben, die brauchen wir doch nicht live auf der Bühne, das reicht doch, wenn ich da sitze. Von da an war der Krieg auf den Proben eröffnet und hat genau für den Testosteronschub gesorgt, den es brauchte, diese Inszenierung 14 Jahre im Spielplan zu halten. Wie fühlt es sich an, so als Kollegenmonster auf der Probe die anderen Schauspieler gegen sich aufzubringen? Thomas Thieme  Wenn du sagst, dass ich das gesagt habe, wirst du ja nicht lügen. Ohne mich nett machen zu wollen, kann es sein, dass es vielleicht ein Witz sein sollte. Im Grunde brauche ich Harmonie. Dann passiert irgendwas, und etwas in mir gerät außer Kontrolle. Und diesen Kontrollverlust bringe ich dann kontrolliert rüber. Ich mag ein Monster sein, ein Arschloch bin ich nicht. Falk Richter  An meiner letzten Inszenierung „Am Königsweg“ am Hamburger Schauspielhaus waren maßgeblich drei Künstler beteiligt, die weit über siebzig Jahre alt sind. Die Autorin Elfriede Jelinek, der New Yorker Videokünstler Michel Auder und die Schauspielerin Ilse Ritter. Wir haben mit der Inszenierung ordentlich abgeräumt: Theatertreffen, Publikumspreis in Mülheim, Inszenierung des Jahres, Stück des Jahres und noch einiges mehr. Unsere Übersiebzigjährigen waren ein entscheidender kreativer ­Motor der gesamten Produktion. Jelinek ist die scharfe Denkerin mit den starken, eigenwilligen, berührenden, krassen Textmonolithen, lebt vollends zurückgezogen und ist nur noch per E-Mail zu erreichen, Auders Videos sind technisch und inhaltlich voll auf der Höhe der Zeit, er trägt Ringe und Ketten und wilde Haare und zog während der Probenzeit mit seiner 28-jährigen Geliebten durch die Bars von St. Pauli, und Ilse irrte manchmal etwas verloren durch ihre Gästewohnungen, ist auf der Bühne aber schnell, scharf, witzig und von großer Intelligenz. Ich sehe dich als so eine Mischung aus allen dreien. Und als Kraftwerk voller Witz und Ideen und Lust an deiner Arbeit. Wir können uns also noch auf einige tolle Projekte mit dir freuen! Was steht als Nächstes an? Thomas Thieme  Es wird wohl wieder jemand anrufen und etwas von mir wollen. Was die Berliner Theater betrifft (mit Ausnahme Schaubühne und Maxim Gorki Theater) kann ich mir gerade nichts vorstellen. Ich fühle mich mental noch ganz gut, über körperliche Defizite möchte ich nicht reden. Die sogenannten wichtigen Rollen habe ich fast alle gespielt. Wir haben ja noch Shylock und Bannon erwähnt. Ansonsten ist mit 70 Jahren Spätherbst, ab 71 Winter. Schöne satte Farben im Innern, dann weiße Kälte. Auf die warte ich nun. Falk Richter  Thomas, wenn du dir von mir ein Stück zu deinem Geburtstag wünschen dürftest, mit dir in der Hauptrolle: Was soll drinstehen? Wie soll diese Rolle aussehen? Wen oder was willst du spielen? Thomas Thieme  Stumm. Im Sessel. Bühnenmitte. Und dann eine ganze Flasche Single Malt austrinken und warten, was mit mir passiert. Falk Richter  Soll es ein Soloabend bleiben, oder dürfen andere Schauspieler mitmachen?

Polski Transfer

Festival des aktuellen polnischen Theaters 22.11. – 2.12.2018 hellerau.org

Theater, Performances, Musik, Filme, Installationen, Begegnungen und Diskussionen u.a. mit Komuna Warszawa, Mădălina Dan & Agata Siniarska, Anna Karasińska, Anna Smolar, Cezary Tomaszewski und „Der Prozess“ von Krystian Lupa


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wahrscheinlich wollte ich … _ thomas thieme und falk richter

Thomas Thieme Es kann ruhig noch einer mitmachen. Aber der darf nicht so stolzieren und nicht so betonen wie ... Falk Richter  Wie darf ich die anderen Figuren zeichnen? Thomas Thieme  Hintergründig. Falk Richter  Wie lang ist der Abend? Thomas Thieme Na, bis ich vom Stuhl kippe. Falk Richter  Wenn es eine andere Figur neben dir geben sollte, welche Beziehung hat sie zu dir?

Falk Richter, geboren 1969 in Hamburg, gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Theaterregisseure und Dramatiker. Seine Stücke, darunter „Im Ausnahmezustand“, „Unter Eis“, „Trust“, „Small Town Boy“ und „Fear“, sind in über 35 Sprachen übersetzt und werden weltweit gespielt, seine Inszenierungen sind auf vielen internationalen Festival zu ­sehen. Seit 1994 arbeitet er an renommierten nationalen und internationalen Bühnen wie am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, an der Schaubühne Berlin, am Maxim Gorki Theater, am Royal Dramaten Stockholm, am Theater National Strasbourg. 2018 wurde Falk Richter in Frankreich zum Chevalier de l‘Ordre des Arts et des Lettres ernannt. Foto Esra Rotthoff

Thomas Thieme  Die sollte mir Shakespeare-Sonette in der Nachdichtung von Falk Richter vorlesen. Vielleicht nimmst du dafür lieber eine Frau. Bedingung: Sie darf keinen Theaterpreis gewonnen haben.

Falk Richter  Theater heute hat beim Jahresrückblick jedes Jahr neben all den Auszeichnungen auch die Kategorie „Ärgernis des Jahres“. Wie ist es denn bei deinem ganz persönlichen Rückblick auf die letzten vierzig Theaterjahre: Was waren die Ärgernisse der letzten Jahrzehnte?

Thomas Thieme  Das Theater droht seine Seele zu verlieren. Es schwankt zwischen politischer Klugscheißerei und Mittelstandsbetreuung. Wir haben doch diese Akademie in Frankfurt. Statt jedes Jahr einen bedeutungslosen Theaterpreis auszuloben, muss die sich natürlich mit diesen Verwerfungen befassen. Aber wer dort? Das alles heißt allerdings nicht, dass es gar keine guten Aufführungen gibt. Nur hängt das mehr denn je von individuellem Talent ab.

Falk Richter  Was stört dich am Theaterbetrieb am meisten? Falk Richter  Wann warst du das letzte Mal im Theater, und was hast du dir da angeschaut?

Thomas Thieme  Dass er ist, wie er ist.

Thomas Thieme  Ich war auf der Burg Kapellendorf bei Weimar und habe mir ein Stück angesehen, das die Rückkehr Winnetous zum Thema hat. Da spielten Schauspieler und Laien gemeinsam von der Leber weg. Ich habe mich sehr gefreut.

Falk Richter  Bei RTL-Shows wie „Big Brother“ oder „Love Island“ dürfen die Zuschauer regelmäßig einige unliebsame teilnehmende Stars rausvoten. Die müssen dann abziehen und die Show verlassen. Wen würdest du denn aus der derzeitigen deutschen Theaterlandschaft rausvoten, wenn du könntest?

Falk Richter In wessen Hände sollte denn deiner Meinung nach Klaus Lederer die Volksbühne übergeben?

Thomas Thieme  Ich denke, bei aller Fairness den Teilnehmern gegenüber, dass in Berlin nicht nur die Volksbühne zur Disposition steht. Da gibt es noch zwei große, reiche Theater, die ich – altersbedingt – in glanzvollem Zustand kenne und die nun ganz ordentlich verwaltet werden. Die Schaubühne und das Maxim Gorki Theater sind es nicht. Der Abgang von Claus Peymann hat im Berliner Theaterkörper auch eine Wunde hinterlassen, natürlich weniger spektakulär als bei Castorf, der ja auch zum Aufhören viel zu jung ist. Peymanns verrückte Leidenschaft wird vermisst wie Castorfs Genialität.

Thomas Thieme  Die Frage setzt Kenntnis der Kandidaten voraus, die ich nicht habe. Man hat nach Castorf – besonders seine Mitarbeiter – die Latte in großer Höhe aufgehängt. Das lag natürlich daran, dass seine Mitarbeiter ihm alles zu verdanken haben. Castorf ist und war ein ganz singulärer Fall. Der verantwortliche Kulturpolitiker hat das möglicherweise auch gewusst. Bei so viel Einzigartigkeit wäre der Versuch einer Fortführung in anderen Strukturen angesagt gewesen. Irgendwie wurde das auch versucht, aber offensichtlich mit dem falschen Mann und unter Zulassung der unflätigsten und ausgrenzendsten Beschimpfungen dieses Mannes durch sogenannte Freunde der alten Zeiten. Die da geführte Sprache war durchaus mit dem momentan zu Recht angeprangerten Tonfall anderer Freundeskreise zu vergleichen. Castorf hat das unbeschadet überstanden. Aber nicht das T ­ heater, das konnte man voraussehen. Ich habe diese Hysterie angesichts eines Intendantenwechsels nie wirklich verstanden, möglicherweise gibt es auch nichts zu verstehen. Am jetzigen Zustand trägt nur der verantwort­liche Kulturpolitiker (einer der vielen, die ich seit 1990 hier erlebe) die ganze Verantwortung. Nun stehen alle drum herum und lauern, was er wohl machen wird. Ein Bild der Rat-, Kompetenz- und Verantwortungslosigkeit. Am ehesten mit dem DFB vergleichbar, nur mit kleinem Geld.

Falk Richter  Rainald Goetz hat in seine großartige Trilogie „Krieg“ eine Liste hineingeschrieben mit Hassobjekten. Eine Figur kommt auf die Bühne und schreit ihren Hass auf unterschiedliche Menschen der Theater-, Medienund Politikszene heraus. Also, Thomas, machen wir mal deine Liste der Hassobjekte … Du kommst auf die Bühne und … Thomas Thieme Lieber Falk, ich muss dich enttäuschen: Zum Hassen reicht es nicht. Ich bin enttäuscht, nun als Zuschauer, denn als Akteur bin ich ja nicht mehr dabei. Ich würde gern mal wieder hassen. Und natürlich lieben! Vielleicht schreibe ich aus Frust einen Roman, verfilme ihn selbst und spiele die Hauptrolle. // TdZ on Tour: Ein öffentliches Gespräch mit Thomas Thieme und Falk Richter findet am 24. November um 19:30 Uhr in der Theaterbuchhandlung Einar & Bert in Berlin statt.

SAVE YOUR SOUL MIT SINIARSKA + DAN, ANN LIV YOUNG, DEMI NANDHRA, EVA ILLOUZ, HENRIKE IGLESIAS, INTERROBANG, JAAMIL OLAWALE KOSOKO, NISHA SAJNANI, MEDING/RECKE, MEINE WUNSCHDOMAIN, ONTROEREND GOED, PIETER AMPE, THE AGENCY

FESTIVAL NOVEMBER 09 — 17

TICKETS SOPHIENSAELE.COM FON 030 283 52 66 SOPHIENSTR.18 10178 BERLIN

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Magazin Ästhetik des Vagen Das Favoriten Festival 2018 in Dortmund bieten eine klare Absage an die Mechanismen des Marktes  Sedimente aus dem Sound der Stadt Das BAM! – Berliner Festival für aktuelles Musiktheater zeigt zum ersten Mal einen Überblick über die florierende freie Szene jenseits der großen Opernhäuser  Geschichten vom Herrn H. NSU – und kein Ende  Sein oder Hologrammsein Auf der diesjährigen Ars Electronica in Linz werden neue Tools für ein Theater der Zukunft vorgestellt  Text und Raum Die Performance-Reihe „the dead are losing or how to ruin an exhibition“ entdeckt mit der Ruine der Franziskaner Klosterkirche in Berlin einen

Meditation mit Sensoren Das Projekt „Eadweard’s Ear“ von Penelope Wehrli in der Akademie der Künste Berlin  Knallbunte Operette Joachim A. Langs „Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm“ wirkt trotz Starbesetzung wie aufgeblasener Filmindustriekitsch  Alte Strukturen und frischer Wind Der Showcase Belarus Open in Minsk zeigt, dass das Land zwischen Litauen und der Ukraine auch auf der Bühne einige Entdeckungen zu bieten hat  Eine Stimme, durch die Literatur erklingt Zum Tod des Burgtheater-Schauspielers Ignaz Kirchner  Zwischen den Zeilen In Gedenken an den Schriftsteller, Übersetzer und Dramatiker Werner Buhss  Aus dem Bauch heraus Ein Nachruf auf den Puppenspieler Dieter Brunner  Bücher Wolfgang Engler / Jana Hensel, Ronald Weber, Annett Gröschner / Christian Hippe bislang wenig bespielten Ort


magazin

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Ästhetik des Vagen Das Favoriten Festival 2018 in Dortmund bietet eine klare Absage an die Mechanismen des Marktes und setzt auf ein Theater der Verunsicherung Zu den Eigenheiten des alle zwei Jahre in

überwinden so Raum und Zeit. Dieser experi-

stärken das Gefühl der Überforderung noch

Dortmund stattfindenden Theaterfestivals

mentelle Ansatz, der ästhetische Mischfor-

einmal. Erst wird ganz sachlich der Ablauf

­Favo­riten gehört, dass jede neue Ausgabe seit

men hervorbringt, stand für Fanti Baum und

einer Abschiebung, später das Rezept für

eini­ger Zeit ein neues Leitungsteam hat. Als

Olivia Ebert bei der Programmauswahl im

­Mujadara, ein syrisches Linsengericht, refe­riert.

es 1985 unter dem Namen Theaterzwang ins

Vordergrund. Ihre Favoriten zeugen von einem

Dem folgt ein Bericht über die Gräueltaten,

Leben gerufen wurde, war es als Leistungs-

Theater, das die tradierten Genres neu denkt.

die katholische Truppen im Dreißigjähri­ gen

schau der freien Theaterszene in NRW konzi-

So wird in Claudia Bosses „Poems of the Daily

Krieg nach der Einnahme von Magdeburg ver­

piert. Von dieser Idee haben sich Fanti Baum

Madness“ aus kompilierten Schlagworten

übt haben. Indessen leert sich die Tafel mehr

und Olivia Ebert, die gegenwärtigen Festival-

subversives Musiktheater, eine Operninstalla-

und mehr. Am Ende sitzt man allein an dem

leiterinnen, schon mit der Entscheidung

tion, in der sich das Publikum frei zwischen

Tisch und blickt auf halbgefüllte Suppenteller.

­gelöst, sechzehn und nicht wie üblich zehn

den Performern bewegt, die sich meist in

Ein barockes Vanitas-Motiv, das einen aller­

Arbeiten einzuladen. Ihre Favoriten waren eine

höchster Erregung befinden. In der Sprache

dings mehr mit dem Sterben der ande­ren als

klare Absage an alle Mechanismen des Theater­

des Internetzeitalters wird alles zum Schrei,

mit der eigenen Vergänglichkeit kon­frontiert.

marktes. Statt eine letztlich nur die subjektive

die Liebe wie der Hass, das Aufbegehren wie

Die Ästhetik des Unbehagens ist im-

Wahrnehmung der Auswahljury wider­ spie­

die Affirmation. Bosse poetisiert das Populis-

mer auch eine Ästhetik des Vagen. In dem

geln­ de Schau der Besten zusammenzustel-

tische und schafft neue politische Handlungs-

Moment, in dem das Publikum in den Fokus

len, haben die beiden aus Frankfurt kom­menden

spielräume. Damit liegt „Poems of the Daily

der Performance gerät, öffnen sich Räume,

Kuratorinnen versucht, den Stand der Dinge

Madness“ ganz auf der Linie der Festivalleiterin­

die keine klar gezogenen Grenzen mehr

und Debatten abzubilden. Jede der eingela-

nen, die Politisches vor allem über die Form

haben. Die Unsicherheit des Betrachters ­

denen Inszenierungen steht repräsentativ für

verhandeln wollen.

­gebiert eine gewisse Unschärfe, aus der sich

aktuelle Strömungen in der freien Szene. So

In einem kurzen Essay, der im Festival­

neue Möglichkeiten ergeben. In „ingolf wohnt“,

war die Eröffnung mit „Fin de Mission / Ohne

katalog erschienen ist, denkt Melanie Hinz,

einem am Gelsenkirchener Musiktheater im

Auftrag leben“, eine gemeinsame Produktion

Professorin für Bildende und performative

Revier

des kainkollektivs mit der aus K ­ amerun kom-

Künste in der Kulturarbeit an der Fachhoch-

Projekt, stellen Daniel Kötter und Hannes

menden Gruppe OTHNI, ein klares Bekennt-

schule Dortmund und Gründerin des Kollek-

­Seidel das Theater selbst infrage. Zunächst

nis zu einem postkolonialen Theater, in dem

tivs Frl. Wunder AG, über eine „Ästhetik des

sieht man auf einem Mobiltelefon einen Do-

sich europäische und afrikanische Traditionen

Unbehagens“ nach. Damit lenkt sie den Blick

kumentarfilm über Ingolf Haedicke, einen

gegenseitig befruchten.

auf eine bemerkenswerte Entwicklung inner-

ehemaligen Mitarbeiter des DDR-Rundfunks,

Einen ähnlich diskursiven Ansatz ver-

halb der performativen Künste wie auch der

der voller Leidenschaft elektronische Instru-

folgt auch die Gruppe I can be your translator

freien Theaterszene. Bei vielen Projekten, die

mente baut. Im Film breitet er seine Ideen

mit ihrem Inklusionsprojekt „Das Konzept

im Lauf des Festivals in Dortmund gastierten,

zur Oper aus, die sich, so Haedicke, von den

bin ich“. Diese Recherchearbeit zu den

standen nicht mehr die Performer im Mit­

starren Gebäuden befreien soll. Im Anschluss

­Euthanasie-Programmen der Nationalsozialis-

telpunkt, sondern die Zuschauerinnen und

betritt man einen originalgetreuen Nachbau

ten, in der Dokumentarisches auf Reflexionen

­Zu­schauer. Das von Hinz beschworene Unbe­

seiner kleinen Wohnung und kann sich dort

über die Theaterarbeit trifft, hatte im Rahmen

hagen erwuchs also schon aus dem Gefühl,

beliebig lange aufhalten. Haedicke träumt

des Festivals Premiere. Wie kainkollektiv, das

dass alle Augen auf einen selbst gerichtet

von der Oper als großer Überwältigungskunst.

­zusammen mit OTHNI einen Trip in die kolo­

sind. In Sebastian Blasius’ „Vanitas“, einer

Davon ausgehend, kann das Publikum seine

ni­ale Vergangenheit in ein transgressives Opern­

knapp halbstündigen Performance für einen

Vorstellungen vom Theater überdenken. In

ritual verwandelt hat, setzt auch I can be

einzigen Besucher, ist es tatsächlich so.

„ingolf wohnt“ geht es nicht mehr um Einfüh-

entstandenen

Expanded-Cinema-­

your translator auf Grenzüberschreitungen. Die

Man betritt als dreizehnter Gast einen

lung in einen fiktiven Charakter. Man tritt an

­Performer interagieren mit Videobildern und

Raum. An einer langen Tafel sitzen zwölf Per-

die Stelle eines anderen Menschen, taucht in

former. Ein Stuhl ist noch frei. Während man

seine Lebenswirklichkeit ein und versucht,

sich zögernd setzt, mustern einen die Anwe-

wie er zu denken. Was natürlich nicht funk-

senden genau. Was sehen sie? Was erwarten

tioniert. Aber das Experiment gelingt und

sie? Das sind nur zwei der Fragen, die einem

stößt eine Reflexion über das Eigene und das

durch den Kopf schießen. Unsicherheit über-

Fremde an. //

Eine Ästhetik des Unbehagens – Claudia Bosses „Poems of the Daily Madness“ beim Favoriten Festival in Dortmund. Foto Jana Mila Lippitz

rollt einen. Die dann erklingenden Texte ver-

Sascha Westphal

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magazin

/ TdZ November 2018  /

Sedimente aus dem Sound der Stadt Das BAM! – Berliner Festival für aktuelles Musiktheater zeigt zum ersten Mal einen Überblick über die florierende freie Szene jenseits der großen Opernhäuser Am Koppenplatz fährt der Bus nach Nirgend-

zum ersten Mal statt und will, ähnlich wie das

Puccinis „Madama Butterfly“ unter Gesichts-

wo. Die Räder sind aufgebockt, die Scheiben

Performing Arts Festival im Bereich Theater

punkten der Critical Whiteness zerlegen.

mit Brettern verdeckt. Auch im Inneren er-

und Tanz, einen Überblick über die florierende

Das Ziel, Vielfalt abzubilden und sicht-

wartet die Fahrgäste ein Ambiente, das, mit

freie Szene der Stadt geben. Veranstaltet wird

bar zu machen, löst das BAM! definitiv ein.

Glitzerfolien und Diskokugeln, wenig zu tun

es vom Verein Zeitgenössisches Musiktheater

Divers sind freilich auch die künstlerischen

hat mit gewöhnlichem Linienverkehr. Was

Berlin, seit drei Jahren eine Art Dachverband

Ergebnisse. Das beweist etwa die an den

hier beginnt, ist ein Stillstands-Trip zu klas-

der Szene.

Sophiensaelen angedockte Gruppe Hauen ­

sisch durchsetzten Elektro-Sounds. Alba Gen-

An vier Tagen und dreizehn Veranstal-

und Stechen, die anlässlich des Festivals den

tili-Tedeschi an den Keyboards und die Flötis-

tungsorten in Mitte sind über dreißig ver-

dritten Teil einer überbordenden „Fidelio“-

tin Shin-Joo Morgantini (im Katzenlook)

schiedene Produktionen zu erleben, vierzehn

Dekonstruktion zeigt. Das Projekt, frei nach

schaffen eine großstadtkühle musikalische

davon Uraufführungen. Die Spanne reicht bei

den Deutschlandfarben in „Schwarz“, „Rotz“,

Spur. Die Sopranistin Gina May Walter mode-

den Locations vom Kunst- und Kulturzentrum

„Gold“ gegliedert und auf vier Folgen ange-

riert mit kristallenen Koloraturen den ersten

Acud über die Sophiensaele oder den Club

legt, entdeckt in Beethovens (einziger) Revo-

Halt dieser Stationenreise an: Wut. Folgen

der polnischen Versager zu verschiedenen Orten

luzzer-Oper dem Untertitel gemäß einen

werden Leugnen, Depression, Akzeptanz. Um

im öffentlichen Raum. Beteiligt sind etablierte

„deutschen Albtraum“. Und setzt die Ge-

Liebeskummer- und Trauerbewältigung geht

sowie weniger bekannte Gruppen und Künst-

schichte um den gefangenen Freiheitskämpfer

es. Ein durchaus dringliches Thema in Berlin.

ler wie das Solistenensemble Kaleidoskop,

Florestan und seine undercover weiterkämp-

„Lonely Hearts Bus Tour“ heißt diese

Maulwerker, gamut inc oder Katharina Have­

fende Gattin in ein vernebeltes Setting mit

Arbeit der Berliner Gruppe Opera Lab. Das

rich und Christopher Hotti Böhm. Letztere

Libretto stammt von Evan Gardner, die Insze-

beschäftigen sich in „He Wolf / She Man“

nierung besorgt Michael Höppner, die musi-

im Keller des Acker Stadt Palasts mit (Ge-

kalische Leitung hat Antoine Daurat. Die Tour

schlechter-)Metamorphosen und verdrängten

ist Teil des BAM!, kurz und knallig für Berliner

Trieben, wohingegen Johannes Müller und

Festival für aktuelles Musiktheater. Das findet

Philine Rinnert im Werkhaus Heckmann-Höfe

Im Bus, in der Kneipe und auf dem Rasen – Das BAM! Festival zeigt, wie vielfältig Musiktheater sein kann, hier „Land (Stadt Fluss)“ von Daniel Kötter und Hannes Seidl. Foto Marcus Lieberenz


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/ TdZ  November  2018  /

GESCHICHTEN VOM HERRN H.

Videoscreen und nazimäßigem Banner (auf dem die von Beethovens Librettisten beschworene „Häuslichkeit“ mit SS-Runen ge-

NSU – und kein Ende

schrieben wird). In der Regie von Franziska Kronfoth und Julia Lwowski entfaltet sich „Gold“ als ziemlich konfuses Musikspiel. Wobei man

Das Publikum sitzt gespannt in Reihen,

Wie der NSU-Prozess ablief und welches

allerdings ­

Hauen-und-Stechen-Team

vorne die Bühne, Auftritt der Darsteller, ­

Ende er schließlich fand, ist skandalös. Bei

eine mitreißende Energie – und szenische

teils in Kostümen – ist das Theater? Nein,

Verkündung der Urteile applaudierten die

Fantasie – nicht absprechen kann.

ein Gerichtsprozess. Gericht und Theater

im Saal anwesenden Nazis. Das Gericht

Ambivalent hinterlässt einen auch das

sind nicht unähnlich, in beiden werden

blieb bei den Strafen zumeist unter den

Projekt „Dorfkneipe International“ des Kol-

­öffentlich die gesellschaftlich verbindlichen

Forderungen der Staatsanwaltschaft. Beate

lektivs glanz&krawall, das in der Z-Bar in

Normen verhandelt. Nun ist kürzlich der in

Zschäpe bekam zwar lebenslang – wenig

­Mitte stattfindet und mit einer nostalgischen

Deutschland wichtigste Prozess der letzten

überraschend, wurde sie doch zur Haupt­

Verklärung spielt, vor der gerade in Berlin

Jahre zu Ende gegangen. Angeklagt waren

täterin stilisiert –, die zur NSU-Kerntruppe

auch eine junge Generation nicht gefeit ist.

fünf Personen, an den Taten

gehörigen Mordhelfer André

Ach, die wilden goldenen Neunziger, als der

des

Eminger und Ralf Wohlleben

Schnaps noch in Strömen floss und alle

Untergrunds“ (NSU) beteiligt

hingegen kamen sofort bezie-

­Läden einen ungentrifizierten Coolnessfaktor

gewesen zu sein. Zehn Morde,

hungsweise wenige Tage spä-

besaßen! Das Kollektiv um Regisseurin

zwei

Sprengstoff­anschläge,

ter frei. Allein bei Carsten

­Marielle Sterra zieht „Dorfkneipe Internatio-

15 Raubüberfälle. Der NSU

Schultze, der Reue zeigte

nal“ als Requiem für eine tote Kneipe auf.

hatte gezielt ­ Migranten er-

und dem Gericht wichtige

Inklusive Beerdigungsredner und „Komm, o

schossen, und zwar mit ein

Informationen zu weiteren ­

Tod, du Schlafes Bruder“-Gesang. Schade

und derselben Waffe, der Zu-

NSU-Taten lieferte, blieb das

nur, dass einem die ironische Distanz dabei

sammenhang sollte auffallen.

Urteil nicht unter den Forde-

ebenso wie der Wodka auf dem Tablett ge-

Die Polizei bemerkte freilich

rungen der Staatsanwaltschaft,

reicht wird. Da unterscheidet sich die freie

nichts und ermittelte gegen

obwohl (oder etwa weil?) sich

musikalische oft nicht von der freien perfor-

die Familien der Opfer. Die

mativen Szene: Die Projekte haben eine Ten-

wiederum organisierten, von der Öffentlich-

ausgesprochen hatte. Indem das Gericht

denz, sich in hermetischer Selbstgenügsam-

keit weitgehend ignoriert, eine Demonstra­

sich entgegen den Forderungen der Neben-

keit einzuigeln. Das gilt auch für die „Lonely

tion mit Tausenden Teilnehmern unter dem

klage auf die Einzeltäterthese des Jenaer

Hearts Bus Tour“, deren inhaltliche Substanz

Titel „Kein zehntes Opfer!“. Das war fünf

Trios festlegte (das sich allerdings jahrelang

keinen Einzelfahrschein füllen würde.

Jahre vor der Selbstenttarnung des NSU am

in der straff organisierten Naziszene von

4. November 2011, die sich nun zum sieb-

Chemnitz aufhielt), erfüllte es nicht einmal

ten Mal jährt.

den strafrechtlichen Maßstab, lückenlos

dem

Ausgerechnet dort, wo die Musik vermeintlich eine nachgeordnete Rolle spielt,

„Nationalsozialistischen

die Nebenklage für Milde

­alles zu untersuchen, was eine Tat bedingt

gelangt das BAM! allerdings zu überraschen-

Vollständige Aufklärung, das ver-

der Blüte. Großartig ist die Arbeit „Berlin

sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel. Als

Rosenthaler Platz“ von Kirsten Reese und ­

bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz

Dass sich Polizei, Justiz und Regie-

David Wagner, die als Audiowalk rund um den

(VS) den NSU sorgfältig beobachtet und

rungsorgane generell schwertun, rechts­

titelgebenden Verkehrsknotenpunkt führt. Bis

dessen Umfeld mit V-Leuten besetzt hatte

extreme Gewalttaten als solche zu erken-

auf wenige gesangliche Intermezzi (von Sopra­

(von denen bis heute nicht einmal alle be-

nen, zeigt die kürzlich veröffentlichte

nistin Sirje Viise und Countertenor Daniel

kannt sind), wurde die Leitung des Bundes-

Recherche von Zeit und Tagesspiegel, die

Gloger auf einem Balkon über dem Café St.

amtes neu besetzt, ein gewisser Herr Maaßen

von mindestens 169 Todesopfern rechter

Oberholz) findet die Tour ihre Partitur in den

übernahm die Geschäfte – ohne freilich die

Gewalt seit 1990 spricht – über doppelt so

Sedimenten aus Sound, die sich im Laufe der

Geschäftsgrundlage zu ändern. In der „Ope-

viele, wie die Bundesregierung angibt. Der

Geschichte abgelagert haben. Reese und

ration Konfetti“ wurden so viele Akten wie

NSU-Prozess hat diesen Eindruck nicht kor-

Wagner entdecken sie als Gegenwartsecho

möglich geschreddert, um zu verschleiern,

rigieren können. Ermuntert dadurch fühlen

neu, teils als Tondokumente aus Nazizeit und

wie Nazistrukturen gedeckt und unterstützt

sich offenbar Nazis, die sich schon kurz vor

DDR-Diktatur, teils als eingesprochene Erzäh-

wurden. „Im Verborgenen Gutes tun“, lautet

der Machtübergabe wähnen. Anfang Oktober

lung. Sie lauschen in die Hinterhöfe, lassen

das Motto des VS. Woran denken Sie dabei?

wurden die Mitglieder der rechten Terror-

hundert Jahre alte Straßenschilder mit hebrä-

Von

Naziterror­

gruppe „Revolution Chemnitz“ festgenom-

ischer Schrift aufleuchten und blicken durch

gruppen, eine vom VS geführte NPD, eine

men, die Gewalttaten gegen Ausländer und

die Fassaden von heute auf eine versunkene

vom VS beratene AfD, von V-Leuten ange-

Linke planten. Laut Süddeutsche Zeitung

Stadt. Wie „aktuell“ das ist, spielt keine

stachelte Dschihadisten? Sie denken ganz

wollten sie den NSU übertreffen. //

­Rolle. Es ist auf jeden Fall Musiktheater am

richtig.

Puls der Zeit. //

Patrick Wildermann

VS-Geldern

aufgebaute

und ermöglicht.

Jakob Hayner

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Sein oder Hologrammsein Auf der diesjährigen Ars Electronica in Linz werden neue Tools für ein Theater der Zukunft vorgestellt Technologie formt die Emotionen. Die Blings,

die ­Bewegungen eines Tänzers in die Virtual

die den Eingang neuer Nachrichten in den

Reality und konfrontierte sie dort mit dem

Wie viel Technologie verträgt die Bühne? – Die 4-D-Box von The Culture Yard.

digitalen Kommunikationsmedien anzeigen,

ebenfalls getrackten und beweglichen Schat-

Foto Andreas Kolb

sorgen zuweilen für größere Hor­mon­aus­schüt­

ten des Betrachters. Der verdoppelte Zu-

tungen als ein Blickkontakt im geteilten

schauerkörper war als Repräsentation des ei-

physi­schen Raum. Theater als Emotionskunst

genen Selbst stets sichtbar. Er bewegte sich

werden in Echtzeit die Worte der Performer

kann sich dieser Entwicklung auf Dauer nicht

frei durch den Raum und hätte gar –

aufgenommen, von Störgeräuschen befreit

entziehen, wenn es nicht zur Retrozone für

tänzerisches Können vorausgesetzt – Teil der

und an das Programm gesandt, das die je-

radikale Technologieverweigerer degenerieren

Choreografie werden können.

weils passenden Übersetzungen auswählt.

will. Performative Potenziale neuerer Tools

Während der Ars Electronica fand auch

„Das System kann erkennen, ob ein Spieler

wurden bei der diesjährigen Ars Electronica

ein von der European Theatre Convention or-

Sequenzen überspringt, und setzt i­mmer an

in Linz sichtbar.

ganisiertes

digitales

der richtigen Stelle ein. Sollten Spieler impro-

Eine Strategie dabei ist, die Grenzen

Theater statt. Mikael Fock vom dänischen ­

visieren, wird der Hinweis ‚Impro­visation‘ aus-

der Technologie auszuloten. Das niederlän­

Veranstalter Culture Yard stellte hier sein

gegeben“, erklärte Jonathan ­Thonon, Projekt-

dische Künstlerpaar Karen Lancel und Her-

­visuell beeindruckendes Konzept der 4-D-Box

koordinator am Theater Lüttich. Ein Prototyp

men Maat ließ in einer Versuchsarena für drei

vor. Durch mehrere Schichten von Video­

ist dort im Einsatz.

Teilnehmer, drei EEG-Sensoren – zur Mes-

projektionen, verbunden mit dem Livetracking

Revolutionär versprechen die fliegen-

sung elektrischer Hirnaktivität – sowie ein

von Performern, werden Hologramme erzeugt,

den Projektionsskulpturen der „Swarm Arena“

kreis­förmig angeordnetes Publikum zwei Pro-

die auf der Bühne mit physisch präsenten

zu werden. Bei den Olympischen Spielen

banden einander küssen. Ihre Hirnströme

Performern verschmelzen können.

2020 in Tokio will der japanische IT-Konzern

Netzwerktreffen

für

­sowie die eines Beobachters wurden gemes-

Bei „Stage Your City“, der einst am

NTT den Himmel über den Stadien mittels

sen und kreisförmig um sie herum auf den

Staatstheater Karlsruhe entwickelten inter­

Drohnenschwärmen mit Riesendisplays be-

Boden ­projiziert. Signifikante Ausschläge bei

aktiven City-Walk Performance, wurden Spiel-

stücken, die in der Form zudem veränderlich

den Kurven gab es im Moment des Lippen­

szenen an realen Orten mit Hologrammen auf

sind. „Bis zu fünfhundert Drohnen kann

berührens allerdings nicht. „Wir konnten bis-

Smartphones angereichert. Das war im ersten

­unsere Software derzeit parallel steuern und

lang auch keine solchen Muster bei den Hirn­

Moment reizvoll; später beschränkte sich die

damit dynamische Bildschirme in Stadien,

strömen erkennen“, resümiert Maat. Nicht

Interaktion mit der performativen künstlichen

TV-Studios und auf freiem Feld kreieren“, er-

jede Emotion ist messbar, selbst wenn techni-

Intelligenz lediglich auf das Abarbeiten eines

zählte Projektleiter Hiroshi Chigira.

sche A ­ pparaturen dies suggerieren.

Fragebogens und das Versenden von Selfies.

Die Ars Electronica zeigte eine große

Eine geglückte Verlagerung des Zu-

Interessant fürs internationale Tour­nee­

Bandbreite von Ansätzen und Möglichkeiten.

schauerkörpers in den virtuellen Performance­

geschäft von Sprechtheater­ produktio­ nen ist

Zum technischen Pioniergeist muss sich al-

raum bot „The Other in You“. Der japanische

die ebenfalls auf dem Netzwerktreffen vor­

lerdings oft noch künstlerische Souveränität

Medien- und Installationskünstler Richi

gestellte Übertitelungstechnologie „Idiomatic“.

im Umgang mit den Mitteln gesellen. //

Owaki übertrug über ein Trackingverfahren

Dank eines ausgeklügelten Mikrofon­einsatzes

Tom Mustroph


magazin

/ TdZ  November  2018  /

Text und Raum Die Performance-Reihe „the dead are losing or how to ruin an exhibition“ entdeckt mit der Ruine der Franziskaner Klosterkirche in Berlin einen bislang wenig bespielten Ort Eine Sakristei und ein leerer Altarraum wer-

Form des Sprechens ist eine theatrale, doch

mernden Zuhörer doch nicht ganz vergessen

den in der Reihe „the dead are losing or how

ganz und gar nicht schauspielerische Praxis.

werden kann. Text wird als zeitliches Material spürbar, das mit Wahrnehmungsökonomien

to ruin an exhibition“ in der Ruine der Franziskaner Klosterkirche unweit des

interagiert und mehr vermag, als bloß ver-

Berliner Alexanderplatzes zum Schau-

standen zu werden. Text als Schlafgele-

platz performativer Kunst. Unwahrschein-

genheit, als Gesang, Atmosphäre oder

lich, dass die Zuschauer und Zuschaue­

Stabilisator eines ausufernden Raums.

rinnen, die zwischen dem 23. Juli und

Auch darüber hinaus stellt das

18. August zur Ruine kamen, mit dem

Konzept von „the dead are losing“ die

Ort auf diese Art vertraut waren. Anders

Behauptung einer überzeitlichen Perfor-

als eine Black Box oder der White Cube

mance in den Raum. Jede der präsentier-

bietet diese Ruine eine ganze Landschaft

ten Arbeiten bringt Ausschweifungen mit

für das Performative, sodass das Inte­

sich, verwirft ihre erwartungsgemäße

resse am Sternenhimmel leicht die Kon-

Zeitlichkeit und torpediert damit die

zentration auf das Gezeigte stören kann.

Kategorisierung von Kunst in bildende ­

Mit der Einladung an diesen merkwürdig

und darstellende. Die Dinge dauern, sind

vergessenen Ort in Berlin-Mitte eröffnet

zu lang und bestehen darauf, umständ-

Kurator Christopher Weickenmeier einen

lich vorgelesen zu werden, statt sich als

bisher wenig bespielten Raum, um per-

gedruckter Text dem Gutheißen des

formative Arbeiten in diesem überwälti-

­Publikums auszuliefern.

gend schönen und schützenden Gemäuer

Was bedeutet es, wenn das Ziel der

zu zeigen. Mit dabei waren die Künstler

darstellenden Kunst nicht mehr die abso-

Antonia Baehr und Neo Hülcker, Luzie Meyer, Raimundas Malaŝauskas, Arantxa Martinez und Paz Rojo, Franziska Lantz, Tom Engels und Bryana Fritz, Mårten Spångberg, Else Tunemyr sowie Catalina

lute Gegenwart, das Gefühl von AktualiEine Landschaft für das Performative – „Leaving Palermo“ von Tom Engels und Bryana Fritz in der Ruine der Franziskaner Klosterkirche in Berlin-Mitte.

tät, vom sich aufdrängenden Jetzt ist?

Foto David Baltzer

nicht vernachlässigt werden können?

Insignares und Carolina Mendonça.

Sondern wenn das Vor und das Nach zwar nicht richtig sichtbar werden, aber auch Die Performances, Konzerte, Tänze

Die Künstlerin Luzie Meyer zeigte am

Statt ihrer Lyrik durch emotionale Einlassung

und Objekte der Ausstellung weigern sich,

vierten Abend der Serie in der Sakristei ihren

Ausdruck zu verleihen, scheint ihre Stimme

Vielschichtigkeit preiszugeben, und arrangie-

Film „St. Lucy (To Look Upon Men with

ohne Unterlass zu fließen und genau zu wis-

ren sich lieber mit einer gewissen Unfertig-

Lust)“ – eine mit Handkameras bestrittene

sen, wie das Gesagte durch formale, nicht

keit. Ihre Zeit erstreckt sich in Vergangenheit

Nacherzählung der Geschichte der heiligen

emotionale Pausen zutage tritt. Durch die

und Zukunft, und ihnen zuzuschauen, zuzu-

Lucia. Der folgende performative Teil im

Satzzeichen, die in Meyers Vortrag in genau

hören und in ihrer Nähe zu sein macht es

­Altarraum trägt den Titel „Call Her Milk Spill

abgemessenen Lücken nahezu hörbar werden,

­erforderlich, für diese Ausdehnungen in der

Her No Use Crying Hang Her“ und beschwört

spielen sich ganze Dramen ab: „my life –

eigenen Wahrnehmung Platz zu schaffen,

das Heilige in Form von mittelalterlich klin-

has shape – without you.“

auch um den Preis, die Attraktivität des Hier

gendem Gesang herauf. Meyers anschließend

Auf die Frage, wie Text im Raum zu

vorgetragener Text wird mit diesem gesun­

sprechen sei, werden während der perfor­

genen Prolog und durch die Begleitung des

mativen Werkschau mehrere überzeugende

Synthesizers selbst zu einem virtuosen Lied:

­Antworten gegeben. Catalina Insignares und

Die Stimme überlässt sich dem Tempo des

Carolina Mendonça ließen am zweiten Abend

Textes und löst sich mehr und mehr von der

naturphilosophische Texte in unterschied­

Person ab, die, hinter dem Tisch und ihren

lichen Sprachen zum Gutenachtlied werden,

Geräten sitzend, eigentlich die Urheberin

dessen Inhalt eigentlich zu vernachlässigen

sein müsste. Die von Luzie Meyer entwickelte

ist, aber in der Wahrnehmung der schlum-

und Jetzt dadurch zu vernachlässigen. // Henrike Kohpeiß

TdZ ONLINE EXTRA Eine Langversion des Artikels finden Sie unter www.theaterderzeit.de/2018/11

www

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Meditation mit Sensoren

Das Projekt „Eadweard’s Ear“ von Penelope Wehrli in der Akademie der Künste Berlin ist ein akustisch-anatomisch-performatives Wahrnehmungsexperiment Die große Halle der Akademie der Künste am

zwei Sekunden vor dem Moment erscheint, in

Berliner Hanseatenweg wird durch eine dia-

dem sie vom Performer (erneut) ausgeführt

gonal durch den Raum schneidende Leinwand

werden.

Die Zeit schlägt Schleifen – Penelope Wehrlis „Eadweard’s Ear“ in der Akademie der Künste Berlin. Foto Matthias Horn

geteilt. Die Leinwand ist Trennelement, wirkt

Dies ist ein Aspekt, den die Video- und

jedoch wie eine Membran. Sie verhindert

Installationskünstlerin Penelope Wehrli getrost

zwar, dass die Musiker, die auf der einen Seite

auch „Eadweard’s Eye“ hätte nennen kön­

haben, wieder selbst zu reagieren. Ein Reiz

platziert sind, die Tänzer auf der anderen Seite

nen, nach dem Auge des Foto- und Film­

für das Publikum ist es, diese Kommunika­

sehen können und umgekehrt. Die Klänge

pioniers Eadweard Muybridge. Dieser versetzte

tion zu entschlüsseln, also die Bewegungs-

­jedoch vermag die Leinwand nicht aufzuhal-

im 19. Jahrhundert Standbilder durch serielle

muster zu identifizieren, die zu bestimmten

ten. Auf ihr sind, mit Verzögerung von einigen

Reihung in Bewegung und bannte so die Zeit

Klängen führen. Vertieft in die Enträtselungs-

­Sekunden, Standbilder sowie je fünf Bewe-

auf Silbergelatineplatten. Muybridges Ohr

arbeit, lässt man sich alsbald von der ästhe­

gungsstadien der beiden Tänzer Jutta Hell

wird dann vor allem in der Beziehung

tischen Qualität der Klänge und Bewegungen

und Dieter Baumann der Berliner Compagnie

­zwischen Tänzern und Musikern thematisiert.

einfangen. Man nimmt Tanz als Tanz, Ton als

Rubato projiziert, die in einer Blue Box abwech-

Zu Beginn von jeder der ins­ gesamt neun

Ton wahr – und gelangt dann wieder ins Ver-

selnd ihre Soli performen. Diese Reduktion

Sequenzen löst der Bewegungsimpuls von ­

wirrspiel der Kausalitäten: Löste tatsächlich

auf Einzelbilder schafft Raum für Lücken, die

Tänzer oder Tänzerin den aller­ ersten Klang

die Bewegung den Klang aus oder reagierte

wiederum durch Imagination gefüllt werden

aus. Informationsvermittler ist eine Software,

nicht doch das gerade gebeugte Bein auf den

können. Übertragungstechnologien, aktuell

die die Bewegung in eine ­grafische Notation

zuvor vernommenen Ton? Oder kommuni­

als selbstverständlich, quasi natürlich und

übersetzt. Auf ihren Pulten haben die

zierte der Tänzer gar mit dem aus seiner Ver-

vor allem als schranken- und grenzenlos ange-

Fagottis­tin Stephanie Hupperich, die Gitarris-

gangenheit hervorgeholten Projektionsbild,

nommen, werden hier sehr elegant hinterfragt.

tin Alejandra Cardenas und der Perkussionist

das über diesen Umweg Klangauslöser ist?

Sogar Kausalitäten beginnen sich auf-

Alexander Nickmann Monitore installiert.

Penelope Wehrli und ihrem Team aus

zulösen. Man weiß zwar einerseits, dass die

Dort sind Diagramme eingeblendet, die die

Tänzern und Musikern sowie dem Komponis-

Bilder Standbilder aus der unmittelbaren Ver-

Bewegungen entlang der drei Achsen oben-

ten Gerriet K. Sharma, dem Informatiker

gangenheit sind. Zuweilen wirken sie jedoch

unten, links-rechts und vorn-hinten darstel-

­Joachim Glasstetter, dem Videokünstler Sven

wie Bilder aus der Zukunft – Bilder, nach

len. Berührt die Kurve bestimmte Positionen

Gareis und dem Audioexperten Thomas Koch

­denen Jutta Hell oder Dieter Baumann sich

im Diagramm, werden vorher verabredete

ist ein erster Schritt in ein ganz neues künst-

bei ihrer Bewegungsfindung richten. Die Zeit

Töne gespielt.

lerisches Feld gelungen. //

schlägt Schleifen, gerade dann, wenn Gesten

Den Tänzern wiederum ist angetragen,

wiederholt werden und das Bild davon ein,

auf die Klänge, die sie ursprünglich ausgelöst

Tom Mustroph


/ TdZ  November  2018  /

magazin

fast forward

europäisches festival für junge regie 15.–18.11.2018 www.staatsschauspiel-dresden.de

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Belgien, 17.11. & 18.11.2018

Mit Unterstützung von: In Zusammenarbeit mit: Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste, Hochschule für Bildende Künste, Semper Zwei

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Der Gedanke klingt reizvoll: Man verfilmt die „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill, parallel dazu auch die Querelen, die damit einhergingen, das Bühnenwerk für den Film zu adaptieren. Ein gleichsam stereoskopischer Blick auf den Stoff! Die „Dreigroschenoper“ als

Knallbunte Operette

Tonfilm gegenüber, zumal die „Dreigroschenoper“ auf der Bühne ein Riesenerfolg ist, bis

Joachim A. Langs „Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm“ wirkt trotz Starbesetzung wie aufgeblasener Filmindustriekitsch

1933

entstehen

21

„Dreigroschenoper“-Schallplatten. Auch will Brecht Pabst keinesfalls einen Film­ erfolg auf seine Kosten bescheren – eine PR-Aktion zum Film unter der Über-

Filmset hier und der kalt-

schrift „Autor gegen Film­

analytische Brecht, der sich

industrie“ scheint ihm pas-

den Erwartungen der Film­

sender.

industrie

verweigert,

dort.

Pabst lässt Brecht das

Klingt gut, aber man muss es

Drehbuch nach eigenen Wün-

auch können. Das Filmdebüt

schen

von Joachim A. Lang (Dreh-

dann ist der Autor monate-

buch und Regie) versinkt je-

lang verschwunden, abge-

doch angesichts der viel-

taucht an der französischen

schichtigen Thematik selbst

Riviera. Ein weiteres Problem

in lauter schlecht gefilmten

kommt hinzu: Für die kleine

Klischees. Und die histori-

Nero-Film ist die Produktion

sche Wahrheit bleibt dabei

zu teuer, Warner Bros. steigt

völlig auf der Strecke.

mit knapp einer Million Mark

umschreiben,

aber

„Das hier ist nicht nett,

ein – obwohl die kaliforni-

das ist Kunst!“, so hören wir

schen Brüder den Stoff bloß

in einer Szene Brechts erbitterten Aufschrei. Über Langs „Brechts

Dreigroschenfilm“

muss man wohl umgekehrt

scheußlich finden. So schafft man eine Karikatur – Langs inszenatorischer Dilettantismus in „Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm“ zieht auch die Schauspieler herab, hier Lars Eidinger als Brecht. Foto Wild Bunch Germany / Stephan Pick

Brecht bringt schließlich alle seine wichtigen Schauspieler im Film unter,

sagen: Nett, aber keine Kunst.

Carola Neher kann hier end-

Woran liegt das? Zum einen

lich die Polly spielen, die sie

an einem inszenatorischen Dilettantismus,

fingererhobener moralischer Anspruch – es ist

bei der Uraufführung verpasste, weil ihr

der auch die Schauspieler herabzieht. Denn

grotesk!

Mann, der Dichter Klabund, im Sterben lag

Lars Eidinger ist ansonsten zweifellos ein

Dazu kommt die ärgerliche Verfäl-

(täglich genervte Anrufe Brechts: Ist er immer

Schauspieler, der differenziert zu spielen ver-

schung des tatsächlichen Streits um die Ver-

noch nicht tot?). Ernst Busch wirkt wieder als

mag. Doch was soll er hier, ausschließlich (!)

filmung der „Dreigroschenoper“. Hier wird

Moritatensänger mit, Lotte Lenya als Jenny –

Brecht-Zitate von sich gebend, dazu auf der

suggeriert, diesen Film habe es, wegen

ein großartiges Werk entstand so, ein Mount

Zigarre kauend, anderes tun, als ein überheb-

Brechts unbestechlich-filmischem Anspruch,

Everest der Filmkunst, neben dem Joachim

lich-besserwisserisches Gesicht zur eigenen

gar nicht gegeben. Das ist natürlich falsch.

A. Langs Film nicht bloß wie ein Maulwurfs-

Klugheit zu machen? So schafft man eine

Am 31. August 1928, bei der Uraufführung

hügel wirkt, das wäre nicht so schlimm, son-

Brecht-Karikatur.

der auf Basis von John Gays „The Beggar’s

dern eher wie aufgeblasener Filmindustrie­

Hannah Herzsprung als Polly, steif-

Opera“ von 1728 (unter maßgeblicher Mit­

kitsch der unbescheidensten Art.

matronenhaft, darf man als gravierendste Fehl-

hilfe von Elisabeth Hauptmann) entstande-

Den Prozess um G. W. Pabsts immer

besetzung bezeichnen, ebenso den durchdrin-

nen „Dreigroschenoper“ zur Musik von Kurt

noch unbedingt sehenswerte (auf DVD erhält-

gend harmlos wirkenden Robert Stadlober

Weill, sitzen auch der Filmregisseur G. W.

liche) „3-Groschen-Oper“ verliert Brecht in

als Kurt Weill. Aber auch fast alle anderen

Pabst und Seymour Nebenzahl, der Produ-

erster Instanz, es kommt zu einem Vergleich.

Schauspieler agieren unter ihrem Niveau –

zent der Nero-Film, im Publikum. Sie sind

Mit dem Zusatz „frei nach Brecht“ kommt der

nur Meike Droste als Helene Weigel zieht sich

begeistert. Pabst wird 1930 mit „Westfront

Film am 3. Mai 1931 in London zur Premie-

halbwegs heil aus der unheilvollen Affäre. Die

1918“ einen mutigen Tonfilm über die Reali-

re, kurz darauf startet er in den deutschen

Nuancen stimmen sämtlich nicht, der Geist

tät des Grabenkrieges schaffen – und diese

Kinos. Brecht erhält noch einmal 25   000

der „Dreigroschenoper“ ist immer irgendwo

Bettleroper will er unbedingt verfilmen.

Mark und zudem die Möglichkeit eingeräumt,

anders – hier spielt man bunt eine verschram-

­Nebenzahl gibt zu bedenken, dass mit Brecht

selbst eine Verfilmung des Drehbuchs vorzu-

melte Operette, irgendwo zwischen „La La

schwer zu verhandeln sei – er behält recht.

nehmen – was nie geschieht. //

Land“ und Wiener Opernball. Und zu diesem

Von Klausel zu Klausel hangelt man

filmischen Massenprodukt dann solch zeige-

sich voran, Brecht ist ohnehin skeptisch dem

Gunnar Decker


magazin

/ TdZ  November  2018  /

Alte Strukturen und frischer Wind Der Showcase Belarus Open in Minsk zeigt, dass das Land zwischen Litauen und der Ukraine auch auf der Bühne einige Entdeckungen zu bieten hat

Bewegtes Relief – „Die Graien“ des Minsker Puppentheaters Batleyka. Foto Egenia Naletskaya

Ende September in Minsk: Seit 2011 lädt

Kultureinrichtungen und Gaststätten umge-

das Internationale Theaterforum Teart zu

wandelt worden. Zu ihnen gehört auch das OK

­einem Festival in die weißrussische Haupt-

16, eine Spielstätte des alternativen Theaters,

stadt ein. Teil des internationalen Programms

in der auch die Minsker Kulturorganisation Art

ist auch ein Showcase der besten weißrussi-

Corporation produziert. Die Produktionsmodelle

und sich auch mal mit der Musik der Einstür-

schen Produktionen des vergangenen Jahres.

sind an der westlichen freien Szene orientiert,

zenden Neubauten befassen sollte, anstatt in

Abgesehen von dem sich teils im Londoner

ein Teil der Finanzierung kommt überraschen-

einer stinknormalen Band herumzurocken.

Exil befindenden Belarus Free Theatre, einigen

derweise von einheimischen Großbanken, die

Diese absurde wie abgründige Polizisten­

Architekturbüchern über Minsk und vielleicht

sich der Förderung der weißrussischen Kultur

komödie knüpft an die Traditionen von

noch dem abgesunkenen Wissen, dass der

verschrieben haben und daher nicht nur

Sławomir Mrożek und Václav Havel an und

Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald hier

­Chagall-Bilder für die eigene Tresorsammlung

lässt sich aktuell als der erschreckende Be-

einen frustrierenden Versuch als Sowjetbürger

aufkaufen. Das ist der Boden für neue Ent-

fund verstehen, dass der neue allumfassende

unternahm, ist das Land zwischen Litauen

wicklungen und das Besondere dieser Zeit –

Staat auch schon die Subkultur komplett ge-

und der Ukraine immer noch zu entdecken.

eben auch für die darstellenden Künste. Die

kapert hat, praktisch bevor sie überhaupt ent-

Mit zehn ausgewählten Produktionen

Art Corporation zeigt mit „Suchilischa“ von

steht. Der junge Regisseur Dmitri Bogoslawski

auf einer Skala von Klassikertheater bis zu

Andrei Iwanow die fiebrig erzählte Geschichte

hat für die weißrussische Erstaufführung ein

performativen Grenzüberschreitungen wurde

von Tanka und ihrem Freund, einem Philoso-

paar schöne surreale Momente erzeugt, die in

bei den Belarus Open praktisch eine Bestands-

phiedozenten, der die Stoa verehrt und doch in

ihrer Traumatmosphäre die Absurdität der

aufnahme geboten. Erster Befund: Es scheint

eine Amour fou hineinrast. So gesehen hat

Szene sogar noch unterstreichen.

einiges in Bewegung gekommen zu sein,

Iwanow, eines der dramatischen Talente des

Dass die Nähe zur Folklore für das

und vielleicht verschieben sich gerade die

Landes, ein Zeitstück über die Nöte junger

Thea­ter ganz ungewöhnliche Formen ergeben

­Koor­dinaten zwischen Alt und Neu.

Menschen in der sich allmählich ausdif­

kann, bewies das Minsker Puppentheater

Im konservativen Bereich, im National-

ferenzierenden Mittelklasse geschrieben, das

Batleyka (ebenfalls im OK 16) mit einer In-

theater Janka Kupala in Minsk, verhilft Regis-

Aleksandr Martschenko mit viel Tempo und

szenierung, in der die grau geschminkten Per-

seur Mikalaj Pinigin dem immer wieder auf

Live-Video in Szene gesetzt hat.

former wie in einem bewegten Relief agieren.

andere Art brisanten Revisor von Gogol mit-

Ganz auf der Höhe der Zeit ist auch die

„Die Graien“ (Regie Jewgeni Kornjag), in der

tels eines ironisch angespielten Remix aus

Inszenierung von Dmitri Danilows Einakter

griechischen Mythologie auch als die drei

Regiestilen der 1980er Jahre zu einem au-

„Der Mann aus Podolsk“ im Staatlichen

Schwestern der Gorgonen bezeichnet, teilen

genzwinkernden Auftritt. Die Stadtoberen

­Jugendtheater von Minsk, dem vielleicht bes-

sich ein Auge und einen Zahn, und sie wa-

schwitzen zusammen in der Sauna, und der

ten russischen Stück seit Langem, das im

chen den Parzen gleich über ein Zwischen-

nach Abwechslung suchende und mittellos in

vergangenen Jahr am Moskauer Teatr.doc

reich zwischen Leben und Tod. Das Kom­

die alte Garde hineinstolpernde Chlestakow

uraufgeführt wurde. Nikolai wird offenbar ­

plementärstück zum „Mann aus Podolsk“,

ist hier besonders jugendlich dargestellt. Es

grundlos auf eine Polizeiwache gebracht und

natürlich in einer luftigen, aber visuell star-

könnte auch ein Bild für die Theatersituation

befragt. Doch wo man fiese Polizisten er­

ken Abstraktion. Insofern öffnet sich nun hin-

Weißrusslands sein.

wartet, stellen sich diese als gebildete Auf-

ter der singulären Erscheinung von Nikolai

Ein abgelegenes weiträumiges Fabrik-

passer heraus, die dem studierten Mann aus

Khalezins Belarus Free Theatre ein ganzer

gelände ist kürzlich – wie überall zwischen

Podolsk klarmachen, dass er selbst zu wenig

Katalog des weißrussischen Theaters. //

Podolsk und Porto – zu einem Ensemble von

über die Geschichte seiner Heimatstadt weiß

Thomas Irmer

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magazin

/ TdZ November 2018  /

Eine Stimme, durch die Literatur erklingt Zum Tod des BurgtheaterSchauspielers Ignaz Kirchner

Ignaz Kirchner ist nie „millirahmstrudelig“

Familie, siedelte in einer aufgekratzten Zeit

Ignaz Kirchner (1946–2018).

geworden. Auch nicht nach dreißig Jahren in

nach Österreich über, in den geschichtsklit-

Foto Herbert Neubauer

Wien, einer Stadt, die für ihre charmante

ternden Jahren der Ära von Bundespräsident

­Versumpertheit oft gefürchtet wird. Kirchner,

Kurt Waldheim. Davon ließ er sich nicht ab-

1987 von Claus Peymann ans Burgtheater

schrecken, und auch nicht von den unap­

zuletzt mit Jette Steckel für Ibsens „Ein

geholt und dort, ein kurzes Intermezzo in

petitlichen Postsendungen, die er einst als

Volksfeind“, wo er den Lederfabrikanten

den 1990er Jahren ausgenommen, bis zuletzt

Mitglied der verteufelten Peymann-Truppe

­Morten Kiil spielte. Kirchner hätte aber vor

geblieben, pflegte im Angesicht der Gemüt­ ­

am Burgtheater erhalten hatte. Ignaz Kirch-

allem im Filmbereich gern noch mehr auspro-

lichkeit immer das Kantige. „Ich bin Piefke“,

ner, der eigentlich als Hanns-Peter Kirchner-­

biert. Immerhin wäre er in jungen Jahren

bekräftigte der gebürtige Wupper­taler in Inter-

Wierichs zur Welt kam und sich später nach

nach der Schauspielausbildung in Bochum

views des Öfteren seine Wien-Immunität.

seinem Helden, dem Heiligen Ignatius von

am allerliebsten der nächste Marlon Brando

­Unbestechlich war er auch in s­einer Kunst,

Loyola, benannte, war und blieb stets eine

geworden, auch Robert De Niro hat er verehrt.

darin, seine Persönlichkeit – oft samt seiner

unantastbare Erscheinung. Als Besucher von

Die Drehbücher waren selten gut genug. Den-

kleinen Nickelbrille – völlig un­eitel zur Ver­

Kaffeehäusern, die er als leidenschaftlicher

noch hat Kirchner mit Leander Haußmann

fügung zu stellen, sie auszuschöpfen ohne

Raucher täglich frequentierte, ebenso wie auf

gedreht („Sonnenallee“), Peter Patzak, Michael

Ego-Show. Kirchner war kein Rampenschwein,

der Bühne, wo er seine hierarchisch oft unter-

Verhoeven und Hermine Huntgeburth.

sondern ein Schauspieler, der ruhig warten

legenen Parts mit seiner Kirchner-Schicht

Wenn Ignaz Kirchner auf der Bühne

konnte, bis er seine Wirkung tat.

schützte. Vor allem mit einem feierlichen

stand, war immer auch ein wenig Samuel

Melancholie war immer dabei. Ignaz

Sprachgebaren, einem achtsamen Sprechen,

­Beckett anwesend. Kaum jemand konnte Ver-

Kirchner vermochte der Traurigkeit ein erträg-

wie es das heute nicht mehr oft gibt. Bei

geblichkeit und Gleichmut so unaufdringlich

liches Antlitz zu verleihen, den Erniedrigten

Kirchner kam man nicht umhin, durch seine

in eins setzen. Ganz wunderbar zu sehen

und Beleidigten eine würdevolle Präsenz zu

Stimme, seine guttural gurgelnden oder grol-

war das 2002, in „Elisabeth II.“ von Thomas

geben, den Verrohten einen eigenen Stil, den

lenden Töne, die sich oft am Satzende mit

Bernhard, wo Kirchner mit seinem langjähri-

Tollpatschigen gönnte er einen geschickten

dem letzten Atem kämpferisch aufschwangen,

gen Bühnenpartner Gert Voss eine denkwür­

Handgriff. Da war jede Sekunde spannend,

Literatur klingen zu hören. Nicht selten waren

dige Herr-Knecht-Studie lieferte. Zuvor war

auch wenn sie scheinbar bewegungslos und

seine Mundwerkzeuge, die Lippen, rot gefärbt,

ihnen das schon in George Taboris „Goldberg-

schweigend verlief. Wie intensiv Kirchners

zwecks Erhöhung des Sprechakts, oder ein-

Variationen“ gelungen. Neben Tabori und

Bühnenarbeit wahrgenommen wurde, mag man

fach, weil es ihm Spaß machte, sich zu schmin-

Peymann war Peter Zadek ein prägender

daran messen, dass den nun an den Folgen

ken. Das Kind in ihm war immer spürbar.

Regisseur, etwa beim oft als „Jahrhundert­ ­

eines Schlaganfalls verstorbenen Schauspieler

Dieser Redekunst hat er in eigenen

inszenierung“ bezeichneten „Iwanow“ am

gar der österreichische Bundespräsident in

­Soloprogrammen Ausdruck verliehen – darun-

Burgtheater anno 1990 mit Kirchner als Dok-

einem Nachruf würdigte. Über so viel Staats-

ter Robert Musils „Der Mann ohne Eigen-

tor Lvov. Bis heute unterhielt Ignaz Kirchner

schauspielerehre würde sich der versierte

schaften“. Seine Leseprogramme haben auch

junge Burgelevinnen und -eleven mit Anek­

Thomas-Bernhard-Spieler Kirchner gewiss

seine intellektuelle Wachheit widergespie-

doten über die ­Probenarbeit mit alten Regie-

amüsiert zeigen.

gelt. Ignaz Kirchner blieb immer neugierig,

patriarchen. Und dennoch war Sentimentalität

Kirchner, Einzelkind aus einer jüdisch-

hat viele Theatersprachen ausprobiert, mit

nichts für ihn. „Früher ist out“, das war ihm

katholischen und von Anfang an zerrissenen

René Pollesch und Frank Castorf gearbeitet,

immer sonnenklar. //

Margarete Affenzeller


magazin

/ TdZ  November  2018  /

Zwischen den Zeilen In Gedenken an den Schriftsteller, Übersetzer und Dramatiker Werner Buhss Nach einem Regiestudium und einigen Jah-

durchaus nicht offener. Die Stücke von

ren im Dokumentarfilmstudio der DEFA

Buhss, von denen einige noch der Urauffüh-

schrieb sich Werner Buhss, 1949 in Magde-

rung harren, drangen jedenfalls nur marginal

burg geboren, allmählich in die vordere Reihe

in die Spielpläne vor, trotz der Auszeichnung

der unbequemen DDR-Dramatiker. „Nina,

mit dem Mülheimer Dramatikerpreis für „Bevor

Nina, tam kar­tina …“ und die Systemverfalls-

wir Greise wurden“ 1996 und der Teilnahme

studie „Die Festung“ nach dem Roman von

am Stückemarkt des Berliner Theatertreffens

Dino Buzzati waren vielbeachtete Stücke, die

1991 mit „Friedrich Grimm. Ein Weg“.

Werner Buhss (1949–2018) Foto Rainer M. Schulz

klären sowie die Frage, warum die ungeliebte

in bedeut­samen Inszenierungen spät auf die

Buhss verlegte sich auf das Überset-

Schwägerin Natascha von den Moskauer

Bühne kamen, wie etwa 1989 „Die Festung“

zen: Shakespeare, von dem er, bislang nur

Schwestern auch modisch als Hinterwäldlerin

am Deutschen Theater Berlin in der Regie von

wenig gewürdigt, fast die Hälfte aller Stücke

aus dem Ural geschmäht wird. Solche Kon-

Bernd Weißig und Christian Steyer. Under­

ins Deutsche brachte, und, weitaus mehr be-

texte zu erkunden und dann in eine bühnen-

cover war Buhss auch als Autor für die DDR-

achtet, Tschechow, den er im Deutschen mit

wirksam greifbare Sprache zu bringen, machte

Radiosoap „Neumann, 2  x klingeln“ tätig,

einer Lässigkeit ausstattete, die aus seiner

ihm sichtlich Freude.

denn da klingelte wenigstens die Kasse.

Erfahrung als Regisseur resultierte. Bei der

Für einen Teil seiner Arbeit als Autor

Wie für viele andere zunächst gebrems-

Premiere der Erstaufführung seiner Übertra-

und Übersetzer fand Buhss immer wieder auf

te Autoren der mittleren DDR-Generation wur-

gung von „Drei Schwestern“ 2004 in Cottbus

Hiddensee Ruhe und Muße sowie, als rastloser

den die Verhältnisse nach Wende und Wieder-

war er in der Lage, den detaillierten militäri-

Inselfan, zuletzt auch in Island. Werner Buhss

vereinigung zwar freier, aber im Theater

schen Hintergrund der Offiziersfiguren zu er-

starb am 7. Oktober in Berlin. // Thomas Irmer

Aus dem Bauch heraus Ein Nachruf auf den Puppenspieler Dieter Brunner Weihnachten 1947 bekommt der fünfjährige

Talent als Bauchredner verlassen – und be-

Dieter Brunner ein Puppentheater geschenkt,

eindrucken.

das aus den Spielzeugbeständen seiner Fami-

Immer wieder beschäftigte sich Dieter

lie stammt. Ein wegweisendes Präsent. Vom

Brunner zudem mit Geschichte und Tradition

mittelfränkischen Bauernhof zieht es ihn

des Puppenspiels. Er sammelte Stücke und

nach Frankfurt am Main, 1968 beschließt er,

Objekte, pflegte internationale Kontakte und

sich als Puppenspieler selbständig zu ma-

mischte sich mit Diskursen, mit Fragen nach

chen. Ihn interessierte, im Bildnerischen

der Psychologie der Puppe, nach der Soziolo-

neue Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, so-

gie des Spiels, nach der Ästhetik des Figuren-

wie die Sichtbarmachung von Vorgängen.

theaters in die nationale Puppentheaterszene

Dieter Brunner (1942–2018) Foto Rainer M. Schulz

1976 gründete Brunner das Frank­

ein. Im Herbst 1991 brachte er erstmals die

zu Auftritten und Seminaren nach Sri Lanka,

furter Puppenzentrum und spielte vor allem

Verbände UNIMA (Union Internationale de la

Ghana und Venezuela, leitete Studienfahrten

für Kinder. Mit seiner sonoren Stimme und

Marionnette) und ASSITEJ (Association Inter-

zu russischen Puppentheatern, wurde Präsi-

seinem langen Bart agierte er auch gerne

nationale du Théâtre pour l’Enfance et la Jeu-

dent, später Ehrenpräsident der UNIMA und

­jenseits der Spielleiste, mischte sich in das

nesse) aus der früheren DDR und der frühe-

kämpfte dafür, dass Puppenspieler in die

Puppenspiel ein und forderte das junge Publi­

ren BRD am runden Tisch zusammen.

Künstlersozialkasse aufgenommen wurden.

kum mit Rollenwechseln heraus. „Meine von

In Steinau an der Straße, der Brüder-

Vom Verband Deutscher Puppentheater be-

mir gestalteten Figuren sind meine Werk­

Grimm-Stadt, war er der erste künstlerische

kam er 2009 die Auszeichnung „Die spie-

zeuge, die ich benutze, um mich auf theatra-

Leiter der Puppenspieltage. In Wiesbaden, wo

lende Hand“ verliehen. Am 22. September

lischer Ebene verständlich zu machen.“ Wobei

er später am Kinderhaus Elsässer Platz arbei-

dieses Jahres ist er kurz vor seinem 76. Ge-

diese durchaus auch mal ihren eigenen Kopf

tete, kuratierte er über Jahre das Puppen-

burtstag gestorben. //

hatten. Brunner konnte sich dabei auf sein

spielfestival. Er reiste mit dem Goethe-Institut

Wolfgang Schneider

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/ TdZ November 2018  /

Antworten auf Chemnitz? – Wolfgang Englers und Jana Hensels Buch „Wer wir sind?“ startet eine neue Debatte über ostdeutsche Vergangenheit. Foto Magda Decker

zuletzt über ein anderes Verhältnis zu Eigentum und Mitmenschen organisiert war. Diese Analyse öffnet dankenswerterweise den Blick auf die Möglichkeit einer politischen Positionierung jenseits neoliberaler Alternativlosigkeitsmantras und Anpassungsforderungen. Gerade die (leider etwas knapp gehaltene) Diskussion über die Eigentumsfrage, die es heute laut Engler im Hinblick auf die Wohnungsknappheit erneut zu stellen gilt, könnte das Buch zu einem Auftakt für eine neue Debatte über die ostdeutsche Vergangenheit machen und unbedingt auch über ihre Zukunft, die mit der DDR nicht zugleich die Sehnsucht nach einer solidarischen Ge-

Zukunft und Gegenwart der ostdeutschen Vergangenheit

Englers und Hensels gemeinsame Hauptthe-

sellschaft entsorgt, sondern die Systemfrage

se ist sehr schlüssig und längst überfällig: Die

von links stellt und damit eine echte Alter­

Gründe für das Erstarken von AfD und Pegida

native zu AfD und Pegida bildet.

Nach den Ereignissen in Chemnitz regt sich

in Ostdeutschland sind weniger in der DDR-

Es ist dem Buch gelungen, was einem

in der Medienlandschaft wieder einmal reflex­

Vergangenheit als vielmehr in den sozialen

Gesprächsband im besten Fall gelingen soll-

artig die Frage: Was läuft da schief bei den

Verwerfungen der neunziger Jahre, dem Ab-

te: dass man gerne dabeisitzen würde, um zu

Ostdeutschen? Eine Antwort ließe sich in

bau von Industrie und Infrastruktur, der Ent-

widersprechen,

„Wer wir sind. Die Erfahrung, ostdeutsch zu

wertung von Lebenserfahrung und in der Ent-

fragen, zuzustimmen, „aber“ zu sagen oder

sein“ von Jana Hensel und Wolfgang Engler

würdigung und Ausgrenzung Arbeitsloser

auch mal mit den Augen zu rollen. //

finden.

durch die Hartz-IV-Gesetze zu suchen.

herauszufordern,

nachzu­

Luise Meier

„Wer wir sind“ ist ein Gespräch zwischen einer Frau und einem Mann, zwischen einer Vertreterin der sogenannten dritten

Arbeit der Poesie

­Generation Ost, die die Wende als Teenager ­erlebt hat, und einem Vertreter ihrer Eltern­ generation, und es ist nicht zuletzt auch das Gespräch zwischen einer Journalistin und ­einem Kultursoziologen. Ausgestattet mit all diesen verschiedenen Erfahrungshintergründen, kommen Hensel und Engler miteinander

Wolfgang Engler, Jana Hensel: Wer wir sind. Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein. Aufbau Verlag, Berlin 2018, 288 Seiten, 20 EUR.

ins Gespräch, erkennen Gemeinsamkeiten

Der Dichter und Dramatiker Peter Hacks war ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Mensch – und als solcher pflegte er sich auch zu inszenieren. Die Wohnung in der Schönhauser Allee in Berlin war mit ausgesuchten Möbeln aus vorigen Epochen ausgestattet,

und Unterschiede, geraten in Streit und ver-

Im Kontext des Sozialabbaus und der gesell-

mit Kronleuchter und im Raum verteilten Sta-

suchen doch immer wieder, offen, ohne Angst

schaftlichen Spaltung von Arm und Reich

tuen. Dort gab es neben Wohnräumen einen

vor Widerspruch, einander gegenüberzu­tre­ten.

weisen beide immer wieder auch auf gesamt-

Salon und eine Bibliothek. Auch auf der Fenne

Gerade dadurch bleibt das Buch über 288

deutsche und globale Parallelen hin, insbe-

in Groß Machnow, dem Sommerhaus, wurden

Seiten spannend. Beide, die oft moralisch be-

sondere wenn sie auf den Zerfall der Sozial-

Formfragen vor- und nicht nachrangig behan-

wegte und Merkel allzu schnell beispringende

demokratie, die Finanzkrise von 2008 und

delt. Ein Barock-, ein englischer und ein

Zeit-Journalistin und der hin und wieder sehr

die weltumspannenden Wirkungen des Neo­

­mediterraner Garten wurden angelegt, Statu-

distanziert, fast zynisch und bei der Frage der

liberalismus zu sprechen kommen. Spezifisch

en in Auftrag gegeben, und in einem ­eigens

„Identitätspolitik“ gar verbissen argumen­

jedoch bleiben an der ostdeutschen Erfah-

geschaffenen Teich tummelten sich die Koi-

tierende Kultursoziologe, teilen eine Such­

rung sowohl die Geschwindigkeit, mit der der

karpfen. Später kamen gar drei Pfauen hinzu.

bewegung, die sich gleichermaßen in die

Abbau von Industrie und Sozialstaat durch­

Solcher Wille zur Inszenierung trug Hacks zu

ostdeutsche Vergangenheit, Gegenwart und ­

gesetzt wurde, als auch die teils verklärende

Teilen Hohn und Spott ein, und er war selbst

Zukunft richtet.

Erinnerung an eine Gesellschaft, die nicht

nicht schlecht im Austeilen von beidem. Für


bücher

/ TdZ  November  2018  /

Hacks war das Leben selbst eine Formfrage –

­geeignet ist, die Hacks noch nicht oder nur

nicht in allen Fällen alleiniger Urheber war

und er hielt es in der Kunst nicht anders.

flüchtig kennen, als auch für jene, die mit

und somit die Miturheber und die Rechts­

Formlosigkeit lehnte er in der einen wie der

dessen Werk schon vertrauter sind. Besonders

ansprüche von deren Erben nicht unberück-

anderen Sphäre ab. Form bedeutet Steige-

interessant, auch in Hinblick auf die dies­

sichtigt bleiben können. Zum anderen sind

rung des Genusses.

jährige Hacks-Tagung am 10. November in

Uwe Kolbes Einlassungen zum Thema Ko-

Die Grundlage dafür war für Hacks die

Berlin, ist die Darstellung von Hacks’ Auffas-

Autorschaft vielsagend: Uwe Kolbe, von anti-

bewusste Produktion. Das betraf zunächst die

sung eines realistischen Theaters mit poeti-

kommunistischem Ressentiment getrieben,

eigene künstlerische. Kaum ein Drama von

schen Mitteln. Statt Beliebigkeit forderte er

macht Brecht schwere Vorwürfe, seine Zeit­

Hacks, dem nicht ein Essay mit Reflexionen

nämlich Verbindlichkeit für die darstellende

genossen, vor allem aber verschiedene

beigestellt ist. Bewusste Produktion schätzte

Kunst. //

Frauen ausgebeutet zu haben. Er macht ­ Jakob Hayner

Hacks aber auch im Gesellschaftlichen. Des-

­keinen Hehl daraus, bei Brecht das „Politi-

wegen verlegte er Mitte der fünfziger Jahre

sche, Menschliche, Rechtliche, Schriftstel-

seinen Wohn- und Arbeitsort in die DDR, wo

lerische“ nicht trennen zu können. Daneben

mit dem Ende des Privateigentums an Produktionsmitteln die entscheidenden Voraus-

stehen die profunden Äußerungen von

Brechts Recht

Sabine Kebir, die von einer jahrzehnte­ ­ langen ernsthaften Auseinandersetzung mit

setzungen für eine bewusste Produktion geschaffen waren. Ein weiterer Grund war das

„So, wie es ist, bleibt es nicht“, heißt es in

Brecht zeugen und viel differenzierter auf-

Theaterschaffen von Bertolt Brecht. Hacks

Bertolt Brechts Gedicht „Lob der Dialektik“.

zeigen, wie der Künstler Zusammenarbeit

begriff sich zunächst als Schüler von Brecht,

In dem Buch „Laxheit in Fragen geistigen

begriffen und honoriert hat.

um sich alsbald von ihm zu lösen, hin zu

Eigentums. Brecht und Urheberrecht“, das ­

einer sozialistischen Klassik. Er löste sich ­

die Statements und Diskussionen der Brecht-

auch von Heiner Müller, mit dem er zunächst

Tage 2016 in Berlin dokumentiert, können

befreundet und später verfeindet war. Das

sich die Beitragenden vor allem genau darauf

späte Lebensthema von Hacks war der Kampf

verständigen: dass es so, wie es ist, nicht

gegen die Romantik, die er als überzeitliche

bleiben kann. Doch schon bei der Frage, was

Fronde gegen Gleichheit und Vernunft begriff.

zu ändern wäre, herrscht Dissens. Die einen

Laxheit in Fragen geistigen Eigentums. Brecht und Urheberrecht. Hg. von Annett Gröschner und Christian Hippe, Verbrecher Verlag, Berlin 2018, 232 Seiten, 24 EUR.

fordern, die Schutzfrist nach dem Tod des Urhebers anzupassen, die anderen, den Einfluss der Erben auf den Umgang mit künstlerischen Werken zu reduzieren, wieder andere Ronald Weber: Peter Hacks. Leben und Werk. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018, 608 Seiten, 39 EUR.

wollen die Mitarbeiter und besonders Mit­ arbeiterinnen bei Brechts Schaffen angemessen berücksichtigt wissen – das betrifft edito-

Die 2016 im Literaturforum im Brecht-Haus

rische, aber auch rechtliche Fragen.

abgehaltenen Brecht-Tage standen noch un-

In den Texten treffen Kulturschaffende

ter dem tiefen Eindruck von Frank Castorfs

und Literaturwissenschaftler auf Experten in

„Baal“-Inszenierung am Münchner Residenz-

Fragen des Urheberrechts. Die Vielfalt der

theater 2015 – und mehr noch unter dem

Perspektiven lässt die Probleme hinter der

der

„Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“, wie

durch die Brecht Erben GmbH. Allzu oft ist

Hacks’ Leben und Werk ist nun erstmals in

Brecht formulierte, erkennbar werden. Be-

in den Beiträgen allerdings von den Erben

gut lesbarer Form aufbereitet worden. Ronald

denken und Schwierigkeiten beim Inszenie-

die Rede, als wäre Brechts Tochter Barbara

Weber, Redakteur bei der Tageszeitung junge

ren sind ebenso Thema wie eine historische

Brecht-Schall nicht wenige Monate nach

Welt, hat eine Biografie veröffentlicht, die von

und

Kontextuali­

Castorfs Premiere gestorben, als gäbe es seit

der Geburt 1928 und der Kindheit in Breslau

sierung von Brechts sogenanntem Plagiat im

mehr als sechzig Jahren eine kontinuierliche

über die Studienzeit in München und das

Fall der „Dreigroschenoper“, die kollektive

Linie, nach der regelmäßig Unterlassungen

Wirken in der DDR bis zur Zeit nach der „gro-

schöpferische Arbeit bei ihm sowie die

eingeklagt würden, als wäre die Qualität von

ßen Schreckenswende“ und dem Tod im Jahr

­Zukunft des Urheberrechts auch jenseits von

Inszenierungen Brecht’scher Werke immer

2003 konsequent zeigen kann, wie Hacks mit

Brecht. Bei letzterem Anliegen ist der

nur Produkt einer Nachlassverwaltung, nie-

seinen Werken auf geschichtliche Umstände

Gesprächs- und Klärungsbedarf deutlich ­

mals künstlerisches Werk, das aus dramatur-

reagierte und zugleich diese zu überschreiten

spürbar.

gischem, schauspielerischem und inszena-

rechtswissenschaftliche

Untersagung

weiterer

Vorstellungen

trachtete. Sein Mittel war die Sprache, Wert

Besonders bedenkenswert sind zum

torischem Gelingen oder Scheitern resultiert.

legte er auf die Arbeit der Poesie. Webers Bio-

­einen die Beiträge von Jürgen Marten, Kultur-

Ob 2027 wirklich eine Brecht-Renaissance

grafie überzeugt neben der Fülle an Details

wissenschaftler und Jurist, der das Frei­

ansteht, neue Formen des Umgangs mit sei-

vor allem mit schlüssigen Werkinterpretatio-

werden der Rechte an Brechts Werken mit

nen Texten gefunden werden, darf mit Span-

nen, sodass der knapp über sechshundert

Ablauf der Schutzfrist am 1. Januar 2027

nung erwartet werden. //

Seiten umfassende Band sowohl für alle

infrage stellt: Für ihn ist klar, dass Brecht

Erik Zielke

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aktuell

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Meldungen

/ TdZ November 2018  /

muylder ein, der das Festival eigentlich kura-

■ Die Nominierungen für den Theaterpreis

tieren sollte, nun aber von 2020 bis 2024

Der Faust 2018 stehen fest. Die ausgewählten

Intendant der Wiener Festwochen wird.

Regisseur*innen sind Thorleifur Örn Arnarsson

Barbara Mundel. Foto Maurice Korbel

für „Die Edda“ am Staatsschauspiel Hannover,

■ Wie die Württembergische Landesbühne Ess-

Jo Fabian für „Onkel Wanja“ am Staatstheater

lingen bekannt gegeben hat, wird der Vertrag

Cottbus sowie Yael Ronen mit ihrem Stück

von In­tendant Friedrich Schirmer bis zur Spiel-

„Roma Armee“ am Maxim Gorki Theater Berlin.

zeit 2023/24 verlängert. Ab der Spielzeit

Die Schauspieler*innen, die eine Chance auf

2019/20 wird Schirmer dann das Haus zu-

die Auszeichnung haben, sind Katja Bürkle

sammen mit Marcus Grube leiten, Chefdrama-

für ihre Rolle als Franz Moor in „Die Räuber“

turg und stellvertretender Intendant in künst-

am Residenztheater München, Wolfram Koch

lerischen Angelegenheiten.

als Richard III. am Schauspiel Frankfurt und Barbara Nüsse für ihren Prospero in „Der

■ Der Vertrag von Marie Rötzer, die seit der

Sturm“ am Thalia Theater Hamburg. Die Ver-

Spielzeit 2016/17 Künstlerische Leiterin des

leihung der Preise findet am 3. November am

Landestheaters Niederösterreich in St. Pölten ist,

Theater Regensburg statt.

wurde bis 2023 verlängert. Ihr künstlerisches Programm und ihre beständige Auseinanderset-

■ Der Wiener Bühnenverein hat die Nomi-

zung mit aktuellen gesellschaft­lichen Themen

nierten und drei Preisträger*innen für den

finde große Resonanz im Publikum, so Olivia

Nestroy-Preis 2018 bekannt gegeben. Der

■ Wie das Kulturdezernat der Stadt München

Khalil, Geschäftsführerin des Landestheaters.

Schriftsteller P ­ eter Handke erhält den Preis

vermeldet, hat Kulturreferent Hans-Georg

Neben zahlreichen Erst- und Uraufführungen,

für sein Lebenswerk. In der Kategorie „Beste

Küppers den Fraktionen des Stadtrats den

internationalen Gastspielen und Koproduktio-

Ausstattung“ wird Alice Babidge für „Hotel

Vorschlag unterbreitet, Barbara Mundel ab

nen bringt das Theater im März 2019 u. a. die

Strindberg“ von Simon Stone im Akademie-

2020/2021 die Intendanz der Münchner Kam-

österreichische Erstaufführung von Elfriede Je-

theater Wien ausgezeichnet. Den Preis für

merspiele zu übertragen. Mundel, die zuvor von

lineks „Am Königsweg“ auf die Bühne.

das „Beste Stück“ erhält Ferdinand Schmalz für sein Werk „jedermann (stirbt)“. Die Ver­

2006 bis 2017 Intendantin des Theaters Freiburg war und im Anschluss als Dramaturgin

■ Wie die Wiener Zeitung vermeldet, wurde

leihung erfolgt am 17. November 2018 im

die erste Ausgabe von Stefanie Carps Ruhr­

der Vertrag von Kira Kirsch, Leiterin des Wie-

Theater an der Wien.

triennale mitgestaltete, würde auf Matthias

ner Theater- und Performancehauses brut, bis

Lilienthal folgen, dessen Vertrag nicht ver­

2023 verlängert. Die gebürtige Saarbrückerin

■ Anlässlich des Tags der Deutschen Einheit

längert wurde. Die Entscheidung im Stadt-

studierte Theaterwissenschaft und arbeitete

verlieh Bundespräsident Frank-Walter Stein-

ratsplenum wurde (nach Redaktionsschluss)

als Dramaturgin, bevor sie 2015 die Leitung

meier am 2. Oktober den Bundesverdienst­

am 24. Oktober 2018 getroffen.

des brut übernahm.

orden. Unter den Preisträger*innen ist die-

■ Der Kurator Stefan Schmidtke wird Pro-

■ Wie die Stuttgarter Zeitung vermeldet, wird

der Schaubühne am Lehniner Platz. In der

grammdirektor des Festivals Theater der Welt.

der ehemalige Intendant der Volksbühne Berlin,

Begründung heißt es: „Er fördert das, was

Das Theaterfestival des Internationalen Thea-

Chris Dercon, die Schirmherrschaft über eine

eine lebendige Demokratie ausmacht: das

terinstituts wird 2020 vom Schauspielhaus

Vortragsreihe an der Hochschule für M ­ usik und

kritische Nachdenken quer durch die Gesell-

Düsseldorf ausgerichtet, dessen Generalinten-

Darstellende Kunst Stuttgart übernehmen. Die 15

schaft über unser Miteinander. (…) Seine

dant Wilfried Schulz gemeinsam mit Schmidt-

Termine umfassende Ringvorlesung „Über Per-

Werke treffen stets den Nerv der Zeit, sie

ke die Festivalintendanz bildet. Schmidtke

formance“ ist öffentlich. Dercon selbst spricht

touren weltweit und belegen: Kultur ver­

springt dabei kurzfristig für Christophe Slag-

am 28. November über das Kuratieren.

bindet!“

ses Jahr auch Thomas Ostermeier, Intendant


aktuell

/ TdZ  November  2018  /

Christian Grashof. Foto ArnoDeclair

■ Die Dramatikerin Lisa Danulat gewinnt für ihr Stück „Die Kinder von Nothingtown“ den Kathrin-Türks-Preis 2018. Der Preis wird seit

THILO REFFERT

2008 von der Sparkasse RheinLippe gemeinsam mit der Burghofbühne Dinslaken verliehen und zeichnet alle zwei Jahre ein heraus­

NINA UND PAUL

ragendes Jugendtheaterstück aus. Neben einem Gewinn in Höhe von 5000 Euro winkt der Preisträgerin die Uraufführung ihres Textes an

Schlosstheater Celle Premiere: 22.11.2018

der Burghofbühne Dinslaken im Juni 2019.

■ Das Schauspielhaus Wien lädt zusammen mit der literar mechana junge Autor*innen dazu ein, sich mit einem Stückentwurf für

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das Hans-Gratzer-Stipendium 2019 zu bewer-

■ Das Deutsche Theater Berlin hat den Schau-

ben. Dies beinhaltet die Ausarbeitung des

spieler Christian Grashof zum Ehrenmitglied

Stoffs im Rahmen eines Workshops sowie die

■ Das Land Nordrhein-Westfalen hat eine be-

ernannt. Grashof ist mit kurzer Unterbrechung

Präsentation der fertigen Texte im Schau-

deutende Erhöhung der Mittel für seine

seit 1970 am Deutschen Theater in Berlin en-

spielhaus. Dem Sieger winken ein Werkauf-

­Landestheater beschlossen. Noch in diesem

gagiert. Dort hat er über fünfzig Rollen gespielt

trag sowie die Inszenierung des Textes in der

Jahr werden die Zuwendungen für die Burg-

und u. a. mit Regisseuren wie Alexander Lang,

Spielzeit 2019/20 am Schauspielhaus Wien.

hofbühne Dinslaken, das Landestheater Det-

Robert Wilson, Andreas Dresen, Jürgen Gosch

Einsendeschluss ist der 30. November.

mold, das Westfälische Landestheater Cast-

und Dimiter Gotscheff gearbeitet. Er ist Mit-

rop-Rauxel und das Rheinische Landestheater

glied der ­ Akademie der Künste Berlin und

■ Das Schauspielhaus Chemnitz lobt auch in

Neuss um 10 Prozent auf 15,4 Millionen

Dozent an der Hochschule für Schauspiel­

diesem Jahr wieder seinen Theaterpreis für

Euro aufgestockt. Eine weitere Erhöhung

kunst „Ernst Busch“. Im Verlag Theater der

junge Dramatik aus. Junge Autor*innen sind

steht 2020 in Aussicht.

Zeit ist soeben erschienen: „Christian Grashof.

eingeladen, sich mit ihren Stücken zu bewer-

Kam, sah und stolperte. Gespräche mit Hans-

ben. Der Preis umfasst 5000 Euro sowie die

■ Wie die Genossenschaft Deutscher Büh-

Dieter Schütt“.

Inszenierung des Textes durch das Schau-

nen-Angehöriger bekannt gab, wird die Min-

spielhaus Chemnitz. Einsendeschluss ist der

destgage am Theater Dortmund erhöht. Sie

30. November.

steigt monatlich auf 2400 Euro und liegt da-

■ In Cottbus wurden die Preise der Max-­ Grünebaum-Stiftung verliehen. Die Schauspie-

mit 400 Euro höher als die tariflich vereinbar-

lerin Lisa Schützenberger hat dieses Jahr den

■ Wie der Deutsche Bühnenverein vermeldet,

te Mindestgage. Davon profi­tieren am Theater

mit 5000 Euro dotierten Max-Grünebaum-

hat Themis, die neue Anlaufstelle für Opfer

alle, die über NV Bühne beschäftigt sind, vor

Preis erhalten, während dem Opernchorsänger

sexueller Gewalt aus den Branchen Theater,

allem die Schauspielerinnen und Schauspie-

Thorsten Coers der Karl-Newman-Förderpreis

Film, Fernsehen und Orchester, ihre Arbeit

ler am Kinder- und J­ ugendtheater.

verliehen wurde. Die Max-Grünebaum-Stif-

aufgenommen.

tung Cottbus besteht seit 1977 in Erinnerung

Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeber*innen­

an das Wirken des Tuchfabrikanten Max

verbänden, Sendern und anderen Institutio-

Grüne­baum, der sich in Cottbus sozial und

nen der Kultur- und Medienbranche ins Le-

TdZ ONLINE EXTRA

kulturell engagierte, zahlreiche Stiftungen ins

ben gerufen. Dort können sich Hilfesuchende

Leben rief und während des Zweiten Welt-

vertraulich und anonym an eine Psychologin

kriegs aus Deutschland vertrieben wurde.

und eine Juristin wenden.

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aktuell

/ TdZ November 2018  /

Premieren Aachen Theater n. F. Kafka: Die Verwandlung (S. Sobottka, 17.11.); J. Rudiš: Nationalstraße (F. Sommer, 15.11.); W. Hauff: Das kalte Herz (S. Martin, 16.11.) Aalen Theater T. Reffert: Die Schönheit und das Biest (W. Tobias, 25.11.) Annaberg-Buchholz Eduard-von-Winterstein-Theater n. G. v. Bassewitz/A. Hasselwander: Peterchens Mondfahrt (A. Ingenhaag, 11.11.); Y. Reza: Der Gott des Gemetzels (T. Korber, 25.11.) Augsburg Theater J. Soyfer: Der LechnerEdi schaut ins Paradies (M. Locher, 01.11.); A. Lindgren: Mio, mein Mio (J. v. Burchard, 11.11.); L. Elsner: Navigator Luna-Nord (L. Elsner, 29.11.) Baden-Baden Theater T. Rattigan: Herzsprünge (B. Hille, 10.11., DSE); E.T.A. Hoffmann: Der goldne Topf (N. May/CyberRäuber, 15.11.); W. Hauff: Das kalte Herz (T. Höhne, 25.11.) Bamberg E. T. A.-Hoffmann-Theater J. v. Düffel/n. O. Preußler: Die kleine Hexe (M. Constantine, 17.11.); n. E. Toller/S. Barthelmes: Räterepublik Baiern! (S. Barthelmes, 23.11., UA) Basel Theater J. László: Die Verschwörerin (A. Dömötör, 02.11., UA); n. F. Dürrenmatt: Das Versprechen (N. Schlocker, 16.11.); n. C. Funke: Herr der Diebe (D. Kranz, 30.11.) Berlin Ballhaus Ost Prinzip Gonzo/T. Hoffmann-Axthelm/H. Scherwinski: Fleck und Frevel (Prinzip Gonzo/T. HoffmannAxthelm/H. Scherwinski, 08.11.); Das Helmi & Gäste: Knausgård (Das Helmi & Gäste, 22.11.) Berliner Ensemble B. Brecht: Der Lebenslauf des Boxers Samson Körner (C. Kraus, 01.11., UA); n. L. Visconti: Die Verdammten (D. Bösch, 03.11.) Grips Theater M. Youssef: Dschabber (J. Strauch, 08.11., DSE) Maxim Gorki Theater N. Abdel-Maksoud: The Sequel (N. Abdel-Maksoud, 23.11., UA) Schaubühne am Lehniner Platz Ö. v. Horváth: Italienische Nacht (T. Ostermeier, 23.11.) Theater an der Parkaue n. A. Dumas: Der Nussknacker (V. Metzler, 16.11.) Theaterforum Kreuzberg L. Tieck: Die verkehrte Welt (A. Poland, 02.11.) Volksbühne Das 1. Evangelium

(K. Voges, 01.11.); n. H. Ibsen: Volksverräter (H. Schmidt-Rahmer, 17.11.); Des Menschen Unterhaltsprozess gegen Gott (C. Filips, 26.11., UA) Bielefeld Theater B. Thomas: Charlys Tante (M. Mikat, 09.11.); S. Schroeder: Aladin und die Wunderlampe (D. Yazdkhasti, 10.11.); N. Zapfe: Süßer Vogel Freiheit (N. Zapfe, 16.11., UA); R. Bradbury/Pink Floyd: Kaleidoscope_To the Dark Side of the Moon (M. Heicks, 22.11., DEA) Bonn Kleines Theater Bad Godesberg J. Kesselring: Spitzenhäubchen und Arsen (A. Lachnit, 21.11.) Theater J. Genet: Die Zofen (C. Bauer, 15.11.); n. W. Shakespeare/J. Groß: Ein Sommernachtstraum (C. v. Rad, 17.11.) Bregenz Vorarlberger Landestheater G. E. Lessing: Miss Sara Sampson (T. Wellemeyer, 09.11.); C. Dickens: Oliver Twist (I. Berk, 28.11.) Bremen Theater J. v. Düffel/M. Twain: Die Abenteuer des Huckleberry Finn (K. Schumacher, 11.11., UA); J. Safran Foer/J. Eichberg: Hier bin ich (F. Rothenhäusler, 29.11., DSE) Bremerhaven Stadttheater A. Miller: Tod eines Handlungsreisenden (A. Schilling, 10.11.); A. Lindgren: Pippi Langstrumpf (M. Diaz, 22.11.) Celle Schlosstheater W. Allen: Husbands and Wives (T. Feichtinger, 02.11.); n. Gebrüder Grimm: Aschenputtel (S. E. Schroeder, 15.11.); I. Keun: Das kunstseidene Mädchen (S. Richter, 16.11.); Ö. v. Horváth: Zur schönen Aussicht (L. Bunk, 30.11.) Chemnitz Theater The Silent (C. Knödler/R. Schmidt, 16.11., UA); H. Mankell: Treffen am Nachmittag (P. Otto, 23.11.); K. Lange/n. Gebrüder Grimm: Der Teufel mit den drei goldenen Haaren (G. Wolfram, 24.11.) Cottbus Staatstheater M. Herman/P. Allen: Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten (J. Steinberg, 10.11.); W. Hauff: Das kalte Herz (J. Fabian, 17.11.) Dinslaken Burghofbühne B. Wegenast: Let’s play: Ein Spiel für Benny (B. Frazier, 09.11.)

November 2018 Dortmund Theater A. Gruhn/n. C. Perrault: Cinderella (A. Gruhn, 15.11.); P. Shipton: Die Wanze (P. Kirschke, 29.11.); G. Brant: Am Boden (T. Bihegue, 30.11.) Dresden Staatsschauspiel D. Wynne Jones: Sophie im Schloss des Zauberers (M. Salehpour, 10.11.); J. v. Düffel: 9 Tage wach (F. Fischer, 10.11., UA); W. Shakespeare: Ein Sommernachtstraum (F. Heller, 24.11.) Düsseldorf Schauspielhaus H. Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen (projekt.il, 05.11.); H. v. Kleist: Der zerbrochne Krug (L. Linnenbaum, 08.11.); n. A. Tschechow: Wonkel Anja – Die Show! (C. Sienknecht/B. Bürk, 10.11., UA); J. v. Düffel/n. O. Preußler: Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete (R. Gerloff, 11.11., UA); C. Brandau: Sagt der Walfisch zum Thunfisch (J. Kann, 25.11., UA) Esslingen Württembergische Landes­ bühne W. Russell: Educating Rita (L. Tetzlaff, 04.11.) Frankfurt am Main Künstlerhaus Mousonturm Harmless Being (A. P. Arendt, 06.11., UA); Celestial Sorrow (M. Stuart/J. Kuswidananto/Damaged Goods, 16.11., DEA) Schauspiel L. Hübner/S. Nemitz: Furor (A. Weber, 02.11., UA); T. Crouch: An Oak Tree (Die Eiche) (T. Crouch, 09.11.); R. Bolt: Der kleine dicke Ritter (F. Gerhardt, 18.11.); J. Albrecht/C. Ponto: Patentöchter (R. Wenig, 25.11.) Theaterhaus Ensemble: Monstermorphosen (G. Behring/K. Speckmann/K. Willems, 17.11., UA) Freiburg Theater A. Jansen: Wunderland (J. Behr, 04.11.); by proxy: 1968 (by proxy, 22.11.); Silent Service (M. Kaiser/S. Flocken/F. Schiller, 24.11.); H. C. Andersen: Die kleine Meerjungfrau (M. Schachermaier, 25.11.) Freiberg Mittelsächsisches Theater n. Brüder Grimm/J. Bodinus: Der gestiefelte Kater (P. Rauch, 02.11.); A. Wöhlert: Der Schauspiel-Liederabend (A. Wöhlert, 17.11.) Gießen Stadttheater W. Shakespeare: Romeo und Julia (K. Hentschel, 17.11.) Göttingen Deutsches Theater M. Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivfüh-

rer (K. Ramser, 11.11.) Junges Theater J. Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war (E. Hannemann, 29.11.) Halberstadt Nordharzer Städtebundtheater R. Kricheldorf: Das kalte Herz (E. Undiszs, 24.11.) Halle Thalia Theater W. Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe (K. Brankatschk, 15.11.); F. Schiller: Kabale und Liebe (R. Jakubaschk, 23.11.) Hamburg Schauspielhaus W. Schwab: Die Präsidentinnen (V. Bodó, 03.11.); E. Walsh/D. Bowie: Lazarus (F. Richter, 17.11.); G. Pigor: Tiere im Hotel (G. Pigor, 24.11., UA) Thalia Theater T. Köck: Dritte Republik (T. Köck/E. Jach, 02.11., UA); n. M. Shelley/n. Y. N. Harari: Frankenstein / Homo Deus (J. Bosse, 18.11.); P. Handke: Kaspar (L. Böhm, 25.11.) Hannover Schauspiel n. M. Schäuble: Endland (P. Schwesig, 09.11., UA); P. Maar: Das Sams (T. Kühnel, 10.11.); W. Schwab: Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos (L. Bihler, 11.11.) Theater an der Glocksee B. Park: Das Knurren der Milchstraße (J. Vietzke, 23.11.) Hildesheim TfN • Theater für Niedersachsen A. Lippa/M. Brickman/R. Elice: Die Addams Family (A. Hailer, 03.11.); n. J. Spyri/F. Schütz: Heidi (F. Schütz, 14.11.); A. Akhtar: Die unsichtbare Hand (J. Gade, 24.11.) Innsbruck Tiroler Landestheater M. Zimmermann: Pinocchio (V. Schopper, 25.11.); T. Bernhard: Amras (S. Maurer, 25.11., UA) Kaiserslautern Pfalztheater n. M. Frisch: Biedermann und die Brandstifter (J. Langenheim, 03.11.); M. Kaun: Rapunzel (M. Kaun, 06.11.); n. C. Dickens/P. Löhle: Eine Weihnachtsgeschichte (K. Tuschhoff, 18.11.); K. Winkmann: Out!Gefangen im Netz (S. Rogge, 22.11.) Kassel Staatstheater T. Freyer/n. Brüder Grimm: Der gestiefelte Kater (U. Hatzer, 07.11.); W. Weermann: Odem (W. Weermann, 09.11., UA); A. Ayckbourn: Schöne Bescherungen (M. Dietze, 10.11.) Kiel Theater A. Scheffel: Huck und Jim im Weltall (J. Burger, 16.11.); F. Zeller: Vater


aktuell

/ TdZ  November  2018  /

(V. Schmalöer, 16.11.); M. Ende: Der satanarchäolügenialkohöllische Wunsch­ punsch (L. Gappel, 17.11.); M. Tutino: Falscher Verrat #kleinformat (A. Großgasteiger, 30.11.) Klagenfurt Stadttheater K. Šagor: Patricks Trick (S. R. Kühl, 19.11.); H. Mason: Jannik und der Sonnendieb (H. Mason, 24.11.) Köln Schauspiel n. F. M. Dostojewski: Ein grüner Junge (F. Castorf, 01.11., UA); J. Tannahill: Concord Floral (B. Ghazi, 16.11., DEA); A. Bronnen: Rheinische Rebellen (S. Baumgarten, 23.11.) Krefeld Theater J. Krüss: Der Sängerkrieg der Heidehasen (B. Winzen, 04.11.) Landshut kleines theater D. Fo/F. Rame: Nur Kinder, Küche, Kirche (S. Grunert, 02.11.); M. Forster: I cried for you. Storytelling Jazz (S. Grunert, 24.11., UA) Landestheater Niederbayern G. E. Lessing: Nathan der Weise (C. Tröger, 02.11.); n. R. Kipling: Das Dschungelbuch (P. Oberdorf, 25.11.) Leipzig Theater der Jungen Welt K. Lange/n. T. Jones: Nicobobinus oder Die verwegene Reise ins ferne Land der Drachen (B. v. Poser, 17.11., UA); M. Kenny: Die Seiltänzerin (J. Sontag, 25.11.) Linz Landestheater G. v. Bassewitz: Peterchens Mondfahrt (S. L. Kleff, 11.11.); F. Heinrich: Frerk, du Zwerg! (F. Brunner, 17.11.) Theater Phönix J. W. v. Goethe: Urfaust (H. Gebhartl, 22.11.) Lübeck Theater L. v. Trier: Dogville (C. Weyde, 09.11.); F. Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame (T. Löwenstrom, 22.11.); A. Lindgren: Ronja Räubertochter (A. Werner, 30.11.); S. B. Yishai: Die tonight, live forever oder Das Prinzip Nosferatu (M. Bues/N. Liszta, 30.11., UA) Magdeburg Puppentheater R. A. Säidow: Der gestiefelte Kater (R. A. Säidow, 24.11.) Theater M. Mislin: Peterchens Mondfahrt (M. Mislin, 25.11.) Mainz Staatstheater n. E. Kästner: Pünktchen und Anton (N. Helbling, 04.11.); Nothing (R. Assaf, 21.11., UA); C. Thorpe: Status (J. Vetten, 24.11., DSE); P. Abraham: Märchen im Grand-Hotel (P. Jordan/L. Koppelmann, 25.11., DEA) Marburg Hessisches Landestheater F. Kafka: Die Verwandlung (B. Bartkowiak, 24.11.); A. Hilling: Haut (C. Unser, 29.11., UA)

Meiningen Staatstheater H. C. Andersen:

Plauen Theater F. Rodrian: Hör zu, mach

Die Schneekönigin (L. Wernecke, 18.11.) Mülheim an der Ruhr Theater an der Ruhr R. Ciulli/M. Flake: Clowns unter Tage (R. Ciulli, 24.11.) München Residenztheater S. Beckett: Endspiel (A. Lenk, 16.11.); C. Thorpe: Victory Condition (S. Brown, 23.11.); R. Topor: Der Mieter (B. Rádóczy, 24.11.) Münster Theater S. V. Bungarten: Tot sind wir nicht (M. Priebe, 16.11., UA); N. Whitby: Sein oder nicht sein (C. v. Treskow, 17.11.); A. Lindgren: Meisterdetektiv Kalle Blomquist (U. Peters, 25.11.) Wolfgang Borchert Theater Ö. v. Horváth: Jugend ohne Gott (K. Sievers, 29.11.) Neuss Rheinisches Landestheater S. Zarzutzki: Die kurze Geschichte der Menschheit (S. Zarzutzki, 10.11.); V. Baum: Menschen im Hotel (M. A. Schäfer, 24.11.) Neuwied Landesbühne Rheinland-Pfalz C. Pichler: Romy Schneider – Zwei Gesichter einer Frau (03.11.); Neues von Ekel Alfred (25.11.) Nürnberg Staatstheater T. McNally: Meisterklasse (M. Schmitt, 14.11.); P. Löhle: Das Ding (J. P. Gloger, 15.11.); S. Kara/V. Mohrs: Die Musik war Schuld (S. Kara, 30.11., UA) Oldenburg Staatstheater D. Sokolov: Russian Boy (E. Finkel, 17.11., UA); O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz (E. Cordes, 18.11.); M. Vattrodt: Ein großer Aufbruch (C. Roos, 24.11.) Osnabrück Theater R. Koall/n. W. Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe (R. Ludin, 09.11.); M. Ende: Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch (G. Turecek, 11.11.) Paderborn Theater P. Löhle: Eine Weihnachtsgeschichte (D. Strahm, 08.11.); T. Parvela: Maunz‘ und Wuffs guter Tag (P. Neukampf, 11.11.); T. Parvela: Children of Tomorrow (M. Dudzic, 17.11.); R. Bolt: Oh Tannenbaum, wo sind deine Kugeln? (R. Bolt, 25.11.) Parchim Mecklenburgisches Staatstheater n. Gebrüder Grimm/n. C. Perrault: Aschenputtel (T. Ott-Albrecht, 04.11.) Pforzheim Theater C. Laufs/W. Jacoby: Pension Schöller (M. A. Ostrowski, 02.11.); A. Leitgeb: Einstweilige Vergnügung (T. Kleine-Möller, 03.11., UA); n. P. Maar: Eine Woche voller Samstage (M. Löchner, 27.11.)

mit! Hirsch Heinrich (D. Ripp), 21.11.) Potsdam Hans Otto Theater A. Lindgren: Ronja Räubertochter (M. Paulovics, 09.11.); W. Jacoby/C. Lauffs: Pension Schöller (J. Jochymski, 30.11.) Rostock Volkstheater O. Bukowski: Das Konzept romantischer Liebe (K. Festersen, 03.11., UA); n. H. Hüttner/F. Ritter: Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt (N. Baak, 24.11.); H. C. Andersen: Die Schneekönigin (A. Gusner, 26.11.) Saarbrücken Saarländisches Staatstheater n. P. de Marivaux: Der Streit (M. Rippert, 03.11.); n. J. Schuhl: Mélodie! Maladie! Mélodrame! (S. Jacobi, 09.11., UA); M. M. Bouchard: Tom auf dem Lande (M. Claessen, 10.11.); n. G. v. Bassewitz: Peterchens Mondfahrt (J. Renshaw, 11.11.) Theater Überzwerg G. Meister: In meinem Hals steckt eine Weltkugel (B. Ziegenbalg, 10.11.) Schleswig Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester J. v. Düffel: Robin Hood (L. v. Buren, 08.11.) Schwedt/Oder Uckermärkische Bühnen S. v. Lonski: TraumFrauen (R. Simon, 17.11.); J. Schwarz: Die verzauberten Brüder / Zaczarowany Bracia (D. Heinz, 21.11.); K. Renard: Ganze Kerle! (A. Nicke, 30.11.) Schwerin Mecklenburgisches Staatstheater A. Wolkow: Der Zauberer der Smaragdenstadt (N. Mattenklotz, 22.11.) Stralsund Theater Vorpommern V. Vorlicek/F. Pavlicek: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (A. Beutel, 17.11.); Y. Reza: Kunst (R. Göber, 24.11.) Stuttgart Junges Ensemble H. Hesse: Der Steppenwolf (B. Dethier, 03.11.) Schauspiel J. Exler: Tratsch em Treppahaus (V. Jeck, 16.11.); O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz (G. Lukas, 29.11.) Theater tri-bühne e. V. C. Werner/M. V. T. d. Silva: Schweigen ist Silber (C. Werner/M. V. T. d. Silva, 09.11.) Tübingen Landestheater E. Kästner: Pünktchen und Anton (O. Zuschneid, 16.11.); H. Gromes/F. Huby: Die Stunde des Unternehmers (U. Koschel, 30.11., UA) Ulm Theater O. Preußler: Der Räuber Hotzenplotz (V. Stroh, 21.11.); S. Kohrs: Aufstieg und Fall des Uli H. - Eine deutsche Wurstiade (S. Dorn, 23.11., UA) Weimar Deutsches Nationaltheater & Staatskapelle H. Müller/J. Nestroy: Der

A Class(y) Lecture by Elly Clarke

Auftrag / Häuptling Abendwind oder Das gräuliche Festmahl (C. Weise, 30.11.) Wien brut C. Lefèvre: Welcome to the Fisch-Haus (0 C. Lefèvre, 8.11., UA); F. Futterknecht: We will not let you go (F. Futterknecht, 21.11., UA); J. Pfleiderer/ Ictus Ensemble: Safe. A concert transforming itself into a performance and a live radio play (J. Pfleiderer, 21.11., ÖEA) Burgtheater R. W. Fassbinder: Tropfen auf heiße Steine (C. Edlefsen, 23.11.); K. Grahame: Der Wind in den Weiden (A. Wiegold, 24.11.); W. Schwab: Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos (N. Habjan, 29.11.) Wiesbaden Hessisches Staatstheater Alice im Wunderland (08.11.); L. Carroll: Alice im Wunderland (C. Kochan, 08.11.); J. Ford: Schade, dass sie eine Hure war (B. Mottl, 18.11.) Wilhelmshaven Landesbühne Niedersachsen Nord n. Gebrüder Grimm/U. Hub: Der Froschkönig (M. Röhling, 04.11.); R. Wilson/T. Waits/W. S. Burroughs: The Black Rider – The Casting of the Magic Bullets (O. Strieb, 17.11.); F. Wedekind: Lulu (U. Cramer, 24.11.) Würzburg Mainfranken Theater A. Lindgren: Ronja Räubertochter (C. Baumann, 25.11.); K. Schönherr: Der Weibsteufel (D. v. Gunten, 29.11.) Zittau Gerhart-Hauptmann-Theater n. H. C. Andersen: Die Schneekönigin (S. Bestier, 24.11.) Zürich Schauspielhaus M. Ende: Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch (C. Rast, 10.11.); n. H. Ibsen: Nora oder Ein Puppenhaus (T. Kuljabin, 16.11.) Theater Kanton A. Christie: Die Mausefalle (B. Brüesch, 22.11.) Theater Neumarkt Das Anschwellen der Bocksgesänge (P. Kastenmüller, 06.11.); F. Arnold/E. Bach: Hulla Di Bulla (W. Klemm, 24.11.) Zwickau Theater A. Tschechow: Drei Schwestern (R. May, 16.11.)

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01.11. bis 08.11.2018 Eröffnung am 01.11.2018, 19 bis 21 Uhr

Eine Performancewoche von Elly Clarke kuratiert von Solvej Helweg Ovesen und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung

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TdZ on Tour n 18.11. Buchvorstellung Christian Grashof. Kam, sah und stolperte – Gespräche mit Hans-Dieter Schütt, Deutsch Sorbisches Theater Bautzen n 22.11. Buchpremiere Partizipation Stadt Theater, Kleist Forum, Frankfurt (Oder) n 23.11. Buchpremiere Florian Evers – Theater der Selektion, Theaterbuchhandlung Einar & Bert, Berlin n 24.11. Thomas Thieme und Falk Richter im Gespräch, Theaterbuchhandlung Einar & Bert, Berlin n 25.11. Präsentation und Lesung TdZ Spezial Tschechien und Dialog 29 – Neue Theaterstücke aus Tschechien, Goethe Institut Prag Hans-Dieter Schütt (l.) und Christian Grashof. Foto Theater der Zeit

Christian Grashof gehört seit über vier Jahrzehnten zu den prägenden Darstellern des Deutschen Theaters Berlin. Er war das Gesicht der aufsehenerregenden Ära des Regisseurs Alexander Lang. In Gesprächen mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt erzählt er sein Leben – vom Arbeiterkind im sächsischen Löbau zu einem Unverwechselbaren der deutschen Schauspielkunst. Mit zusätzlichen Beiträgen von Alexander Lang, Volker Pfüller, Gunnar Decker und Ulrich Khuon dokumentiert Schütt die Theater- und Filmarbeit des Schauspielers. Schütt und Grashof haben das Buch „Christian Grashof. Kam, sah und stolperte“, das Ende September bei Theater der Zeit erschienen ist, am 26. September im Deutschen Theater Berlin präsentiert. „Aus drei Anekdoten ist es möglich, das Bild eines Menschen zu geben“, sagte Friedrich Nietzsche. Auf drei muss man sich jedoch nicht beschränken, wenn es um das bewegte Leben des Drama­ tikers Heiner Müller geht. Freunde, Wegbegleiter und Kollegen haben sich an Begegnungen und Begebenheiten erinnert sowie ­ pointierte Aussagen des Dramatikers zu Protokoll gebracht. Der Theaterkritiker Thomas Irmer hat die Anekdoten nun in einem Band versammelt, der im September bei Theater der Zeit erschienen ist. Das Buch „Heiner Müller – Anekdoten“ wurde am 27. September im Rahmen einer Lesung mit dem Schauspieler Burghart Klaußner in der Theater­ buchhandlung Einar & Bert vorgestellt.

PME-ART

n 28.11. Buchpremiere Dan Richter – Improvisa­ tionstheater, Improvisationstheater BühnenRausch, Berlin n 18.01.2019 Buchpremiere 300 Jahre Theater Erlangen, Theater Erlangen Weitere Termine und Details unter www.theaterderzeit.de

Thomas Irmer (l.) und Burghart Klaußner. Foto Theater der Zeit

7. + 9.11.

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Vorschau

AUTOREN November 2018

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IMPRESSUM Theater der Zeit Die Zeitschrift für Theater und Politik 1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer und Harald Müller Redaktionsanschrift Winsstraße 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-0 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44 Redaktion Dorte Lena Eilers +49 (0) 30.44 35 28 5-17, Harald Müller (V.i.S.d.P.) +49 (0) 30.44 35 28 5-20, Paula Perschke +49 (0) 30.44 35 28 5-18 redaktion@theaterderzeit.de Dr. Gunnar Decker, Jakob Hayner Mitarbeit Claudia Jürgens, Eva Merkel (Korrektur), Clara Molau (Hospitanz) Verlag: Theater der Zeit GmbH Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@theaterderzeit.de, Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@theaterderzeit.de Verlagsbeirat Dr. Friedrich Dieckmann, Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte, Prof. Heiner Goebbels, Dr. Johannes Odenthal, Kathrin Tiedemann Anzeigen +49 (0) 30.44 35 28 5-20, anzeigen@theaterderzeit.de Gestaltung Gudrun Hommers Bildbearbeitung Holger Herschel Abo / Vertrieb Yann Bachmann +49 (0) 30.44 35 28 5-12, abo-vertrieb@theaterderzeit.de Einzelpreis € 8,50 Jahresabonnement € 85,– (Print) / € 75,– (Digital) / 10 Ausgaben + 1 Arbeitsbuch Preis gültig innerhalb Deutschlands inkl. Versand. Für Lieferungen außerhalb Deutschlands wird zzgl. ein Versandkostenanteil von EUR 25,– berechnet. 20 % Reduzierung des Jahresabonnements für Studierende, Rentner, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises. Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen die Herausgeber.

Aktuelle Inszenierung Moderne Adaptionen antiker Theaterstoffe sind angesagt wie nie zuvor. Während Christopher Rüping an den Münchner Kammerspielen mit seinem Antiken-Marathon ­„Dionysos Stadt“ drei antike Tragödien und ein Satyrspiel auf die Bühne bringt (Dauer: zehn Stunden – immerhin nicht fünf Tage wie im alten Griechenland), untersucht Simon Stone am Berliner Ensemble, ausgehend von drei antiken Dramen, die Konflikte und Machtgefälle zwischen Männern und Frauen. Christoph Leibold hat beide Inszenierungen gesehen. Stück Auch in der Oper schreckt man thematisch nicht vor den bedrohlichen Entwicklungen unserer Zeit zurück. Der Komponist Johannes Maria Staud und der Lyriker und Librettist Durs Grünbein nehmen sich mit „Die Weiden“ den Rechtsruck in Europa vor. In dem epischen Opernabend geht es um Abschottung, Ausgrenzung und das Nichtlernen aus der eigenen Geschichte. Die Handlung verläuft entlang eines Flusses (es könnte die Donau sein), den ein Paar bereist, das am Ende im Herzen der Finsternis landet, einem zerrissenen Kontinent. Am 8. Dezember findet die Uraufführung an der Wiener Staatsoper statt, den Abdruck des Librettos von Durs Grünbein finden Sie bereits vorab im nächsten Heft.

Durs Grünbein (l.) und Johannes Maria Staud. Foto Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Viten, Porträtfotos und Bibliografien unserer Autorinnen und Autoren finden Sie unter www.theaterderzeit.de/2018/11

„Dionysos Stadt“. Foto Julian Baumann

Margarete Affenzeller, Theaterredakteurin, Wien Josef Bierbichler, Schauspieler und Autor, Ambach Bodo Blitz, Kritiker, Freiburg Simone von Büren, freie Autorin, Bern Otto Paul Burkhardt, Theater- und Musikkritiker, Tübingen Friedrich Dieckmann, Schriftsteller, Essayist und Kritiker, Berlin Wolfgang Engler, Soziologe und Publizist, Berlin Friederike Felbeck, Regisseurin und Autorin, Düsseldorf Thomas Irmer, freier Autor, Berlin Pınar Karabulut, Regisseurin, Köln Renate Klett, freie Autorin, Berlin Henrike Kohpeiß, Dramaturgin, Berlin Johanna Lemke, Theaterredakteurin, Dresden Sabine Leucht, Jounalistin und Theaterkitikerin, München Elisabeth Maier, Journalistin, Esslingen Luise Meier, freie Autorin, Berlin Tom Mustroph, freier Autor, Berlin Maximilian Pahl, Kritiker, Bern Falk Richter, Regisseur und Autor, Berlin Wolfgang Schneider, Kulturwissenschaftler, Hildesheim Sascha Westphal, freier Film- und Theaterkritiker, Dortmund Patrick Wildermann, freier Kulturjournalist, Berlin Erik Zielke, Lektor, Berlin

TdZ ONLINE EXTRA

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Druck: Kollin Medien GmbH, Neudrossenfeld 73. Jahrgang. Heft Nr. 11, November 2018. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft: 05.10.2018

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Die nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. Dezember 2018.


Was macht das Theater, Daniel Kehlmann? Daniel Kehlmann, Sie sind in der Theater-

etwa das Residenztheater München

stadt Wien als Sohn eines Regisseurs

als erstes großes Theater mein Stück

und einer Schauspielerin aufgewachsen.

„Heilig Abend“ gebracht hat. Ich habe

Was bedeutet das für Sie?

das Gefühl, dass mir die Rede seit die-

Als ich ein Kind war, war ich ständig im

ser Inszenierung zwar w ­eniger, aber

Theater. Mein Vater hat damals in Wien

dennoch nachgetragen wird. Ich will

am Theater in der Josefstadt und auch

mich darüber nicht b ­eschweren: Es

am Burgtheater inszeniert. Er war Spe-

war eine polemische Rede, zu der ich

zialist für Ödön von Horváth, und ich

stehe und deren ­Folgen ich akzeptiere.

erinnere mich an seine Inszenierung

Glücklicher­weise bin ich ja wegen mei-

von „Der jüngste Tag“, die mich unge-

ner Romane nicht davon abhängig.

heuer beeindruckt hat – auch weil darin Gespenster vorkommen. Gespenster

In der Rede sprachen Sie auch davon,

sprechen ein Kind natürlich an und

dass Sie Autoren wie Samuel Beckett

ganz besonders mich, der ich ja heute

Verständnis entgegenbringen, wenn sie

noch ein Faible für Gespensterge-

Aufführungen untersagt haben. Ist das

schichten habe. Ich durfte auch bei

auch für Sie persönlich ein Mittel?

den Proben dabei sein. Theater war mir

Ich habe das bisher nie getan und wür-

also schon früh sehr vertraut. Aber das

de es auch nicht tun. Ich habe ja deut-

führte auch dazu, dass ich dem Thea-

lich gemacht, wie meine Haltung zum

ter als Schriftsteller erst mal fernblei-

Regietheater ist. Auch die rechtliche Regelung ist hier klar und vernünftig:

darüber, dass ich vor allem als Erzähler

Eigentlich wollte sich Daniel Kehlmann vom Theater fernhalten und lieber Bücher schreiben. Ein bisschen ist ihm das auch gelungen, aber eben nur ein bisschen. Sein aktueller Roman „Tyll“ ist zurzeit in einer Bühnen­ fassung von Julian Pörksen und Stefan Bachmann am Schauspiel Köln zu sehen (Regie Stefan Bachmann). Theater ist für ihn stets paradox, trotzdem macht es ­einen großen Teil seiner Arbeit aus. Glück gehabt, denn Daniel Kehlmann versteht sich als großer Erzähler, der außerdem ein Faible für Gespenstergeschichten hat.

gesehen werde. Ich bin sogar sehr froh

Foto Beowulf Sheehan

tion zu untersagen. Ich habe nur auf

ben wollte. Und auch nach Ihrer schreibenden An­ näherung an das Theater als Dramatiker werden Sie noch immer vor allem als ­Erzähler wahrgenommen. Für mich ist Theater wirklich zu einem Hauptteil meiner Arbeit geworden. Ich bin nicht beleidigt oder unglücklich

Ein Regisseur hat gestalterisch jede Freiheit, es sei denn, es handelt sich um massive Eingriffe in den Text. Nur einmal gab es den Fall, dass ich bei der Premiere eines meiner Stücke rausgegangen bin, weil so viel geändert worden war. Ich wollte mich nicht dafür verbeugen. Aber auch hier habe ich keine Sekunde erwogen, die Produk­

darüber, dass meine Romane so viel

einen Zettel im Programmheft bestan-

Zuspruch finden, dass sie das Bild von

den, auf dem stand, dass ohne Abspra-

mir prägen. Aber für mich sind meine

che mit mir massiv in den Text einge-

Stücke ebenso wichtig wie meine erzählen-

darüber sind, dass so viele Adaptionen ge-

den Texte. Ich habe allerdings das Gefühl,

zeigt werden, aber fast alle Theater tun es

dass ich als Erzähler schon reifer bin, wäh-

ständig. Mein Theaterverlag, der Thomas

An verschiedener Stelle haben Sie auch Ihre

rend ich beim Schreiben für die Bühne noch

Sessler Verlag in Wien, schickt immer meine

Sympathien für angelsächsische Literatur ge­

lerne und ausprobiere. Aber gerade das macht

Stücke an die Häuser, die meine Romane zei-

äußert. Besteht vielleicht ein weiterer Vorbehalt

mir viel Spaß.

gen. Meine Stücke werden ja auch gespielt –

gegen Sie am Theater darin, dass Sie es ver­

13 Produktionen von „Heilig Abend“ allein in

stehen zu unterhalten?

Was löst das in Ihnen aus, zu sehen, dass Bear-

Deutschland –, aber nie von denselben Häu-

Ich sage das ganz unpolemisch: Ich glaube,

beitungen Ihrer Romane an sehr großen Häusern

sern, die die Romane machen.

das ist im Augenblick hier nicht erwünscht.

gespielt werden, etwa Ihr neuester Roman „Tyll“

griffen wurde.

Postdramatisches Theater bedeutet ja eben

am Schauspiel Köln, während Ihre originären

Ist das vielleicht auch als verspätete Reaktion

auch ausdrücklich, dass nicht unterhalten

Theatertexte spärlicher gezeigt werden?

auf Ihre Rede zur Eröffnung der Salzburger Fest-

werden soll. Ich habe nichts dagegen, aber

Auf der einen Seite freut es mich natürlich,

spiele 2009 zu verstehen, als Sie hart mit dem

ich möchte das auch nicht schreiben. Mein

wenn meine Romane gespielt werden, noch

Regietheater ins Gericht gegangen sind?

Ideal ist nicht, wie mir manchmal vorgewor-

dazu in tollen, fantasievollen Produktionen.

Vielleicht. Ich merke, dass die Rede noch im-

fen wurde, das deutsche Theater der fünfziger

Auf der anderen Seite würde ich, hätte ich die

mer viele im Theatermilieu gegen mich ein-

Jahre, mein Ideal ist das angelsächsische

Verantwortung für ein Theater, grundsätzlich

nimmt. Es gibt große Stadttheater, die mei-

Theater von heute. //

selten Romanadaptionen spielen. Ich bin

nem Verlag mitgeteilt haben, dass sie meine

kein Fan dieser Mode. Fast alle, mit denen

Stücke grundsätzlich nicht zu lesen wün-

ich spreche, sagen mir, dass sie unglücklich

schen. Umso mehr hat es mich gefreut, dass

Die Fragen stellte Erik Zielke.


Foto Viviane Wild

Do 01.11. Ralph Hammerthaler liest „Unter Komplizen“ 19.30 Uhr (EUR 8,00 / 5,00)

Fr 02.11. Jens Wawrczeck – alias Peter Shaw in „Die drei ???“ liest Hitchcock 19.30 Uhr (EUR 8,00 / 5,00)

Sa 10.11. Burghart Klaußner liest „Vor dem Anfang“ 19.30 Uhr (EUR 8,00 / EUR 5,00)

Sa 24.11. Thomas Thieme trifft Falk Richter 19.30 Uhr (EUR 8,00 / EUR 5,00)

Lesungen Theater Bücher Einar & Bert Theaterbuchhandlung & Café Winsstraße 72 D-10405 Berlin Wir liefern in das In- und Ausland. Öffnungszeiten Mo – Fr 11.00 – 18.00 Uhr Sa 12.00 – 18.00 Uhr Telefon +49 (0)30 4435 285-11 info@einar-und-bert.de www.einar-und-bert.de Danke, dass Sie in einer unabhängigen Buchhandlung einkaufen. +++ Bestellen Sie bis 16 Uhr und holen Sie das Buch am nächsten Morgen ab. +++ Besuchen Sie uns im Netz!

Anmeldung unter info@einar-und-bert.de. Details und weitere Veranstaltungen unter www.einar-und-bert.de


VÖGEL (DSE)

von Wajdi Mouawad Inszenierung: Burkhard C. Kosminski 16. Nov 2018 – Schauspielhaus

ORESTIE

nach Aischylos in einer Bearbeitung von Robert Icke Inszenierung: Robert Icke 17. Nov 2018 – Schauspielhaus

DIE ABWEICHUNGEN (UA) von Clemens J. Setz Inszenierung: Elmar Goerden 18. Nov 2018 – Kammertheater

ICH BIN WIE IHR, ICH LIEBE ÄPFEL von Theresia Walser Inszenierung: Burkhard C. Kosminski 23. Nov 2018 – Schauspielhaus

JUGEND OHNE GOTT von Ödön von Horváth Inszenierung: Zino Wey 25. Nov 2018 – Kammertheater

DER GESTIEFELTE KATER Familienstück nach dem Märchen der Gebrüder Grimm Inszenierung: Susanne Lietzow 2. Dez 2018 – Schauspielhaus

MEDEA

von Franz Grillparzer Inszenierung: Mateja Koležnik 14. Dez 2018 – Schauspielhaus

DIE WEBER

von Gerhart Hauptmann Inszenierung: Georg Schmiedleitner 12. Jan 2019 – Schauspielhaus

HEY [HƐɪ] (UA)

von Nis-Momme Stockmann Inszenierung: Pınar Karabulut 16. Jan 2019 – Kammertheater

ROMEO UND JULIA

Ein Werkauftrag für die Frankfurter Positionen 2019 – Eine Initiative der BHF-BANK-Stiftung

von William Shakespeare Inszenierung: Oliver Frljić 24. Nov 2018 – Schauspielhaus

Alle Premieren unter: www.schauspiel-stuttgart.de


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