Regie: Herbert König. Über die Kunst des Inszenierens in der DDR

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Thomas Wieck

Regie: Herbert Kรถnig ร ber die Kunst des Inszenierens in der DDR



Thomas Wieck – Regie: Herbert König


Wir danken Günther Beelitz.

Thomas Wieck Regie: Herbert König Über die Kunst des Inszenierens in der DDR Recherchen 140 © 2019 by Theater der Zeit Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien. Verlag Theater der Zeit Verlagsleiter Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.theaterderzeit.de Lektorat: Erik Zielke Gestaltung: Sibyll Wahrig Umschlagabbildung: Privatarchiv Thomas Wieck Bildstrecke (S. 120–141): © Signe Schumacher Printed in Germany ISBN 978-3-95749-198-5 (Taschenbuch) ISBN 978-3-95749-218-0 (ePDF) ISBN 978-3-95749-219-7 (EPUB)


Thomas Wieck

Regie: Herbert KĂśnig Ăœber die Kunst des Inszenierens in der DDR

Recherchen 140



Inhalt

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Vorbemerkung

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In Magdeburg beginnt alles

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Herbert König betritt die Bühne

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Die erste Inszenierung

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Die beste Zeit

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Denunziert

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76

Ganz unten

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Der Durchbruch: Nachtasyl

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118 Szenenfotos: Nachtasyl -

142 Endspiele und Zwischenbilanz -

175 Ein theaterhistorischer Exkurs: Herbert König und Frank Castorf -

192 Beginn im anderen Land -

Anhang 198 203 204 205

Herbert Königs Inszenierungen in der DDR von 1973 bis 1983 Abkürzungsverzeichnis Danksagung Der Autor



VORBEMERKUNG -

Herbert Königs und meine Wege durch die Theater in der DDR kreuzten sich einige Male, kein Wunder in diesem kleinen Land, noch dazu, da wir etwa gleichaltrig waren. Wir kamen uns nicht in die Quere und respektierten uns. Einzelne, aber letztlich hilflose Versuche von meinem Kollegen Manfred Dietrich und mir, Herbert König beruflich durch den Verband der Theaterschaffenden in den Jahren 1975 und 1976 zu unterstützen, scheiterten. Noch etwas verband mich mit ihm: Wir wurden zu unterschiedlichen Zeiten vom selben informellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit denunziert. Doch was in meinem Falle folgenlos und episodisch blieb, wurde für Herbert König schicksalhaftbestimmend, ohne indes ihn vernichtend treffen zu können. Er blieb, der er war. Vorliegender Text ist der überfällige Versuch, Herbert Königs Werk von allen Legenden, Vermutungen und Verzerrungen zu befreien. Nur so ist die erstaunliche Gegenwärtigkeit seiner Theaterarbeit überzeugend zu beweisen. Thomas Wieck Berlin, Februar 2019

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IN MAGDEBURG BEGINNT ALLES -

„Kennen Sie Herbert König?“ „Natürlich kenn ich König – da gab es doch legendäre Inszenierungen, wie ich mich erinnere, ohne sie je gesehen zu haben. Da standen die Spieler provokant locker, leise und realistisch sprechend an der Brandmauer und waren schwer bis gar nicht zu verstehen usw. Der Regisseur Meltke und der Intendant in Düsseldorf Beelitz erzählten mir als Jungspund mehr als angeregt über jene geniale Gestalt im real existierenden DDRTheaterwesen!“

Frage und Antwort sind authentisch und besagen: Die Inszenierungen von Herbert König in der DDR zwischen 1973 und 1983 sind weder in Ost noch West recht begriffen worden. Die zeitgenössische Kritik stand ihm im Osten oftmals ablehnend oder ignorant gegenüber – bis auf die besonders zu rühmende Kritik der Nachtaysl-Inszenierung 1981 von Helmar Schramm.1 Von den westdeutschen Kritikern wird zuerst Andreas Roßmann auf ihn aufmerksam, so dass zumindest die letzten drei Inszenierungen Herbert Königs in Zittau und Anklam nicht ungesehen und ungehört verhallen. Die Premieren werden zwar noch zugelassen, aber eine sachgerechte Auseinandersetzung mit Königs Theaterarbeit wird schon längst nicht mehr geführt. Nach 1989 bemühte die Theaterkritik und -historiographie die wunderlichsten Epitheta, um Königs Inszenierungen im Begriff zu fassen. Da ist die Rede von „Königs finsterer Sicht“2, von seinen „verstörenden“3, gar „strukturzerstörenden“4 Inszenierungen. Königs Arbeiten waren weder abseitige, wenn auch „irgendwie“ begabte Eigentümlichkeiten, noch waren es „ganz und gar individuelle Auslegungen eines Stücks“.5 Wenn König in den Text eingriff, dann kürzte er den Text radikal auf den schauspielerischen Grundvorgang hin, dann verschärfte er die szenischen Vorschläge des Autors so, dass hinter allen ideologischen Erklärungen und entgegen allen mildtätig-poetisierenden Verklärungen als Quintessenz der dramatischen Handlungen die körperliche und geistige Hinfälligkeit des Menschen in seiner Einsamkeit hervortrat. In diesem Moment – und das ist der für König einzig gelungene theatralische Moment – vereinigt sich im Spiel vor dem Zuschauer der unbestechliche Schauspieler mit der auf ihren Kern enthüllten Rolle

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In Magdeburg beginnt alles

zu einer Figur, die ihm, dem Zuschauenden, ein Abbild seines eigenen wirklichen Seins, entkleidet von allem verhüllenden Dekor und Kostüm, entgegenstellt.6 Seine in diesem Sinne dichten Inszenierungen sind höchst erinnerungswürdige Versuche eines menschenkritischen Theaters. Sie bestehen auf dem unveräußerlichen Recht und dem immerwährenden Kampf des Individuums, seinen gesellschaftlichen Platz selbst zu bestimmen. Herbert König gestaltet in seinen Inszenierungen diesen unabdingbaren Kampf als einen immerfort zu führenden, letztlich aber nicht zu gewinnenden –weshalb dieser Konflikt für ihn wohl der einzige kunstwerte Gegenstand ernsthafter Theaterarbeit diesseits und jenseits der Elbe, vor 1989 und nach 1989 war.

1

Helmar Schramm: „‚Nachtasyl‘ im Nachtasyl-Rezeptionsversuch mit Gorki im Theater Greifswald“, in: Theater der Zeit 5/1981, S. 27 ff.

2

Petra Stuber: „Kontinuitäten und Brüche. Zum DDR-Theater in den siebziger und achtziger Jahren“, in: Durch den Eisernen Vorhang. Theater im geteilten Deutschland, hrsg. von Henning Rischbieter, Berlin 1999, S. 248.

3

Martin Linzer: „Ich war immer ein Opportunist …“ 12 Gespräche, aufgezeichnet von Nikolaus Merck (= Recherchen 7), Berlin o. J., S. 217 f.

4

Friedemann Krusche: Theater in Magdeburg, Band 2, Halle 1995, S. 230.

5

Thomas Irmer/Matthias Schmidt: Die Bühnenrepublik. Theater in der DDR, Berlin 2003, S. 139.

6

Carsten Ludwig deutet diese wirkungsästhetische Besonderheit der Inszenierungen Königs an. Vgl. Carsten Ludwig: „Der König ist tot, es leben die Lakaien“, in: Theater der Zeit 12/1999, S. 97.

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HERBERT KÖNIG BETRITT DIE BÜHNE -

Das war kein einfacher Jobwechsel, als der 26-jährige Magdeburger Redaktionsvolontär Herbert König 1970 die Volksstimme, die Tageszeitung der SED-Bezirksleitung, verließ und als journalistischer und kulturpolitischer Mitarbeiter an das örtliche Theater ging. Der gebürtige Magdeburger war keineswegs unbekannt in seiner Heimatstadt, der „Stadt des Schwermaschinenbaus und des Schwimmsports“, denn er war Wasserballer beim SC Aufbau Magdeburg im Jahrzehnt von 1960 bis 1970. In diesen Jahren stieg Magdeburg, nach den goldenen Jahren des achtfachen deutschen Vorkriegsmeisters Hellas Magdeburg, zum zweiten Mal zur führenden gesamtdeutschen Wasserballmetropole auf. Wasserball war unter sozialistischer Ägide für ein Jahrzehnt lang ein staatlich geförderter Hochleistungssport und den Aktiven, den sogenannten Leistungssportlern, auch unter dem Begriff „Staatsamateure“ bekannt, öffneten sich die von den meisten Jugendlichen begehrten drei Zukunftstore in der DDR: das Tor zum Abitur an der Kinder- und Jugendsportschule (KJS) und zum (Fern-)Studium, das Tor zur eigenen Neubauwohnung und – ging alles gut – das Tor zum westlichen Ausland einschließlich Westdeutschland. Herbert König war Schüler der KJS Magdeburg und ein begabter Center. Die Position und Funktion des Centers im Knochenjob Wasserball ist auf verblüffende Weise nicht unähnlich der Position und Funktion des Regisseurs im Theater. Was zeichnet einen guten Centerspieler aus? Was muss er können? Der Centerspieler einer Mannschaft befindet sich beim Angriff seiner Mannschaft etwa auf Höhe der gegnerischen Zwei-Meter-Linie möglichst mittig vor des Gegners Tor. Wird er angespielt, versucht er den Ball entweder selbst ins Tor zu werfen oder er spielt ihn so ab, dass ein besser postierter Mitspieler erfolgreich werfen kann. Der Center ist der einzige Spieler während eines Angriffs, der die Sicht nach hinten hat, ist er doch mit dem Rücken zum gegnerischen Tor positioniert. So wird er zum Taktgeber und Inszenator des Angriffsspiels seiner Mannschaft. Der erfolgreiche Center muss mit minimalem körperlichen Aufwand seine Position im Wasser erkämpfen und behaupten, scharf die Entwicklung und die Wendungen des Spiels beobachten und geduldig auf den rechten Moment warten, um entweder den eigenen Wurf zu riskieren oder sich für ein Zuspiel zum Mitspieler zu entscheiden – Verantwortung abgeben und Verantwortung auf sich nehmen, das Spiel der eigenen

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Mannschaft auf sich zukommen lassen und den Ball immer von neuem verteilen, dabei stets vom gegnerischen Abwehrspieler im Rücken hautnah und oftmals unfair bedrängt. Ein eigener missglückter Wurf oder Fangversuch hat die fatale Folge, schnellstens zurückschwimmen zu müssen, um noch vor dem angreifenden Gegner die Verteidigung vor dem eigenen Tor zu organisieren. Solcherart Rückwärtsverteidigung war Herbert Königs Sache nicht, wie sich ein Mitspieler1 erinnert. Vorwärts war er allemal und vorneweg dabei, aber bedachtsam. Die Spezifik des Angriffsspiels im Wasserball kam seinem Naturell entgegen und prägte es weiter aus. Mit einer scheinbar unerschütterlichen phlegmatisch wirkenden Gelassenheit die Situation um und vor sich beobachtend, wartete er, innerlich hochgespannt, auf den richtigen Augenblick, bis es galt, schnell und treffend zu entscheiden. Sein Spitzname unter den Mitspielern war nicht grundlos „Papa“. Was Zögerlichkeit schien, war Geduld, die Kunst des Wartens, allemal Bedingung für einen vertrauenerweckenden Regisseur im Wasser wie auf den Brettern. Alles fügte sich in Herbert Königs jungen Jahren zu einer DDR-Bilderbuchbiographie, trotz seiner für eine DDR-Karriere normalerweise sehr ungeeigneten sozialen Herkunft. Sein Vater war selbständiger Schuhmachermeister und blieb es sein ganzes Leben in der DDR, wozu eine listige Halsstarrigkeit, ein kräftiger handwerklicher Eigensinn gehörte – ganz der Wagnerschen Erkenntnis gemäß „Verachtet mir die Meister nicht“. Dies erbte Herbert auf jeden Fall von seinem Vater. Doch auch die Mutter bewies unternehmerische Fähigkeiten und Courage. Sie hatte Werkstatt und Laden gleich nach Kriegsende selbständig in der Kleinstadt Burg, nahe Magdeburg gelegen, wohin sie mit ihrem Sohn Herbert vor den starken Bombardements auf Magdeburg ausgewichen war, wieder eröffnet. Die raue Nachkriegszeit war für manches Handwerk, noch dazu wenn es zu improvisieren verstand, zwar kein goldener Boden, aber doch Grundlage für ein gesichertes Leben, so auch die Schuhmacherei: Aus Ledertaschen aller Art wurden dringlich notwendige neue Schuhe gefertigt, für die Landsleute wie auch für die mit frischen Esswaren gut zahlenden sowjetischen Offiziere. Später zog die Familie samt der Schuhmacherwerkstatt, der Vater war aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, wieder zurück nach Magdeburg, und Herbert entwickelte sich zu einem veritablen Sporttalent, so dass die Aufnahme in die Kinder- und Jugendsportschule in Magdeburg die Chance war, um die möglichen sozialen Nachteile seiner „bürgerlichen“ Herkunft auszugleichen und das Abitur ablegen zu können. Man ideologisierte in diesem Schultyp etwas weniger als in den allgemeinbildenden erweiterten Oberschulen, zählte hier doch die sportli-

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che Leistungsbereitschaft schon als Ausweis des rechten Bewusstseins. Wenn es dennoch und zusätzlich verlangt wurde, droschen die Schüler ungerührt die angesagten Phrasen und sahen trotz Verbots weiterhin regelmäßig Westfernsehen. Auch nach dem Abitur schien sein Leben der vorgezeichneten Laufbahn eines DDR-Spitzensportlers zu folgen: SED-Mitglied, jung gefreit, zwei Söhne wurden geboren, Neubau-Wohnung, ein Arbeitsplatz pro forma, Fliesenleger, beim Spezialbaukombinat, dem Träger des Sportclubs, dann ein irrtümliches und schnell wieder beendetes Chemiestudium. Da ihn in der KJS wahrscheinlich eine Deutschlehrerin infiziert hatte mit Interesse und Leidenschaft für Literatur und Kunst – in seiner Familie spielte Kunst keine Rolle –, sattelte er um zum Redakteur der Betriebszeitung aktuell des VEB Spezialbaukombinates Magdeburg. Diese Tätigkeit erlaubte und erzwang Einblicke in den Betriebsalltag, Einblicke, die er sonst niemals gewonnen hätte, und die Zeitung eröffnete ihm einen Raum, seine Leidenschaft für den Film öffentlich produktiv ins Kritische zu wenden – und sich über manchen DEFA-Film herzlich auszulassen. Diese Kritiken trugen ihm einen zweiten, neuen Ruf, den des argumentativ beschlagenen, kritischen jungen Mannes ein. Aber das reicht ihm bald nicht mehr, er will seinen Wirkungskreis erweitern und wirklich mitsprechen können und gehört werden. Er will Einfluss nehmen, das ist wohl auch der Grund seiner Parteizugehörigkeit, und so nutzt er seinen guten sportlichen Ruf, um als Redaktionsvolontär an die Bezirkszeitung der SED, die Volksstimme, zu wechseln. Aber die unaufhaltsam scheinende Bilderbuchbiographie endet schlagartig und unversehens. Die zentrale DDR-Sportführung in Berlin hatte bilanziert und für den Wasserballsport nach der ernüchternden Niederlage im Spiel um den fünften Platz, ausgerechnet gegen die USA, in MexicoCity bei den Olympischen Spielen 1968 folgende Rechnung aufgemacht: Einer möglichen Medaille im Wasserball stehen 79 Medaillen im Schwimmsport gegenüber, im Berliner Leistungszentrum werden jedoch bis 18.00 Uhr nur 70 % der Wasserfläche für das Schwimmtraining genutzt, während bisher etwa 30% dem Wasserball zur Verfügung gestellt werden. Und aus dieser unwiderleglichen Medaillenarithmetik folgerte der sportpolitische Beschluss des SED-Politbüros: In den Jahren 1970 bis 1971 ist – nach umfassender politisch-ideologischer und organisatorischer Vorbereitung – eine stärkere Konzen-

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tration von Fördermaßnahmen auf die entscheidenden olympischen Sportarten vorzunehmen. Gleichzeitig ist die Förderung für die Sportarten […] und Wasserball, vor allem im internationalen Sportverkehr […] und in der Förderung der Sportler schrittweise einzuschränken. Diese Sportarten sind aus den Sportclubs und KJS herauszunehmen.2 Nun war es um einen sportlich konkurrenzfähigen Wasserball in Magdeburg bald geschehen. Der SC Magdeburg trennte sich gänzlich von seinen Wasserballern. König spielte noch bei einer zweitklassigen Mannschaft, trainierte aber nur noch zweimal abends in der Woche. Durch eine verhängnisvolle Verkettung von Krankheiten musste er schlagartig seine sportlichen Aktivitäten einstellen, ein Abtrainieren, ein kontrolliertes Umstellen des hochgetriebenen Organismus auf eine normale Beanspruchung war dadurch verhindert. König kompensierte das auch nicht: Eine gesundheitsbewusste Lebensführung war ihm zuwider und fremd. Er rauchte schon damals extensiv. Der Schritt ins Theater änderte schlagartig Herbert Königs Leben. Hier fand er seine Heimat, die ihm gemäße Lebensweise, inmitten eines kreativen Chaos, dem sich anzuvertrauen und es beherrschen zu lernen, ihn offenbar magisch anzog. Er brach seine Ehe und er brach seine bisherigen sozialen Kontakte rigoros ab. Er „ging im Theater auf“. Mit 26 begann er sein zweites Leben und er war sich bewusst, wie sehr er damit sein bisheriges Leben umzukrempeln im Begriff war. Mit der ihm eigenen Rigorosität trennte er sich von seinen bisherigen Lebensumwelten. Er nutzte die ihm anvertraute verantwortliche Redaktion des Mitteilungsblattes der Bühnen der Stadt Magdeburg total umgehend zu einem Appell an die Kritikfähigkeit der Besucher und eine geharnischte Absage an die ideologische Einspurigkeit und ästhetische Borniertheit der lokalen Berufskritiker. Um gutes und besseres Theater in Zukunft machen zu können, ist es notwendig, daß wir kritischer, selbstkritischer an unsere Arbeit herangehen. Dabei können Sie uns helfen, indem Sie sich mehr als bisher am Dialog Publikum – Theater beteiligen. So erfahren wir, ob wir Ihnen mit unserer Arbeit Freude bereiten, oder ob wir Sie langweilen. total stellt Ihnen gern Platz zur Verfügung. Wenn wir immer wieder darauf hinweisen, wie wichtig uns Ihre Hinweise, Kritiken, Meinungen sind, egal ob im total oder bei Foyergesprächen und Diskussionen, so auch deshalb, weil die offiziellen Kritiken in den Magdeburger Zeitungen zum großen Teil in ihrer Unbedarftheit kaum

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darüber Auskunft geben, ob wir mit unserer Arbeit vertretbare Ergebnisse erzielt haben. Wir wollen harte Kritiken, scharfe Polemik, aber wir finden, daß beim Streit um Inszenierungen (auch in der Presse) die Argumente zählen, die wenn irgend möglich, auf Sachkenntnis der Kritiker basieren sollten. Solange Klischees wie „Uns gefiel Herr X“ oder „Frau Y beeindruckte mit ihrem Spiel“ und ähnliches den größten Raum dieser „Rezensionen“ einnehmen, lohnt es nicht, darüber zu streiten. Deshalb hat total seit einiger Zeit auf den abzugsweisen Abdruck unter der Spalte „Kritik“ verzichtet und wird es auch in Zukunft tun.3 Er hat einen ersten Stein in den stillen, ihm viel zu stillen DDR-Teich geworfen und schon schlagen die Wellen so hoch, dass der Chefdramaturg Heiner Maaß schlichtend und schützend eingreifen muss. Drei Monate später bedauert Maaß sehr wohl den Vorgang und die Wortwahl seines jungen Kollegen: Wir haben guten Grund, uns für die große Beachtung, die unsere künstlerische Arbeit und unsere kulturpolitischen Initiativen in den bezirklichen Presseorganen fanden, bei den Redaktionen zu bedanken. Desto mehr bedauern wir, daß ein Mitarbeiter unseres Hauses in einer unsachlichen und nicht zu akzeptierenden Form die Theaterkritiker der Magdeburger Zeitungen in der Nr. 11 von total angegriffen hat. Wir meinen aber auch, daß wir die Theaterkritiker nur dann als ernst zu nehmende Partner und Mitstreiter akzeptieren, wenn wir sachlich und begründet unsere Meinung zu kritischen Äußerungen formulieren, die wir aus ästhetischen und kulturpolitischen Gesichtspunkten nicht unerwidert lassen können.4 Eine Bagatelle. Nicht für die örtliche Dienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Wachsam schreibt sie zwar dummes Zeug auf, hat aber nun zum ersten Mal Herbert König im Blick: KD Mgd. Ref.III Abschrift König, Herbert Der Pressedramaturg Herbert König ist Mitglied der SED. Seine Hauptaufgabe ist, eine eigene Theaterzeitschrift herauszugeben. Diese Zeitschrift unter dem Namen „Total“ leitet sich von dem Begriff „totalitäres Theater“ ab. Damit ist ein rein verstandesmäßiges Theater gemeint, welches von Meves aufgebaut werden sollte. Bereits mit den

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ersten Nummern der Zeitschrift erregte König Aufsehen. So erschien in der Nummer 11 ein Artikel, in welchem König sämtliche Magdeburger Zeitungen, einschließlich die „Volksstimme“ die Kenntnis absprach sachlich fundierte und kulturpolitisch wirksame Theaterkritiken zu veröffentlichen. […] Somit ist Fakt, daß ein ideologisch unreifer Mensch verantwortlicher Redakteur einer Zeitung ist, welche das Anliegen des Theaters in die Öffentlichkeit bringen soll. Bredel Hptm.5 Welche Besonderheit der Bühnen der Stadt Magdeburg „Maxim Gorki“ hat ihn gereizt, welche Personen haben ihn angeregt und ermutigt, diesen Schritt zu gehen? Oder zog ihn das Theater schlechthin an, die in ihm übliche Arbeits- und Lebensweise, die ja nach wie vor eine Alternative zu aller bürgerlichen Existenz im Gehäuse der Lohnarbeit zu sein scheint? Es wird ein Bündel von Gründen gewesen sein, denen nachzuspüren lohnt, sind doch die Magdeburger Theatereindrücke für König niemals nur bloße jugendliche Impressionen gewesen, sondern stets gern erinnerte Lehrjahre. Hier in Magdeburg sammelt er ästhetische und theaterpolitische Erfahrungen, die sein Theaterverständnis künftig bestimmen sollten. Das Magdeburger Schauspiel war kein Bezirkstheater landläufiger Art. Hier wurde an etwas gearbeitet, das gegen alle Routine und gegen einen alles vereinfachenden Abbildrealismus anging und nach etwas trachtete, das vor allem ganz im Sinne der jungen Schauspielerinnen und Schauspieler Hella Müller, Evelyn Cron, Monika Pietsch, Henry Hübchen, Rolf Mey-Dahl, Berndt Renne, Berndt Stübner, Jaecki Schwarz, Hanns-Jörn Weber war. Dieses Etwas hieß Welterfahrung und Selbstbestimmung, hieß Sinnlichkeit und Festlichkeit, überbordende Spiellust mit höchster artistischer Raffinesse gepaart in Aufführungen von deutlicher Aktualität. Herbert König hatte den rechten Platz zur rechten Zeit gewählt, um Theater in seiner Grundsätzlichkeit zu erkennen, sollte hier doch das Theater wieder zurückkehren zu seinem eigentlichen Ursprung […], der Schauspieler ist der wahrhaft neuschaffende Interpret des Kunstwerkes; dieses vermischt sich mit seinem Geist, zerlegt sich in seine Urelemente und setzt sich wieder zusammen in einer Synthese von Bewegungen, elementarem Tanz und plastischer Haltung; es verliert an verbaler Dichtung und kehrt zum physischen Leben zurück, wird wieder Leben allumfasssenden Ausdrucks: der gesamte Körper wird zur Sprache, der gesamte Körper spricht.6

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Hans-Dieter Meves, seit 1968 im Amt, versucht zusammen mit seinem Chefdramaturgen Heiner Maaß in einer „Revolution von oben“ die traditionell eingerasteten Leitungshierarchien und verschlungenen Kommunikationswege und dunklen Entscheidungsprozesse des Stadttheaterbetriebes aufzulösen und in eine offenere demokratischere und kollektivere Arbeitsstruktur zu überführen. Er richtet in der Spielzeit 1970/71 ein zwölfköpfiges Direktorium ein. Hier sind alle verantwortlichen Abteilungsleiter und künstlerischen Vorstände samt gewählten Ensemblevertretern versammelt und alle betriebsrelevanten Entscheidungen werden hier gemeinsam beraten, beschlossen und kontrolliert. Der Intendant, der berühmt-berüchtigte Einzelleiter, soll – so die hochgespannte Erwartung – eingebunden werden in den kollektiven Entscheidungsprozess der Versammlung der fachkompetenten Mitarbeiter. Heiner Maaß begründet diesen Schritt der Zurücknahme des allgewaltigen Intendanten in die Organisation, in die Assoziation der Produzenten selbst in ihrer gesellschaftlich zwingenden Notwendigkeit. Zwingend in dem Moment, in dem das Theater kein hermetischer Kunstraum, nicht das willfährige Werkzeug fremder Absichten oder gar der konventionelle Ausweis eines abstrakten, staatlich verordneten Kunstwillens mehr sein will, sondern sich endlich, nach zwanzig Jahren mühseligen ästhetischen und ideellen Lavierens zu einem öffentlichen Forum, zu einem Ort selbstbewusster sozialistischer Gesellschaftlichkeit emanzipieren will. Alle Versuche, das Theater den neuen gesellschaftlichen Prozessen weit zu öffnen, übten natürlich auch eine verändernde Wirkung auf die Ensembles und auf das innere Gefüge des Theaters insgesamt aus. Wir vertreten die Ansicht, daß die Leitungsstrukturen ständig den neuen kulturpolitischen und künstlerischen Anforderungen angepaßt werden müssen, von den Leitungen des Theaters und seiner gesellschaftlichen Partner flexiblere Möglichkeiten zu entwickeln sind, um die Ausbildung sozialistischer Künstlerpersönlichkeiten zu gewährleisten. Nur so wird es möglich sein, daß die neuen Formen der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit […] dazu beitragen, auch die ideologische und künstlerische Qualität unserer Inszenierungen zu erhöhen; nur so kann jedes Theatermitglied in den Prozess der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und seiner künstlerischen Gestaltung einbezogen und befähigt werden, mit Sachkenntnis und persönlichem Engagement zu arbeiten, nur so können sich die Beziehungen zu den gesellschaftlichen Partnern dauerhaft und nützlich gestalten.7

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Und Friedemann Krusche präzisierte im Rückblick: Gegen den massiven Widerstand des Oberbürgermeisters krempeln sie die Strukturen in der Chefetage um. […] Der General-Intendant in Magdeburg steht […] einer gleichberechtigten Gruppe von 12 Direktoren vor. Die einzelnen Sparten, Ausstattung, Öffentlichkeitsarbeit und Verwaltung inbegriffen, erhalten in Form von Fachgremien selbständige Leitungen, mit der Konsequenz, daß Entscheidungen dort vorbereitet werden, wo sich die größte Sachkompetenz konzentriert.8 Vergleichbare theaterpolitische Reformansätze werden zu dieser Zeit in einigen Theatern diskutiert und angestrebt, aber kaum praktiziert. Natürlich geht es vor allem um eine wirksame Mitbestimmung der künstlerischen Mitarbeiter, darum, dass ihre Arbeit selbstbestimmt und nicht fern- und fremdgesteuert wird. Bis zur Mitte der 1970er Jahre wird in verschiedenen Ebenen und Formen, sei es an einzelnen Theatern, großen wie kleinen, sei es in den schmalen Ansätzen einer kritischen Theaterwissenschaft, sei es in informellen berufsspezifischen Zusammenschlüssen innerhalb des Verbandes der Theaterschaffenden um eine grundlegende Neustrukturierung des Theaters hin zu einer Unternehmung selbstbewusster Produzenten, gestritten – doch vergeblich. Selbst in einen so marginalen Teilbereich der gesellschaftlichen Produktion ist eine autonome und zweckrationale Arbeitsorganisation abweichend von der Unterordnung unter das zentralistische Plandiktat unmöglich. Die Vergeblichkeit, „die Produktion in den Händen der assoziierten Individuen zu konzentrieren“ (Marx/Engels), desillusionierte besonders die Generation der zwischen 1940 und 1945 Geborenen zutiefst, erwarteten sie doch Mitte der 1960er Jahre zu Beginn ihres Studiums, ihres Berufseintritts, ihres Erwachsenwerdens angesichts einer Modernisierung des Denkens unter dem Einfluss der wissenschaftlich-technischen Revolution, dem Eindruck der Politik der friedlichen Koexistenz und neuartiger volkswirtschaftlicher Lenkungsversuche eine gesellschaftlich weitgreifende Öffnung. Die Erwartungen wurden tief enttäuscht. Das polit-bürokratische DDR-System agierte und reagierte selbst zu dieser reformoffenen Zeit wiederum nur im Rahmen eines lang eingeübten und historisch auch durch äußere Bedingungen erzwungenen manichäischen Freund-Feind-Schemas. Die sozialistische Staatsmacht war in dem Handlungsschema des Kalten Krieges rettungslos verfangen und wer sich individuell dieser Handlungslogik widersetzte, hatte in verschiedenen Graden zu büßen. Im Theaterbereich boten sich angesichts des

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Scheiterns reformerischer Ansätze zwei personell-individuelle Auswege an: Aussteigen aus dem Theater oder qualvoller Gang aus dem Land. Ein dritter kollektiver Schritt, die Gründung freier Gruppen, wird wenige Male versucht, ist, da bis Mitte 1989 gesetzlich versperrt, jedoch ein aussichtsloses Unterfangen.9 Stetes Herumschlagen mit den Bedingungen bleibt die frustrierende Praxis für die meisten Bleibenden. Vereinzelte Versuche reformbewegter Gruppen, im jeweiligen Theater die Arbeitsbedingungen ihren künstlerischen Absichten anzupassen und ihr künstlerisches Anliegen durchzusetzen, wurden entweder betriebsintern disziplinarisch und kaderpolitisch unterbunden oder aber die Gruppe wurde geheimpolizeilich kriminalisiert, zerschlagen und zerrieben von den Zersetzungsfachleuten des MfS und ihren Helfern, den IMs. In der Breite scheiterten alle Versuche eines anderen Theaters. Eine umfassende Befreiung hätte die Zerstörung des deutschen Theatersystems bedeutet, was zu dieser Zeit weder in Ost noch West gelingen konnte, korrumpierte das System doch nicht nur den Einzelnen, barg es ihn doch auch, bot es ihm ein lebensnotwendiges Maß an sozialer Sicherheit für seine riskante und prekäre künstlerische Existenz. Jetzt lag es an den einzelnen Theaterleuten, wenn schon ein Systemwechsel der allgemeinen Theaterarbeit unmöglich war, so doch eine durchgreifende Wandlung, eine Wendung zum Besseren wenigstens im eigenen Theater anzustreben. In diesem Prozess nun gewann der Regisseur eine völlig neue Bedeutung in der Geschichte des deutschen Stadttheaters. Seine spezifische Bedeutung bestand in diesem Moment darin, durch eine von ihm zu verantwortende und anzuleitende, genuin ästhetisch bestimmte Organisation der Theaterarbeit im eingegrenzten Geviert der Inszenierung aus dem temporär-zufälligen Zusammentreffen von angestellten Schauspielern ein „kollektives Subjekt“ unter Einschluss seiner selbst zu schaffen. Konnten die Ergebnisse dieses Tun in den westdeutschen Theatern mehr oder weniger ungehindert als Aufführungen öffentlich werden, so mutierte im ostdeutschen Theater die Probe zum künstlerischen Freiraum und Bewährungsort. In diesem diskreten Vorraum der Theaterkunst wurde an Kommunikation etwas ein- und nachgeholt, wofür die Gesellschaft kaum Platz bot – und das war Unmittelbarkeit, Spontaneität, Grenzüberschreitungen aller Art und Weise. Da theaterpolitische Reformen verhindert wurden, konnten allein fallweise in der unmittelbaren Arbeit einzelner Ensembles die unumgänglichen Veränderungen einsetzen, konnten sich die Ensembles zumindest im probenden Spiel und zuweilen im Spiel auf der Bühne von ihren Zwängen zeitweilig befreien. Das zu befördern und nicht dem Zufall zu überlassen, dazu war die künstlerische Leitung in Magdeburg

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strikt entschlossen. Heiner Maaß beschreibt den in Magdeburg eingeschlagenen Weg: Unsere künstlerischen Absichten bestanden darin, mit jedem dieser Werke [Die Kipper, Die Weiberkomödie, Das Schwitzbad; ThW] unser künstlerisches Wollen herauszufordern, um unsere Vorstellung vom zeitgenössischen Theater einprägsam ins künstlerische Bild zu setzen. Jedes dieser Projekte sollte uns zwingen, neue Darstellungsmittel zu erarbeiten oder in Vergessenheit geratene neu zu erproben, um jeglichen Naturalismus, der uns mit dem Geist der Knechtschaft an das Mittelmäßige fesselt, wirkungsvoll bekämpfen zu können.10 Eine der herausragenden Inszenierungen, die den immer noch in vielen Theatern gepflegten eindimensionalen Abbildrealismus, das meint Maaß mit dem Begriff „Naturalismus“, überwanden und die schauspielerische Tätigkeit auf besondere Weise im Probenprozess wie in der Aufführung ins Zentrum rückten, war Romeo und Julia in der Spielzeit 1969/70. Der ästhetische Ausgangspunkt der Inszenierung von Konrad Zschiedrich: Beschaffenheit des Handlungsortes und des Milieus haben für die Fabel keine Bedeutung. Alle notwendigen Voraussetzungen für die Szene sind im Text enthalten. Das berechtigt zu einer Bühnenbildlösung ohne Dekoration. Sie gewährleistet eine pausenlose Abfolge und macht den Schauspieler zum Beherrscher der Szene.11 Das führte, konsequent produktionsästhetisch gewendet, zu einer besonderen Probenmethode: Das Stück wurde grob durchgestellt, besser gesagt durchimprovisiert. Der Regisseur hatte hier zunächst nur die Funktion des Anregers und Provokateurs. Die Schauspieler bekamen einen Überblick über ihre Rolle, deren Glanzpunkte und Schwierigkeiten. Sie versuchten sich, […] auf Grund vorangegangener historisch konkreter Analyse, auf die Situation einzustellen und die Szene durch gezielte Improvisation zu entwickeln. Aus dem Spiel heraus wurden Arrangements und Details gefunden; mehr oder weniger brauchbar. […] Nach einer Reihe von Proben, die der Improvisation vorbehalten waren und dazu dienten, den Erlebniswert der Szene zu finden (nun schon auf Grundlage der bereits fest probierten Teile der Rolle),

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wurde ausgewählt, fixiert, die gefundenen Haltungen präzisiert und weitergebaut.12 Die von der Dramaturgin beschriebene erste Phase des Probenprozesses ist für die künftige Inszenierungsarbeit von Herbert König vorbildlich. Der Haltung des Probenleiters bei induktivem Vorgehen, wie das Brecht nannte, bleibt er verpflichtet, wenngleich König wohl viel stärker als etwa Zschiedrich eine bestimmte, von ihm vorentschiedene szenische Vergegenständlichung des Textes im Auge hatte, da ihm besonders an der eindrücklichen Bildhaftigkeit der szenischen Vorgänge gelegen war. Dem überzeugenden schauspielerischen Vorgang musste eine eigenständige ästhetische Qualität des Optischen beigesellt werden, um in den Augen Königs theatralisch berechtigt zu sein. Diese Neigung ist natürlich aus der umfänglichen, autodidaktischen cineastischen Bildung Herbert Königs erwachsen. Er gehört zu der Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre in die Theater drängende Regisseurkohorte, die erstmals systematisch und bewusst die ästhetischen Möglichkeiten eines filmnahen Gestaltens auf dem Theater anzuwenden versuchte. Diese filmästhetischen und -dramaturgischen Verweise sind in verschiedenen Inszenierungen von Herbert König enthalten und bestimmen die für seine Inszenierungen typische Organisation des „indirekten“ Zusammenspiels von Bühne und Zuschauerraum. Seine zwei letzten Inszenierungen in der DDR, Der Impresario von Smyrna und Mit der Liebe spielt man nicht!, werden zu außerordentlichen Versuchen filmisches und theatrales Erzählen zu synthetisieren. Der Inszenierung von Romeo und Julia eignete eine merkwürdig berührende, durchaus irritierende Zwiespältigkeit, die auf ein Grundproblem der durchschnittlichen schauspielerischen Arbeit in der DDR jener Tage verwies. Welche – damals – aktuell berührende und aufstörende Geschichte wurde mittels des Shakespeare-Textes mit welcher Wirkungskraft dargestellt, wie schlug die angestrebte Inthronisation der „Schauspieler zum Beherrscher der Szene“ wirkungsästhetisch zu Buche? Gezeigt werden soll das sinnlose Sterben junger Menschen. So wird das Töten, das Sterben in der Inszenierung von Zschiedrich groß ausgestellt, als ein furchtbares und schreckliches Moment, dem die ganze Jugend Veronas zum Opfer fällt. Der Punkt der Sinnlosigkeit der Fehde […] ist schon behandelt worden, hinzukommt aber noch, daß sich diese Jugend selbst zerstört, eine Jugend, die nutzlos auf dem Marktplätzen herumlungert, philosophiert, nichts tut.13

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Auf diese griffige Formel bringt die Kritikerin die Inszenierungsfabel. Das stimmt und stimmt wiederum nicht, denn die „Jugend von Verona“ ist in ihrem auffälligen und unflätigen, ihrem aggressiven körperlichen Auftrumpfen und ihrer Hippie-Kostümierung „Abbild der gesellschaftlichen Situation und der bewußtseinsmäßigen Verfassung der anarchisch-ziellos rebellierenden Jugend der spätbürgerlichen Gesellschaft.“14 Doch die individuelle schauspielerische Darstellung geriet merkwürdig ungefüg. Klischees fremden Weltempfindens wurden nachgeahmt und ausgestellt – es blieb erkennbar geborgte Haltung, geborgtes Kostüm, es blieb geborgtes Lebensgefühl. Die Inszenierung führte das mörderische Geschehen nicht hinein in die reale Erlebniswelt der Zuschauer, sondern entführte die Mehrheit des Publikums in die nur durch das Fernsehen und den Film bekannte „westliche“ Welt. Der Schmerz über die ihnen aufgezwungene unspektakuläre Lebenswelt und -weise und die enggezogenen Grenzen ihrer Selbstbestimmung wurden – ungewollt – in die Sehnsucht nach Äußerlichkeiten westlicher Protestkultur umgelenkt. Das entscheidende Lebensproblem der Jugend in der DDR hieß aber für sie, trotzend den allgegenwärtigen gesellschaftlichen Normen und staatlichen Zwängen, individuelle Selbstverwirklichungsmöglichkeiten aufzufinden und zu leben, nicht aber den Anschluss an die Moden und Konsumgewohnheiten des Westens zu suchen. Erst durch die bornierte Verteufelung dieser Moden, Codes und Konsumgüter als klassenkämpferische Konterbande durch die Staatsmacht wurde ihr ostentativer Gebrauch zu einem Symbol eigensinnig-widerständiger Haltungen, nonkonformistischen Verhaltens. Das end- und geistlose Palaver über sozialistische und/oder nichtsozialistische Jeans, über „Pilzköpfe“ und „helle Köpfe“ und andere bizarre Alternativen übertönte zur stillen Freude der aufmerksameren Sitten- und Gesellschaftswächter die wirklich relevanten Fragen nach einer ökonomischen wie politischen Alternative, die – wurden sie dennoch hörbar gestellt – mit dem hartem Zugriff des politischen Regiments geahndet wurden. Die Inszenierung verdeutlichte die Grenzen eingreifend radikalen Theaters in der DDR. Dem Handeln der jugendlichen Figuren fehlte der Ernst eines Gegenentwurfs zu „Verona“. Aber er musste fehlen, hätte doch sonst Shakespeares poetischer Ort Verona notwendigerweise von den aktuellen Machtmechanismen durchwaltet sein müssen, denen sich Publikum und Schauspieler gleichermaßen in ihrer realen Lebenswelt ausgesetzt sahen. Die „Verwestlichung“ war Camouflage, Verweis auf das nicht darstellbare, aber gegenwärtig bedrängende, die eigene gesellschaftliche Lage und subjektive Befindlichkeit. Möglichweise wurde diese Leerstelle in der Inszenierung von den wacheren Zuschauern

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erkannt und recht gedeutet in ihrem Negativ-Verweis. Wie so oft in der DDR war das Nichtgesagte das Gemeinte. Ein kritischer Schauspieler war unter diesen Bedingungen gut beraten, dem Publikum zu zeigen, dass das, was er zu sagen hatte, etwas war, das er nicht dachte, wohl aber das zu spielen, was er dachte, ohne es zu sagen. Das von Brecht eingeführte „Nicht-Sondern“-Spiel war hierfür ein probates Mittel. Dieses Verfahren lehnte König in seiner zukünftigen eigenen Regiearbeit von vornherein ab: Es widersprach seinem intellektuellen Naturell. Wie Kompromisse seine Sache nicht waren, so war dieses Theater der listigen Art nicht sein Theater. Der erzählerische Riss in der Romeo-und-Julia-Inszenierung lenkte den Blick noch auf ein zweites, das andere Grundproblem zeitgemäßen Theaterspiels. Durch die Neulesung Artauds und einem sich dazu parallel neu artikulierenden antibürgerlichen Theaterverständnis angeregt, besannen sich einige Theaterleute auf die in vorbürgerlichen Theatertraditionen wurzelnden leibhaftig-schamlosen Spielweisen.15 Wie diese Spielweisen wiedergewonnen werden konnten, um schauspielerisch der tatsächlichen leiblichen Bedürftigkeit des gegenwärtigen eingeschnürten und entfremdeten Menschen einerseits spielerisch gerecht zu werden und andererseits durch ihr aufstörendes Spiel den ästhetischen Schein der möglichen Selbstbefreiung zu vermitteln, das war die zweite zentrale Frage dieser Zeit. In der DDR konnte dieser ästhetische Wiedergewinn nur über einen rückschauend unnötig kompliziert, nahezu absurd anmutenden Umweg praktisch beantwortet werden. Um ein radikal körperlich bestimmtes, losgelassenes und lösendes, ein exzentrisches Spiel voller zeitgenössischer sozialer Relevanz zu realisieren und nicht in einer abstrakten reinen Körperlichkeit in der Nachfolge bestimmter schauspielerischer Körpertechniken von Dalcroze bis Grotowski zu verharren oder gar in das naturalistisch nachahmende Gehabe des Alsob zu verfallen, war schauspielmethodisch die zitierend-imitative Verwendung der Körpersprache der westlichen Jugendkultur unumgänglich. Dieser Umweg war notwendig und unumgänglich, weil die öffentlichen körperlichen Präsentationsweisen in der sozialistischen Gesellschaft zweckrational-arbeits- und leistungsorientiert waren, nicht der subjektive Leib, sondern der abstrakte Körper, der organisierte, trainierte, der wache und einsatzbereite, der produktiv-sportive Körper war gefragt und wurde propagiert. Ästhetisch gewünscht war allein der bewegungstechnisch geschulte und rational beherrschte Körper. Der Schauspieler sollte die verschiedensten sozialen Verhaltensweisen in ihrem körperlichen Erscheinungsbild elegant, mühelos und überzeugend reproduzieren. Im sogenannten sozialen Gestus fand die schau-

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spielerische Arbeit ihre Vergegenständlichung und die vom Schauspieler erlernte Körperbeherrschung war die technologische Voraussetzung fürs Gelingen. Die ästhetische und ideologische Wertschätzung solchen Schauspiels ist verständlich eingedenk der im Begriff des „sozialistischen Menschenbildes“ zusammengefassten Qualitäten des „neuen Menschen“. Die Hypertrophierung des im Produktionsarbeiter stilisierten Idealbildes des aktiven, durch Einsicht gesteuerten, nur an Produktivitätssteigerung orientierten und kollektiv eingebundenen Menschen schlos nicht nur das „bedürftige“ und damit irgendwie schwache Individuum aus, sondern gerade die spezifisch menschliche Form und im Marxschen Sinne befreite Form von Bedürfnisbefriedigung – den Genuss. Alles damit verbundene Spielerische, Kontemplative und Passive […] passte nicht in das Persönlichkeitsbild der marxistischen Theoriebildung. […] Aber auch die Selbstverwirklichung des Individuums als Gegengewicht zur dominanten Kollektiv- und Gesellschaftsorientierung der Persönlichkeitsentwicklung galt immer noch als Form des bürgerlichen Individualismus. Die „unproduktiven“ Seiten der Persönlichkeit waren in der sinnen- und lustgebremsten, wenn nicht gar -feindlichen DDR eher suspekt, irritierend oder wenigstens nicht wichtig.16 Doch so borniert wie in den theoretischen Verlautbarungen, von der Lebenswirklichkeit einmal ganz abgesehen, ging es in der Theaterpraxis der DDR nun doch nicht zu. Benno Bessons lustberstender Chor der Schauspielschüler im Frieden (1962), angeführt von den Berliner JazzOptimisten, die an ihrer unterdrückten Lust sich verzehrende und fast erstickende Sippschaft im Hause Orgons im Tartuffe (1963), der körperlich ungebremst auf- und durchdrehende Hamlet des Jürgen Holtz in der Greifswalder Inszenierung von Adolf Dresen (1964) waren theatermethodisch weitwirkende Gegenpositionen zum sozialistischen Menschen-Abzieh-Bild in den 1960er Jahren. Allmählich suchten mehr und mehr Theaterleute unter dem Einfluss des Theaters Bessons und Peter Brooks, besonders seiner Sommernachtstraum-Inszenierung, an das avancierte Theater innerhalb wie außerhalb der DDR anzuschließen. Das Magdeburger Ensemble ließ konsequenterweise der Romeo-undJulia- eine Sommernachtstraum-Inszenierung in der Spielzeit 1971/72 folgen. Diese Suche führte letztlich, ausgehend von der Wiederbelebung des schauspielerischen Mittels der sportiv-artistischen Körperlichkeit zur Entdeckung der Leiblichkeit der zu spielenden Figuren. Der ver-

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sehrte Leib, der süchtige, sich verzehrende, der triebhaft kreatürlich begehrende Leib muss sich, will Theater noch zeitgemäß sein, auf der Bühne neben der Darstellung der zu bloßen Körpern zurechtgestutzten, der enteigneten Leiber behaupten. Der Leib hat seine eigene Sprache, und das Leben als Ganzes wird sicher nicht richtig verstanden, wenn nicht auch diese Sprache des Leibes wirklich gehört wird. […] Der Leib ist der Ausdruck und die Erscheinungsform unseres individuellen Daseins. Er ist in unheimlichster Weise bis in die Einzelheiten seiner Gestalt und seiner Gewohnheiten die notwendige Form unseres ganz besonderen Daseins, ja wir sind es gerade unserem Leib schuldig, ihn dazu zu erziehen, daß er eben nicht nur unser Körper, sondern unser Leib ist, der echt und unverbogen und unverfälscht das in der Welt aussprechen und darstellen kann, was wir selber sind.17 Das hatte für das Selbstverständnis der Spielenden enorme Folgen. Nicht der ästhetisch verfügbare und zur Verfügung gestellte Arbeitskörper wird ins Spiel gebracht, jetzt wird der individuelle Leib des Schauspielers aufs Spiel gesetzt. Schauspielen wird erstmals eine umfassende existentielle Probe auf die Kraft des Ichs und entzieht sich dadurch dem durch seine lohnarbeiterliche Realisation gesetzten Entfremdungszwang, wird Vorschein freier Arbeit. Peter Brooks schon genannte Sommernachtstraum-Inszenierung steht hierfür als überragendes internationales Beispiel; die Inszenierung von Fräulein Julie 1975 am Berliner Ensemble von Schleef, Tragelehn, Hoffmann, Haase, Holtz ist von einem vergleichbaren Rang für die Theaterarbeit in der DDR. Folglich wurde sie nach nur zehn ausverkauften Vorstellungen abgesetzt.18 Diese Inszenierung muss König elektrisiert haben. Sie prägte seine Arbeitsweise grundsätzlich. In seinen zwei Inszenierungen in den Jahren 1975 und 1976, in Shakespeares Die Komödie der Irrungen und von Horváths Glaube, Liebe, Hoffnung, verarbeitete er die Anregungen der FräuleinJulie-Aufführung am Berliner Ensemble und entdeckte die ihm gemäße Methodik und Stilistik. Doch zuerst einmal musste aus dem Journalisten König ein des inszenatorischen Handwerks sicherer Regisseur werden. Innerhalb von knapp drei Jahren, unter der Obhut von Heiner Maaß, Konrad Zschiedrich und Werner Freese, drei experimentierfreudigen und marxistisch aufgeschlossenen, kritischen Theaterleuten mit einem erstaunlichen pädagogischen Gespür und Talent, wurde er ein Regisseur. Nebenher absolviert er der guten Ordnung halber ein Fernstudium der Theaterwissenschaft an der Theaterhochschule „Hans Otto“ Leipzig.

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Hier sind wir uns erstmals begegnet: Theatergeschichtsprüfung „Deutsche Theatergeschichte zwischen Lessings Hamburgischer Dramaturgie und Ifflands Berliner Intendanz“ oder so ähnlich bei Dieter Hoffmeier, ich in der Nebenrolle des Beisitzers und Protokollanten. Der Prüfling ist Herbert König. Zum Protokollieren sollte ich kaum kommen, aber Erstaunliches sollte ich erleben. Eintritt König: „Fragen Sie, was Sie wollen. Ich weiß nichts von dem Prüfungsstoff. Geben Sie mir eine Fünf, das spart uns weitere Peinlichkeiten und Zeit.“ Das war praktisch, vernünftig und ehrlich und bewies Königs Vermögen, situational genau und überraschend reagieren zu können – wohl eine Grundbedingung des Inszenierens und entschieden wichtiger als angelesenes theaterhistorisches Wissen. So lernte ich ihn kennen und schätzen. Viel gelernt hat er wahrscheinlich wirklich nicht in Leipzig. Aber darum ging es auch nicht. Er wollte weder Dramaturg noch Theaterwissenschaftler werden, sondern Regisseur, und in Magdeburg lernt er die Voraussetzungen des Inszenierens, ein analytisch reflektiertes, genaues Stückelesen und die geduldige und genaue Beobachtung der schauspielerischen Arbeit. Er ist in der Spielzeit 1971/72 als Regie- und Dramaturgiemitarbeiter beteiligt an drei wichtigen Inszenierungen, an Purpurstaub von O’Casey (Regie: Konrad Zschiedrich), Die Räuber von Schiller (Regie: Konrad Zschiedrich) und Das Schwitzbad von Majakowski (Regie: Werner Freese). Die einzige tiefgreifende Enttäuschung, die Herbert König am Magdeburger Theater erleben musste, war die ästhetische und politische Indolenz des Publikums, die absolute Folgenlosigkeit dieser Theaterarbeit beim Publikum! Pointiert antwortete Henry Hübchen, gefragt, wie er das damalige Magdeburger Publikum wahrgenommen habe: „Zur Hälfte. Weil, der Saal war immer halbvoll.“19 Statistisch genauer berichtete Krusche: In seinen Sehgewohnheiten verletzt, verlässt ein Teil des Anrechtspublikums stehenden Fußes das Theater. Zwischen 1968–1973 verlieren die Städtischen Bühnen 43.000 Besuche(r). […] Versuche, neue Zuschauerkreise zu gewinnen, scheitern oder schleppen sich hin. Eine von technischen Fachrichtungen dominierte Studentenschaft reagiert durchgängig müde. Die an die Stelle des zersprengten Bildungsbürgertums getretene Funktionselite bleibt weg und sieht mehrheitlich fern. […] das dramaturgisch wie ästhetisch hochgespannte Programm geht hinweg über die Köpfe der „führenden Klasse“, wie ein Blick in die Anrechtsstatistik aus dem Jahre 1970 zeigt.20

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Die künftige Haltung Königs zur gesellschaftlich-kommunikativen Funktion des Theaterspiels wurde von diesem Debakel grundsätzlich und folgenschwer bestimmt. Der zahlenmäßig dominante Teil des Theaterpublikums in den kleinen Städten, Rentner, Schüler und einige Betriebsanrechtler, war nicht der Adressat seiner Theaterarbeit. Wer denn? Diese Frage schreckte die bilanzabhängigen Intendanten vieler solcher kleinstädtischer Theater auf. Aber alleine diese Theater standen König nach seiner ergebnislosen Karl-Marx-Städter Gastinszenierung eine Zeitlang offen. König biederte sich den unterhaltungssüchtigen oder harmoniebedürftigen Publikumsschichten niemals an: Er wird das Publikum aufstören, nicht durch den kalkulierten Schock, die hochgetriebene Sensationalisierung; er wird dem Publikum zumuten, sich selbst in seiner wirklichen, oft uneingestandenen Bedürftigkeit, in seinem eingeschränkten und unbefriedigten Selbst zu erleben und er fordert es auf, nach sich, seiner Stellung in der Welt zu fragen, im Sinne Becketts, im Sinne des Autors, der Herbert Königs Weltempfinden wohl am nächsten war.21 Wohin ging ich, wenn ich gehen könnte, was wäre ich, wenn ich sein könnte, was sagte ich, wenn ich eine Stimme hätte, wer spricht so und nennt sich ich. Antwortet einfach, jemand möge einfach antworten. […] Ja, es gibt Momente, wie in diesem Moment, wie heute Abend, da es beinahe den Anschein hat, als sei ich ins Reich des Möglichen heimgekehrt. Dann geht es vorbei, alles geht vorbei, ich bin wieder weit weg, ich habe noch eine Geschichte in weiter Ferne, ich erwarte mich in der Ferne, damit meine Geschichte beginne, damit sie ende, und schon wieder kann diese Stimme nicht meine sein. Dahin ginge ich, wenn ich gehen könnte, der dort wäre ich, wenn ich sein könnte.22 Das Unheil für den „Magdeburger Theater-Frühling“ begann mit dem Verbot der Uraufführung des Textes Mauser von Heiner Müller im Herbst 1972. Noch im Sommer 1972 wird im Magdeburger Spielplanentwurf Mauser nicht erwähnt.23 In der Magdeburger Theaterzeitschrift wird jedoch in der Oktoberausgabe 1972 die Uraufführung dieses Stückes für den nächsten Monat angezeigt. Das Stück und das Inszenierungsteam werden vorgestellt: Das Regiekollektiv: Hans-Dieter Meves, Frank Borisch, Heinz Czechowski, Axel Dietrich, Henry Hübchen, Heiner Maaß. Die Schauspieler: Petra Barthel, Monika Pietsch, Thomas Just, Karl-

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jürgen Rost, Berndt Stübner, Klaus-Rudolf Weber. Uraufführung am 16. November 1972 zu den Tagen der sowjetischen Theaterkunst auf der Podiumbühne.24 Mauser war offiziell ein Un-Stück und nie und nimmer für eine Uraufführung in der DDR freigegeben. Meves muss sich über Nacht, aus welchen Motiven und mit welchen Mitteln auch immer – hierüber kursieren bis heute verschiedene verschwörungstheoretische Versionen25 – die Erlaubnis – bei wem, bleibt offen – für eine Inszenierung besorgt haben. Das Team wurde, Knall und Fall, bevor die Inszenierung aufführungsreif probiert war, von der Bezirksleitung der SED mit dem Segen des Ministeriums für Kultur auseinandergejagt. Hans-Dieter Meves tritt zurück, Heiner Maaß wird gekündigt, Konrad Zschiedrich, Heinz Czechowski und Richard Leising gehen aus Magdeburg weg. Zurückblieben die Schauspieler – wie so oft. Der Schauspieler Jaecki Schwarz zieht im Sommer 1973 die triste Magdeburger Bilanz: Vor drei, vier Jahren gingen ca. 10 junge Leute an das Magdeburger Theater. Wir kamen mit relativ konkreten Vorstellungen dorthin, und ich glaube, daß wir mit der damaligen Leitung auch was geschafft haben. Doch da die Leitung sich verändern mußte, droht dieses Kollektiv auseinanderzubrechen. […] Wir Schauspieler aber müssen bleiben (mehr oder weniger). Der Schauspieler müßte nicht nur das Recht, sondern auch die Möglichkeit haben, sich sein Kollektiv zu wählen, in dem er produktiv werden kann. Wie ist so etwas unter den gegenwärtigen Bedingungen zu machen – ich weiß es auch nicht.26

1

Die Informationen über die sportliche Laufbahn Herbert Königs verdanke ich seinem Magdeburger Mitspieler Rainer Reißberg.

2

SAPMO DY JIV 2/2/ 1223: „Die weitere Entwicklung des Leistungssports bis zu den olympischen Spielen 1972“, Beschluss des Sekretariats des ZK der SED, 8. April 1969.

3

total, Mitteilungsblatt der Bühnen der Stadt Magdeburg, Spielzeit 1972/73, Heft 11/72, S. 2.

4

total, Mitteilungsblatt der Bühnen der Stadt Magdeburg, Spielzeit 1972/73, Heft 14/72, S. 2.

5

BStU, MfS, Ast., Pdm. AOP 1325/77, Bd. V/I, S.161.

6

Antonio Gramsci: „Angelo Musco“ (1918), in: ders.: Gedanken zur Kultur, Leipzig 1987, S. 216.

7

Heiner Maaß: „Versuche – Erfahrungen – Erste Ergebnisse“, in: Theater der Zeit 5/1971, S. 8.

8

Friedemann Krusche: a. a. O., S.171.

9

Zwei derartige Versuche sind bekannt geworden: die Künstlergemeinschaft Mecklenburg 1980 /81 und das freie Theater Zinnober 1980.

10

Heiner Maaß: „Brief an Fritz Mierau vom 19.4.1976“, in: Wladimir Majakowski: Das Schwitzbad, hrsg. von Fritz Mierau, Leipzig 1982 (zweite, erweiterte Auflage), S. 217.

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11

Gisela Begrich/Ingeborg Pietzsch/Ingrid Seyfarth: „William Shakespeare ‚Romeo und Julia‘ – Zur Aufführung an den Bühnen der Stadt Magdeburg“, in: Theater der Zeit 7/1970, S. 23.

12

Gisela Begrich: ebd.

13

Ingeborg Pietzsch, in: Gisela Begrich/Ingeborg Pietzsch/Ingrid Seyfarth: a. a. O. S., S. 20.

14

Thomas Wieck: „Entwicklung oder Neubeginn“ Theater der Zeit 12/1970, S. 12 f.

15

Vgl. Joachim Fiebach: „Erwartung und Grenzen des Theaters der ‚realen Aktion‘“, in: Theater der Zeit 11/ 1970, S. 52–56.

16

Stefan Busse: Psychologie in der DDR, Weinheim, Basel 2004, S. 252.

17

Wilhelm Stählin: Vom Sinn des Leibes, Stuttgart 1930, S. 88 f.

18

Die ästhetische Qualität der Inszenierung war das große Ärgernis, die künstlerische Freiheit des Spiels der drei Darsteller war das einzudämmende Politikum. Wie so oft in der Geschichte des Theaters in der DDR wurde die beunruhigende Wirkung des Künstlerischen ideologisch verdächtigt. Nach dem Vorbild der stalinistischen Kulturpolitik wurde auf dem weiten Feld der Kunst die Markierung „erlaubt/nicht erlaubt“ immer wieder neu von der SED gezogen, um die Kunst permanent staatlich neu ordnen und verordnen zu können. Ideologisch argumentierende Einwände gegen Kunstleistungen waren oft leicht widerlegbare Behauptungen. Aber sie dienten auch nur dem Zweck, den tatsächlichen Grund der Ablehnung (bis hin zum Verbot) zu bemänteln. Dieser Grund war das Skandalon der Kunstpolitik in der DDR, es hieß: Auch die Kunst wird wie alle anderen menschlichen Tätigkeiten und Erzeugnisse von objektiven, historisch sich entwickelnden Gesetzmäßigkeiten bestimmt. Diese Gesetzmäßigkeiten erforschte und kannte zu guter Letzt nur die marxistisch-leninistische Ästhetik, weshalb der Künstler ihr vertrauen und nacharbeiten muss. Damit wusste er sich mit der Geschichte der Kunst im Einklang und aus diesem harmonischen Zusammenklang schöpfte er Kraft für objektiv gültige Meisterwerke. Meisterwerke, die der Epoche und der jeweiligen Klassenkampfsituation entsprachen. Die Analyse der Klassenkampfsituation war, ganz einfach, den jeweiligen Parteibeschlüssen zu entnehmen. Dies war das theoretische Hexeneinmaleins des sozialistischen Realismus in der DDR. Diese kunstpolitischen Maßgaben wurden im Bund proletarischrevolutionärer Schriftsteller Deutschlands von 1928 bis 1933 entwickelt und in der DDR jahrzehntelang kulturpolitische Leitlinie des Ministeriums für Kultur und der Abteilung Kultur im ZK der SED und, nicht zu vergessen, Handlungsanleitung vieler scheinwissenschaftlicher Beiträger.

19

Thomas Irmer/Matthias Schmidt: a. a. O., S. 278.

20

Friedemann Krusche: a. a. O., S. 171 ff.

21

Die poetische Welt Samuel Becketts war eine für König wesentliche, ihm aber als Regisseur in der DDR eine verschlossene theatralische Provinz, die er erst spät, zu spät theatralisch ausschreiten durfte. Noch 1999 inszenierte er, schon schwerkrank, Warten auf Godot in Leipzig. Es war seine letzte Theaterarbeit.

22

Samuel Beckett: Texte um Nichts, in: Erzählungen und Texte um Nichts, Frankfurt/Main 1981, S. 118 u. 121.

23

Vgl. „Spielpläne der Bühnen der DDR 1972/73“, in: Theater der Zeit 9/1972, S. 63.

24

total, a. a. O., S. 6.

25

Friedrich Dieckmann: „Saint Just oder L’esprit de la révolution“, in: Adolf Dresen: Der Einzelne und das Ganze (= Recherchen 93), Berlin 2012, S. 122.

26

Jaecki Schwarz in: „Debatte: Schauspieler ’73“, in: Theater der Zeit 6/1973, S. 7f. Aus diesem resignativen Befund zog die Schauspielerin Renate Krößner ihren eigenen Schluss, indem sie freischaffend wurde und so ihrer Maxime: „Mit meiner Theaterarbeit erwähle ich mir auch eine bestimmte Regie“ folgte und konsequent von 1980 bis 1983 nur mit Herbert König zusammenarbeitete. Besonders die Inszenierungen von Turandot, Nachtasyl und Bernarda Albas Haus sind stark vom Spiel Renate Krößners geprägt.

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DIE ERSTE INSZENIERUNG -

Aber noch konnte Herbert König seine erste Inszenierung am Magdeburger Theater realisieren: Fräulein Julie von August Strindberg in der Übersetzung von Peter Weiss mit Gisela Hess (Julie), Gerd Preusche (Jean) und Hella Müller (Kristin). Er veröffentlicht in Vorbereitung seiner Inszenierung von Fräulein Julie einen Auszug aus Berthold Viertels Strindberg-Aufsatz. Er wählt diesen Aufsatz wohl auch deshalb aus, weil er sich in diesem Text selbst wiederfindet, verdichtet in der „Person Strindberg“, entdeckt er einen vorbildlichen Lebensentwurf, dem nachzueifern er nicht scheute: Aber in all seinen Verwandlungen bleibt die Essenz „Strindberg“ gewahrt: sein vorbildlicher Mut, seine unvergleichliche Leidensfähigkeit, seine so unmittelbare und deshalb unmittelbar ergreifende Menschlichkeit. Und die wahrhaft dramatische Unbedingtheit in ihm, die bei keinem Kompromiß je haltmachte, das dialektische EntwederOder seiner Natur, das sich nie beruhigte, für das er bis zum Ende eine allverbindliche Lösung vergeblich suchte, das sich aber restlos in seiner großen und reichen Produktivität entlud. Ein titanischer Enthüller, der seine Schwächen nie verbarg, ein unbeugsamer Charakter, trotz seiner Empfindlichkeit und Anfälligkeit, ein unerschöpflicher Künstler, der seine Elemente in immer neuen Verbindungen darbot. Man könnte sagen, daß er in alledem kein glücklicher Vollender war, sondern der typische Vorläufer, ein gewaltiger Anreger … Sein Privatleben verlief so, als hätte er sich zum Versuchskaninchen aller Tendenzen im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts gemacht.1 Aus den Eintragungen im Regiebuch von Herbert König ist sein besonderes Interesse am Stück erschließbar.2 Die Striche sind in der ersten Hälfte des Stückes minimal, König greift nicht in die Abfolge der Handlung ein. Gestrichen ist allein der Zwischenaktauftritt der Festgesellschaft. Erst in der zweiten Stückhälfte verschärft König durch zunehmend längere Striche die Erbarmungslosigkeit der Handlung, die Todesbereitschaft der Julie und die Miserabilität des Jean hervorkehrend, während Kristin kalt und ungerührt den moralischen Verfall um sich herum registriert und sich als künftige Herrin weiß. Allein im zweiten Teil – und das dürfte ein Hinweis auf Königs besonderes Interesse an

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diesem Textteil sein – hat er Spielhinweise und knappe Kommentare zum Figurenhandeln eingetragen. Ob diese Eintragungen tatsächlich im Spiel realisiert wurden, ist nicht nachprüfbar. Dennoch lassen sie einiges von dem erkennen, was Königs Theaterästhetik fortan bestimmen wird: Verschärfung der Konflikte, Radikalisierung der Figurenhaltungen, Entdramatisierung der Geschehnisse, präzise Rhythmisierung des szenischen Ablaufs und möglichst genaue Bestimmung des Selbstgefühls der Figuren. Unverkennbar auch schon Königs Eigenart, ab einem bestimmten Moment der Geschichte einen Handlungssog, oftmals musikalisch gestützt, zu organisieren, der alles Nebensächliche beiseite räumt. König versteigt sich aber nicht in die kulissenreißerische Attitüde des Junggenies. Er wählt mit Bedacht eine Besetzung aus der ersten Ensemblereihe. Er sichert sich schauspielerische Solidität, konfrontiert die Schauspieler aber mit ihnen ungewohnten Rollenprofilen, verhindert damit Routine und ermöglicht ihnen neue Seiten ihres Spielvermögens zu entdecken. So gewinnt man Schauspieler. Was wiederum für seine Überzeugungskraft gegenüber den Protagonisten spricht. Die hier mitgeteilten Regieanmerkungen Königs beginnen unmittelbar mit dem Auftritt von Jean und Fräulein Julie nach ihrem heftigen Quickie und beweisen, wie streng am Text entlang König arbeitet, in ihn hineinhorcht, ihn konzentriert zusammenrafft. In diesem zweiten Teil des Stückes merzt König jedes Sentiment aus. Eine unbedingte Kälte, eine immer klarer werdende Verzweiflung gewinnt Gestalt und Ausdruck, die sich in eine endgültige selbstmörderische Tatbereitschaft bei Julie und eine furchtsame Totalanpassung Jeans unter das Diktat des Grafen steigert und Kristin in ihrem aus Denunziationslust, religiöser Inbrunst und steigendem Machtgenuss gewirkten Moralpanzer zunehmend vereisen lässt. Wie gesagt, die Anmerkungen Königs beginnen in dem szenischen Augenblick, in dem Jean die sexuelle Eskapade mit dem Fräulein überspielen und vergessen machen will. Er kredenzt ihr zur Beruhigung ein Glas Rotwein. Man muß die gezwungene Anstrengung Jeans spüren: „Nun, nun Mädchen, ich lad dich zu etwas Extragutem ein.“ Julie zusammengebrochen auf der Erde. Jean stellt sich über sie, erst förmlich, gerät er zum Schluß in kitschige Schwärmerei: „Aber andererseits tut es mir weh, gesehn zu haben, daß alles wonach ich selbst strebte nichts Höheres, Solideres war, es tut mir weh, wie wenn ich die Herbstblumen vom Regen zerschlagen und zu Schmutz verwandelt sehe.“

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Er geht zu ihr runter. Ihre körperliche Wärme macht ihn wieder sinnlich. Er richtet sie auf und geht mit seinen Kopf an ihren Schoß. Er beginnt ihren Rock aufzuknüpfen. Sie ist viel weniger erregt als beim ersten Mal. Sie läßt vielmehr mit sich geschehen, als daß sie der aktivere Partner ist. Schließlich löst sie sich mechanisch, geht schleppend zum Tisch und setzt sich. Die Passage von Julie ist erfüllt von matter Gleichgültigkeit: „Fliehen, ja, wir werden fliehen“ Sie glaubt im Grunde nicht mehr daran. Trotzdem gibt sie den Kampf nicht auf. Der Monolog ist sachlich schildernd, ohne emotionalen Ausbruch: „Sehen Sie, meine Mutter …“ Ganz für sich, auch sie möchte sterben. „Von ihr hatte ich Mißtrauen und Haß gegen den Mann gelernt – sie haßte Mannsleute und ich schwor, ihr niemals die Sklavin eines Mannes zu werden.“ Sie denkt darüber nach, weshalb das so war. Sie lächelt über ihre Mutter, ein bißchen stolz, aber mehr wissend – bitter. Jean: „Und dann verlobtenie sich mit dem Amtmann?“ Fast heiter Julie: „Eben, weil er mein Sklave werden sollte.“ dann große Pause Jean: „Sie hassen Männer?“ Ganz leise für sich, sich fragend, in sich hineinhorchend: „Ja, fast immer, aber manchmal …“ Der Dialog ist ganz still, mit großen Pausen, ohne Haltungsänderung Jean: „Zwei Jahre Strafarbeit für den Sodomisten und das Tier wird getötet“ Jean holt den Dialog in die Realität zurück: „Der Comersee ist ein Regenloch“ Julie hat wieder verloren, sie ist ziemlich am Ende: „Das hab ich dafür, daß ich mein Herz einem Unwürdigen öffnete“ Und noch einmal nimmt sie Anlauf, sie geht ganz nah an Jean heran: „Sie müssen gut zu mir sein.“ Jean fällt der Graf ein. Er bekommt furchtbare Angst, jetzt beginnt er ganz aktiv und praktisch Julie zu drängen: „Die Folgen, ja gibt nur eins – weg von hier, Sofort! Ich fahr nicht mit Ihnen, denn dann ist alles verloren. Sie müssen allein reisen.“ Jean gibt seine Förmlichkeit auf: „Sie müssen … Er schiebt sie ab, die Angst ist größer als die Begierde, er atmet auf, als sie weg ist. Jean: …“ Fräulein: „Sprechen Sie doch freundlich zu mir, Jean.“

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Jean: „Ein Befehl klingt immer unfreundlich.“ Dialog schnell und hektisch [stark eingestrichen; ThW] Fräulein: „Jetzt bin ich fertig. Kommen Sie mit mir, ich hab jetzt das Geld dazu …“ Ausbruch, vor dem er zurückweicht: „Töten Sie mich …“ Julie auf den Hackblock zu, runter auf Knien: „Nein, ich will noch nicht gehen …“ Ganz zart, irre: „Glauben Sie, ich könnte kein Blut sehen?“ Steht langsam auf. Tonfall weiter so: „Nein, jetzt bleib ich! …“ Kalt, zynisch Jean: „Da spricht das königliche Blut! Sehr schön, Fräulein Julie!“ Und noch mal großer Bruch, mit Anlauf in die letzte Runde Fräulein: „Hilf mir Kristin! Rette mich vor diesem Mann.“ Das soziale Verhältnis wird umgekehrt Alles sehr schnell, hektisch Kristin bewegt sich nicht Der Glaube daran erlischt in ihr selbst Fräulein: „Und da übernehmen wir ein Hotel …“ Die Glocke läutet. Jean kniet wie ein Hund vorm Sprachrohr Jeans ganze Misere kommt heraus, er ist ein kleinkarierter Scheißer ohne Mut: „Ich glaube, wenn jetzt der Graf käme und mir befehlen würde, mir den Hals abzuschneiden, ich täts auf der Stelle.“ Wieder kommt von ihr der Vorschlag Fräulein: „Dann tun Sie, als wären Sie es. Sie konnten ja vorhin so gut spielen als Sie auf den Knien lagen.“ Jetzt streicht König radikal, ohne Umschweife lässt er Jean „fallen“: Jean ist am Ende, aber seine Feigheit siegt: „Es gibt kein anderes Ende! Gehen Sie!“ Wenn Julie raus ist, sieht er das Geld, betrachtet es, betrachtet den Ausgang, legt das Geld auf den Tisch, kniet sich neben das Hörrohr und putzt Stiefel. Die Kritiker der Provinzzeitungen sind geteilter Meinung: In den Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten hält Christine Poetzsch der Inszenierung auf sehr gewundene Weise vor, sie beschere dem Zuschauer ein niederdrückendes Erlebnis.

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So standen dem Regisseur erfahrene und interessante Schauspieler zur Seite, auf die er sich wohl hätte ganz verlassen können. Es scheint allerdings, als ob er sowohl Strindberg als auch die Anlage der Figuren durch die Schauspieler noch zu steigern versuchte, als ob er der Seelenzergliederung Strindbergs noch eine Situations- und Szenenzergliederung hinzufügen wollte. Das beginnt schon mit der langen, stummen Eingangsszene der Kristin, ähnliche Szenen gibt es mehr, und die peinlich genaue Analyse des Verhaltens gibt auch dem Zuschauer viel zu wenig Möglichkeit aktiv zuzusehen. […] Damit erscheint mit der extrem analytischen Gestaltung, die oft auch das Spieltempo sehr hemmt, die Gefahr herbeigeschworen [sic! ThW], daß die Spannung so überfrachtet wird, daß sie in Lähmung, in Depression umschlägt.3 Eine derartige Kritik konnte einem Anfänger schnell die Karriere verbauen, denn das war das Letzte, was sich auf dem sozialistischen Theater gehörte, Lähmung und Depression im Publikum zu verbreiten. Knapp in der Begründung: „Großer Abend auf kleiner Bühne“ und dezidiert im Urteil: „Mit dieser Inszenierung gab H. König sein Debüt als Regisseur – ein sehr gutes.“ ist S. B. C. in der Liberaldemokratischen Zeitung rundum von der besonderen Qualität der Aufführung überzeugt.4 Überraschendes ist in der bekanntlich von König geschmähten Volksstimme von Hermann Berger zu lesen. Schon dass sich Berger weniger beim Stück aufhält, sich vielmehr in Rollenporträts versucht, ist erstaunlich, mehr noch das uneingeschränkte Lob für den Seitenwechsler König. Hella Müller: Beklemmend der Auftritt der Magd Kristin. Ein junges Mädchen scheuert verbissen den Hackklotz, streichelt tiefsinnig ein Beil: Sie soll doch etwas sagen! Man verlangt es förmlich, aber sie hantiert, sorgsam. Ein hartes, von Leid gezeichnetes Gesicht, minenlos [sic! ThW], drückt so viel aus. […] Gerd Preusche: Peinlich genau die Etikette dieses Essens. Endlich der Dialog mit Kristin. Aber keinesfalls eine Erlösung aus der Spannung. Man erfährt von „Liebe“ zwischen beiden. Man spürt sie auch bei der herben Kristin. Eine entfremdete Beziehung. […] Er folgt dem Befehl zum Tanze, kehrt bald zu Kristin zurück und wird von der rasend ihn begehrenden Julie in der Zweisamkeit mit ihr überrascht. […] Sorgsam stimmen die Darsteller die besondere Sprache aufeinander ab, nehmen sie nach und nach die wenige Wärme weg, lassen sie die Sprache ihre letzten Persönlichkeitswerte verlieren. Sie wird bei allen dreien immer entfremdeter, mechanischer. Das ist einfach großartig

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gemacht, da muß man hinhören […] ein Abend großer Schauspielkunst.5 Doch der Berliner Großkritiker Christoph Funke moniert ein halbes Jahr nach der Premiere unter der unmissverständlichen Überschrift „Kein Ausbruch im Küchenkäfig“, König sähe die Figuren von Anfang an als „Ausgelieferte“, wobei er aber großzügig einräumt, dass sich „immerhin […] die drei Schauspieler […] in der mit Klugheit und Stilwillen – in ihren Grenzen – durchgesetzten Regiekonzeption durch einprägsame und disziplinierte Leistungen“ bewähren.6 Funke merkt ein zeremonielles Spiel an, das den Figuren eine Grundhaltung zuordne, die es den Schauspielern schwer mache, die Ausbrüche aus den auferlegten Rollenmustern zu gestalten, von einem „leicht marionettenhaftem Spiel“ ist anderswo zu lesen. Funke möchte, ganz im Sinne eines optimistischen Aufmöbelns des Publikums, den sozialistischen Schauspieler als Widerstandskämpfer gegen die klassenverhafteten, dekadenten Figuren agieren, eine besserwisserische historische Überlegenheit gegenüber den Figuren und ihrem Erfinder ausgespielt und auf der Bühne die Sieger der Geschichte triumphieren sehen. Diesen Gefallen wird ihm Herbert König nicht tun. Da Funkes Argumentationen und Forderungen zu jener Zeit keine exklusiv private Meinung darstellen, sondern den Grundüberzeugungen, gleichgültig, ob subjektiv erwogen oder anpasserisch angenommen, der publizierten professionellen Theaterkritik in den Medien entsprechen, bricht jetzt bereits ein sich stetig vertiefender Spalt, der sich zum Abgrund weiten wird, zwischen Herbert Königs Theaterästhetik und -methodik und dem offiziösen Funktionsverständnis des sozialistischen Theaters in der DDR auf. König stellt sich nicht in der Pose des Siegers der Geschichte über die Autoren. Er korrigiert sie nicht kraft angemaßter tieferer Einsicht in die „Gesetzmäßigkeiten“ das „BLABLA“ (Heiner Müller). Er verschärft die Form im Sinne des Inhalts, um die Autorenintentionen in ihrer beabsichtigten Wirkung frisch und kräftig für die Gegenwart zu gewinnen. Im Gesellschaftssysteme übergreifenden Begriff der Entfremdung hat er für sich den methodischen Hebel gefunden, um in seinen Inszenierungen alter wie neuer Geschichten, gleich, ob in Ost oder West spielend, diese Entfremdung in ihren sinnlich erfahrbaren und darstellbaren Erscheinungen in die unmittelbare Zeit und vor das Angesicht einer Gesellschaft zu stellen, die arrogant und selbstvergessen genug jedwede Entfremdung in ihren Reihen leugnet. Diesen Selbstbetrug prangert Herbert König auf dem Theater an. Seine Inszenierungen zeigen den

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Prozess und die Folgen der Entfremdung quer durch Gesellschaften, Familien, Seelen und Körper des gegenwärtig seienden und des geschichtlich vergangenen, des gewesenen Menschen. Auf diese Weise kann er fast alle von ihm gewählten Texte ohne schwerwiegende dramaturgische Eingriffe, ohne komplizierte Transformationen in Raum, Zeit und Figurenprofilen vornehmen zu müssen, in ihrer Substanz unberührt, freigelegt in ihrem Kern, inszenieren. Trotz aller positiven Resonanz ist in Magdeburg nach dem geglückten Regiedebüt für ihn kein Verweilen mehr. Denn ein neuer, mit seiner intellektuellen Undurchsichtigkeit kokettierender Theaterverwalter will unter der Losung eines „sozialistischen Volkstheaters“ das Theater in Magdeburg systemgetreu umkrempeln, um in das ruhige Fahrwasser eines harmlos-abwiegelnden Unterhaltungstheaters alten Zuschnitts abzudriften. Hier ist für König kein Platz, woanders aber ist Herbert König willkommen, so in Brandenburg.

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total, Mitteilungsblatt der Bühnen der Stadt Magdeburg, Spielzeit 1972/73, Heft 6/73, Rückseite. Der Text von Berthold Viertel ist zitiert nach: Ders.: Schriften zum Theater, Berlin (Ost), 1970.

2

Regiebuch Fräulein Julie, HKA 3.

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Mitteldeutsche Neueste Nachrichten, 5. September 1973.

4

Liberaldemokratische Zeitung, 19. September 1973.

5

Volksstimme, 5. September 1973.

6

Der Morgen, 16. März 1974.

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Herbst 1974. Brandenburg. Konzeptionsprobe zu Ein Held der westlichen Welt. König hat uns eingeladen zum Konzeptionsgespräch in eines dieser schäbigen Hinterbühnenzimmer und wir treffen uns in einem wundersam verwandelten, jetzt mit rotem Samt ausgeschlagenen Raum, Rotwein auf dem Tisch und Musik von Pink Floyd. Dann sagt Herbert König: „Also wir spielen das Stück, weil … (lange Pause) … das Stück ist gut.“ Mehr sagte er nicht und wir gingen an die Arbeit.1 So oder so ähnlich begann es in Brandenburg, kein Wort zu viel, aber voller Aufmerksamkeit für den Moment des Beginnens, der ein festlich gerahmter Eintritt in eine besondere Welt ist. Die Ernsthaftigkeit des Komödiantischen, des Spiels, das existentielle Lebensspiel auf den Brettern nicht nur nachzuahmen, sondern gesteigert, gereinigt und kondensiert zu erleben, das sollte Theater sein. Die Spielzeit sollte gesteigerte Lebenszeit werden. Danach strebte er und diese Lust aufs gemeinsame Produzieren konnte er seinen Schauspielern in Brandenburg vermitteln. Später wird er rückblickend auf die Frage: „Was war am DDR-Theater für Sie besonders wichtig?“ antworten: „Solidarität untereinander; gemeinsamer Kampf gegen die Unterdrückung.“2 Hier in Brandenburg, in der Zusammenarbeit und im Zusammenleben mit den Schauspielerinnen und Schauspielern Renate Krößner, Wera Herzberg, Katrin Martin, Christine Schuster, Thomas Wolff, Achim Wolff und Bernd Stegemann, in der Zusammenarbeit mit den Bühnenbildnern Carl Hoffmann und Karl-Heinz Abramowski findet Herbert König die ihm gemäße Lebensund Kunstform Theater. Leben im Ensemble, beschützt im engen Kreis, im Zentrum wohl sich wissend, aber um sich schauend, auf die anderen wartend, sie erkennend, da auf ihre Unterstützung, ihr Mittun angewiesen und doch nie ganz sich ihnen öffnend – aber immer verlässlich. So oder so ähnlich mag es gewesen sein, das Leben Herbert Königs im Theater. Widerstand gegen die einengenden Arbeitsstrukturen des üblichen Stadttheaterbetriebes und Ausleben individueller Ansprüche und gemeinschaftlicher Sehnsüchte im Spiel auf der Bühne und im alltäglichen Leben formt die Truppe und befördert ein stabiles Gruppenbewusstsein. Natürlich hatte Herbert König doch noch einiges mehr zu sagen zu seiner ersten Brandenburger Inszenierung. Er hat erst- und vermutlich

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letztmalig den Gepflogenheiten des Theaters in der DDR entsprochen und eine ausführliche und sehr konkrete schriftliche Inszenierungskonzeption vor Probenbeginn vorgelegt: John Millington Synge: DER HELD DER WESTLICHEN WELT Konzeptionelle Überlegungen 1. Fabel […] 2. Aussagen Das Stück ist eine psychologische Groteske von sozialkritischer Brisanz. Drei Aspekte sollen die Inszenierung bestimmen: 1) Das Stück rechnet ab mit Heldenmache, Heldenverehrung. Es zeigt sprunghaft Aufbau und Verklärung sowie Demontage und Absturz eines gemachten Helden. Es zeigt: die Umwelt macht den Helden. Und je unbedarfter, blöder, harmloser jemand ist, umso schneller und wirksamer kann man aus ihm ein verehrungswürdiges Objekt herstellen. 2) Der Provinzialismus der Gestalten spielt eine bedeutende Rolle. Wir wollen zeigen: je engstirniger, provinzieller, von der Obrigkeit gelenkter eine Masse ist, umso bedingungsloser ist sie bereit, sich einem Helden zu unterwerfen und ihn zu bejubeln und umso brutaler, faschistischer reagiert diese Masse dann, wenn der selbstgemachte Held ihrem Ideal nicht mehr entspricht. Liebe schlägt nun in Haß, Verehrung in Grausamkeit. 3) Wichtig ist die andere Seite des Stückes: der Vatermord des falschen Helden. Es entwickelt sich eine auf den Kopf gestellte Ödipus-Geschichte, der Held tut alles, um zu verbergen, daß er seinen Vater nicht umgebracht hat. Christy vollbringt die Tat nicht als Opfer eines falschen Heldenbegriffs, den ihm die Gesellschaft suggeriert, sondern als Opfer seines Vaters, der ihn auf sein infantiles Dasein herabgedrückt hat und diesen Zustand verweigern will. Der Erfolg der Tat scheint ihr recht zu geben. Der Mord am Vater, dem Alten, Hemmenden ist für die Leute in Mayo kollektive Sehnsucht, sich des Reaktionären zu entledigen. Christys Tat in mythischer Ferne ist Ersatzhandlung für eigenes Unvermögen, daraus resultiert dann die Verklärung. Ihre Bloßstellung können die Dörfler Christy nicht verzeihen. Aber Christy ist nicht Werkzeug der Menge als er den zweiten Schlag führt. Er hat an Selbstbewußtsein gewonnen, er will sich auch prüfen – an dem über-

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mächtigen Vater, auf den er einen heiligen Zorn hat. Erst als der zweite Schlag getan ist, können Vater und Sohn miteinander leben. – Wichtig ist die Beachtung der dialektischen Grundthemen im Stück: Zweimal dasselbe ist nicht dasselbe; sprunghafte Veränderungen, Negation der Negation; Durchdringen der Gegensätze und ihr Umschlagen ineinander, genau nachzulesen in Wekwerth, Schriften zum Theater. 3. Umsetzung – Das Stück spielt in Irland. Vieles in den Verhaltensweisen der Leute ist typisch irisch, aber die Geschichte an sich ist es nicht. Heldenmache und Heldenverehrung gibt es überall, im privaten und gesellschaftlichen Bereich. – Jeden Tag bringt das Fernsehen Berichte über die militärischen und politischen Auseinandersetzungen in Irland, die oft für uns kaum zu durchschauen sind. Eine Inszenierung, die das hinterwäldlerische, skurril-absonderliche der Iren vordergründig betont, würde den Zugang zu heutigen Ereignissen noch mehr versperren, weil es von klassen- und machtpolitischen Fragen weg zu Milieu-, Mentalitätsund Folklorestudien hinführen würde. – Erfahrungen mit irischen Stücken beim Publikum besagen, daß der Zuschauer schwer Zugang zur fremdartigen Poesie, zu merkwürdig absonderlicher Sprache und Verhaltensweisen findet. Irische Stücke sind in den Umsetzungen oft Folklore-Märchen, die uns nichts angehen. Aus diesen drei Punkten resultiert die Suche der Regie nach einem ebenfalls fremden, aber gleichzeitig vertrauten Bezugsfeld für unsere Geschichte vom Helden Christy. Wörtlichnehmen des Titels, der Verhaltensweisen, der Figurenkonstellation weisen auf den Western hin (Wirt + Kumpane – Sam Hawkins und sein Kleeblatt, Witwe Quin – männermordender Vamp, Mahon – mächtige Vaterfigur wie Vater Cartwright aus Bonanza usw.). Das Stück soll nicht aus Irland an den Fuß der blauen Berge verlegt werden, statt irischer Folklore soll kein wild-west-Klischee gemacht werden. Keine Bilderbuchcowboys aus dem Supermarket sollen auf die Szene, sondern durch bestimmte äußere Attribute und Verhaltensweisen aus dem Westernmilieu soll der Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein stärker akzentuiert und einsichtig gemacht werden. Es kommt bei der Arbeit immer wieder darauf an, zu beobachten, daß unsere stilistischen Absichten sich der Geschichte, die wir

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erzählen wollen, unterordnen und sie durchschaubar machen und sie nicht zudecken und von ihr ablenken. 4. Fassung Nach Vergleich mehrerer Übersetzungen (Leising, Böll usw.) erweist sich die Hackssche als die beste, weil poetischste, genaueste, härteste. Sie beschönigt und verniedlicht nicht. Sie ist nicht glättend. Alles Didaktische sowie sprachlich Manierierte soll eliminiert werden. Das gesamte Kollektiv ist aufgefordert, sich über Striche Gedanken zu machen. Die Strichfassung wird gemeinsam auf der Probe hergestellt. 5. Musik Die Lieder, halb Folklore, halb Didaktik in Brecht-Manier werden nicht verwendet. Im Stile der Inszenierung wird bekannte Westernmusik leitmotivisch und desillusionierend eingesetzt: z. B. es erklingt GLORREICHE SIEBEN – es erscheint Shawn Koegh; es erklingt BONANZA – man erwartet die strahlende Familie Cartwright – es erscheint der Wirt und seine besoffenen Kumpane; es erklingt SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD, man erwartet Charles Bronson – es erscheint der angesoffene Mahon. 6. Zur Bühne Wie schon zur Konzeption gesagt: Bühnenraum und Kostüme sollen nicht Wildwest-Folklore statt irischer Folklore bringen. Vermieden werden soll eine „typisch irische“ Ausstattung: arm und schön = Kunstgewerbe. Raum und Kostüm arbeitet mit WesternZitaten ebenso wie mit konkreten, realistischen Details, die gemeinsam einem fremden Realismus, einen Überrealismus ergeben sollen. 7. Arrangements und Sprache Wir halten uns hier an Wekwerth: Arrangements sollen genügend groß sein, genügend lange gehalten werden, die Übergänge sollen genügend sprunghaft sein. Das Stück mit seiner poetischen, bilderreichen meisterhaften Sprache muß groß, mit edlem würdigen Pathos gesprochen werden. Immer muß auf Größe und Würde der Geschichte, der Legende des Vatermordes geachtet werden.

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8. Literatur: Synge, Stücke, Reclam Krehayn, Vorwort zum Stück HELD Böll, Irisches Tagebuch O’Casey, Über Synge Irische Erzählungen, Reclam Wekwerth, Schriften zum Theater, Henschelverlag Völker, Irisches Theater I (Yeats und Synge) Velber Synge, Über HELD Bestimmtes Material wird abgezogen und verteilt. Das andere ist ausleihbar. 14.10.1974 Herbert König3 Der unbefangene Verweis Königs auf die originäre Bild- und Klangwelt der westlichen Kulturindustrie, seine knappe Zurückweisung des sozialistischen Heldenbildes samt der kühlen Distanz zu Brechts Didaktik beweisen, wie sehr ihm von Anbeginn seiner Theaterarbeit ein Sprechen um den heißen Brei fremd war. Mit dem oft uneingestandenen ARDund ZDF-Fernsehkonsum der meisten Theaterzuschauer musste das Theater rechnen, aus diesen Programmen setzte sich ein Großteil der ästhetisch verfügbaren optischen und klanglichen Zeichen und Signale zusammen und wurden die Hör- und Sehgewohnheiten der potentiellen Theaterzuschauer geprägt. Armut, Brutalität der Personen untereinander, resultierend aus den sie beengenden und eingrenzenden Umständen ihrer sozialen Rückständigkeit, bestimmte einerseits den Gestus der Inszenierung, aber um der Gefahr eines mitleidheischenden Naturalismus zu wehren, wurde andererseits dieses Spiel in eine verfremdete künstliche Zeichenwelt versetzt: Den Tresen schmückt an der Vorderwand ein auffälliges Poster der gigantischen Plastik „Hercules Farnese“ des Lysippos. Doch der antike Held stützt sich statt auf seinen angestammten Marmorblock auf eine schnöde Schnapsflasche – der göttliche Held als Teil einer fiktiven Werbung. Der Bühnenhimmel wird abgeschlossen durch die billige Kopie eines der Abendmahl-Bilder von Leonardo da Vinci. Das Gasthaus, die milieu- und funktionsgerecht ausgestattete Whisky-Budike wird so zur heimlichen Kirche umgewidmet und zugleich wird die sinnentfremdende freie Verfügbarkeit der Bilder, die Manipulation von Bedeutungen kenntlich. Die Einwände der Schauspieler und rechtliche wie ideologische Bedenklichkeiten verhinderten die Montage der im Konzept angeführten musikalischen Verfremdungen und Verführungen. Eine akusti-

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sche Ersatzvariante der ursprünglichen Idee erbrachte für den Gestus der Inszenierung eine viel adäquatere atmosphärische Dimension. Trotz des Verzichtes auf den Einsatz von Musik gelang es, eine akustische Komponente zu finden, die die Inszenierungsfabel enorm zu interpretieren half: das stereotype Aufblenden eines einsamen Möwenschreis bei jedem Öffnen der Wirtshaustür und das stereotype Ausblenden dieses immergleichen Vogelschreis beim Schließen der Wirtshaustür charakterisieren die Trostlosigkeit und Ödnis der Situation, der Landschaft, der Welt, in der nichts Anderes geschieht außer dem Einen, dem Immergleichen – Stagnation – dargestellt mittels eines running gag, das war die komische Pointe.4 Die weibliche Dreierbande der Dorfmädchen überflutete, in Kostüm und Auftreten den Saloon-Girls des Westerns gleich, die Bühne. Sie benutzen hemmungslos und losgelassen Tische, Stühle und den Tresen als Spielplatz, als Kutschböcke und Saloonbühne. Deutlich von diesen Showgirls abgesetzt war die Figur der Pegeen, die ihre ganze Hoffnung auf den „Helden“ setzt, die wünscht, dass er sie liebe, beschütze und mit sich nehme aus dieser Kneipenwelt. Vom ständigen Abwasch gerötete Hände, Spur der leiblichen Verwüstung durch Arbeit, eines der für König typischen theatralen Momente, und ein entsprechendes Kostüm: eine vom Vater abgelegte, schwarze, zu große und weite Männerjacke, bestimmen akribisch den sozialen Tiefpunkt, aus dem Pegeen versucht aufzubrechen. Die Erwartungen der Figur werden radikal enttäuscht und Herbert König und Wera Herzberg, die Darstellerin der Pegeen, beschönigen nichts, zeigen kein trotzig-markiges „Dennoch“, nein, sie zeigen den Abschied von aller Hoffnung. Im Augenblick des offenkundigen Versagens ihres Helden gerät das Mädchen außer sich, sie stürzt sich verzweifelt mit den übrigen Dorfbewohnern auf den entlarvten Helden. Dann sich der Folgen ihres bisherigen Tuns für ihr Leben in der Enge ihres Dorfes bewusst werdend, entlässt Wera Herzberg ihre Figur mit einer großen zeremoniellen und endgültigen Geste ein schwarzes Tuch über ihren Kopf ziehend ins Nichts – ihr Leben ist beendet.5 Solche gnadenlos präzisen, jeden billigen Trost versagenden visuell eindrucksvollen Endpunkte persönlichen Scheiterns werden für die weitere Regiearbeit Königs verbindlich. Die Zurücknahme des eigenen Lebens aus der lebenszerstörerischen Umwelt ist hier im Bild gefasst, keine platte Illustration der Freudschen Konstruktion der Regression. Die Eigenart der Arbeit Königs verdeutlicht sich in der Differenz zu der Schlusslösung der zeitgleichen Inszenierung des Stückes an Magde-

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burgs Theater für junge Zuschauer in der Regie des renommierten und keineswegs harmoniesüchtigen Horst Hawemann, wie sie Ingeborg Pietzsch beschreibt: Zwar wirft die Entlarvung ihres Helden sie in die konventionelle Haltung der übrigen Dorfbewohner zurück; sie setzt sich zu ihnen auf die Wirtshausbank, mit sichtbarer Distanz zu Christy, aber mit gesenktem Kopf: so betrauert man einen Verlust. […] Christy hat nicht einen einzigen Blick für Pegeen, die betrogen und tief enttäuscht zurückbleibt. Ihre Geschichte streift das Tragische: So, wie bisher, kann sie nicht weiterleben. Sie löst sich aus dem Kreis der Dorfbewohner. Ihr Schicksal beklagend, wendet sie sich an den Zuschauer. Mit ihr zieht eine seltsame alte Frau [Zutat Hawemanns zum Stück; ThW], die stumm durch die Inszenierung geht, mit der keiner spricht, die aber immer da ist und mit bunten Postkarten die Verbindung zur großen Welt draußen hält: Ihre zwei Söhne sind fortgegangen aus Irland, sie nehmen an revolutionären Streiks teil, und der eine fällt. Daß Pegeen mit dieser Frau geht, wirft einen hoffnungsvollen Schimmer auf eine ansonsten groteske und trübe Geschichte.6 Die Aufführung „lief“ nicht gut beim Brandenburger Publikum. Tatsache ist, daß durch die Vielzahl szenischer Angebote die Entdeckerfreude und „Mitspiellust“ des Publikums animiert wird. Sicher liegt auch die Möglichkeit der ästhetischen Übersättigung nahe. Spontane Reaktionen des jugendlichen Publikums (betrifft besonders die der Abbruchvorstellung vom 10.01.75) gegenüber Lehrern bekunden ein Desinteresse an der erzählten Geschichte bzw. eine erstaunliche Unsensibilität gegenüber dieser Kunstgattung. Ob die Abneigung aus einer Fehleinschätzung unsererseits in Bezug auf erwartete Zuschauereinstellungen beruht oder auf der bewußten Weigerung, sich in der erzählten Fabel zu erkennen, oder welche Gründe auch immer zutreffen mögen: das herauszufinden, sollten wir Publikumsgespräche nicht scheuen.7 Der Negativ-Western verfing nicht bei einem längst korrumpierten Publikum. Die offiziell beschworenen und herbeigeredeten Adressaten sozialistischen Theaters geben den Theaterleuten ungeschminkt Bescheid. Volkmar Weitze erinnert sich an die denkwürdige Mitteilung eines Stahlwerkers:

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Weißt du, ihr seid unser fünftes Programm, wenn auf Eins bis Vier wirklich gar nichts aber auch gar nichts kommt, dann kommen wir ins Theater, vielleicht. Der Dramaturg wußte nun, was das bedeutete: Theater für die Arbeiter in Brandenburg, das hieß fünftes Rad am Wagen und Brandenburg war eine Arbeiterstadt.8 Die regionale Theaterkritik beließ es bei einigen freundlichen Worten. Eine zwischen Theater und Publikum vermittelnde und fachgerecht argumentierende Theaterkritik war in Brandenburg nicht zu erwarten. Auch später, nirgendwo und nie wird eine verständige, öffentlich wirksame Stimme sich darauf einlassen, kontinuierlich Königs Inszenierungen kritisch zu begleiten oder gar seine Arbeit zu fördern. Verständlich deshalb die Versuche Königs, so bald wie möglich Brandenburg, diese wenngleich lehrreiche, so doch resonanzlose Theaterstation hinter sich zu lassen. Bereits zum Ende seiner ersten Spielzeit kann er als Gast in Karl-Marx-Stadt mit dem renommierten Schauspielensemble Shakespeares Komödie der Irrungen inszenieren. Juni 1975 feiert er mit einem ihm nicht sonderlich gewogenen Ensemble einen alle Beteiligte verblüffenden Erfolg. Engagiert wird er natürlich nicht und auch nicht wieder eingeladen, denn dem negativen Urteil des Kritikers der SED-Bezirkszeitung Klaus Walther schließen sich die Theaterleitung und Teile des Ensembles an. Dem Regisseur mangelt es nicht an hübschen amüsanten Einfällen, es gab kluge und schöne szenische Arrangements, aber letztendlich schwankt das Ganze mit Schlagerparodie, Biedermeierkostümen und allerlei mehr oder minder geschmackvollen Gags zwischen kabaretthaften Elementen, parodistischen Szenerien und realistischer Komödiensituation. […] das alles vollzog sich auf weiter, leerer Spielfläche, mit wenigen Requisiten, die aber leider eben in manchem nur die Spielwiese eines begabten, jungen Regisseurs blieb. Und dies scheint mir, ist für das Publikum und auch für Shakespeare zu wenig.9 Gänzlich anders sieht das ein enthusiasmierter Rezensent, der mit -DPzeichnet: [Die beiden Dienerfiguren] tun es als Auftakt der Inszenierung […], indem sie den attraktiven Show-Hit der ungarischen Zwillingsschwestern „Zwilling sein ist schwe-e-er“ auf umwerfende Art ihrem Geschlecht und Dasein gemäß transponieren. Zwei Gitarren

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begleiten mit graziösem Beat und die später mitspielenden Damen formieren sich zu einem Backgroundchor […]. So beginnt das Feuerwerk, das Gastregisseur Herbert König mit Phantasie und ohne eine einzige Fehlzündung in Szene setzt. Durch überraschende Reaktionen der Dialogpartner, drollige Beschäftigung der handelnden Personen und Turbulenz insgesamt erzeugt er ein immerwährendes fesselndes Schaustück. Seine Ideen reißen nicht ab, zu historisch akzentuierten Kostümen gesellen sich modernste Requisiten und machen den Spaß vollkommen. Die glückliche Endlösung aller Wirrnisse wird gedankt mit dem gemeinsam gesungenen Schlager „So ein Tag …!“, was ja wohl auch jedem Zuschauer aus dem Herzen gesprochen ist.10 Eine positive Kritik und der nicht zu leugnende Zuschauererfolg eines Inszenierungskonzepts, das darauf aus war, alle Beteiligten über die Stränge schlagen zu lassen, die Zeiten durcheinanderzuwirbeln und eine ganz gegenwärtige Spielwelt auf eine mit einfachsten Mitteln auskommende, hurtig improvisiert wirkende Bühne zu stellen, brachte König nicht das erhoffte Engagement. Seine Inszenierung, scheinbar nichts bedeutend, außer einem, ein theatralisches Fest zu Ehren der Mauern und Türen sprengenden, Grenzen aller Art überspringenden Spiellust zu feiern, konnte das wachsame Auge der Parteikritik nicht täuschen. Zu diesem Zeitpunkt passte die Inszenierung noch nicht zu dem damals abbildrealistisch verengten Karl-Marx-Städter Theaterkonzept. Der erste Versuch, dem extrem engen Produktionskorsett des Mehrspartentheaters in Brandenburg mit seinen einschränkenden Behelfsbühnen zu entkommen, ist gescheitert. Das ist aber für ihn kein Grund von seinem Ziel abzulassen, die Bedingungen seinen Absichten anzupassen und nicht von ihnen überwältigt zu werden. Unverzagt kämpft er in Brandenburg weiter: Es geht um den Weg des Theaters. Wir müssen uns hüten vor einer Trennung von Politik und Unterhaltung. Mit welchen Stücken wollen wir dem Publikum Dinge mitteilen, die wir ihnen zu sagen haben? Müssen Linie mit Stücken von politischer Brisanz fortsetzen. Tendenzen des Provinzialismus des DDR-Theaters, wenn wir uns nicht darum bemühen, ein höheres Niveau zu erreichen, können wir Theater schließen. Stärkere Orientierung am Welttheater.11 Wie erwirbt man in der brandenburgischen Provinz einen Einblick in das gegenwärtige Welttheater – von einem Überblick ganz zu schweigen –,

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ohne Reisekader zu sein? Aussichtlos war dieses Unterfangen dennoch nicht, wenn man auf das Theater in Berlin (Ost) schaute, wenn man zum Beispiel die Inszenierungen von Der gute Mensch von Sezuan (1970, Regie: Benno Besson), Die Schlacht (1975, Regie: Manfred Karge/ Matthias Langhoff), Fräulein Julie (1975, Regie: Einar Schleef/B. K. Tragelehn), Die Bauern (1976, Regie: Fritz Marquardt) unbefangen sah – dann sah man eine wesentliche Facette des Welttheaters. Und wenn man ein bisschen Mühe aufwandte, dann konnte man in Warschau, in Kraków, in Budapest, Bukarest und in Moskau Welttheater sehen. Herbert König nahm dies alles auf, besonders beeindruckten ihn die Aufführungen Jurij Ljubimows am Theater an der Taganka in Moskau. Er sah hier in Vorbereitung auf seine Inszenierung von Wassiljews Im Morgengrauen ist es noch still eine Vorstellung der Uraufführung und fragte nahezu ratlos sich und seinen Bühnenbildner, was sie denn nun inszenieren sollten. Denn kopieren wollte er die Inszenierung von Ljubimow nicht, aber etwas Eigenes erschien ihm vermessen und belanglos gegenüber der meisterlichen Inszenierung.12 Doch König fand einen individuellen Zugang zum Stück. Er entschied sich für den schauspielerisch anspruchsvollsten Bühnenraum – den leeren. Jedes russische Milieu war so erst einmal gebannt und eine zweite Entscheidung verhinderte das ihm moralisch anrüchig scheinende, schnell von fragwürdiger Theatralität triefende Vorspiel russischer Schicksale vor deutschen Zuschauern, deren Väter die Schuldigen der realen Toten dieses Krieges waren. Ein mitleidsvolles Nachspiel russischer Frauen und Mädchen, die von deutschen Soldaten getötet werden, lag ihm fern. Die Figuren der fünf jungen sowjetischen Frauen, die in das Militärhandwerk eingeführt und zum Kampf gegen die deutschen Okkupationstruppen fit gemacht werden sollen und von denen keine überlebt, werden auf eine einfache und aufregende Art in die unmittelbare Erlebnissphäre der Zuschauerinnen und Zuschauer gerückt. Im Verhalten und vordringlich im Kostüm sind diese Mädchen zuallererst Mädchen, die jeder im Zuschauerraum kennt, wenn sie es nicht selbst sind, die vor und während des Studiums in den obligatorischen vormilitärischen Ausbildungslagern der Gesellschaft für Sport und Technik und der nationalen Zivilverteidigung für den atomaren Ernstfall diszipliniert und trainiert wurden. Sie tragen jeansähnliche körperenge Hosen mit modisch umgeschlagenen Hosenbeinen, dazu knappe Nickis (T-Shirts) und allein das soldatische Käppi der Roten Armee erinnert an die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Hier war König das gelungen, was in der Magdeburger Romeo-und-Julia-Inszenierung noch offen geblieben war. Vergangenheit und Gegenwart verschränkten sich zu einem aktuellen Thea-

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terbild, das die Erfahrungen und Bedenklichkeiten, die realen Ängste der Zuschauer bündelte, ihr eigenes Tun und Lassen problematisierte und in Frage stellte. In der Inszenierung des russischen Stückes wurde, ohne die Tatsächlichkeit des Zweiten Weltkrieges hinwegzuwischen, der DDR-typischen Beschwichtigungspolitik mittels kollektiv zu erwerbenden „militärischen Fachwissens“ die Gefahr bannen zu wollen, eindrücklich und nacherlebbar widersprochen: Kriegsspiele sind Todesspiele, hingen doch im Bühnenhintergrund, an der Brandmauer des Theaters, von Anfang an die weißen Totenhemden für die Soldatinnen bereit. Diese Totenhemden waren aber auch bestimmt für die Mädchen, die durch die Figuren der sowjetischen Soldatinnen hindurchschienen – für die jährlich in den GST-Lagern geschulten jungen Studentinnen.

1

Thomas Wolff im Gespräch am 8. Juli 2013.

2

Herbert König in: Knut Lennartz: Vom Aufbruch zur Wende. Theater in der DDR, Sonderdruck, Velber 1992, S. 64.

3

Herbert König: John Millington Synge „Der Held der westlichen Welt“ Konzeptionelle Überlegungen, 14. Oktober 1974, Ormig-Abzug, 4 Seiten, Privatarchiv Thomas Wieck.

4

Volkmar Weitze im Gespräch am 25. Februar 2015. Weitze hat im Herbst 1974 nach einem Theaterwissenschaftsstudiums an der Humboldt-Universität zu Berlin in Brandenburg sein erstes Engagement als Schauspieldramaturg angetreten und dort alle Inszenierungen Herbert Königs begleitet.

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Wera Herzberg im Gespräch am 5. März 2015.

6

Ingeborg Pietzsch: „Theater für Junge Zuschauer Magdeburg. ‚Der Held der westlichen Welt‘ von John M. Synge“, in: Theater der Zeit 4/1974, S. 50.

7

Volkmar Weitze: „Held der westlichen Welt“ Beitrag zur Inszenierungsauswertung, 3 Seiten Typoskript, S. 3, Privatarchiv Volkmar Weitze.

8

Volkmar Weitze im Gespräch am 25. Februar 2015. Mit den vier Programmen sind die zwei Programme des Fernsehens der DDR und die der bundesdeutschen Sender der ARD und des ZDF gemeint.

9

Freie Presse, 24. Juni 1975.

10

Sächsische Neueste Nachrichten, 25. Juni 1975.

11

Anonyme Notiz über die Mitgliederversammlung der Betriebsparteiorganisation der SED am 17. Januar 1975, Stadtarchiv Brandenburg, Theater, unbearbeiteter Bestand AG 02/1.

12

Karl-Heinz Abramowski im Gespräch am 13. Juni 2013.

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DENUNZIERT -

Mit der DDR-Erstaufführung von Horváths Glaube Liebe Hoffnung wurde König durch ein von ihm besonders gepflegtes und souverän gehandhabtes dramaturgisch-inszenatorisches Verfahren republikweit bekannt. Martin Linzer stellt es vor als ein Kunstmittel […], das der Regisseur einsetzt, um eine gegenwärtige Kommunikationsebene zu schaffen. An Drehpunkten der Handlung läßt er, durch ein Stichwort bei Horváth ausgelöst, Schlager singen, während die Handlung sozusagen erstarrt. An einigen Stellen funktioniert das sogar im Sinn der Konzeption über den bloßen Gag hinaus (z. B. beim großen Duett Elisabeth – Alfons): da stellt sich für Momente auf der Bühne eine Schein-Harmonie her, die die gestörte Harmonie in den zwischenmenschlichen Beziehungen der Figuren umso stärker bewußt macht und zugleich eine Kommunikationsebene zum Zuschauer schafft, gemischt aus (unterschwelligem) Verständnis und (bewußter) Distanz1. Bevor dieses Verfahren, das bald nicht nur in Brandenburg ein rotes Tuch für die Mehrheit des Publikums, das dem literarischen Werk Gewalt angetan sieht, und für die Minderheit des Publikums Ausweis einer widerspenstigen Theaterästhetik werden sollte, genauer betrachtet wird, soll die Inszenierung mittels der verlässlichen Beschreibung von Martin Linzer näher vorgestellt werden. Der kritische Betrachter der Brandenburger Aufführung bemerkt, wie klug und genau sich Regisseur Herbert König mit Horváth und der ästhetischen Spezifik seines Werks auseinandergesetzt hat, dennoch hat er meines Erachtens aus den Hinweisen des Autors auch einige fragwürdige Schlüsse gezogen. Stilisierung ist zum Stil, ja teilweise zur Manier geraten. Stilisiert hat Bühnenbildner Carl Hoffmann, der die drei Bilder vor und die zwei Bilder nach der Pause jeweils simultan auf die Bühne stellte: Anatomie – Kontor der Korsettfirma „Irene Prantl“ – Wohlfahrtsamt und Wohnung Elisabeths – Polizeistation; mit dekorativen Attributen ausgeputzte Spielorte, die etwas über die Haltung ihrer Bewohner bzw. Benutzer aussagen, und durch dezente Anachronismen eine Beziehung zur Welt der

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Zuschauer herzustellen suchen: Gartenzwerge auf dem Türsims bei Elisabeth, das moderne Blaulicht über der Tür der Polizeistation u. a. In dieser etwas artifiziell ausgeschmückten Kunst-Welt treibt Regisseur Herbert König nun den Stil künstlich hoch: überdeutlich artikulierter Dialog, stereotype Gesten, fast choreographische Arrangements. Daran ist richtig: er will den „Totentanz“ behaupten (sehr eindrucksvoll der Anfang: der gespenstische Reigen aller Mitwirkenden über die Bühne), er will jedweden Naturalismus vermeiden, das „Milljöh“‚ die Wendung ins „Volksstück“ alten Typus, in die falsche Sentimentalität – er will die Haltungen bewußt machen als Ausdruck eines bestimmten Weltverständnisses. Aber er übertreibt! Der gestelzte Dialog wird zur Manier, der Zuschauer wird nicht aufmerksam, wach gemacht, sondern mit der Zeit eher ermüdet, abgestumpft. Und: die Prozedur, konsequent gehandhabt, läßt am Ende Differenzierungen nicht mehr zu, denunziert unbewußt auch die echten menschlichen, moralischen Ansprüche (wenigstens einiger) der Figuren. Horváth fährt in dem erwähnten Zitat fort: „… die realistisch zu bringenden Stellen in Dialog und Monolog sind die, wo ganz plötzlich ein Mensch sichtbar wird – wo er dasteht, ohne jede Lüge, aber das sind naturnotwendig nur ganz wenige Stellen.“ Aber diese Stellen gehen hier eher unter, etwa wenn Elisabeth sagt (4. Bild): „Das sehe ich schon ein, daß es ungerecht zugehen muß, weil halt die Menschen Menschen sind – aber es könnte doch auch ein bißchen weniger ungerecht zugehen.“ Natürlich ist es eine Illusion zu glauben, „es könnte ein bißchen weniger ungerecht zugehen“, aber Sehnsucht und Anspruch an ein Leben, in dem es gerecht zugeht, sind subjektiv ehrlich und nicht zu denunzieren. Ich mag dem Regisseur nicht nachrechnen, daß er aus anderen Stücken Horváths Texte einmontiert hat, ich mag ihm nicht einzelne Gags ankreiden, die entbehrlich wären (ein Kriminaler, glatzköpfig, mit Lollyball), ich mag nicht diskutieren über einzelne Überspanntheiten (Betonung homosexueller Züge beim Oberpräparator und der Prantl) […]. Zu fragen bliebe jedoch, ob hier ein dem Autor gemäßes Mittel gewählt wurde, oder ob das notwendige Experiment mit dem unausprobierten Stück eines bei uns kaum ausprobierten Autors sich verabsolutiert, auf ungelöste, weil nie ausdiskutierte ästhetische Probleme deutet, die mit dem Stück selbst nichts zu tun haben. Es ist eine Aufführung geworden, die sich engagiert zu Autor und Stück verhält, sicher Irrtümer enthält, aber auch produktive Fragen aufwirft.2

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Linzers Formulierungen bezeichnen die Grenze des zu jener Zeit Sagbaren, mehr zu sagen hätte bedeutet, die Inszenierung ans Messer zu liefern. Dazu war der Kritiker Martin Linzer niemals bereit, dafür war er ganz unbrauchbar. Aus der Beschreibung, wie Herbert König mit den eingestreuten Schlagern umgeht, wird die von ihm angestrebte Kommunikation zwischen Inszenierung und Zuschauern in ihrer gesellschaftskritischen Dimension deutlich, ohne dass Linzer die radikale Entlarvung der DDR-Lebenslüge, die in dieser Inszenierung durch den systematischen Gebrauch des von ihm beschriebenen „Kunstmittel des Regisseurs“ angestrebt wird, ausdrücklich hervorhebt. Die Figuren im Spiel sind von gleicher Haltung, Gesinnung und Verzweiflung wie die Zuschauer, beide Gruppen bedienen sich aus dem seelentröstenden musikalischen Beruhigungstopf der Musikindustrie. Zugleich aber wird durch die schauspielerische Reproduktion solcher Kunstsurrogate, im Moment der tiefen Verzweiflung der Figuren angesichts ihres missglückten Lebens, die ablenkende, versimpelnde, verkitschende, zerstreuende Funktion dieser Musik deutlich dem Publikum um die Ohren gehauen. Dieses Publikum müsste eine etwaige Abhängigkeit von derartigem tröstlichen Musikgut weit von sich weisen, bedarf es doch solchen Trostes nicht, geht es ihm doch, öffentlich allzeit bereitwillig bekundet, gut, wenn nicht bestens. Aber der private, selten eingestandene Konsum solcher Kulturware ist gerade in der DDR immens. Hier schließt sich bestenfalls die Kombattantenschaft zwischen Bühne und Publikum im gegenseitigen Versichern des gleichen Wissens um die ganze Wahrheit des gemeinsamen Lebens in dieser Zeit und darum, wie sich alle ständig etwas vormachen. Die Entfremdungsschraube ist angesetzt und dreht und dreht mit jedem neuen musikalischen Exzess auf der Bühne weiter, kommt erst in der Erkenntnis der Zuschauer zum Stehen, selbst in der Gegenwart so zu agieren, wie die Figuren auf der Bühne agieren und mündet in die Frage, ob es nicht recht wäre, in Zukunft so zu agieren, wie die Schauspieler es tun: gnadenloses Bloßlegen der wirklichen Befindlichkeit, die Beschädigungen vorzeigen, ihr verlogenes Verbergen überwinden und sich zugleich der Hemmungslosigkeit und Schamlosigkeit des momentanen Rausches des Selbstgenusses im exzessiven Ausleben seiner Obsessionen hingeben. Das kann verstörend, wohl aber auch heilend genannt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Herbert König mehrere sehr unterschiedliche räumlich-szenische Entwürfe und Gegebenheiten in seinen Inszenierungen ausgenutzt und ausprobiert, vom detailgetreuen und dennoch leicht verfremdeten Kneipenraum über die fast leere Spielfläche bis zur Überlagerung unterschiedlicher Bilder und Spielorte in einer

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opulent-surrealen Montage eines hochartifiziellen Kunstraumes. In den Brandenburger Produktionen gewinnt König Gewissheit über die ihm eigene Art des Inszenierens. Er hat seine Magdeburger Erfahrungen praktisch umgeschlagen, andere Erfahrungen aufgenommen, zuweilen bewusst kopiert, sei es aus Theater heute, sei es aus dem Fernsehen, aus Filmen, sei es aus anderen Inszenierungen. Aber bei aller stilistischen Suche und unverkrampften Übernahme des guten Fremden bleibt er in zwei methodischen Grundhaltungen ganz nah an den Magdeburger Erfahrungen. Er versucht dem zu inszenierenden Stück in seiner ästhetisch-dramaturgischen Struktur gerecht zu werden, seinen atmosphärischen Reiz einzufangen und seiner poetischen Eigenart nachzugehen. Dabei räumt er seinen Schauspielern im Probenprozess den notwendigen Freiraum ein, damit sie sich in den Situationen und Konflikten des Stückes gespiegelt sehen, ihre reale Lebensumwelt, ihre Zeit, sich selbst in den Texten entdecken. Dadurch wird bestenfalls das Figurenspiel zum Spiel mit der eigenen Existenz, mit den eigenen Erfahrungen. Welches Risiko des Scheiterns, des halben Gelingens nur, aber auch welches verpflichtende Vertrauen in die Bereitschaft der Schauspieler in diesem Verfahren einbeschlossen ist, darüber waren sich alle Beteiligten im Klaren. So sehr König konzeptuell und dramaturgisch für sich allein arbeitet, so sehr ist er angewiesen auf ein Aufgehobensein in und ein Getragenwerden durch eine Gruppe sich ihm öffnender, wohl auch ausliefernder Schauspielerinnen und Schauspieler.3 Er weiß es und nutzt es zu beider Seiten Gewinn. Die Grundansage von König dem Schauspieler gegenüber ist von bestechender Einfachheit und einem großen Vertrauen in die Kreativität des Schauspielers, dabei aber keineswegs frei von einem sublimen Zwang, eine gegenseitige Verpflichtung einzugehen und ihr zu genügen: „Bevor du was machst, was du nicht verstehst, mach nichts. Und warte bis du es kannst, dann tu es. Das kann dauern. So inszenierte er auch, er drängte nicht, er wartete auf seine Schauspieler, so entstand für sie ein sanfter Zwang zum Handeln.“4 Wesentliche Teile der Inszenierung von Yerma im Spätherbst/Winter 1976 wurden in der Abwesenheit Königs von den Schauspielern in seinem Sinn erarbeitet. Herbert König war an der Staatlichen Schauspielschule Rostock gastweise als Schauspiellehrer tätig, ohne dass deshalb die Proben unterbrochen werden mussten. Gerade diese Produktion löste nun den kunstbiographisch folgenreichsten Bruch in der Laufbahn Königs aus. Am 7. Januar 1977 wurde durch den Intendanten die kurz vor der Premiere stehende Inszenierung abgebrochen. Das Verbot dieser Inszenierung, die damit einhergehende Parteistrafe Königs und alle weiteren Folgerungen aus diesem brutalen Eingriff waren kühl kalkulierter

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Schlusspunkt einer umfänglichen politischen und geheimpolizeilichen Aktion gegen König und seine Mitspieler. Den Opfern dieser Willkür war damals die gesamte Tragweite und Ausmaß und vor allem die Hintergründe des Schlags, der auf sie niederfuhr, verborgen. Wie entwickelte sich das verhängnisvolle Geschehen? Schon seit Jahren fungierte und funktionierte das Schauspielensemble an diesem Theater nach Regeln, die dem Rat des Bezirkes Potsdam und der Bezirksleitung der SED zunehmend missfielen. Das Brandenburger Schauspiel, unweit von Potsdam und Berlin gelegen, ist in den 1960er und -70er Jahren eines der wenigen Provinztheater, das immer wieder von Neuem durch junge Regisseure und Absolventen der Berliner und der Potsdamer Schauspielschule zu einem Sammelpunkt begabten Nachwuchses wird, der sich im Schlagschatten von DEFA-Studio und Berliner Theatern immer gewiss sein kann, beachtet zu werden, wenn er denn auf sich aufmerksam zu machen willens und fähig ist. Und das ist der Nachwuchs, der nach Brandenburg geht. Denn genau aus diesem Grunde verpflichtet er sich an dieses Theater in dieser amusischen Stadt. Dass sich hier auch eitle Karrieristen einfinden, liegt nahe. Nicht in der bescheidenen Unterhaltung der Bevölkerung Brandenburgs sehen diese Theaterleute den Sinn ihres Daseins. Sie bedienen kein Stadttheater wohlfeil, sie versuchen Brandenburg für sich umzumodeln zum Starttheater. Diese Entwicklung beginnt mit der Arbeit von Kurt Veth, von Werner Freese fortgesetzt, kulminiert erstmals mit der Arbeit von Bernd Bartoszewski5 und Thomas Vallentin, um in der Arbeit der KönigTruppe zu explodieren. Mit dem Engagement des Regieanfängers Herbert König war ein Regisseur an das Brandenburger Theater gekommen, der mit seiner aufstörenden Inszenierungsweise, mit seinem radikalen theatralischen Zugriff die Schauspieler für seine Ästhetik gewann und mit ihnen zusammen Aufführungen erarbeitete, die den Dogmen eines fad gewordenen sozialistischen Realismus widersprachen. Die Arbeit Königs führte schnell zu einer Polarisierung des Schauspielensembles. Die Gruppe um Herbert König, befeuert durch das gemeinsame lustbetonte Probieren und den Aufmerksamkeitsgewinn bei Insidern und im Bewusstsein bisherige selbstgestellte Schranken zu durchbrechen, strebte selbstbewusst und konsequent auf der Grundlage ihrer Arbeitsweise eine höhere Form der schauspielerischen Mitverantwortung bis hin zur „Selbstverwaltung“ des Theaterbetriebes an. Dagegen stand der um seine Karriere und sein Image fürchtende nominelle Oberspielleiter des Schauspielensembles Jörg Liljeberg, der seine Position als eine ein für allemal verliehene Machtposition begriff und nicht als eine immer wieder durch Leistung neu zu bestätigende Funktion verstehen wollte.

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Der Intendant Gerhard Wruck versuchte zwar das Ensemble zusammenzuhalten und beiden „Lagern“ gerecht zu werden, aber eine Grundsatzentscheidung wurde unausweichlich: entweder König oder Liljeberg. Liljeberg beharrte auf seiner staatlichen Leiterrolle. Ein einsichtiger Mann hätte sich zurückgezogen, nicht er, für den ein souveränes Beiseitetreten unannehmbar war, bedeutete es doch das Eingeständnis einer unverzeihlichen Schwäche. Tatsächlich gelang es den um König versammelten Ensembleteil beim Intendanten die Suspendierung Liljebergs als Oberspielleiter durchzusetzen und ihn vom Regietisch weitgehend fernzuhalten. Rüde ging es schon zu und das Theater ist auch eine Schlangengrube und eine Boxarena und in Brandenburg wurde besonders hart gekämpft – aber Auge in Auge. Diesen Kampf verlor Liljeberg und mit ihm „sein“ Schauspieler Jürgen Hilbrecht. Andere Schauspieler, die Liljeberg aus dem Theater Greifswald, dort war er zuvor Oberspielleiter gewesen, mitgebracht hatte, wandten sich von ihm ab. Dieser Selbstkonstitutionsprozess eines Ensembles durch eine ästhetisch begründete Wahl ihrer Leitung – umgekehrt war es üblicher zentralistischer Brauch – ließ weder die Gegner eines gesellschaftskritischen und modernen Schauspiels innerhalb und außerhalb des Theaters noch die Verächter basisdemokratischer Entwicklungen ruhen. König und die Seinen vergaßen jedoch, die reale Machtsituation nüchtern einzuschätzen, und verschlissen den sie stützenden Intendanten, indem sie um alles oder nichts spielten – mit fatalen Reaktionen seitens der unterlegenen Kontrahenten im Theater und der Staatsorgane außerhalb des Theaters. Einen denunziatorisch tief eingefärbten Einblick in die innere Situation des Theaters und die Beweggründe der ideologischen Verdächtigungen der Arbeit Königs durch seine Gegner vermittelt der Brief des Schauspielers Jürgen Hilbrecht vom 26. März 1976 an das Ratsmitglied für Kultur des Rates des Bezirkes Potsdam Dr. F. Grabe. In seinem fünfseitigen Brief bezichtigt der Schauspieler Hilbrecht drei Mitglieder des Brandenburger Theaters namentlich, nämlich den Regisseur Herbert König, den Dramaturgen Volkmar Weitze und den Schauspieler Achim Wolff, unumwunden antisozialistischer Aktivitäten sowohl in künstlerischer als auch theaterpolitischer Hinsicht. Hilbrecht entdeckt in jeder Inszenierung von Herbert König eine Grundhaltung, die den Prinzipien des sozialistischen Theaters unverhüllt ablehnend entgegenläuft. Denn diese Inszenierungen sind – so stellt sie Hilbrecht dar – geprägt von Pessimismus, Biologismus und propagieren eine anthropologisch-existentialistische Menschensicht. Diese Inszenierungen werden in ihrer

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Summe von Hilbrecht als staatsgefährdende und damit strafwürdige Handlungen Herbert Königs gekennzeichnet. Hilbrecht betont in diesem Brief, dass sich die Mehrheit des Ensembles zu den Inszenierungen und dem Arbeitsstil Herbert Königs bekennt und nur eine kleine Minderheit dem nominellen künstlerischen Leiter des Schauspielensembles Jörg Liljeberg vertraut. Liljeberg soll gehen und König die Oberspielleitung übernehmen, so fasst Hilbrecht die Ensemblemeinung zusammen, die besonders von dem Dramaturgen Weitze und dem Schauspieler Wolff offensiv vertreten und unter Umgehung der arbeitsgesetzlichen Regularien der Theaterarbeit praktisch forciert wird. Hilbrecht motiviert sein Schreiben weitgehend aus seiner künstlerischen Verantwortung dem Publikum gegenüber. Das ist angesichts des skandalösen, plump denunziatorischen Angriffs und der Schwere der Vorwürfe Hilbrechts – es handelt sich um nicht weniger als um strafrechtlich relevante Beschuldigungen – zutiefst abgeschmackt.6 Ab Frühjahr 1976 begann eine akribisch geplante Aktion der staatlichen und parteilichen Aufsichtsorgane gegen den „liberalen“ Intendanten Wruck und die Arbeit von Herbert König. Diese Aktion bedarf genauerer Darstellung, enthält doch diese scheinbar kleine Provinztheaterintrige das komplette staatliche Kontrollschema und -instrumentarium, mit dem die künstlerisch-theatralische Arbeit in der DDR nach 1975/76, ja mehr noch, die Gesellschaft insgesamt durchsetzt und zersetzt werden sollte. Nur aus dem Wissen um diese Mechanismen ist die Besonderheit der Inszenierungsweise eines Herbert Königs und seiner wenigen Kombattanten und Nachfolger vollständig erklärbar und verständlich. Aus der Sicht der SED verlangte die Lage und Entwicklung des internationalen Klassenkampfes Mitte der 1970er Jahre besondere Maßnahmen zum Wohle und zur Sicherheit des werktätigen Volkes der DDR und seiner Verbündeten. Was hieß das aber praktisch für den Kulturbereich? Der Ausbau des gesamten Partei- und Staatsapparates zur Kontrolle des Kulturbetriebes ging mit der Zunahme der MfS-Aktivitäten einher. Primär ging es der SED darum, die innenpolitischen Auswirkungen des „Tauwetters“ nach dem VIII. Parteitag auf die Künstler und die Folgen des vereinbarten Informations- und Kulturaustausches mit dem Ausland besser zu beherrschen. 1975/76 traten eine Reihe neuer Verordnungen in Kraft, die die Zensur verschärften und die Auslandsbeziehungen reglementierten. Nur wenige Tage nach der Ratifizierung der KSZE-Schlussakte von Helsinki ließ der Minister für Staatsicherheit die nach innen gerichtete Tätigkeit sei-

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nes Apparates in jenen gesellschaftlichen Bereichen verstärken, die ihm für die „Politik der menschlichen Kontakte“ besonders anfällig erschienen. Betroffen waren davon auch die Schriftsteller und Künstler, die nach Einschätzung des MfS einen „Hauptangriffsbereich des Klassengegners“ darstellten. Da die internationale Reputation der DDR nicht leiden sollte, war Aufsehen möglichst zu vermeiden. Deshalb gewannen subtile Formen der Einflussnahme und perfide Zersetzungsmethoden in der operativen Arbeit an Bedeutung. Diese Tendenz verstärkte sich nach dem international Aufsehen erregenden Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR im November 1976.7 Im gut abgestimmten Zusammenspiel des Machtdreiecks, in das jedes DDR-Theater eingehegt war, werden die Ansätze eines „anderen“ Theaters in Brandenburg innerhalb eines Jahres zerstört. Der Rat des Bezirkes hebelt den Spielplan und damit den Intendanten aus. Das MfS kriminalisiert und zersetzt die widerspenstigen Gruppierungen in der Belegschaft des Theaters. Die Kreisleitung der SED lanciert einen neuen, berufsfremden und außengelenkten Intendanten. Der eigentliche Dienstherr des Theaters, der Oberbürgermeister, hat in diesem Spiel keine Rolle, keine Stimme. Und die, denen das Theater nominell als Produktionsstätte und -mittel gehört, die Bürger innerhalb und außerhalb des Theaters, stehen stumm und starr daneben und lassen es geschehen. Der genehmigungspflichtige Spielplanentwurf der Saison 1976/77 ist ein willkommener Anlass die Machtfrage zu stellen. Der Entwurf wird als durchgängig zu schwer und zu wenig unterhaltsam und folglich den angeblichen Interessen und Bedürfnissen der Arbeiterklasse zuwiderlaufend verworfen. Die Erfahrungen der letzten Jahre beweisen, daß eine Häufung komplizierter Inszenierungen weder im Ensemble, noch in der Regie, schon gar nicht beim Publikum durchgestanden werden. Im Rahmen eines ausgewogenen Spielplans halten wir es für möglich, daß eine Inszenierung dabei ist, die nicht einem breiten Publikum zugänglich ist. Im Rahmen unserer Analysetätigkeit zur Leitungstätigkeit am Brandenburger Theater werden wir das Gespräch über den Spielplan im Bereich des Schauspiels weiterführen.8 Zum Zeitpunkt dieses Schreibens ist bereits eine Analyse der Leitungstätigkeit am Brandenburger Theater durch den Rat des Bezirkes im Brandenburger Theater in Arbeit und sie fördert das zu bestrafende Ver-

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gehen in gewünschter Klarheit zutage: „Der Intendant ist nicht in der Lage, über Jahre ein stabiles Kollektiv von Leitungskadern am Theater aufzubauen. Die Ursachen sind ideologischer Natur und in Fehleinschätzungen begründet sowie der fehlenden menschlichen Reife als Leiter.“9 Die Bezirksleitung der SED, völlig erschüttert ob der Sorglosigkeit der Parteileitung und des Liberalismus des Intendanten Wruck, schlägt einen radikalen Personalschnitt vor, um das Theater aus den ideologischen Niederungen zu reißen: Vorschlag zur Lösung: 1. Abberufung des Intendanten, Gerhard Wruck, und Hilfe für seine weitere Tätigkeit 2. Entlassung [handschriftlich geändert in: „Annahme der Kündigung“] von Gen. Herbert König (Regisseur) und nach Wunsch auch der Schauspieler 3. Gen. Liljeberg nimmt die angebotene neue Tätigkeit im Theaterverband an oder sucht sich eine neue Tätigkeit. […] Seine jetzige Beurlaubung ist aufzuheben. 4. Die staatlichen Leitungen des Bezirkes und der Stadt suchen einen neuen Intendanten10 Am 21. April beschließt das Sekretariat der Kreisleitung, den Genossen Wruck von Herbst 1976 bis Sommer 1977 auf die Bezirksparteischule der SED zu delegieren.11 Zuvor aber wurde der Genosse Wruck veranlasst, gleichsam als letztes Treuebekenntnis gegenüber der ihn maßregelnden Behörde mit dem Genossen Herbert König ein Gespräch zu führen, in dessen Konsequenz König aus dem Theater auszuscheiden hatte, freiwillig aus höherer Einsicht oder gezwungen. Der Intendant pariert und weiß zu berichten, König habe dem ihm dringlich nahegelegten Aufhebungsvertrag mündlich zugestimmt. Aber – so gibt Wruck zu bedenken – ob er dies auch in der rechtsverbindlichen schriftlichen Form tun werde, bleibe fraglich.12 Zeitgleich zu diesen ordnungsgemäßen arbeitsrechtlichen Schritten lief eine zweite verdeckte Aktion an, ein geheimpolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen Herbert König und seine „Truppe“. Denn einer der intrigantesten und einflussreichsten IMs im Theaterbereich war durch die künstlerische Arbeit Königs unmittelbar betroffen. Durch seine neidgesteuerten politischen Denunziationen wurde das Ministerium für Staatssicherheit in die Aktion einbezogen. Am 7. April 1976 schrieb Oberst Haebler von der Bezirksverwaltung Berlin des MfS an die Bezirksverwaltung des MfS in Potsdam:

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Im Rahmen der Vorgänge „Erbe“ und „Schnittpunkt“ ist der IMV „Romeo“ eingesetzt, der in Ihrem Verantwortungsbereich beruflich tätig ist. Durch diesen IM wurden in letzter Zeit Hinweise erarbeitet, daß ein Mitarbeiter des Brandenburger Theaters engen Kontakt zu den in den genannten Vorgängen bearbeiteten Personen unterhält und Versuche unternimmt, deren negative politisch-ideologische Position auch im Brandenburger Theater zur Wirkung zu bringen.13 Der Vorgang „Schnittpunkt“ erfasste die geheimpolizeiliche Bearbeitung und Verfolgung Adolf Dresens, der Vorgang „Erbe“ erfasste Volker Braun. Der noch namenlose Mitarbeiter des Theaters Brandenburg ist Herbert König und der „IMV Romeo“ ist identisch mit dem Brandenburger Oberspielleiter Jörg Liljeberg. Liljeberg hatte 1974/75 Herbert König engagiert, seitdem schwammen ihm, wie schon beschrieben, künstlerisch die Felle weg, das Ensemble wandte sich in großen Teilen von ihm ab und dem Newcomer König zu. Da rief der unterlegene und abgesetzte Oberspielleiter Liljeberg seinen Doppelgänger „IMV Romeo“ zu Hilfe. „Romeo“ lud die politische Geheimpolizei ins Brandenburger Theater ein. Liljeberg belog in der Maske des „Romeo“ die Stasi-Offiziere aus Eigennutz, gab es doch nachweislich keinen „konspirativen Draht“ zwischen Volker Braun, Adolf Dresen und Herbert König. Das war eine von grob gedrehte Schlinge, die aber liebend gern vom MfS im Januar 1977 zugezogen wurde, war doch König keineswegs ein unbeschriebenes Blatt für das MfS. Jürgen Hilbrecht verschärft die Situation systematisch weiter. Am 19. April 1976 führt er ein Kontaktgespräch in der Kreisdienststelle des MfS mit dem Oberfeldwebel Herrmann und gibt laut dessen Bericht an, dass seit dem Auftauchen Königs am Brandenburger Theater dieser begann, Schauspieler um sich zu sammeln, um seine Zielsetzung durchzusetzen. Nach Meinung des H. ist die Zielstellung von K. die Leitung des Brandenburger Theaters zu Fall zu bringen. Begünstigend für dieses Vorhaben ist die Kontrastellung König/Liljeberg und die liberale Haltung des Intendanten Wruck. Gerhard. König vertritt politisch-ideologisch falsche Ansichten. Er ist ein Gegner der Kulturpolitik der DDR. Als Vorbilder hat König Peter Stein, Schaubühne Westberlin, und andere westdeutsche Kulturschaffende. Hilbrecht berichtete außerdem ungefragt, die meisten Personen des genannten Personenkreises (um König) bezögen aus Berlin (West) und der BRD Literatur und Zeitschriften.14

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Die Mitteilung von Hilbrecht bestätigt den Hinweis des IMV „Romeo“ vollkommen und ergänzt ihn um den Verdacht eines feindlichen Zusammenschlusses im Theater Brandenburg. Diese Denunziation zwingt die Mitarbeiter des MfS ihrem Selbstverständnis gemäß, womit der Denunziant rechnete, zum Eingriff und zur Einleitung eines Operativen Vorgangs mit dem Ziel, strafrechtlich relevante Handlungen der Gruppe „König“ aufzudecken. In Vorbereitung auf alle durchzuführenden geheimdienstlichen Maßnahmen gegen König und seine Gruppe werden die Genossen der KD Brandenburg in das ihnen fremde Theater-Terrain im Juli 1976 von den hauptstädtischen Experten eingewiesen.15 In den Theaterferien Sommer 1976 wird Gerhard Wruck abberufen und der neue Intendant Hans-Joachim Pollok bestellt. Er soll übergangsweise in der Spielzeit 1976/77 amtieren, bis Wruck nach seinem Schulbesuch die Amtsgeschäfte wieder übernehmen kann, meldet die Märkische Volksstimme unter der Rubrik „Neues aus dem Rathaus“ am 15. August 1976.16 Pollok ist völlig theaterunerfahren und deshalb und auch aufgrund seiner beruflichen Vorgeschichte als Sektorenleiter der Kreisleitung Brandenburg Wachs in fremden Händen. Pollok muss Rat und Schutz zugleich suchen. Das MfS freut es. Und nun, am 3. September 1976, kann die KD Brandenburg des MfS unter der Registriernummer IV/1090/76 den OV „Chef“ gegen Herbert König und weitere drei Mitglieder des Brandenburger Schauspiels wegen des Tatbestandes § 106 StGB einleiten, ist doch jetzt mit dem neuen Intendanten ein auskunftsfreudiger und leicht zu disziplinierender Kader an der rechten Stelle. Alle künftigen Maßnahmen gegen König werden durch die neuinstallierte staatliche Leitung erfolgen und das MfS kann von außen und von innen den Lauf der Dinge verfolgen, ohne sich selbst in irgendeiner Form einzumischen oder zufälligerweise gar seine theaterinternen IMs zu dekonspirieren.17 In dem OV „Chef“ soll ein negativer Personenkreis am Brandenburger Theater bearbeitet werden, welcher sich mit antisozialistischem Gedankengut auseinandersetzt und versucht, dieses wirksam zu verbreiten. Die durch diesen Personenkreis vertretene antimarxistische Richtung stellt ein Gemisch verschiedener Spielarten aus dem Bereich des Trotzkismus, Maoismus und Anarchismus dar. Die Anschauungen dieses Personenkreises wurden bei Inszenierungen sichtbar. Der antisozialistische Standpunkt wurde bereits in der Öffentlichkeit bei Diskussionen mit jugendlichem Theaterpublikum vertreten.18

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Die Kriminalisierung der Gruppe um Herbert König durch das MfS geschieht auf Grundlage einer einzigen privaten und ungeprüften denunziatorischen Falschaussage. Die Verkommenheit des Systems wird offenkundig, bietet es doch einer bestimmten Spezies Bürger dieses Landes die Möglichkeit ihre eigene Karriere aufzubauen und die anderer zu vernichten, ohne sich im offenen leistungsorientierten Konkurrenzkampf stellen zu müssen. Diese private Instrumentalisierung des MfS gehört zu den weniger beachteten Eigenheiten des sozialistischen Staates, ist aber, soweit mein Eindruck, besonders im künstlerischen und wissenschaftlichen Bereich nicht selten gewesen. Herbert König hatte zwei Aktionen des MfS, das Vorgehen gegen Meves und die Vertreibung von Jürgen Gosch aus Schwerin, unmittelbar und mittelbar in ihrem Ablauf kennengelernt und spätestens mit der Entfernung seines Brandenburger Intendanten Wruck musste er wissen, nun selbst zum Opfer eines solchen Vorgangs zu werden, ohne dass er auch nur die Spur einer Chance des Widerstands hatte. Er ist wehrlos, frei zum Abschuss und die IM-Quellen sprudeln auftragsgemäß. Tonbandabschrift Brandenburg, den 2.11.76 Bericht zu Herbert König und Jürgen Gosch Ich besuchte auf Weisung des Intendanten die Generalprobe der Gosch-Inszenierung „Die Ausgezeichneten“. Was sich da auf der Bühne darbot, zeigte eine negative Einstellung zu unserem Staat, zu unserer Politik und zu unserer Partei. Durch Gosch wurden Tatsachen verdreht und auf den Kopf gestellt. In diesem Stück wird der Sozialismus der bei uns herrscht verstellt und schlecht dargestellt. Dieses Stück wurde durch den Intendanten abgesetzt. Herbert König war einer der stärksten Verfechter der Gosch-Inszenierung. Neben K. setzte sich auch xxxxx sehr stark dafür ein, daß diese Inszenierung zur Aufführung kommen sollte. Es gab Äußerungen wie: „Ihr habt keine Ahnung wie es im Leben aussieht; ihr wart noch nicht in den Betrieben; ihr kennt die tatsächliche Lage nicht; was auf der Bühne gezeigt wurde, entspricht den Tatsachen.“ Daß Herbert König eine so negative Einstellung zu unserer Politik hat, ist mir jetzt erst richtig klar geworden. Es wird in Zukunft noch öfter zu Auseinandersetzungen wegen pol. ideologischer Fehlleistungen bei Inszenierungen kommen. gez. „Ursel“19 Die Information über das Eintreten Königs für Jürgen Gosch beweist der KD Brandenburg, dass König einem Netzwerk antisozialistischer

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Theaterkünstler angehört. Denn Gosch war spätestens seit Ende 1975 – so wie Herbert König ein paar Monate später – auch unter dem denunziatorischen Vorwand der Bildung einer feindlichen Gruppierung aus dem Theater getrieben und dem MfS-Visier ausgeliefert worden. Diese Aktion lief als OV „Revisionist“ am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin ab und wurde im Sommer 1976 aus Sicht des MfS erfolgreich beendet. Gosch und die mit ihm engagierten Schauspieler Heidrun Schneider, Carin Abicht, Jörg Gillner, Klaus Brasch wurden sämtlich gekündigt oder zu Aufhebungsverträgen gedrängt. Auch in diesem Fall erfolgte die Denunziation durch konkurrierende Kollegen.20 Die KD Brandenburg wurde über den Schweriner OV „Revisionist“ informiert, da Jörg Gillner und Carin Abicht offenbar ein Engagement in Brandenburg erwogen und wahrscheinlich auch von König guten Mutes in Aussicht gestellt bekommen hatten.21 Aus diesem Engagement wurde nichts. Wohl aber konnte zumindest Jürgen Gosch die ihm ursprünglich in Schwerin zugesagte, dann aber von Christoph Schroth wieder entzogene Inszenierung von Regina Weickers Die Ausgezeichneten in Brandenburg beginnen – allerdings nicht beenden. Am 4. November 1976 findet eine richtungsweisende Spartenversammlung des Schauspielensembles statt. IMV „Romeo“ scheint tief verstört und berichtet dementsprechend sprachlich desolat nach Berlin (!): Die Tagesordnung der Spartenversammlung bestand der Reihenfolge nach aus drei Punkten: Als erstes gab der Intendant die Absetzung der Inszenierung „Die Ausgezeichneten“ bekannt, die durch den Regisseur Gosch durchgeführt worden war mit der Begründung einer prinzipiellen Richtung, die gegen Grundprinzipien der Politik unseres Staates gerichtet war. Als zweiten Punkt wurde behandelt die Wiedereinsetzung des Oberspielleiters Liljeberg in die Rechte und Pflichten und als dritten Punkt gab der Intendant die Verlängerung des Kündigungstermins bis zum Ende des Monats November bekannt.22 Die Schauspielergruppe um Herbert König wehrt sich vehement gegen diese drei Entscheidungen und spricht sowohl dem neuen Intendanten als auch der Bezirksparteikontrollkommission der SED Kompetenz und Befugnis ab, in künstlerische Prozesse einzugreifen sowie personalpolitische Entscheidungen im künstlerischen Bereich des Theaters zu fällen. Renate Krößner, Achim Wolff, Thomas Wolff, Renate Siegl, Bernd Stegemann und Herbert König reden Klartext. Der berichtende IMV verschweigt die Reaktionen der anderen Ensemblemitglieder und natürlich

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die seinige wie die des Intendanten Pollok. Allein der Parteisekretär der SED-Grundorganisation des Theaters verteidigt brav die verkündeten Entscheidungen, worauf er aber durch den Einwurf, vor einer Woche habe er noch anders gesprochen, zum Schweigen gebracht wird. Allem couragierten Widerstand ist natürlich nur ein moralischer Sieg vergönnt. In der Sache ist der Kampf aussichtslos geworden. Herbert König hatte die erste Auseinandersetzung mit dem neuen Intendanten und der eingeknickten Parteileitung des Theaters verloren. Er reagierte schnell und entschlossen, indem er sich sofort an anderen Theatern in der Republik bewarb. Doch diese Bewerbungen bleiben nicht vertraulich. Die Intendanten sind in diesem Land selten nur auf Treu und Glauben orientierte seriöse Sachwalter der künstlerischen Interessen ihrer Mitarbeiter und zu wenig auf den Schutz der persönlichen Integrität der ihnen sich anvertrauenden Künstler bedacht. Ihre zu diesem Zeitpunkt unumgängliche Parteizugehörigkeit schließt das aus. Denn wenn sie schon gut sein möchten, so sitzt ihnen doch der eigene Parteisekretär im Nacken oder ihr eigenes Parteibewusstsein oder Angst vor dem Verlust des Amtes. KD-Brandenburg Brandenburg, d. 23.11.76 Quelle Intendant des BT Pollok Bericht zu Herbert König Regisseur BT Dem Intendanten wurde durch den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung empfohlen, den Regisseur König zu veranlassen, daß dieser freiwillig das BT verläßt. Jedenfalls soll keine Kündigung ausgesprochen werden. König, der wahrscheinlich ahnt, daß man sich von ihm trennen will, hat sich schon in Nordhausen als Oberspielleiter beworben. Nach Rücksprache des dortigen Intendanten mit dem Gen. Pollok wurde von einem Engagement des König Abstand genommen. Der Gen. Pollock wird mit König eine Aussprache über das zur Zeit geprobte Stück „Yerma“ führen, in der er ihm mitteilen wird, daß die Theaterleitung mit der Konzeption des König nicht einverstanden ist. König wird sich weiter in seiner Freiheit beschnitten sehen und selbständig kündigen. He.23 Zu allem Unglück erscheint im Dezemberheft von Theater der Zeit der erste der insgesamt fünf Verrisse von Herbert Königs Inszenierungen in dieser Zeitschrift. Über die Inszenierung von Athol Fugards Hallo und Adieu schreibt das Redaktionsmitglied Ingeborg Pietzsch:

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Nichts von alledem in der Brandenburger Inszenierung (Regie und Ausstattung: Herbert König). In einem trüb erleuchteten Zimmer (so trüb, daß man die Gesichter der Darsteller mehr erahnt, als erkennt) spielt sich das Geschehen ab. Der Milieurealismus des Bühnenbildes – im 2. Akt gesteigert durch die durchwühlten Kartons und herumgestreuten Sachen – verhindert bereits, daß die eigentliche Stückproblematik deutlich wird, die Haltungen der beiden Figuren als gesellschaftlich-relevante erkennbar sind. Die Personen erscheinen determiniert durch ihr Milieu. Hester (Christiane Schuster) ist laut, grob, von sinnlich-sexuellem Übereifer – ständig darf sie ihre Repliken in einer Pose der gespreizten Schenkel vortragen. Johnnie (Thomas Wolff) ist verklemmt, (ungekonnt) ungeschickt. Die Figuren sind statisch – ohne Entdeckungen für den Zuschauer angelegt. Die Situation gewinnt schier Fatalistisches. Der Kampf Hesters um Johnnie ist gering, der Abschied klein, der Versuch, Spuren von sich selbst in Erinnerungsstücken zu finden, die Verzweiflung über das Scheitern kaum erkennbar. […] Hester, die von sich selbst sagt, sie habe nie in ihrem Leben Glück erlebt, findet (in der Inszenierung!) unter all dem Trödel einen Brummkreisel, den sie aufzieht, dem sie lauscht und vor dem sie zum Kind wird. Die Träume der Jugend, so will uns wohl die Inszenierung sagen, haben sich nicht erfüllt. Aber das ist falsch. Hester und Johnnie hatten keine Kindheitsträume und gerade deshalb ist Hester von zu Hause durchgebrannt. Es gab nur eine elende, verstörte Kindheit – und daraus verletzte und verletzende Lebenshaltungen. Die Dialoge zwischen Johnnie und seiner Schwester sind nicht einfach direkt – laut oder monologisch-leise, nicht vordergründig-ordinär oder verklemmt-überreizt. Sie sind ganz normal (weil zigmal durchprobiert) und dann werden sie böse und aggressiv und ihnen folgt das Schweigen, das auf die Entfernung zwischen diesen Leuten verweist. Das will inszeniert und das will gespielt sein. In Brandenburg war es nicht zu sehen.24 Vor Erscheinen dieses König jede Befähigung zum Inszenieren absprechenden Pamphlets hatte im Oktober der VT im Rahmen seines zweitägigen Colloquiums zur Interpretation der Stücke Fugards die Inszenierung nach Berlin eingeladen und im Künstlerclub Möwe vorgestellt. In der kollegialen und unvoreingenommenen Debatte über diese und andere Inszenierungen von Stücken Athol Fugards äußerten sich der Regisseur wie der Dramaturg über ihr Interesse und ihren Umgang an dem Text. Herbert König: Was uns eigentlich interessiert hat, ist diese krasse Form der fast unmenschlichen Abhängigkeiten unter Weißen, wie sie

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Fugard in diesem Stück gestaltet. Die Figuren in „Siwze Bansi ist tot“, „Die Insel“ oder auch in „Haut und Haar“ bieten immerhin individuell oder punktuell Ansätze eines Ausbrechens. Bei „Hallo und Adieu“ sehen Hester und Johnnie keinen Ausweg, bleibt nur die Flucht in den Mythos … und das merkwürdigerweise in einem Stück, in dem nur Weiße auftreten.25 Volkmar Weitze: […] wir stellten fest, daß die Familienbeziehungen zwischen Bruder und Schwester, daß diese Entschlüsselung der gemeinsamen Vergangenheit, auch der Versuch, eine glückliche Kindheit zu finden, uns eigentlich viel gelehrt hat. […] Diese extrem oder […] sehr deutliche psychologische Komponente, die […] bei diesem Stück ganz entscheidende Bedeutung. Deswegen ist das Interesse […] der Schauspieler und des Regisseurs so deutlich gewesen. Bloß, daß diese Aufgeschlossenheit bei den Zuschauern natürlich nicht entsteht, weil das Stück in einem Bereich spielt, in dem man sich nicht gerne hineinsehen läßt, weil man ungern bestehende Spannungen, Aggressionen so zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht sehen will – sei es im privaten Bereich, sei es bei einem Zuschauergespräch im Theater. Eine andere Haltung wird man so bei den Zuschauern nicht erreichen.26 Beide betonen deutlich, dass sie im Text von Fugard sehr gegenwärtige Verhaltensweisen und Handlungsstrategien aus der Welt ihrer Zuschauer entdeckten und keineswegs eine Geschichte aus einer fremden fernen Welt inszenieren wollten. Das konnte oder wollte die Kritikerin nicht erkennen, möglicherweise verkannte sie auch Fugards Figurengestaltung und glaubte, diesen Figuren käme der auf dem Theater in der DDR gepflegte moderate und weichgespülte psychologische Realismus besonders entgegen. Das Colloquium war deshalb besonders wichtig, weil in seinen einleitenden „Anmerkungen zu Athol Fugard“ Joachim Fiebach darauf verwies, welche Besonderheiten beim Spiel Fugards zu beachten seien: Der menschliche Körper im Raum, seine Bewegung, sein Verhalten, also seine körperliche, gestische Äußerung sind ihm gleichwichtig wie die Stimme, das Reden. Der so wesentliche Umgang mit den wenigen einfachen Dingen und Verrichtungen, das körperliche Verhalten zu ihnen, wie auch der Verkehr zwischen den Figuren ist so vom Gestischen her zu sehen. Körperliche, ganzheitliche Beziehungen oder – anders ausgedrückt – auch Pantomimisches haben große Bedeutung. Sie vermitteln oder machen die Pause, das Schweigen,

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die Pausen, die für Fugards Dramatik wesentlich sind. Das Ringen um Ausdruck, um Verständigung, um Kontakt mit den anderen vollzieht sich oft schweigend, still in Sprachlosigkeit. Solches Ringen ist ein Bestandteil, ein Merkmal der Entfremdungssituation wie des Bemühens, diese zu überwinden. […] Die Dramaturgie Becketts und angemessene Inszenierungen seiner Stücke […] wären Anschauungsmaterial, um deutlicher die Möglichkeiten zu sehen, die in der Dramaturgie Fugards liegen.27 Eine derartig deutliche Beschreibung der theatralischen Gestaltungsmittel, um der Entfremdung Ausdruck zu verleihen und sie gleichzeitig kenntlich in ihren Ursprüngen zu machen und der direkte Bezug auf die dringlich werdende Notwendigkeit für die Theater in der DDR Beckett zu rezipieren, da dessen Texte und Inszenierungen die zeitgenössische internationale Dramatik in hohen Maße bestimmten, war eine der seltenen öffentlichen Forderungen nach einer ästhetischen Öffnung, selbst wenn es nur die segmentierte Fachöffentlichkeit eines Colloquiums des VT war. Was aber war kurz vor diesem unverblümten Gespräch zwischen Fachleuten über ihr Theater, das nicht das Theater der Verwalter war, in Brandenburg am Theater geschehen? In Brandenburg war von den Fachleuten der Gegenseite umsichtig das Treiben von Jürgen Gosch verfolgt und seine Inszenierung von Die Ausgezeichneten am Tag der Generalprobe verboten worden. An dieser Inszenierung schieden sich aber selbst im Ensemble die Geister, manchen erschien die Inszenierung wohl gar zu kritisch und als Beitrag zum Jahrestag der Republik degoutant. Die Inszenierung war – und hier hatten ihre Kritiker recht – eine eindeutige Absage an dieses Land, wie es geworden war, nicht wie es noch immer werden konnte, wenn sich dies und das und jenes und eigentlich fast alles zum Guten wenden ließe. In einfachen Worten wird dieser hilflose Verweis auf einen nebulösen, irgendwie anderen Sozialismus auf dem Umschlagtitel des Programmheftes vorgestellt: Ich lehne die Auszeichnung ab, denn ich bin der Meinung, daß unsere Brigade noch lange kein echtes Kollektiv ist. Wir haben uns ein Jahr lang gegenseitig was vorgemacht, uns Honig ums Maul geschmiert, wenn es konkret wurde, blieb von dem sogenannten Kollektiv nichts übrig. Ich fühle mich in dieser Abteilung nicht wohl und ich hab mich noch nie wohl gefühlt. Und ich nehme die Auszeichnung nicht an, weil ich der Meinung bin, daß sie nicht gerechtfertigt ist. Ein sozialistisches Kollektiv stelle ich mir anders vor. Elvira Gruner.28

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Wie dieses sozialistische Kollektiv aussehen sollte, das beschrieb weder Stück noch Inszenierung, und so blieb es schließlich bei der alternativlosen Absage an den Sozialismus in der DDR. In diesem scheinbar banalen Text verbirgt sich die Dialektik des Scheiterns des Sozialismus in der DDR. In dem deutschen Teilstaat diesseits der Elbe geriet immer mehr die marxistische Philosophie und in ihrem Gefolge alle theoretisch-geistige Produktion in die Abhängigkeit der marxismusfeindlichen Parteiideologie. In der historischen Zwangslage, den Sozialismus aufbauen zu müssen, hatte sich die marxistisch gesonnene Intelligenz und Künstlerschaft der DDR spätestens Mitte/Ende der 1970er Jahre moralisch verschlissen. Und so blieb der deutsche Teilstaat jenseits der Elbe der einzige Ort, in dem ungestört über einen demokratischen oder menschlichen Sozialismus theoretisiert werden konnte – allerdings aus der Sicherheit heraus, niemals dieses Konstrukt gesellschaftspraktisch realisieren zu können oder gar zu müssen. Das gab der westdeutschen linken Intelligenz ein Superioritätsgefühl und -gehabe, wie es in Deutschland die Theorie der Praxis gegenüber seit alters her gewohnt war einzunehmen. Sich auf diesem Theoriediwan behaglich zu räkeln und frei weg zu spekulieren, mochte einer im alltäglichen sozialistischen Klein-KleinKrieg ermüdeten und erschlafften östlichen Intelligenz immer verlockender erscheinen. Jetzt wollte sie nicht mehr praktisch sein und einem Entwurf zuarbeiten, der immer unschärfer im Irgendwann verschwamm. Sie begann sich als verhältnismäßig kohärente Schicht aufzulösen. Einzelne Gruppierungen und Personen gingen ihren privaten Wegen nach, verabschiedeten sich noch innerhalb des DDR-Staates aus der problematischen politischen Teilhabe – oder sie verabschiedeten sich gleich in den anderen deutschen Teilstaat. Andere mästeten sich parasitär an den schwindenden materiellen Überresten des von ihnen miterbauten, nun von ihnen schamlos ausgeweideten Systems. Wieder andere trotteten schicksalsergeben im engen ideologischen Kreis. Wieder andere, wenige aber nur, lehnten radikal jedwedes nichtkapitalistische Gesellschaftssystem ab und traten alternativlos, aber illusionslos für die kapitalistische Gesellschaft ein. In diesem System sahen sie die einzige Möglichkeit, ein allein individuell verantwortetes und verfügtes Tun und Lassen leben zu können. In diesem System glaubten sie, ihrer Intellektualität gemäß ein praktisches Leben in der Theorie führen und so ihr Ideal einer selbstbewusst angestrebten Dissidenz verwirklichen zu können, den bürgerlichen Individualismus zu leben. Sie rückverwandelten sich zum klassischen bürgerlichen Intellektuellen, der allein eigenem Gutdünken gehorchend in die öffentlichen Geschäfte hineinsprach oder sich aus ihnen zurückzog, dabei immer darum besorgt, seiner Passion,

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seinem selbstgestellten, selbstverantworteten Lebensplan treu zu bleiben. Diese gelebte Unabhängigkeit zu verteidigen, war in der öffentlichkeitsgeilen Umwelt schwer genug. Dies mag ein Grund gewesen sein, warum sich keine politisch wirksam organisierte Opposition zur DDR in der Bundesrepublik aus den Reihen der Übersiedler, Flüchtlinge und wider Willen Vertriebenen zusammenfinden wollte. Ob fiktional oder dokumentarisch, dieser kleine Programmhefttext war nicht misszuverstehen, so wenig wie die Inszenierung, die ein präzises Protokoll alltäglicher Entfremdungen vorstellte, wie alle Erinnerungen bezeugen. Von welcher politischen und gesellschaftlichen Brisanz all die Versuche waren, die real-sozialistische Gesellschaft als Brutstätte einer neuen, einer sozialismuseigenen Entfremdung zu entlarven, davon vermittelt das historische Resümee von Fritz Behrens nach 1989 einen Eindruck: Die Aufhebung der Entfremdung ist – trotz aller Reklamationen, sie bestehe nicht mehr – im realen Sozialismus nicht gelungen. Die Entfremdung ist in der sozialistischen Variante des Staatsmonopolismus aber noch größer als in seiner kapitalistischen, weil die Transparenz gesellschaftlicher Verhältnisse doch infolge der wild wuchernden Partei- und Staatsbürokratie mit ihren Präferenzen und Privilegien noch geringer ist als in dieser, wo aufgrund der – wenn auch „nur“ formellen – bürgerlichen Demokratie eine öffentliche Meinung und die Möglichkeit der Kritik sogar an den herrschenden Verhältnissen besteht. Der Mensch vereinzelt sich innerhalb des historischen Prozesses, dem er verfallen ist, und er vereinzelt sich in diesem Prozess zum Trotz oder auch am Rande dieser Prozesse. Das zeigt das politische und kulturelle Leben im realen – staatsmonopolistischen – Sozialismus. Aber wenn es eine Einmaligkeit des Individuums gibt – und der Glaube hieran ist ein Erbe der europäischen Tradition, das der Marxismus aufbewahren will –, dann ist die wesentlichste Einmaligkeit jene, die den Kern des Problems ausmacht: gerade die der historisch gesellschaftlichen Persönlichkeit als solcher. Das Individuum ist ein Individuum als allgemein gesellschaftliches, aber als gesellschaftliches ein einmaliges historisches Geschöpf. Auch der Marxismus – als Erbe und im eigenen Verständnis Vollender des sozialistischen Gedankens – will den Menschen befreien, nicht ein Abstraktum, irgendein Kollektiv, sondern das Individuum, so wenigsten stand es im „Kommunistischen Manifest“29. Die beiden theaterpolitischen Ereignisse dokumentieren den Riss zwischen ernsthafter wissenschaftlicher Theorie wie individueller künstleri-

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scher Praxis einerseits und angemaßter staatlicher Verfügung über alle Gesellschaftsbereiche andererseits – und sie bewiesen damit die Unmöglichkeit eines lebenswerten Zusammenfindens von Staat, Gesellschaft und Individuum im gemeinschaftlichen Verändern der Umstände der Produktion, der Produktion selbst und der Produzenten. Die „Biermann-Affäre“, ausgelöst am 16. November 1976, illuminierte blitzartig die realen Verhältnisse. Die sozialistische Gesellschaft war unfähig geworden, sich selbst praktisch zu kritisieren. Entgegen aller marxistischen Forderung nach einer Gesellschaft, in der sich die menschliche Totalität der Einzelnen frei entfalten soll, scheute die reale sozialistische Gesellschaft gerade vor dieser Aufgabe zurück. Sie verweigerte dem Einzelnen, sich in ihr nach seinem Bilde bilden und verwirklichen zu können. Das selbsttätige Gestalten des Bildes seiner selbst verwehrt ihm diese Gesellschaft besonders dann, wenn er sich auf eine selbstgewählte Art und Weise marxistische Anschauungen zu eigen machen wollte, weil er sich dieser Gesellschaft verpflichtet fühlte und sie als dringlich verbesserungswürdig ansah. Sie hatte für einen solchen Einzelnen nur das gestanzte Bild des „sozialistischen Menschen“ in Bereitschaft, dem er sich zu fügen und einzupassen hatte. Die lockere Floskel „Im Sozialismus geht alles seinen Gang“ ist die präzise Beschreibung der damaligen gesellschaftlichen Wirklichkeit. In dieser Gesellschaft geht etwas seinen Gang. Wer gibt den Gang vor, wohin führt der Gang, was ist es, das da geht? Was da geht, das ist der Sozialismus, ein Phantom beherrscht und kujoniert die Gesellschaft. Dem Sozialismus zuliebe hat alles zu geschehen und geschieht alles. In diesem Riss zwischen marxistischer Theorie und sozialistischer Gesellschaftspraxis, dem Kern der sozialismuseigenen Entfremdung, der sich in den 1980er Jahren zum Abgrund weiten sollte, in dem die sozialistische Staatlichkeit schließlich auch versank, operierte jedes ernsthafte Theaterspiel in diesem Lande, immer dem Verbot nahe. Unverdrossen arbeiten König und seine Schauspieltruppe weiter, wenngleich anzunehmen ist, dass sie bereits wissen, den Kampf verloren zu haben, dass ihr Versuch, ein Theater der Produzenten zu behaupten, gescheitert ist, dass das Brandenburger Theater nun zum zahmen Stadttheater parteilicher Provenienz zugerichtet wird und dass ihre Zukunft anderwärts liegt. So geht die Truppe ihre letzte Arbeit an. König war es noch vor dem Intendantenwechsel gelungen, für die Inszenierung der tragischen Dichtung Yerma von Garcia Lorca die beiden Schauspielerinnen Wera Herzberg und Katrin Martin gastweise zu engagieren. Dramaturg Volkmar Weitze notiert am 22. Oktober, ermutigt durch das Fugard-Colloquium, in seinem theaterinternen Arbeitspapier „Zur Konzeption von Yerma“:

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Soll Yermas Exzeßhandlung in ihrer ganzen Bedeutung interpretiert werden, läßt sich ihr Konflikt weder auf einen pathologischen Fall noch eine allgemeine Kinderwunsch-Problematik herabmindern. Die sozialistische Gesellschaft – weder mit Yermas noch mit Juans Gesellschaftsidealen identisch – hat mit der grundlegenden Aufhebung der ökonomischen Entfremdungen noch nicht gleichzeitig alle Erscheinungen von Entfremdung beseitigt. In einem vermittelten Sinn spielt für die sozialistische Gesellschaftsordnung ein „Sterilitätsproblem“ eine Rolle. Eine solche Bezeichnung setzt voraus, daß der Konflikt Yermas selbst als ein metaphorisches Symbol verstanden wird: als Hinweis auf eine widernatürliche, gesellschaftliche Ordnung, die das spanische Volk zur Sterilität zu verdammen drohte. Der Sozialismus braucht den bewußten, produktiven Staatsbürger, er ist sowohl Folge als auch Voraussetzung dieser gesellschaftlichen Ordnung. Aber ist objektiv aufgrund seiner bisherigen historischen Position nicht in der Lage, allen Gesellschaftsmitgliedern gleichermaßen die Möglichkeit für eine umfassende Entwicklung zu geben. Die nach dem Leistungsprinzip orientierte Gesellschaft erzeugt selbst eine Lebensweise, die wohl kommunistische Merkmale trägt als auch tradierte kapitalistische Wertvorstellungen, Lebensideale reproduziert. Selbstverständlich sind solche „Entfremdungen“ nicht identisch mit denen, die die Figuren in Lorcas Stück determinieren. Deshalb ist auch die platte Übertragung der Sterilitäts-Metapher als Ausgangspunkt für die aktuelle Lesart hier und jetzt nicht möglich. Vielmehr geht es darum, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen auf ihre gesellschaftliche […] Repräsentanz zu befragen.30 Wera Herzberg erinnert sich vierzig Jahre später an den Probenbeginn: Die Konzeption hatte zwei zentrale Punkte. Der eine: die Verbannung allen Milieus und folkloristisch-spanischer Anklänge von der Bühne. Die Bühnenbildnerin Christiane Kunze kam mit einem „spanischen“ Entwurf. König stellte ganz offen in Anwesenheit der Bühnenbildnerin die Gretchenfrage an die Schauspieler: „Leere Bühne?“ – und wir waren einverstanden. Die Bühnenbildnerin fand es auch gut und beschloss, die Proben auf dieser leeren Bühne mit der Fotokamera zu begleiten und zu dokumentieren. Er hatte unseren Ehrgeiz angestachelt und sowohl bei seiner Entscheidung als auch bei unserer Zustimmung war natürlich das Vorbild der Inszenierung Fräulein Julie ausschlaggebend. Auch so spielen zu können – ent-

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grenzt von irgendwelchen bühnentechnischen und anderen materiellen Zwängen, gleichsam nackt, auch wörtlich genommen im Fruchtbarkeitsritual, war unser Wunsch. Der zweite konzeptionelle Angelpunkt hieß: Zwar kann Yerma ihrem Schicksal nicht entrinnen, die Unfruchtbarkeit ist gegeben, aber den Aufstand dagegen, sich nicht bescheiden und zufriedengeben im So-Sein, die Unerfüllbarkeit allen Wünschens nicht hinzuzunehmen, angesichts der Vergeblichkeit dennoch zu widerstehen, nicht zu verzagen und alles zu wagen, das war ein starker Antrieb für das Spiel – und den brauchte es natürlich auf dieser leeren gleichsam „haltlosen“ Bühne besonders. Eine Zeitlang probierten wir allein, Herbert war in Rostock an der Schauspielschule zwischenzeitlich und als er wiederkam, zeigten wir, was wir geprobt hatten. Er war einverstanden.31 Während die Schauspieler probten, wird gegen den abgelösten Intendanten Wruck das Parteiverfahren eröffnet und die angesichts der festgestellten Fehlhandlungen erstaunlich milde Parteistrafe der Rüge ausgesprochen. Im Urteil der Parteigerichtsbarkeit sind bereits die strafrechtlich relevanten Anklagepunkte gegen Herbert König vorformuliert: Genosse Wruck hat als Intendant des Theaters der Stadt Brandenburg über einen längeren Zeitraum geduldet, daß sich Einflüsse antisozialistischer Ideologie im Theater breitmachen konnten. Er schätzte Inszenierungen teilweise nicht vom politischen Inhalt her ein, so daß es zu Aufführungen kam, die in ihrem Grundgehalt unparteilich, zum Teil fatalistisch, pessimistisch und das sozialistische Menschenbild diffamierend waren. Dadurch wurde gegen das Prinzip der Parteilichkeit in der Kunst verstoßen. Obwohl solche Inszenierungen vom Publikum abgelehnt wurden, nahm Gen. Wruck dies nicht zum Anlaß prinzipieller Auseinandersetzungen mit dem Regisseur und anderen Leitungsmitgliedern. Durch sein liberales Verhalten führte seine Leitungstätigkeit in einigen Fällen zu politischen Fehleinschätzungen. Das zeigte sich vor allem in der Kaderarbeit. So ließ er sich durch eine Gruppe von Leitungskadern und Schauspielern unter Druck setzen, die die Entfernung des Gen. Liljeberg (Oberspielleiter im Schauspielensemble) aus dem Theater forderten. Gesetzwidrig wurde somit Gen. Liljeberg seit Oktober 1975 an der Ausübung seiner Funktion gehindert, indem er nicht als Ensembleleiter wirksam werden durfte. Ferner verletzte Gen. Wruck die politische Wachsamkeit, indem er duldete, daß der Regisseur

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Gen. König photokopierte Ausschnitte aus BRD-Materialien für die Probenarbeit verwandte.32 Im Theater selbst greift jetzt der neue Intendant Pollok endgültig ein, um seinen Auftrag vom 23. November 1976 in die Tat umzusetzen, die „Zersetzung und Zerschlagung“ der Gruppe um Herbert König. Am 7. Januar 1977 zieht er in den Kampf und vier Tage später wird er der KD Brandenburg rapportieren: KD-Brandenburg Brandenburg, d. 11.1.77 Quelle Intendant Bericht zur am 7.1.77 durchgeführten Probe zu dem Stück „Yerma“ in der Inszenierung von Herbert König Zu dieser Probe war der Intendant das erste Mal bei einer Probe zu diesem Stück anwesend, nachdem er einige Szenenfotos gesehen hatte. Auf diesen Szenenfotos waren die Schauspieler und Schauspielerinnen o h n e Bekleidungsstücke und in obszönen Stellungen zu sehen. Als der Intendant am Freitag den 7.1.77 gegen 18.30 die Probe besuchte, stellte er mit Entsetzen fest, daß auf der Bühne eine große „Schweinerei“ im Gange sei. Bei Königs „Yerma“-Inszenierung sind, neben perversen und obszönen Darstellungen von Menschen und ihren Beziehungen auch antisozialistische Tendenzen erkennbar, obwohl der Intendant nur für kurze Zeit die Probe besuchte. Die Schauspielerin Herzberg, Vera trat auf der Bühne splitternackt auf und wurde voll beleuchtet. Der Intendant brach sofort die Probe ab. Als Antwort darauf bekam der Intendant durch den Schauspieler xxxx und die xxxx Beschimpfungen, wie Arschloch, Mistschwein und ähnliches zu hören. Der Intendant ließ sich auf keine Diskussionen ein und berief eine außerordentliche Parteileitungssitzung für den gleichen Abend. Als der Intendant Gen. Pollok die Probe verlassen wollte und er mit dem Rücken zur Bühne stand, versuchte die xxxx den Intendanten einen Aschenbecher oder Teller an den Kopf zu werfen. Jedoch traf sie den Intendanten nicht. Durch den Genossen Pollok wurde sofort die SED-Kreisleitung, der Rat der Stadt und auch das MfS verständigt. Für Sonnabend, den 8.1.77 wurde zu 9.00 h nochmals eine Parteileitungssitzung zusammengerufen und für 11.00 die staatliche Leitung, für 12.00 h wurde eine Spartenversammlung – Schauspiel – angesetzt. In Abstimmung mit der SED-Kreisleitung und dem Rat der Stadt wurde die „Yerma“-Inszenierung von Herbert König abgesetzt. Zu der einberufenen Spartenversammlung erschienen die Hauptverantwortlichen um den Regisseur König nicht.

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Die Personen König; xxxx; xxxx; xxxx; xxxx; xxxx und noch mehrere Anhänger aus der Gruppierung König stellen sich gegen Gen. Pollok und die staatlichen sowie parteilichen Maßnahmen. Es ist mit weiteren Reaktionen, Aktivitäten und ähnlichen Maßnahmen der Gruppe zu rechnen. H. Ofw.33 Der Oberfeldwebel H. hatte recht. Nach der Absetzung am Freitag, dem 7. Januar 1977, schreibt das Spielensemble am 11. Januar 1977 an das Ministerium für Kultur, die Kulturabteilung des ZK der SED und an das Sekretariat des Verbandes der Theaterschaffenden der DDR: Wir glauben, daß wir diese Arbeit einem Publikum vorstellen sollten, damit es mit uns gemeinsam die Arbeitsergebnisse überprüft. Wir möchten sehr gern nach jeder Aufführung mit den Zuschauern diskutieren, um ihre Ansichten zu hören und davon zu lernen und um ihnen unsere Absichten mitzuteilen. Wir bitten deshalb diese Inszenierung vorstellen zu dürfen vor Kollegen des ZK, MfK, VT, Gewerkschaft Kunst und einer Gruppe von Zuschauern aus Brandenburg.34 Da der Brief nicht an die für das Theater Brandenburg zuständigen bezirklichen und städtischen Instanzen gerichtet war, antwortete die Theaterabteilung des Ministeriums für Kultur formal korrekt und inhaltlich tief verlogen am 24. Februar 1977: An die 16 Kollegen […] Nach einem Meinungsaustausch mit Kollegen Pollok besteht seiner Seite [sic!] aus nicht die Absicht, das Inszenierungsergebnis in einer öffentlichen Probe vorzustellen. Wir akzeptieren diese Entscheidung, auch im Bewußtsein, daß die öffentliche Probe bestenfalls Probleme der Inszenierung, aber nicht Probleme der Ensemble- und Publikumsarbeit im Brandenburger Theater nachweisen könnte. […] Frau Herzberg schilderte uns im Gespräch, daß einige Mitglieder des Schauspielensembles mit der Leitungstätigkeit von Intendant Pollok nicht einverstanden seien. […] möchten wir Sie bitten, sich mit der Abteilung Kultur des Rates des Kreises Brandenburg in Verbindung zu setzen. […] Weder MfK, noch die Kulturabteilung des ZK der SED können diese Entscheidung korrigieren. Zu einer Dis-

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kussion über die Entscheidung des Intendanten kann unter diesen Umständen nur der Intendant einladen. Dr. Gisela Holan gez. Pfeiler35 Wera Herzberg war tatsächlich nach Berlin eingeladen worden, wo sie freundlich-herablassend, jedoch wahrheitswidrig belehrt wurde, die Absetzung sei nun einmal die autonome Entscheidung des Intendanten und sie wolle doch auch nicht, dass man seitens des ZK, des Ministeriums, von „oben“ her, aus Berlin in das Theater hineinregiere. Das Ministerium sah im Handeln Wera Herzbergs eine auffällige Renitenz, der es rechtzeitig zu begegnen galt, und informierte deshalb hinter ihrem Rücken vorsorglich ihren Intendanten Gerhard Meyer in Karl-MarxStadt von diesem „Vorgang“. Meyer empfahl ihr eindringlich, die Angelegenheit ruhen zu lassen, „es sei besser so“.36 Doch in Brandenburg blieb noch etwas zu tun: Am 21. Januar 1977 beschließt die Mitgliederversammlung der SED-Grundorganisation des Brandenburger Theaters Herbert König eine strenge Rüge auszusprechen. Dieser Beschluss wurde zwei Monate später von der Kreisparteikontrollkommission der SED bestätigt, da König „entscheidende Prinzipien des künstlerischen Schaffens wie Parteilichkeit, Wissenschaftlichkeit und Volksverbundenheit gar nicht oder nicht eindeutig beachtet hat. Das führte dazu, daß einige Inszenierungen nicht die gewünschte Resonanz beim Publikum fanden und eine Inszenierung nicht zur Aufführung kommen konnte“.37 Befriedigt schloss die KD Brandenburg den OV „Chef“ ab.38 Die Zielstellung der Bearbeitung des OV „Chef“ wurde realisiert. Die am Brandenburger Theater entstandene feindlich-negative Gruppierung konnte durch geeignete politisch-operative Maßnahmen zersetzt werden. Weiterhin wurde verhindert, daß von dem neg. Personenkreis eine politisch feindliche Massenwirksamkeit ausging. Die Situation am Brandenburger Theater wurde normalisiert.39 Infamerweise – so rigide ging die Stasi nicht immer vor – sorgte die KD Brandenburg dafür, dass Herbert König als politischer Unsicherheitsfaktor gebrandmarkt wurde. Im September 1977 resümierte sie: „Königs Ansehen und Ruf wurde zielstrebig untergraben, so daß er an keinem Theater neu verpflichtet wurde.“40 Herbert König musste voll trüber Ahnungen Brandenburg verlassen und sich einer mehr als ungewissen Zukunft stellen.

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1

Martin Linzer: „Brandenburger Theater. ‚Glaube Liebe Hoffnung‘ von Ödön von Horváth“, in: Theater der Zeit 3/1976, S. 17–19.

2

Ebd.

3

König beschied in einem Brief dem Intendanten Eisenblätter, der ihm eine ausführliche Inszenierungskonzeption abverlangte, kurz angebunden: „Meine Arbeitsmethodik [basiert] auf einer mit den Schauspielern gemeinsam entwickelten ‚Konzeption‘ während der Proben […] und nicht auf Theoretisieren vor der eigentlichen Arbeit. Erst wenn ein Kollektiv gemeinsam in ein Stück hineinhorcht und damit versucht Autor und Stück gerecht zu werden, geschieht Theater-Arbeit.“ Brief an Werner Eisenblätter, 21. Februar 1977, in Vorbereitung der Inszenierung Der ältere Sohn in Görlitz/Zittau, HKA 163.

4

Ronald Funke im Gespräch am 23. Januar 2013.

5

Bernd Bartoszewski inszenierte 1972 die Uraufführung der ideologisch verdächtigten und ästhetisch sehr umstrittenen Macbeth-Variante von Heiner Müller. Brief von Jürgen Hilbrecht vom 26. Märu 1976, Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 401 / Nr. 24455. Hilbrecht hat den Abdruck des Briefes untersagt und auch meinen Vorschlag, eine Erklärung seinerseits dem Original beizufügen, abgelehnt. Thomas Auerbach, Matthias Braun, Bernd Eisenfeld, Gesine von Prittwitz, Clemens Vollnhals: Hauptabteillung XX: Staatsapparat, Blockparteien, Kirchen, Kultur, „politischer Untergrund“, Berlin 2012, [Anatomie der Staatssicherheit. Geschichte. Struktur. Methoden. MfS-Handbuch], S. 128 f. Rat des Bezirkes Potsdam, Abteilung Kultur. Einschätzung der zweiten Spielplanentwürfe der Theater für die Spielzeit 1976/77, Potsdam, 12. März 1976, Typoskript (Durchschlag), Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 401, Nr. 34, S. 2. Rat des Bezirkes Potsdam, Abteilung Kultur, 1976, Sch/Al, Analyse der Leitungstätigkeit des Intendanten des Brandenburger Theaters auf der Grundlage vorliegender Arbeitsunterlagen, Potsdam, 7. April, Typoskript, 9 Seiten, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 401, Nr. 34, S. 3. Sektor Kultur der Bezirksleitung der SED Potsdam, 9.4.1976. Zur Leitungstätigkeit der Parteileitung der Grundorganisation des Brandenburger Theaters. Grabowski, S. 3f.; dreiseitiges Typoskript. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 530, SED-Bezirksleitung, Nr. 5251. Ein solcher Kurs dauerte in der Regel zehn Monate. Das normale Gehalt lief in dieser Zeit weiter. Ob nach dem Abschluss der ideologisch rundum erneuerte Absolvent wieder auf seine alte Stelle zurückkehrte oder nicht, das wurde im Laufe des Schuljahres von den kaderpolitischen Instanzen der Bezirksleitung der SED entschieden. Wie im Falle von Wruck wurde der Aufenthalt an der BPS auch oftmals als unauffälliger Wartestand für unliebsam aufgefallene Parteikader genutzt, für Kader allerdings, die man nicht fallen lassen, sondern weiterverwendungsfähig halten wollte. So war von vornherein klar, dass für den Genossen Wruck eine Rückkehr nach Brandenburg niemals geplant war. Sektor Kultur der Bezirksleitung Potsdam der SED, W. Grabowski. An Gen. Skeib, Information über Theater Brandenburg vom 23. April 1976. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 530, SED-Bezirksleitung Potsdam, Nr. 6318. BStU, MfS, Ast., PdM., AOP 1325/77, Band V/II, S. 7. BStU, MfS, Ast., Pdm., AOP 1325/77, Band V/II. Kontaktgespräch in der KD Brandenburg vom 19. April 1976, S. 14–16. Hilbrecht verschweigt in diesem Gespräch seine langjährige berufliche Bindung an den Regisseur Liljeberg, um seiner Denunziation auch jeden Geruch eines persönlichen Interesses zu nehmen. Er behauptet, auch er sei zu Beginn seines Brandenburger Engagements gegen Liljeberg negativ eingestellt gewesen. Dieser habe ihn aber im Laufe der Zeit voll überzeugt. Das Brandenburger Engagement war aber bereits das dritte gemeinsame Engagement von Liljeberg und Hilbrecht. Davor waren sie in Erfurt und in Greifswald tätig, wobei Hilbrecht oft der Protagonist der Liljebergschen Inszenierungen war.

15

Vgl.: BStU, MfS, Ast., Pdm., AOP 1325/77, Band V/II, S. 268–270: „In der Absprache mit dem stellv. Leiter der Abteilung XX und dem Referatsleiter der Abteilung XX/7 der Bezirksverwaltung Groß-Berlin wurden durch diese einige Hinweise zur Bearbeitung der

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oppositionellen Gruppierung um den Regisseur König am Brandenburger Theater gegeben. 1. Beim Einsatz von IM in der Bearbeitung sogenannter oppositioneller Künstler ist ein unkluges Verhalten zu vermeiden, weil derartige Fehler die politisch-operative Bearbeitung dieser Kreise durch andere Diensteinheiten erschwert. Aufgrund der Querverbindungen der sogenannten oppositionellen Künstler untereinander werden solche „Betriebsunfälle“ sofort bekannt und führen zu entsprechenden konspirativen Verhaltensweisen. Deshalb sind die eingesetzten IM mit entsprechenden Schutzlegenden auszurüsten, indem diese IM nicht die wahren operativen Ziele ihres Einsatzes erfahren. Die politisch-operativen Ziele sind durch Legenden zu tarnen, da ein Verrat dieser Zielsetzungen die politisch-operative Bearbeitung dieses Personenkreises beeinträchtigt. 2. Zur Aufrechterhaltung der Verbindung der oppositionellen Künstler untereinander werden als „Briefkasten“ ihre Tätigkeit in gesellschaftlichen Organisationen, also gesellschaftliche Organisationen, genutzt. Privatadressen werden zur Aufrechterhaltung ihrer Verbindungen untereinander durch Briefe, Telefonate usw. nicht benutzt. A und Maßnahmen der M müssen sich deshalb auf diese Bereiche konzentrieren. 3. Da bekannt ist, daß die oppositionellen Künstler durch unmittelbaren Kontakt zu den Menschen, durch menschliche Kontakte feindlich negativ wirksam werden wollen, sind solche Dinge wie Patenschaftsverträge, wie Aussprachen mit dem Publikum besonders zu beachten, weil in diesem Rahmen ein Ansprechen und Einbeziehen anderer Personenkreise erfolgt. Darum sind solche Erscheinungen, daß man nach Aufführung kleiner Theaterstücke Publikumsdiskussionen veranstaltet und daß man in diesem Zusammenhang Patenschaftsverträge mit Betrieben und Einrichtungen durch die Organisierung von Gesprächen mißbraucht. [handschriftlicher Vermerk: „zu beachten.“] Hier führen sie in der Regel ungebunden und offen Gespräche und bringen ihr feindlich-negatives Gedankengut an. 4. Da Regisseure und Schauspieler im allgemeinen ein sehr starkes Geltungsbedürfnis haben, sind sie besonders stark ansprechbar durch Theaterkritiker, um in der Presse vor der Bevölkerung aufgewertet zu werden. Deshalb können Theaterkritiker als IM eine sehr gute politisch-operative Arbeit leisten, um operative Anhaltspunkte zu abweichenden und feindlichen ideologischen Positionen der betreffenden Künstler zu erarbeiten. Sie sind oftmals in der Lage, im Rahmen der geführten Interviews und Gespräche die antisozialistische Plattform zu erkennen bzw. herauszuarbeiten. 5. Um die Bewegung der König, insbesondere nach Berlin und in Berlin herausarbeiten zu können, ist es angebracht, eine Beobachtung zu organisieren, um dessen Anlaufstellen in Erfahrung zu bringen. Da er vorwiegend mit der Reichsbahn nach Berlin fährt, dürfte die Durchführung einer Beobachtung möglich sein. Nach exakter Bestimmung dieser Anlaufstellen sind die Genossen der Abteilung XX der BV Groß-Berlin sofort bereit, eine konkrete Überprüfung vorzunehmen.“ 16

Zusätzlich zu der angegebenen Zeitungsmeldung vom 15. August 1976 erfuhr der aufmerksame Zeitungsleser am 21. August 1976 aus der Märkischen Volksstimme: „Am 11. August fand in Anwesenheit des amtierenden Oberbürgermeisters und des Stadtrates für Kultur die 1. Vollversammlung der Mitarbeiter des Brandenburger Theaters nach der Sommerpause statt. […] Zugleich dankte er dem Genossen Wruck für seine bisher als Intendant geleistete Arbeit und verabschiedete ihn für ein Jahr zur Bezirksparteischule. Der amtierende Oberbürgermeister begründete den Beschluss des Rates der Stadt für die Zeit vom 31. August 1976 bis 31. August 1977 den Genossen Hans-Joachim Pollok als Intendanten zu berufen.“ Am 24. August war in der Märkischen Volksstimme zu lesen: „H.-J. Pollok Intendant am BT: Wie bereits gemeldet, begründete der amtierende Oberbürgermeister Genosse Lämmerhirt, in einer Vollversammlung der Mitarbeiter des Theaters den Beschluss des Rates der Stadt, Hans-Joachim Pollok als Intendanten des BT zu berufen. Genosse Pollok ist Diplomkulturwissenschaftler und hat im Zweitfach Theaterwissenschaft studiert. Bisher war er als Sektorenleiter in der SED-Kreisleitung tätig.“ Die tatsächlichen inhaltlichen Gründe für den Intendantenwechsel suchte der Zeitungsleser natürlich vergeblich in der Presse. Spätestens seit 1961 wurden Abberufungen von Intendanten öffentlich nicht mehr begründet, das blieben interne Parteiangelegenheiten und diese wurden von der SED nach 1961 generell nicht mehr in der Öffentlichkeit dargestellt.

17

BStU, MfS, Ast., Pdm., AOP 1325/77, Band V/I, S. 4.

18

Ebd.

19

Ebd., S. 88 f.

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20

Siehe Christiane Baumann: Hinter den Kulissen – Inoffizielle Schweriner Theatergeschichten 1968 bis 1989, Schwerin 2011, S. 88–93.

21

Ebd.

22

BStU, MfS, Ast., Pdm., AOP 1325/7, Band V/II, S. 114–117.

23

Ebd., S. 107.

24

Ingeborg Pietzsch: „Brandenburger Theater ‚Hallo und Adieu‘ von Athol Fugard“, in: Theater der Zeit 12/1976, S. 29.

25

Erfahrungen mit Werken von Athol Fugard, Material zum Theater, Heft 88 (1977), hrsg. vom Verband der Theaterschaffenden der DDR, Red. Manfred Dietrich, Alfred Eckelmann, S. 29.

26

Ebd., S. 31.

27

Joachim Fiebach „Anmerkungen zu den Stücken von Athol Fugard“, in: Erfahrungen mit Werken von Athol Fugard, S 18 f.

28

Programmheft „Die Ausgezeichneten“, hrsg. vom Brandenburger Theater/Intendant: Joachim Pollok, Heft 4 der Spielzeit 1976/77, Redaktion: Volkmar Weitze. Der zitierte Text ist quellenmäßig nicht nachgewiesen! Nach Auskunft von Volkmar Weitze wurden die Programmhefte aufgrund der langen Herstellungszeit in der Regel vor Probenbeginn im Manuskript fertiggestellt. Es ist also durchaus möglich, dass der neue Intendant Pollok das Programmheft-Manuskript und diesen Text nicht kannte.

29

Fritz Behrens „Über eine sich selbst verwaltende Gesellschaft“ (1992); zit. nach: Fritz Behrens: Man kann nicht Marxist sein, ohne Utopist zu sein, Hamburg 2010, S. 209.

30

Typoskript von 8 Seiten aus dem Privatarchiv von Volkmar Weitze, S. 6.

31

Wera Herzberg im Gespräch am 7. März 2013. In die Zeit der Yerma-Proben fällt die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Ronald Funke, damals Schauspielstudent in Rostock, erinnert sich im Gespräch am 23. Januar 2013, zusammen mit Herbert König die Wiederholung des berühmten Kölner Konzerts von Wolf Biermann im Fernsehprogamm der ARD gesehen zu haben. Ein schöner Beleg für das Vertrauen, das König in seine Studenten setzte und das ihm die Studenten entgegenbrachten. Denn wäre das gemeinsame Sehen der Sendung bekannt geworden, hätte es erhebliche disziplinarische Schwierigkeiten für beide geben können.

32

Beschluss der BPKK Potsdam über die Erteilung einer Parteistrafe, 16. Dezember 1976, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep 530, SED-Bezirksleitung Potsdam Nr. 5775.

33

BStU, MfS, Ast. Pdm. AOP 1325 / 77, Band V/II, S. 147.

34

HKA, Nr, 160.

35

Ebd.

36

Wera Herzberg, a. a. O.

37

Protokoll der KPKK vom 16. März 1977, Behandlung von Parteiverfahren. Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 531, Kreisleitung der SED Brandenburg, Nr. 1818.

38

BStU, MfS, Ast., Pdm., AOP 1325/77, Band V/I, S 5.

39

Ebd.

40

BStU, MfS, Ast., Pdm., AOP 1325/77, Band V/II, S. 282.

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GANZ UNTEN -

Herbert König 425 Eisleben Am Markt 9

29.8.77

Lieber Thomas, habe gerade erst Deinen Brief erhalten, da ich jetzt hier in Eisleben hocke, wo meine Frau das erste Engagement angetreten hat. […] Also von vorn, ganz sachlich. Beginn Januar, Verbot von YERMA: Eisenblätter will daraufhin Gastvertrag mit „Älterer Sohn“ lösen. Hat aber Vertrag schon unterschreiben. Ich drohe mit Arbeitsgericht, kann Gastregie machen, Ensemble ist begeistert, will weiter mit mir arbeiten. Intendant nicht. Abgesprochenes Szenenstudium in Rostock wird vom Direktor zurückgezogen (trotz großem Lob beim letzten Vorspiel im Februar). Begründung: er will jetzt erstmal mit hauseigenen Dozenten arbeiten (beschäftigt dann Jurgons). Weiter: Winter geht nach Nordhausen. Er bittet mich Anfang der Spielzeit, also jetzt dort WEIBERKOMÖDIE zu machen. Ich will. Intendant, der mich nicht kennt, bricht in Schreikrämpfe aus, als ihm Winter meinen Namen nennt. Winter übernimmt „alle Garantien“ (ich weiß nicht, welche, vielleicht daß ich nicht das Theater anzünde oder so). Ich beginne, mich vorzubereiten. 14 Tage später (Ende Mai) Brief von Intendant aus Nordhausen: nach reiflicher Überlegung doch von Gastregie Abstand nehmen … Ich werde stutzig. Besuche HAMLET in der Volksbühne. In der Kantine überraschen mich Kollegen: „Wir haben gehört, Du hast Berufsverbot“. Nanu, denke ich, was für ein Wort. Sie hatten es von Bühnennachweis gehört. Ich dort hin, nur Adler war da. Er erklärt mir, daß es so etwas bei uns überhaupt nicht gibt (dachte ich mir doch gleich, so etwas) und daß ja auch überhaupt nichts gegen mich vorliegt und natürlich könnte ich inszenieren. Klug fragte ich: wo. Nun er könne da auch nichts machen, aber er nannte mir alle Regievakanzen an den Theatern. Das waren etwa 20. Es war etwa drei Wochen vor Spielzeitende. Ich schrieb an alle. Es kamen Absagen z. B. aus K.-M.-St., Weimar, Eisleben usw. Auf Antwort von einigen Theatern warte ich heute noch, z. B. Schwerin, die ja bestimmt suchen, weil Ibrik ja nicht hingeht. Da mein Interesse ja auch auf

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Oberspielleiter geht, kam es inzwischen (in den letzten 14 Tagen) zu ernsten Verhandlungen mit drei Theatern (zunächst erstmal Gast). Stendal, wo ich HOSE machen soll, Prenzlau, wo ich Kroetz WÖRTERBUCH mache (im November), und Görlitz (Ensemble und Parteisekretär! haben Eisenblätter wohl unsäglich bearbeitet), wo ich im Januar SOMMERBÜRGER mache. Also immerhin zwei Sachen fast fest, aber noch kein Vertrag. Nach Gesprächen mit den Intendanten gefällt mir (erschrick nicht) trotz allen Schwierigkeiten Prenzlau am möglichsten. Der Intendant hatte mir angeboten, ab 1. Januar dort anzufangen. Vielleicht mache ich es. Immerhin ein schwacher Hoffnungsschimmer, nachdem es lange sehr schlimm aussah, eigentlich viel trostloser, als ich hier geschrieben habe. Ich war ziemlich kaputt. […] Es ist nämlich ganz schön beschissen, wenn man durch Rufmord kaltgestellt wird und nichts dagegen machen kann. Und betteln liegt mir nicht besonders. […] Herbert1 Was wurde aus den im Brief angedeuteten Plänen und Absichten? Außer dem „furchtbaren Stück ‚Sommerbürger‘“ (Herbert König) und der erfolgreichen, aber letztlich nebensächlichen Farce Lauf bloß nicht splitternackt herum, die C. M. Winter in Nordhausen im Frühsommer 1978 für Herbert König ermöglichte, „zerschlug“ sich alles. Natürlich zerschlug es sich nicht – es wurde zerschlagen. König zog seit Januar 1977 auf der Suche nach Inszenierungsmöglichkeiten quer durch das Land – von Versprechen zu Versprechen, von fadenscheiniger Absage zu fadenscheiniger Absage, immer darauf angewiesen, gute Freunde zu treffen, die in der Lage und couragiert genug waren, ihm zumindest eine Gastinszenierung zu verschaffen. Die finanzielle Situation Königs verschärfte sich bedrohlich, denn bei der Höhe der üblichen Regiegagen an den kleinen und mittleren Theatern der DDR zwischen 2000 und 2500 DM brutto (der Steuerabzug betrug zwanzig Prozent) bedurfte es schon drei Inszenierungen im Kalenderjahr, um lebenspraktisch sicher übers Jahr zu kommen. Da auch die Schauspielschule Rostock im Spätherbst 1977 kommentarlos seine Bewerbung um eine Festanstellung als Schauspiellehrer, trotz mehrmaligen und erfolgreichen szenischen Unterrichts, zurückwies, schien seine Theaterlaufbahn so gut wie beendet. Aus dieser Zwangslage heraus entschloss sich Herbert König zu einem für ihn ungewöhnlichen Schritt. Er versuchte Ende 1978 im neugegründeten „Kleinen Theater im Friedrichstadtpalast ‚Das Ei‘“ Fuß zu fassen mit einem Garcia-Lorca-Doppelprojekt. Dieses neugegründete

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Theater schien eine Chance zu bieten, neue kleine Stücke schnell und unprätentiös vorzustellen. Wie auch immer die Gründer es sich gedacht haben mögen, das „Ei“ wurde zu einer schwachen sozialistischen Kopie der damals in Mode gekommenen amerikanischen Dinner Theaters mit nostalgischen Anklängen an die kleinen literarischen Revuetheater in Berlin vor 1933. Unterhaltung pur mit gastronomischer Zutat – oder umgekehrt. Königs Versuch, in diesem Etablissement unterzukommen, war ein schrecklicher ästhetischer Irrtum, aber pekuniär zwingend. Nichts passte zueinander, weder das Theater zum Regisseur noch das Stück zum vorhandenen Ensemble. Die Berliner Kritik schrie – nicht unverständlich – unisono auf und König war in Berlin durchgefallen. Dennoch versprach Intendant Karl-Heinz Müller ihm eine „Rehabilitations-Inszenierung“ ein Jahr später. Die verabredete Inszenierung von vier Farcen von Georges Courteline kam wegen der baupolizeilichen Sperrung der Spielstätte nicht zustande. Berlin hatte sich erledigt. Aber König suchte unverdrossen, wenngleich zunehmend gereizter, nach der doppelt lebensnotwendig gewordenen Theaterarbeit. In Manfred Dietrich hatte er am Theater Greifswald einen beredten Fürsprecher und mit Alfred Nicolaus, dem frisch gekürten Intendanten, traf er auf einen Intendanten, der sein Theater aus dem kulturpolitischen und ideologischen Schatten des Volkstheaters Rostock herausmanövrieren wollte. Ein erstes Treffen verlief aber enttäuschend, wie er in einem Brief an Manfred Dietrich schreibt: Lieber Manfred, 25.10.79 mit gleicher Post habe ich Deinem Intendanten ein paar Stückvorschläge gemacht. Leider warst Du nicht da, als ich in Greifswald war. Ich habe ca. 20 Minuten mit dem Intendanten gesprochen, das Gespräch war unernst. Ich habe mich geärgert, daß ich überhaupt hingefahren bin, denn er konnte mir keinen konkreten Vorschlag machen. Weshalb dann die Einladung? Wenn ich schon „kleine Bühne mit Experimentalcharakter“ höre, kriege ich das Kotzen. Ich weiß nicht, was Experimentaltheater ist. Der Schwachsinn nimmt überhand. Ich habe vorgeschlagen: Woyzeck; Antigone; Bernarda Albas Haus; Picknick im Felde; König Ubu; Maria Magdalena. Im Moment mache ich Hildesheimer TURANDOT in Dessau mit Renate als T. Vielleicht ein Grund für Dich, am 18.1. zur Premiere zu kommen. Das ist eine Einladung. Danach mache ich am Ei 4 Farcen von Courteline, Premiere Mitte März. Danach habe ich „frei“. Vielleicht kannst Du für dann oder auch für nächste Spielzeit was Ernsthaftes bei Euch einrühren. […] Tschüß Herbert2

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Wie und unter welchen günstigen Umständen es für Herbert König zu der im Brief erwähnten DDR-Erstaufführung von Hildesheimers Turandot-Version in Dessau kam, ist mir nicht bekannt. König richtete seine knappe, hemdsärmelig-pointierte Fabellesart ganz auf seine Hauptdarstellerin Renate Krößner aus, die gerade im DEFA-Film Solo Sunny3 als unangepasste und aufmüpfige Titelheldin berühmt wurde. Als Prinzessin Turandot im Spiegel ihre Falten sieht, merkt sie, daß sie 35 und immer noch nicht unter der Haube ist. Da sie nur bei intellektuellen Männern geil wird, hatte sie bislang weder bei ihren bisherigen zunächst dummen, dann exekutierten Freiern noch bei den Schwulen oder senilen Regierungsmitgliedern viel Grund zum Jubeln. Einzig Minister Hü, der Turandot gern ins Bett haben möchte, käme infrage. Doch seine technokratische Geschäftigkeit, Kriege und Siege zu organisieren, den Ministerrat zwecks Verdummung des Volkes auf den ideologisch neuesten Stand zu bringen usw. machen ihn Turandot suspekt. Da nicht nur Turandot einen Mann braucht, sondern der Staat auch neue Rohstoffquellen, stimmen individuelle und gesellschaftliche Interessen überein und man schickt nach neuen Freiern. Wir ahnen schon, daß auch sie bei Turandot nicht das Gelbe vom Ei sein werden und daß sich die Prinzessin auch in Zukunft mit ihrer jungen Sklavin Pnina wird [unleserlich] müssen, da klopft ein weitgereister, etwas müder Mann ans Tor, bisher spezialisiert auf das Stoßen von Prinzessinen und davon etwas ruhebedürftig geworden. Bei der Prüfung schwätzt er klug und Turandot stehn die Lippen offen. Aber im Triumph des Sieges schnappt der falsche Prinz über und faselt von Menschenrechten. Postwendend landet er statt im Prinzessinenbett im Knast. Turandot jedoch, einmal scharfgemacht, läßt nicht locker. Dem […] Eroberer (echter Prinz – Box-OlympiaKader) schwatzt sie geschickt die knackige Pnina auf. Sie läßt Hü hinrichten, ihren Mann aus dem Knast holen, verschafft diesem den Job als Chefideologen, schenkt Pnina ihr Kleid, ihren Namen und den Boxer. So hat sie sich Geist im Bett und Macht auf dem Balkon erobert. Dazu klatscht das Volk langen stürmischen Beifall.4 Im Probenprozess veränderte sich die Schlusslösung. König radikalisiert erwartungsgemäß, was den Dessauer Kritiker zu einer gewagten Interpretation animierte: Aber der Regisseur geht weiter, indem er den Schluß verändert, ins Gegenteil verkehrt. Während bei Hildesheimer Turandot und ihr

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siegreicher Freier, aus dem Hintergrund lenkend, die wirklichen Machthaber werden, verläßt in der Dessauer Aufführung der falsche Prinz die von ihm Eroberte‚ weil er nicht bereit ist, sich in den Herrschaftsapparat eingliedern zu lassen. Die Verlassene steigt – mit der Losung der Französischen Revolution auf den Lippen – in einen Koffer und schließt ihn über sich. Die bürgerlichen Ideale können in der westlichen Welt von heute „einpacken“. Kein schlechter Einfall, aber für meine Begriffe ist dies eine Verfälschung der dichterischen Absicht und deshalb sehr problematisch.5 Es ist kaum glaublich, dass Königs und Krößners Absichten vom Kritiker nicht erkannt wurden. Aber er bietet eine Interpretation an, die dem denkenden Leser einen eigenen Schluss zu ziehen erlaubt. Denn genau die gegenteilige Interpretation ist möglich: Turandot gibt sich selbst als Fracht in die Welt der bürgerlichen Ideale auf. Die gepackten Koffer waren inzwischen in der DDR wieder eine Option geworden, das muss der Kritiker doch wohl bedacht haben. Nahezu erheiternd wirkt der Versuch von Jochen Gleiß in Theater der Zeit, dieses Handlungsdetail rein „ästhetisch“ zu deuten: Am Ende verkriecht sich das müßige Dämchen Turandot im Reisekoffer ihres falschen Prinzen, indem sie die zugefügte Losung von 1789 zerdehnt: Liberté – Egalité – Fraternite, dann zieht sie den Kofferdeckel über sich. Am Original-Schluß hofft Turandot mit Hilfe ihres denkfähigen Favoriten über einen neuen Kaiser durch ideellen Einfluß Macht zu gewinnen und solche Augenblicke zu genießen. In dieser Inszenierung stellte sich da nur groteske Resignation in einer Art untertriebenen Aida-Finales her.6 Dieses hochgetriebene Unverständnis ist bei Gleiß Methode. Denn er darf die ganze Richtung nicht verstehen, was ihn aber nicht hindert, die Inszenierung ziemlich genau in ihrer äußeren Erscheinungsweise zu beschreiben: Auf die riesige Dessauer Bühne ist ein großes Gehäuse mit keilförmig nach hinten verlaufenden Wänden gesetzt. Es nimmt wohl zwei Drittel Bühnenhöhe ein und überbrückt den Orchesterraum. Die vordere Öffnung und die oberen Plafondbegrenzungen sind mit Leuchtröhren versehen. Dieser einzige Spielraum der Aufführung ist durch verschieden breite und hohe Tapeten-Türen zugänglich. Ein roter Läufer scheint mehr absurde Metapher denn geläufiger Auftritt zu sein:

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bis zur Saalhälfte wandparallel, schwenkt er dann rechtwinklig und steigt gegenüber an der Wand senkrecht auf. Eine Straßenlaterne hinten und zur Mitte hin beleuchtet eine nackte Birne unter flachem Schirm das Piano, rechts eine Tennis-Schiedsrichterleiter. Weiter vorn an der linken Wand ein ausgedientes Karussellpferd, neben einem Nachttisch unterm Spiegel ein Handwaschbecken mit Wasseranschluss. Quer im Raum eine eiserne Bettstelle (liebster Aufenthalt der Prinzessin, darunter ihr liebstes Spielding ein Kassettenrecorder), gegenüber vier alte hölzerne Kinoklappsitze – eine kalte, künstliche Welt, aus der alles Reale verbannt scheint, eine Art grey box des Surrealen, darinnen alles Iiegenbleibt. Auftretende Figuren sind unpassend in Weite und Geschmack angezogen, stecken im schäbig-kleinbürgerlichen Look früher Kinowesen des 20. Jahrhunderts. Als Kaiser von China erscheint Ewald Zischka im Rollstuhl mit lila Hut, gekleidet wie ein altes Weib und auch so greinend. Der Oberrichter – Susanne Roder spielt ihn als Zwerg, auf Knien laufend – schleppt Schöße eines weiten Mantels hinterher. Allein der echte Astrachanprinz und neue Kaiser (ein Dessauer Kraftsportler) zeigt Natürlichkeit: die muskelstrotzende Statur und glänzende Haut eines body builders. […] Dabei hat Herbert König Talent zum Aufbau, zur Steigerung von Szenen, zum Anlegen rhythmischer Abläufe. […] Turandot, z. B., ist auf ihrem Bett Pninas und des Vorlesens müde, greift zum Recorder, hört monotonen, kehligen Männergesang. Die Sklavin verläßt das Bett, geht zum Piano und schlägt einige Takte an. Die Melodie wird aufgenommen, variiert, wechselt die Tempi, und dann wird der dazukommende Kanzler Hi (Michael Telloke) gezwungen, mit der Prinzessin Tango zu tanzen. Nur hat all das nicht im geringsten mit Stückvorgängen zu tun! Wirklich erforderliche Figurenbeziehungen finden nicht statt: Turandot prüft den falschen Prinzen meist im Rücken des Hofes. Der nimmt gar nicht Anteil, der Kaiser schläft im Rollstuhl, Hü erstarrt zum Stoiker, Oberrichter Tse zum Pinguin, Pnina posiert auf dem Karussellpferd. So versteinern Figuren beziehungslos. Der Regisseur verrennt sich in Formalismen‚ kopiert schließlich sich und andere. Darstellersätze sind dort durchsetzt von ausgedehnten Fermaten, dazwischen liegen weite Gänge oder bedeutungsschwer langsam ausgeführte Verrichtungen. Aber derart in Banalität gezogene Vorgänge und Figuren rächen sich durch Langeweile. Was als Spannungsmoment fürs Publikum gemeint schien, schlägt um in müde Intensitätsverluste. Premierenbesucher riefen mehrfach „lauter“ – wem sich kaum der Sinn erschließt, will nicht auch noch um den Text betrogen sein!7

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Den Sinn der Inszenierung, nach dem hier Gleiß barmt, den erkannte der Dessauer Lokalkritiker sehr wohl, umschrieb ihn aber geschickt: In diesem fahlen, tristen und hoffnungslos wirkenden Milieu agieren Vertreter einer Verfallsgesellschaft. Gezeigt werden geistige und körperliche Verkrüppelunq (Oberrichter), Schwachsinn und Herrschsucht (Kaiser und Kanzler), Streben nach äußerem Glanz und Gewalt (Sklavin und echter Prinz!) sowie die ständige Bespitzelung der ganzen Gesellschaft durch den Staat (Mann hinter der Zeitung). Geschickte Striche verknappen die Handlung. verkleinern die Personenzahl und machen damit die Aussage deutlicher.8 Gleiß beendet seine Rezension mit der ihm ernsten, nicht rhetorisch gemeinten Frage: „Das Publikum war sichtlich irritiert. Verärgerte verließen das Theater, wann kommen sie wieder?“9 Das Dessauer Vorstellungsbuch gibt Aufschluss: Zur Premiere am 18. Januar 1980 waren im ausverkauften Dessauer Theater 1192 Zuschauer anwesend und der Schlussapplaus dauerte zehn Minuten an. Danach wurde die Aufführung noch achtmal gespielt und dabei von 3541 Zuschauern gesehen. Der Widerspruch zwischen Premiere und Repertoirevorstellungen ist typisch für die abnehmende Attraktivität der Theater außerhalb der kulturellen Zentren des Landes – aber nicht das allein ist der Grund. Der Grund liegt tiefer. Dieser Art Inszenierungen fanden bei dem durchschnittlichen Anrechtsbesucher wenig Gegenliebe, brachten sie ihn doch um seine Ruhe und sein Harmoniebedürfnis. Nur in den wenigen Theatern, in denen konsequent und jahrelang gegen diese Bequemlichkeit im Denken und dieses verständliche Sicherheitsbedürfnis eines gesellschaftspolitisch zunehmend verunsicherten Großteils der traditionellen Theatergänger angearbeitet wurde, konnte sich eine der Moderne verpflichtete autonome Theatersprache auf Dauer und bei der Mehrzahl der Zuschauer durchsetzen. Wiederum zutreffend in der Beschreibung, äußerte Hans-Rainer John, einer dieser traditionellen Theatergänger – nicht zufällig der Chefredakteur von Theater der Zeit – schon vor Jahresfrist seinen tiefen Missmut ob der verweigerten schönen Gefühle angesichts der Schlussszene von Herbert Königs Sommerbürger-Inszenierung in GörlitzZittau: Ganz falsch scheint mir, wie der Regisseur den Darsteller des Alexander Port (Detlef Lux) führt. Wenn der Bürgermeister werden soll, flieht er zunächst in bekannter Weise über die Parkettsesselrü-

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cken durch den Zuschauerraum (Helfen Sie mir! – Soll ich denn wirklich?). Das Publikum, das ihn mit den Augen Schottes sieht, setzt auf ihn. Aber nun folgt die Einkleidung (durch Reusse und Doskat) wie eine Vergewaltigung, er wird einfunktioniert, der Apparat schafft ihn, der junge Revolutionär versagt, die Hoffnungen des Alten und der Zuschauer sind zunichte. Das wollte Baierl nicht! Bei ihm geht Schotte am Ende des Stücks in sein Haus und Part hat mit einem kräftig-optimistischen Spruch das letzte Wort. In Görlitz geht die Sache anders aus. Schotte wünscht sich ein Lied, man geht zum Klavierspieler, bestellt die Barkarole (ausgerechnet!) und während alles tanzt, stirbt Schotte, kaum beachtet.10 Das war weitverbreitetes Theaterverständnis, daran ist nicht zu rütteln und es ist nicht allein der stasigesteuerten Verleumdungskampagne gegen Herbert König zuzuschreiben, dass er fast kaltgestellt wurde. In den kleinen Städten, an deren Theater er arbeiten durfte, fehlte es schlichtweg an verständnisbereiten Zuschauern für seine Inszenierungen. König war nach 1977 neben dem ihm ästhetisch-methodisch nahestehenden Jürgen Gosch wohl der einzig bedeutende dissidente Schauspielregisseur in der DDR. Den Begriff der Dissidenz auf praktizierende Theaterkünstler in der DDR anzuwenden ist heikel, standen sie doch im Augenblick des Inszenierens in leitender Funktion einem Produktionsprozess und -apparat vor, der von ihnen, wollten sie ihrer Dissidenz materielle Gewalt verleihen, durch die Inszenierung hätte ins Chaotisch-Zerstörerische getrieben werden müssen. Mit einer kommensurablen Inszenierung verfielen sie sofort dem affirmativen Grundcharakter des deutschen Stadttheatersystems, das sich qua Selbstverständnis noch jeder staatlichen Superiorität anbequemt hat, und wurden Teil dessen, wovon sie Abstand nehmen wollten. Von einem dissidenten Regisseur zu sprechen, ist nur dann rechtens, wenn es ihm gelingt, durch seine mehrwöchige Probenarbeit die herrschenden, gesellschaftskonformen Produktionsregularien und die ihnen immanenten ideologisch verbogenen kommunikativen Mechanismen und autoritären Hierarchien grundsätzlich infrage zu stellen und möglichst umzustürzen. Im Probenprozess ist ein diskreter Raum potentieller Dissidenz zu entdecken, zu behaupten und auszuschreiten. Hier können sich kreative „Zellen“, „Gruppen“, „Kollektive“ bilden, die in der Lage sind, den hochsensiblen und konfliktgeladenen Prozess des lustvollen kollektiven Erfindens ästhetischer Gebilde konsequent durchzuhalten und in der Aufführung so zu veröffentlichen und in den folgenden Vorstellungen so zu reproduzieren, dass für das Publikum

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dieser kreative Prozess nacherlebbar wird. Das Theaterspiel überschreitet in diesen Momenten die engen Grenzen der reinen Abbildung von Wirklichkeit, fälschlich Realismus geheißen. Im Theater kann das spielende Kollektiv die Totalität menschlicher Fähigkeiten beweisen, indem es sich und seine Umwelt darstellt, kritisiert, bloßlegt, verwandelt und umstülpt. Dieser Spielgedanke war für ein originäres sozialistisches Theater zweifellos das ästhetische Ziel, wurde aber kulturpolitisch konsequent verhindert. Um dieses Ziel realisieren zu können, hätte die herrschende Organisationsform des deutschen Stadttheaters tatsächlich sozialisiert, d. h., in die Hände der Produzenten und des Publikums gegeben, in die künstlerische Selbstverwaltung überführt werden müssen. Die rein formelle Umwidmung der bürgerlichen Stadttheater in ein sozialistisch genanntes, staatlich zentriertes Gesamtstadttheatersystem, gelenkt und geleitet vom Ministerium für Kultur, der Abteilung Kultur im ZK der SED und den 15 Bezirksleitungen der SED, veränderte die überkommenen Organisationsweisen und Arbeitsstrukturen der knapp fünfzig Stadttheater kaum – bis auf den scheinbar geringfügigen, sich aber katastrophal auswirkenden Umstand, dass alle ästhetischen Entscheidungen ideologischer Kontrolle und blanker politischer Bewertung unterstellt werden konnten. Dieter Schlenstedt beschrieb 1971 zutreffend das kulturleitende Selbstverständnis der SED: Für die sozialistische Kultur, einen bewussten, kollektiven, einheitlich geleiteten Prozess kann die Vorstellung eines auf der verabsolutierten Intuition beruhenden Schaffens nicht gemäß sein – weder in der Form einer apologetischen Ideologie des nicht-bewussten Gesamt, der „naturwüchsigen“ Tätigkeiten des „Organischen“, noch in der Form einer subjektivistischen Kritik der kapitalistischen Verdinglichung, ihrer Organisiertheit als einer ideologischen Verurteilung jeder Organisation.. Prüfen wir die wichtigsten Debatten in der sozialistischen Literatur unter diesem Aspekt, so stellt sich schnell heraus, dass in ihnen die Organisation der Literatur zur Literaturbewegung – gerade im Zusammenhang mit der Forderung nach organisierenden Wirkungen der Literatur – als wichtige Aufgabe erkannt und gestellt wurde.11 Wenngleich auf die Literatur bezogen, gelten die Ausführungen Schlenstedts auch für das DDR-Theatersystem: Eine Literatur entwickelt sich, die in vielfältiger Weise auf der Grundlage der sozialistischen Gesellschaftsordnung die Meiste-

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rungsmöglichkeit des menschlichen Schicksals in der Praxis der Meisterung der Arbeit, der ganzen mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Beziehungen vorweist. Sie weiter zu entfalten – darauf ist die Aufgabenstellung für die Kunst unserer Gesellschaft gerichtet.12 Unumwunden ist die parteipolitische Anforderung an die Künste in einer Erklärung des Staatsrates der DDR formuliert: Die Kunst hat einen wirkungsvollen Beitrag dafür zu leisten, daß sich die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik in rasch wachsendem Maße als bewußte, wirkliche Herren und schöpferische Gestalter ihrer eigenen gesellschaftlichen Organisation, als wirkliche Herren über sich selbst begreifen, wissen und fühlen, da von ihnen immer bewußter, ständig neue, schwierige, vielseitige und komplizierte Aufgaben zu lösen sind.13 Soweit die rigide Theorie, die zwar in der Praxis durchaus laxer gehandhabt, aber dennoch jederzeit zur Disziplinierung widerspenstiger Künstler und für die Unterdrückung missliebiger Kunstwerke eingesetzt werden konnte – und wurde. Gelang es trotz allem den oben beschriebenen Gruppen selbstbestimmter Theaterkünstler über mehrere Inszenierungen hinweg in einem Theater zu agieren, so wurde dieses Theater tatsächlich zu einem temporären Ort der Gegenöffentlichkeit. Hier wurde das versucht, was György Konrad 1982 als unabdingbar für die Freiheit des Intellektuellen unter sozialistischen Bedingungen reklamierte: „Der schöpferische Intellektuelle ist ein Superarbeiter, ein Arbeitnehmer mit einer höchst komplizierten Tätigkeit. Wenn er seine geistig-körperliche-nervliche Begabung, die ihm und nicht dem Käufer gehört, auf einem Markt verpachtet, auf dem er die Bedingungen diktiert, dann ist er an seinem Platz.“14 So geschah es ansatzweise in Brandenburg von 1974 bis 1976 durch die Gruppe um Herbert König, im gleichen Jahr in Schwerin von Jürgen Gosch und seinen Kombattanten angestrebt, aber umgehend noch vor der ersten Premiere von der Schauspielleitung des Theaters unterbunden15 und dann Jahre später schließlich von Frank Castorf als Oberspielleiter in Anklam in den drei Spielzeiten von 1981/82 bis 1983/84 realisiert. In den Theatern der DDR gab es natürlich im beschriebenen Zeitraum eine Reihe einzelner Inszenierungen, die unvereinbar mit den Erwartungen der Parteibürokratie waren, von ihr aber achselzuckend, nur im internen Kreis verdammt, widerstrebend hingenommen und von den jeweiligen Theaterleitungen nolens volens gedul-

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det werden mussten, um dem Schein der „Weite und Vielfalt des sozialistischen Realismus“, eines angeblich „großen Spielraums des schöpferischen Suchens“ (Kurt Hager, 1972) aufrecht zu erhalten. Diese Inszenierungen wurden in ihrem Kunstwert zwar harscher Kritik unterzogen, zugleich aber, da öffentlich zugänglich, umfunktioniert zu Beweisen des demokratischen Charakters der Kulturpolitik. Ein wesentlicher Grund für eine nachlassende Reglementierung der inszenatorischen Arbeit war jedoch die Folge des unerwarteten Abbruchs des am weitesten gespannten Versuchs der demokratischen Sozialisierung eines Theaters im Jahre 1977: Benno Besson trat von der Leitung der Volksbühne Berlin zurück und verließ für immer die DDR. Die beiden profilbestimmenden Regisseure Matthias Langhoff und Manfred Karge taten es ihm gleich. Ihnen sollten in den nächsten Jahren viele weitere Regisseure aus der DDR folgen. Den Auszug der Regisseure aus den Theatern der DDR konnte die SED nicht stillschweigend hinnehmen, aber aufhalten konnte sie ihn auch nicht, schon der ausposaunten Weltoffenheit des Sozialismus wegen und angesichts der vielfältigen Versuche, weltpolitische Reputation im Schatten der Helsinki-Beschlüsse zu erwerben. Sie musste lernen, diesen Exodus auf irgendeine Weise zu kanalisieren. In diesem Moment trat das Ministerium für Staatssicherheit auf den Plan und übernahm auf seine Weise das kulturpolitische Zepter, indem sie die künstlerischen Kader erfasste, geheimdienstlich aufklärte und ihrer „Verlässlichkeit“ nach gruppierte. Letztinstanzlich verfügte das MfS in den 1980er Jahren über das kulturelle Geschehen in der DDR. Auf seine Hinweise hin wurden einzelne Inszenierungen und Stücke „durchgelassen“, einzelnen Regisseuren ein nahezu permanentes Arbeiten „im Westen“ zugestanden und anderen wiederum ein unbefristetes Reisevisum erteilt. Doch eine totale Freizügigkeit war natürlich unmöglich und so wurde die westliche Arbeitserlaubnis eine von den vielen unterschiedlichen Privilegien, mit denen der „vormundschaftliche Staat“ (Rolf Henrich) seine Mündel unter Aufsicht zu halten versuchte. Ideologisch war das nicht mehr zu begründen, denn das schnelle Lippenbekenntnis zur DDR reichte hin, selbst schon einfaches Stillhalten konnte genügen, um individuelle Vorrechte genießen zu können, die der Masse der Arbeiter und Angestellten schnöde verweigert wurden. Dieses Verfahren der gezielten Privilegiengewährung und -verweigerung war der letzte Versuch lenkend und leitend in das kulturelle Geschehen einzugreifen. Es war ein Offenbarungseid. Aber es war auch das letzte Pressionsmittel gegen widerständige und widerspenstige Künstler, die immer noch bestraft werden mussten, da sie jede Geste des Einverständnisses mit dem System ablehnten. Herbert König sollte noch gehörig

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darunter zu leiden haben. Das MfS hatte ihn nicht vergessen. Seine berufliche Abstrafung endete erst im Herbst 1983. Mit dem Abgang Bessons von der Volksbühne – einem zweifellos historischen Einschnitt in der deutschen Theatergeschichte – war nicht nur der letztverbliebene Ort einer kreativen zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Brechts Theaterästhetik verwaist; es war auch das einzige Theaterprojekt in der DDR seit Gründung des Berliner Ensembles gescheitert, das traditionelle und weiterhin gültige Stadttheaterprinzip auf einer sozialistischen Basis umzugestalten. Mit diesem gescheiterten Versuch endeten letztlich alle weiteren an kleineren Theatern, besonders innerhalb der Schauspielensembles strukturell und dramaturgisch der Praxis der Volksbühne Berlin mit eigenen Mitteln nachzuarbeiten. Diese Bestrebungen wurden noch Ende der 1970er Jahre ideologisch beargwöhnt und kulturpolitisch blockiert. Dennoch ist hier nicht von einer dissidenten Aktivität zu sprechen, hier ging es nur um die langanstehende Modernisierung einer vormodernen, längst aus der Zeit gefallenen patriarchalisch-geschäftsmäßig bestimmten Form des Verkaufs der „Kunstware Aufführung“. Aber wie gesagt, dieses System war wunderbar geeignet, zentralistisch verwaltet und beaufsichtigt zu werden, weshalb es der Kulturbürokratie lieb und teuer war. Die damals oftmals in der Theaterpublizistik geäußerte Meinung, das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin und sein Schauspielensemble hätten die Arbeit der Volksbühne erfolgreich fortgesetzt, kann hier nicht umfassend diskutiert werden, sei aber zumindest mit einem Argument infrage gestellt: In Schwerin wurden mit freundlicher Unterstützung der Bezirksleitung der SED von einem ehrgeizigen Team und einem begabten Regisseur alle personellen und organisatorischen Möglichkeiten des Stadttheaters ausgereizt für die Inszenierungen dieses Regisseurs, die propagandistisch ausgeschlachtet, den Beleg dafür liefern sollten, dass auch, gerade und eigentlich nur in Übereinstimmung mit den „gesellschaftlichen Partnern im Territorium“, so die gängige Floskel, eine der Arbeiterklasse würdige Theaterkunst gedeihen könne. Diese Funktion des Schauspielensembles und seiner Aufführungen war allen Beteiligten klar und von der künstlerischen Leitung akzeptiert und gewollt. Mit dieser Feststellung ist nichts über die wirkliche kommunikative Qualität der einzelnen Inszenierungen von Christoph Schroth gesagt, wohl aber über ihre zeitgenössische theaterpolitische Indienstnahme. Die Schweriner Inszenierungen waren schnell, knallig und laut, persuasiv und rhetorisch, den Zuschauer effektvoll überrumpelnd durch die Präsenz und Dynamik der Spieler. Die Inszenierungen waren ein einziges großes Werben um die Gunst des Publikums unter dem Signum des sozialistischen Volkstheaters, theatra-

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lisch gut aufgemacht und unterhaltsam, moderat kritisch, jedoch ästhetisch und ideell kommod eingerichtet in den Verhältnissen, wie sie nun einmal waren. Vorbildlich konnte das schon nicht mehr wirken. Dennoch hatte das Mecklenburgische Staatstheater seinen Reiz, aber einen fragwürdigen. Überhitzungen und Formalisierungen im Schauspielerischen – die Figuren werden tendentiell zu exaltierten oder erstarrten Umrissen lebendiger Wesen – stehen neben vordergründiger Agitation des Zuschauers. Dem Zuschauer wird die freie Wahl eines Standpunkts zu den szenischen Vorgängen und den Figurenschicksalen radikal verweigert. Die szenischen Bewertungen türmen sich auf den Figuren und entheben die Zuschauer der Mühe, das Spannungsverhältnis „Wirklichkeit und Bewertung der Wirklichkeit in der Aufführung“ zu befragen. So kann es geschehen, daß die angestrebte Öffnung des Theaters für die tatsächlichen Lebensprobleme des Zuschauers zu dessen Bevormundung durch Theater gerät.16 Christoph Schroth war einer der wenigen wirklich satirisch-polemischen Regietalente zu dieser Zeit, aber er blieb mangels ihm zugänglicher und gestatteter Stücktexte – auch und besonders in Schwerin hatte die Bezirksleitung der SED in Spielplanfragen das letzte Wort – ein Satiriker, der auf der Stelle trat und in die immer gleiche Kerbe hieb, ein Polemiker, der sich im Kreis drehte und immerfort nur die Gleichen traf. Mit der enorm publikumswirksamen Kurzfassung von Goethes Faust. Erster und Zweiter Teil 1979 war diese zweifellos erfolgreiche Art Theater an ihrem Endpunkt – und nicht wie die zeitgenössischen Kritiker unisono jubelten auf ihrem Höhepunkt – angekommen. Faust war bruchlos und problemlos integriert in das Schweriner Volkstheaterprogramm, wenngleich folgerichtig der zweite Teil konzeptionell und inszenatorisch dabei auf der Strecke blieb. Die Gestalt des Faust wurde arg opportunistisch zum imperial-kapitalistischen Unternehmer verbogen. Die Goethesche Dialektik von gesellschaftlich-praktischem Scheitern Fausts und seiner ideellen, „volkskunstgemäßen“ Selbstbehauptung gegen alle realen Zwänge schien den Inszenatoren keinen Gedanken wert. Königs Inszenierung verlangte nach einem affirmativ-unproblematischen Schluss und der war mit der kleinkarierten Kritik des Kapitalismus schnell zur Hand. Königs jahrelange Dissidenz artikulierte sich theatralisch nicht in politisch oder ideologisch vordergründigen Bühnenaktionen, sondern in Bühnenvorgängen, die eine menschlich zerstörerisch wirkende Ent-

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fremdung und ihre gesellschaftliche Fundierung im Sozialismus als reale Erscheinung unverschlüsselt darstellten und erlebbar machten. Für dieses Theater gab es keinen Platz im staatssubventionierten und parteikontrollierten Theater und ein anderes gab es in der DDR zu diesem Zeitpunkt nicht. Höchstes Glück allein die eingeräumte Zeit von Probenbeginn bis zum immer befürchteten, nie gewünschten und eben doch auch herbeiinszenierten Verbot. „Wenn man schon keinen Spaß daran hatte, dass die inszenierten Stücke gespielt wurden, musste man versuchen, wenigstens Spaß an der Arbeit zu haben.“ (Herbert König) Welch realitätsgerechte Einschätzung der absurden Situation! Und dennoch gelingen ihm unter diesen Umständen die illusionslosen und im wahrsten Sinne des Wortes Schule machenden Inszenierungen: Gorkis Nachtasyl (Greifswald 1981) und Der Impresario von Smyrna (Zittau 1982). Diese Inszenierungen wurden von einem Großteil der unangepassten, widerständigen und künstlerisch neugierigen Theaterkollegen aus der Republik gesehen, während sie vom ortsansässigen Publikum überwiegend ignoriert, auch angegriffen und nur von einer lokalen Minderheit verstanden und akzeptiert wurden.

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Der Brief ist an mich gerichtet. Der Brief war von König an den VT zu meinen Händen adressiert, da ich dort 1976 und 1977 als Sekretär für Schauspiel und Puppenspiel arbeitete und König meine Privatadresse unbekannt war. Ich habe den Brief in meinen Dienstunterlagen abgelegt und bei meinem Ausscheiden aus dem VT versäumt, an mich zu nehmen. Mein Nachfolger war fatalerweise Jörg Liljeberg. Ich fand diesen Brief folglich in meiner Stasi-Akte wieder. (BStU. MfS, BV Berlin, ASB 14 305/83, S. 27.) Anmerkungen zu den genannten Personen und ihren damaligen Funktionen: Werner Eisenblätter, Intendant des Gerhard-Hauptmann-Theaters Görlitz/Zittau; Gert Jurgons, seit 1977 Schauspielregisseur am Theater Magdeburg; Claus Martin Winter, Regisseur und Schauspielpädagoge, ab 1977/78 Oberspielleiter in Nordhausen, mit Herbert König durch Szenenstudien an der Schauspielschule Rostock in den Jahren 1976 und 1977 bekannt geworden; Rainer Adler, Mitarbeiter der Direktion für Theater und Orchester beim Ministerium für Kultur der DDR (DTO, vorher: ZBN, auch „Bühnennachweis“ genannt). Der Briefwechsel zwischen dem Intendanten des Theaters Prenzlau, Helmut Frensel und Herbert König August–Oktober 1977 beweist, dass auf Frensel von außen Druck ausgeübt wurde, König weder als Oberspielleiter noch als Gastregisseur zu engagieren. Siehe HKA 162.

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Handschriftlicher Brief von Herbert König an Manfred Dietrich; Privatarchiv Manfred Dietrich. Renate ist Renate Krößner.

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Solo Sunny, DEFA-Spielfilm, Regie: Konrad Wolf, Hauptrolle: Renate Krößner, Premiere 17. Januar 1980. Krößner erhielt als erste Schauspielerin aus der DDR den Silbernen Bären der Berlinale 1980 für die beste weibliche Hauptrolle.

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Handschriftliche Notiz von Herbert König, Theaterarchiv Landestheater Dessau.

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H. Otto: „Die verlassene Prinzessin“, in: Liberaldemokratische Zeitung, 31. Januar 1980.

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Jochen Gleiß: „Landestheater Dessau ‚Die Eroberung der Prinzessin Turandot‘ von Wolfgang Hildesheimer“, in: Theater der Zeit 3/1980, S. 2.

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Ebd.

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H. Otto: a. a. O.

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Ganz unten

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Ebd.

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Hans-Rainer John: „Kabarettistischer Kostümspaß“, in: Theater der Zeit 4/1978, S. 57. Die von John als bekannt vorausgesetzte „Flucht über die Parkettsitzlehnen“ bezieht sich auf den legendär gewordenen Schlussabgang Jutta Hoffmanns in der Fräulein Julie-Inszenierung des Berliner Ensembles quer durch den Zuschauerraum.

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Dieter Schlenstedt: „Der produktive und der überflüssige Mensch. Ein Thema der Auseinandersetzung um Gegenstand und Funktion revolutionärer Literatur“, in: Revolution und Literatur. Zum Verhältnis von Erbe, Revolution und Literatur, hrsg. von Werner Mittenzwei und Reinhard Weisbach, Leipzig 1971, S. 205.

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Ebd., S. 258.

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Die Entwicklung des geistig-kulturellen Systems im gesellschaftlichen System des Sozialismus, 13. Tagung des Staatsrates der DDR, Berlin 1968, S. 32.

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György Konrad: Antipolitik, Frankfurt/Main 1985, S. 216.

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Vgl. dazu die unterschiedlichen Sichten auf den Vorgang vor Bekanntwerden der einschlägigen Akten des MfS durch Renate Ullrich in Schweriner Entdeckungen, Berlin (Ost) 1986 und nach Bekanntwerden dieser Akten durch Christiane Baumann in Hinter den Kulissen, Schwerin 2011.

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Thomas Wieck: „Theaterarbeit als politisches Forum“, in: Sonntag 31/1978, S. 6.

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DER DURCHBRUCH: NACHTASYL -

Erst ein Jahr nach der Dessauer Turandot-Premiere konnte Herbert König seine nächste Inszenierung beginnen. Manfred Dietrich war es tatsächlich gelungen, „etwas Ernsthaftes anzurühren“. Herbert König wurde in Greifswald engagiert, um Gorkis Nachtasyl zu inszenieren, und ihm wurde eingeräumt, zwei Schauspielerinnen und einen Schauspieler als Gäste zu besetzen. Zudem traf er im Ensemble auf drei seiner Rostocker Schauspielstudenten. Diese nahezu idealen Bedingungen sollten fruchten. Parallel zu Nachtasyl probierte Peter Konwitschny mit Pieter Hein als Bühnenbildner die Operette Die Gräfin Mariza. Um die Jahreswende 1980/81 war plötzlich das Theater Greifswald im Fokus der kleinen DDR-Theaterwelt: Von beiden Regisseuren und ihren Teams erwartete man entweder „Schlimmstes“ oder „Wegweisendes“, was sachlich beidemal dasselbe meinte. Erwartet wurden Inszenierungen, die der Wirklichkeit des Moments des Spiels entsprachen und sich nicht in dem wundgelaufenen Verfahren der nachbrechtschen Historisierung erschöpften oder sich gar in dem modisch werdenden ironischen Vorzeigen der Scheinhaftigkeit allen Theaterspiels ergingen. Was hatte Herbert König mit Gorkis Nachtasyl vor? Die Gesellschaft hat sie nicht ertragen und sie ertragen diese Gesellschaft nicht: das Schicksal von Gorkis Ausgestoßenen hat die Ambivalenz seines (nicht korrekt) übersetzten deutschen Titels „Nachtasyl“. Asyl, so das Lexikon, meint nicht nur Obdachlosenunterkunft‚ sondern auch Zufluchtsstätte. In dunkler, schlimmer Zeit „bei Nacht“ kann ein Asyl lebensnotwendig, -rettend sein. Die Gesellschaft mit ihrem System von Verboten und Verdrängungen‚ mit ihren „ewigen Prinzipien“ und „gültigen Werten“ als Instrumente der Unterdrückung produziert permanent Leute, die „unten“ sind‚ am Rande, in der Tiefe. Heute nennt man sie „ausgeflippt“ oder einfach „out“ und meint damit alle‚ die anders sind: Gammler‚ Gastarbeiter, Neger, Juden, Junkies, Schwule, Alkoholiker, Terroristen usw., auch Menschen, deren Geist an der Gesellschaft krank wurde und denen denn eben diese Gesellschaft in flotter Umkehrung das Prädikat „geisteskrank“ anpappt. (was die meisten Leute von Hölderlin wissen: er war „umnachtet“) Ob man sie (mehr oder weniger verschleiert) Randgruppen‚ Außenseiter, Subproletariat benennt, gemeint sind

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hier jene, denen des Leben seelische und körperliche Verletzungen zufügt‚ jene die in Gorkis Stück durch Zwang in die Tiefe kommen und dann zuletzt freiwillig dort bleiben (beim wievielten Anlauf über ein Hindernis zu springen, weicht die Bewunderung für Beharrlichkeit der Lächerlichkeit?) oder wie heute oft als Protest gegen „oben“ freiwillig in den „underground'“ gehen um zu kämpfen und/oder zu überleben und/oder zu resignieren. Ob mit radikalem Anspruch an Veränderung oder mit radikalem Mangel an Hoffnung versehen‚ allein ihre Existenz wirkt eben störend/verstörend auf die Gesellschaft‚ wie sie andererseits als negativdrohendes Beispiel stabilisierendes Moment für Ordnung und Sicherheit darstellt. Gorki zeigt Menschen, wie sie sind (geworden sind), und begründet damit‚ wie eine Gesellschaft möglich ist, die Menschen ausstößt. Jede Figur hat seinen Respekt, seine Zuneigung: ob sie nun „gut“ oder „schlecht“ ist, bleibt unwichtig, was allein zählt, ist das exemplarische Zeugnis, das sie gegen die unmenschliche Gesellschaft ablegt, und Gorki appelliert mit dem Stück, sich nicht an die Lüge anzupassen. Dabei hat Gorkis Aggressivität der Milieuwahl für uns keinerlei Bedeutung. Gerümpel und Lumpen‚ Stimmung, Atmosphäre‚ Sentimentalität und Tränen führen uns vom Gehalt des Stückes ebenso wie Stanislawskis „Romantik der Landstreicher“. Niemand heuchelt soviel Verständnis und Mitgefühl für den Unterdrückten wie der Unterdrücker. Für die Figuren des Stücks heißt Überleben auch gnadenloser Kampf, Egoismus und Brutalität. Das Stück hat keinen Knalleffekt‚ keine spannende, durchgehende Geschichte fesselt, der Reichtum des Stückes liegt in den Figuren, sie stellen ihr Leben in Frage durch Affekt, kurzschlüssige Aktionen, Selbstmitleid‚ ihre Sehnsucht nach Zuneigung, ihre Träume und Illusionen werden mit Zurückstoßen‚ Verletzungen, Enttäuschungen beantwortet. Ihre Ängste, Zwänge‚ Obsessionen bringen sie zu sentimentalen Jammer oder zu ohnmächtigem Schrei. Verzweiflung und Alleinsein lassen sie „auf den Grund“ nach Gemeinsamkeit suchen, sie gehen aufeinander zu und doch aneinander vorbei, abgestumpft‚ keine Notiz voneinander nehmend (auch jene, die Sympathie füreinander empfinden oder sich zu lieben glauben). Im Mikrokosmos des Nachtasyls ist die Suche nach Wärme und Verstehen eine Möglichkeit weiterzuleben. Lukas Erscheinen bringt bereitwilliges Folgen, auch Widerspruch, vor allen aber den Anstoß zur Reflexion, er verbreitet keine Lügen‚ er glaubt daran, was er sagt, aber seine Lehre selbst ist Lüge, weil sie denjenigen, der an sie glaubt, der Einsicht in

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die Wahrheit enthebt. Zerbrechen die Illusionen bleibt als letzte Konsequenz. Sein Leben zu leben, der Tod. Gorkis Figuren haben einen gemeinsamen Abgrund und die gemeinsame Unmöglichkeit des sich Anpassens, aber jede Figur hat ihre extreme Individualität. Die Wahrheit der Figuren ist die Wahrheit des Lebens. In ihrer Grausamkeit liegt ihre Schönheit: gebt den Kreaturen andere Bedingungen zum Leben und sie werden menschlich leben. Gorkis Stück „Nachtasyl“ plädiert für die Freiheit des Individuums. Herbert König1 Aus diesen Überlegungen heraus entsteht eine herausragende Aufführung, eine der seltenen theatralischen Gestaltungen der wirklichen Wirklichkeit des Stagnierens, Vereinsamens und Verzweifelns der jungen Generation in der DDR – und diese Inszenierung wird zum Prüfstein für die realen Möglichkeiten eines solitären Theaters, das im Gegensatz zu den anderen Spielarten gesellschaftskritischen Theaters in der DDR nicht sozialismuskritisch oder -reformerisch gesonnen ist, sondern den Versuchen der vereinzelt Einzelnen in jeder Gesellschaft sich zu verwirklichen, menschlich werden zu können, akribisch nachforscht und qua Spiel infrage stellt. Solche Spiele einer von sich selbst überzeugten sozialistischen Gesellschaft vorzuhalten, war – so sollte es sich zeigen – in der DDR nicht möglich, aber es war seit seiner ersten Inszenierung das Grundmotiv der Theaterarbeit von Herbert König und mit Nachtasyl gelingt es ihm, mit einem empathischen Ensemble dieser Gesellschaft ihre eigene, bisher überhörte Melodie vorzuspielen. Den schlüssigsten Kommentar zur Inszenierung könnte Gottfried Benn bereits 1929 geliefert haben: [M]ir kommt der Gedanke, ob es nicht weit radikaler, weit revolutionärer und weit mehr die Kraft eines harten und fiten Mannes erfordernder ist, der Menschheit zu lehren: so bist Du und Du wirst nie anders sein, so lebst Du, so hast Du gelebt und so wirst Du immer leben. Wer Geld hat, wird gesund, wer Macht hat, schwört richtig, wer Gewalt hat, schafft das Recht. Das ist die Geschichte. Die Geschichte ist ohne Sinn, keine Aufwärtsbewegung, keine Menschheitsdämmerungen; keine Illusionen mehr darüber, kein Bluff. Die Geschichte ist der Schulfall des Fragmentarischen, ein Motiv Orient, eine Mythe Mittelmeer; sie übersteht den Niagara, um in der Badewanne zu ertrinken; die Notwendigkeit ruft und der Zufall antwortet. […] Hier ist das heute, nimm seinen Leib und iß

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und stirb … Diese Lehre scheint mir weit radikaler, weit erkenntnistiefer und seelisch folgenreicher zu sein als die Glücksverheißungen der politischen Parteien.2 In mehreren Gesprächen mit mir erinnern Schauspielerinnen und Schauspieler sich an den für sie unvergesslichen Arbeitsprozess:3 „Die ursprüngliche Erwartungshaltung war groß – jetzt passiert hier ganz was Verrücktes. Das Gegenteil war der Fall: Es war von der Konzeptionsprobe an eine derartig konzentrierte und hermetische Probenatmosphäre, wie ich es kaum noch einmal erlebt habe und bis dahin überhaupt noch nicht. Aber nicht, weil wir irgendein experimentelles Theater machten, es ging um die Geschichte, die tatsächlich Gorki war, nichts Abgedrehtes, es ging um die Geschichte von Gorki: Ganz unten. Die Fassung war vor Probenbeginn fix und fertig – jede Situation herausgefiltert und sauber ‚als Episode‘ aufgeschnitten, ausgeschnitten. Das war keine Anleihe bei einer Spielweise des Unterbrechens, Anhaltens usw. Episches Theater war das nicht. Die Episodentitel waren oberhalb der Szene projiziert, sie unterbrachen nicht den inneren schauspielerischen Handlungsfluss. ‚Stanislawski‘ blieb erhalten. König zeigte zu Beginn all die schockierenden Bilder aus einem dokumentarischen Bildband über die USA, von denen dann einige im Programmheft abgedruckt wurden. Das war eine Anregung – und auf der anderen Seite lieferte die Stadt Greifswald hinreichendes Anschauungsmaterial, Milieu für die Inszenierung. Die Figuren mussten nicht aus einer fremden unbekannten Welt oder aus dem Film abgezogen werden, solche Typen sah man in Greifswald. Die Figuren waren in Greifswald erkennbar, so bot das in der Kneipe ‚Treffpunkt‘ (neben dem Theater gelegen, diente eine Zeitlang dem Theater als Mittagskantine) verkehrende Publikum genügend ‚Studienmaterial‘. Das war uns bewusst, dass es um unsere Zeit ging, um unser Leben. Wir mussten nur den Mut entwickeln, radikal zu zeigen, dass die Differenzen und Unterschiede zwischen damals und heute und dort und hier in eins zusammenfallen, im brutalen Überlebenskampf von Menschen/Figuren, die von der Gesellschaft ausgestoßen sind. Die Konzeptionsprobe lief normal. Verwunderung ergab sich dann natürlich auf den Proben, wo von einigen Kollegen, die ihn nicht kannten, doch Fragen gestellt wurden, die er klug beantwortete, und dann wurde probiert. Da aber der Probenprozess einen großen gedanklichen Freiraum dem Schauspieler für das Finden seiner Figur öffnete, wurden die einzelnen politischen Haltungen und Ansichten der Kollegen deut-

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lich herausgefordert. Da entstanden dann auf den Proben viele Fragen und Diskussionen zwischen den Kollegen für und wider. Da gab es auch schon Fragen danach, was das eigentlich soll. Das klischierte DDR‚Gorki-Bild‘ – ‚Vater des sozialistischen Realismus‘, ‚Sturmvogel der Revolution‘, ‚sozialistischer Humanist‘: ‚Ein Mensch, wie stolz das klingt!‘ wurde auf den Proben natürlich in Frage gestellt und daraus resultierten dann viele Diskussionen. Aber – und das war das Entscheidende an der Sache: Es war spannend, weil – es war neu. Die Probenatmosphäre war hervorragend, auch deshalb, weil König sehr ruhig und bestimmt, sehr intelligent, den Fragen begegnete, seine Absichten und Sichten klar und deutlich artikulierte und begründete. Alles in allem: Wir arbeiteten offen miteinander und es wurde auch nicht in der Kantine oder wo auch immer gegen die Arbeit „geschossen“, nichts Nachteiliges über sie verbreitet. König hat den Schauspielern Freiraum gelassen und dann systematisch den Freiraum durch Fragen, Beobachtungen so eingegrenzt, dass er uns dann zwanglos so weit brachte, das zu spielen, was er für treffend hielt und was der Schauspieler auch durchaus berechtigt, als von ihm selbst kommend, als sein Eigenes und besonders zu Verteidigendes überzeugend verkörpern konnte. Improvisation war die Grundlage des Probenprozesses, im Spiel mit den anderen wurden die Figuren gefunden – und da reichten tatsächlich zehn Tage intensives Improvisieren aus, um tragfähige Grundvorgänge und deutliche Figurenumrisse zu gewinnen. Alle waren daran beteiligt in den kollektiven Impros gab eine Idee, eine Forderung, die andere; ich spielte einen Vorschlag, der dem Partner half und umgekehrt. Diese Art Gruppenimprovisation verlief in den Bahnen der allgemeinen Vorgaben von König. Denn ohne solche Vorgaben kann man nicht zielgerichtet improvisieren und das Ziel war klar, zumindest einem und das war Herbert König, der somit als Leiter entscheiden konnte, was wie gebraucht werden konnte, und wir konnten uns frei und angeregt ins spielerische Risiko wagen. Wir wussten, er würde uns auffangen. Herbert König konnte gelassen abwarten, er konnte sich und den anderen Zeit lassen, weil er das Ziel kannte. Man darf nicht vergessen: Er hat das Gerüst gesehen, das er haben wollte. Der Schauspieler erfuhr durch diese Proben, handgreiflich, was er in Zukunft spielen soll und was er ausprobieren kann, das körperliche Ertasten/Improvisieren der hauptsächlichen Fabelpunkte, das ist in den ersten Proben der Sinn gewesen. Das ist dann der Freiraum, keine abstrakte Freiheit, sondern die Freiheit, gedanklich wie körperlich sich nach eigenem Willen zu bewegen und Erfahrungen zu sammeln – miteinander, auf der Basis der

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ersten gemeinsamen Erfahrungen und Zusammenspiele, das war der Witz: Was mache ich angesichts einer Badewanne auf der Bühne? Nach zehn Tagen waren die Grundvorgänge stabil und so war ein erster Durchlauf schon möglich. Die Sichtung ergab das Funktionieren, zu unserer absoluten Überraschung – bis heute! König forderte und beförderte ein kommunikatives Verhalten zwischen den Proben, das durchaus als herrschaftsfreier Diskurs gleichberechtigter Mitarbeiter zu bezeichnen ist. Er fühlte sich verantwortlich für die ästhetische ‚Blickerweiterung‘ seiner Schauspieler, seines Ensembles und zugleich brauchte er auch diese Gruppendynamik als Sprungbrett für seine Probenmethodik, die ein hohes Maß an selbständiger Handlungsphantasie und gemeinschaftlicher Spiellust erforderte, da ihm sehr daran gelegen war, den Schauspieler als Schöpfer und Erfinder der endlichen Lösungen vor sich selbst erscheinen zu lassen. Nun konnte er aber auch knallhart werden, denn innerhalb der gesetzten Freiräume bestand er dann auf dem Fixieren und der Wiederholbarkeit gefundener und bestätigter Vorgänge (Absprachen) und das wurde mit fortlaufendem Probenprozess wichtig.“ Zwischenfrage von mir: „Die Bühne ist spartanisch in drei Spielflächen gelagert, um ein leeres Zentrum hin gegliedert, von denen die Figuren aufbrechen, sich in der leeren Mitte des Raumes treffen, weitergehen und sich wieder vereinzeln. Ein ständiges Vereinzeln und Zusammenfinden/-führen scheint eine Dynamik der Inszenierung zu sein. Wie konntet ihr umgehen mit dieser wenig ‚stützenden‘ Bühne?“ „Das war schon eine heftige Herausforderung, auf der Bühne musste was passieren mit dir, in deinem Kopf, durch den Körper oder durch deinen Körper in deinem Kopf, egal ‚wie rum‘. Den Mut zu haben, eine Pause zu spielen in dieser Leere, das war schon ungewöhnlich. Eine Pause zu spielen, ist ja etwas anderes als eine Pause machen. Was geht in der Pause, in der Unterbrechung in diesem Moment des Nichts-Tuns in mir vor, in meinem Kopf, das waren die ungeheuren Vorgänge. Der Kuss z. B. zwischen Satin und dem Schauspieler – das war eine ewig lange und trotzdem ungeheuer spannende Episode des gegenseitigen Fixierens, des Abwägens, des Nicht-Wissen-was, aber Etwas-tun-Wollen und das kulminierte. Es löste sich dann auf, aber was war da vorhergegangen an Vorgängen, Entscheidungen, Abbrüchen usw. Und da kam noch eins hinzu: Das Ganze war folgenlos, es war einfach ein merkwürdiger Augenblick zwischen zwei Menschen. Wie im alltäglichen Leben, wo wir plötzlich etwas beobachten, etwas sehen – aber eben nur einen momentanen Ausschnitt. Wir haben keine Ahnung von dem, was dem Moment vorausging und was ihm folgen wird. Das war schon toll und

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wir haben als Kollegen und als Figuren gleichermaßen gebannt zugeschaut. Und mit uns gewiss auch die Zuschauer. So oder ähnlich funktionierte das. Wenn dir als Schauspieler eine ziemliche Freiheit gelassen wird, deinem eigenen Rhythmus, deiner ‚Handlungsfrequenz‘ erstmal folgen zu können, so dass du entscheidest: wann wirfst du deinen Hut in den Ring, wann mischst du dich ein in die Auseinandersetzung, wann stürzt du dich in die Aktion und wann entziehst du dich der Situation wieder, wirst wieder der Beobachter oder gehst gar ganz raus. Das alles waren improvisatorische Freiheiten, die auszufüllen und auszunutzen großartig war. Und das führte dann in den späteren Proben und in den drei Aufführungen dazu, ‚innerlich‘ auf dem Sprung zu sein als Schauspieler, eine doppelte Aufmerksamkeit zu entwickeln, was passiert jetzt und was passiert jetzt mit der Figur. Vorgänge wurden in der Dauer verlängert, ‚ausgekostet‘. Schmerzgrenzen wurden manchmal erreicht, wenn die Figur – nicht der Schauspieler – sein Handeln verzögerte, die anderen Figuren warten ließ auf seine Entscheidung. Es dauert eben, bis einer antwortet oder eben nicht. Grundansage von König: ‚Bevor du was machst, das du nicht verstehst, mach nichts. Und warte, bis du es kannst, dann tue es. Das kann dauern.‘ So inszenierte er auch, er drängte nicht, er wartete auf uns und so entstand für uns ein Zwang zum Handeln. Echtzeit des Denkens: Hier entsteht der Text, besser die Worte, aus dem Denken der Figur oder eben nicht. Er war extrem gegen alle Formen des Rollenspiels im Sinne der Erklärung, der Illustration des Textes. Aber er konnte den Text auch ganz wörtlich nehmen, das heißt, Metaphern unmittelbar in körperlich intensive und ausdrückliche Handlungen auflösen, übersetzen. Die Entkopplung von Text und Vorgang im Spiel als wesentliches Mittel, dem Vorgang Vorrang einzuräumen, Freiräume für Vorgänge überhaupt erst zu schaffen. Dazu diente auch das Einflechten scheinhaft privater Untertextpartikel und momentaner Nebengedanken in den Haupttext. Durch präzise, aus genauester Beobachtung resultierende Hinweise auf die Bedeutsamkeit figurenspezifisch körperlichen Verhaltens nahm König Einfluss auf die szenische Entwicklung und ‚drehte‘ die Szene in die ihm vorschwebende Richtung, Bedeutung, Anschaulichkeit. Der innere psychische Prozess interessierte ihn dabei nicht, außer er fehlte, denn das war und blieb das Zentrum im Probenprozess: die Eigenverantwortung des Schauspielers für seine Rolle.“ Einwand von mir: „Das führte aber bei einigen Schauspielern zu mechanischen ‚Ausstellungen‘ – das konnte und wurde als Kälte gedeutet, denn die inneren Wege hin zur Rolle, das konnte er nicht abnehmen

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und kaschieren ging nicht und das wollte König eben auf keinen Fall. So musste manches notgedrungen äußerlich bleiben, mehr Behauptung einer Figur, denn eine gespielte.“ „Das war das Risiko seiner Inszenierungsmethode, kein Leistungsdruck – das war die Hauptmaxime. König nahm extrem Rücksicht auf private Konflikte, die man nicht immer abschalten kann auf der Bühne. Er war besorgt, dass keine Überforderung eintrat, dass man sich verstanden wusste, und so hat er uns geführt und wir zahlten doppelt und dreifach, sofern wir von ihm angerührt waren – je nach unserem Vermögen – zurück. Er wusste das und benutzte das. Sein gutes Recht. Regie ist so und umso besser, wenn man in dieser Profession etwas Charismatisches hat. Er verlangte, was Schauspieler instinktiv nicht so sehr mögen, sich immer wieder auf die Suche nach der schlimmstmöglichen Verschärfung der Situation zu machen, um an die Substanz – nicht des Spielers, sondern der Figur, der Situation –, an die Wahrhaftigkeit des wirklichen Verhaltens heranzukommen – und nicht in den theatralischen Stereotypen hängenzubleiben. Das verlangte er. Und das führte aber auch bei einigen Schauspielern zum Bewusstwerden der persönlichen seelischen Verfasstheit. Im Verlaufe der Probenarbeit spürte ich auf einmal eine Übereinstimmung nicht nur mit meiner Figur, sondern auch in der Beziehung zu den anderen Figuren, die sich so allmählich herausschälten, die viel mit meiner Seelenlage in diesem Ensemble, im gesellschaftlichen Umfeld überhaupt zu tun hatte, ja unheimlich ähnlich wurde. Ich spürte mein Gefühlsleben, ich spürte Hass gegen die Abkapselung, das Eingesperrtsein, das Abgestempeltsein, das spürte ich in meinem Privatleben, in meinem privaten Umfeld genauso drängend, wie es der zu spielenden Figur eigen war. Unsere privaten Befindlichkeiten, ob wir nun mehr oder weniger mit dem System sympathisierten oder nicht, das spielte keine vordergründige Rolle. Es war alles viel zu spannend, was da so aus den verschiedenen Schauspielerkollegen alles herauskam, -brach und ins Spiel drängte, das war viel wichtiger, als die Beurteilung/Verurteilung der Stoßrichtung der Inszenierung. Wir alle schleppten ein Unbehagen mit uns rum, das explodierte, das wurde freigesetzt, herausgelockt, getrieben im gemeinsamen Erarbeiten der immer wieder auf den Punkt gebrachten Ungeheuerlichkeiten der Gorki-Geschichte. Und da half die dramaturgische Einrichtung und die Versuchsanordnung der Bühne enorm. Das Prinzip war ein filmisches. Das gesamte Material hat er für sich neu geordnet, jedes Bild hätte als Einakter gespielt werden können. Die

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Figuren haben ja keine Entwicklung, sie bleiben ja bei und in sich. Die Bilder waren jeweils nur eine neue Situation, in die die Figur gestellt wurde; sie wurden in jeweils neue Situationen gestellt, die in den Überschriften angegeben wurden. Die Figuren geraten in neue Situationen; jeweils geriet eine Figur in eine neue Situation und die anderen Figuren mussten darauf reagieren. Schon bei Gorki gibt es ja keine Entwicklung. Außerhalb ist nichts, alles ist sofort sichtbar. Die Situationen waren so organisiert, dass sie einen Knallpunkt hatten. Man kann sich das so vorstellen: Man liest Gorkis Stück und dann legt man es weg und dann überkommen dich bestimmte Bilder, Situationen und die verschränken sich neu in deiner vorstellenden Erinnerung und das inszenierst du dann als ein Traum von da unten in der Tiefe. Du kamst bei ihm auf die Probe und mit dem ersten Satz – von dir oder von ihm, egal – du hast dich in einem absolut geschützten Raum gefühlt, in dem für dich als Schauspieler alles erlaubt war, du warst nach außen geschützt, aufgehoben. Vertrauen. Ich meine nicht ‚wohlfühlen‘, ich meine ‚geborgen‘. Nicht unbedingt vom Ergebnis her, aber auf der Probe. Es ging um uns und da kam das Gefühl auf, das ein ernsthaftes Spiel erst ermöglichte, das bin ja ich. Das ist der Befreiungspunkt gewesen.“ Die Premiere sollte am 20. Februar 1981 stattfinden. Aber die Endproben schreckten die Theaterleitung jäh auf, die wie immer gut funktionierende Mundpropaganda ließ Ungemach erahnen. Der große Kuddelmuddel wurde aber erst eingerührt durch einen in diesem Augenblick noch auf Rettung der Inszenierung bedachten, aber äußerst ungeschickt operierenden Intendanten. Er schrieb in letzter Minute einen absurden Brief, der alles nur verschlimmerte. Theater Greifswald Intendant

Greifswald, 17.2.1981

An alle Anrechtsbesucher des Premierenringes I (Freitag) Sehr geehrte Theaterfreunde! Technische Gründe wie Spieldauer der Inszenierung, Sichtbehinderung auf einigen Plätzen und weiteres veranlaßten uns zu der Entscheidung, die Inszenierung „Nachtasyl“ in der gegenwärtigen Form nicht im Anrecht, sondern als Studioaufführung im Freiverkauf zu bringen. Um ihnen diese künstlerisch interessante Inszenierung von

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Herbert König a. G. vorzustellen, wird am 20. Februar anstelle der Premiere eine Voraufführung mit Studiocharakter stattfinden. Für diese Studioaufführung steht Ihnen ihr üblicher Anrechtsplatz nicht zur Verfügung, da Ihre Anrechtsstammkarte für diese Aufführung nicht gültig ist, bitten wir Sie, die Karte für ihren Platz vor der Vorstellung zum Preis von 3,05 M an der Theaterkasse zu lösen. Der bereits für die Premiere „Nachtasyl“ bezahlte Anrechtspreis wird Ihnen bei Vorlage der Anrechtskarte an der Kasse für die Premiere „Das Wirtshaus im Spessart“ im Juni 1981 gutgeschrieben. Sollten Sie die Aufführung am 20.2.1981 nicht besuchen, so bitten wir Sie um möglichst umgehende telefonische Absage, damit wir Ihre Karte weitervergeben können. Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, daß wir empfehlen, die Karten für „Nachtasyl“ nicht an Jugendliche unter 18 Jahren weiterzugeben Hochachtungsvoll Theater Greifswald Alfred Nicolaus Intendant4 Diese Premiere war einer der größten Erfolge, die sich das wahrlich nicht schlechte Greifswalder Schauspiel in seiner Geschichte erspielte. Die Schauspieler erinnern sich des besonderen Moments: „Wir haben gewusst, was wir spielen, aber wir haben nicht geahnt, was das nach sich zieht. Mit den Anachronismen hätten sie, die Funktionäre nichts anfangen können, das war uns klar und für uns war klar, sicher wird es da Diskussionen geben, na sicher wird es da Fragen geben. Aber wichtiger war, die Schere erst gar nicht ansetzen, die wir ja immer im Kopf hatten, das war entscheidend für uns, für das Spielen. Bei der Premiere, da gab es eine tolle Zustimmung. Die Stimmung, die auf den Proben herrschte hatte sich auch auf die Zuschauer übertragen.“ Rainer Etzenberg pointierte das für ihn unfassliche Ereignis: „Wenn ich in der DDR jemanden mit Kunst erreiche, das geht eigentlich nicht!“ Der Gedanke ist nicht zynisch, wie es scheinen mag, er trifft die durchschnittliche kunstrezeptive Praxis des Landes und vor allem findet er seine Bestätigung darin, dass aus einer heute schwer zu entwirrenden Gemengelage von Ängstlichkeit im Theater und Pression durch den Rat des Bezirkes Rostock und der dahinter agierenden Bezirksleitung der SED Rostock die Inszenierung nach insgesamt drei sogenannten Voraufführungen abgesetzt wurde.5 Die letzte Vorstellung fand am 1. März 1981 statt. Nachdem alles vorbei war, konstatierte ein offizieller Bericht:

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Die drei Voraufführungen hatten einen außerordentlichen Zulauf, sowohl durch das Greifswalder Publikum, als auch aus Theaterfachkreisen der Republik, wie auch eine Kartenanmeldung durch die Botschaft der BRD. (Westdeutsche Bekannte des Schauspielers Stegemann besuchten ebenfalls die Aufführung.) Es zeichnete sich ab, daß das Theater auch für weitere Vorstellungen mit einem großen Zulauf rechnen konnte.6 Nach der zweiten Vorstellung erschienen die regionalen Kritiken. „Nachtasyl“ frei nach Gorki […] Nun sehen wir es in einer Neuinszenierung am Theater Greifswald. Viel ist dabei von Gorki nicht mehr übriggeblieben, von seinem Sittengemälde aus dem zaristischen Russland. Diese StudioAufführung, für die Herbert König als Gastregisseur und Ausstatter verantwortlich zeichnet, gibt sich sehr progressiv, geht neue, ungewohnte Wege. Hier wird eine eigenständige Fassung des Theaters vorgestellt. Und der Name Maxim Gorki erscheint auch nur einmal auf dem Titelblatt des interessanten, inhaltsreichen Programmheftes, das sich auseinandersetzt mit dem Hunger und Elend in der Welt. Gorkis Grundgedanken werden ausgeweitet auf die Verelendung der Massen, wo im Kapitalismus der Profit regiert. Wer also Gorkis ,,Nachtasyl“ erwartete, wurde enttäuscht. Wer diese Version des Themas – Szenen aus der Tiefe – sehr frei nach Gorki annimmt, akzeptiert diese Adaption, die das Geschehen in die Gegenwart transponiert, Asoziale unseres Jahrhunderts in einer vom Hauswirt zu Schacherpreisen vermarkteten dürftigen Behausung vorführt – Arbeitslosigkeit, Diebstahl, Prostitution, Korruption, Alkoholismus, Not und Tod. Das ist zuweilen sehr hart, wird fast pantomimisch dargestellt, gibt dem Wort weniger Raum. Hinzu kommt, dass der Text sowieso schwer verständlich ist, weil die nackte, offene Bühne – nur ausgestattet mit Matratzen, altem Sofa, ramponierter Badewanne und einer Bettstelle für die Sterbende – sowieso alles „verschluckt“ und keine ordentliche Akustik zulässt. Schade! Die Konsequenz der jeweils den sozialen Status einer Figur bezeichnenden Kostüme läßt Herbert König nicht immer bei der Musikauswahl walten. Hier geht es bunt durcheinander – von „Hit aus der Flimmerkiste“, Opernarien, Partisanenliedern, Schöbel-Titel bis zum HardRock der Rolling Stones. Ich bezweifle aber, daß Schöbel in Slums populär ist. Aus der geschlossenen Ensembleleistung ragte das souveräne Geigenspiel (!) des „Barons“ Rainer Etzenberg hervor. Beein-

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druckend auch Renate Krößner als die rosaroten Träumen nachhängende Nastja, Katrin Martins kindliche Natascha, Gerd Gallreins gütiger Luka, Karin Dewalds Schwindsüchtige, Bernd Peschkes Dieb, Süssenguths Hausbesitzer, Gabriele Möllers brutale Natascha und Johannes Rheins stiller Mützenmacher!7 Das ist eine typische Provinzkritik, voll wohlwollendem Unverständnis, durchaus beeindruckt, aber unwillig zu einer tiefergehenden Frage nach dem Ursprung dieses Gefühls, könnte das doch zu viel vom Kritiker selbst verraten. Ganz anders reflektiert der gleichfalls in Greifswald ansässige Joachim Puttkammer in seiner Kritik die Absicht und Machart der Inszenierung. Ganz deutlich will man eine Zeitbezogenheit vermeiden, um auf das Grundanliegen zu kommen. Zu allen Zeiten gab es die Randsiedler der Gesellschaft, die Arbeitsuntüchtigen, die Ausgestoßenen, die Kranken, die Enttäuschten, Erniedrigten und Heruntergekommenen. Sie leben in diesem Nachtasyl zusammen und versuchen mit ihren Problemen fertig zu werden. Sie können nicht miteinander leben, können sich nicht solidarisieren. Sie reden auf der Bühne, aber der Partner redet meistens auch – so bleiben ihre Darstellungen allzu oft Selbstgespräche oder Plattheiten.8 Puttkammer merkt das oftmals leise Sprechen der Figuren auch an, entdeckt aber eine darstellerische Absicht: [O]ftmals verstehen wir ja auch nicht, was andere sagen. Aber das Spiel wurde in dieser Inszenierung wichtiger als das Wort. So kam es auch, daß das Stück vier Stunden dauerte und einen gewissen Langatmungseffekt erzielte – und genau das war beabsichtig. Ein Leben wird dargestellt, das sich endlos hinzieht, in dem kaum etwas geschieht. Jeder möchte ausbrechen, aber niemand schafft es und alle enden in der Katastrophe. Der Intendant nahm diese Inszenierung kurz vor der Premiere aus dem regulären Anrecht heraus und bezeichnete sie als Studioaufführung. Von einer Studioaufführung erwartet man, daß sie die Grenzen des Möglichen ausprobiert und nach neuartigen Aussagen sucht. Unter diesem Aspekt sind Szenen erlaubt, wie man sie hier sah, Szenen, die an Brutalität und Sexualität kaum zu überbieten sind. Er beschließt seine Kritik: „Daß man deprimiert nach Hause geht, liegt in der Sache begründet.“ Die kulturpolitisch folgenreichste Kritik lie-

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fert, eine Woche nach der ersten Aufführung, das SED-Bezirksorgan Ostsee-Zeitung. Gorki als Etikett? „Nachtasyl“ in der Fassung des Theaters Greifswald Einen – bisher in Voraufführungen vorgestellten – Versuch, das „Nachtasyl“ völlig abzuheben von den konkreten Bedingungen von Ort und Zeit, machte der Gastregisseur Herbert König am Theater Greifswald schon mit seiner Ausstattung. Das große, unangenehm rosa Zimmer mag in der westlichen Gegenwart angesiedelt sein, die Herren tragen mit Anzug und Hut eine Art Ami-Look, die Damen hauptsächlich Sex. Vielleicht ist hier so etwas wie eine „Kommune“ von Ausgeflippten gemeint, die ihr tristes Dasein fristen, verbittert, enttäuscht, deformiert. Die naturalistische Elendsmalerei des alten bürgerlichen Theaters wird ersetzt durch die Zeichnung von exotischen, sogar ein bisschen schicken Underground-Typen: eine modische Variante statt einer künstlerischen Alternative. Das Exotische, Befremdliche, Schockierende bestimmt viele Szenen. Das Absurde lässt grüßen. Warum nicht, wenn es gelingt, solche Mittel einzusetzen, um die Absurdität einer Gesellschaft zu kennzeichnen, die solche Lebensformen hervorbringt. Hier aber verselbständigen sich die Mittel, verhindern zum Teil sogar die Vermittlung des Wortes. In vielen Szenen ist aufgrund einer totalen Zurücknahme der Lautstärke nur zu rätseln, ob da eventuell auch Text von Gorki gesprochen wird. Bei aller „ästhetischen“ Verbrämung – hier handelt es sich doch wohl mindestens um eine indirekte Publikumsbeschimpfung, wenn nicht gar um eine „Zurücknahme“ Gorkis. Dennoch wird eine Spieldauer von vier Stunden erreicht, u. a. durch ausgiebige Waschungen verschiedener Schauspieler-Körperteile. Die Missachtung der sprachlichen Artikulation geht oft einher mit genau gearbeiteten szenischen Details. Handwerklich erreichen die Greifswalder Darsteller (in Zusammenarbeit mit den Gästen Renate Krößner, Katrin Martin und Bernd Stegemann) bis in die kleinste Rolle zum Teil ganz erstaunliche Leistungen, u. a. an den Stellen, an denen die Figuren sich anarchistisch oder träumerisch, zornig oder zaghaft auflehnen gegen ihr Schicksal – jähe Aufschreie, unbestimmte Hoffnungen, verzweifelte Ausbruchsversuche. Doch was hilft’s, wenn sie bei alldem die geistigen Räume nicht auszuschreiten angehalten sind. Ob z. B. das Absingen traditionsreicher Partisanenlieder im Gammler-Milieu nun unbewußte Sehnsucht nach revolutionärer Tat, linksextreme Revoluzzer-Romantik oder einfach ein

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Gag ist wie das Trällern von Schöbel-Schlagern, bleibt nicht nur ungewiss, sondern bezeichnet damit auch ein künstlerisch-ideologisches Dilemma. Die zentrale Frage, ob der Mensch in scheinbar auswegloser Situation die tröstende Lüge braucht, die ihn mit dem Leben versöhnt, es erträglich macht, oder die harte Wahrheit, die die Widersprüche aufreißt, die Konflikte auf die Spitze treibt, die Frage nach Humanismus und produktiver menschlicher Haltung, wird in dieser Aufführung in ihrer Bedeutung kaum erfasst. Verzweiflung und Resignation der Stückfiguren, die ihre Aggressionen schließlich brutal gegen ihres gleichen richten, dominieren über Gorkis Bekenntnis zum Leben, zum Menschen, zur Möglichkeit von Veränderungen. Wieder einmal zeigt sich, daß die Aktualität alter Stücke keineswegs identisch ist mit der Verleugnung ihrer historischen Zusammenhänge. Liest man das ebenfalls vom Regisseur eingerichtete Programmheft, fragt man sich, ob die Aufführung statt „Nachtasyl“ nicht vielmehr die hier enthaltenen Texte meint: Beiträge von Pasolini, Hamsun, The Rolling Stones u. a. über Gewalt, Einsamkeit, Kälte, Verachtung, Leid sowie entsprechende Photos geben ein Bild einer uns fremden, grauenhaften Welt. Auch hier keine Verursacher, keine Gegenkräfte. Kein Wort über das Stück das schon vor 80 Jahren die bloße Schilderung des Elends durchbrach. Gorki kommt gar nicht vor, sein Name nur ein einziges Mal klein im Titel, der wohl nicht zufällig in Form eines Etiketts gedruckt ist.9 Die Programmhefte waren bei Herbert König oftmals genau kalkulierte Bestandteile der Inszenierung. Wenn möglich, gestaltete er die Programmhefte selbst. Ähnlich diesem Heft zeichnen sich all die anderen von ihm redigierten Programmhefte durch einen sorgfältig ausgewählten und komponierten Bildteil und subtil die Inszenierungsidee der Aufführungen untermauernde, atmosphärisch sehr dichte Texte der klassischen Moderne und Avantgarde aus. Auffällig ist der Verzicht auf theoretische, das Stück dramaturgisch erklärende oder in ideologische Dienste nehmende Texte und der Verzicht auf Texte von Autoren aus der DDR – mit einer Ausnahme: Einmal zitiert König aus Heiner Müllers Quartett. Ungeschehen konnten die Vorstellungen nicht mehr gemacht werden und etwa 1650 Zuschauer (bei ca. 1800 angebotenen Plätzen) hatten die drei Vorstellungen gesehen. Unter den Zuschauern waren viele Theaterleute, auf die diese Inszenierung ästhetisch wegweisend und bestätigend wirkte.

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Was war der öffentlich erklärte Grund der Absetzung? Wie ging das Spielensemble mit der Absetzung um? Die beteiligten Schauspieler entsinnen sich weder eines wirklich stichhaltigen Arguments noch eines klar formulierten kulturpolitischen Verdikts gegen die Aufführung. Die Zeit der brachialen Verbote war – Ausnahmen gab es dennoch weiterhin – vorbei. Jetzt reichte es schon, mit dem Verlust von Ämtern und Würden zu drohen oder aber mit neuen Ämtern und Würden zu locken, um eine kulturpolitisch genehme Entscheidung der unmittelbar Verantwortlichen im Kunst- und Theaterbetrieb zu veranlassen. Korruption und Erpressung nahmen Fahrt auf. Der Intendant gab auf. Die Schauspieler mutmaßen: „Offenbar Angst vor der Diskussion über die DDR-Wirklichkeit“; „Ignoranz den bestehenden Verhältnissen gegenüber, die auf der Bühne zu sehen waren“; „Es war halt wieder ein gescheiterter Versuch“. Einige Redner auf einer nach der Absetzung einberufenen Spartenversammlung krittelten an Äußerlichkeiten, machten geschmäcklerische Urteile geltend und begründeten damit die Absetzung. Einige Mitspieler verließen demonstrativ die Versammlung. Herbert König war nicht eingeladen. Die an der Inszenierung unbeteiligte Schauspielerin Dorothea Rehm solidarisierte sich vehement. Sie empörte sich über die in der Ostsee-Zeitung erschienene denunziatorische Kritik in einem im Theater ausgehängten offenen Brief. Oberspielleiter Manfred Dietrich versuchte noch zu retten, was nicht mehr zu retten war. Er schreibt in der von der Intendanz erbetenen Einschätzung der Inszenierung am 11. März 1981: […] Es war von Anfang an eine außerordentlich ruhige, produktive Probenphase. König versuchte jeden Schauspieler als Persönlichkeit zu erfassen und baute die Figur praktisch darauf auf. Da die Texte stark reduziert waren, konnte sich jeder Schauspieler auf die konkrete physische Handlung konzentrieren, auf das Spiel des Partners und wurde angehalten, den Text als letzte Äußerung zu begreifen. Falsche Theatralik, Klischees in der Darstellung und persönliche Macken wurden von ihm unnachsichtig festgestellt und ausgemerzt. Seine Probenmethodik, die geschickte Textfassung und die Szenerie des Stückes ermöglichten es, daß erstmalig in letzter Zeit im Haus völlig ruhige komplikationslose Endproben abliefen. […] Eine erstaunlich geschlossene stimmige Ensembleleistung. […] Da der Regisseur von den jeweiligen Persönlichkeiten der Spieler ausging, ihnen keine Mittel abforderte, die sie nicht haben oder nur unzureichend, da er sie anhielt, Zustände zu spielen, Stimmungen von ihnen, keine Äußerlichkeiten verlangte, ergab sich dieser ver-

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blüffende Eindruck. Ich glaube nicht, daß die Schauspieler […] besser spielten als sonst, sie mußten anders spielen, waren angehalten, weder auf Verständlichkeit, Perfektion, Eitelkeiten zu gehen, sondern auf sich selbst zu besinnen. Dadurch waren sie aber gezwungen, das Partnerspiel zu entwickeln, ein Gefühl für ein inneres Tempo zu kriegen und praktisch wieder Etüden zu spielen, was in Stücken anderer Bauart und anderer Lesart nicht realisierbar ist. […] Da durch die Entscheidung der Leitung, die Aufführung nicht den Anrechtsbesuchern zu zeigen, ein spezielles Publikum von wirklichen Interessenten in allen drei Aufführungen war, wurde die Inszenierung von der überwiegenden Mehrheit der Besucher akzeptiert. […] Die szenischen Vorgänge, die Entkleidung, Waschungen, PunkAuftritte, Vergewaltigung waren nicht als „Sensationen“ oder Schocks inszeniert, sondern ergaben sich aus dem Umfeld der szenischen Vorgänge fast folgerichtig, so daß das Publikum mit großer Spannung an der Aufführung teilnahm.10 Sämtliche Gastverträge wurden vom Theater Greifswald finanziell korrekt beglichen, ohne dass das deprimierende und beleidigende Verbot geleisteter künstlerischer Arbeit in irgendeiner Form begründet wurde. Aber auch hier blieb ein unverfügbarer Rest und ein wichtiger zugleich, den die Kulturbürokratie nicht „einkassieren“ konnte: Das Greifswalder Ensemble hatte sich sehr weit weg von den gewöhnlichen Schablonen illustrativ-unverbindlichen Scheinspiels und des letztlich immer nur routinierter werdenden Einrichtens in den Schienen des psychologisierenden Behauptens eines Figurenspiels, fern den eigenen Überzeugungen, Erlebnissen und Empfindsamkeiten bewegt. Diese Erfahrung blieb und wurde in Nachfolgeinszenierungen für Teile des Ensembles durchaus der Maßstab, an dem sowohl das Vermögen der jeweiligen Regisseure gemessen als auch die eigene spielerische Glaubwürdigkeit und das eigene Engagement in der Inszenierungsarbeit vermessen wurde. König intervenierte beim Kulturminister und der ordnete an, man solle dem Regisseur doch bitte klarmachen, warum er so nicht inszenieren könne und dass im Bezirk Rostock alles mit rechten Dingen zugehe. Damit jedoch nicht genug: Auch dem Greifswalder Intendanten müsse wohl heimgeleuchtet werden. Ein Meisterstück ministeriellen Opportunismus. Der Minister übernimmt, darin war der Kulturminister Hoffmann wirklich großartig, was ihm selbst noch nach 1989 einige unangebrachte Respektbezeugungen einbrachte, keinerlei Mitverantwortung für die schändliche Absetzung der Inszenierung.11

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Nicht verhindern konnte der Minister eine der wenigen ernsthaften Auseinandersetzungen mit Königs Arbeit in der DDR, die Kritik von Helmar Schramm in Theater der Zeit: „‚Nachtasyl‘ im Nachtasyl. Rezeptionsversuch mit Gorki im Theater Greifswald“.12 Der Text von Schramm wurde redaktionell eingeleitet mit einer höchst merkwürdigen, teilweise sinnlosen, teilweise lügnerischen Erklärung, die dem Autor der Kritik vor dem Druck vorenthalten wurde: Das Theater Greifswald und der Gastregisseur Herbert König unternahmen mit Maxim Gorki: „Nachtasyl“ einen theaterexperimentellen Versuch, dieses Stück mit Ernst und Rigorosität historisch, sozial und psychologisch im Ästhetischen zu durchdringen. Nach drei Voraufführungen wurde das Experiment abgebrochen. Wir halten den Versuch dennoch von Interesse, wert der Auseinandersetzung, und berichten nachfolgend über eine der Voraufführungen. Die Red. Schramm schrieb: […] Nicht wenige Zuschauer fühlten sich arg provoziert; sie waren ins „Nachtasyl“, in ihr Theater gekommen und statt ihrer Erwartungen und Vorstellungen, statt der erwarteten Vorstellung wurden sie bis zur Geisterstunde mit einem schmerzhaften Alptraum konfrontiert, wurden sie vier Stunden lang auf die Folter gespannt zwischen Schlaf und Schrei. Andere wieder, eine Minderheit (?), schienen sehr interessiert, verstört, beeindruckt. Die beachtlichen Reaktionen hatte das Greifswalder Ensemble gemeinsam mit Gastregisseur Herbert König (zugleich verantwortlich für Bühne, Kostüme und Programm-Heft), gemeinsam mit den Schauspielern Renate Krößner, Katrin Martin und Bernd Stegemann durch eine beachtenswerte Inszenierung heraufbeschworen. […] Die Figuren wurden gezeigt in einem Zustand psychischer Verelendung. Sie hatten alles hinter sich, ihre utopischen Hoffnungen und ihr Aufbegehren. Menschliches Leben pendelte sich aus nach einem Metronom der Verzweiflung zwischen Resignation und Rausch; deutliche Bezüge zu konkreten Erscheinungen und Entwicklungstendenzen. die den aktivistischen Revolten der sechziger Jahre in einer Reihe von kapitalistischen Ländern folgten. Solche Akzente wurden dem Stück nicht in flinker Willkür oberflächlich aufgeladen, im Gegenteil, eine sehr gründliche Auseinandersetzung mit dem Text war auch dem Aufführungsergebnis unschwer „ablesbar“. Die Inszenierung suchte mit Ernst und Rigorosität nach einer

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zeitgemäßen Vermittlung und Durchdringung von Historischem‚ Sozialem und Psychologischem im Ästhetischen und lieferte eine denkbare, diskutierbare Variante, einen Vorschlag. Dabei wurde die Spielweise nicht durch psychologisierende Verinnerlichung geprägt, vielmehr wurde die psychologische Befindlichkeit der Figuren radikal herausgesetzt in eine eigenwillige theatralische Bildersprache; sie wurde, wenn man so will, bewußt und demonstrativ veräußerlicht. Ja, die Figuren waren „außer sich“. Männer in Hüten, Anzügen, Mänteln wie aus Gangsterfilmen oder Western entsprungen – subtil verfremdete Männlichkeitsklischees wurden gezeigt. Die Frauen – obskure Objekte der Begierde in knapper Bekleidung, auf aggressiven Sex zurückgeworfen; Opfer, Material, Produkte von Werbung und Film. Reduktion von Individualität auf Typen, die ohne Erfindung und kapitalistische Vermarktung des Films so nicht denkbar wären; Sehnsucht nach Selbstverwirklichung gestrandet in Filmzitaten. Ohne Übertreibung kann man sagen: ernsthafte Experimente auch im Ästhetischen sind heute zum Politikum, zur Existenzfrage für das Theater geworden. Wo es davor zurückschreckt aus Angst vor Mißverständnissen im Publikum, wird es einem tödlichen Publikumsschwund auf Dauer nicht entgehen. Man sah die Entladung von Verzweiflung, Wut, Ohnmacht in brutaler Gewalt. „Natascha“ – durch ständige Erziehungsfolter und Gängelei zur mechanisch plappernden Puppe verkrüppelt, zum ausgewachsenen Kind-Weib, wurde mißhandelt im Kinderwagen (warum nicht!) auf die Bühne gefahren mit rotviolett verbrühten Beinen. Auf dem weißen Hemd „Kostyljows“ ein großer roter Fleck, wenn er von „Waska Pepel“ erstochen, geschlachtet wurde (wie in einer Damiani-Szene). Rückzugsversuche: der weite rosa Raum war allemal zu eng dafür. „Nastja“ kroch schließlich in den Kinderwagen, als suche sie den Weg zurück in den Mutterschoß. Immer wieder groteskes Auseinanderklaffen von Denken und Handeln, etwa wenn „Anna“ sich, von Lebenssehnsucht übermannt, heimlich die Lippen anmalte und wenn sie – des nahen Todes plötzlich wieder sich erinnernd – ganz mechanisch weitermalte bis eine erschütternde, blutig-komische Clownsmaske entstand. Gestörte Beziehungen als Sprachstörungen und verdreht-gewaltsame Versuche, damit fertig zu werden: „Klestsch“ hämmerte krampfhaft stotternd seine Aufbruchsillusionen heraus; „Nastja“ sang ihre Liebeserzählung als Dreigroschenarie; dem Schauspieler zerschlug ein Schluckauf die Vortragsversuche. Gliederung und inhaltliche Akzentuierung des „normalen Sprachbildes“ durch Brül-

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len, Murmeln, Kreischen, Singen, posierendes Zitieren und Durcheinanderreden in Normaldiktion, im Alltagssound. Verfremdung und Konkretisierung der historischen Entfremdungssituation auch im Gegenständlichen: „Bubnow“ schneiderte nicht Stoff für irgendwelche Mützen, er verpackte „Stoff“ in kleine weiße Päckchen; „Klestsch“ reparierte keine rostigen Schlösser, sondern grellbuntes Kinderspielzeug, aufziehbar und fähig zu komischen Kreis-, Hüpf- und Rückwärtsbewegungen. Und ein Recorder lieferte Vorgefertigtes, Konserven, Musikzitate. Und Luka? Er erschien wie ein alternder Tramp in Turnschuhen, Trenchcoat und Schlapphut, immer cool beobachtend, ein großer Raucher, die Zigarre stets im Mundwinkel; ein umherziehender Märchenerzähler und Geschichtensammler. Ein Dichter? […] Unbedingt hervorheben möchte ich jedoch: bei all dem handelt es sich nicht um eine verlogen aktualisierte Scheinrealität, sondern um eine aggressiv provozierende Kunstwelt, um Theater. Versuch, die sozialpsychologische Sensibilität des Zuschauers zu aktivieren durch punktuell ganz direktes Anknüpfen an seine empirisch-sinnlichen Erfahrungen (von gängiger Musik bis hin zu verwendeten Requisiten). Versuchte Nähe und bewußte Distanz: die Künstlichkeit des demonstrativ Gemachten verhinderte oberflächliche Identifikation. Eine Drehscheibe der Assoziationen wurde in Gang gebracht: Verfremdung des Historischen und Historisierung der Gegenwart. In der assoziativen phantasiereichen Kommunikation mit dem politisch und historisch bewußten Zuschauer, und nur darin kann sich das zitierende Montageprinzip der Aufführung erfüllen. Wo diese Kommunikation ausbleibt auf Grund traditioneller Beziehungen zwischen Bühne und Publikum, wo die ästhetische Dimension in ihrer Bedeutung und Deutbarkeit übersehen wird, wo eingeübte Rezeptionsgewohnheiten dazu führen, daß die Form als bloße Verpackung des Inhalts in wesentlichen Seiten schlichtweg ignoriert wird, wo die Sprache der Form erfahrungsbedingt oder aus Mangel an Erfahrung nicht verstanden wird – da könnte noch so lautes Sprechen nicht verhindern, daß Mißverständnisse wuchern und eine ungewohnte Inszenierung als subjektivistisch verschlüsseltes Monstrum gedeutet wird. Bleiben eine ganze Reihe von Fragen. Was hat die Inszenierung und der konkrete Arbeitsprozeß für das Ensemble gebracht, für seine Weiterentwicklung? Wie ist der Differenzierungsprozess des Publikums in einem praktikablen Theaterkonzept am besten zu berücksichtigen? Wie geht es weiter?13

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Auch diese Kritik dokumentiert wiederum die Schwierigkeiten, analytisch genaue Inszenierungsbeschreibungen in der DDR-Presse zu publizieren. Schramm flüchtet sich in einen hohen Abstraktionsgrad, um nicht die psychosozial genauen, alltagsgesättigten theatralischen Vorgänge, prall von bestürzender Gegenwärtigkeit bloßlegen zu müssen. Zeitgenössische und sozial relevante Verhaltensstereotype des Vereinsamens und Verzweifelns wie des Aufbegehrens der jungen Generation werden im präzisen Figurenspiel aufgerufen und in einer durchsichtigen Choreographie sozial genau erzählender Arrangements zu einem erschreckenden Röntgenbild der inneren Verfasstheit verdichtet, der aktuellen Empfindungswelt einer Generation, die nichts mehr für sich erwartete. Schramm spricht davon, die Inszenierung versuche den Zuschauer durch „ganz direktes Anknüpfen an seine empirisch-sinnlichen Erfahrungen (von gängiger Musik bis hin zu verwendeten Requisiten)“ zu aktivieren. Hier muss Schramm ins Belanglose ablenken, denn die wirkliche Qualität der Inszenierung kann und will er nicht offenlegen, würde er doch möglicherweise damit einem Verbot vorarbeiten. Der Grundgestus der Inszenierung war der des Wartens. Dieses Warten war Abbild und Hervorruf eines durch und durch DDR-spezifischen Verhaltensstereotyps. Warten war nahezu das zentrale Signum dieser Gesellschaft, in all ihren Schichtungen und Gruppierungen virulent. Die Lebensläufe der Nachkriegsgenerationen wurden durchgängig von dem erzwungenen Verhaltensschema eines unablässigen Wartens bestimmt. Das ironische Witzwort, das eine profane Käuferschlange vor einem Gemüseladen zu einer „sozialistischen Wartegemeinschaft“ umstilisierte, wie auch das alle messianischen Visionen verkehrende Wort vom „Letzten, der das Licht in der DDR ausknipst“, sind Ausweise dieses sozialen Grundphänomens. Auf fast alles musste im praktischen Leben nach dem 18. Lebensjahr gewartet werden: von der Zulassung zur Universität, über die eigene Wohnung, den Telefonanschluss, den OstseeUrlaubsplatz, das Auto, das Wochenend-/Gartengrundstück bis zum beruflichen Höhepunkt, der Bestätigung als Reisekader, von Nebensächlichkeiten wie bestimmten Konsumgütern und alltäglichen Dienstleistungen ganz abgesehen. Für die älteren Generationen war das höchste Ziel allen Wartens: der Rentenbescheid samt der Reisefreiheit westwärts. Diese Wartezeiten aller Art, Folgen einer Mangelwirtschaft, die auf sehr bürokratische und wenig sozialistische Weise durch eine staatlich gelenkte Zu- und Verteilungswirtschaft sozial verträglich gestaltet werden musste, waren die lebensweltlichen Konstanten, die unbedingt in jedem individuellen Lebensplan zu berücksichtigen waren. Aus diesen ökonomischen Zwängen entwickelte sich die Praxis des Wartens, die

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Ausbildung eines Verhaltensstereotyps, in dem sich einerseits Aggressionen aufstauten und andererseits Resignationen niederschlugen. Diese sozialpsychologische Transformation des ökonomischen Zwangs war in die Inszenierung tief eingeschrieben. Die Figuren warteten ab, die einen beobachteten das Verhalten der anderen und diese wiederum jene. Das Abwarten, ein gruppendynamischer Seitentrieb des gesellschaftlich verordneten Wartens, das Lauern auf den günstigen Augenblick, irgendetwas zu erwischen, wie das oft vergebliche Zuschnappen danach, bestimmten die Beziehungen der Figuren untereinander. Aber auch das Verharren im Wartestand und das Betäuben der leeren Zeit des Wartens im Rausch, die vergeblichen Versuche, die Zeit zu sensationalisieren, kulminierend im Abspielen des Songs der Rolling Stones: I can’t get no satisfaction, endet im Desaster, der öffentlichen Vergewaltigung Nastjas durch Klestsch. Eine zweite sozialpsychologische Eigentümlichkeit, ein Verhaltensmuster besonders in den gesellschaftlich normierten Kommunikationsformen, im öffentlich sich ereignenden sozialen Verkehr abgefordert, war ein Verhalten, das den überzeugenden Eindruck bewusster Anwesenheit bei gleichzeitiger geistig-emotionaler Abwesenheit hervorzurufen hatte. Die Aufgabe solchen kommunikativen Verhaltens bestand darin, eine interessierte Anwesenheit zu demonstrieren, die offiziell geboten, die kollektiv erzwungen, subjektiv aber abgelehnt, sich nicht im einfachen Fernbleiben ausdrücken konnte. Eine solche Entscheidung wäre als gesellschaftlicher Affront gedeutet und sanktioniert worden. Der persönliche Zwiespalt zwischen privater Existenz und öffentlicher Erscheinung trieb ein ganzes Ausdrucksrepertoire dieses Verhaltensstereotyps hervor. Da im öffentlichen Raum nebenher noch genügend andere Personen verkehrten, die ihre professionell bedingte Anwesenheit als rein zufällig und letztlich bedeutungslos kaschieren mussten, war jedwedes öffentliche Auftreten von mehreren Bedeutungsschichten überlagert, die von allen Beteiligten wechselseitig entschlüsselt werden mussten, bevor sich die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Handelns eröffnete oder aber schloss. Die Inszenierung zeigte beide Wege auf. In der dargestellten Handlung, in der fiktiven Geschichte Gorkis schlossen sich alle Möglichkeiten des Handelns aus. In Königs Darstellung dieser fiktiven Geschichte eröffnete sich die Möglichkeit, über die Welt unverstellt zu sprechen, sich selbst nicht mehr hinter den mittels abrufbarer Theaterzeichen fingierten Figurenschemen zu verbergen, was nichts anderes als das theatereigene Verhaltensstereotyp der abwesenden Anwesenheit war, sondern in der Art und Weise der Darstellung der Misere einen Weg daraus

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aufzuzeigen. Dem Zuschauer wurde eine „Ästhetik des Widerstands“ (Peter Weiss) ausgehändigt. Die Inszenierung gewann eine besondere oszillierende atmosphärische Dichte, da immer drei Welten, die dargestellte historische Welt der dramatischen Figuren wie die darzustellende aktuelle Welt der leibhaftigen Spieler und Zuschauer und die spielerisch befreite und befreiende Welt des kreatürlichen Auslebens der Spieler, miteinander kommunizierten. Die Voraussetzung für diese Wirkungskraft der Aufführung war, so wird es in allen Quellen berichtet, der nahezu wütende Spielwille des Ensembles. Dieser Spielwille, dieses „Kunstwollen“ überwand jene Theatralität des Scheins, des Als-ob der Fiktionen, des beruhigenden Verweises auf die Ir-Realität des theatralen Vorgangs; hier herrschte eine ungewöhnliche Unmittelbarkeit, hier geschah etwas Wirkliches. Zwar wurde Fiktives durchgespielt, indem aber das Ensemble sich selbst und die Figuren radikal in ihrem Sein bloßlegte, die gesellschaftlich-sozialen Konflikte des Stückes in die Endgültigkeit trieb, lebte es für knappe vier Stunden vor, wie es wirklich um die Gesellschaft stand und welcher mitleidlosen Selbstprüfung es bedurfte, ihren eingrenzenden Zumutungen zu widerstehen im Beharren auf der je eigenen Bedürftigkeit und im kollektiven Zusammenfinden. Die Kritiken registrierten diese Besonderheit, ohne indes auf ihre Ursachen zu verweisen. Die Grundlagen für diese Außergewöhnlichkeit wurden im Probenprozess gelegt. In dieser Arbeitsphase brach der benannte sozial relevante, gruppendynamische persönlichkeitsgefährdende Gegensatz voll auf. Im geschützten Raum der Proben wurde er vor allem durch das improvisatorische Erproben der dramatischen Situationen und Figurenentscheidungen praktisch ausagiert. Wie dies geschah, ist in den Erinnerungen der Schauspielerinnen und Schauspieler beschrieben. Diese kollektive Re-Individualisierung der Schauspieler, die „Rückgabe“ eines immer gegenwärtigen und eingeforderten gesellschaftlichen Auftrags, erlaubte ein Spiel, das der wirklichen unverstellten Dialektik gesellschaftlichen Verhaltens Gleicher unter Gleichen entsprach. Schauspielmethodisch bedeutete das die Zurücknahme des sozialen Gestus in die pathetische Körperlichkeit der einzelnen Spieler und die Zusammenfügung dieser Individuen zu einem Spielkörper. Im „Ich“ und mit dem „Ich“ spielend sich zu bewegen, öffentlich schamfrei umzugehen mit den Bedürftigkeiten und Versehrtheiten des eigenen Leibes, war wieder zu erlernen. Das bedeutete nichts anderes, als die unter der erstarrten Technik des Zeigens eines sozialen Gestus kunstvoll verborgenen individuellen mentalen Befindlichkeiten freizulegen und wieder zur ursprüng-

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lichen individuellen Kreativität vorzudringen. Diese neugewonnene spielerische Selbstvergessenheit steigerte sich im Zusammenspiel aller Spieler und Figuren im idealen Fall zu einem „Sich-selbst-gewahr-undgewiss-Werden“ aller. Das Spielensemble wird zu einer handlungsfähigen Gemeinschaft von Individuen. In seiner Arbeit scheint für den Zuschauer das Bild und das Modell einer Assoziation auf, in der auch er sich frei entwickeln könnte, was von ihm selbst aber erheischen würde, gleich den Schauspielern, die vereinseitigenden, zwanghaften Anforderungen einer ihm gegenüber sich als Gesamtgesellschaft ausgebenden Klasse/Schicht/Gruppe individuell zurückzuweisen und im eigenen solidarischen Zusammenschluss gesellschaftlich frei agieren zu lernen.14 Die sozialen Verkehrsformen selbst zu gestalten und sich nicht vorschreiben zu lassen, das ist die zentrale Botschaft eines solchen künstlerischen Geschehens. Dies geschah in Greifswald und das kennzeichnete es als ein marxistisch intendiertes. Das hätte erkannt und diskutiert werden müssen. Herbert König hatte eine durch und durch marxistische Inszenierung mit seinem Ensemble vorgestellt. Dass ihm das nicht konzidiert wurde, dürfte König bestätigt haben, dass marxistisches Denken in diesem Land „hohl“ lief. Der Marxist wurde in dem Land, das sich anmaßte, das künftige sozialistische Deutschland zu gestalten, zum Dissidenten, wenn er Marxist bleiben wollte. Doch nicht nur das, er musste zugleich mitansehen, wie die SED den historisch und national wichtigen Versuch, eine neue, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten, ohne ernsthafte innere Gegenwehr verriet und für eine „ganze Ewigkeit“ verhinderte. Die historische Stunde marxistischen Denkens in Deutschland war Anfang der 1980er Jahre abgelaufen. Die offiziellen Reaktionen auf die drei Vorstellungen in Greifswald sind dementsprechend – auf Ordre des Ministers für Kultur reist eine Kommission nach Greifswald, um herauszufinden, welche ideologischen Flurschäden Königs Arbeit im vor weiteren solchen Eskapaden dringend zu bewahrenden Ensemble angerichtet hat.15 Der Blick Königs auf die ideelle und dramaturgische Aktualität des Gorki-Textes war zu dieser Zeit nicht etwa sensationell aufregend und einzigartig, wie aufgrund der kulturbürokratischen Erregung zu vermuten wäre. So hatten schon Peter Kleinert und Peter Schroth ihre Nachtasyl-Inszenierung 1975 in Senftenberg unter die Stichworte des „Filmischen“, und der „Entfremdung“ gestellt. Konzeptionelle Überlegungen des Inszenierungsteams Das Stück, eindeutig im Kapitalismus angesiedelt, hat aber wiederum so eine Tiefe, daß die Frage Individuum – Kollektiv, einzelner oder Solidarität, große Aspekte, zwar unter anderen, sozusagen

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gegensätzlichen gesellschaftlichen Bedingungen, aber auch für uns von großer Bedeutung ist. Unsere Fassung geht davon aus, daß Gorkis Stück außerordentlich modern ist. Fabel […] Dialoge und Monologe laufen nebeneinander, berühren sich wie zufällig, die Aktgliederung ist nur mehr ein Zugeständnis an die konventionelle Dramaturgie der Naturalismus. Szenen beginnen aus dem Nichts und scheinen dort zu enden, sind beliebig lange ergänzbar. Die Zeit spielt kaum eine Rolle, der Ort ist austauschbar. Wir haben keine Texte hinzugefügt, nur durch Striche und teilweise Umstellungen versucht, neue Abläufe zu schaffen. Die Aktgliederung ist aufgehoben. Das Stück soll in 17 Szenen gespielt werden. Szenenübergänge sind wie Filmschnitte und -überblendungen zu verstehen und erzählen die Ergänzbarkeit der Szenen. Ziel unserer Veränderungen ist, die Geschichte einer Gruppe zu erzählen, die in totaler Entfremdung nicht miteinander kommuniziert. Diese Gruppe wird aber durch den „Menschenverbesserer“ Luka geweckt, so daß sie planlos unmittelbar revoltiert. Damit beginnt ein „Klärungsprozeß“ […] der mit dem Ende des Stückes keineswegs abgeschlossen ist, ein zutiefst sinnlicher Prozeß des Begreifens menschlicher Würde und ihrer Sprengkraft, der Beginn eines langen Weges zur Revolution.16 Aber – und das trennt die beiden Inszenierungsansätze grundsätzlich und erklärt die Rostocker Reaktionen – im Senftenberger Konzept wird das Stückgeschehen perspektivisch noch in eine revolutionäre Heilsbotschaft verlängert. Nur fünf Jahre später war eine solche Lesart unhaltbar geworden, angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen in der DDR, des zunehmenden Verlustes aller sozialistischen Gewissheiten und Erwartungen. Für Illusionen war kein Platz mehr, vor allem auf einem Theater, das es ernst meinte mit seinen Spielen. Die Theater begannen, ihre ideologische Pflicht zu vernachlässigen, wenn nicht gar aufzukündigen: Sie wiesen hartnäckig auf den gesellschaftlichen Stillstand in der Gegenwart hin und verweigerten jegliche Ausmalung der staatlich versicherten und versprochenen Zukunft. Die einst zündende Aufbruchformel „der Zukunft zugewandt“ war zur Phrase geworden und nicht grundlos aus dem offiziellen Sprachschatz verbannt, hatte doch diese Zukunft auch ein einheitliches Deutschland verhießen. Deutschland zu denken, war endgültig obsolet geworden, beidseits der Elbe, aus ganz unterschiedlichen Gründen, aber mit den gleichen Folgen. Soziale Bindungslosigkeit, privatistische Rückzüge und nationale Indolenz prägen mehr und mehr die moderne bürgerliche Klassenexistenz. Die Vereinze-

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lung der Einzelnen schritt unaufhaltsam voran und tobte sich im politikfernen privaten Konsumismus aus. Die zwanghaft erlebte sozialistische Solidargesellschaft, die sogenannte sozialistische Menschengemeinschaft, kaum ideologisch etabliert und nur in kleinsten Teilbereichen ansatzweise realisiert, zerfällt angesichts ökonomischer Unabänderlichkeiten und hinterlässt eine zunehmend sinnentleerte Ansammlung von Staatsbürgern in einer schwer zu durchschauenden gesellschaftlichen Gemengelage unterschiedlichster Privilegien. Dort geht alles, hier scheint nichts mehr zu gehen und irgendetwas geht über alle und alles hinweg, so konnte man im Zeichen des Systemvergleichs, der stets und ständig in der DDR virulent war, die Zeit oberflächlich deuten und erleben. Ost und West waren sich in einem sehr nahe und zugleich sehr fern: In der eingestandenen Entfremdung konnte man durchaus angenehm leben, das Angenehme hatte halt seine Gestehungskosten, in der sozialistischen Mangelwirtschaft ließ sich die Entfremdung nicht im individuellen Konsum und Wohlleben ausgleichen und längst nicht mehr im theoretischen Gedankenflug überwinden.

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Herbert König: „Nachtasyl“, Typoskript 2 Seiten, Durchschlag, Privatarchiv Manfred Dietrich. Dieser Text wurde von Herbert König vor der Inszenierung auf Wunsch der Greifswalder Theaterleitung geschrieben. Gottfried Benn: „Über die Rolle des Schriftstellers in dieser Zeit“ (1929), in: ders.: Gesammelte Werke, Band IV, hrsg. von Dieter Wellerhoff, Stuttgart 1986, S. 210. Ich sprach mit Gabriele Püttner und Jörg Krüger am 15. November 2012, mit Katrin Martin, Renate Krößner und Bernd Stegemann am 27. November 2012, mit Rainer Etzenberg am 14. Januar 2013, mit Ronald Funke am 23. Januar 2013 und mit Gabriele Möller-Lukasz am 24. April 2013. Ich habe die einzelnen Gespräche zu einem großen, gleichsam kollektiven Gesprächstext verwoben. Auf diese Weise soll der „Geist“ der Proben, das gemeinsame Wollen und die Offenheit füreinander dreißig Jahre später noch einmal lebendig werden.

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Abgedruckt in: Thomas Wieck: !Stadttheater Greifswald Theaterstadt?, hrsg. von Dirk Löschner und Harald Müller, Berlin 2015, S. 101.

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Andreas Nattermann, der damalige Chefdramaturg in Greifswald, erklärte im Gespräch am 19. Dezember 2012: „Die theaterpolitische Drohkulisse gegen die Theaterleitung zu dieser Zeit galt mehr Gräfin Mariza in der Inszenierung von Peter Konwitschny [Premiere am 31. Januar 1981]. ‚Die Operette lassen wir uns nicht nehmen‘, war der einhellige Tenor der Leitungen, von Teilen des Publikums und auch von Theater der Zeit. [vgl. den vernichtenden Artikel von Wolfgang Lange in Theater der Zeit 4/1981] Nachtasyl geriet in das politische Sperrfeuer erst durch die fundamentale ideologische Kritik von Christine Gundlach. Christine Gundlach war die Ehefrau des Mitgliedes des Rates des Bezirkes Rostock für Kultur, Dr. Heinz Gundlach, späterhin auch Chefdramaturgin des Rostocker Theaters. Die örtlichen Behörden dagegen, die Stadträtin für Kultur und die Kreisleitung der SED hielten still.“ Der ehemalige Intendant Alfred Nicolaus versicherte im Gespräch am 1. Dezember 2012 glaubwürdig, er sei von Dr. Heinz Gundlach mit der Androhung der Entlassung so unter Druck gesetzt worden, dass er mit den sogenannten Voraufführungen sich wie die Inszenierung schützen wollte. Nach der Kritik in der Ostsee-Zeitung sei dann nichts mehr zu machen gewesen. Soweit mag das alles stimmen, aber Gräfin Mariza blieb unbeschadet auf dem Spielplan, während Nachtasyl verschwand. Hatte der Intendant sich für Mariza und gegen Nachtasyl entschieden, weil er glaubte mit

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Der Durchbruch: Nachtasyl

der Operette doch mehr Vorstellungen bestreiten zu können als mit dem Schauspiel oder setzte er Nachtasyl ab, weil es eine Inszenierung von Herbert König war? In diesem Zusammenhang mutet es peinlich an, wenn Konwitschny 2015 behauptet, aufgrund seiner Mariza-Inszenierung mit einem Arbeitsverbot im Bezirk Rostock belegt worden zu sein. Er inszenierte ein Jahr nach der Mariza-Premiere wieder in Greifswald und neun Monate später noch einmal in Greifswald. Ein solches „Arbeitsverbot“ hätte Herbert König wohl auch gern erfahren. (Peter Konwitschny: „damals in greifswald“, in: Thomas Wieck: a. a. O., S. 11 und vgl. a. a. O., S. 100–104.) 6

[Rainer] Adler: Bericht über den Besuch am Greifswalder Theater am 9./10. Juni 1981, Berlin, den 15. Juni 1981, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege, Archiv Greifswald, Rep. 200 II, Nr. 434, S. 272–277. Bei diesem Text handelt es sich um den Bericht einer von der DTO in Absprache mit dem Rat des Bezirkes Rostock, Abteilung Kultur in Greifswald durchgeführten Untersuchung über die Geschehnisse um die Inszenierung von Nachtasyl. Die beiden Mitarbeiter der DTO, Rainer Adler und Heinz Geng, führten in eingestandener Unkenntnis der Aufführung, Gespräche mit dem Intendanten, der stellvertretenden Intendantin, der Parteisekretärin, dem amtierenden Oberspielleiter Schauspiel und dem BGL-Vorsitzenden. Mit dem Spielensemble sprachen sie selbstverständlich nicht. Aber es ging ja auch nicht um Kunst, sondern um Herbert König und folglich darum, „Information zu erhalten über politisch-ideologische Auswirkungen der Inszenierungsarbeit von Herbert König auf das Greifswalder Ensemble“. Diese Formulierung verdeutlicht, dass in diesem Fall die Abgesandten der DTO weit über ihre offizielle Befugnis hinaus als verlängerter Arm des MfK und im Sinne des MfS handelten. Bezeichnend dafür sind folgende Passagen des Berichts: „Nach den drei Voraufführungen wurde keine Entscheidung durch das Theater getroffen; die notwendige Diskussion um die politische Wirkung der Aufführung wurde nicht geführt. Der Anstoß für die Nichtwiederaufnahme der Inszenierung erfolgte von außen. Dabei spielte eine wichtige Rolle die in der Ostsee-Zeitung erschienene Kritik, in der vom ‚politischen Dilemma des Regisseurs‘ die Rede ist. Diese Kritik wurde durch Mitglieder des Theaters unterschiedlich bewertet. Es gab volle Zustimmung, es gab Zustimmung und Ablehnung. Anstoß gab es an der Art und Weise der Formulierung und zum Teil wurde sie als überspitzt angesehen. Die dringend notwendig gewordene politische Diskussion um die Inszenierung wurde aus Unsicherheit nicht geführt. Der Intendant entschied sich, die Inszenierung nicht wieder in den Spielplan zu nehmen mit der Begründung: – ungelöste konzeptionell-politische Fragen – ästhetische Mängel – technisch-organisatorische Probleme (Fragen der Umsetzung von der Probebühne zur Bühne). […] Dabei hat der Intendant zugelassen, daß im Ensemble der Eindruck entsteht, diese Entscheidung ist nicht seine eigene, sondern erfolgte unter Druck von außen. Er schätzt ein, daß damit die unterschiedlichen Haltungen zur Inszenierung im Ensemble nicht abgebaut sind, aber das Ensemble sich gegenüber dieser Entscheidung diszipliniert. […] Einige Probleme, die in den Gesprächen formuliert wurden: Das Dilemma besteht darin, daß diese Arbeit für die beteiligten Schauspieler und Außenstehende maßstabsetzend war (intensive Arbeitsweise, erreichte künstlerische Leistung) und daß dem nichts Adäquates gegenüberzustellen ist. […] Für die Ensemblemitglieder war es schwierig, szenische Vorschläge des Regisseurs zu werten, da ihnen die Herkunft bzw. deren Quellen (Westfernsehen) nicht zugänglich sind. Das wird als eine der Ursachen für die nichtgeführte Diskussion und der nicht erfolgten Auseinandersetzung mit dem Regisseur angesehen. Im Ergebnis der nichtgeführten Auseinandersetzungen schwelen im Ensemble nach wie vor unterschiedliche Meinungen zur Inszenierungsarbeit und zur Entscheidung des Intendanten über die Absetzung. Politische und ästhetische Fragen sind nicht beantwortet. Von Seiten der DTO gegebene Empfehlungen im November 1980, die Arbeit des Regisseurs König mit großer Aufmerksamkeit und politischer Wachsamkeit zu verfolgen, insbesondere im Hinblick auf dessen bekannte große Ausstrahlungskraft auf Ensembles, sind nicht ernst genommen worden im Vertrauen auf die gesicherte Position, die durch den Autor Gorki gegeben ist. Die im Theater der Zeit 5/81 erschienene Rezension über die Greifswalder Aufführung hat ein übriges getan, um das Ensemble in seiner politischästhetischen Position zu verunsichern.“

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G. G.: „‚Nachtasyl‘ frei nach Gorki“, in: Norddeutsche Neueste Nachrichten, 28. Februar/1. März 1981, S. 8.

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Der Durchbruch: Nachtasyl

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Wahrscheinlich ist dieser Text erschienen in Der Demokrat. Der Text liegt nur als eine undatierte Thermopapierkopie vor. Stadtarchiv Greifswald, Theatersammlung, Jahr 1980/81.

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Christine Gundlach: „Gorki als Etikett“, in: Ostsee-Zeitung, 27. Februar 1981, S. 6.

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Manfred Dietrich: „Einschätzung der Inszenierung ‚Nachtasyl‘“, Greifswald, 11. März 1981, 8 Seiten Typoskript. Privatarchiv Manfred Dietrich.

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Der Minister für Kultur schreibt am 9. März 1981: „Werter Genosse Dr. Gundlach! Der freischaffende Regisseur Herbert König hat an mich eine Eingabe gerichtet, in der er sich mit seiner für ihn unbefriedigenden beruflichen Situation auseinandersetzt. In dem Gespräch, das wir hier mit ihm geführt haben, erläuterte Herr König seine Situation am Beispiel der von der Theaterleitung in Greifswald zurückgezogenen ‚Nachtasyl‘-Inszenierung. Ihm sei der Fakt mitgeteilt worden, eine Auswertung seiner Arbeit habe es nicht gegeben. Gleichzeitig sei ihm von der Schauspielschule Rostock mitgeteilt worden, daß er ein mit ihm vereinbartes Szenenstudium nicht durchführen könne. Herr König bezeichnete die Vorgänge im Bezirk Rostock als Rufmord. Es ist notwendig, daß mit Herrn König eine offene und kritische Auseinandersetzung über die Inszenierung ‚Nachtasyl‘ geführt wird, und daß ihm die Gründe für die Absage der Schauspielschule Rostock erläutert werden. Wir haben uns inzwischen mit der Einschätzung des Theaters Greifswald zur Inszenierungsarbeit ‚Nachtasyl‘ bekanntgemacht und auch mit der Strichfassung des Gorki-Stückes. Auf dieser Grundlage – in Kenntnis der Inszenierung – sollte auch die Konzeption Herbert Königs für die Inszenierung noch einmal Gegenstand des Gespräches sein. Darüberhinaus bitte ich Sie zu sichern, daß im Ensemble des Greifswalder Theaters die Fragen, die mit dem Ergebnis der Inszenierung und der Entscheidung, sie nicht weiter zu spielen, zusammenhängen, geklärt werden. Sicher sind auch Schlußfolgerungen für die Leitung des Theaters erforderlich. Ich bitte Sie, mich vom Gespräch mit Herrn König und der Lage im Theater zu informieren.“ Landesamt für Kultur und Denkmalpflege, Archiv Greifswald Rep. 200 II Nr. 434, S. 270.

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Helmar Schramm: „‚Nachtaysl‘ im Nachtasyl. Rezeptionsversuch mit Gorki im Theater Greifswald“, a. a. O. Schramm verschweigt leider die Namen der beteiligten Greifswalder Schauspielerinnen und Schauspieler. Sie werden dadurch zu unbekannten Erfüllungsgehilfen der inszenatorischen Eingebungen herabgewürdigt. Damit verfehlt die Kritik in einem eminent wichtigen Punkt die Spezifik der Inszenierung: die künstlerische, geistige und körperliche Freisetzung und Selbstbefreiung der Schauspieler im Spiel!

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Helmar Schramm wusste nichts von dem Beschluss, die Inszenierung nach drei Aufführungen abzusetzen, als er die Kritik unmittelbar nach der zweiten Aufführung schrieb.

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Vgl. Karl Marx, Friedrich Engels: [Die deutsche Ideologie], Kapitel I Feuerbach, in: Marx/Engels Werke, Band 3, Berlin (Ost) 1969, S. 74–77.

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Vgl. S. 116, Anm. 6.

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Inszenierungsdokumentation von Peter Kleinert: „Nachtasyl“ von Maxim Gorki am Theater der Bergarbeiter Senftenberg; Regie Peter Schroth/Peter Kleinert, Bühnenbild: Hendrik Kürsten, Dramaturgie: Gabriele Bigott; Premiere 10. Oktober 1975. Akademie der Künste Berlin, Archiv Darstellende Kunst/Theaterdokumentation ID 233.

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SZENENFOTOS: NACHTASYL -

Die wesentlichen Inszenierungen von Herbert König sind mit Ausnahme von Nachtasyl fotografisch unzulänglich dokumentiert, so vor allem seine Arbeiten in Brandenburg, weshalb ich mich entschlossen habe, die optische Präsentation der Bühnenästhetik Herbert Königs auf die aussagestarken Fotos von Signe Schumacher von der Greifswalder NachtasylInszenierung zu konzentrieren. Die Fotos sind mit den von König bestimmten Szenentiteln versehen und chronologisch angeordnet. Er hat die vier Akte in insgesamt 28 Bilder/Episoden aufgeteilt, ohne aber diese Ein-Schnitte szenisch oder darstellerisch sonderlich zu betonen. Nicht in allen Fällen werden die Fotos dem Bühnengeschehen völlig gerecht: Viele Bilder suggerieren eine Intimität der Situation, die so nicht gegeben war, da die außerhalb des Bildausschnittes auf der Bühne anwesenden Figuren unsichtbar bleiben. Der einzige der Inszenierung gerecht werdende Bildausschnitt ist die Bühnentotale. Die Beziehungen der Figuren zueinander und zum Raum, ihre Blicke, die Momente der Vereinzelung, der Vereinsamung, der Nichtachtung und Nichtbeachtung, die geschäftige oder lethargische Teilnahmslosigkeit den Geschehnissen gegenüber und ihre jäh aufschießenden und wieder in sich zusammenfallenden Ausbrüche bestimmen den Rhythmus der Inszenierung und werden fotografisch nur selten erfasst. Bedauerlicherweise sind eine Reihe extremer körperlicher Momente im Spiel nicht fotografisch überliefert. Ebenso wenig können die Fotos einen Eindruck von der tatsächlichen Tiefe des Bühnenraumes und der oftmals extremen Entfernung der Spielenden von den Zuschauern vermitteln, da der überbaute, aber nicht bespielte Orchestergraben aus dem Bild fällt.

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Besetzung Kostyljow, Wirt des Nachtasyls Wassilissa Karpowna, seine Frau Natascha, ihr Schwester Medwedjew, Onkel der beiden Frauen, Polizist Waska Pepel Klestsch, Schlosser Anna, seine Frau Nastja, ein Mädchen Kwaschnja, Händlerin Bubnow, Mützenmacher Ein Baron Satin Ein Schauspieler Luka, Pilger Mädchen* Ein Tatar

Martin Süssenguth Gabriele Möller Katrin Martin a. G. Frank Trunz Bernd Peschke Jörg Krüger Karin Dewald Renate Krößner a. G. Gabriele Püttner Johannes Rhein Rainer Etzenberg Bernd Stegemann a. G. Ronald Funke Gerd Gallrein Marianne Thielmann Eugen Dovides

* bei Gorki: Aljoschka, ein Schuster

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Szenenfotos: Nachtasyl

1. AUFSTEHEN

Satin, Kwaschnja, Baron und Nastja So wie die Bewohner des Asyls in der Nacht niedergestreckt vom Alkohol eingeschlafen sind, so beginnt der Tag, ob Tag oder Nacht, alles bleibt sich gleich.

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Szenenfotos: Nachtasyl

Kwaschnja, Satin und Baron Kwaschnja und der Baron vor der täglichen Einkaufstour. Die Kwaschnja im metallic-silber glänzenden und vollsynthetischen Bindegürtelmantel (den es so nicht im DDR-Einzelhandel zu kaufen gab) und ohne Rock, nur mit einem Bikini darunter. Der Baron ist, wie fast jeder DDR-Bürger, mit einem Dederon-Faltbeutel für alle Fälle ausgestattet. Da es in den Läden keine Einkaufstaschen oder -beutel gab und auch Papiertüten Mangelware waren, es aber jederzeit etwas Besonderes und Unerwartetes zu kaufen geben konnte, musste man stets gerüstet sein. Deshalb war der Einkaufsbeutel unerlässlich.

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Szenenfotos: Nachtasyl

2. WORTE, NICHTS ALS WORTE

Bubnow, Klestsch und Anna Bubnow zeigt seine von der Arbeit ruinierten Hände vor. Klestsch entspricht im hellblauen „Präsent 20“-Anzug, einer Kunstfaserkreation der DDR-Textilindustrie, mit seinem offenen Schillerkragenhemd und dem streng proletarischen Scheitel dem typischen Abbild eines FDJbewegten Jungarbeiters aus den 1950er/-60er Jahren.

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Szenenfotos: Nachtasyl

6. VORBEI IST VORBEI ODER EIN HUNDELEBEN

Baron, Luka, Pepel und Bubnow Ist der fiktive Gangster oder der reale Schauspieler das Idol von Pepel? Auf jeden Fall schmückt Bogarts Rollenfoto aus dem Film The Roaring Twenties die Innentür von Pepels Zimmer und Pepel trägt die filmübliche Gangster-Kleidung. Natürlich erinnert das an die Figur des Michel Poicccard in Außer Atem von Godard. Weder Pepel noch Poiccard können und wollen Fiktionalität und Realität auseinanderhalten – das Leben gerät ihnen zur Bühne.

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Szenenfotos: Nachtasyl

7. ORDNUNG MACHEN

Aljoschka, Luka und Bubnow Die Figur des Aljoschka ist in einen weiblichen Punk verwandelt, gekleidet in ein übergroßes, gelb-rot-meliertes, grobkariertes Männersakko. Bei Gorki liegt er auch der Länge nach auf dem Boden, um zu demonstrieren, wie er sich auf der Straße von den Wagen überrollen lassen werde: „Da friß mich auf … Ich will gar nichts! … Überrollt mich doch …!“ König spitzt der realen Situation gemäßer zu: „Da fick mich, mir ist alles egal – oder willst du ein Gedicht, dann trag ichs vor. Es handelt von meinem Vater.“ („Mein Vater“ von Charles Bukowski. Das ist eine der Texteinfügungen, die König vornahm. Die anderen waren, abgesehen von den zahlreichen musikalischen Zusätzen, drei Zitate aus Büchners Dantons Tod, dem Schauspieler zugeordnet.)

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Szenenfotos: Nachtasyl

9. NACHFORSCHUNGEN

Luka und Medwedjew Gorkis harmlos-beschränkter Polizist Medwedjew ist in der Inszenierung zum Geheimpolizisten umfunktioniert und deshalb im berüchtigten schwarzen Ledermantel, der oft und gern auch von höheren SED-Funktionären getragen wurde. Selbst Ulbricht trug solch ein gutes Stück.

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Szenenfotos: Nachtasyl

11. MUSS EHRLICH SPIELEN

Medwedjew, Bubnow, Baron, Schauspieler, Satin, Klestsch, Tatar, Luka und Anna Der Tatar wurde durchgängig als „Bimbo“ angesprochen. Klestsch geriert sich als Ehrlichkeitsfanatiker, was ihn prompt stottern lässt.

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Szenenfotos: Nachtasyl

13. DER FREUNDLICHE TOD

Anna und Luka Anna hat sich noch einmal „auf-“ und „zurechtgemacht“, sich geschminkt und die High Heels der Nastja angezogen, um sich ein Leben auszumalen, das vorbei ist. Luka wird sie in ihrem Wahn bestärken.

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Szenenfotos: Nachtasyl

16. EIN TRAUM VON LIEBE UND HOFFNUNG

Wassilissa und Pepel

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Szenenfotos: Nachtasyl

18. (Szenen-Titel ist nicht zu rekonstruieren)

Schauspieler, Natascha, die tote Anna und Bubnow

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Szenenfotos: Nachtasyl

20. DIE SEELEN ANMALEN

Nastja, Natascha, Bubnow und Baron Der Schauspieler Etzenberg spielt Violine. Von ihm begleitet, singen Nastja und Natascha die beliebte Schnulze „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“. Nastja trägt ein durchscheinendes rotes Blusenkleid. Schon in der Szene NICHT EINMISCHEN trällern die Beiden den FrankSchöbel-Hit „Da war Gold in deinen Augen“. (Krößner sang den Titel als Refrainsängerin in dem DEFA-Film Solo Sunny, der kurz zuvor in den Kinos lief und durch seinen Preis bei den Filmfestspielen Berlinale für Aufsehen gesorgt hatte. Sie hatte zudem mit ihrem freimütigen Auftritt in Berlin (West) für Irritationen in Berlin (Ost) gesorgt. Selbst in Greifswald wird sie vom MfS beobachtet. Gabriele Möller-Lukasz erinnert sich, dass sie am Rande einer Veranstaltung während der Proben zu Nachtasyl im „harmlosen“ Gespräch intensiv nach den politischen Ansichten und dem Auftreten von Renate Krößner im Theater Greifswald befragt wurde.)

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Szenenfotos: Nachtasyl

21. ERBARMEN

Natascha, Luka und Bubnow

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Szenenfotos: Nachtasyl

Luka, Natascha und Pepel

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Szenenfotos: Nachtasyl

23. „SATISFACTION“

Luka, Natascha und Pepel Luka bildet sich ein, eine Beziehung fürs Leben zu stiften. Aber was ist das wirklich, was er da versucht als glückliche Zweisamkeit auszugeben und zu feiern? Der scheinbar einzige Moment des Stücks, der einen Vorschein künftigen Glücks freihält, wird von der Inszenierung als Trug entlarvt. Pepel ersetzt eine Geliebte durch die andere, die ältere Schwester durch die jüngere, die ihm genehmere, weil willenlosere.

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Szenenfotos: Nachtasyl

26. MACHT NICHTS

Satin, Schauspieler, Luka und Klestsch Klestsch zieht sich immer wieder zu seinem mechanischen Blechspielzeug, einen hüpfenden grünen Frosch und einen wackelnden Teddybär zurück – ein kleiner Verweis auf den berühmten Blechvogel in der BE-Aufführung der Fräulein Julie 1974, der von Jean anstelle des von Strindberg vorgeschriebenen lebenden Vogels zertreten wird.

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Szenenfotos: Nachtasyl

27. ENDE DER BEHERRSCHUNG

Der Mord Satin, Pepel, Wassilissa, Kostyljow, Bubnow, Kwaschnja, Klestsch, Tatar und Natascha

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Szenenfotos: Nachtasyl

Nach dem Mord Satin, Wassilissa, Kostyljow, Pepel, Bubnow, Kwaschnja, Tatar, Klestsch, Nastja und Natascha (im Wagen)

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Szenenfotos: Nachtasyl

28. EIN FEST

Diese letzte Szene dauert zwanzig Minuten. Das träge Verrinnen der Zeit, der Stillstand in der Endlosschleife des Abspielens/Anhörens des Rolling-Stones-Titels Satisfaction, der allen anderen Text verschluckt, bestimmt die Szene, womit eine Eigenart der Operndramaturgie, das Finale, das die reale Zeit transzendiert, zitiert wird. Aber im Gegensatz zum lieto fine eskaliert die Situation. Götterdämmerung.

Baron, Tatar, Kwaschnja (verdeckt), Bubnow, Klestsch, Schauspieler, Satin und Nastja Im „Fest“ vergewaltigt Klestsch Nastja. Er reißt ihr den Slip weg und wirft ihn triumphierend in den Raum, um sich dann vor den Augen der Festgesellschaft über sie herzumachen. Das ist eine der wenigen wesentlichen szenischen Handlungen, die zu den von Gorki dramatisch vorgegebenen Handlungen hinzuerfunden ist.

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Szenenfotos: Nachtasyl

Satin, Baron, Kwaschnja, Tatar, Bubnow, Klestsch und Schauspieler Badewanne und Wasserhahn waren voll funktionsfähig Die Badewanne wird zu guter Letzt zum Toilettenbecken umfunktioniert.

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Szenenfotos: Nachtasyl

Schauspieler, Baron, Tatar, Kwaschnja, Klestsch, Bubnow und Satin Schauspieler: Bete fĂźr mich.

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Szenenfotos: Nachtasyl

Aljoschka: Da auf dem Platz … hat sich der Schauspieler … erhängt. Satin: Verdirbt uns das Fest – der Blödmann. (Bei Gorki heißt es: Baron: Da auf dem Platz … hat sich der Schauspieler … erhängt! Satin: Verdirbt uns das Lied … der Narr.)

Hier wird das Bearbeitungsprinzip des Originaltextes deutlich und deutlich wird im Gestischen die Umdeutung der Figur des Satin, der seit Stanislawskis Rollenkreation immer in die Nähe eines nachdenklichen, den „verfluchten Fragen“ nachsinnenden Philosophen von unten gerückt wurde. Bei Stegemann keine Spur davon. Sein Text und sein Verhalten sind rein situational bezogen und vom allgegenwärtigen DDR-Umgangston bestimmt. Er bleibt ein gernegroßer Räsoneur.

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Szenenfotos: Nachtasyl

Nastja, im Spiegelbild Bubnow Dieses Bild ist keiner Szene/Bild zu zuordnen, verdeutlicht aber eine wesentliche Eigenart der Aufführung. Das Aus- und Anziehen und das Betrachten der Körper im Spiegel oder das bewusste Sich-anschauen-Lassen waren wesentliche Momente des Spiels. Die Körper der Schauspielerinnen und Schauspieler waren „doppelt“ anwesend. Ihr Körper wird zum Gegenstand der Darstellung, am eigenen Leib selbst wurde etwas zur Darstellung gebracht. Der Schauspieler widmet seinen eigenen Leib, indem er ihn schamlos, gleichsam ungerührt als ein ihm selbst fremdes Ding fremdbehandelt, zum Leib eines anderen um – wenn es ihm gelingt, diesen anderen, fiktiven „Besitzer“ im Spiel zu behaupten. Voraussetzung ist aber die Kreation einer Figur, nicht das Selbstspiel der Schauspieler, sondern die genaue Darstellung eines erfundenen Anderen. So können sie ihren Leib im Spiel preisgeben, denn im Spiel ist er nicht mehr der ihrige, sondern der reale Leib einer fingierten Person.

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ENDSPIELE UND ZWISCHENBILANZ -

Zu Beginn des Jahres 1982 erkrankt Herbert König plötzlich schwer, sein Zustand ist lebensbedrohlich, eine Spätfolge des krankheitsbedingt jäh erzwungenen und dann sportmedizinisch unbegleiteten Abbruchs seiner sportlichen Tätigkeit vor 13 Jahren. Er weiß jetzt um seine gesundheitliche Gefährdung. Er kann nicht mehr warten, da die Krankheit seine Existenz als Regisseur jederzeit zerstören kann. Er muss jetzt arbeiten. Ein letzter Ausweg stand Herbert König noch offen, um inszenieren und doch in dem ihm bekannten und schützenden sozialen und privaten Umfeld bleiben zu können: Gastinszenierungen im deutschsprachigen Ausland. Alle derartigen Versuche scheiterten aber, denn – was König nicht wusste – die Stasi hatte ihn zwar als „aktuellen Vorgang abgelegt“, sah aber in ihm völlig zu Recht einen Dissidenten, dem keine Öffentlichkeit diesseits und jenseits der Elbe eingeräumt werden durfte. Versuche, ihn nach Bern, Düsseldorf und Wuppertal als Regisseur einzuladen, wurden durch die Stasi verhindert.1 Statt Bern, geplant war für Herbst 1982 Hamlet, statt Düsseldorf, geplant war für Frühjahr 1983 Britannicus, und statt Wuppertal, geplant war die Uraufführung eines Stückes von Monika Maron(!), hieß die nächste Theaterstation Anklam. Um Anklam und sein Theater ranken sich allerlei oft und gern kolportierte Schauergeschichten. Vermutlich basieren sie auf den reißerischen Behauptungen von Matussek: „Damals [1983] war Anklam nicht irgendeines der 69 DDR-Theater, die vom SED-Staat gehätschelt und geknebelt wurden. Anklam war die Strafkolonie am Ende der Welt. Unbequeme Regisseure wurden hierher ins vorpommersche Sibirien geschickt, wo sie keinen Schaden anrichten konnten.“2 Was ist hieran wahr? Die Stadt Anklam wird Ende des Zweiten Weltkriegs in ihrem Kern zerstört. Ein deutsches Bombardement der schon russisch besetzten Stadt hinterließ mit siebzig Prozent zerstörter Bausubstanz eine der am stärksten ruinierten deutschen Städte. Die Stadt hatte ihr geschichtliches Profil für immer verloren. Seit Kriegsende war sie nichts weiter als eine von der ländlichen Umgebung dominierte Siedlung mit einer sehr dünnen Bildungsschicht und einem überwiegenden Anteil von bildungsfernen, erwachsenen Einwohnern. In diesem Umfeld wird im Jahre 1949 ein festes Theater gegründet. Das Theater Anklam war eines der Theater in der DDR, die einstmals eine allgemeine

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kulturelle und eine besondere ideologische Funktion erfüllen sollten, diese aber im Lauf der Zeit verloren. Unter dem Stichwort „Kultur aufs Land“ wurde in einigen der brandenburgischen, mecklenburgischen und vorpommerschen Ackerbürgerstädtchen nach 1945 Theater mit eigenen, überwiegend provisorischen Theaterbauten, einem festen Ensemble und einem ausgedehnten Abstecherbetrieb installiert (Anklam, Ludwigslust, Parchim, Prenzlau, Putbus, Wismar). Anklam und Parchim blieben bis 1989 erhalten, während die Theater Ludwigslust, Putbus und Wismar aufgelöst und zu reinen Spielstätten umgewandelt wurden. Das Theater Prenzlau wurde nach Schwedt, einer weitgehend neuentstandenen Industrieansiedlung verlegt. Die beiden übriggebliebenen Theater auch noch zu schließen, wäre das Eingeständnis des Scheiterns eines wesentlichen Bestandteils der sozialistischen Kulturrevolution gewesen und verbot sich deshalb. Die andere Möglichkeit, diese Theater materiell und personell so auszustatten, dass sie bezirksübergreifende Landestheater mit einem Mehrspartenbetrieb hätten werden können, war ausgeschlossen, da in den drei Nordbezirken Rostock, Schwerin, Neubrandenburg keine adäquaten Auftrittsorte vorhanden waren. Die Theater Anklam, Parchim und Prenzlau (bis 1977) wurden von den meisten Theaterleuten natürlich gemieden, kamen kaum für ein Engagement, nur in der allergrößten Not, in Frage. Und doch: Einen vielversprechenden Reiz hatten diese Theater, sie standen, wegen ihrer geringen künstlerischen Attraktivität stets personell unterbesetzt, oftmals offen für Gruppenengagements, sei es von Absolventengruppen der Schauspielschulen oder von sich in ihren bisherigen Engagements zusammengefundenen Teams von Schauspielern, Regisseuren und Dramaturgen. Diese Gruppenengagements boten sowohl eine Gewähr dafür, nicht gleich im ersten Engagement von der rauen Theaterpraxis in einem fremden Ensemble und Arbeitsumfeld zermahlen zu werden, und sie konnten auch eine Kraft entwickeln, das Theater organisatorisch, konzeptionell und ästhetisch den Ansprüchen und Plänen der Gruppe anzunähern, wenn nicht gar darauf auszurichten. Voraussetzung für all das war ein einverstandener, neugieriger und kunstinteressierter Intendant oder zumindest ein Intendant, der sein Haus ins Gespräch bringen wollte. Solche programmatischen Gruppenengagements wurden nicht nur in den Nordbezirken ausprobiert, sondern auch in anderen Theatern der Bedeutungsgruppe C, die gleich den Theatern im Norden fast schon abgeschrieben waren und einzuschlafen drohten. Die erfolgreichsten und bekanntesten waren in Parchim (1963 und 1988), Prenzlau (1974), Eisleben (1973), Senftenberg (1973), Rudolstadt (1976), Anklam (1978 und 1981) und Annaberg (1982).

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Endspiele und Zwischenbilanz

Theaterspielen in Anklam hieß fortlaufend improvisieren, mit dem Mangel leben, sich mit einem schmalen Repertoire bescheiden und mit wenigen Schauspielern einen strapaziösen Spielbetrieb aufrechterhalten. All das führte paradoxerweise dazu, dass im Theater Anklam mehr an künstlerischer Erfindungs- und Durchsetzungskraft gefragt war als an vielen der behaglicheren Bezirkstheater. Wer das zu nutzen imstande war, konnte sich ein/zwei Spielzeiten für kurze Zeit hier austoben. Das wurde immer mal genutzt, was dann schnell zu einem leergefegten Zuschauerraum führte. Die staatlichen Kontrollorgane und die parteieigenen Kulturverwaltungen in Kreis und Bezirk mussten kaum eingreifen. Spätestens nach zwei Spielzeiten war der moderne Theaterspuk in alle Winde verweht. Der fulminanten ästhetischen Interesselosigkeit, den katastrophalen Arbeitsbedingungen und künstlerisch-materiellen Beschränkungen des Spiels in dieser Stadt war kein Theaterenthusiasmus gewachsen. In Anklam konnte man zwar immer von vorn anfangen, wenn man es mit dem Theaterspiel ernst meinte. Und da man es ernst meinte, musste man es aber nach zwei, drei Jahren unbedingt verlassen, ist doch ein Theater ohne Zuschauer auf die Dauer ein Unding. Ende der 1970er Jahre zählte das theatralisch überhaupt ansprechbare erwachsene Publikum in der Stadt und im Landkreis Anklam etwa 2500 Personen. Folglich waren im Theater Anklam mit seinen 327 Zuschauerplätzen mehr als sechs Vorstellungen einer Aufführung durchaus respektabel. Dazu gesellten sich etwa vier bis sechs Abstechervorstellungen. Diese kurzen Laufzeiten und die geringe Zuschauerresonanz der Aufführungen zerstörten auf die Dauer jede künstlerische Motivation. Alles konzentrierte sich auf die Premiere. Danach begann die vorpommersche Depression. Das erste Gruppenengagement in Anklam von 1978 bis 1981, initiiert und geleitet von Peter Ibrik, Klaus Stephan und Matthias Renner, setzte auf einen Spielplan der anspruchsvollen, gesellschaftskritischen, die aktuellen Fähigkeiten des Ensembles bewusst überfordernden Stücke (Shakespeare, Goldoni, Lessing, Kleist, Goethe, Wedekind, Sternheim, Bulgakow, Wampilow, Bez, Koerbl, Groß, Agranowski z. B.). Dieses Konzept war nach einer Spielzeit gescheitert, denn ein derartiges Programm durchzusetzen, bedurfte einer entschlossenen Zuschauerschaft und einer starken innerbetrieblichen Geschlossenheit. Ohne diese beiden Garanten konnte das Konzept schnell von den Kulturadministratoren in Frage gestellt werden, ganz einfach durch den Verweis auf die desaströse Zuschauerbilanz. So geschah es. Basierend auf einer soziokulturellen Studie von Valentina Wolf und mir, Beiträge zu einer langfristigen Konzeption des Theaters Anklam, wurde ein völlig anderer

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Endspiele und Zwischenbilanz

Weg des Theaterspiels erwogen, aber nur teilweise und halbherzig realisiert. In einem ersten Schritt sollte eine Entliterarisierung der Spielplanung, eine Konzentration des Spielplans und der Spielweise auf die theatralischen Genres: Farce, Commedia dell’arte, Sittenkomödie, aktuelle zeitgenössische Adaptionen der antiken Komödie, Gegenwartskomödien profilbestimmend werden. In einem zweiten und grundsätzlichen Schritt war vorgesehen: „Umwandlung des üblichen Stadttheaterbetriebs in ein mobiles, vielfältige Formen der Darstellenden Kunst und kulturell-künstlerischen Kommunikation sich bedienendes kulturelles Unternehmen.“3 Die Versuche, dieses Gesamtkonzept zu realisieren, scheiterten. Der Kräfteverschleiß und die sichtbare Folgenlosigkeit allen Tuns, das Publikum zum Partner der Spiele und des Theaters insgesamt zu gewinnen, entmutigten das Ensemble und die Leitung. Die Truppe löste sich auf, zurück blieben der Intendant und ein Teil des Ensembles. Eine Truppe hatte das Feld geräumt, die nächste konnte kommen. Wenn es denn mit dem Theater in Anklam weitergehen sollte, war wiederum ein Neustart notwendig. Diesen Neustart wagte Frank Castorf mit einem völlig anderen als dem vorher gescheiterten Konzept. Ab Mitte der 1970er Jahre spielten Theaterbesuche und besonders Schauspielbesuche eine immer geringere Rolle im Gesamt der kulturellen und künstlerisch-rezeptiven Aktivitäten. Gänzlich andere Formen der kulturell-ästhetischen Konsumtion gewannen an Bedeutung, wobei insgesamt die kulturell-künstlerischen Interessen mehr und mehr erlahmten, verdrängt wurden durch häuslichprivate Tätigkeiten, die die Lebensumstände verbessern sollten, die Ausgestaltung der „Nische“. Die schmal bemessene Freizeit wurde durch zunehmende berufliche Belastungen (die „rollende Schicht“ z. B.) und zusätzlich abverlangte sogenannte gesellschaftliche Verpflichtungen und zeit- und kraftraubende Auseinandersetzungen mit den verschiedenen staatlichen und kommunalen Ämtern weiter gemindert. Viele Jüngere argwöhnten zudem im Theater auch nur wieder eine affirmative, ideologisch ausgerichtete Beruhigungsstätte. Sie drängten auf aktive Teilnahme an Veranstaltungen, wie sie die Popkultur zu bieten hatte, und verachteten die passive Entgegennahme, die kulturelle Berieselung. Symptomatischer Ausdruck für dieses Begehren sind die kontinuierlich wachsenden Besucherzahlen der Klub- und Kulturhäuser und die wachsende Anzahl langsam sich durchsetzender Volksfeste aller Art und Größe sowie anderer Open-Air-Veranstaltungsformen („Freiluftkonzerte“) in den 1980er Jahren. Allein, der radikale gesellschaftliche Bedeutungsverlust des Theaters war die entscheidende Voraussetzung für die partiellen ästhetischen Versuche der 1980er Jahre, das Theater aus seiner engen

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Endspiele und Zwischenbilanz

Funktionszuweisung zu erlösen und Anschluss zu suchen an die aktuelle Moderne auf dem westeuropäisch-nordamerikanisch dominierten ästhetischen Feld der Popart und der Postmoderne. In der Breite des Landes versteinerten die Theater zu Stätten bloßer Traditionspflege, musealer Verpflichtung, steter Repetition einer kulturell ritualisierten Praxis, Brauchtum. In dieser theaterkünstlerischen Stagnation, auch verursacht durch die Abwanderung vieler wesentlicher Regisseure in die Bundesrepublik, war aber eine Leerstelle entstanden, in der sich einzelne Inszenierungen von bis dahin unbekannter Machart einnisten konnten und kurzzeitig das Theater mobilisierten. Es blieb bei Einzelfällen, diskontinuierlich und marginal. Für einen kleinen Kreis von Zuschauern, neben den unentwegten Theaterliebhabern, war das Theater ein Ort besonderer Art, konnte man doch hier, ohne selbst aktiv werden zu müssen, interessiert und amüsiert oder gar empört betrachten, was sich Fremde im Städtchen, da oben auf der Bühne, gegen die da oben in Berlin getrauten. Auch in Anklam hieß Theaterspielen, einer wenig amüsierten Zuschauerschaft einerseits einen im besten Falle unterhaltenden Wettlauf zwischen Theater und der staatlichen Kulturverwaltung zu bieten und andererseits ein Probelaufen für die Theaterwelt außerhalb des Bezirkes Neubrandenburg zu veranstalten. So war es kulturpolitisch zuweilen und an manchen Orten nahezu gleichgültig, wie gespielt wurde, Hauptsache es wurde gespielt. Hier lag die große theatralische Chance in Anklam, denn Anklam war damals ein solcher und damit der rechte Ort für Theaterspiele, die keiner sehen wollte, die aber aufgeführt werden mussten, die in der Luft lagen, die ausprobiert werden mussten. Es ging keineswegs um gesellschaftskritische Gegenwartsstücke, um eine Dramaturgie der Texte. Die wäre kaum durchsetzbar gewesen. Es ging um eine Kreation von Spielweisen. Hier wurde der Produzenten wegen gearbeitet, ein Theater zum Labor umgemodelt, Spiele von Fachleuten für Fachleute. Die kleinstädtischen und ländlichen Zuschauer waren nicht die intendierten Adressaten der Theaterarbeit von Castorf und König in Anklam. Dies war insofern berechtigt, als bekanntlich alle Versuche in der unmittelbaren Vergangenheit, dem Theater eine zentrale Rolle in der gesellschaftlichen Kommunikation und in der Kunstrezeption in Stadt und Kreis Anklam zu erspielen, gescheitert waren. Das Theater Anklam wurde von Castorf und seinen Kombattanten in den Jahren von 1981 bis 1984 zur theatralen Dependance des Prenzlauer Bergs umgemodelt. Im Berliner Stadtbezirk gab es – im Gegensatz zu den halblegalen und privaten publizistischen und galeristischen Aktivitäten – kaum entsprechende theatrale Aktivitäten in den schmalen

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Grauzonen zwischen offiziellen und privaten Veranstaltungen bis auf die Ausnahme „Theater Zinnober“. Hier in Anklam dagegen war es möglich, Texte des geläufigen Repertoires szenisch so umzudeuten, dass sie zu Spielmaterial wurden, aus dem und mit dem der Autor-Regisseur Castorf und sein Ensemble ihre lustbetonten „Gegenbilder“ und popartistischen „Anti-Welten“ zur schnöden sozialistischen Alltäglichkeit, allen ideologischen Scheins entkleidet, „zusammenbastelten“. Dazu verwendeten sie die spielerisch verwertbaren „Überreste von Ereignissen, Abfälle und Bruchstücke, fossile Zeugen der Geschichte“4 beider modernen Gesellschaften, die Deutschland und die Welt teilten. Dabei nahmen die Berliner Theaterleute auf das Anklamer Publikum, das von all dem wenig wissen wollte, kaum Rücksicht. Vier gutbesuchte Vorstellungen waren garantiert, denn auf die Berliner Theaterkarawane war Verlass und aus Anklam und Greifswald kamen allemal noch einige Zuschauer (Oberschüler vordringlich) hinzu und die abkommandierten Volksarmisten des Armee-Standortes Eggesin belebten wenigstens bis zur Pause den Zuschauerraum. Nach der Pause besiedelten sie die Theaterkantine. Frank Castorf, auf der Suche nach einem Theater, das ihm die Möglichkeit einräumte, ein Ensemble zu bilden und zu inszenieren, war Anklam angeboten worden und er griff zu. Noch bevor er in Anklam antrat, versuchte der Rektor der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin Hans-Peter Minetti ein von Castorf angestrebtes Gruppenengagement eines Teils des Absolventenjahrgangs 1981 mit mehr oder weniger Erfolg zu hintertreiben. Dennoch konnte Castorf ein spielfähiges Ensemble um sich gruppieren. Anklam war für Castorf der große Spiel-Bau-Kasten in dem und mit dem er seine Art des Inszenierens erfand. Er erkannte die „Chance Anklam“, die sich ihm nach dem Abgang der Truppe um Peter Ibrik bot. In seiner Oberspielleiterfunktion sicherte sich Castorf sehr günstige Arbeitsbedingungen für seine Inszenierungen und für sein Ensemble, die kulturpolitisch festgeschriebenen Verpflichtungen des Theaters Anklam interessierten ihn dabei kaum. So nutzte er seine Position in Übereinstimmung mit dem Intendanten Bonness, um den höchst unbeliebten und unangepassten Regisseur Herbert König nach Anklam einzuladen. Zwei Inszenierungen, Bernarda Albas Haus von Lorca und Alfred de Mussets Man spielt nicht mit der Liebe, konnte Herbert König am Theater Anklam in den Spielzeiten 1981/82 und 1982/83 ohne leidiglästige Einreden und Eingriffe theaterfremder oder theaterinterner Sitten- und Staatswächter erarbeiten. Das Theater kommt ihm weit entgegen, kann er doch für die Inszenierung Bernarda Albas Haus vier

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Gastschauspielerinnen engagieren. Die Aufführung findet – und das ist einzigartig in der Wirkungsgeschichte der König-Inszenierungen – eine ingeniöse Beschreibung in der sozialistischen Presse, wenngleich an einem unerwarteten Ort: in der Wochenpost. Da die Wochenpost eine zwar viel gelesene „Ratgeber“-Postille, aber kulturpolitisch eine unauffällige und theaterkritisch wirkungslose Zeitschrift war, konnten hier ab und an Texte außerhalb der kanalisierten professionellen Theaterkritik erscheinen. Rolf Liebmanns Besprechung der Aufführung Bernarda Albas Haus ist ein solcher Text: Gefängnis mit Hafterleichterung Theater in Anklam […] Ist das Stück modern? Das muß jedesmal neu bewiesen werden. In Anklam ist es gelungen. Herbert König hat inszeniert, ein zumeist zwischen den kleinen Bühnen wandernder Regisseur. Die Inszenierung kann einem – Neigung vorausgesetzt – den Atem verschlagen. Ich sah ein bitteres Stück, aber kein düsteres Stück. Ermutigend durch Gedankenarbeit, optische Schönheit, Elan des Spiels. Weil der Regisseur das alte Geschehen näher heranrücken möchte, zeigt die Bühne ein ordentliches, fast freundliches Gefängnis mit einigen Hafterleichterungen: ein Klavier, einen Bildwerfer für die Abendunterhaltung. Die Behausung läßt an bürgerlichen Mittelstand von heute denken. Am meisten überraschend die Spielweise. Man sieht körperlich entfesselte Schauspieler, bewußt gezeigte leibliche Schönheit. Die Darstellerinnen drücken mit aller Kraft den Protest gegen den Widersinn aus, daß die Töchter ohne Zärtlichkeit, körperlos leben sollen, abgesperrt von sozialem Kontakt und ohne sinnvolle Arbeit – natürlich kann das keine. Wie Pflanzen unter der Glasglocke schlingen sie Arme umeinander. Die Inszenierung ist höchst erotisch, im Klima fast fiebrig, trotzdem klar […]. Renate Krößner spielt den widersprüchlichsten Menschen. Ihre Martirio ist die am meisten Zufluchtbedürftige, Gemarterte, Leidenschaftliche, überdies eine Verwachsene mit hochgezogner Schulter. Erst ein argloses, dann ein mißhandeltes Kind. Sie vermag in Martirio sogar die psychische Anlage zur Terroristin anzudeuten, die ratlose Notwehr gegen den Terror der Machthabenden. Ebenso überzeugend Ev-Marie Frölich, sie zeigt, wie die alte Magd Poncia […] den Zwiespalt zu lösen beginnt, von der Machthaberin abhängig zu sein und sich innerlich schon über sie erhoben zu haben.

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Wenn die Herrin zu toben anfängt, tritt die Magd mit köstlicher Grazie beiseite, völlig aufrecht. Ursula Hartung als Bernarda, von der Regie kurzgehalten, spielt das Verbleibende vorzüglich. Die Machthaberin muß einmal scharfen Verstand und intakte Gefühle besessen haben, jetzt denkt und fühlt sie krumm. Kattrin Kupke als Adela, die Jüngste spielt ihren selbstverständlichen Lebensanspruch, die unbedingte Tapferkeit, ohne die Glück nicht zu haben ist. Bei aller Bitternis ein ermutigendes Stück.5 Liebmann hebt in seinem Rezensionsmanuskript besonders hervor, dass König einen hohen Grad von Kultur beweise, indem er in den von Sexualität und Erotik bestimmten Szenen die Schauspielerinnen auf ungemein zärtliche Weise miteinander umgehen lässt und sie zugleich freimütig und lauter körperlich entfessele. Liebmann weist hier auf einen sehr wichtigen, wenn nicht gar den wichtigsten Aspekt der Ästhetik Herbert Königs hin. Und dennoch: Für Herbert König stellte sich Anklam weniger als Chance denn als eine gern genutzte Zwischenstation auf dem Weg in die BRD dar. Seine Zeit in der DDR war abgelaufen, es war ihm nicht vergönnt in diesem Lande, auch in Anklam blieb er letztlich Gast, eine dringend notwendige Anbindung an ein Ensemble, ein Theater, an neue Mitarbeiter zu finden. So sehr Heiko Zolchows künstlerische Mitarbeit ihm weiterhalf, so sehr fehlte ihm aber eins: eine dramaturgisch-theoretisch begleitende kritische Beschreibung seines Tuns. So sehr er die Schauspieler beobachtend stützte, so sehr fehlte ihm selbst ein ihm vergleichbar stützend-helfendes Korrektiv in seiner Arbeit. Aus dem Teamplayer war ein einsamer und oftmals zu schweigsamer Einzelkämpfer geworden. Diese Rolle war ihm zwar von einer bornierten Kulturbürokratie aufgezwungen, aber sie lag ihm auch nahe. Der Seiteneinsteiger, der Autodidakt wurde von der Gesellschaft, die sich programmatischpropagandistisch zur allseitigen Entwicklung und umfassenden Förderung aller Talente ihrer Bürger verpflichtet hatte, ruiniert und in die zunehmende Isolation getrieben. Das ist das eine, das ist das erzwungene Rollenprofil des Regisseurs König; das andere ist eine ihm eigene und von ihm oftmals ostentativ hervorgekehrte Haltung zu seiner Umwelt. Das bezeugt ein perfekt gestelltes Foto im Programmheft der Feydeau-Inszenierung in Nordhausen.6 In der kleinstädtischen Nordhäuser Innenstadt wird eine Dame, auffällig gekleidet in historisches Kostüm, verwundert angestarrt von Männern und Jungen allen Alters. Der Blick der Dame ist nicht zu sehen, sie kehrt dem Betrachter (und dem Fotografen des Bildes) den Rücken zu. Da das Bild im Programm-

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heft zur Inszenierung Lauf bloß nicht splitternackt herum abgedruckt ist, erschließt der Beschauer des Bildes aus diesem Kontext, dass es Sigrid Herforth, die Darstellerin der Clarisse ist, die ihre Figur, wenn auch nicht splitternackt, so doch höchst unangepasst und auffällig ungerührt durch Nordhausen wandeln lässt. Die zweite auffällige Person auf dem Bild ist der am linken Bildrand stehende Mann mit Sonnenbrille, der sich nicht um die aufreizende Schöne schert, sondern im Wissen um das aktuelle Bild, in dem er figuriert, und um das später reproduzierte Foto, auf dem er zu sehen sein wird, richtet er seinen Blick am Fotografenstandpunkt vorbei aus dem Bild heraus auf den künftigen Beschauer des Fotos. So fordert er den Betrachter des Fotos, ihn herausfordernd fixierend, zum Beobachten des Bildes als Szene auf und zugleich gibt er sich als geistiger Urheber des abgebildeten Vorgangs zu erkennen. Genauer ist die Funktion des Regisseurs, wie sie Herbert König vorschwebte, kaum „im Bild“ zu fassen, denn er ist der Mann mit der Sonnenbrille, was aber keiner weiß. Er beobachtet anhand der von ihm initiierten und angeleiteten Spiele/Bilder streng und forschend die Reaktionen, das Verhalten der Zuschauer. Das Publikum wird von König gemessen und oftmals zu leicht befunden, nicht, dass er es verachtet hätte, aber geschätzt hat er es auch nicht, versagte es doch allzu oft in den Augen Königs vor ästhetischen und ideellen Neuerungen, begnügte und vergnügte es sich doch allzu gern mit gängiger Unterhaltungsware. König stand gern selbstbewusst außerhalb, sich einreihen oder in den Trubel stürzen, war seine Sache nicht. Distanziert neben seiner Umwelt stehend, beobachtete und prüfte er Situationen und Akteure, dachte sich seinen Teil und dann, nachdem er allein mit sich selbst eine Entscheidung getroffen hatte, griff er in den Vorgang ein oder ging weiter, einfach weg. Frank Castorf hingegen, theaterwissenschaftlich studiert, eloquent, selbst sein bester Öffentlichkeitsarbeiter, finanziell abgesichert, dazu in Berlin gut vernetzt, wie es sich für die Berliner Absolventen der Humboldt-Universität gehörte, umgeben von akademischen und journalistischen Hilfstruppen (Helmar Schramm, Erhard Ertel, Siegfried Wilzopolski und Martin Linzer) war im Gegensatz zu König wie geschaffen für die Rolle des Unterhaltungsmatadors, des Agent Provocateur der guten alten Theatersittenwächter, dem manches nachgesehen wurde, was vor einem knappen Jahrzehnt noch als äußerst unerhört verschrien wurde. Die Zeiten hatten sich gewandelt: Castorf konnte mit dem Zerfall einer Gesellschaft spielen, die nicht mehr imstande war, dagegen eine intellektuelle Kraft zu mobilisieren. Ein paar Jahre früher war König von der selbsternannten herrschenden Kulturund Kunstelite noch gejagt und fast erlegt worden.

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Doch noch einmal bot sich Herbert König auch außerhalb Anklams eine Inszenierungsmöglichkeit – und was für eine! Die zwei von ihm inszenierten Aufführungen Der ältere Sohn und Der Sommerbürger hatten das Zittauer Schauspielensemble sehr für ihn eingenommen. Die Aufführungen waren auch beim Publikum angekommen und so lud ihn das Theater zur DDR-Erstaufführung eines mehr oder weniger vergessenen Goldoni-Stücks in der Fassung von Paul Kornfeld ein. Was wie eine dramaturgische Marotte des auf Stückausgrabungen spezialisierten Chefdramaturgen Wolfgang Wessig erschien, wurde unter der Hand Königs zu einer der aufregendsten und geradlinigsten szenischen Analysen der sozialen und moralischen Situation nicht nur der schauspielerischen, sondern jeder kreativ-künstlerischen Existenz in der DDR. Das Konzept Königs beschreibt den Gestus und den Ablauf der Inszenierung:7 Bemerkungen zur Inszenierung von Carlo Goldonis DER IMPRESARIO VON SMYRNA in Zittau 1 Ein Schauspieler wird zu rein psychologischem Denken erzogen, nicht zu kritischem … Ein Schauspieler hat dankbar zu sein für ein Engagement, für jede Rolle. Er wird reduziert auf Gefühle und „Menschlichkeit“, dafür bekommt er dann mehr oder weniger Narrenfreiheit. Er darf Launen haben, keine ernsthaften Forderungen. Die meisten Schauspieler, bis auf wenige privilegierte, bei denen es verschleierter ist‚ haben ständig Existenzangst. Sie müssen ankommen. Beim Publikum, beim Regisseur‚ beim Intendanten, bei Kollegen etc. So träumt jeder Schauspieler davon‚ einmal Star zu werden, um mehr Rechte zu bekommen. Das heißt‚ er will Macht. (E. Clever) 2 Sänger in Venedig ohne Engagement, Schauspieler in Zittau mit dem Wunsch nach einem besseren Engagement. Bei der Arbeit am alten, fremden Stück Eigenes entdecken. Goldonis Figuren und ihre Beziehungen zueinander nutzen für das Erkennen der eigenen Situation (und Funktion) als Künstler in der Gesellschaft. Die hündische Abhängigkeit des Künstlers (im Stück) zeigen und damit/darin auch die ihrer Produzenten heute. Versuchen‚ die Ehrlichkeit dabei weit zu treiben. 3 Jemand, dem die Rolle des „Emotionalclowns“ (Stein) zufällt‚ dem nur diese Rolle bereitgestellt wird, verkrüppelt durch die permanenten kunstvollen Verrenkungen. Der Wunsch‚ dazugehören zu wollen, und die Verstümmelung als Preis der Integration. Prostitution, als Sehnsucht nach Geliebtwerden. Die Ohnmacht der Kunst.

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4 Das Obszöne‚ Monströse‚ Ekelhafte von Theater zeigen. Die Künstlichkeit‚ das Gespreizte, die manierierten Gebärden‚ die falschen Tränen‚ die hohlen Töne‚ die kleinbürgerlichen Ansprüche, die Mängel beruflicher Schlamperei, die Dummheit. (Nirgends gibt es eine solche stockwerkhohe Ansammlung von dilettantischem Können wie unter den mitwirkenden Kräften der Oper. R. Walser) 5 Schauspieler mögen zuweilen eifersüchtig oder nichtssagend erscheinen, aber ich habe nie einen Schauspieler erlebt, der nicht arbeiten wollte. Dieser Wunsch zu arbeiten ist seine Stärke. (P. Brook) 6 Nicht die beruflichen Qualitäten der Figuren bezweifeln. Solidarität. Theaterleute‚ verbunden durch gemeinsames Leid und gemeinsame Angst (3. Akt) Bei allem Egoismus und aller Indifferenz: Zusammenhalt der erledigten‚ am Tiefpunkt angelangten Künstler. Immer neue Ansätze zum Aufbruch (und das Scheitern). 7 Komödianten — Publikum/Gesellschaft. Die Kluft nicht verringern. Getrenntes nicht zusammenbringen. Die Entfernung belassen. Der Blick durchs Schlüsselloch nach Afrika. Den Orchestergraben öffnen‚ das Bild allmählich verwischen‚ verdunkeln. Der Zuschauer/Voyeur sieht nur Bruchstücke, Partikel. Das Geheimnis behaupten. Die Lächerlichkeit der Komödianten zeigen‚ ohne dem Zuschauer die Möglichkeit des Auslachens zu geben. Das Spiel spielen, aber die Spielregeln nicht verraten.8 Die Aufführung von Der Impresario von Smyrna9 wirkt in den ersten 45 Minuten, so lange dauert der erste Akt, wie eine hurtige Petitesse, karg im Ambiente, genau im Spiel, herausragend dabei der Rhythmus. Pausen sind inhaltliche; hier brütet sich Handlung aus, spannungserzeugende Stauungen kochen hoch. Umstandslos wird eine Situation nackt und kühl berechnet, wohl kalkuliert durcherzählt. Die Schauspieler sind angehalten, ihre und ihrer Figuren Frustrationen freien Lauf zu lassen. Keine der Figuren findet des Zuschauers Sympathie, Ablehnung auch nicht. Der Zuschauer wird aufgefordert, sie nüchtern, objektiv zu betrachten. Im zweiten Akt wird der Zuschauer zu einem anderen Blick gezwungen. Die Inszenierung entzieht die wesentlichen Vorgänge des zweiten Aktes und seine zentrale Figur, den Impresario, über weite Strecken den Blicken des Publikums, spielt sich doch alles hinter einer die Hotelhalle teilenden Mittelwand ab. So ist der reiche Türke Ali, der Impresario von Smyrna, den Blicken der Zuschauer verborgen und die ihm angetragenen erotischen Versprechungen, körperlichen Avancen

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und sexuellen Handlungen, die Demuts- und Bettelgesten der um ein Engagement buhlenden Sängerinnen und Sänger bleiben unsichtbar bzw. der Phantasie der Zuschauer überlassen. Erst zum Ende dieses Aktes – der Türke hat alle, die sich um ihn drängten, abgewiesen und das Geschäft des Engagements an Graf Lasca delegiert – sieht der Zuschauer, wie die von Lasca dazu aufgeforderten drei Sängerinnen aufgereiht an einer Wand im Vordergrund der Bühne ihre knöchellangen Kleider über die Knie hochheben und ihre Oberschenkel zur Fleischbeschau preisgeben. Ausdruckslos, mechanisch und dennoch zögernd, dabei nicht ohne Routine, unterwerfen sie sich dem Zuhälterblick von Lasca. Was sieht der Zuschauer, was liest er in den Gesichtern der drei Frauen? Er findet nicht die Spur eines Gefühls, keine Wertung, er sieht nichts weiter als verfügungsbereite Puppen. Der Zuschauer muss, sofern er am theatralen Vorgang tatsächlich interessiert ist, diese Leerstelle füllen: Will er die Verpuppung der Figuren durchdringen, muss er in sich selbst nach dem Gefühl suchen, das ihn überkommen würde, stünde er an ihrer Stelle. Das Elend der Verhältnisse, in diesem Falle der Theaterverhältnisse, wird in der Verwüstung der Innerlichkeit gespiegelt. Das äußere Elend wird überschminkt, die Figuren tragen exquisite Kostüme besten Stoffes und Zuschnitts.10 König entlastete die Schauspieler: Er nahm ihnen die oft spielhinderliche Bürde des Bedeutens, des Bewertens, des ausgestellten Leidens. Die Kühle des Unvermeidlichen, die Selbstverständlichkeit des falschen Lebens wurde sichtbar und durch keinen Mitleid heischenden Zuschauerbezug getrübt. Auf diese Weise ermöglichte er ihnen die schamlose Gelassenheit des Spiels, selbst wenn die intimsten Leiderfahrungen, auch und gerade die der Schauspielerinnen, zum Gegenstand des Spiels wurden. Leid zuzufügen, Leid zu ertragen, das zentrale Thema in Königs Inszenierungen, vergegenständlicht sich in diesem Bild und bestimmt den dritten Akt inhaltlich. Im kurzen dritten Akt kommt die Aufführung zu ihrem Schmerz erregenden Höhepunkt. Ein Versprechen wurde gebrochen, eine Hoffnung enttäuscht, Aufwand kläglich verschossen, umsonst hat man sich preisgegeben. Die Wut gegen sich selbst, wieder, wie schon so oft, versagt und wieder einmal verloren zu haben, schlägt in eine kalte, mörderische Aggression um. Die kollektive Bestrafung des Grafen, des vermuteten Schuldigen, bedarf keiner verschwörerischen Absprache. Im Mord11 formieren sich die konkurrierenden Solisten zum Ensemble, um nach der Tat schlagartig wieder auseinanderzufallen, bis dann wider Erwarten zumindest eine vom abgereisten Impresario hinterlassene Ausfallgage allen die nächsten Tage erträglicher erscheinen lässt. Beim schnell beschafften Wein schwatzen sie sich ein, das entgangene Engage-

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ment leichthändig zu verschmerzen. Die vorher so sehr gewünschte Fahrt in die Fremde wird als unsinnige Kapriole unbedachten kurzzeitigen Fernwehs verdrängt. Das kleine dumme Fest, das übliche Kantinen-, Kneipengemurmel, gedämpfte Feier des Abfindens im wärmenden Gemütsschlamm falscher Gemeinschaftlichkeit, wird dann übertönt – nicht wie im Greifswalder Nachtasyl durch die Rolling Stones, sondern durch die Schellackplattenstimme eines italienischen Tenors reinsten Wassers (Enrico Carusos gar?). Herbert König steigert dieses Schlusstableau noch in eine gespenstische Dimension. Er lässt die große leere Drehscheibe, zwischen den in der Bühnentiefe verdämmernden Figuren und den Zuschauern gelegen, unentwegt kreisen. Ein vielschichtig bedeutsames Bild: Das Theater kreist um sich selbst, die Handlung gleicht am Ende der am Anfang, die Sinnlosigkeit siegt. Wir schauen auf etwas, das fremdbestimmt um sich kreist, ohne dass wir es verhindern können. Etwas Fremdes dreht sich vor unseren Augen. Werden wir die Scheibe zum Stillstand bringen? Das Bild der Maschine aus In der Strafkolonie drängt sich auf! Zugleich erinnert die leere, stupide im gleichen Tempo vor sich hin drehende Scheibe, dieses hohldrehende Theatermittel, an glücklichere Zeiten des Theaters in diesem Land, fuhr doch einstmals der berühmte Marketenderwagen der Anna Fierling, genannt Mutter Courage, auf eben einer solchen Scheibe, das Theater revolutionierend. In welchem Magazin vermodert er inzwischen? Assoziationen vieler Art werden hier aufgerufen. Mehr soll man von Theater nicht erwarten. Das einheimische Publikum war eingeschnappt, gekommen war es zu einem Goldoni, heiter, beschwingt, bunt und am besten – wenn’s geht – aufgehübscht mit Adriano-Celentano-Schlagern. Die Zittauer Premierenzuschauer sahen und hörten in ihrer Mehrheit widerwillig die in Gewand und Geist erste zeitgemäße Aufführung eines Stückes von Goldoni in der DDR. Die Bearbeitung von Paul Kornfeld kam Herbert Königs Intentionen sehr entgegen: Indem er [Paul Kornfeld] vor allem […] Goldonis Aufklärungsoptimismus ersatzlos strich und seine Figuren am Ende lediglich zu einem Gelage zusammenführte, formte er zum Kreis, was in der Vorlage noch Parabel gewesen war. Am (Kreis-)Schluß stehen alle wieder genau dort, wo sie zu Anfang des Stückes gestanden haben; ihre Gage werden sie in der kürzesten Zeit verzehren und dann wird, da keine grundlegende Änderung mit ihnen vorgegangen ist, weil sie sich also nicht auf ihr Wesen und ihre Menschenwürde besonnen haben, derselbe Jahrmarkt der Eitelkeiten wieder von vorn beginnen.12

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Eine schauspielerische Erfindung sei noch besonders hervorgehoben, da sie die aktuelle Stoßrichtung der Inszenierung präzise markiert und ihre umgehende Absetzung nach der zweiten Vorstellung verständlicher erscheinen lässt. Die Figur des Grafen Lasca wird bereits von Kornfeld in eine mediokre Gestalt umgeformt, bei Goldoni war die Figur weit ungenauer gezeichnet: Daneben steht hier ein zum bloßen Großsprecher zurückgestufter Graf Lasca, der sich lediglich mit der Kunst wichtig machen will. In der großen Schmährede, die Kornfeld Tognina gegen Lasca in den Mund legt, heißt es: „Und wenn wir größenwahnsinnig sind, so hat doch jeder von uns ein Talent dazu; Sie aber tun nichts und können nichts und sind nur größenwahnsinnig.“ Derjenige, der seinem Größenwahn aufs Podest verhilft, indem er sich – wie Lasca – als Beschützer und Lenker der weit Begabteren aufspielt, sie dann bei einem Fehlschlag aber nur verlacht und verspottet […].13 Wolfgang Adam und Herbert König formen aus diesem venezianischen Grafen einen oberflächlich-abgefeimten Kulturfunktionär, der die ihm anbefohlenen und von ihm abhängigen Künstler nach Belieben benutzt und fallen lässt, da er sie tief verachtet. Rechtens rächen sich die Künstler tödlich an ihm. Einer dieser real-sozialistischen Kulturfunktionäre sollte in der zweiten Vorstellung eine dubiose Rolle spielen und den anekdotenumwölkten berühmten Zwischenfall, ein wohl ziemlich einzigartiges Ereignis in der Geschichte des Theaters in der DDR, auslösen. Was geschah in dieser sagenhaften zweiten Vorstellung in Zittau? Nach dem kollektiven Mord an Graf Lasca, dem Überbringer der niederschmetternden Nachricht, dass sie um ihr Engagement geprellt sind, ziehen sich die ausgestoßenen Sänger und Sängerinnen in die Tiefe der Bühne an die Brandmauer zurück. Eine von ihnen zerrt den Leichnam in eine Ecke, die anderen hocken im Halbdunkel weit und fern vom Publikum. Vereinsamt und unschlüssig, deprimiert, enttäuscht, erstarrt und in sich gekehrt, unfähig die berufliche Enttäuschung und die mörderische Explosion verarbeiten zu können, sinnieren sie vor sich hin. In diesem hochsensiblen und gewiss kritischen Moment der Inszenierung erklimmt ein Zuschauer die Stufen zur Vorbühne und beginnt lauthals in unverkennbarer Oberlausitzer Diktion das Publikum, das sich schon mit „Lauter, lauter“-Rufen eingemischt und zu Wort gemeldet hatte, gegen die Inszenierung zu agitieren. Die Darstellerin der Lucrezia, Christine Gabsch, fasst sich ein Herz, schleudert ihren auffällig großen Hut entschlossen auf den Boden, geht

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den langen Gang von der Brandmauer zur Vorbühne und versucht den unwillkommenen Redner wieder zum Rückweg aufzufordern. Doch der weicht nicht. Sie drängt und schiebt, es kommt zur Rangelei. Ein Dritter erklimmt die Bühne, ein großer massiger Mann – Roman Silberstein, Intendant und Hausherr des Theaters. Er bringt die beiden auseinander und expediert den „Zuschauer“ von der Bühne. Das Stück wird zu Ende gespielt. Der Schlussapplaus wird zum Eklat. Die zugereisten Kollegen und König-Interessierten feiern; die anderen Zuschauer beginnen ihren Unmut zu artikulieren. Die Schauspieler verlassen die Bühne und gehen in den Zuschauerraum. Die Beschimpfungen dauern fort. In irgendeiner Schauspielerwohnung wird bis zum frühen Morgen das Unfassbare von den betroffenen, erregten Schauspielern versuchsweise verarbeitet – die Realität hatte die Fiktion eingeholt. Dann gab es viele harte Diskussionen. Bei der zentralen Spartenversammlung war König [anders als in Greifswald] dabei. Das Ensemble war tief gespalten. Silberstein wollte die Inszenierung zwar halten, aber er stand gegen die Parteigruppe und die -sekretärin des Theaters auf verlorenem Posten und hatte wohl unmittelbar Angst vor seiner Entlassung.14 Diese Inszenierung wurde in der offiziell gelenkten Öffentlichkeit der DDR totgeschwiegen. Umso rühriger kümmerte sich der westdeutsche Theaterkritiker Andreas Roßmann um Herbert König. Er bemüht sich ausdauernd darum, mit seinen Kritiken Herbert König in Westdeutschland bekannt zu machen, ihm ein Arbeitsfeld zu eröffnen. Mit der Rezension des Impresario von Smyrna beginnt Roßmann seine langjährige, aufgeschlossene, kritisch-wägende Begleitung der Theaterarbeit Königs. Roßmann bleibt bei aller Genauigkeit im Detail in seiner ersten Kritik einer König-Inszenierung aber noch an der Oberfläche haften, den eigentlichen Sinnhintergrund der Inszenierung übersieht er. Unter dem Titel „Bilder (k)einer Reise“15 rückt er die Inszenierung in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der staatlich vorenthaltenen Reisefreiheit der DDR-Staatsbürger in das sogenannte nichtsozialistische Ausland und darin sieht er das wirkungsästhetische Zentrum der Inszenierung: „dann weisen diese Situationen des Reisenwollens und Nichtreisenkönnens, diese Bilder verhinderter Hoffnungen und gescheiterter Aufbrüche weit über das Theater hinaus. Sie treffen eine Realität, die der Zuschauer kennt.“ Die Substanz der Inszenierung wird von Roßmann zugunsten einer journalistisch schnell ausbeutbaren, vereinseitigenden Sicht auf die Inszenierung beiseitegeschoben. Dass die Inszenierung in

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der Aufführung des Düsseldorfer Schauspielhauses von einem nun wahrlich durch alle Welt reisenden Publikum goutiert wurde, lässt vermuten, dass der von Roßmann festgestellte Realitätsbezug nicht die Wirkungskraft der Inszenierung ausmachte. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass er in seiner Kritik der Düsseldorfer Aufführung angesichts der gleichen Inszenierung (!) einen anderen zentralen Wirkungsaspekt herausfindet. Jetzt ist für ihn in der Aufführung das wesentliche Wirkelement die szenische Darstellung „von Künstler-Existenz-Druck, Ausbeutung, Unterwerfung. Kunst als scharfes, verschärfendes, erschreckendes Erkenntnismittel, nur über Theater-Künstler? Natürlich auch über die Gesellschaft, in der sie arbeitslos sind.“ Auch diese Mutmaßung über die Wirkungsabsicht verfehlt letztlich die Inszenierung. An diesem kleinen Beispiel wird vielleicht deutlich, wie sehr Herbert König, allein was das Verständnis für seine Theaterarbeit anlangte, von der Traufe in den Regen kam, als er von Ost nach West übersiedelte. In beiden Gesellschaften wurde nicht verstanden – und wenn es verstanden wurde, dann wurde es beiseite gedrängt –, dass Königs gelungene Inszenierungen sich nicht mit sozial oder politisch kritischen Blicken in die jeweiligen gesellschaftlichen Umwelten seiner Gegenwart beschieden. König bewegte auf dem Theater ein Problem: Wie gehen die Menschen miteinander um? Angesichts der ihn umgebenden Realität kam er zu dem Schluss: unmenschlich. Von dieser bitteren Erkenntnis sind seine Inszenierungen durchtränkt. Seine Inszenierungen sind immer – und das will erkannt werden – dialektische Sondierungen der menschlichen Existenz und immer sind die Spieler auf der Bühne Abbilder des Zuschauers. Im Moment des Erkennens seiner doppelten Anwesenheit, entkommt es nicht mehr der Antwort auf die Frage, ob er, der Zuschauer, nicht etwa das gespiegelt angeschaute Wesen ist und ob es deshalb nicht ratsam ist, der Gemütsruhe wegen, jeden Verweis auf sich selbst vehement zu verneinen und ungerührt und selbstgewiss das Theater zu verlassen. Die Aufführungen sind auf diese Weise riskant und stellen die übliche theatralische Kommunikation immer wieder in Frage bis hin zum Scheitern allen Zusammenwirkens von Bühne und Publikum. Das nahm Herbert König in Kauf. Aber und das ist die zweite, nun positive, die theaterpolitische Seite des theaterkritischen Missverständnisses, die Zittauer Kritik von Andreas Roßmann und die Kritik von Helmar Schramm zur Greifswalder Nachtasyl-Aufführung reichten aus, dass Herbert König im Westen bekannt wird und ihm Inszenierungen in der Schweiz und der BRD angeboten werden. Die letzte Inszenierung in der DDR ist Alfred de Mussets nominelle Komödie Man spielt nicht mit der Liebe in Anklam.

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König notiert im Vorfeld seine Sicht und das Prinzip seiner radikalen Strichfassung: Spieler/Spiele Immer allein zu spielen wird auf die Dauer langweilig. Man fängt an zu schummeln. Bei seiner Patience legt der Baron Herz-Bube neben Herz-Dame. Er kalkuliert den Fortgang des Spiels, er bestimmt die Spielregeln Als er merkt, daß er, statt der erwünschten Karten, Kreuz-Dame und Karo-Sieben in der Hand hält, läßt sich das Spiel nicht mehr stoppen. Der Mechanismus ist in Gang gesetzt. Camille und Perdican ist das Spiel schon aufgezwungen und je länger es läuft, desto größer wird die Gewißheit des Verlierens. Liebe ja, aber ohne Leiden. Camille leugnet das Spiel, um dann umso heftiger zu spielen. Alles oder nichts. Gott oder die absolute Liebe. Sie hat viel gelesen. Medea z. B. gefällt ihr und Schillers Jungfrau. Radikal drängt sie sich in die tragische Rolle. Alles auf zéro. Sie ist im falschen Spiel. Ihre Alternativen sind absurd. Der wahnsinnige Griff nach dem Absoluten stört das Spiel/zerstört die Spieler. Wie Camille ist auch Perdican gebildet, aber er hat andere Bücher gelesen. Seine Lieblingslektüre ist Camus. Oft hat er sich im Kino angesehen, wie Mastroianni den Fremden spielt. Die Leidenschaft hält sich in Grenzen. Das Leben ein Spiel, das Ergebnis ist bekannt. Bis dahin vertreibt sich Perdican die Zeit mit Spielen, nicht sehr engagiert, fast gleichgültig, zum Spaß. Mal rouge, mal noir. Und wenn er den Schwarzen Peter auf der Hand hält, läßt er ihn nicht in den Ärmel gleiten. Camilles Besessenheit und ihre Spielleidenschaft irritieren ihn. Wenn man weiß, daß man zu den Verlierern zählt, versucht man den Verlust in Grenzen zu halten. Aber man spielt, wegen der Hoffnung, wie Rosette. Und ganz plötzlich steht sie vor dem Hauptgewinn. Die Welt steht auf dem Kopf. Dann nimmt man ihr den Superpreis wieder weg und drückt ihr die obligatorische Niete in die Hand. Die Welt steht niemals auf dem Kopf. Nun macht sie das einzige, das man machen kann, um nicht weiter zu verlieren: sie hört auf zu spielen. Sie beendet ihr Spiel und damit zunächst auch das Spiel der anderen. Nichts geht mehr. (Bis zum nächsten Spiel).16 Wie reagierte nach der Zittauer Aufregung die Fachkritik in der DDR, die diese wohlweislich verschwiegen hatte – oder angehalten war zu verschweigen – auf die nicht minder radikale Inszenierung? Sie reagiert in Person von Jochen Gleiß inquisitorisch:

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In seinem Programmheft belehrt der Regisseur den Zuschauer, daß Musset der „größte Dichter Frankreichs im 19. Jahrhundert“ war. Aber auf der Bühne zeigt er, daß ihn dieses Werk nur das Material für eine Parabel über entfremdete menschliche Beziehungen wert ist. Damit „bewies“ dieser Regisseur erneut, der zur Orientierungsfigur unserer Neuen Mystagogen „avancierte“, daß er mit jedem Autor die „Geheimnisse unserer Wirklichkeit aufdecken“ kann. Königs Spielfassung für Anklam verlegt die 1825 angesiedelte Handlung von den mißglückten Absichten eines französischen Landedelmanns, Nichte und Sohn miteinander zu verheiraten, in eine undefinierbare Moderne; sie enthistorisiert Vorgänge und Figuren. Zugleich eliminiert der Bearbeiter von Musset angelegte soziale Konstellationen und Kontraste, indem er Bauern und kirchliche Erzieher streicht. Mit den fünf Restfiguren sucht der Regisseur eine Art ästhetischer „Allgemeingültigkeit“ zu suggerieren, führt damit allerdings auch Auffassungen vom „Theater als Laboratorium sozialer Phantasie“ ad absurdum. Königs Fähigkeit zu manipulieren dient dort dazu, auf Kosten entpersönlichter Schauspieler subjektive Ansichten von Wirklichkeit anschaulich zu machen. […] Alle, bis auf Rosette, sind schwarz gekleidet. In dem kleinen Theater sind die mit tonloser Stimme gesprochenen Texte zwar noch zu verstehen, doch ist die Entwertung der Schauspielerpersönlichkeit unübersehbar. König läßt alle Vorgänge zelebrieren, baut, der Langeweile zu entgehen, nach langsamen Passagen darstellerische Affektationen ein, die aber die zerdehnte Vorführung noch unterstreichen. Schauspieler zu nennen, verbietet der Takt. Die beiden „Überlebenden“ wärmen sich am Ende im verschneiten Raum die Hände.17 Gleiß bemüht sich gar nicht mehr um ein Verständnis der Aufführung, das Urteil war vorher gefällt. Der Lokalkritiker tut es ihm gleich: Unter der Überschrift „Menschen in der Eiszeit“ beschied er den Leser mit seiner apodiktischen Ablehnung der Inszenierung: „Verstehe diese Welt, wer will! Die meine ist es nicht.“18 Herbert König nahm den Titel des Stücks wortwörtlich und sehr ernst. Er verweigert alles, was an Komödie, Lust und Laune der Verliebten und andere Gemeinplätze erinnert. Er singt das Lied vom Tod der Liebe, nicht ohne doch einen Moment von Liebesglück anklingen zu lassen. In zwei Liedern sind die Pole versinnlicht und rahmen das Spiel. Das sich im Spiel unglücklich verstrickende Paar Perdican und Camille genießt einen kurzen Augenblick unter dem Schreibtisch hockend, dem altbewährten und beliebten Kinderversteck, aneinandergeschmiegt

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einen innigen Moment des Vergessens. Hier singen sie einander zugekehrt im Duett das „Ännchen von Tharau“. Doch die höhnische Entlarvung der Idylle folgt sobald. In den szenischen Übergang vom zweiten zum dritten Akt zwängt sich eine aufdringlich plärrende Schellackplattenaufnahme der „Gefrorenen Tränen“ von Wilhelm Müller/Franz Schubert aus der Winterreise: Gefror’ne Tropfen fallen Von meinen Wangen ab: Ob es mir denn entgangen, Daß ich geweinet hab’? Ei Tränen, meine Tränen, Und seid ihr gar so lau, Daß ihr erstarrt zu Eise Wie kühler Morgentau? Und dringt doch aus der Quelle Der Brust so glühend heiß, Als wolltet ihr zerschmelzen Des ganzen Winters Eis! Im Kontrast zum frisch und live gesungenen Volkslied wirkt das Kunstlied, das sich volkstümlich gibt, abgestanden, hohl, selbstmitleidig. Die Kindheit ist vergangen, die Gegenwart schwer erträglich und in der Zukunft bleibt nur das Betränen, das unglückliche Bewusstsein eines verpassten Lebens übrig. Schlechte Aussichten. Das durfte Jochen Gleiß nicht wahrhaben, aber so sahen viele in der DDR entsetzt ihre Lebensperspektive. Ob zu Recht oder Unrecht, ist dabei gleichgültig. Der Abschied Herbert Königs von diesem Leben war zwingend. Hiervon erzählt diese Inszenierung. Ich vermute, es ist die persönlichste Theaterarbeit von Herbert König in der DDR gewesen und die dem allgemeinen Verständnis verschlossenste zugleich, war es doch noch sehr unüblich und ungewohnt, dass Regisseure mit solcher Radikalität die eigene Befindlichkeit, das eigene Schicksal in die Inszenierung einschrieben. In der Aufführung überlagern sich drei Bedeutungsschichten. Zum einen zitiert sich König laufend selbst: Er rafft szenische Erfindungen aus Fräulein Julie bis Nachtasyl zusammen, spielt mit bekannten Requisiten und Accessoires aus Turandot, Lauf bloß nicht splitternackt herum, variiert den Bühnenraum von Der Impresario von Smyrna, lässt wieder sowohl live als auch vom Band singen. Diese rückwärtige Zusammen-

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schau wird aber konterkariert durch Vorgriffe auf für ihn dringend notwendig zu inszenierende Stücke, auf Becketts Endspiel und Warten auf Godot. Zum dritten, und das war wohl die ästhetisch riskanteste Bedeutungsschicht der Inszenierung, mutet die Aufführung des Stückes von Musset wie eine Erinnerung an einen ungedrehten Film der Nouvelle Vague an. Der Diskursraum Theater wird in dieser Inszenierung zu einer „einsilbigen“ Ausstellungshalle der Aussichtslosigkeit, der ausgezirkelten erstarrenden Bilder sich quälender Menschen. Hier wird niemand mehr angegriffen, hier läuft etwas aus und vor sich hin, ungerührt. Dem Zuschauer wird nähergetreten, aber nicht mehr provokativ aggressiv, sondern nervtötend. Er soll begreifen, dass seine Sache da oben verhandelt wird, aber das, was er sieht, als seine Sache zu akzeptieren, ist der Anklamer Zuschauer nicht bereit. Und Herbert König wiederum ist nicht bereit zuzugeben, dass in Anklam keine Bosheit, von wem auch immer ausgeheckt, die Zuschauer abhält, seine Inszenierung zu sehen, sondern pures ästhetisches Desinteresse die Ursache dafür ist. Ein hochentwickeltes ästhetisches Interesse wäre hier auf einen der seltenen Versuche gestoßen, filmische Gestaltungstechniken und Rezeptionshaltungen ins Theater zu transformieren. Es ist die Position des Blicks, der das Kino definiert, die Möglichkeiten ihn zu variieren und sichtbar zu machen. […] Im und für den Film gibt es drei verschiedene Arten von Blicken: den der Kamera, die das pro-filmische Geschehen aufzeichnet, den des Publikums beim Betrachten des Endprodukts und den, den die Figuren innerhalb der Leinwandillusion miteinander wechseln. Die Konventionen des narrativen Films verneinen die beiden ersten Formen und ordnen sich der dritten unter, in der Absicht, die störende Präsenz der Kamera zu eliminieren und ein Bewusstsein von Distanz beim Publikum zu verhindern.19 Diese in der Filmkunst entwickelten „Blick-Spiele“ und die damit einhergehenden Techniken, unterschiedliche Zuschauerpositionen in einem Film zu evozieren, wurde in den letzten beiden Inszenierungen Königs in der DDR, wenngleich schon vorgearbeitet in Turandot und Nachtasyl, zum kommunikativen Grundschema. Der filmkundige König folgte hierbei sowohl Polanskis frühem Meisterfilm Messer im Wasser wie auch den vielfältigen Versuchen des von ihm verehrten Jean-Luc Godard. Der Zuschauer soll, so Königs wirkungsästhetisches Kalkül, das Bühnengeschehen einer Filmkamera gleich abtasten. Das Theater stellt

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das zu beobachtende und „aufzunehmende“ Geschehen unter zwei Aspekten dar, somit zwei unterschiedliche Sichten hervorrufend. Die eine Sicht ist die des mikroskopischen Blicks, einem bohrend verweilenden, unter dem sich das Bild zum Tableau formt, in dem die Zeit innehält und die künstliche Zeit der Musik den realen Raum und die reale Zeit fortschwemmt. Die andere Sicht ist die des panoramatisch wandernden Rundblicks und des zwischen Nahaufnahme und Tiefenschärfe wechselnden Nah- und Fernblicks, denen sich die Häufung der Bilder des Alleinseins im Nebeneinander und der Einsamkeit und Zufälligkeiten aufdrängen und schließlich zu dem einen großen chaotischen Bild, einem Bild der Vereinzelung der Einzelnen zusammenballen. Ungerührt stellen sich die Schauspieler diesen fremden Blicken, gleich ob er ihnen gilt oder nicht, und sie halten ihnen mühelos auch in den intimsten und peinlichsten Momenten stand. Das kann als schamlos empfunden und beschrieben werden, die Schauspieler verhalten sich gleich den Produzenten eines pornographischen Aktes. Während die Akteure ein Mittel frei zum Gebrauch des Zuschauenden produzieren, stellen sie dabei selbst gefühllos dem Betrachtenden anheim, ob und zu welcher Art Gefühlsbefriedigung er das herbeigebrachte Mittel/Bild gebrauchen will. Diese Art der Darstellung ist die von Königs Gegnern immer wieder beklagte oder kritisierte angebliche Kälte seiner Inszenierungen. Die Kritiker merken nicht, dass ihr Vorwurf, der ja die Forderung nach Wärme und Empathie in der Darstellung einbeschließt, sollte er erhört werden, die kunstvoll pornographische Gestaltung in eine Situation des geschäftigen Animierens, in einen die Spieler beschämenden Kaufakt, einen erniedrigenden Akt der Prostitution verwandeln würde.20 Beide Inszenierungen sind aber auch aus einem sehr einfachen Grund – und das ist aus der besonderen Lage Königs nach der GorkiInszenierung und den verweigerten Gastinszenierungen im Ausland leicht erklärlich – eindeutig einer attraktiven und informativen filmischen Dokumentation verpflichtet.21 Sie sollen Flaschenpost an die Theater der Welt werden. Gestützt von den Bühnenraumlösungen Heiko Zolchows, die den Bedingungen eines Filmstudios genügen, wird das Wechselspiel der Kameraeinstellungen von Vordergrund und Hintergrund (Tiefenschärfe) ermöglicht. Parallele Handlungsvorgänge können so im gleichen Spielraum, der als Aufnahmeraum und Sichtfeld zugleich strukturiert ist, ablaufen, filmisch festgehalten und reproduziert werden. Die Auftritte der Figuren werden nicht mühevoll inszeniert, sie treten einfach ins Bild, in die Situation, so wie sie im Film durch Kamera und Schnitt dem Blick des Zuschauers präsentiert und in

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die sichtbare Handlung integriert werden. Die Videokompatibilität der Aufführungen wurde zu einer immer stärker bestimmenden theaterfremden Inszenierungsqualität, versprach doch die Überzeugungskraft des grenzüberschreitenden transportablen Videos einen Wertzuwachs der Inszenierung und einen Imagegewinn des Regisseurs auf dem westeuropäischen Theatermarkt, der für einige Regisseure aus der DDR als Fluchtstätte diente und anderen zur fetten Weide geriet. Nach der gut besuchten Premiere am 15. Januar 1983 sagt der Anrechtsleiter am 19. Januar ohne Rücksprache mit der Theaterleitung und dem Regisseur die geplante dritte Vorstellung mangels Zuschauerinteresses ab. Einen Tag später beschwert sich König in gleichlautenden Schreiben bei Frau Dr. Holan im MfK, Herrn Dr. Klaus Pfützner im VT und Herrn Eberhard Sprink in der DTO über die seiner Ansicht nach gezielte Verhinderung weiterer Aufführungen durch das Theater selbst.22 Das ist für ihn ein erneuter Beweis dafür, wie seine Arbeit, selbst an diesem Theater, behindert wird. König berichtet, dass nach der zweiten Vorstellung ein Publikumsgespräch stattgefunden habe, auf dem der betrunkene Anrechtsleiter coram publico die Inszenierung brüsk abgelehnt habe. König sieht sich verfolgt, weil niemand dem Treiben dieses Mannes Einhalt gebietet. Dabei übersieht er, dass er auch die ihm wohl gesonnenen Castorf und Bonness anklagt und beschuldigt – oder war ihm das zu diesem Zeitpunkt, der Entschluss auszureisen dürfte längst gefasst sein, schon gleichgültig? Die hoch elaborierte Inszenierung scheitert nicht nur am Anklamer Publikum. Ihr war der zweite, der erzwungene Zweck übermächtig eingeschrieben. Das Publikum war nur noch pro forma zugelassen – was es spürte und verstimmte. Ich selbst sah eine der letzten, wenn nicht die letzte Vorstellung zusammen mit ein paar in den Theatersaal gewehten Volksarmisten. Es ging nichts mehr. Das Spiel war aus. Auch für Castorf ging die Episode Anklam schnell zu Ende. Er war drauf und dran, das Theater für sich und seine Truppe zu privatisieren und aus dem staatlich gesetzten Organisationsrahmen auszuklinken und den ideologisch bestimmten „kulturell-künstlerischen“ Auftrag des Theaters ostentativ zu ignorieren. Die verantwortlichen Partei- und Sicherheitsorgane ließen Castorf immerhin zwei Spielzeiten gewähren, bis sie zuschlugen. Zum Anlass nahmen sie die schnell sinkenden Zuschauerzahlen. Tatsächlich störten sie sich aber daran, dass sie keinen Einfluss mehr ausüben konnten, keinen Zugriff auf die Entscheidungen hatten, außen vor standen, machtlos vor „ihrem“ Theater. Die übliche Machtfrage musste gestellt und entschieden werden. Ein Anlass war schnell gefunden.

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Die Zuschauerzahlen waren in den ersten zwei Spielzeiten so weit in den Keller gerutscht, dass der Intendant Wolfgang Bonness zum Ende der Spielzeit 1982/83 gehen musste und an seine Stelle Wolfgang Bordel rückte. Im Februar 1984 resümiert die SED-Bezirksleitung Neubrandenburg die neue Situation und entdeckt in Castorf und König die Verursacher eines tatsächlich extremen Tiefstandes des Zuschauerzuspruchs im Jahr 1983. 30 000 Besuche und 194 Einzelanrechte sind bilanziert. Jetzt ist Castorf dringlich zu entlassen, schon weil Bordels anspruchslose Inszenierung des Zerbrochnen Krugs vom Publikum goutiert wird, aber vom Gros des von Castorf engagierten Ensembles vehement abgelehnt wird. Da Bordel der berufene Intendant ist, muss Castorf gekündigt werden. Die arbeitsgesetzlich vorgegebene Frist für einen Aufhebungsvertrag im gegenseitigen Einvernehmen gültig für die kommende Spielzeit ist aber verstrichen. Castorf muss also eines arbeitsrechtlichen Vergehens überführt werden, ist es doch der Theaterleitung anders nicht möglich den Arbeitsvertrag einseitig zu kündigen, da diese Arbeitsverträge zeitlich unbefristet sind. Bordel versucht sich an diesem schmutzigen Geschäft. In den vorgeplanten skandalösen Ereignissen um die Generalprobe von Trommeln in der Nacht kulminiert die Intrige von Bordel und seinen Auftraggebern.23 Ein quälendes juristisches Nachspiel folgte und so wurde das Projekt Anklam abgewürgt. In drei Texten, geschrieben nach seinen Arbeiten in Anklam, gibt König Einblick in seine Gedankenwelt und Empfindungen angesichts aller Vergeblichkeit, für sich und sein Kunstverständnis in diesem Lande einen öffentlichen Wirkungskreis zu finden. In einem Redemanuskript beschreibt er die ihn außerordentlich anregende künstlerische Tätigkeit und ästhetische Position von Heiko Zolchow: Ein paar Tage vor der Eröffnung dieser Ausstellung aus rein pragmatischen Gründen aufgefordert, seinen eigentlich unbetitelten Bildern Namen zu geben, erfand Heiko Zolchow für eine Arbeit das Etikett „Verletzte Fläche“. Ein Titel, der programmatisch sein könnte für fast alle Bilder Zolchows. Viele seiner Arbeiten weisen Verletzungen auf. Nicht immer sind sie so direkt erkennbar, wie auf jenem, von mir gemeinten Bild, wo, als hätte man mit einem Messer hineingestochen oder als hätte jemand seine Fingernägel hineingeschlagen, rote Farbe aus der Wunde sickert, um bald zu verkrusten. Zolchow versucht diese Wunden zu stillen, zu verbinden. Er hilft den verletzten Flächen durch Farbe und Materialien. Aber Material und Farbe brechen selbst wieder auf, es entstehen neue Verletzungen. Schließlich erkennt der Betrachter nicht mehr, wo die Verletzung bzw. der hilf-

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lose Rettungsversuch anfängt/aufhört. Der Anfang und das Ende des Kreises. Für mich ein Reiz, der von Zolchows Arbeit ausgeht. Die Bilder sind gearbeitet aus den Erfahrungen unserer Zeit und sie sind eine natürliche Reaktion eines jungen Künstlers auf den Druck dieser Zeit. Ich mag mich täuschen, aber Vergangenheit und Zukunft vermag ich in den Arbeiten kaum zu erkennen. Schöpfer ist das Heute. Zolchow reagiert auf die unmittelbare Umgebung und auf die ihn scheinbar traurig stimmende Zeit. Diese Bilder sind ein Reflex auf die Großstadt mit ihrer Gleichzeitigkeit von Dichte und Zerstreuung. Zolchow verarbeitet Teile der Wirklichkeit in den Bildern und diese Realitätspartikel, zumeist Bleche, Kartons, Zeitungen, perforiertes Papier, Wellpappe, abgerissene Plakate, diese Zeichen menschlicher Spuren behalten trotz der Verdichtung durch eine streng komponierte Malerei ihre eigene Identität und weisen unmißverständlich auf ihre ursprüngliche Gestalt hin. Farbe und Material sind gleichberechtigt. Der Maler unterwirft sie dem künstlerischen Prozeß Komposition, ohne sie zu vergewaltigen. Divergenzen sind nicht nur erlaubt, sondern für Zolchows Malerei notwendig. Gegen eine scheinbar unvermeidliche Ordnung von Kunst setzt er, dabei Vorbilder nicht leugnend, aber nie kopierend, eine Ästhetik des Heterogenen. Ob die Materialien als Teil der Oberfläche sichtbar sind oder das Collagematerial sich unter der Farbe befindet, immer geht für mich von den Bildern eine Spannung aus, die sie auch beziehen aus dem Widerspruch zwischen der Aggressivität der Punkgeneration und der Askese klassischer Malerei. Die Arbeiten klären/erklären nichts. Sie sind rätselhaft, geheimnisvoll. Paul Klee schrieb einmal: An Phänomenen reicher als ein sonniger Tag ist die diffuse Helligkeit leichter Verschleierung.24 König verfasst einen Artikel in Theater 1983.25 Um ihn vollständig zu verstehen, muss die inhaltliche Zielrichtung dieses Jahrbuches erwähnt werden: Die Redaktion widmete ihr Jahrbuch Theater 1983 dem Thema: „Warum spielen?“ und fragte verschiedene Theaterleute: „Was ist Ihr Antrieb, Ihre Lebensmotivation, übers bloße Weitermachen hinaus immer wieder zu spielen? Welches sind dafür die Rollen, Stücke, Themen?“ Um die Diskussion zu beleben, stellte die Redaktion zwei gegenwärtige Kunstleistungen zur Diskussion, die als zeitgemäße ästhetische Modelle gelten konnten: Als kürzlich Peter Brooks „Tragödie der Carmen“ in Hamburg gastierte, haben die meisten Zuschauer wieder erlebt, wie bezaubernd

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das Spiel mit fast nichts um fast alles sein kann. Das Dringliche war das Notwendige, die Kunst schien das Natürlichste von der Welt. Und alles Debattieren […] um Theaterkrisen starb für eineinhalb Stunden den schönsten Theatertod. […] In Botho Strauß’ neuem Stück „Der Park“, das Peter Stein nächste Spielzeit in Berlin uraufführen wird, gründet das Reich der Phantasie auf Erden. Strauß denkt sich, Shakespeares „Sommernachtstraum“ wirke weiter bis heute, und nicht die politischen, ökonomischen, ideologischen Notwendigkeiten bestimmten den Gang der Menschen und Dinge und der Geschichte. Sondern: der „Genius eines Kunstwerks“. Daß ein ästhetisches Modell ausgerechnet heute sich zusammenfüge mit der Wirklichkeit, ist das ein überlebenstüchtiger literarischer Plan, eine freundliche oder gar schreckliche Vision, ein Traum – oder was sonst? König zieht die Bilanz seines Weges durch die Theater in der DDR: Eine Art Verständigung mit der Welt? I Weshalb suchen Sie nach einer Legitimation für das Theater? Peter Brooks „Carmen“ habe ich nicht gesehen, wie denn auch. Schön für die Beteiligten, wenn Ihre Behauptung stimmt, daß die Inszenierung sich als „das Natürlichste von der Welt“ erweist. Ist Kunst legitim, wenn sie das „Natürlichste“ ist, oder legitimiert sie sich vielleicht dadurch, daß sie unter großen Anstrengungen entsteht, wie z. B. wenn jemand versucht, in der Türkei einen Film zu drehen? Weder die Weise des Entstehens noch der Prozess ihrer Aneignung legitimieren Kunst. Dem einen ist Grübers „Winterreise“ das schöne Umsonst, dem anderen Anstoß, über den unterschiedlichen Gebrauch von Sportstadien, gestern und heute, Berlin bis Santiago, nachzudenken. Weder die eine noch die andere Haltung noch eine dritte befürwortet die Inszenierung oder stellt sie in Frage. Kunst hat keine Legitimation nötig. Das neue Stück von Botho Strauß kenne ich nicht. Daran, daß der „Genius eines Kunstwerks“ den „Gang der Menschen und Dinge“ bestimmt (ich folge Ihrer Interpretation), kann ich nicht glauben. Sind das nicht „dichte Schichten von Gemurmel“ (Heiner Müller)? Ein erschreckendes Bild: In einem Studio in Hollywood hockt Wim Wenders auf einem Berg von Dollar-Millionen und starrt vier Jahre auf „Hammett“, wobei ihn das Fernsehauge des Produzenten überwacht und per Durchsprechanlage dem Regisseur Kameraeinstellungen souffliert werden. Handfeste ökonomische Zwänge, wie in die-

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sem Fall, oder ideologische, politische Behinderungen beeinflussen die Produktion von Kunst und bestimmen den „Gang der Menschen und der Dinge“ und kein irgendwie gearteter Genius. Dies erkennend die unterschiedlichen Freiräume zu nutzen, ist eine Chance des Künstlers. Innenschau bei gleichzeitiger Negation der Dominanz gesellschaftlicher Wirklichkeit zu betreiben, ist sicher eine andere, wenn im Moment auch nicht meine Sache. Aus der Ferne will ich über die bis zum Erbrechen diskutierte angebliche Theaterkrise in der Bundesrepublik nichts sagen. Das viele Geschwätz darüber finde ich öde. Wenn „regierende Kritiker“ „regierenden Regisseuren“ vorwerfen, daß sie regieren und umgekehrt, dabei unterstellend, regieren bedeutet a priori schlecht regieren, wenn Zahlenartistik wichtiger wird/wichtiger gemacht wird als Theaterinhalte, könnten Zensoren jeder Art, die es sicher überall gibt, Aufwind bekommen. II Die seit langem existente, wenngleich nie diskutierte „Theaterkrise“ in der DDR gründet sich auf Inhalte. Die Aufgaben von Theater, nämlich Amüsiervehikel und Ideologieträger zu sein, bedingen große „Aufmerksamkeit“ von Partei und Staat für das Theater. Auch Theaterleitungen, Kritik und regionale Kulturfunktionäre haben diese „Aufgaben“ zu Kriterien von Theater verinnerlicht, so daß Zensur, Selbstzensur und Bürokratie eine schöne Einheit bilden. Möchte man Theater nicht so verstehen, gilt es neben der eigentlichen Arbeit immer wieder Listen zu erfinden, um Barrieren zu überspringen. Springen zu viele zu oft, reagiert der Staat mit Austreibung der Künstler aus dem Theater. Wichtige Autoren werden aus dem Land entfernt (Brasch, Schütz), nicht gespielt (Hein) oder es werden nur einige Stücke erlaubt (Müller, Braun). Eine Nivellierung des Niveaus ist auch zu erreichen, indem man den Berliner Theatern (das DDR-Theater ist seit langem gefährlich einseitig auf Berlin fixiert) die führenden Regisseure entzieht. Mit Dresen verlor das Deutsche Theater seinen geistigen Kopf. Die Überwindung der Erstarrung des Berliner Ensembles durch Ruth Berghaus, Tragelehn, Schleef wurde flugs erstickt. Am schlimmsten traf es Bessons Volksbühne, das spannendste Theater der letzten Jahre. Neben dem Intendanten und wichtigen dramaturgischen und wissenschaftlichen Mitarbeitern verlor das Haus am Luxemburgplatz Karge/Langhoff, Freyer, Gosch, Marquardt. Abgesehen von Müllers Alibi-„Macbeth“ (offiziell beschimpft, immer stark besucht und folgenlos für die Volksbühnenund DDR-Theaterentwicklung) wurde dieses Theater in kürzester Zeit auf Ohnsorg-Theater-Niveau runtergewirtschaftet. Die Berliner Vorgänge strahlten auf die Provinz: die Kulturfunktionäre lassen

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die Macht noch mehr spüren, die Intendanten werden noch ängstlicher, die Spielpläne noch ärmer. Die Schauspielkunst, Berlin wieder vornweg, verkommt zu eitler Selbstdarstellung oder dummdreister „Volkstümelei“, unter den genannten Umständen kein Wunder. Das Niveau des Theaters gleicht sich immer mehr dem des Fernsehens an, da spielen dann die Darsteller doch lieber gleich beim Fernsehen, denn da gibts für den gleichen Müll wenigstens mehr Geld. Auf den Absturz des DDR-Theaters reagieren Publikum und Kritik übereinstimmend: man feiert jubelnd des Kaisers neue Kleider. Niemand redet hier von Theaterkrise. III Sicher ist in dieser Situation der „Theateralltag“, wie Sie schreiben, manchmal mühevoll, aber der Spaß daran, die Bevormundung zu überwinden, war bei mir doch größer. Die Bereitschaft der Schauspieler an den DDR-Provinzbühnen ist groß, mit Engagement zu versuchen, die Verkrustungen aufzubrechen. Die oft unterforderten Ensembles lassen sich durch ernsthafte Arbeit schnell und bereitwillig motivieren. Die Isolation, gekennzeichnet durch die dauernde Verweigerung von Arbeit, brachten mich auch um Dresens Problem (geäußert im Jahrbuch 1982 von „Theater heute“), eine irgendwie geartete Übereinstimmung mit der Gesellschaft auf dem Theater zu finden. Zumindest dachte ich bisher so. Jetzt beim Schreiben, erstmals aufgefordert öffentlich über Theater nachzudenken, kommen mir Zweifel. Vielleicht ist die Möglichkeit zu inszenieren eine Art, sich mit der unverständlichen Welt zu verständigen? Vielleicht ist die Mobilisierung von Phantasie, zunächst für einen selbst und für das Ensemble im Probenprozeß und, wenn man Glück hat, auch für das Publikum, ein Vorschlag zur Kommunikation in dieser sprachlosen geschwätzigen Welt? Vielleicht ist die mir oft vorgeworfene Einsamkeit und Verlorenheit der Bühnenfiguren in meinen Arbeiten ein Ausdruck einer unbestimmten Sehnsucht nach Harmonie? Weiß man genau, weshalb man Theater macht? Sollte man es wissen? Irgendwie wird man sich beim Inszenieren über bestimmte Dinge klar, sei es nur darüber, daß es für vieles keine Klarheit gibt. Die Auseinandersetzung mit einem Text und das Dazu-in-Beziehung-bringen der eigenen Befindlichkeiten und Erfahrungen und damit die Schaffung einer anderen, neuen Wirklichkeit auf dem Theater, machen diese Arbeit für mich spannend. So wenig meine Inszenierungen kompetent sind, irgendwelche Antworten zu geben, so wenig vermag ich Ihnen auf Ihre Frage „warum inszenieren?“ plausibel zu antworten. Würde ich noch inszenieren, wenn ich die Antwort wüßte? Vor einiger Zeit habe ich Goldonis „Impresario von Smyrna“ gemacht. Das

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Stück handelt von der Beziehung Künstler – Gesellschaft. Die Schauspieler überprüften anhand des alten Textes ihre Abhängigkeiten als „Emotionalclowns“ von ihrem Theater, von ihrer Gesellschaft. Die Inszenierung wies auf die Entfernung zwischen Theater und Publikum hin. Die Heftigkeit der Reaktionen von Theaterleitung, Kritik und Zuschauer bestätigten und bestürzten uns zugleich. Stücke mit dieser Problematik interessieren mich. Nächstes Jahr würde ich in Düsseldorf gern Pirandellos „Sechs Personen“ machen, später dann die „Riesen vom Berge“. Nach meiner Erfahrung ist die wachsende Entfernung zwischen Theater und Publikum problematischer als jede, sicher manchmal üble, ökonomische Beschränkung. In einem Brief vom 29. März 1983 an die „Herren Erich Honecker, Vorsitzender des Staatsrates der DDR; Prof. Kurt Hager, Mitglied des Politbüros der SED; Hans-Joachim Hoffmann, Minister für Kultur und Friedrich Dickel, Minister des Innern“, zieht Herbert König aus seiner und des Theaters Situation in dem ihm fremdgewordenen Land die Konsequenz: Sehr geehrte Herren! Die fortdauernde Unmöglichkeit in meinem Beruf als Theaterregisseur arbeiten zu können, hat mich zu diesem Brief veranlaßt. Solange ich noch irgendwie Hoffnung hatte, schob ich diesen Schritt immer hinaus. Ich glaubte, gegen alle Fakten, daß ich vielleicht mit meiner Arbeit in diesem Land gebraucht werde. Jetzt weiß ich, daß dieser idiotische Optimismus nur ein Hirngespinst war. Es war für mich ein langer und schwieriger Weg zu dieser Erkenntnis. Mir ist klar, ich hätte diesen Brief schon vor fünf Jahren schreiben müssen. […] Von 79–83, also in den letzten fünf Jahren habe ich fünf Inszenierungen gemacht, also pro Jahr eine. Sämtlichst sind sie zustande gekommen durch meine Bekanntschaft mit einem Leitungsmitglied der jeweiligen Theater, das seinem jeweiligen Intendanten die Notwendigkeit (künstlerisch und materiell) meiner Arbeit förmlich „einhämmerte“. […] Immer wieder werden die Vorwürfe gegen meine Inszenierungen erneuert, man setzt sich kaum noch mit einzelnen Arbeiten auseinander, sondern plappert nach: zu schwierig für unser Publikum, nicht historisch-konkret, biologisch, pessimistisch, zu leise, zu dunkel usw. Unterstützt wird diese Meinungsmache der Intendanten und des Direktoriums für Theater und Orchester (DTO) von der Presse, die nach Elogen für meine ersten Arbeiten, erkennend, daß ich für den Abschuß freigegeben wurde zunehmend bösartig reagierte.

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Auf eine einzige engagierte Kritik, die sich mit meiner Arbeit nicht oberflächlich beschäftigte (zu NACHTASYL in Theater der Zeit) bekam ich mehrere Angebote aus der BRD und der Schweiz. Sie wurden mir und den Theatern zunächst zugesagt. Einen Tag vor der Abreise wurde mir ohne Begründung der Paß verweigert. Den ganzen Vorgang habe ich in einem Brief an Prof. Kurt Hager (Politbüro der SED) vom 30.5.82 dargestellt. Daraufhin hatte ich ein Gespräch im Ministerium für Kultur mit Frau Dr. Holan. Es war bestimmt das fünfte Gespräch in den letzten Jahren. […] Natürlich bekam ich wieder kein Angebot. Noch in einem Telefongespräch im Februar 83 erklärte Frau Dr. Holan meinen arbeitslosen Zustand für „unmöglich“ und versprach schnellstens Hilfe. Mit keinem Erfolg, versteht sich. Die summarische Aufzählung soll Ihnen verdeutlichen, mit welcher Hartnäckigkeit und sehr wenig Resignation ich in den letzten Jahren um Arbeit gekämpft habe. Aber die DDR-Theater wollen meine Arbeit nicht, die staatlichen Stellen wollen oder können nicht helfen. Die Lage ist hoffnungslos. […] Also in der DDR keine Arbeit für mich, für das Ausland keine Erlaubnis von den Behörden. Da ich mir im vergangenen Jahr eine dauernde Krankheit zugezogen habe, deren Entwicklung und die damit verbundenen möglichen Folgeschäden die Dauer meiner Arbeitsmöglichkeiten als Regisseur zumindest unbestimmt erscheinen lassen, kann und will ich nicht weiter um Arbeit in diesem Land bitten. […] Da es für mich in meinem Beruf in der DDR keine Arbeitsmöglichkeiten mehr gibt, bitte ich Sie hiermit, mir und meiner Familie die Ausreise in die BRD zu gestatten. Hochachtungsvoll26 Der Brief wurde schnell bearbeitet von der zuständigen Dienststelle des MfS, der „ZKG: Flucht, Übersiedlung“. Diese Dienststelle fragt bei der Hauptabteilung XX nach, die u. a. für „Kultur“ zuständig war, wie mit „dem K.“ zu verfahren sei. Hauptmann Muck empfiehlt am 10. April 1983 Herbert König die Übersiedlung zu gestatten, bevor er „ein aufgeblasenes Politikum“ wird, da er eine „politisch-negative Einstellung“ habe, keine „gute Arbeit an unseren Theatern erhalten“, aber auch „nicht als Reisekader bestätigt werden“ könne.27 Die Staatsorgane lassen Herbert König und seine Familie noch ein halbes Jahr in der DDR schmoren. König und seine Frau blieben unnachgiebig gegen alle Versuche, sie von ihrem Entschluss abzubringen, ohne ihnen eine künstlerische Perspektive in der DDR anzubieten.

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Das war schon dreist, König mit einem praktischen Berufsverbot zu belegen, ihn aber in der DDR festhalten zu wollen. Er sollte zurückgezwungen werden in die proletarische Existenz. Sollte dieses neue Leben ihn reinigen und von allen bürgerlichen Gedanken, westlichen Phantasien und subjektivistischen Projekten „befreien“? Wahrscheinlich. Das Protokoll einer sogenannten Aussprache dokumentiert die vergebliche Mühe, König zum Rückzug zu bewegen. Magistrat von Berlin Abteilung Kultur

10.06.1983

Kurzprotokoll zur Aussprache mit Herrn Herbert König, freischaffender Regisseur, 1035 Berlin Beratungsgegenstand war das Schreiben von Herrn König vom 29.3.1983 – Übersiedlung in die BRD – Gesprächsteilnehmer Herr Herbert König, Gen. Hermann Grote, Gen. Uwe Nehls Zum Inhalt: Eingangs wurde Herr König mit dem Gegenstand der Ansprache vertraut gemacht. K. war darauf vorbereitet. Die Aussprache hatte einen sachlichen Gehalt. Im Gespräch bestätigte K. noch einmal seine Auffassung vom Niedergang der Theaterkunst in der DDR. Auf eine entsprechende Frage betonte K., daß seine Auffassung von der Rolle des Theaters nicht in Übereinstimmung ist und auch zukünftig nicht in Übereinstimmung zu bringen ist mit unserer Auffassung von der Rolle der Kunst, speziell des Theaters, in der sozialistischen Gesellschaft. Es komme für ihn darauf an, Wahrheiten zu sagen. Wahrheiten, die für das Publikum nicht immer gleich verständlich sein müssen. Er, der Künstler, nutzt auch das Forum Theater, um sich selbst zu verwirklichen, sich selbst und das Künstlerkollektiv zu formen und zu entwickeln. Angesprochen auf seinen Parteiausschluß Mitte der 70er Jahre am Theater in Brandenburg, warum er die helfende Kritik des Kollektivs nicht in seiner künstlerischen Arbeit berücksichtigt habe. K. „Sie hatten alle Unrecht.“ Diese Äußerung, verbunden mit seiner pauschalen Bemerkung über den Niedergang der DDR-Theaterkunst, veranlaßten mich zu der Bemerkung, daß eine gewisse Überschätzung der eigenen Person und der eigenen Urteilsfähigkeit nicht

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zu verkennen wäre. K. räumte ein, daß dieser Eindruck entstehen könne, er sage aber nur seine Meinung. Im weiteren Verlauf des Gesprächs verwies K. nochmals auf seine wirtschaftliche Situation, da trotz der Bemühungen des Ministeriums für Kultur kein Theater der DDR „etwas mit ihm zu tun haben will“. Gegenwärtig lebt die Familie vom Gehalt seiner Frau. Hier in der DDR, wie im Brief ausführlich begründet, habe er keine Arbeitsund Existenzbedingungen mehr. In der BRD und der Schweiz liegen Angebote für ihn vor. Den Schritt der Antragsstellung hat er sich gründlich überlegt, auch wenn wir ihm heute die Intendanz der Volksbühne antragen würden, er sagte nein. Schlußbemerkungen K. hat jede Bewertung der realen gesellschaftlichen Situation in der DDR vermieden. Er bewegte sich in seiner Argumentation ausschließlich im künstlerischen Bereich. Er versicherte, daß er von diesem Schreiben und seinen Absichten, die DDR zu verlassen, nur seine Freunde, einschließlich die im „Westen“ informiert habe. Wie der Bericht im „Stern“ vom 5.5.1983 beweist, ist dieser Schritt langfristig vorbereitet worden. Das Gespräch hat meinen Eindruck bestätigt, daß die künstlerischen Auffassungen des Herrn K. zur Theaterkunst mit den gesellschaftlichen Forderungen an das künstlerische Schaffen in der DDR nicht in Übereinstimmung zu bringen sind und er auch nicht gewillt ist, diese Übereinstimmung herbeizuführen.28 Mit dem „Bericht im ‚Stern‘ vom 5.5.1983“ ist der Artikel „Bis sie euch von der Bühne prügeln“ von Matthias Matussek gemeint, der erhebliches Aufsehen in der DDR-Kulturbürokratie erregte, da der Artikel unübersehbar von König und seiner Frau Dagmar König in Zusammenarbeit mit Matussek entstanden war, um öffentlich wirksam dem Ausreiseantrag Nachdruck zu verleihen. Das war höchst riskant und hätte auch eine Strafverfolgung durch die DDR-Behörden nach sich ziehen können. Dagmar Cron-König bestätigte in einem Gespräch mit mir, dass sie damals mit dem Schlimmsten rechneten, aber keinen anderen Weg mehr sahen, um ihr Ziel zu erreichen. Im Herbst 1983 beendeten die DDR-Behörden das sinnlos gewordene Spiel: Herbert König kann endlich mit seiner Familie übersiedeln – von der Elbe an den Rhein. Ein deutscher Weg.

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1

BStU, MfS, AKK 9248/85, S. 19 f.

2

Matthias Matussek: „Rodeo im Wilden Osten“, in: Der Spiegel 20/1990, S. 195.

3

Thomas Wieck/Valentina Wolf: Beiträge zu einer langfristigen Konzeption des Theaters Anklam, Berlin 1979, Privatarchiv Thomas Wieck.

4

Vgl. Claude Lévy-Strauss: Das wilde Denken, Frankfurt/Main 1973, S. 35.

5

Rolf Liebmann in: Wochenpost, 8/1982, S. 15. Liebmann war Filmwissenschaftler und dramaturg, der vermutlich mit König bekannt war, hatte er doch eine längere Version dieser Kritik an ihn geschickt. Diese ist in HKA Nr. 37 einsehbar.

6

Siehe Foto in: Programmheft der Bühnen der Stadt Nordhausen. Intendant Siegfried Mühlhaus. „Lauf bloß nicht splitternackt herum“ von Georges Feydeau, Heft 9 der Spielzeit 1977/78, S. 11 (unpaginiert).

7

Die Inszenierung wurde am 16. September 1982 von Thomas Plenert mit Videokamera in einer sehr guten Qualität aufgenommen. Plenert hatte durch seine Tätigkeit als Kameramann bei der DEFA Zugriff auf diese Technik. Dieser Mitschnitt ist die erste filmisch konservierte Inszenierung von König. HKA, AVM (noch nicht erschlossen).

8

HKA Nr. 10.

9

Die folgenden Beschreibungen basieren auf dem Videomitschnitt der Inszenierung und den rollenbuchgestützten Erinnerungen von Christine Gabsch (Lucrezia) und Wolfgang Adam (Graf Lasca) im Gespräch am 27. Februar 2013.

10

Diese Kostüme, aus Berliner Privatbesitz vom Bühnenbildner Heiko Zolchow erworben, wurden ihm zu einem Gutteil von den Schauspielerinnen abgekauft.

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Bei Goldoni/Kornfeld wird Lasca der Spieltradition der Commedia dell’arte gemäß windelweich geprügelt. König verschärft und tilgt damit alle denkbaren Anklänge an den „heiteren“ Goldoni. König inszeniert ein Stück von Kornfeld aus dem gewaltträchtigen 20. Jahrhundert, das auf einem Plot aus dem 18. Jahrhundert beruht, und führt es mit dem eingefügten gemeinsamen Mord an Lasca zur letzten Konsequenz. Alle anderen Änderungen des Textes sind Kürzungen, der Konzentration auf den Hauptplot dienend, weder die Substanz noch die Struktur des überlieferten Textes verändernd.

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Wilhelm Haumann: Paul Kornfeld, Würzburg 1995, S. 556. Ebd., S. 558. Gabsch im Gespräch am 27. Februar 2013. Andreas Roßmann: „Bilder (k)einer Reise“, in: Frankfurter Rundschau, 2. November 1982. HKA. Jochen Gleiß: „Theater Anklam ‚Man spielt nicht mit der Liebe‘ von Alfred de Musset“, in: Theater der Zeit 3/1983, S. 1. Gleiß ist absichtsvoll ungenau und blamabel ignorant, wenn er behauptet, Musset werde von König im Programmheft als der größte Dichter Frankreichs im 19. Jahrhundert vorgestellt. König kennzeichnet ihn als den größten Dramatiker dieses Jahrhunderts in Frankreich. Bei aller Fragwürdigkeit solcher Wertzuschreibungen ist König schwer zu widersprechen, wenn unter „groß“ bahnbrechend und vorausweisend verstanden wird und das ästhetische Innovationspotential des Werkes in der Dramengeschichte zum Wertmaßstab wird. Hansjürgen Block in: Freie Erde, 3. Februar 1982, HKA 141. Laura Mulvey: „Visuelle Lust und narratives Kino“, in: Texte zur Theorie des Films, hrsg. von Franz-Josef Albersmeier, Stuttgart 2003, S. 406 f. Vgl. die entsprechenden Überlegungen von Giorgio Agamben: „Lob der Profanierung“, in: ders.: Profanierungen, Frankfurt/Main 2005. AVM. Die Inszenierung Man spielt nicht mit der Liebe wurde während einer Durchlaufprobe am 10. Januar 1983 auf Video aufgenommen. Da die Premiere der Inszenierung erst am 15. Januar 1983 stattfand, ist dieser Mitschnitt nur ein Zwischenbescheid aus dem Probenprozess und ungeeignet für die Beschreibung, Analyse und Wertung schauspielerischer Leistungen.

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Endspiele und Zwischenbilanz

HKA Nr. 172. Zu den Empfängern des Briefes: Gisela Holan war Leiterin der Abteilung Theater des MfK; Klaus Pfützner war Erster Sekretär des VT der DDR; Eberhard Sprink war Leiter der DTO. Dem Verband war seit Gründung eine wohlkalkulierte arbeitsrechtliche Fessel angelegt, sämtliche Mitbestimmungsmöglichkeiten im einzelnen Theater wie alle Formen demokratischer Kontrolle im Theaterbereich waren ihm verschlossen. Der Verband konnte in der begrenzten Theateröffentlichkeit etwas ins Gespräch bringen, kulturpolitisch durchsetzen konnte er nichts. Benutzt wurde er, da der Apparat kaderpolitisch der Abteilung Kultur des ZK der SED unterstand, von eben dieser Abteilung, um genaue, analytisch fundierte Berichte über die reale „ideologische Situation“ in den Theatern zu erhalten. Solche wirklichkeitsnahen Berichte waren weder von den um ihr Amt bangenden Intendanten noch von den auf Erfolgsmeldungen getrimmten Parteileitungen der Theater noch von der theaterfernen Gewerkschaft Kunst, dem nominellen beruflichen Interessenvertreter der Theaterschaffenden, zu erwarten, sondern nur vom VT, da in seinen vielgestaltigen Diskussions- und Weiterbildungsveranstaltungen die tatsächlichen Probleme der Theaterarbeit ungefiltert und kontrovers diskutiert wurden. In den angesprochenen Veranstaltungen konnte bestenfalls eine kulturpolitisch wie theaterästhetisch grundsätzlich kritische Gegenöffentlichkeit aufscheinen, teilweise sich sogar temporär institutionalisieren, z. B in zwei großen soziologischen Untersuchungen der Arbeitsbedingungen der Regisseure und Schauspieler in den Jahren 1974/75. Beide Untersuchungen wurde zwar intern gründlich ausgewertet, konnten aber nicht veröffentlicht werden. Der Spielraum auf dieser Ebene der Verbandsarbeit war relativ groß und wurde von den einzelnen Mitarbeitern sehr unterschiedlich genutzt. Diese Veranstaltungen und Projekte zu planen und zu realisieren, oblag weitgehend den angestellten Funktionären des Verbandes in Zusammenarbeit mit den aus der Mitgliedschaft des Verbandes gewählten Theaterleuten, die in relativ selbständigen Fachgremien unterhalb des Präsidiums agierten. Im Gegensatz zum Schriftstellerverband der DDR oder dem Verband Bildender Künstler der DDR, deren Funktionäre die beruflichen Geschicke ihrer Mitglieder fördern und hemmen, auch vernichten konnten, war das im und durch den VT nicht möglich. Diese Beschreibung der Arbeitsweise und der kulturpolitischen Rolle des Verbandes trifft auf den Zeitraum von 1974 bis 1982 zu. Vgl. Gudrun Wilzopolski: „Erbärmliche Macht“, in: Siegfried Wilzopolski (Hg.): Theater des Augenblicks. Die Theaterarbeit Frank Castorfs, Zentrum für Theaterdokumentation und -information, Berlin 1992, S. 75ff. Dazu: Akademie der Künste Berlin, Archiv Darstellende Kunst, Archiv des Verbandes der Theaterschaffenden der DDR, VT 760. Privatarchiv Thomas Wieck. Der Text ist datiert auf den 2. Februar 1983. Theater 1983. Jahrbuch der Zeitschrift Theater heute, hrsg. von Peter von Becker, Michael Merschmeier und Henning Rischbieter, S. 53f. Dem Artikel ist ein Porträtfoto von König beigestellt: „Herbert König, geboren 1944 in Magdeburg, der augenblicklich aufregendste Regisseur des DDR-Theaters. Einladungen zu Gastinszenierungen im westlichen Ausland wurden von den DDR-Kulturbehörden bisher untersagt.“ 26

Kopie eines Typoskriptdurchschlags, ohne Unterschrift, Privatarchiv Thomas Wieck. Das Original befindet sich in BStU, MfS, AKK 9248/85, S. 54–57.

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BStU, MfS AKK 9248/85, S. 33.

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Ebd., S. 65.

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EIN THEATERHISTORISCHER EXKURS: HERBERT KÖNIG UND FRANK CASTORF -

„Der ahmt dich doch einfach nach, der versucht doch so zu inszenieren wie du?“ „Wenn er das gut macht, dann ist das in Ordnung.“1 Ab Mitte/Ende der 1970er Jahre hatte sich an einigen DDR-Theatern eine Spiel- und Inszenierungsweise entwickelt, die von den geläufigen Rezepturen des gestisch-epischen Theaters, das zu einer Abteilung des sozialistischen Realismus umfrisiert und kanonisiert war, Abschied nahm. Die dem Schauspieler eigene Lust an der Selbstverwirklichung, auch am Narzissmus, wird „frei“ gelassen. Dem Spiel wird nicht allein in seiner ideologiekritischen Funktionalisierung, sondern auch in seiner anthropologischen Notwendigkeit als eine Form des individuellen Findens und Ausdrückens der Persönlichkeit auf dem Theater inszenatorisch ein weiter Spielraum eingeräumt. Gerade in diesem Bestehen auf der individuellen Ausdruckslust und der aus dem Selbst des Schauspielers aus- und aufbrechenden Spielwut gewinnt das Theater im Spiel seiner Akteure eine heute erstaunlich erscheinende gesellschaftspolitische Relevanz. Die Re-Inthronisation des Schauspielers als „erstem Spieler“ auf dem Theater, der Rückgewinn der schöpferischen Freiheit des spielenden Individuums gegenüber der dramatisch vorgeschriebenen Stückfigur, brachte das traditionelle theatralische Wertesystem durcheinander. Der Schauspieler hatte in seinem Spiel der vor-geschriebenen Figur interpretatorisch zu folgen. Die Priorität des dichterischen Textes war gesetzt, verbarg sich doch schließlich der ideologische Gehalt, die Lehre im Wort. Die texthörige Abhängigkeit des Schauspielers vom theatralisch zu transportierenden ideellen Gehalt basierte auf der StanislawskiSchule und war auch in Brechts epischem Theater, nur um die zusätzliche Funktion des Spielers auch seine „Haltung“ zum textbestimmten Verhalten der dramatisch fixierten Figur im szenischen Vorgang mitzuliefern, erweitert, nicht aber aufgehoben. Der Bruch mit diesen Normen rief extreme Abwehrreaktionen auf der kulturpolitischen Ebene und im künstlerischen Establishment (Manfred Wekwerth u. a.) hervor. Und, was nicht übersehen werden darf, diesen theatralischen Paradigmenwechsel lehnten selbst weite

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Kreise der Theaterzuschauer ab. Die beteiligten Schauspieler sahen und empfanden es gänzlich anders. In einem Arbeitsgespräch 2013 über die legendäre Inszenierung von Strindbergs Fräulein Julie beschrieben sie es. Jutta Hoffmann erschienen die Vorstellungen, als ob sie unter dem Niagarafall gestanden und dabei inmitten des stürzenden Wassers eine unendliche Freiheit empfunden hätte. Jürgen Holtz pflichtete ihr bei: „Ich stand jedes Mal, wenn wir es spielten, zuerst wie vor dem Himalaja-Gebirge und dachte, das schaffst du nie, und am Ende standen wir dann doch auf dem Gipfel und rutschten runter.“ Holtz beschrieb den schauspielerischen „Entfesselungsprozess“ in der Probenarbeit: Tragelehn sagte, man müsse ein Stück so spielen, dass es einen Anstoß, etwas Anstößiges produziert, auf etwas stößt und dabei halt macht und sich ausbreitet. Auf diese Weise entsteht eine Riesenblase. Das haben wir gespielt. Tragelehns Gedanke, dass eine Dramaturgie nichts weiter ist als ein Doppelpunkt und keine theoretische Vorlage, die man erfüllen muss, lockerte alles auf. Das war jedoch in der DDR – schon der ausfallenden Kontrolle wegen, die Aufführung war plötzlich nicht mehr von vornherein planbar – ein sehr ungewöhnlicher Ausgangspunkt. Ein richtiger und guter Gedanke, aber er setzte die Schauspieler, also uns, enorm aus in eine verstörende Unsicherheit und uns selbst gegenüber. Wir waren nicht mehr in Sicherheit. Die Proben waren sehr schwierig, wenn keine Küche da ist, wenn alles auf einem Rund, das ein Tisch sein konnte, aber auch eine Spielfläche oder die Welt, stattfindet – ohne jedes Möbel, das ist schwierig. […] Ich musste den Stuhl für meine Partnerin spielen, kniend. Das hat schon wehgetan. Und die Lust, die meine Partnerin überkam, die Bühne mit einem Beil zu bearbeiten, zu zerhacken, zu singen … Jedenfalls haben wir, in der Not, dass überhaupt nichts da war, an dem man sich festhalten konnte, eine neue Situation geschaffen, die mit dem herkömmlichen Theater nicht mehr viel zu tun hatte. Und da entstand so etwas wie eine andere Ästhetik oder eine andere Art, sich zu unterhalten, oder eine andere Art, Theater zu spielen, die eher dem glich, wenn Kinder spielen und sagen, du bist die Mutter, ich bin der Vater, du bist das Kind, wir spielen jetzt MutterVater-Kind: „Ich habe Hunger!“ „Aber wie kommst du denn dazu.“ „Ich habe Hunger, ich will jetzt meine Suppe! Und du halt die Fresse!“ Also alles, was die Erwachsenen tun und was die Kinder sehen, wird gespielt. Spielen heißt nicht wiederholen, sondern aus etwas, das wirklich ist, etwas anderes machen. Das war der Probenprozess. Wir mussten immer sehen, wie und auf welche Weise durch

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Probieren und durch Zufälle, diese Künstlichkeit entsteht, die Theater hat. Ich stell mir Theater so vor: Der Schauspieler ist ein sprechender, singender, tanzender Körper in einem Raum. Plötzlich hatte man ohne die Kulissen ein deutliches Raumempfinden, weil – der Raum ist unendlich. Da war kein Ende, man musste sich darin bewegen. Das war eine neue Erfahrung. Unser Assistent fuhr am Tag nach der Premiere mit der Eisenbahn und saß durch Zufall einem jungen Mann gegenüber, der sich bitter über diese Aufführung beschwerte, die er da gesehen hatte. „Die spielten ja wie die Kinder im Sandkasten!“2 Die DDR-Theaterverwaltungen waren von vornherein nicht gewillt, diesen Typus Schauspieler zu akzeptieren. Sie argwöhnten in ihn einen subjektiv überschießenden, dem westlichen Modernismus verfallenen Zerstörer realistischer Menschendarstellung auf dem sozialistischen Theater. Die Theaterleute und Theaterfunktionäre, die der Maxime einer gesellschaftlichen Vorbildfunktion des Theaters verpflichtet waren – und das war die Mehrzahl –, mussten diese Spielweise radikal kritisieren, da sie dem Publikum den spielerischen Vorschein einer allein dem subjektiven Lebensgefühl verpflichteten Lebensweise präsentierte. Die beschriebene Probenmethodik der Julie-Inszenierung und die dadurch freigesetzte Spielweise wurden theaterintern im Für und Wider heftig umstritten, emphatisch gefeiert und sofort, wo es nur ging, ausprobiert, aber auch skeptisch beäugt und, was Wunder, ideologisch verdächtigt. Eine vorurteilsfreie Diskussion unter den Theaterleuten kam nicht zustande. Dabei stimmten die offiziellen Abwehrreaktionen mit dem weitverbreiteten kleinbürgerlichen Kunstinteresse und -geschmack breiter Publikumsschichten überein. Diese natürlich offiziell nie zugegebene Übereinstimmung prägte in der Breite die kulturelle und ästhetische Praxis in der DDR. Die Arbeiterschaft erfüllte völlig ungenügend die ihr von der SED-Ideologie zugewiesene und kräftig materiell gestützte und geförderte Rolle der kulturprägenden Klasse in der sozialistischen Gesellschaft, so dass die traditionellen kulturellen und ästhetischen Verhaltensweisen und Wertvorstellungen des deutschen Kleinbürgertums massenhaft die durchschnittliche kulturelle und künstlerische Praxis weiterhin und weithin dominierten. Das verband die Bevölkerung der beiden deutschen Staaten inniglich und wurde im umstrittenen Begriff der Kulturnation zum tiefen Unmut der SED-Ideologen von westdeutscher Seite immer wieder betont. Nicht nur die deutschen Stadttheater ähnelten einander in Ost und West wie ein Ei dem anderen, auch die

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ästhetische Empfänglichkeit der jeweiligen Publika unterschied sich kaum. Die Mehrheit der Zuschauer in Ost und West glich sich in ihrem Bewusstsein, einer unterhaltsamen, aber oft auch anstrengenden, kulturellen, traditionell zu ihrer Lebensweise gehörigen Pflicht zu gehorchen, wenn es das Theater besuchte. Nur eine kleine Minderheit der „Ost“Zuschauer wollte seine reale gesellschaftliche Situation auf der Bühne und durch das Theater kritisch verhandelt sehen. Eine allerdings bedeutend größere Minderheit der „West“-Zuschauer spiegelte sich und seine Sekurität in der Modernität des Warenmantels, labte sich am theatralischen Design, wähnte sich endlich elitär-aktuell zu sein. Die überregionale Theatermarktkritik gab dieser Minderheit die Marschrichtung vor.3 Die Theaterverhältnisse in der DDR waren ungeeignet, theaterinterne Bedingungen für die ungestörte öffentliche Existenz frei flottierender unterschiedlicher, konkurrierender gar sich gegenseitig ausschließender Theaterkonzepte und Spielweisen zu entwickeln. Es fehlte deshalb den meisten Theaterschaffenden an Gelassenheit, real auftretende Unterschiede zu akzeptieren, wurde diese Haltung doch schnell offiziell des ideologischen Schlendrians oder gar der absichtsvollen Verirrung verdächtigt. Auf diese Weise war das ästhetisch-künstlerische Feld ideologisch-politisch so vermint, dass ästhetische Auseinandersetzungen und ernsthafte künstlerische Meinungsverschiedenheiten kaum ausgefochten werden konnten. Stil-, Denk- und Verfahrensrichtungen, künstlerische Schulen konnten sich weder umfassend und kontinuierlich artikulieren noch längerfristig formieren. Aller Normative ledig, alle Weisen des Spiels selbstbewusst und zielgerichtet erproben und einsetzen können, diese eigentlich selbstverständliche Praxis eines sozialismusgemäßen Theaters, das sich als Experimentierfeld der sozialen Phantasie der Zuschauer wusste, eine solche Praxis blieb Wunschtraum. Theaterästhetische und -methodische Debatten standen seit 1953 bis in die späten 1970er Jahre unter der niederdrückenden Erfahrung der ersten großen Theaterdebatte in der DDR, der sogenannten Stanislawski-Brecht-Debatte Anfang der 1950er Jahre. Der verblendete Versuch von Amts wegen eine staatlich lizenzierte Ästhetik des Theaters und eine ganz bestimmte Weise der schauspielerischen Arbeit den Theatern aufzuerlegen, diese letzte große diktatorische Kulturattacke stalinistischer Prägung scheiterte zwar schnell, sollte aber aus verschiedenen Gründen über zwei Jahrzehnte fortschwären und jede theaterästhetische Auseinandersetzung mit dem Ideologieverdacht belasten und eine sachliche theaterkonzeptionelle Auseinandersetzung letztlich verhindern. Mit dem „Neuen Kurs“ von 1953 nahm die SED gezwungenermaßen, deshalb unvorbereitet und hektisch, unumgänglich gewordene Korrek-

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turen auch ihrer Kulturpolitik vor. So endete die Stanislawski-BrechtDebatte, kurz zuvor noch hochstilisiert zur Schicksalsfrage des sozialistischen Theaters in Deutschland, so handstreichartig, wie sie begann. Gut bürokratisch wurde sie ad acta gelegt. Die Diskussion notwendiger, den nationalen Gewohnheiten und Erfahrungen entgegenkommender und entsprechender Neuerungen, die das gegebene Theatersystem, ästhetisch-künstlerisch wie organisatorisch-strukturell dringend benötigte, um sich tatsächlich zu einem sozialistischen Theater entwickeln zu können, blieben aus. Der Unsinn eines zentralistisch verfügten sozialistischen Theaternormativs schien zwar erkannt, dennoch konnte die SED in der Folge nicht davon lassen, ihren Führungsanspruch verbunden mit dem permanenten Aufdecken revisionistischen Gedankenguts und bürgerlicher Störmanöver periodisch wiederkehrend im Theaterbereich überfallartig auszuleben. Moderate theatertheoretische Versuche, Brechts und Stanislawskis Theorie und Praxis unter dem Dach eines nebulösen sozialistischen Realismus auf dem Theater zu vermitteln, scheiterten samt und sonders kläglich, da das unfassbare Phantom sozialistischer Realismus über allem schwebte und natürlich Stanislawski niemals unter diesen wolkigen Begriff zu zwingen war und der Brechtsche Realismus bei allen gutgemeinten theoretischen Bemühungen doch nicht vorurteilsfrei betrachtet werden konnte, war er doch zu eng mit den unterschiedlichen künstlerischen Avantgardismen des Jahrhunderts verbunden. So phantastisch die Bemühungen um den einen, den sozialistischen Realismus auch anmuteten, so wenig das ästhetisch-theoretische „Wortgeprassel“ (Lenin) auch in die Praxis drang, umso mehr musste die außerordentliche reale Kraft der zentralen Kategorie dieses Konstrukts ernst genommen werden. Es hieß „Parteilichkeit“, war eine politische Kategorie und wurde allem Ästhetischen und Künstlerischen praktisch vorgeordnet und sehr schnell zur materiellen Gewalt gegen das unliebsame Kunstwerk, den unliebsamen Künstler. Unter der Hand wurde aus der gerade noch harmlos scheinenden ästhetischen Debatte eine politische Grundsatzdebatte, die gewisse praktische „Maßnahmen erforderlich machte“. Theorie verlor ihre Unschuld, wurde zur Magd der politischen Praxis und stiftete Unrat. Unvoreingenommenheit konnte so niemals zur Grundlage der öffentlichen Auseinandersetzungen werden, eine solche Haltung wurde Objektivismus genannt und verfemt, womit die tatsächlich sinnvollen Debatten, um wirklich wichtige und notwendige Entscheidungen aus der Öffentlichkeit auswanderten und in segmentierten, kaum öffentlich zugänglichen parteinahen Expertenkreisen oder parteifernen informellen Gruppen verhandelt wurden, ohne indes eine durchschlagende prak-

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tische Wirksamkeit zu erzielen. Ganz im Gegenteil, beide Gruppierungen mussten immer gewärtig sein, ob des Vorwurfs, feindlicher Infiltration Vorschub zu leisten, mehr oder weniger gewaltsam aufgelöst zu werden. Allein die unmittelbar unter Aufsicht des ZK der SED operierenden Institutionen und Gremien fanden auf der letzten Entscheidungsebene im Politbüro der SED Gehör. Sie schlugen vor, was praktisch wie theoretisch öffentlich werden sollte und was nicht. In einem Land, das sich aufgemacht hatte, eine völlig neue Gesellschaft aufzubauen, herrschte paradoxerweise ein eklatanter und niemals gelöster Widerspruch zwischen objektiver Reformnotwendigkeit und subjektiver Reformfeindlichkeit. Seine letzte Erscheinung erfuhr dieser Widerspruch in der sogenannten Phase der Stagnation in den 1980er Jahren. Alle sozialismusgeneigte Intellektualität arbeitete sich an diesem Grundübel vergeblich ab, um schließlich zu kapitulieren – oder sie zog es vor, sich selbst, wenn schon nicht die Gesellschaft, zu befreien. Der erste Akt dieser Befreiung konnte nur das radikale Abstreifen jeglicher ideologischen Sichtblenden und eingeübter ideologischer Vorbehalte und Rituale sein. Im Theaterbereich setzte dieser Prozess mit dem bewussten improvisatorischen Umgang mit den vor-geschriebenen Texten auf den Proben ein. Der Text wurde zum einen auf seine Spielbarkeit hin geprüft und zum anderen wurde improvisatorisch erprobt, wie viel Raum für die praktische Kritik der gegenwärtigen gesellschaftlichen Umwelt im Text zu finden war und wie er benutzt werden konnte, über ihn hinausgreifend, ihn nun nur noch zum Anlass nehmend das Spiel weiter zu verschärfen, in die Wirklichkeit spielerisch tiefer einzudringen und diese illusionslos zu dem zu verdichten, was sie war: eine Schimäre.4 Allerdings – und das störte die Beziehung zum Publikum nachhaltig – mangelte es an einer ästhetisch adäquaten Gegenwartsdramatik, die gleich ungebärdig, grotesk und burlesk auftrumpfend, Tragisches nicht scheuend, die gegebene Gesellschaft dramatisch umgrub, aufriss und komisch verkehrte. Die zum Spiel zugelassenen Texte wurden deshalb von den Spielensembles überfordert, mussten sie doch als Gehäuse und Transportmittel für Zusatz- und Nebentexte dienen, um dem Gestaltungswillen und Ausdrucksverlangen zu genügen. Die Stücke brachen unter dieser Last oft genug in sich zusammen und das Publikum, Fragmentarisches vor Augen, fühlte sich in seiner Mehrheit reiner individueller Willkür ohnehin schon privilegierter Künstler ausgeliefert. Die Schauspieler, Regisseure und das Publikum fanden mangels einer eindeutig den Tag treffenden und den unmittelbar-praktischen Erfahrungshorizont des Publikums ausschreitenden, ästhetisch anspruchsvollen Dramatik nicht zusammen. Das Theater war angehalten,

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wollte es sich seines Publikums versichern, zurückzugreifen auf konventionellere Spielweisen, um die wenigen gesellschaftskritischen, sozial-psychologisch stimmigen dramatischen Texte, die ansatzweise das Versteinern der Verhältnisse, den rapiden Verlust der sozialistischen Perspektive und die wachsende Entsolidarisierung abbildeten, gegen alle administrativen Widerstände durchzusetzen. Die Aufführung dieser wenigen Texte zusätzlich zu gefährden durch „modernistische Formexperimente“, so wurde die im Spiel sich freisetzende künstlerische Individualität öffentlich gern verunglimpft, verbot sich von selbst. Die Krise war komplett. Theater konnte nicht Theater werden, da eine Dramatik nicht entstehen durfte, die dem Theater gemäß war und die dem Publikum auf die Sprünge geholfen hätte. Die Schauspieler standen allein in den Probenräumen mit ihren künstlerischen Träumen, harrten, warteten und murrten am Ort, den zu verlassen die arbeitsrechtliche Ordnung dieses Theatersystems kaum zuließ. Jürgen Gosch und Herbert König halfen mit ihren Inszenierungen, die an die grundsätzlichen Erfahrungen der Fräulein Julie-Inszenierung anknüpften, diesem schauspielerischen Murren eine wirkungsvolle Form und Gestalt zu geben. Jürgen Goschs Inszenierung von Leonce und Lena an der Volksbühne Berlin (Ost) im September 1978 reflektierte diesen innertheatralischen Zustand. Der Regisseur sah in diesem Zustand aber nicht nur die desolate Lage des Schauspieltheaters, besonders natürlich der Volksbühne selbst, sondern zugleich ein Sinnbild der ostdeutschen Gesamtgesellschaft. Goschs Inszenierung stellt die aktuelle Unvereinbarkeit des Gesellschaftlichen und des Privaten groß aus. Zwei parallele Erzählstränge, ästhetisch in der Spielweise scharf voneinander getrennt, betonen den unaufhebbaren Widerspruch zwischen der privaten Welt der Figuren Leonce, Lena und Valerio und der offiziellen Welt des Staates und seiner Funktionäre. In dem Staatsgebilde, in dem Leonce lebt und herrschen soll, gibt es keine gesellschaftlichen Vermittlungen zwischen „oben“ und „unten“. Die bürgerliche Gesellschaft ist zerstört und die sozialistische Gesellschaft hat keine neuen verbindlichen Vermittlungen zwischen den Interessen der Bürger und den Anforderungen der Gemeinschaft geschaffen, sich letztlich nie zu einem Bürgerstaat emanzipiert, sondern ist in der ersten Phase ihrer machtgestützten Gründung steckengeblieben. Es gibt entweder nur den alles dirigierenden Staat oder nur eine abseitige und stumpfe Privatheit. So die unverstellte Sicht der Inszenierung auf die DDR-Wirklichkeit. „Diese Inszenierung ist ganz in dem Land und der Stadt zu Hause, da sie stattfindet. […] sie greift frisch und unbekümmert […] in das optisch-gestische Arsenal des Hier und Jetzt.“5 Auf der offiziellen Ebene agiert die gerontokratische

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Funktionärselite – alte Männer, vom jungen Schauspieler Risse als Erster Staatsrat angeführt. Risse war von Gosch angehalten, die Bodenlosigkeit kindlicher Spiele zu nutzen und einen Toten zu spielen, soweit man sich ein solches Spiel vorstellen kann, und so wurde jedwede Ironie ausgeschlossen, denn Kinderspiele sind niemals ironisch. Hier agierten wirklich jammernswürdige Alte, Abgestorbene sich krampfhaft an den Schein einer eingeredeten Dauerjugendlichkeit klammernd. Die zweite Generation der herrschenden Politbürokraten stand vor den Zuschauern. Ohne dass er in irgendeiner Art und Weise etwa Honecker nachäffte, rief Risse mit seinem Spiel Honeckers Bild auf. Sein Satz „Der Staatsrat ist versammelt“, mit brüchiger Stimme gesprochen im beschriebenen Totengestus gespielt, reichte aus, um im Zuschauer Honeckers Bild, nicht die reale Person des Erich Honecker – wer kannte ihn schon? – aufzurufen.6 Im zweiten, dem „privaten“, Fabelstrang herrschen spielerische Absonderlichkeiten vor, schauspielerische Privatismen aller Art zwischen banalen, absurden, bösartigen und gänzlich sinnleeren Handlungen changierend. Der Sinn individuellen Handelns, sollte es je einen gegeben haben, ist verloren gegangen. Damit muss sich der Zuschauer abfinden oder er entwickelt, animiert durch die verschlossen-rätselhaften Bühnen-Vorgänge, einen Sinn für den Un-Sinn seiner eigenen Existenz, den zu erkennen ihm die Inszenierung nahelegt. Carl-Hermann Risse erinnert eine den Gestus der Inszenierung genau bezeichnende Zuschauermeinung: „Es gibt keine Möglichkeit einer Handlung mit sozialer Bedeutung mehr. Die Gesellschaft lähmt Leonce und Lena. Und damit erklärt sich mir auch die latente Aggressivität … Alles ist tot. Alles stirbt.“7 Die Inszenierung reduzierte die DDR-Gesellschaft auf eine groteske Grundsituation und verzichtete darauf, widerspenstigen, widersprechenden, änderungswilligen Bestrebungen einen realitätsgerechten Platz und Rang in der Inszenierung vorzüglich im Verhalten der beiden Hauptpersonen Valerio und Leonce einzuräumen. Büchners Stück geriet zu einer Partitur des Verzweifelns an der zu einem Absurdistan verkürzten und verzerrten DDR. Dadurch erlahmte aber das Interesse der Zuschauer an den beiden Figuren Valerio und Leonce; es konzentrierte sich allein auf die Kunstfertigkeiten der beiden Schauspieler Beyer und Gwisdek und erlosch schließlich angesichts der Vergeblichkeit, den Sinn des Tuns der beiden Protagonisten zu entschlüsseln. In diesem Moment sollte, so könnte das Kalkül des Inszenierungsteams ausgesehen haben – Andeutungen des Dramaturgen Otto Fritz Hayner lassen darauf schließen –, sich das Publikum darüber empören, dass es

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sich in seiner realen Umwelt vielerlei sinnentleerten gesellschaftlichen und politischen Zumutungen widerspruchlos fügte. Diese wirkungsstrategische Entscheidung verfing jedoch nicht bei einem Volksbühnenpublikum, das durch die Ära Bessons mit einer ganz anderen Wirkungsstrategie konfrontiert worden war, dem Appell zum tätigen Eingriff in die schlingernden Geschicke einer sträflich sich selbst aufgebenden oder sich in wolkigen Illusionen wiegenden Gesellschaft. Gosch interessierte nur mehr die erahnbare Agonie und Selbstauflösung dieser Gesellschaft.8 Andere mochten nicht so weit gehen und derart schroff mit den bisherigen Paradigmen realistischen Theaterspiels brechen. Einig waren sich aber die meisten im Verzicht auf eine elaborierte Fortsetzung des epischen Theaters, stattdessen vertieften sich viele von ihnen, gleich ihren westdeutschen Kollegen, in die individual-psychologisch auszulotenden Abgründe der menschlichen Natur und ihrer triebgesteuerten Leidenschaften. Stanislawski, verkürzt durch die Strasberg-Methode, wurde wieder hervorgekramt. Soziale Determinanten des menschlichen Handelns wurden verdrängt zugunsten einer Wiederbelebung psychoanalytischer Bewusstseinskritik im Lichte des Poststrukturalismus. Den „Neuen Leiden der Seele“ (Julia Kristeva) wurde im Spiel analytisch nachgespürt oder aber durch eine ins Groteske übersteigerte theatrale Exekution menschlicher Verfehlungen und gesellschaftlicher Irrwege ins Überreale getrieben. In der Theaterpraxis löste sich allmählich die kulturpolitisch behauptete „Weite und Vielfalt des sozialistischen Realismus“ auf. Diese „reich gegliederte Enge“ (Rolf Rohmer) wurde, beeinflusst von diesen und anderen internationalen Einflüssen, vor allem im schauspielerischen Selbstverständnis überwunden. Die Methoden, Formen und Mittel des zeitgenössischen internationalen Theaters wurden genutzt, um der eigenen gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der zusehends vergleichbare soziale Ängste, Verdrängungen und gesellschaftliche Sinnverluste wie in den westlichen Gesellschaften aufbrachen, kritisch-theatralisch auf den Leib zu rücken. Jürgen Gosch hatte mit Leonce und Lena gesagt, was ihm zu sagen blieb, mehr konnte er der verachteten DDR-Gesellschaft künstlerisch nicht vorhalten und so siedelte er nach Köln über. Alexander Lang begann um diese Zeit am Deutschen Theater Berlin seine sehr gegenwärtige Typengalerie exaltierter und affektgetriebener, emotionsgeladener Figuren als Opfer ihrer Leidenschaften vorzustellen, die sich selbst heillos übernehmen, wenn sie versuchen, ihren libidinösen Verstrickungen zu entkommen. Sie beginnen zu zappeln, zur Marionette zu schrumpfen, sich aufzulösen ins Lächerliche oder in hohle Starrheit zu verfallen. Grimassen des permanenten Scheiterns an ihren eigenen Ansprüchen, von gesellschaftlich

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nachahmenswerten Menschenbildentwürfen keine Spur mehr. Herbert König hatte seine großen mitleidlosen Inszenierungen in Greifswald, Zittau und Anklam noch vor sich. Und kurz danach werden Frank Castorf und später Armin Petras in seiner wohl längst vergessenen Nordhäuser Inszenierung der Wolokolamsker Chaussee (1987) mit selbstbewusst gewordenen Spielern, die ihre Gebundenheit an den dramatischen Text aufgekündigt haben, ihr gemeinsames heimliches Sehnen, die ungeteilte Autorschaft des theatralischen Geschehens zu übernehmen, realisieren. Ohne das weiter ausführen zu können, sei darauf hingewiesen, dass dieser theaterästhetische Paradigmenwechsel, durchaus angeregt und befördert durch den „Helsinki“-Prozess, gipfelnd in dem berühmten „Korb Drei“ der KSZE-Schlussakte von 19759, der wirksamste Beitrag der Theaterkunst zur innenpolitischen „Wende“ im Oktober 1989 ist, obwohl er über weite Strecken „nur“ ein ästhetischer Anschlussversuch an internationale Strömungen und Erfahrungen war.10 Die individuell-persönliche und in Kleingruppen stattfindende Kritik der entfremdeten Arbeit in der DDR und in ihren Institutionen ist die Basis des angedeuteten theatralen Funktionswechsels. Nach der Unterzeichnung der Abschlussakte mussten alle klassenkämpferischen Gegenmaßnahmen der Staatsmacht ins Leere laufen. Auch wenn sie die vielen Einzelnen niederhielt und niederzwang, desavouierte sich diese Macht in ihrer Ohnmacht dennoch grundsätzlich, da sie das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Menschen über die gesellschaftliche Verpflichtung zum kollektiven Wohlverhalten zwar hochfeierlich gelobte, aber nicht davon abließ, in ihrem machtgesteuerten praktischen Handeln die alltäglichen Rechte nach Gutdünken zu versagen, zu beschneiden oder zu gewähren. So glaubte sie zu überleben. Das sollte der letzte Irrtum der Staatsmacht ein. Die Selbstzerstörung der DDR-Staatlichkeit begann. Das Theater buchstabierte in seinen besten Inszenierungen ungeniert den Text dazu und bat zum Tanz. Die ersten Regiearbeiten von Frank Castorf in Anklam korrespondierten grundsätzlich mit Königs Theaterpraxis in der verweigerten Anpassung an die herrschenden Verhältnisse und der Ablehnung jedweder utopischen Harmonisierung, führten sie aber auf einer anderen methodischen Ebene fort. Dort, wo König immer karger, konzentrierter wurde, dort uferte Castorf immer weiter aus und trieb die Schauspieler zur totalen emotionalen und körperlichen Verausgabung an. Geraten die Schauspieler Castorfs vor Wut über die Verhältnisse außer sich, so ziehen sich die Schauspieler Königs angesichts der Unabänderlichkeit der Verhältnisse immer mehr in sich zurück und schinden sich und ihre Figuren im Erleiden. Castorfs Theater feiert Potlatsch und er fordert

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den Zuschauer auf, in die ausufernden karnevalesken Exzesse einzutauchen. Königs Theaterabende waren dagegen lastender, strenger, endgültiger und hermetischer. Königs Theater ist die öffentliche Geißelung und endliche Sektion des versagenden Menschen. Er will den Zuschauer dazu bewegen, sich selbst die soziale und moralische Diagnose zu stellen. König strebte in seinen Inszenierungen einen Grundgestus an, der erstaunlich nahe dem berühmten Kommunikationsschema war, das Diderot in seinem theaterästhetischen Modell Der natürliche Sohn entworfen hatte. Diese neue, aufklärerische, aber nicht belehrende theatralische Kommunikationssituation, verbannt die Rampe aus dem Theater. Die Rampe, die traditionell den Raum der Fiktion und den Raum der Realität scharf trennte und deshalb immer wieder angespielt, überspielt, überwunden werden musste, galt es doch etwas, „über die Rampe zu bringen“, die aber auch behauptet und verteidigt werden musste als Schutz und Rückzugsraum der Spieler, ist aufgelöst. Der Zuschauer ist Teil des Geschehens, aber unsichtbar und unhörbar und nicht seinetwegen treffen sich die Spieler, sondern zu einer rekonstruktiven Vergewisserung der Tatsächlichkeit eines für die Gemeinschaft wesentlich gewordenen vergangenen Geschehnisses. Im Spiel versuchen sie die Erinnerung an ihre eigenen Erlebnisse, die konstituierenden Elemente ihrer Familiengeschichte, wachzuhalten und die Gewissheit, recht gehandelt zu haben, im erneuten Hervorruf des vergangenen Geschehens zu bestätigen. In ihrem Spiel entwerfen und gestalten sie einen Erinnerungs- und Mahnraum, der jedoch den Zuschauer durchaus einbeschließt, ist doch das Ereignis, das sie wiederbeleben, diesem wohl zwar abstrakt als Ereignis bekannt, an dem er aber nicht konkret leibhaftig beteiligt war. Ihm wird kein theaterübliches, fiktives Schauspiel präsentiert, sondern die komprimierte und selbst erfahrene Lebenswirklichkeit der Spieler. Sie offerieren dem Zuschauenden ein jenen jederzeit ereilen könnendes Geschick, lebt dieser doch unter den gleichen Bedingungen, die dem Spiel eignen. Dieses Spiel hält ihn dazu an, zu prüfen, ob er einen oder keinen, einen hinreichenden oder nur unzulänglichen Handlungsplan für diesen unerwarteten Schicksalsschlag, diesen Lebensunfall, parat hat. Aus dem Zuschauer wird der Zeuge, aus dem Zeugen wird der Mitbetroffene, der Einbegriffene, schließlich der zu Erweckende. „Ich stieg durch das Fenster in den Saal, und Dorval, der jedermann auf die Seite geschafft hatte, stellte mich in einen Winkel, wo ich, ohne gesehen zu werden, das, was nun folget, sehen und hören konnte.“11 Diderot versucht die Ästhetik des herkömmlichen Theaters grundlegend zu revolutionieren, indem er die zwei entscheidenden Elemente

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der Produktion und der Rezeption dieses Theaters: das gegenständlich sinnliche Nachahmen eines fiktiven fremden Handelns durch die Schauspieler und die emotional und rational anspruchsvolle Anteilnahme des Zuschauers am fingierten Ereignis kraft seines bewusst aufgerufenen Imaginationsvermögens im beschriebenen Modell außer Kraft setzt. Im herkömmlichen Theater dient der Spielvorgang als Mittel zum Zweck der Herstellung der Fiktionalität und des Aufrufs der Imagination, wird Teil der Inszenierung, die wiederum dem vorgängigen Dramentext verpflichtet ist. Das Spiel versachlicht sich zum Spielzeug, der Schauspieler verschwindet in seiner Funktion. Im Diderotschen Modell wird das Spiel (wieder?) zum Zweck, alles andere wird zum Spiel ermöglichenden und unterstützenden Mittel. Die Dramatik konnte diesen Funktionswechsel zu dieser Zeit nicht mitgehen, war doch das herrschende Theater kein Ort für derartige grundstürzende Versuche. Nur in einem schmalen Kanon von Dramentexten findet König seiner Ästhetik genügende dramatisch-theatralische Vorgaben. Beider Bühnenästhetik war dementsprechend, so sehr ihr theaterpolitischer Standpunkt übereinstimmte, deutlich anders ausgerichtet. Beider Inszenierungen gingen, das war ihnen gemeinsam, mit allen gesellschaftlichen Phrasen, Chiffren, Verweisen, Geboten und Verboten, Vereinbarungen, Regeln und Zeremonien radikal respektlos um, profanierten und zerstörten die „Geschäftsgrundlage“ eines Theaters, das einer Ideologie unterstellt war und von der Aura eines sozialistisch-realistischen Ewigkeitsanspruchs umweht wurde. Die Herrschaft dieser Zeichen, ihre eindeutige Zuschreibung, wurde aufgelöst, depraviert durch „unzulässige Kombinationen und Verwendungen“. Das Ineinanderschieben zweier Bilderwelten: die historisch aufgeladene und inzwischen obsolet gewordene heroisierende Bilderwelt des Sozialismus und die Gegenwelt der westlichen Popkultur und Konsumwelt. Das heimliche Sehnen nach dieser Welt wurde in den besten Inszenierungen genauso desavouiert wie das Versagen in der eigenen Welt. Hier wurde dem Theatergast nichts serviert und er wurde auch nicht platziert, er musste sich seinen Platz selbst suchen.12 Eindeutigkeiten lösten sich auf, die Zeichen flackerten und die Verhältnisse gerieten aus den Fugen, tanzten in den besten Momenten. Castorf fasst seine theaterästhetische Position und inszenierungsmethodischen Prinzipien 1993 zusammen: Ich würde gern einen Stoff so stehenlassen, wie er dasteht. Doch glaube ich nicht an die subversive Kraft der Sprache oder der Poesie. Ich zerstöre einen Text, aber setze ihn auch neu zusammen. […] Denn Literatur gaukelt ein Modell der Erkennbarkeit wie Be-

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herrschbarkeit von Welt vor. […] Der Hauptvorwurf gegen mich lautet: postmodern und beliebig, anything goes. Mein bewußt und forciert eingesetzter Eklektizismus basiert auf dem vorhandenen Eklektizismus des Alltags. Auf der Straße laufen gleichzeitig ganz verschiedene Sachen ab, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben und nur durch den sozialen Gesamtort räumlich gebunden werden. Das bringe ich mit theatralischen Mitteln auf die Bühne. […] Was im Augenblick in der Stadt Berlin oder in Deutschland passiert, ist für mich mit den herkömmlichen Formen und Erkenntnismethoden nicht mehr abbildbar. Deswegen kommen sehr verschiedene, sich widersprechende Formulierungen auf die Bühne, die durch einen Gesamtwillen zusammengehalten werden. […] Dieser Gesamtwille entstammt einer Wut auf die Wirklichkeit. Deshalb handelt es sich bei uns mehr um ideologisches Theater als um artifizielles.13 Die Schauspieler Castorfs nahmen den Text als Spielball und Trampolin, auch als lästiges Übel: Zwischen der totalen Verselbständigung der schauspielerischen Aktion und der spielerischen Entdeckung der im Text verborgenen Bedeutungsschichten durch das Spiel mit diesem balancierte dieses Verfahren. Gefährdet wurde es von Kalauern und abgestandenen Gags, beflügelt von erstaunlichen musikalischen und zirzensisch-artistischen Leistungen. Es stürzte ab in die nichtssagende Privatheit der Schauspieler (keiner gespielten „Privatheit“) und schwang sich wieder auf in hochkomisches, artistisch kalkuliertes wie situativ und emotional gegründetes Figurenspiel – und all das immer mit einem wachen animatorischen Blick auf den Zuschauer. Königs Schauspieler fanden sich in der Figur, entäußerten sich und ihre Fähigkeiten und Befindlichkeiten im stückorientierten Figurenspiel. Sie suchen nicht mehr nach der hochgetriebenen artifiziell exklusiven Spielweise; sie bestehen auf ihrem individuellen Sein in ihrem Spiel.14 Das Spiel soll riskant werden, sie sind gewillt sich als Opfer, als Beschädigte zu präsentieren. Sie stehen nicht mehr zur Verfügung, um als den Weltläuften überlegener Komödiant zu brillieren und damit die gegebene Welt, den Ort ihrer Auftritte, als die beste aller Theaterwelten durch ästhetische Fingerfertigkeiten zu bestätigen und so einen Glanz zu verbreiten, in dem sich die politisch Herrschenden sonnen können. Seit Yerma unübersehbar will er hin zur hüllenlosen, unmittelbaren Darstellung der obszönen Leiblichkeit, der versehrten, der süchtigen, sich verzehrenden Leiber, den leiblichen Defekten nicht ausweichend. Die Körper der Schauspieler sind bei ihm „doppelt“ anwesend: Die Körper der Schauspieler präsentieren und behandeln die Leiber der Figuren.

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Der Leib wird zum Gegenstand der Darstellung. Nicht nur mit dem Körper, sondern auch am Leib selbst wurde etwas zur Darstellung gebracht. So spielte die Nacktheit eine große Rolle. Wenn ihm vorgehalten wird: „Heuchelei, Hurerei und Charakterlosigkeit wechseln einander auf der Bühne ab, kein Ausweg aus dieser trostlosen Welt ist offen“,15 so erfasst das, wenngleich denunziatorisch gemeint, durchaus ein Moment der Bühnenästhetik von Herbert König. Seine Arbeiten sind, und das macht sie theaterhistorisch und schauspielmethodisch fortdauernd wichtig, eine praktische Neulesung der Stanislawski-Methode unter Einschluss der Erfahrungen von Brook und Grotowski angesichts eines grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Scheiterns asketischer Selbstbescheidung und des Zwangs zur funktionalen Einhegung des leiblichen Erlebens zugunsten des körperlichen Leistens.16 Unter Königs Augen, er war ein streng beobachtender Regisseur, besiegten seine Spielensembles ihre bisher geübte, systemgeschuldete und systemstützende Selbstverleugnung, das Überspielen des besseren Wissens von den realen Zuständen der darzustellenden Wirklichkeit. Dieses Wissen wurde der politischen „Vernunft“ geopfert und verdrängt, blockierte die schauspielerische Arbeit, schematisierte und entfremdete sie. Königs „Spielästhetik“ war der Beweis dafür, individuell und im bewussten Gruppenzusammenschluss der sozialistischen Entfremdung durch das einfache Vorzeigen ihrer zerstörerischen Wirkungen im Spiel entgegentreten zu können. Bei König wird die Entfremdung im Sinne Stanislawskis „erlebt“: Ihre [gemeint ist die konträre Meinung eines Schülers in dem fiktiven Dialog mit seinem Lehrer] vermeintliche Wahrhaftigkeit kann dazu verhelfen, Gestalten und Leidenschaften vorzuführen, meine Wahrhaftigkeit verhilft dazu, die Gestalten selbst zu schaffen, und löst unmittelbar die Empfindungen aus. Zwischen Ihrer und meiner Kunst ist der gleiche Unterschied wie zwischen den Worten „scheinen“ und „sein“. Ich brauche echte Wahrhaftigkeit – Sie begnügen sich mit der Vertrauensseligkeit der Zuschauer. Wenn er sie auf der Bühne sieht, weiß der Zuschauer beruhigt, daß alles ganz genau nach den ein für allemal feststehenden Spielregeln gehen wird. Der Zuschauer vertraut ihrem Können, wie man dem Turner zutraut, daß er nicht vom Reck stürzen wird. In Ihrer Kunst ist der Zuschauer ein Zu-Schauer. In meiner Kunst wird er zum Zeugen des Schaffens, er nimmt daran teil; er wird in das Leben, das sich auf der Bühne abspielt, hineingezogen und glaubt ihm.17

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Die Entfremdung wird in Königs Theater als unumschränkt herrschend dargestellt und nicht kraft einer komödiantisch-komischen Darstellung als überwindbar behauptet. Entfremdung ist hier die existentielle Gewissheit, nicht das Signum eines besonderen historischen Gesellschaftszustandes. Sie ist strukturell-existentiell in jedweder Gesellschaftlichkeit verankert. Im Schauspielerischen wird diese Entfremdung kenntlich. Zugleich kann erst und nur der sich dessen bewusst werdende Schauspieler die Entfremdung in ihrer sozialen und moralischen, kollektiven wie individuellen Vielgestaltigkeit darstellen. Der Schauspieler soll sich fremd werden in seiner alltäglichen Spielroutine; er soll seiner Entfremdung, die ein totales Ein- und Anpassen in den Spielbetrieb ist, erschreckend gewahr werden. So sich ein zweites Mal fremd werdend, erkennt er sich selbst und forscht dem im Spiel nach. Er eignet sich seine Biographie, seine Körperlichkeit, sein Bewusstsein als das ihm Eigene an und gewinnt so wieder Verfügungskraft über sich und sein Handlungsvermögen. Die Fremdbestimmung wird überwunden, eine temporäre Selbstbestimmung tritt an ihre Stelle. Temporär deshalb, weil nur im Moment des Spiels diese Selbstbestimmung realgegenständlich werden kann. In den szenischen Erfindungen gehäuften Leids, in den theatralischen Erzählungen von Menschen, die einander Leid bereiten, vielleicht gar gegen das Leid rebellieren – nur in solchen Spielen, so die Überzeugung Herbert Königs –, werden die Spielenden frei. Das ist seine Hoffnung an das Theater. Aber das gesellschaftliche Leid verweilt und die Zeit steht still. Das ist die gesellschaftspolitische Erfahrung und diese Erfahrung prägt die Sicht Königs auf die ungeliebte und in ihrer letzten Gestalt von ihm auch radikal abgelehnte DDR-Gesellschaft. Seine erste, seine „DDR-Regiekarriere“ ist ein geglückter und weit wirkender Versuch, trotz allem ein radikal existentiell-anthropologisch gerichtetes Schauspieltheater unter den dafür gänzlich abträglichen Bedingungen des staatlich sanktionierten und ihm fremden theaterästhetischen Diktats behütet von einer weitgehend affirmativen und ihm wenig gesonnenen Theaterkritik zu verwirklichen. In Königs Theater wird der Zuschauer weder agitiert noch aufgemöbelt. Ihm wird zugemutet, sich selbst zu betrachten, ihm wird die Chance eines Einblicks in seine eigene wirkliche psychische Befindlichkeit und soziale Lage gewährt. Der Mut zum standhaften Blick in den Theaterspiegel wird ihm abgefordert. Das bereitete manchem Zuschauer quälendes Unbehagen und viele Zuschauer ließ es erschrocken zurückweichen. Die Unverbindlichkeit des leicht-ironischen Amüsements oder popartistischer Unterhaltung bot ihm König nicht:

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Komödianten – Publikum/Gesellschaft. Die Kluft nicht verringern. Getrenntes nicht zusammenbringen. Den Orchestergraben öffnen, das Bild allmählich verwischen, verdunkeln. Der Zuschauer/Voyeur sieht nur Bruchstücke, Partikel. Das Geheimnis behaupten. Die Lächerlichkeit der Komödianten zeigen, ohne dem Zuschauer die Möglichkeit des Auslachens zu geben. Das Spiel spielen, aber die Spielregeln nicht verraten.18

1

Dialog zwischen Ronald Funke und König während des Besuchs einer Probe von Othello 1982 in Anklam, Regie: Frank Castorf. Mitgeteilt von Ronald Funke, a. a. O.

2

Mitschrift eines Gesprächs in der Wabe in Berlin-Prenzlauer Berg am 14. November 2013 anlässlich der Präsentation einer audiovisuellen Teildokumentation der Inszenierung Fräulein Julie von Strindberg, Regie und Ausstattung: B. K. Tragelehn/Einar Schleef am Berliner Ensemble 1975, die nach zehn Vorstellungen durch die Theaterleitung aus dem Repertoire genommen wurde. Am Gespräch nahmen teil: Jutta Hoffmann – Fräulein Julie, Annemone Haase – die Köchin, Jürgen Holtz – der Diener Jean; B. K. Tragelehn und Friedrich Dieckmann, damals Dramaturg am Berliner Ensemble.

3

Vgl. Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik, Frankfurt/Main 1971; Lothar Kühne: Aneignung und Gegenstand, Weimarer Beiträge 6/1973, S. 5–31; Funktion und Wirkung, hrsg. Dietrich Sommer et al., Berlin (Ost) und Weimar 1978; Helmut Hanke: Freizeit in der DDR, Berlin (Ost) 1979; Thomas Wieck: „Kann das Publikum wollen?“, in: Theater der Zeit 2/1999, S. 18–21.

4

Das schauspielerische Vermögen für dieses improvisatorische Verfahren, beruhte vorzüglich auf dem schauspielerischen Grundlagenunterricht an der Staatlichen Schauspielschule Berlin. Eine zweite Quelle für das improvisatorische Spiel, nun aber nicht allein im Probenprozess, sondern auch in den Aufführungen angewendet, waren die von Benno Besson und seinen Mitarbeitern neubelebten Spiel- und Kommunikationsweisen des vormodernen komischen Theaters.

5

Friedrich Dieckmann: „Goschs Büchner-Szene“, in: Thüringische Landeszeitung, 27. Januar 1979.

6

Carl-Hermann Risse im Gespräch am 23. Mai 2012.

7

Ebd.

8

Vgl. Birgid Gysi: „Interview mit dem Dramaturgen Otto Fritz Hayner“, in: Theater der Zeit 11/1991, S. 73–75.

9

„Menschliche Kontakte: Die Teilnehmerstaaten, In der Erwägung, daß die Entwicklung von Kontakten ein wichtiges Element bei der Stärkung freundschaftlicher Beziehungen und des Vertrauens zwischen den Völkern ist, In Bekräftigung der Bedeutung, die sie bei ihren gegenwärtigen Bemühungen, die Bedingungen in diesem Bereich zu verbessern, humanitären Erwägungen beimessen, In dem Wunsch, in diesem Geist weitere Bemühungen im Zuge der Entspannung zu entwickeln, um weitergehenden Fortschritt auf diesem Gebiet zu erzielen Und im Bewußtsein, daß die diesbezüglichen Fragen von den betreffenden Staaten unter gegenseitig annehmbaren Bedingungen geregelt werden müssen, Setzen sich zum Ziel, freiere Bewegung und Kontakte auf individueller und kollektiver, sei es auf privater oder offizieller Grundlage zwischen Personen, Institutionen und Organisationen der Teilnehmerstaaten zu erleichtern und zur Lösung der humanitären Probleme beizutragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, Erklären ihre Bereitschaft, zu diesem Zweck Maßnahmen zu ergreifen, die sie für geeignet halten, und falls notwendig, untereinander Abkommen zu schließen oder Vereinbarungen zu treffen, und Drücken ihre Absicht aus, nunmehr zur Durchführung des folgenden zu schreiten.“ Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Schlussakte, www.osce.org/ de/mc/39503?download=true, S. 51 f.

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10

Vgl. Heiner Müllers Diktum in diesem Zusammenhang: „Es geht darum, daß es nicht mehr erlaubt ist, nicht über sich selbst zu reden, wenn man schreibt. Der Autor kann nicht mehr von sich absehen. Wenn ich nicht über mich rede, erreiche ich keinen mehr. Dabei gibt es einen wesentlichen West-Ost-Unterschied: Ich/DDR kann über mich nicht reden, ohne über Politik/DDR zu reden. Während es in Westdeutschland ein ganz abgeschirmter Bereich ist oder sein kann. Der Intimbereich kann in der DDR nie so abgeschirmt sein. Nach wie vor ein Vorteil.“ Heiner Müller: „Notate zu Fatzer“ (1978), in: ders.: Werke 8: Schriften, Frankfurt/Main 2005, S. 202.

11

Denis Diderot: [Der natürliche Sohn], in Diderot/Lessing: Das Theater des Herrn Diderot, Leipzig 1981, S.37.

12

Der „vormundschaftliche Staat“ hatte in den Kellnern und Serviererinnen der volkseigenen Gaststätten seine Hohepriester gefunden und der Text „Bitte warten. Sie werden plaziert“ gehörte zu den eindrücklichsten Gesetzestafeln dieses Landes.

13

Frank Castorf im Gespräch mit Frank Raddatz: „Als Gesamtereignis hat das eine terroristische Dimension“, in: Theater der Zeit 8/1993, S. 19 ff.

14

König misstraute dem sportiv-artistischen Schauspielerkörper als Darstellungsmittel und als „Träger“ sozialer Masken, oftmals theatralisch virtuos gehandhabt in den umwerfenden Inszenierungen Bessons. Dessen elaborierte Regiekunst und die von ihm favorisierte Spielweise war ein Jahrzehnt lang maßstabsetzend. Aber seit Mitte der 1970er Jahre sind viele Schauspieler und Regisseure, ihre Hochachtung vor Bessons Werk niemals verleugnend, auf einer anderen Spur mit ihren Spielen.

15

Elke Kappl: „Eine missglückte Premiere. ‚Der Impresario von Smyrna‘ als DDR-Erstaufführung“, in: Sächsische Zeitung, 28. September 1982. Die Autorin ist keine Theaterrezensentin, obwohl der Artikel wie eine übliche Theaterkritik aufgemacht ist. Das wäre nicht der Rede wert, wenn dieser unsägliche Text nicht die einzige schriftliche und in der DDR öffentlich gewordene Meinung über die Inszenierung gewesen wäre. Elke Kappl beendete ihren Text in dem für solcher Art DDR-Leserbriefe (das ist eine in vielerlei Hinsicht beachtenswerte Textsorte der DDR-Presse) typischen Gestus der tiefen persönlichen Beleidigung ob des erlittenen Ungemachs: „Mir hat die Inszenierung außer Ärger nichts gegeben. Und das ist eigentlich das Schlimmste.“

16

Ich erinnere an die Leistungssportkarriere von König.

17

Konstantin Stanislawski: Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst, Band 1, Berlin (Ost) 1961, S. 181.

18

Vgl. S. 152.

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BEGINN IM ANDEREN LAND -

Aus dem Land geekelt, in dem die waltende Entfremdung zu benennen, einem staatsgefährdenden Delikt nahekam, ihre Verleugnung dagegen parteiliche Pflicht war, gerät er in das Land, in dem es die Mehrheit in der Entfremdung es sich wohl sein lässt, ihre Mechanismen so verinnerlicht, dass das Leid an der Gesellschaft entweder zum Selbstmitleid schrumpft oder zur wohlfeilen Pose des schlechten Gewissens verkommt. Wollte er seiner Ästhetik treu bleiben, so durfte er sein inszenatorisches Credo in keinen modischen Wind hängen. Damit stand er aber quer zu den üblichen Erwartungen eines auf menschliche Erschütterungen getrimmten Theaters und seines erwartungsvoll darauf gestimmten Publikums, dem nichts lieber war und ist, als in die berüchtigten „menschlichen Abgründe“ lustvoll schaudernd zu starren. 1984 beginnt in Düsseldorf die zweite Karriere von Herbert König zäh: Seine erste Inszenierung Leonce und Lena wird gnadenlos von der Kritik degradiert. Nur Andreas Roßmann stimmt dem inszenatorischen Zugriff bei: Wie nebenbei nämlich entdeckt und entwickelt König die TheaterEbene des Texts, die er einfallsreich abhandelt und spiegelt. So tritt zu Beginn Valerio in der Rolle des Hofmeisters auf, die er Leonce nur vorspielt; so erfolgt das Lever am Hof mit vertauschten Rollen: König Peter, den der virtuose Wolfgang Hinze nicht zur Karikatur verharmlost, sondern als rührend-arbeitsamen Mann vorstellt, versucht seinen Diener anzuziehen. Dabei prüft und befingert er dessen Körper als sei es sein eigener – ein Akt der Selbsterkentnis. So wird Lenas Auftritt mit einer stummen Zwangsumkleidung eingeleitet. Die Gouvernante, deren aufdringliche Fürsorge bis zur Brutalität reicht, zieht Lena trotz deren heftige Gegenwehr aus und macht sie dann mit teuren Kleidern, die sie in modischen Einkaufstüten mitgebracht hat, zur Braut. Und so treten Leonce und Lena, wenn sie in der letzten Sezene als die „zwei weltberühmten Automaten“ verheiratet werden, nicht maskiert, sondern in vertauschten Kleidern auf, was ihre Auswechselbarkeit unterstreicht. […] Ganz am Schluß aber, als sie den Zufall bemerken und sich betrogen fühlen, haben Leonce und Lena nicht einmal mehr die Kraft sich zu verteidigen. Während Valerio und Rosetta nur noch krampfhaft lachen, brechen sie ihre Sätze ab, resignieren sie schweigend. Lena schleudert zwar ein Sekt-

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glas gegen die Wand. Es ist jedoch nur eine Geste ziellosen, vergeblichen Aufbegehrens. Dieses bitterböse Ende aber resümiert zugleich die doppelte Provokation einer Inszenierung, die die Figuren wie auf der Stelle treten läßt und diese Stagnation den Zuschauern, denen sie kein Trost, keine Abwechslung gönnt, zum beängstigenden Gleichnis ihrer eigenen Lebenssituation verdichtet: hoffnungslos, nur versöhnt in ihrem Kunstanspruch. Eben das macht das West-Debüt von Herbert König bemerkenswert. Eben das wird ihm auch in Düsseldorf nicht sein „Italien“ (ein leerer Traum) finden lassen, aber, wie sich bereits zeigt, einen produktiven Arbeitszusammenhang. Eben das wird Erwartungen auf folgende Arbeiten wecken und weitere, umfassendere Auseinandersetzungen mit der hiesigen Wirklichkeit. Darauf darf man gespannt sein.1 Seine zweite Inszenierung Was ihr wollt wird vom Generalintendanten vor der Premiere abgesetzt. König zieht eine erste ernüchternde Bilanz: Die Inszenierung ist nicht im Trend. Trends sind „Menschlichkeit“ und „Gefühl“. Noch nie habe ich diese Begriffe so inflationär oft gehört wie in Düsseldorf. Hat man es so nötig, diese Begriffe zu beschwören? Schauspieler werden angehalten, zwei Stunden an der Rampe entlang zu dampfen, zu heulen, zu winseln. Wer am schönsten leidet, wer sich am meisten rein- und ranschmeißt, bekommt die besten Kritiken. Die Zeit der Zärtlichkeit ist da. „Küssen, küssen, nur nicht denken“, wie’s im schönen Werk „Gräfin Mariza“ heißt.2 Eine beabsichtigte Reminiszenz Königs an den Winter 1980/81 in Greifwald. Dieser Spruch zierte als Werbebanner das Greifswalder Theater, Peter Konwitschnys grundstürzende Mariza-Inszenierung ankündigend, während er Nachtasyl inszenierte. Königs Gorki- und Konwitschnys Kálmán-Neusichtung an einem Theater innerhalb von zwei Monaten zeigten schlagartig, was an einem und wenn auch nur kurzzeitig mut-willig geführten Theater in der DDR möglich war, wenn es die sich zu Spielkollektiven zusammenfindenden Individualitäten nur wollten. Die eingeschliffenen Sehgewohnheiten konnten zerbrochen werden, die Funktionärsschicht in die Defensive gedrückt und vor allem ihre kunstpolitischen Gewissheiten zertrümmert werden. Ein kritisches fragendes Publikum, das es ja durchaus gab, das sich aber kaum noch im Theater einfand, wurde hier mit ästhetischen und ideellen Positionen konfrontiert, die es befreiend und verstörend zugleich wahrnahm,

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eigene Phantasien freisetzte und bestätigte. Aber es blieb immer nur Episode und oftmals blieb eben nur der Weg nach Westen für die meisten der Protagonisten dieses anderen Theaters in dem einen. Erst mit der dritten Inszenierung, einem Remake der Zittauer Inszenierung des Impresario von Smyrna beruhigen sich die bürgerlichen Gemüter in Düsseldorf. Von dem einverständigen Generalintendanten Günther Beelitz beschirmt – „Publikumsknüller waren seine Inszenierungen nie“3 – kann er jetzt inszenieren, was ihm wichtig ist. Wichtig bleibt ihm Büchner: Woyzeck folgte auf Leonce und Lena. Wichtig ist das neue Stück des befreundeten Christoph Hein, Ah Q (Düsseldorf 1985). Mit Hein zusammen hatte er sich in den langen Stunden des erzwungenen beruflichen Stillstands in Berlin (Ost) an einem Drehbuch zu Heins Erzählung Der Fremde Freund versucht. Wichtig ist ihm, Brechts Frühwerk Trommeln in der Nacht an der Schaubühne Berlin (West) zu inszenieren, an dem Theater, dessen Arbeitsweise und Aufführungen in den 1970er Jahren er aus der erzwungenen Ferne hoch schätzte, dem vielleicht sogar sein heimliches Streben galt. Ein Mal nur konnte er eine Aufführung live sehen, Sommergäste, während des Gastspiels 1975 in Karl-Marx-Stadt.4 Wichtig ist aber auch, dass er sich öffentlich erklären, wenn nötig vehement angreifen und sich verteidigen kann. Und das ist nötig. Seine Sicht der Dinge ist auch hier keineswegs immer willkommen. Daß ich mich mit den sozialen Dingen, die in diesen Stücken sind, nicht beschäftigt hätte, halte ich aber für schwachsinnig, dann müßte man einfach genauer hingucken. Die Auflehnung Woyzecks gegen alle Figuren der Obrigkeit ist ja schon fast militant, wie er etwa mit dem Doktor und mit dem Hauptmann spricht. Mit welcher Härte er auch das Stück durchsteht und am Schluß nicht ins Wasser geht, sondern auf der Bühne bleibt und auf den Boden stampft – eine Art Trotz. Jemand, der eben nicht ins Wasser geht, der nicht bestraft wird, sondern der vielleicht morgen oder übermorgen sich den Tambour-Major vorknöpft. […] Mit dem Kälte-Vorwurf kann ich auch nichts anfangen. Natürlich ist die tradierte Erwartung bei einer „Woyzeck“-Aufführung, daß sich die Zuschauer am Ende das Mitleid wegklatschen, das wollte ich vermeiden. Ich wollte einfach Bilder von Schrecken und Trauer und von Zorn und Kälte zeigen, worauf man nicht nur mit Mitleid reagieren kann.5 Er ist krank, er weiß um die Endgültigkeit seiner Krankheit. In trotzigen Behauptungen und Gesten, in Blitzlichtern des Aufbegehrens enden

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jetzt oft seine wesentlichen Inszenierungen. Er setzt sich unter einen enormen Arbeitsdruck, überfordert zuweilen sich und seine Protagonisten im Produktionskarussell. Herbert König und Heiko Zolchow erarbeiten von 1984 bis 1987 circa 15 gemeinsame Inszenierungen in Düsseldorf, München, Basel, Essen und an der Berliner Schaubühne, dabei immer auf höchste dramatische Brisanz der Texte achtend, das Klassische behauptend, die Moderne auswählend und die Gegenwart nur mit ihren herausragenden Texten zulassend. Heiko Zolchow stirbt 1987 und Herbert König erinnert an seinen kongenialen Mitarbeiter. In seinem zum Doppelbildnis sich weitenden Porträt des Toten scheint er selbst mit auf. Vor einem halben Jahr (im September 1986) brachte die Zeitschrift „Die Deutsche Bühne“ ein Gespräch mit Heiko Zolchow. Dafür hat er sich auf einer Probebühne photographieren lassen. Links von ihm befiehlt eine dicke Schrift: NICHTS ANSTELLEN! Rechts hatte er zwei Leitern angestellt. Dazwischen blickt Heiko spöttisch in die Kamera. Gern stellte er was an, wo es nicht erwünscht war. Wenn wir über die Dörfer fuhren, in seinem Trabbi mit Tempo 115, so daß ich immer fürchtete, das Auto bricht auseinander, nach Anklam oder Zittau, wo wir arbeiten durften, dann drückte er immer Bach- oder Mozartkassetten in das leicht schnarrende Autoradio. Die Mozart-Opern sang er oft mit, und er unterbrach sich nur, um mir die lustigsten Stellen zu erklären: „Jetzt stürzt der Tenor aus der Kulisse an die Rampe und singt sofort ZU HILFE, ZU HILFE.“ Das fand er so rasend komisch, daß er versuchte, die Plastikkiste nochmals zu beschleunigen. Seitdem erinnert mich Mozart-Musik seltsamerweise an Rallye-Fahrten. Und natürlich an Heiko. Ich erinnere mich an Gespräche über Malerei … Mit der ihm eigenen Kompromißlosigkeit unterschied er nur zwischen guten und schlechten Malern. Dazwischen war nichts. Unsere Gespräche verliefen nach dem gleichen Muster. Er redete zehn Minuten über Genialität oder Blödheit eines Malers. Ich nickte manchmal. Dann Heiko wieder zehn Minuten. Ich sagte: Ja, aber. Daraufhin referierte er noch intensiver. Er hat mich oft genervt, und er hat mich vieles anders sehen gelehrt. Als wir im ersten Sommer nach unserer Übersiedlung durch die Provence fuhren, faßte er seine Bewunderung für die Landschaft dort lakonisch zusammen: „Hier kann ja jeder malen.“ Auf den Photos, die ich von ihm habe, blickt er fast immer ernst und fragend, zugleich streitbar und bittend. Er war lebenshungrig und

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depressiv; ein Anarchist mit der Sehnsucht nach Geborgenheit und Anerkennung und nach Heimat. Er hatte hier wie dort mehr Freunde, auch mehr Liebe als er glaubte, aber immer, fast hektisch, war er auf der Suche nach dem Heimischsein. „Ich habe nie Räume gemacht, in denen es so etwas gibt wie Bewahrtsein“, sagte er über seine Arbeit. Und über seine Woyzeck-Bühne: „Die Menschen sind unbehaust drinnen und draußen. Das muß ein Bild fassen.“ Eine seiner Lieblingsarbeiten war Ibsens „Wenn wir Toten erwachen“. Dazu Heiko: „Rubek, der Bildhauer, sucht in Irene, seinem früheren Modell, was er einmal hatte, will nochmals die Illusion, die Hoffnung haben, mit seiner Kunst etwas bewirken zu können. Diese Verzweiflung ist mir ungeheuer nah.6 Einmal wurde er, kurz nach der deutschen Vereinigung, gefragt nach einer Definition „seines“ Theaters: „Sie wollen kein Konzeptionstheater machen. Ideologisches Theater hat lange ausgedient und als moralische Anstalt taugt das Theater auch nicht mehr. Viele Regisseure reden von anti-psychologischem Theater. Können Sie Ihre Art Theater zu machen definieren?“ Herbert Königs Antwort: Nein, kann ich nicht. Alles Überschriften und Schubladen. TheaterKauderwelsch von Theaterleuten und Kritikern. Wenn Menschen miteinander leben müssen und wollen, dann kann man bestimmte Dinge, die mit ihnen passieren, mit Psychologie erklären und andere nicht; es gibt im Leben bestimmte moralische Werte, ob es uns paßt oder nicht; der Mensch ist ein politisches Wesen, mag er auch keine Fahnen schwenken und Politik verabscheuen. Wie im Leben also auch im Theater. In einer anderen Zeit sagt Godard mal, daß es nicht drauf ankäme, politische Filme zu machen, sondern Filme politisch zu machen. Hört sich auch heute noch gut an. Vielleicht gilt das auch für das Theater. Am liebsten wäre uns allen, Theaterleuten, Zuschauern und Kritikern, gutes Theater. Wir können uns nur so schwer einigen, was das ist.7

1

Andreas Roßmann: „Herbert König inszeniert ‚Leonce und Lena‘“, in: Rheinische Post, 13. Februar 1984.

2

Herbert König in: Heinz Klunker: „Wie nennt man diesen Vorgang hier?“, in: Theater heute 7/1984, S. 60.

3

Günther Beelitz im Gespräch am 26. August 2014.

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Brechts unsentimentales, kaltblütiges Stück über eine dilettierende deutsche Revolution wurde zwischen 1982 und 1984 in der DDR interessant, erstaufgeführt von Christoph Schroth in Schwerin (1982) und am Berliner Ensemble 1983 nachinszeniert, gleichfalls 1983 aufgeführt am Theater Greifswald (Regie: Thomas Wieck a. G.) und 1984 wurde Frank Castorfs Inszenierung in Anklam nach der Generalprobe vom Intendanten untersagt.

5

Herbert König im Gespräch mit Heinz Klunker über die Resonanz auf seine Inszenierung des Woyzeck 1985 am Düsseldorfer Schauspielhaus, in: Theater heute 2/1986, S. 28.

6

In: Heiko Zolchow 1955–1987, a. a. O. Dieser Text ist der Hauptteil der Trauerrede Herbert Königs für Heiko Zolchow. Drei der Rede eingefügte Zitate sagen viel über die ästhetischen Grundlagen der Zusammenarbeit Königs mit Zolchow. Die Rede wird von König eingeleitet mit dem Kafka-Text „Eisenbahnreisende“. Nach den hier veröffentlichten Redeausschnitten folgt im Manuskript ein Text von Jean Genet, Der Seiltänzer, an und er endet die Rede mit dem Märchen aus Woyzeck und schließt mit dem alles sagenden Satz: „Und da hat sich’s hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein.“

7

Herbert König in: „In fernen Geschichten Heutiges zeigen“. Ein Gespräch mit dem Regisseur Herbert König“, Theaterzeitschrift der Bühnen der Stadt Düsseldorf, Spielzeit 1991/92, o. S.

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ANHANG -

Herbert Königs Inszenierungen in der DDR von 1973 bis 1983

Fräulein Julie von August Strindberg (Übersetzung: Peter Weiss) Ausstattung: Günter Altmann, Musikalische Einstudierung: Wilfried Schmidt Mit Gerd Preusche, Gisela Hess, Hella Müller Premiere: 31. August 1973, Bühnen der Stadt Magdeburg, Podiumbühne Der Held der westlichen Welt von John M. Synge (Übersetzung: Peter Hacks und Anna Elisabeth Wiede) Ausstattung: Carl Hoffmann Mit Thomas Wolff, Achim Wolff, Carlo Schmidt, Wera Herzberg, Katharina Lind, Bernd Stegemann, Reinhard Scheunemann, Dietrich Laube, Hans-Joachim Maylahn, Renate Krößner, Christine Schuster, Katrin Martin Premiere: 21. Dezember 1974, Brandenburger Theater Oberösterreich von Franz Xaver Kroetz Ausstattung: Ilse-Maria Feltz Mit Renate Krößner, Carlo Schmidt Premiere: 1. März 1975, Brandenburger Theater, Studiobühne Komödie der Irrungen von William Shakespeare (Übersetzung: E. S. Lauterbach) Ausstattung: Jürgen Heidenreich a. G. Mit Gerd Preusche, Wolfgang Sörgel, Eberhard Kirchberg, Stefan Schweninger, Bernhard Geffke, Matthias Günther, Heinz Hupfer, Mathis Schrader, Dietmar Terne, Julius Klee, Gerhard Linke, Stefan Hempel, Waltraud Maester, Wera Herzberg, Angelika Böttiger, Jalda Rebling, Cornelia Lippert Premiere: 14. Juni 1975, Städtische Theater Karl-Marx-Stadt

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Im Morgengrauen ist es noch still nach Boris Wassiljew (Übersetzung: Elke Wiegand) Ausstattung: Karl-Heinz Abramowski Mit Achim Wolff, Katrin Martin, Christine Schuster, Renate Siegl, Renate Krößner, Hella Müller a. G., Christa Scheuner, Sabine Scholze, Carlo Schmidt, Reinhard Scheunemann Premiere: Oktober 1975, Brandenburger Theater (18 Vorstellungen) Glaube Liebe Hoffnung (DDR-EA) von Ödön von Horváth Ausstattung: Carl Hoffmann Mit Katrin Martin, Thomas Wolff, Achim Wolff, Siegfried Fiebig, Bernd Stegemann, Dietrich Laube, Renate Krößner, Christa Scheuner, Carlo Schmidt, Reinhard Scheunemann, Erika Kujawski, Reinhold Polensen, Christine Schuster, Volkmar Weitze, Detlef Gieß Premiere: 10. Januar 1976, Brandenburger Theater (zwölf Vorstellungen) Lauf bloß nicht splitternackt herum von Georges Feydeau (Übersetzung: Wolfgang Schuch) Bühne: Karl-Heinz Abramowski, Kostüme: Christiane Kunze Mit Herbert-Joachim Dill, Renate Krößner, Reinhold Polensen, Thomas Wolff, Reinhard Scheunemann Premiere: 3. April 1976, Brandenburger Theater Der Schuhu und die fliegende Prinzessin von Peter Hacks Ausstattung: Christiane Kunze, Pantomimische Mitarbeit: Joachim Lemke a. G., Musikalische Einstudierung: Christian Kozik a. G. Mit Reinhard Scheunemann, Christine Schuster, Christa Scheuner, Achim Wolff, Bernd Stegemann, Dietrich Laube, Siegfried Fiebig, Volkmar Weitze, Reinhard Polensen, Olaf Polenske a. G., Herbert-Joachim Dill, Sabine Scholze, Herbert Schumitz, Chor und Ballett des Brandenburger Theaters Premiere: 3. Juli 1976, Brandenburger Theater Hallo und Adieu (DDR-EA) von Athol Fugard (Übersetzung: Jan Lustig) Ausstattung: Herbert König Mit Thomas Wolff, Christine Schuster. Premiere: 2. September 1976, Brandenburger Theater, Zimmertheater

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Anhang

Yerma (DDR-EA) von Federico García Lorca (Übersetzung: Enrique Beck) Ausstattung: Christiane Kunze Mit Wera Herzberg a. G., Katrin Martin a. G., Renate Siegl, Renate Krößner, Erika Kujawski, Christine Schuster, Sabine Scholze, Gabriele Mewe, Olaf Polenske, Thomas Wolff, Bernd Stegemann, Reinhold Polensen, Herbert Schumitz, Achim Wolff geplanter Premierentermin 18. Januar 1977, Brandenburger Theater Die Probenarbeit wurde durch den Intendanten am 7. Januar 1977 abgebrochen und die Aufführung untersagt. Der ältere Sohn von Alexander Wampilow (Übersetzung: Thomas Reschke) Bühne: Herbert Vogt, Kostüme: Ute Krajewski Mit Wolfgang Adam, Michael Becker, Detlef Lux, Gerd Opitz, Doris Mielau, Ursula Schucht Premiere: 28. April 1977, Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau Der Sommerbürger von Helmut Baierl Ausstattung: Joachim Köhn Mit Lothar Bauerfeld, Gisela Findeisen, Doris Mielau, Detlef Lux, Gerd Ohme, Reinhard Simon, Werner Gaertner, Christine Frankenstein, Helga Schwab, Christine Gabsch, Ursula Schucht, Gerd Opitz, Ulrich Täubert, Jutta Hedwig a. G., Ernst Forstreuter, Rupert Ritzi, Wolfgang Adam, Rüdiger Götze Premiere: 17. Februar 1978, Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau Lauf bloß nicht splitternackt herum von Georges Feydeau (Übersetzung: Wolfgang Schuch) Ausstattung: Manfred Braun Mit Henning Orphal, Sigrid Herforth, Klaus Reichenbach, Gerd Pokall, Rudolf Trommer, Alexander Schmidt Premiere: 2. Juli 1978, Theater der Stadt Nordhausen

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Anhang

Das kleine Cristobal-Retabel/ In seinem Garten liebt Don Perlimplin Belisa von García Lorca (Übersetzung: Enrique Beck) Ausstattung: Christiane Kunze, Heidemarie Schneider, Herbert König, Musik: Wolf Butter Mit Heidemarie Schneider, Gerd Grasse, Christel Bodenstein, Evelyn Cron, Katrin Martin, Erdmute Schmidt-Christian. Premiere: 27. November 1978, „Das Ei“ – Kleine Bühne im Friedrichstadtpalast Berlin Die Eroberung der Prinzessin Turandot (DDR-EA) von Wolfgang Hildesheimer Ausstattung: Fridolin M. Kraska Mit Ewald Zischka, Renate Krößner a. G., Michael Telloke, Hans-Dieter Krone, Monika Thiele, Rüdiger Evers, Klaus Bronowski/ Hendrik Suchta (Mitglieder der BSG Gebäudewirtschaft, Sektion Kraftsport) Premiere: 18. Januar 1980, Landestheater Dessau (neun Vorstellungen) Georges Courteline-Abend „Das Ei“ – Kleine Bühne im Friedrichstadtpalast Berlin Die Proben wurden abgebrochen wegen des notwendig gewordenen Abrisses des Friedrichstadtpalastgebäudes 1980. Nachtasyl von Maxim Gorki (Übersetzung: Werner Creutziger) Ausstattung: Herbert König Mit Martin Süssenguth, Gabriele Möller, Katrin Martin a. G., Frank Trunz, Bernd Peschke, Jörg Krüger, Karin Dewald, Renate Krößner a. G., Gabriele Püttner, Johannes Rhein, Rainer Etzenberg, Ronald Funke, Bernd Stegemann a. G., Gerd Gallrein, Marianne Thielmann, Eugen Dovides Premiere: 20. Februar 1981, Theater Greifswald (drei Vorstellungen) Bernarda Albas Haus von Federico García Lorca (Übersetzung: Enrique Beck) Bühne: Herbert König, Kostüme: Christiane Kunze Mit Ursula Hartung, Traute Feierabend, Evelyn Cron a. G., Marianne Zilles a. G., Rita Feldmeier a. G., Renate Krößner a. G., Kattrin Kupke, Ev-Marie Frölich, Cornelia Kluge Premiere: 5. Dezember 1981, Theater Anklam

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Anhang

Der Impresario von Smyrna (DDR-EA) von Carlo Goldoni in einer Bearbeitung von Paul Kornfeld Ausstattung: Heiko Zolchow Mit Werner Gaertner, Wolfgang Adam, Lothar Bauerfeld, Detlef Lux, Bernd Peschke, Christian-Viktor Keune, Christine Gabsch, Doris Mielau, Doris Plenert, Ernst Forstreuter Premiere: 17. September 1982, Gerhart-Hauptmann-Theater GörlitzZittau (zwei Vorstellungen) Man spielt nicht mit der Liebe von Alfred de Musset (Übersetzung: Ottofritz Gaillard) Ausstattung: Heiko Zolchow Mit Thomas Wolff, Horst Günter Marx, Dagmar König, Marie Gruber, Ev-Marie Frölich Premiere: 15. Januar 1983, Theater Anklam (vier Vorstellungen)

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Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Quellen BStU Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik HKA Akademie der Künste, Berlin, Archiv Darstellende Kunst, Herbert-König-Archiv SAPMO Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Staatliche Einrichtungen, Parteien und gesellschaftliche Organisationen in der DDR SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands BPKK Bezirksparteikontrollkommission (der SED) DTO Direktion für Theater und Orchester beim Ministerium für Kultur KPKK Kreisparteikontrollkommission (der SED) KJS Kinder- und Jugendsportschule MfK Ministerium für Kultur der DDR MfS Ministerium für Staatssicherheit der DDR VT Verband der Theaterschaffenden der DDR ZK Zentralkomitee der SED Vom Ministerium für Staatssicherheit intern verwendet AKK archiviertes Material zu einer kerblochkartenerfassten Person AOP archivierter operativer Vorgang ASB Abschlussbericht Ast. Antragssteller auf ständige Ausreise aus der DDR BV Bezirksverwaltung IM inoffizieller Mitarbeiter IMV inoffizieller Mitarbeiter mit vertraulichen Beziehungen zur bearbeiteten Person KD Kreisdienststelle OPK operative Personenkontrolle OV operativer Vorgang Pdm. Potsdam StGb Strafgesetzbuch der DDR Sonstige BSG Betriebssportgemeinschaft DDR-EA Erstaufführung in der DDR

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Anhang

Danksagung

Marion Winter gilt mein besonderer Dank für die nimmermüde Unterstützung bei der Arbeit. Ich bedanke mich herzlich bei Rolf König, Volker König, bei Dagmar Cron-König und bei Sabine Zolchow. Viel verdanke ich den lebendigen Erinnerungen von Schauspielerinnen und Schauspielern und anderen Theaterkollegen, die mit Herbert König zusammengearbeitet haben und mit denen ich sprechen konnte. Ich danke: Christine Gabsch, Marie Gruber, Wera Herzberg, Renate Krößner, Katrin Martin, Gabriele Möller-Lukasz, Gabriele Püttner, Wolfgang Adam, Rainer Etzenberg, Ronald Funke, Jörg Krüger, Bernd Stegemann, Thomas Wolff, Karl-Heinz Abramowski, Manfred Dietrich, Volkmar Weitze und Claus M. Winter.

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Anhang

Der Autor

Thomas Wieck absolvierte sein theaterwissenschaftliches Studium an der Theaterhochschule „Hans Otto“ Leipzig 1969. Seitdem war er theaterwissenschaftlich an der Theaterhochschule „Hans Otto“ Leipzig, dem Institut für Schauspielregie Berlin, der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin in der Zeit von 1973 bis 2019 sowie dramaturgisch und inszenatorisch an den verschiedensten deutschsprachigen Theatern im Schauspielund Opernbereich seit 1970 kontinuierlich tätig. Von 1975 bis 1977 arbeitete er theaterpolitisch als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Sekretär des Verbands der Theaterschaffenden der DDR. Von 1989 bis 1994 war er tätig als Chefdramaturg des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin und des Theaters der Stadt Nürnberg.

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RECHERCHEN 139 Florian Evers . Theater der Selektion 137 Jost Hermand . Die aufhaltsame Wirkungslosigkeit eines Klassikers Brecht-Studien 135 Flucht und Szene Perspektiven und Formen eines Theaters der Fliehenden 134 Willkommen Anderswo – sich spielend begegnen Theaterarbeiten mit Einheimischen und Geflüchteten 133 Clemens Risi . Oper in performance 132 Helmar Schramm . Das verschüttete Schweigen Texte für und wider das Theater, die Kunst und die Gesellschaft 131 Vorstellung Europa – Performing Europe Interdisziplinäre Perspektiven auf Europa im Theater der Gegenwart 130 Günther Heeg . Das Transkulturelle Theater 129 Applied Theatre . Rahmen und Positionen 128 Torben Ibs . Umbrüche und Aufbrüche 127 Günter Jeschonnek. Darstellende Künste im öffentlichen Raum 126 Christoph Nix . Theater_Macht_Politik 125 Henning Fülle . Freies Theater 124 Du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt . Die Expertengespräche zu „Die Schutzflehenden / Die Schutzbefohlenen“ am Schauspiel Leipzig 123 Hans-Thies Lehmann . Brecht lesen 121 Theater als Intervention . Politiken ästhetischer Praxis 120 Vorwärts zu Goethe? . Faust-Aufführungen im DDR-Theater 119 Infame Perspektiven . Grenzen und Möglichkeiten von Performativität 118 Italienisches Theater . Geschichte und Gattungen von 1480 bis 1890 117 Momentaufnahme Theaterwissenschaft Leipziger Vorlesungen 116 Kathrin Röggla . Die falsche Frage Vorlesungen über Dramatik 115 Auftreten . Wege auf die Bühne 114 FIEBACH . Theater. Wissen. Machen 113 Die Zukunft der Oper zwischen Hermeneutik und Performativität 112 Parallele Leben . Ein Dokumentartheaterprojekt 110 Dokument, Fälschung, Wirklichkeit Dokumentarisches Theater 109 Reenacting History: Theater & Geschichte 108 Horst Hawemann . Leben üben – Improvisationen und Notate 107 Roland Schimmelpfennig . Ja und Nein Vorlesungen über Dramatik 106 Theater in Afrika – Zwischen Kunst und Entwicklungszusammenarbeit 105 Wie? Wofür? Wie weiter? Ausbildung für das Theater von morgen


RECHERCHEN 104 Theater im arabischen Sprachraum 103 Ernst Schumacher . Tagebücher 1992 – 2011 102 Lorenz Aggermann . Der offene Mund 101 Rainer Simon . Labor oder Fließband? 100 Rimini Protokoll . ABCD 99

Dirk Baecker . Wozu Theater?

98

Das Melodram . Ein Medienbastard

97

Magic Fonds – Berichte über die magische Kraft des Kapitals

96

Heiner Goebbels . Ästhetik der Abwesenheit Texte zum Theater

95

Wolfgang Engler . Verspielt Essays und Gespräche

93

Adolf Dresen . Der Einzelne und das Ganze Dokumentation

91

Die andere Szene . Theaterarbeit und Theaterproben im Dokumentarfilm

87

Macht Ohnmacht Zufall Essays

84

B. K. Tragelehn . Der fröhliche Sisyphos

83

Die neue Freiheit . Perspektiven des bulgarischen Theaters Essays

82

Working for Paradise . Der Lohndrücker. Heiner Müller Werkbuch

81

Die Kunst der Bühne – Positionen des zeitgenössischen Theaters Essays

79

Woodstock of Political Thinking . Zwischen Kunst und Wissenschaft Essays

76

Falk Richter . TRUST Inszenierungsdokumentation

75

Müller Brecht Theater . Brecht-Tage 2009 Diskussionen

74

Frank Raddatz . Der Demetriusplan Essay

72

Radikal weiblich? Theaterautorinnen heute Aufsätze

71

per.SPICE! . Wirklichkeit und Relativität des Ästhetischen Essays

70

Reality Strikes Back II – Tod der Repräsentation Aufsätze und Diskussionen

67

Go West . Theater in Flandern und den Niederlanden Aufsätze

66

Das Angesicht der Erde . Brechts Ästhetik der Natur Brecht-Tage 2008

65

Sabine Kebir . „Ich wohne fast so hoch wie er“ Steffin und Brecht

64

Theater in Japan Aufsätze

63

Vasco Boenisch . Krise der Kritik?

62

Anja Klöck . Heiße West- und kalte Ost-Schauspieler?

61

Theaterlandschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa Essays

60

Elisabeth Schweeger . Täuschung ist kein Spiel mehr Aufsätze

58

Helene Varopoulou . Passagen . Reflexionen zum zeitgenössischen Theater

57

Kleist oder die Ordnung der Welt

56

Im Labyrinth . Theodoros Terzopoulos begegnet Heiner Müller Essay und Gespräch


RECHERCHEN 55

Martin Maurach . Betrachtungen über den Weltlauf . Kleist 1933 – 1945

54

Strahlkräfte . Festschrift für Erika Fischer-Lichte Essays

52

Angst vor der Zerstörung Tagungsbericht

49

Joachim Fiebach . Inszenierte Wirklichkeit

48

Die Zukunft der Nachgeborenen . Brecht-Tage 2007 Vorträge und Diskussion

46

Sabine Schouten . Sinnliches Spüren

42

Sire, das war ich – Zu Heiner Müllers Stück Leben Gundlings

41

Friedrich Dieckmann . Bilder aus Bayreuth Essays

40

Durchbrochene Linien . Zeitgenössisches Theater in der Slowakei Aufsätze

39

Stefanie Carp . Berlin – Zürich – Hamburg Essays

37

Das Analoge sträubt sich gegen das Digitale? Tagungsdokumentation

36

Politik der Vorstellung . Theater und Theorie

32

Theater in Polen . 1990 – 2005 Aufsätze

31

Brecht und der Sport . Brecht-Tage 2005 Vorträge und Diskussionen

30

VOLKSPALAST . Zwischen Aktivismus und Kunst Aufsätze

28

Carl Hegemann . Plädoyer für die unglückliche Liebe Aufsätze

27

Johannes Odenthal . Tanz Körper Politik Aufsätze

26

Gabriele Brandstetter . BILD-SPRUNG Aufsätze

23

Brecht und der Krieg . Brecht-Tage 2004 Vorträge und Diskussionen

22

Falk Richter – Das System Materialien Gespräche Textfassungen zu „Unter Eis“

19

Die Insel vor Augen . Festschrift für Frank Hörnigk

15

Szenarien von Theater (und) Wissenschaft Aufsätze

14

Jeans, Rock & Vietnam . Amerikanische Kultur in der DDR

13

Manifeste europäischen Theaters Theatertexte von Grotowski bis Schleef

12

Hans-Thies Lehmann . Das Politische Schreiben Essays

11

Brechts Glaube . Brecht-Tage 2002 Vorträge und Diskussionen

Friedrich von Preußen Werkbuch

10

Friedrich Dieckmann . Die Freiheit ein Augenblick Aufsätze

9

Gerz . Berliner Ermittlung Inszenierungsbericht

8

Jost Hermand . Brecht-Aufsätze

7

Martin Linzer . „Ich war immer ein Opportunist…“ Gespräche

6

Zersammelt – Die inoffizielle Literaturszene der DDR Vorträge und Diskussionen

4

Rot gleich Braun . Brecht-Tage 2000 Vorträge und Diskussionen

3

Adolf Dresen . Wieviel Freiheit braucht die Kunst? Aufsätze

1

Maßnehmen . Zu Brechts Stück „Die Maßnahme“ Vorträge und Diskussionen

Erhältlich in Ihrer Buchhandlung oder unter www.theaterderzeit.de





Der Theaterregisseur Herbert König war ein Ausnahmekünstler. Als Quereinsteiger begann er seine Theaterkarriere und war, sofern die staatliche Zensur dies zuließ, an verschiedenen Bühnen der DDR tätig, u.a. – als Weggefährte von Frank Castorf – in Anklam, bis ihm nur die Ausreise in den Westen blieb. Seine radikale Theatersprache wurde als Verstörung wahrgenommen. Königs Weg zur Bühne und seine Arbeiten in der DDR der 1970er und 1980er Jahre zeichnet Thomas Wieck genau, anschaulich und engagiert nach. Ergänzt wird diese theatergeschichtliche Betrachtung durch zahlreiche Kritiken, bisher unveröffentlichtes Archivmaterial, eindrucksvolle Fotografien sowie ein Inszenierungsverzeichnis. Das Buch geht weit über eine biografische Betrachtung hinaus und nimmt eines der wichtigsten Kapitel deutscher Bühnengeschichte in den Blick: jene zehn Jahre in der DDR, in denen einige radikale Theatermacher – neben König besonders B. K. Tragelehn, Einar Schleef und Jürgen Gosch – Ernst mit dem Theater machen wollten und die Emanzipation von Theaterkunst und -betrieb von der reglementierenden Staatlichkeit anstrebten.

ISBN 978-3-95749-198-5

www.theaterderzeit.de


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